Die “Bild”-Zeitung hatnochnievieldavongehalten, Menschen, die vor Gericht stehen, irgendwelche Rechte einzuräumen. Fotos von Angeklagten oder Verdächtigen werden daher auch nur in Ausnahmefällen anonymisiert. Das hier ist keiner davon:
Die Pflegerin stand diese Woche in Bremen vor Gericht, weil sie eine Heimbewohnerin missshandelt hatte. Eine versteckte Kamera hatte sie dabei gefilmt.
“Bild” zeigte das Gesicht der Frau am Donnerstag ohne jede Anonymisierung groß in der Bundesausgabe – obwohl das Gericht zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen hatte …
[…], dass Bildaufnahmen der Angeklagten nur im deutlich anonymisierten (etwa gut “verpixelten”) Zustand veröffentlicht werden dürfen.
(Hervorhebung im Original.)
Daran hat sich zumindest Bild.de gehalten. In der Online-Version des Artikel wurde allerdings nicht das Gesicht der Angeklagten verpixelt — sondern das ihrer Anwältin:
Auf eine Anonymisierung der Angeklagten hat Bild.de verzichtet.
Heute lassen wir mal die User von Bild.de zu Wort kommen. Ausnahmsweise sind wir nämlich ziemlich einer Meinung.
Das ist echt eine Sauerrei. Sogar für die BILD.
Da fragt man sich wirklich, auf welchem Niveau sich solch Schreiberlinge befinden? Schlimmer gehts nicht!
Muss man solche details veröffentlichen???schlimm genug für die angehörigen…….
Dieser Artikel hätte schon aus Anstand der Familie gegenüber NIE veröffentlicht werden dürfen. Liebe Bildredakteure, wie tief wollt Ihr eigendlich sinken…..
Völlig Krank das in einer Zeitung zu bringen . Versetzen sie sich mal in die Lage der Angehörigen .
Typisch BILD!!! WIR waren die ersten die darüber Berichteten,arme Angehörige
Ja Bild, andere bloß stellen, kommt ja ganz gut an……………
Auf diese detaillierte Info hätte ich verzichten können
Liebe Bild, zeigen Sie Anstand und Pietät !!!!!
Raus mit diesen Artikel!!!!
[…] diese Scheinheiligkeit ist unglaublich. Wieviel verdient denn ein Journalist für solche Enthüllungen? Ist es das wert?
Bild sudelt sich am Unglück anderer
Dafür müsste man euch fristlos kündigen, sowas der öffenlichkeit preis zugeben
Mir fehlen die Worte
Uns hat es auch die Sprache verschlagen, als wir den Artikel gelesen haben, auf den sich diese Kommentare beziehen. Erschienen ist er vor einem halben Jahr auf Bild.de und in der Dresdner Regionalausgabe der “Bild”-Zeitung:
Dort ging es um einen Mann, der mit heruntergelassener Hose tot in seinem Auto gefunden worden war. Im Text hieß es, der Gerichtsmediziner habe festgestellt, dass der Mann dabei war, “sexuelle Handlungen an sich selbst auszuüben”. Dabei soll er einen Herzinfarkt erlitten haben.
“Bild” nannte den Vornamen, sowie den abgekürzten Nachnamen des Mannes; zeigte auf zwei Fotos dessen Auto; beschrieb, in welchem Ort er gefunden wurde — und druckte zu allem Überfluss noch ein riesiges Foto, auf dem die Angehörigen zu sehen sind, während sie trauernd neben dem offenen Sarg knien.
Zumindest für Bekannte der Familie war also mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erkennen, um wen es sich bei dem Toten handeln musste. Auch die Angehörigen, deren Gesichter zwar verpixelt waren, mussten damit rechnen, von ihrem Umfeld identifiziert zu werden.
Die Intimsphäre des Mannes, seine Würde und Persönlichkeitsrechte und selbst die seiner Familie — all das schien bei “Bild” niemanden zu interessieren.
Wir haben uns deshalb beim Deutschen Presserat über diese Berichterstattung beschwert. Wie in so einem Fall üblich, bekam der Verlag die Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Doch die Verteidigung der Springer-Juristen war kaum weniger unverschämt als der Artikel selbst.
