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“Bild” tritt auf die Ärmsten der Armen ein

Wir wissen noch immer nicht, was bei “Bild”-Mitarbeitern an der Stelle sitzt, an der bei Nicht-“Bild”-Mitarbeitern ein Herz schlägt. Aber was immer sich dort befinden mag — es muss in der Lage sein, Empathie zu vermeiden und Wut zu erzeugen:

Dieses Bild macht wütend!

Diese Worte stammen von “Bild”-Reporter Julien Wilkens. Das Foto, das ihn so wütend macht, landete heute bei Bild.de ganz oben auf der Startseite …

Screenshot Bild.de - Diese Masche von Job-Verweigerern macht wütend - Hier wird aus Wasser Bier und der Staat zahlt
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)

… und mit zwei weiteren Fotos in der “Bild”-Bundesausgabe auf Seite 3:

Ausriss Bild-Zeitung - Hier wird aus Wasser Bier und der Staat bezahlt es

Wilkens, immer noch wütend, schreibt dazu:

Wir sehen zwei Männer, die vor einem Supermarkt in Berlin stehen. Sie öffnen nacheinander zwölf Wasserflaschen, kippen sie in die Grünanlage. Siehe da: Wenig später wird aus Wasser Bier … Und der Staat zahlt!

Dieses Bild macht wütend! Denn einer der Männer, der offensichtlich der Trinker-Szene angehört, geht danach in den Supermarkt, gibt die Flaschen zurück — und kauft sich vom Pfand fünf Dosen Bier (je 29 Cent plus Pfand).

BILD erklärt die seltsame Tauschaktion: Das Wasser haben die Männer mit Lebensmittel-Gutscheinen [für Hartz-IV-Empfänger] gezahlt. Auf denen steht ausdrücklich: nicht für Tabak, nicht für Alkohol.

Ein Mann, offenbar Hartz-IV-Empfänger, offenbar alkoholkrank, offenbar einer der Ärmsten der Armen, kippt Wasser im Wert von 2,28 Euro (zwölf Flaschen à 19 Cent) weg, um seine Sucht stillen zu können. Dieser Pipibetrag reicht “Bild”-Mitarbeitern für eine Der-Staat-wird-ausgenommen-!-Skandalstory. 2,28 Euro reichen bei “Bild” und Bild.de, um arme Gestalten vorzuführen, sie an den Pranger zu stellen, auf sie einzutreten.

Laut Credit hat Julien Wilkens die drei angeblich wütend-machenden Fotos selbst aufgenommen. Was für eine traurige Vorstellung: Ein “Bild”-Reporter, das Smartphone im Anschlag, verfolgt einen Alkoholabhängigen durch einen Supermarkt, um an einen Aufreger zu kommen. Allein der Gedanke macht wütend.

Mit Dank an Stefan P. und Simon für die Hinweise!

Ist “Bild” doch egal, was Richter entscheiden

Es ist beunruhigend, wie wenig die Leute bei “Bild” für die Rechtssprechung deutscher Gerichte übrig haben. Und es ist beunruhigend, wie stolz sie darauf auch noch sind.

Ausriss Bild-Titelseite mit Artikel Gericht verbietet Bilder von G20-Plünderin
(Unkenntlichmachung durch uns.)

So sieht die heutige “Bild”-Titelseite aus. Im Text mit der Überschrift “Gericht verbietet Bilder von G20-Plünderin” schreibt das Blatt:

DIESE Fotos von den G20-Ausschreitungen in Hamburg darf BILD so nicht mehr zeigen — wenn es nach dem Landgericht Frankfurt/Main geht. Sie zeigen Szenen der schweren Ausschreitungen beim G20-Gipfel am 7. Juli 2017 in Hamburg. Vor einem zerstörten und geplünderten Drogeriemarkt hebt eine Frau im pinkfarbenen T-Shirt Waren auf, geht mit ihrer Beute davon. BILD zeigte Nachrichtenfotos der Plünderer, auf denen Täter klar zu sehen waren. Die Frau klagte dagegen, und die Richter gaben ihr recht: Die Bilder würden das Persönlichkeitsrecht der Frau verletzen, wenn sie erkennbar ist — weil allenfalls, so die Begründung, ein “Diebstahl geringwertiger Sachen” darauf erkennbar sei.

BILD zeigt die Fotos dennoch, ohne die Personen zu verfremden — weil die Abbildung von Straftaten, gerade im Zusammenhang mit schweren Krawallen, Plünderungen und Landfriedensbruch bei einem so wichtigen Ereignis wie dem G20-Gipfel, zum Auftrag der Presse gehört.

Nach dem G20-Gipfel in Hamburg und all den Protesten, Ausschreitungen, Krawallen und Plünderungen ernannten sich die “Bild”-Medien selbst zu Staatsanwälten und gleichzeitig zu Richtern: “GESUCHT! Wer kennt diese G20-Verbrecher?” titelten sie am 10. Juli 2017.

Das Landgericht Frankfurt am Main entschied bereits Mitte Dezember, dass Fotos dieser Berichterstattung, die eine Frau bei einem Diebstahl während der Krawalle zeigen, nicht wieder veröffentlicht werden dürfen. Heute stellen sich die “Bild”-Medien über dieses — noch nicht rechtskräftige — Urteil und sagen: Ist uns doch egal, was irgendwelche Richter entscheiden!

Nur nebenbei: Ganz so gesetzlos, wie die Mitarbeiter von “Bild”-Zeitung und Bild.de hier sein wollen, sind sie dann doch nicht. In den beiden Entscheidungen des Frankfurter Landgerichts (eine zu “Bild”, eine zu Bild.de) geht es um zwei Fotos, die die “Bild”-Medien nicht mehr zeigen dürfen. Sie stammen zwar aus derselben Serie wie die vier heute veröffentlichten Fotos; sie sind aber nicht dabei. Ob das Zeigen dieser sehr ähnlichen Fotos der einstweiligen Verfügung widerspricht, müsste wiederum ein Gericht entscheiden.

Aber zurück zum Urteil aus Frankfurt und dem schaurigen Rechtsstaatsverständnis der “Bild”-Redaktion.

Das Landgericht stellt in seinem 13-seitigen Urteil fest, dass die Frau im pinkfarbenen T-Shirt offensichtlich keinen Landfriedensbruch begangen hat, erst recht keinen schweren. Auch das Material, das “Bild” bei der Verhandlung vorgelegt hat, lässt nur den Schluss zu, dass sie Gegenstände gestohlen hat, die bereits vor der zerstörten Drogerie lagen. Zudem würde es sich laut Landgericht um einen “Diebstahl geringwertiger Sachen” handeln. “Bild” schrieb selbst im Juli: “Der Wochenend-Einklau? Wasser, Süßigkeiten und Kaugummis erbeutet die Frau im pinkfarbenen T-Shirt im Drogeriemarkt”, wobei “im Drogeriemarkt” falsch ist. Weiter stellt das Landgericht fest, dass “aus Sicht der Allgemeinheit mit einer Serientäterschaft” der Frau nicht zu rechnen sei, schließlich habe es sich bei den Krawallen um eine Ausnahmesituation gehandelt. Man mag den Diebstahl der Frau für ganz fürchterlich halten — aber dafür ein Fahndungsaufruf in Millionenauflage?

Zu diesem Fahndungsaufruf durch die “Bild”-Medien hat das Frankfurter Landgericht in seinem Urteil ebenfalls etwas gesagt. “Bild” und Bild.de seien …

zu einem frühen Zeitpunkt und ohne Abwarten oder Überprüfen behördlicher Maßnahmen mit einem “eigenen Fahndungsaufruf” an die Öffentlichkeit gegangen.