Die Berichterstattung verletze weder die Menschenwürde der Angehörigen noch die des Verstorbenen, argumentierte der Verlag, “da niemand identifizierbar werde”.
So würden keine Namensangaben der Angehörigen veröffentlicht. Sie seien zudem nur von sehr weit fotografiert worden, ihre Gesichter seien vollständig verpixelt worden. […] Der tatsächliche Wohnort sei bewusst nicht genannt worden.
Die Angaben zu dem Toten seien, so die Springer-Anwälte, “zurückhaltend” erfolgt. “Zurückhaltend” in dem Sinne, dass die Autoren nicht den vollen Nachnamen des Mannes genannt und kein Foto von ihm veröffentlicht haben. Die Abbildung des Autos rechtfertigen sie damit, dass es “ein Allerweltsauto ohne jedes besondere Merkmal” sei.
Und den Angehörigen wird das “Recht auf Privatheit” mit der abenteuerlichen Begründung abgesprochen, dass sie “mit der Art und Weise des Todes des Mannes […] nichts zu tun” hätten.
Die Anwälte betonten außerdem, die Umstände des Todes und der massive Einsatz von Rettungskräften hätten “in der Region Dresden für ein starkes öffentliches und mediales Interesse gesorgt”.
Insgesamt, so das Fazit der Juristen, sei die Berichterstattung angesichts der “außergewöhnlichen und feststehenden Umstände des Falles […] als sehr zurückhaltend zu bezeichnen”.
Das sah der Presserat anders.
Der Beschwerdeausschuss erkannte in dem Artikel eine Verletzung der Ziffer 8 des Pressekodex:
Die Mitglieder sind der Auffassung, dass sowohl der Tote als auch seine Angehörigen – zumindest für einen kleineren Kreis von Personen – identifizierbar werden.
Das liege vor allem an der Nennung seines Namens und der Abbildung des Autos.
Die Mitglieder erkannten jedoch kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit, mit dem diese Identifizierung zu rechtfertigen wäre. Sowohl das Persönlichkeitsrecht des Toten als auch das seiner Hinterbliebenen wird daher verletzt […].
Der Verstoß werde “noch deutlich durch die Umstände des Todes des Mannes verstärkt. Durch die Berichterstattung erfährt zumindest ein bestimmter Kreis von Personen, in welcher Situation er gestorben ist. Insbesondere für seine Hinterbliebenen entsteht somit eine äußerst unangenehme Situation, die durch eine vollständige Anonymisierung zu verhindern gewesen wäre.”
Der Presserat sprach deshalb eine “Missbilligung” aus, bei der es den “Bild”-Leuten allerdings frei gestellt ist, ob sie sie abdrucken – oder es einfach bleiben lassen.
Der Artikel beginnt übrigens mit einer bemerkenswerten Feststellung:
Es ist Boulevardjournalisten-Prosa aus dem Lehrbuch, mit der die Hamburger Regionalausgabe von “Bild” heute einen Artikel beginnen lässt:
Blauer Himmel über der Alster, doch die Stadt trägt Trauer: Lorenz ist tot. Neun Tage, nachdem der Ruderer († 13) an Boje 5 kenterte und versank, wurde nun seine Leiche gefunden. Um 10.45 Uhr gab die Alster den Körper des Schülers frei!
Bild.de hat den Artikel mit einer 22-teiligen Bildergalerie garniert, die sich dem “Fund des toten Ruder-Jungen” in allen Facetten widmet.
So erfährt der Leser zum Beispiel, dass eine (genauer: “die”) japanische Zierkirsche “prächtig blüht”. Sie sei “die Gedenkstätte des Unglücks”, was Bild.de mit ein paar Fotos verdeutlicht, auf denen “ein letzter Gruß von Freunden” zu sehen ist (“Trauernde haben einen Brief, einen Teddy, Grablichter und Blumen abgelegt”). Den Brief zeigt Bild.de dann auch noch mal in Großaufnahme und schreibt von “Worte[n], die für sich sprechen”.