Dass dabei die abgebildeten Personen pauschal als “Verbrecher” bezeichnet und “in einen Zusammenhang gestellt [wurden] mit schweren Straftaten, wie dem Beschuss von Polizisten oder anderen Personen mit lebensgefährlichen Kugeln, Pyrotechnik, Steinen oder Flaschen” spreche laut Gericht gegen die Zulässigkeit der Berichterstattung. “Bild” habe schließlich auch die Frau im pinkfarbenen T-Shirt, der die Redaktion “lediglich den Diebstahl geringwertiger Sachen vorwirft”, “sichtlich an den (Fahndungs)Pranger” gestellt, so das Landgericht.

Aber all das interessiert die “Bild”-Redaktion offenbar nicht. Es ist schon putzig: Beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz rufen Oberchef Julian Reichelt und seine Kollegen aktuell danach, dass Gerichte und nicht private Unternehmen entscheiden müssen, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Tut ein Gericht das, setzen sich Reichelt und “Bild” darüber hinweg.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Medien zeigen Suizid von Slobodan Praljak

Seit vielen Jahren schreiben wir hier nun schon über die Gefahren, die eine ausgiebige Berichterstattung über Suizide mit sich bringt. Manchmal, so wie heute, haben wir das Gefühl, dass sich etwas verbessert hat. Manchmal, so wie heute, haben wir aber auch das Gefühl, dass einigen Redaktionen es völlig egal ist, was der “Werther-Effekt” ist, und dass ihre Berichte und Videos im schlimmsten Fall Menschenleben kosten können.

Nachdem der “Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien” die 20-jährige Haftstrafe gegen Slobodan Praljak heute bestätigt hatte, vergiftete sich der frühere bosnisch-kroatische General selbst. Praljak sagte nach der Urteilsverkündung noch, dass er kein Kriegsverbrecher sei, und trank dann eine Flüssigkeit, bei der es sich nach Angaben seiner Verteidigerin um Gift handelte. Slobodan Praljak starb später in einem Krankenhaus.

Völlig verständlich, dass so gut wie alle überregionalen Medien über den Vorfall in Den Haag berichten.

Die Frage ist, wie die Redaktionen darüber berichten.

Süddeutsche.de zeigt beispielsweise weder ein Foto noch ein Video, auf beziehungsweise in dem Praljak das Gift nimmt. Genauso “Zeit Online”, wobei die Redaktion — anders als alle anderen — noch eine Box mit Informationen zu “Hilfe und Beratung” ans Ende ihres Artikels gestellt hat:

Screenshot Zeit Online - Menschen, die unter Depressionen leiden und Suizidgedanken haben, finden bei der Telefonseelsorge online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 rund um die Uhr Hilfe. Die Beratungsgespräche finden anonym und vertraulich statt. Angehörige, die eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, können sich an den AGUS-Verein wenden. Der Verein bietet Beratung und Informationen an und organisiert bundesweite Selbsthilfegruppen.

Die “taz” verwendet zur Bebilderung ihres Textes ein Standbild aus einem Video, das Slobodan Praljak kurz vor dem Trinken der giftigen Flüssigkeit zeigt. Im Artikel bei Welt.de ist ein Video eingebettet, in dem Praljak zwar im Gerichtssaal in Den Haag zu sehen ist — allerdings ist es so geschnitten, dass die Einnahme des Gifts nicht darin vorkommt. Ähnlich hat “Spiegel Online” es gelöst. Tagesschau.de zeigt, wie Praljak zum Trinken ansetzt und friert das Bild dann ein.

All diese Medien haben entschieden, den eigentlichen Suizid nicht zu zeigen.

Anders sieht es bei Bild.de, “Focus Online”, RTL.de, FAZ.net und Handelsblatt.com aus. Sie alle haben Videos veröffentlicht, in denen der Suizid von Slobodan Praljak zu sehen ist, bei Bild.de und “Focus Online” sogar mehrfach wiederholt und bei Bild.de zusätzlich noch in Zeitlupe. Die Bild.de-Redaktion hatte das Video heute tagsüber ganz oben auf der Startseite und direkt zum Anklicken platziert:

Screenshot Bild.de - Kroaten-General vor UN-Tribunal - Kriegsverbrecher stirbt nach Gift-Trunk
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Mit Dank an Peter K. und Daniel für die Hinweise!