An der Zierkirsche gibt es aber auch das:
Vorausgesetzt, das Pärchen wusste, dass der Baum als Trauerort fungiert, kann man es in der Tat unangemessen und “respektlos” finden, dort “Romantik-Fotos” zu machen.
Aber der Vorwurf wöge vielleicht etwas schwerer, wenn er nicht von einem Medium käme, dessen Fotografen es an gleicher Stelle mit dem Respekt auch nicht ganz so ernst nehmen:
Die Fotos zeigen ziemlich exakt das, was die Bildunterschriften beschreiben. Immerhin ist der Leichnam abgedeckt und die Köpfe der Eltern sind verpixelt.
Harald Martenstein möchte nicht, dass wir ihn “den Franz Josef Wagner vom ‘Zeit Magazin'” nennen. Womöglich hat es Deniz Yücel von der “taz” auch nicht gefallen, dass wir ihn in einem einzigen Satz schon mit Wagner, Martenstein und Henryk M. Broder verglichen haben. Andererseits hat sich Yücel seinen Platz in der Ruhmeshalle der meinungsstarken, aber faktenschwachen Lautsprecher redlich verdient. Zum Beispiel mit seiner aktuellen Kolumne auf taz.de.
Yücel beginnt gewohnt wortgewaltig:
Professionelle Lügner verfälschen die Realität und manipulieren unser Denken. Wir werden abgelenkt, eingelullt, ruhiggestellt. Man bringt uns dazu, ständig vor dem Fernseher zu sitzen, Klatschmagazine zu lesen und große Mengen giftiger Nahrung zu essen. Wir geben uns jeder neuen Mode und jedem neuen Trend hin. Und natürlich Shopping, immer wieder Shopping. All das dient aber nur dazu, uns zu kontrollieren und zu betäuben, damit die Herrschenden ungestört ihre Kriege führen und ihren imperialistischen Interessen nachgehen können.
Den ganzen nächsten Absatz verwendet er dann darauf, zu erklären, woher diese Thesen nicht stammen (“Flugblatt der Ortsgruppe Hildesheim der Linkspartei”, “versprengte Basisgrüne”, “Ökumenischer Kirchentag”, “an der 9/11-Forschung geschulte Internetspinner”, “Zitate aus einem im Nachlass von Stéphane Hessel gefundenen Text”, “Leserbriefschreiber”).
Nein:
All diese Erkenntnisse stammen vielmehr aus einem nordkoreanischen Propagandafilm. Es ist kein Propagandafilm der üblichen Sorte, keine kämpferischen Soldaten, fröhlichen Arbeiter und winkende Kims. Denn in diesem Film geht es nicht um Nordkorea, jenes geheimnisvolle Land, über das Christopher Hitchens einmal geschrieben hat, man habe dort eine neue Spezies von Mensch erschaffen.
Ob dem wirklich so ist, kann niemand überprüfen. Dafür gewährt dieser Film einen Einblick darin, wie die nordkoreanische Staatspropaganda die westliche Welt sieht. Das erstaunliche Ergebnis: Etwa so wie ein guter Teil der Linken in Deutschland und anderswo.
Yücel hat den ersten Teil der deutschsprachigen Synchronfassung des Films bei taz.de eingebettet, beschreibt aber sicherheitshalber noch mal ausführlich, was es dort alles zu sehen gibt:
Der irgendwann zwischen 2009 und 2011 entstandene Film wurde von freiwilligen Helfern erst ins Englische und dann ins Deutsche übersetzt. Er kommt wie eine Mischung aus Videoclip und Dokumentation im History Channel daher; Bilder von vorzugsweise amerikanischen Politikern werden mit Kriegsbildern und Szenen aus der “Konsumwelt” zusammengeschnitten und natürlich darf auch der Führer nicht fehlen, weil erst durch ihn eine Condoleezza Rice ins rechte Licht gerückt wird. Die Sprache ist kein spätstalinistischer Barock, es fehlt auch der hysterisch-schwülstige Ton, in dem nordkoreanische Nachrichtensprecherinnen gelungene Raketenstests vermelden.