Nachtrag, 1. Dezember: Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass die “Tagesschau” in einem Facebook-Post das Video, das Slobodan Praljak bei der Einnahme des Gifts zeigt, nicht eingefroren hat. Dort ist alles komplett zu sehen. Außerdem hat auch das ARD-Studio Brüssel bei Twitter ein Video veröffentlicht, das den Suizid zeigt. Die “Deutsche Welle”, die Mitglied der ARD ist, zeigt auf ihrer Website einen Zusammenschnitt, in dem das Trinken des Gifts mehrfach zu sehen ist.

In einer früheren Version als der von uns beschriebenen scheint auch “Spiegel Online” die Gift-Einnahme gezeigt und sie erst später aus dem Video geschnitten zu haben. Auch “n-tv” und die “heute”-Redaktion des ZDF sollen Aufnahmen gesendet beziehungsweise in den Sozialen Medien gepostet haben, auf denen Slobodan Praljaks Suizid zu sehen ist.

Ausgesprochen befremdlich ist der Umgang der österreichischen “Kronen Zeitung” mit dem Vorfall in Den Haag. Dort kommentiert Kurt Steinitz, es handele sich um einen “starken Abgang wie einst von Göring”:

Ausriss Kronen Zeitung - Selbstmord eines Kriegsverbrechers: Starker Abgang wie einst von Göring

Mit Dank an Karolin, Patrick, BH, Sven P., Jörn K., Martin R., Andi W., Marco F., Isabel H., Frank S., Bullen N., Laura R., Arne C., Marcel D., Jörg S., Otto W., Wilfried S., @BchnerBuechner, @druemshausen, @fattony2k, @derAlteMannFFM, @Wirkungsmann und @bassena für die Hinweise!

Die Sheriffs der “Bild”-Medien haben wieder auf Rechtsstaat gepfiffen

Am vergangenen Wochenende haben sich die Mitarbeiter der “Bild”-Medien mal wieder ihre Sheriffsterne an Hemden und Blusen gepinnt, sind auf Verbrecherjagd gegangen und auf rechtsstaatlichen Prinzipien rumgetrampelt.

Der Fall, den sie sich ausgesucht haben: ein Mord an einem zweijährigen Kind in Hamburg. Montag vergangener Woche soll der Vater des Kindes seine Tochter getötet haben und dann geflüchtet sein. Bewiesen ist noch nichts, es gibt allerdings Hinweise, dass der Mann diese schreckliche Tat begangen hat. Gestern wurde er in Spanien von der Polizei festgenommen.

Bereits wenige Stunden, nachdem der Tod des Kindes bekannt wurde, fragte die Bild.de-Redaktion ungeduldig:

Screenshot Bild.de - Warum fahndet die Polizei nicht öffentlich nach dem Killer?

Immerhin durfte eine Staatsanwältin im Artikel erklären:

Oberstaatsanwältin Nana Frombach zum Thema Öffentlichkeitsfahndung gegenüber BILD: “Wir führen noch andere Ermittlungen durch, daher liegen die Voraussetzungen für eine Öffentlichkeitsfahndung derzeit nicht vor. Die erste Voraussetzung ist dafür immer eine erhebliche Straftat, die zweite, dass es keine weiteren erfolgreichen Ermittlungsansätze gibt.”

Heißt: Die Ermittler gehen davon aus, Sohail A. zügig zu schnappen. Erst als letzte Maßnahme wird die Polizei mit einem Foto des Täters an die Öffentlichkeit gehen.

Am Wochenende reichte es den Redaktionen von Bild.de und “Bild am Sonntag” dann. Immer noch keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei — da mussten sie handeln. Am Samstagabend veröffentlichte Bild.de diesen Beitrag:

Screenshot Bild.de - Dringend gesucht - Das erste Foto des Kinder-Killers
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag von uns.)