Wie es sich für eine ordentliche Doku gehört, kommt zwischendurch ein Experte zu Wort, dessen Gesicht aber in der Bearbeitung verpixelt wurde – offenbar damit dieser nordkoreanische Borat auch weiterhin unerkannt in Südkorea auf Safari gehen kann. […]
Wie also sehen sie aus, die tatsächlichen Zustände im Westen? Die Propagandisten der Herrschenden haben uns durch ihre Lügen, durch Mode, Musik, Technologie und Sex zu Konsumsklaven verwandelt, die härter und härter arbeiten, um Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen. Drogensüchtige Popstars wie Elvis Presley gehören ebenso zu ihren Machtinstrumenten wie Sneakers und iPhones.
Mit seiner Formulierung vom “nordkoreanischen Borat” war Yücel der Wahrheit so nahe wie selten, denn der Film mit dem Titel “Propaganda” ist (ebenso wie “Borat”) eine Mockumentary, eine als Dokumentation getarnte Fiktion, ein Fake.
Auf der offiziellen Website des Films deutet der neuseeländische Regisseur Slavko Martinov dies eher nur an, aber in einem Video-Interview erzählt er, er habe nach einem besonderen Kniff gesucht, um seine Dokumentation über Propaganda außergewöhnlicher zu machen, und sei so auf die Idee gekommen, den Film als fiktive nordkoreanische Dokumentation aufzuziehen.
Seine Wahl sei unter anderem deshalb auf Nordkorea gefallen, weil über das Land (anders als etwa über Kuba oder den Iran) im Rest der Welt so gut wie gar nichts bekannt sei und der Film deshalb nicht so schnell als Fake identifiziert werden konnte. Da der Erzähler von “Propaganda”, ein Bauunternehmer aus Neuseeland, der in Nordkorea geboren wurde, aber inzwischen von der südkoreanischen Gemeinde in Christchurch für einen nordkoreanischen Spion gehalten und ausgegrenzt wird, hat Martinov inzwischen eine Kampagne gestartet, um den Ruf des Mannes zu retten.
All dies hätte Deniz Yücel mit ein paar Minuten Googeln herausfinden können, aber es hätte ihm natürlich seinen schönen Gesinnungsaufsatz mit dem Titel “Wir Linkskoreaner” kaputtgemacht. Denn nur unter der Prämisse, dass das Video tatsächlich ein nordkoreanischer Propagandafilm ist, kann er den ideologischen Schulterschluss, den er auf Grundlage dieses Films zwischen dem Regime in Nordkorea und “der Linken in aller Welt” vermutet, beschreiben:
Und spätestens, als im vierten Teil die Gründung des Staates Israel geschildert wird, ein “bösartiges wie unnötiges” Unterfangen, das die britischen Imperialisten gemeinsam mit den “Rothschild-Zionisten” ausgeheckt haben, um die arabische Bevölkerung zu kolonialisieren, als – natürlich nicht ohne jüdische Kronzeugen – in Wort und Bild nahegelegt wird, die Israelis seien die Wiedergänger der Nazis und als schließlich erläutert wird, wie Israel den Holocaust dazu ausnutzt, um Kritik an seiner Politik als antisemitisch abzuschmettern, spätestens dann also fragt man sich: Warum nur bleibt die Linke in aller Welt so teilnahmslos angesichts der imperialistischen Bedrohung, der die Genossinnen und Genossen im friedliebenden Nordkorea ausgesetzt sind? Herr Augstein, übernehmen Sie!
Ja. Oder halt irgendein Nervenarzt.
Mit Dank an Peter.
Nachtrag, 6. April: Bereits gestern hat Deniz Yücel seinem Text einen Nachtrag hinzugefügt, den wir gerne vollständig wiedergeben:
Nachtrag: Einige Leser sowie der “Bild-Blog” behaupten nun, mir sei ein Fehler unterlaufen. Der Film “Propaganda” sei in Wirklichkeit kein nordkoreanischer Propagandafilm, sondern ein Film des neuseeländischen Regisseurs Slavko Martino [sic!] über Propaganda.
Das ist richtig. Und doch nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist die Erzählperspektive als nordkoreanischer Dokumentarfilm, der in einer Umkehrung des Wortes vom “Schurkenstaat” die westliche Welt als Ansammlung von Schurkenstaaten dämonisiert, fiktiv.
Aber der entscheidende Punkt ist: Was hier dargestellt wird, ist die nordkoreanische Sicht auf die westliche Welt. Man vergleiche beispielsweise die Einlassungen des Films über den Staat Israel mit den Tiraden der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA. Und man vergleiche beides mit dem Zuspruch, auf den diese propagandistisch verzerrte Sicht in den Kommentaren bei Youtube oder auch bei taz.de trifft. Das Ergebnis ist ein Maß an Übereinstimmung, das auch im Text beschrieben wird.
Regisseur Martino [sic!] sagt, dass er seinen Film als nordkoreanischen Propagandafilm ausgegeben habe, damit der Fake nicht sofort als solcher erkennbar wird. Ob er nur die Funktionsweise von Propaganda darstellen wollte oder sich eine – unter Linken, aber ebenso unter Rechten und religiösen Fundamentalisten – verbreitete Kritik an der kapitalistischen Konsumgesellschaft wenigstens teilweise zueigen macht, ist weniger interessant. Viel interessanter ist, dass der Film durch diesen Trick eben nicht als fiktive Dokumention zu erkennen ist.
Einen Text über einen fiktiven Film zu schreiben und diesen als fiktiv auszuweisen, wäre eine gewöhnliche Besprechung. Aber wenn man einen solchen Film so authentisch darstellt, wie er sich selber gibt, eine gefakte Rezension über eine gefakte Dokumentaion, wird daraus ein soziales Experiment: In den Raum wird die Behauptung gestellt, dass das Denken vieler Linker nicht so weit entfernt ist von der Propaganda einer völkisch-stalinistischen Diktatur wie Nordkorea. Die Überprüfung dieser Behauptung findet in der Realität statt.
Googeln, liebe Erbsenzähler vom “Bildblog”, kann ich genauso gut wie ihr. Deniz Yücel
Am Mittag veröffentlichte die Deutsche Presse Agentur (dpa) eine Meldung, wonach Bundeskanzlerin Angela Merkel “verärgert” sei über Fotos von ihr und ihrer Familie, die während ihres Oster-Urlaubs in Italien entstanden seien:
Alle Fotos seien ohne ihr Wissen entstanden und ohne ihre Billigung veröffentlicht worden, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. “Das sind alles Fotos, die aus irgendwelchen Verstecken heraus gemacht worden sind (…) Sie können sich vorstellen, dass es nicht immer entspannt ist, wenn man irgendwo Urlaub macht und das Gefühl hat, aus jeder Ecke lugt ein Objektiv hervor.” Es sei bekannt, dass die Kanzlerin keine große Neigung zur Pose habe. Merkel war sowohl mit den Kindern und Enkelkindern ihres Mannes Joachim Sauer beim Wandern als auch im Badeanzug beim Schwimmen gezeigt worden.
Nachlesen können Sie das etwa bei “Spiegel Online”, “RP Online”, “Focus Online”, stern.de und im “Westen” (wo die Redaktion die erstaunliche Transferleistung erbracht hat, die Meldung mit einem der besagten Paparazzi-Fotos zu bebildern).
Nicht nachlesen können werden Sie das vermutlich auf Bild.de und in der morgigen “Bild”. Was natürlich mit der heutigen “Bild” zusammenhängen könnte:
(Kindergesichter im Original verpixelt, vollständige Anonymisierung von uns.)
Im Badeanzug zeigt “Bild” die Kanzlerin zwar nicht, aber auf der Seite 2 sind weitere fünf Fotos von Angela Merkel, die “wir” “so entspannt” “noch nie gesehen” haben:
SIE ist die meistfotografierte Frau Deutschlands.
Wenn SIE im Dienst ist. So gut wie nie gibt es dagegen Fotos, Berichte aus dem Privaten, aus Angela Merkels Familienleben.
Dabei hat sie eines. Sie zeigt es nur nicht gern her – wie ein gut gehütetes Geheimnis.