Nur zur Erinnerung: Es gab zu diesem Zeitpunkt (und auch später) keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei. Es war noch nichts bewiesen. Es gab noch kein Geständnis. Die Bild.de-Mitarbeiter haben sich mit diesem Artikel nicht nur zu Polizisten gemacht, sondern gleich auch noch zu Richtern.

Dass es zu diesem Zeitpunkt keine offizielle Fahndung per Foto durch die Ermittlungsbehörden gibt, wissen die sechs Bild.de-Autoren ganz genau. Sie schreiben es schließlich selbst:

Noch immer gibt es keine offizielle Foto-Fahndung der Behörde, obwohl Sohail A. dringend tatverdächtig ist.

Eine Öffentlichkeitsfahndung ist für die Polizei das letzte Mittel, wenn alle anderen Ermittlungsansätze keinen Erfolg gebracht haben. Nana Frombach, Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft: “Es gibt noch Ermittlungsansätze.”

Nach BILD-Informationen sind Zielfahnder der Polizei dem Mann, der nach Deutschland 2011 als Flüchtling kam und schon längst hätte ausreisen müssen, sehr dicht auf den Fersen. Ermittler aus Deutschland und auch ausländische Dienste jagen den Killer unter Hochdruck.

Ermittler sollen den Mann “unter Hochdruck” jagen. Zielfahnder sollen ihm “dicht auf den Fersen” sein. Es soll noch immer “Ermittlungsansätze” geben. Und trotzdem entscheidet die Bild.de-Redaktion, sich einfach mal so über rechtsstaatliche Prinzipien hinwegzusetzen, etwa dass Richter oder Staatsanwälte eine Öffentlichkeitsfahndung anordnen müssen.

Einen Tag später zog die Redaktion der “Bild am Sonntag” nach. Auf der Titelseite und im Blatt präsentierte sie das Foto des Mannes wie ein Fahndungsplakat:

Ausrisse  Bild am Sonntag Titelseite - Kindermord in Hamburg - Die Polizei sucht diesen Mann
Ausrisse Bild am Sonntag Innenteil - Kindermord in Hamburg - Die Polizei sucht diesen Mann

Gestern dann die Nachricht, dass der Gesuchte in Spanien gefasst wurde. Es geht keine Gefahr mehr von ihm aus. “Bild” und Bild.de zeigen sein Foto heute dennoch bei mehreren Gelegenheiten ohne irgendeine Unkenntlichmachung — genauso wie ein Bild des getöteten Kindes:

Ausriss Bild Titelseite - So fassten sie den Kinder-Mörder
Ausriss Bild Innenteil - Fahnder fassten Killer in Spanien
Screenshot Bild.de - So fassten sie den Kinder-Mörder
Screenshot Bild.de - Im Video - Hier führt die Polizei den Kinder-Killer ab

Mit Dank an Daniel K., Frank H., Musti und @postillleaks für die Hinweise!

Bild.de lässt Witwe per Schlagzeile wissen, dass sie Witwe ist

Natürlich kann man den Überbringer einer schlechten Nachricht nicht für die schlechte Nachricht verantwortlich machen. Man kann ihn aber dafür kritisieren, wie er die schlechte Nachricht überbringt. Und dass er nicht abwägt, ob es gerade wirklich angebracht ist, die schlechte Nachricht zu überbringen.

Ein Beispiel: Eine Frau überlebt gerade so einen schweren Unfall und wacht aus dem Koma auf. Sie weiß noch nicht, was alles passiert ist. Und dann steht der Überbringer der schlechten Nachricht neben ihrem Krankenhausbett und sagt: “Ach, übrigens — Sie wissen zwar noch nichts davon, aber Ihr Ehemann ist tot.”

Das sieht bei Bild.de dann so aus:

Screenshot Bild.de - Nach Todesfahrt von Oligarchen-Tochter - Opfer weiß noch nicht, dass es Witwe ist
(Unkenntlichmachungen durch uns — auf einen Link zum Artikel verzichten wir bewusst.)

Bei einem Unfall im ukrainischen Charkiw sind fünf Menschen ums Leben gekommen und sechs weitere verletzt worden. Eine 20-Jährige soll mit ihrem Auto viel zu schnell gewesen und über eine rote Ampel gefahren sein. Sie stieß mit einem anderen Wagen zusammen und schleuderte in eine Gruppe von Menschen. Auch die Frau, über die Bild.de nun berichtet, und ihr Ehemann wurden von dem Auto getroffen. Der Mann starb, die Frau ist am Mittwoch nach sechs Tagen aus dem Koma aufgewacht.

Bild.de zeigt ein privates Foto des Paares ohne irgendeine Verpixelung, nennt die vollen Namen der beiden und schreibt:

Die junge Frau weiß noch nicht, dass ihr Ehemann (…) bei dem schrecklichen Unfall ums Leben kam. Sie weiß noch nicht, dass sie nun verwitwet ist.

Die Ärzte sind der Meinung, dass sie noch zu schwach ist, um vom Tod ihres Ehemanns zu erfahren.

Spätestens beim Verfassen dieses Satzes hätte der anonyme Autor auf die Idee kommen können, dass der Artikel, an dem er sitzt, eine ganz miserable Idee ist. Doch stattdessen hat er ihn zu Ende geschrieben und ihn mit seinen Kollegen rausgejagt.

Noch ein Stückchen ekliger bekommt es Merkur.de hin. Die Redaktion verknüpft ihren Artikel (der sich fast komplett auf den Bild.de-Text stützt) mit einer Clickbait-Überschrift:

Screenshot Merkur.de - Schrecklicher Unfall - 27-Jährige wacht nach Unfall aus Koma auf: Doch die schlimmste Nachricht weiß sie noch nicht

Bei seiner Sitzung im September hat der Deutsche Presserat neun Rügen ausgesprochen. Zwei davon gingen an Bild.de für die Berichterstattung zum Terroranschlag in Manchester. Eine dieser Rügen sprach das Gremium für einen Artikel mit der Überschrift “Mutter weiß nicht, dass Saffie nicht mehr lebt” aus. Der Presserat schrieb zu seiner Entscheidung:

Ebenfalls gerügt wurde BILD Online für die Berichterstattung unter der Überschrift “Mutter weiß nicht, dass Saffi nicht mehr lebt”. Ausführlich dargestellt wurde das Schicksal eines minderjährigen Opfers mit Foto und Namensnennung. Auch diese Darstellung ist nicht mit dem Opferschutz vereinbar. Ethisch problematisch war für den Presserat auch der Umstand, dass laut Artikel die Mutter, die wegen des Anschlags selbst auf der Intensivstation lag, noch nicht über den Tod ihres Kindes informiert war.

Die Mitarbeiter der “Bild”-Medien wollen diesen verantwortungslosen, grässlichen Mist, den sie ständig produzieren, einfach nicht besser machen.

Mit Dank an Julia und Matthias für die Hinweise!

Bild.de lässt Psychiater auf Fünfjährigen los

Noah Green ist fünf Jahre alt und hat das große Pech, dass die “Bild”-Medien ihn für so interessant halten, dass sie über ihn berichten. Noah ist der Sohn von Schauspielerin, Verzeihung, “von Schauspiel-Sexbombe” Megan Fox und Schauspieler Brian Austin Green. Und Noah findet Elsa aus “Disneys” Animationsfilm “Frozen” offenbar so klasse, dass er neulich in einem Elsa-Kleid durch die kalifornische Stadt Calabasas gelaufen ist.

Das ist eigentlich auch schon alles: ein fünfjähriges Kind, das eine Figur aus einem Animationsfilm gut findet und sich ab und zu so kleidet wie diese Figur.

“Bild” und Bild.de (die es nicht mal hinbekommen, das korrekte Alter von Noah nachzugucken) machen daraus allerdings deutlich mehr. Online schrieb die Redaktion gestern am späten Abend:

Screenshot Bild.de - Megan Fox - Warum ihr Sohn Mädchen-Kleider trägt
(Unkenntlichmachung durch uns.)