Am Dienstag berichtete “Bild” in der Münchener Regionalausgabe über einen Mordprozess vor dem Landgericht Augsburg. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, seine Freundin ermordet zu haben, nachdem die per SMS mit ihm Schluss gemacht hatte.
Es ist ein bisschen rätselhaft, warum “Bild” auf dem Screenshot in der Printausgabe den Namen verpixelt hat. Bei Bild.de ist er jedenfalls zu lesen: Es ist der Vorname des Opfers.
Damit wirft der Screenshot von dem “ziemlich fehlerhaften SMS- Austausch” allerdings neue Fragen auf: Bei einem iPhone sind nämlich die eigenen Nachrichten blau unterlegt und rechtsbündig ausgerichtet, die Empfangenen sind grau und linksbündig. Damit hätte der Besitzer des Telefons die untere Nachricht geschrieben und an “Diana” gesendet. Was so gar keinen Sinn ergibt.
Wegen des laufenden Strafverfahrens konnte sich das Gericht uns gegenüber nicht dazu äußern, ob der Screenshot echt sei. Nach unseren Informationen ist der Wortlaut des SMS-Verkehrs im Prozess bisher aber noch nicht öffentlich geworden, “Bild”-Reporter Jörg Völkerling kann ihn also allenfalls aus anderen Quellen haben — falls es überhaupt der Original-Wortlaut ist.
Es spricht also vieles dafür, dass der angebliche Screenshot ein Fake ist, den “Bild” zu Illustrationszwecken rekonstruiert hat (was schon etwas unlauter ist, wenn man es nicht dazuschreibt), und dabei dann auch noch ziemlich dämlich vorgegangen ist.
Der Rechtsanwalt Jan Kralitschka, zur Zeit als “Bachelor” in der gleichnamigen RTL-Castingshow zu sehen, hat eine weitere einstweilige Verfügung gegen die “Bild”-Gruppe erwirkt: Die erste ging gegen die gedruckte “Bild”-Zeitung, die zweite jetzt gegen Bild.de.
Am 7. Februar hatte “Bild” in der Kölner Regionalausgabe ein Foto gedruckt, das Kralitschka, eine Frau und ein Kleinkind zeigte:
BILD enthüllt das letzte Geheimnis des Bachelors: Model Ann-Kristin (33) aus Bonn ist die Mutter der Tochter (3) des TV-Junggesellen.
Wir sehen ein Foto aus dem Jahr 2011. Jan posiert mit seiner Ex und dem Töchterchen (damals ein Jahr alt) für eine Kampagne der Hotelkette Barceló. Kopf an Kopf lächeln beide in die Kamera, die Kleine sitzt mit einer Muschel in der Hand fröhlich auf Mamas Schoß. Aber kurz nach dem Shooting zerbrach die Beziehung.
Kralitschka und das Model Ann Kristin Brücker zogen vor Gericht, weil sie nicht wollten, dass “Bild” das Foto der gemeinsamen Tochter zeigt. Das Landgericht Köln untersagte die Verbreitung des Kinderfotos am 12. Februar per Einstweiliger Verfügung.
Die vorherige Verwendung des Fotos in einer Werbung sei kein Grund für “Bild”, das Foto zu drucken, da in der Werbung weder der Name des Kindes genannt worden noch ersichtlich gewesen sein, dass es sich bei den abgebildeten Personen um eine richtige Familie handle. Erst “Bild” habe das Kind als Tochter der beiden für jedermann erkennbar gemacht, woran allerdings kein berechtigtes öffentliches Interesse bestanden habe. Deswegen sei die Verbreitung des Fotos rechtswidrig, wie die Rechtsanwälte der Kläger vergangene Woche in einer Pressemitteilung berichteten.
Bild.de verpixelte das Gesicht des Mädchens daraufhin grob, so dass die Haare und ein Ohr noch zu sehen waren. Den Eltern reichte dies nicht: In einer zweiten Einstweiligen Verfügung entschied das Landgericht Köln, dass diese Form der Anonymisierung nicht ausreiche und Bild.de auch das derart bearbeitete Foto nicht mehr zeigen darf.
Wenn die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) einen Bericht herausbringt, schalten sie bei “Bild” reflexartig in den Katastrophen-Modus um. Als wäre das Schlimmste passiert, was hätte passieren können. Hätte ja passieren können! In der “Bild”-Sprache tragen solche Vorfälle dann Namen wie “Horrorflug”, “Beinahe-Crash”, “Beinahe-Absturz”, “Beinahe-Katastrophe”, “Beinahe-Unfall”, “Beinahe-Zusammenstoß”, “Fast-Katastrophe”, “Fast-Absturz” oder “Fast-Unfall”.
Richtig schlimm wird es aber, wenn bei einem Zwischenfall tatsächlich etwas passiert ist. Wenn Menschen zu Schaden gekommen sind.
Anfang Dezember sind bei einem Flugzeugunglück in Hessen acht Menschen ums Leben gekommen. Damals waren zwei Kleinflugzeuge bei klarem Himmel in der Nähe von Wölfersheim kollidiert und abgestürzt. Die BFU kündigte kurz nach dem Unglück an, frühestens Anfang Februar einen ersten Untersuchungsbericht vorzulegen. Doch “Bild” veröffentlichte schon am vergangenen Dienstag “erste Details aus dem Flugunfall-Bericht”:
(Natürlich verzichtet “Bild” nicht darauf, drei große unverpixelte Fotos — hier abgeschnitten — von einigen der Opfer zu zeigen.)
Im Artikel heißt es:
Am 8. Dezember krachen zwei Kleinflugzeuge am Himmel der Wetterau zusammen. Acht Menschen sterben, darunter 4 Kinder.
Mitte Februar soll das Unfallgutachten veröffentlicht werden. BILD liegen schon jetzt erste Details vor.
Es sind schreckliche Einzelheiten, die die Ermittler in ihr Unfall-Gutachten schreiben müssen.
Die “Bild”-Autoren schildern unter anderem, dass sich die beiden Erwachsenen in einer der Maschinen “von den Kindern (…) ablenken” ließen, dass das eine Flugzeug das andere “von hinten im 30-Grad Winkel” traf, dass das Hauptfahrwerk “in die Kabine” schoss und dabei das 4-jährige Mädchen sofort tötete und dass “die tiefstehende Sonne (…) anscheinend nicht der Grund für die Kollision” war.
All diese Details aus dem Bericht der BFU hat “Bild” exklusiv. So “exklusiv”, dass nicht mal die BFU sie kennt.
Die Behörde reagierte noch am selben Tag, an dem der “Bild”-Artikel erschienen war und schrieb auf ihrer Website:
Im Umlauf befindliche Berichte der Boulevardpresse basieren nicht auf den vorliegenden Untersuchungen.
Normalerweise kommentiere die Bundesstelle Presseberichte nicht, teilte uns Klaus-Uwe Fuchs von der BFU auf Anfrage mit. Diesmal sah sie sich aber offenbar gezwungen: Die Details, die in dem “Bild”-Artikel geschildert werden, seien “reine Spekulation”, erklärte Fuchs, der die Untersuchung des Unglücks von Wölfersheim leitet. Mit den Ermittlungen der BFU stünden sie jedenfalls nicht im Einklang.
Andere Medien indes waren misstrauisch genug, die erfundenen exklusiven “Bild”-Informationen nicht weiter zu verbreiten. Immerhin.
Mit Dank an Torsten L., M.H. und an Paul C. für den Scan.
Nachtrag, 22. Januar: Die Pressemitteilung der BFU ist mittlerweile nicht mehr erreichbar. Sie habe die Funktion gehabt, schrieb uns Klaus-Uwe Fuchs, “(…) Presseagenturen und Nachrichtenredaktionen darüber zu informieren, dass die gemachten Angaben in dem besagten Presseorgan nicht mit den Untersuchungen der BFU im Einklang stehen”. Diesen Zweck habe sie nun erfüllt und sei deshalb wieder gelöscht worden.