In den Familien der Hollywoodstars ist vieles erlaubt. Vor allem, wenn es um den Nachwuchs geht. Warum? Weil die Kurzen machen (dürfen), was sie wollen.

Neue Fotos zeigen Noah (4), den Sohn von Schauspiel-Sexbombe Megan Fox und Brian Austin Green (“David” aus “Beverly Hills 90210”) im Prinzessinnen-Kleidchen von “Frozen”.

Ist es ein seltsamer Trend oder einfach freie Entfaltung? Den Kindern der VIPs ist ihr Geschlecht offenbar nicht recht.

Bild.de nennt und zeigt noch zwei weitere Kinder — Charlize Therons fünfjährigen Sohn Jackson und Angelina Jolies elfjährige Tochter Shilo –, die immer mal wieder Klamotten tragen, die nicht ins Jungen-Mädchen-Koordinatensystem von “Bild” passen. Auch bei ihnen stellt sich also die Bild.de-Frage: “seltsam” oder “freie Entfaltung”?

Im Artikel gibt ein “Experte” so etwas wie eine Antwort:

Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff (62) zu BILD: “Es ist ein zunehmendes Phänomen in unserer Gesellschaft, dass sich Kinder in ihrem Auftreten schon früh an Erwachsenen orientieren. Zudem werden Kinder in unserer Gesellschaft zunehmend alleingelassen und in ihrem Verhalten auch nicht mehr korrigiert. Das gilt besonders für Konventionen und Kleidung. “Die Kinder wollen das eben so”, ist eine be­queme Ausrede. Wenn ein Mädchen Jungenkleider trägt oder umgekehrt, hat das aber nichts mit der künftigen sexuellen Orientierung oder Ausrichtung zu tun.”

Da drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Was soll da “korrigiert” werden? Und in welche Richtung? Kinder so sein zu lassen, wie sie sein wollen, ist eine “bequeme Ausrede”? Inwiefern lässt Megan Fox, die auf dem Foto direkt neben ihrem Sohn zu sehen ist und seine Hand hält, ihr Kind allein? Und warum lässt Bild.de einen Kinder- und Jugendpsychiater aus der Ferne auf einen Fünfjährigen los?

Schiebt man mal das ganze Promi-Geschreibsel dieses Bild.de-Artikels beiseite, bleibt die fatale Aussage für alle Kinder und Jugendlichen: Wenn ihr, aus welchem Grund auch immer, gerne mal Klamotten tragt, die nicht zu dem passen, was die “Bild”-Medien eigentlich für Mädchen beziehungsweise für Jungen vorgesehen haben, dann seid ihr mindestens so merkwürdig, dass ihr einen “Bild”-Artikel wert seid.

Mit Dank an @b_obermayer für den Hinweis!

Opferfotos lässt “Bild” sich nicht verrügen

Vor vier Monaten, einen Tag nach dem Terroranschlag bei einem Konzert in Manchester, titelte Bild.de:

Saffie (8) und Georgina (18) hatten sich so auf das Konzert gefreut - Zu jung zum Sterben! [Dazu zwei große Porträtaufnahmen der beiden Opfer]
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und wenig später:

TERROR IN MANCHESTER - Ihre Mutter weiß noch nicht, dass Saffie (8) tot ist [ebenfalls mit großem Porträtfoto des Mädchens]
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Zu diesem Zeitpunkt lag die Mutter, ebenfalls ein Opfer des Anschlags, noch auf der Intensivstation.

Mehrere Menschen reichten dazu Beschwerden beim Presserat ein. Sie verwiesen auf Ziffer 8 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern — insbesondere wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt — besonders zu schützen ist. Und auf Ziffer 11, nach der die Berichterstattung in solchen Fällen ihre Grenzen „im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen“ findet. Kritisiert wurde von den Beschwerdeführern außerdem, dass Fotos eines Opfers veröffentlicht wurden, ohne dass dessen Mutter wisse, dass ihr Kind tot ist.

Presserats-“Maßnahmen”:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
 
1) einen Hinweis,
2) eine Missbilligung,
3) eine Rüge.
 