In Rostock ist eine 17-jährige Schülerin entführt und über mehrere Tage mehrfach missbraucht worden. “Bild” berichtet über den Fall, indem die Zeitung ein unverfremdetes “privates” Foto des Tatverdächtigen zeigt, seinen Vornamen, den abgekürzten Nachnamen und seinen Spitznamen sowie sein Alter nennt, Angaben über seine kriminelle Vergangenheit und seine Arbeit macht und ein Foto des Hauses druckt, in dem der Mann wohnt.
Aber auch mit dem Opfer geht “Bild” nicht gerade sensibel um: Die Zeitung nennt offenbar den richtigen Vornamen der jungen Frau, druckt ein “privates” Foto von ihr, auf dem ihr Gesicht zwar verpixelt ist, durch das sie aber aufgrund ihrer außergewöhnlichen Frisur für ihr Umfeld ohne weiteres zu identifizieren sein sollte.
Bild.de geht sogar noch weiter und zeigt ein Foto von dem Flugblatt, mit dem nach der vermissten Frau gesucht worden war. Ihr Gesicht ist auch hier verpixelt, dafür sind dort diverse besondere Merkmale genannt, durch die die Frau identifizierbar wird — und falls das noch nicht reicht, zeigt Bild.de auf diesem Flugblatt auch noch ihren vollen Namen.
Ebenfalls auf Bild.de gibt es ein Video mit dem Titel “Hier wird die 17-Jährige ärztlich versorgt”. In wackligen Bildern sieht man durch einen Zaun hindurch Rettungssanitäter, die mehrere Tücher hochhalten, um die offenbar dahinter befindliche Frau vor neugierigenBlicken zu schützen.
Der Offsprecher salbadert:
Die seit Samstagmorgen vermisste […] lebt. Hinter diesen hochgehaltenen Tüchern wird die Jugendliche ärztlich versorgt. […]
Die 17-Jährige wurde unweit einer viel befahrenen Straße, rund drei Kilometer von ihrem Elternhaus im Rostocker Stadtteil […] entfernt, gefunden. Polizisten riegelten ein Wohnhaus in rund einhundert Metern Entfernung ab. Offenbar war […] in diesem Haus festgehalten worden.
Er beschreibt damit recht anschaulich, was in dem Video auch zu sehen ist.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Euro-Crash-Propheten: Münchaus große Glaskugel” (carta.info, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal kritisiert “Crash-Prognosen” wie sie von “Spiegel-Online”-Kolumnist Wolfgang Münchau zu lesen sind: “Warum aber müssen unsere hartkantigen und hoch geschätzten Ökonomie-Kolumnisten immer gleich das ökonomische Voll-Desaster an die Wand malen? ‘Zusammenbruch’, ‘Crash’, ‘Katastrophe’ – darunter tun sie es nicht.”
3. “‘Menschliche Abgründe kann man nicht rausschneiden'” (jetzt.sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Zu Besuch bei Sprecher und Autor der Off-Texte in der VOX-Kochsendung “Das perfekte Dinner”: “Egal, wie sehr sich manche vornehmen, eine bestimmte Rolle zu erfüllen, früher oder später entlarvt sich jeder. ‘Das ‘Dinner’ schafft, was viele Romane versuchen: ein Sittenbild. Heute hatten wir einen sexuell aufgeschlossenen Schlumpfsammler dabei, einen Indierocker mit Bart und eine Lehrerin, die nur auf den ersten Blick nett ist. Das sind Typen’, sagt Eric.”
5. “Arm, aber stark” (zeit.de, Özlem Topcu)
Özlem Topcu porträtiert Menschen, die aus der Unterschicht kommen: “Die Gesellschaft soll etwas von der Unterschicht lernen? Ja, auch das. Dafür jedoch muss man den Blick auf die Unterschicht befreien von der Arroganz der oberen Schichten. Befreien auch von der Perspektive des Unterschichtfernsehens, wo ihr Elend pornografisiert wird, das Monströse als Norm erscheint, die Kamera immer direkt ins Gesicht.”
6. “Die Wahrheit über Katzen” (katjadittrich.de)
Katzen sind unabhängige Freigeister, intelligent und leise. Oder so.