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

„Bild“-Oberchef Julian Reichelt aber hat für solche Einwände kein Verständnis. Die Beschwerden seien „nicht nachzuvollziehen“, teilte er dem Presserat in einer Stellungnahme mit. Die Fotos seien weder reißerisch noch moralisch verwerflich — das sei nur der Terroranschlag selbst. Ganz ähnlich sah es auch “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz Ende Mai.

Außerdem hätten ja, so Reichelt, auch viele ausländische Medien die Fotos gezeigt. Dies werfe die Frage auf, ob etwas nach deutschem Verständnis unethisch sein könne, wenn es doch weltweit selbstverständlich sei? Sei Presseethik nicht vielmehr universell?

Reichelts Logik: Wenn Medien im Ausland irgendwas machen, darf man das hierzulande automatisch auch. (Wobei “Bild” natürlich auch unabhängig davon immer das Recht hat, Fotos von Opfern zu zeigen, weil man der Tragödie doch ein Gesicht geben müsse!)

Der Presserat jedoch sah das — wie schon die vielen, vielen, vielen Male zuvor — anders:

Nach Auffassung des Presserats [bestand] kein öffentliches Interesse an der identifizierbaren Darstellung der Opfer. […] Die verwendeten Fotos stammten aus sozialen Netzwerken. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Verwendung der Bilder in der Presse lag jedoch nicht vor, wäre aber erforderlich gewesen, so der Presserat. Es handelte sich nicht um Personen des öffentlichen Lebens.

In seiner jüngsten Sitzung wertete er die Berichterstattung darum als schweren Verstoß gegen den Pressekodex und sprach zwei öffentliche Rügen gegen Bild.de aus, die härteste “Sanktion”, die ihm zur Verfügung steht.

Gestern erschienen bei Bild.de übrigens diese Artikel:

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Die Opfer - 32 Jahre verheiratet, ein letztes Selfie, sie starb in seinen Armen [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Mutter von vier Kindern, Lehrerin, Cheerleader - So viele Leben einfach ausgelöscht [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und in der Print-Ausgabe heute:

Ausriss Bild-Zeitung mit Fotos von 29 Opfern - Mindestens 59 Konzert-Besucher starben im Kugelhagel - Beim Feiern aus dem Leben gerissen
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Ebenfalls zum Anschlag in Manchester:

Mit Dank an Oliver M.!

Die bigotten Hüter des Persönlichkeitsrechts

Vor einer Woche hat Bild.de einen für Bild.de bemerkenswerten Satz geschrieben:

BILD zeigt das Gesicht des blonden Mädchens nicht, das Original-Foto ist nach wie vor auf Sarahs Facebook-Seite zu sehen.

In dem Artikel, aus dem dieser Satz stammt, ging es um ein Foto, das Sängerin Sarah Lombardi auf ihrer Facebook-Seite gepostet hat. Es zeigt ihren zweijährigen Sohn, von hinten aufgenommen, der zu einem etwa ähnlich alten Mädchen schaut, das Mädchen guckt zurück. Sarah Lombardi hat dazu “Casanova” geschrieben.

Es folgte viel Empörung in den Kommentaren, wobei der Tenor meist der gleiche war: “Das eigene Kind schützen, aber ein anderes Kind zur Schau stellen — geht gar nicht!” Die Bild.de-Redaktion berichtete über all das, legte ein Emoji über das Gesicht des Mädchens und schützte dadurch deren Rechte. Nicht die schlechteste Entscheidung, die die “Bild”-Medien in letzter Zeit getroffen haben.

Aber ganz gewiss keine aus Überzeugung.

Heute berichtet “Bild” in der Bundesausgabe über einen tragischen Unfall an einem Vulkankrater in der Nähe von Neapel. Ein Elfjähriger ist dort in ein Loch gefallen, aus dem heiße Gase aufsteigen. Der Junge starb noch am Unfallort. Und auch seine beiden Eltern, die versuchten, ihren Sohn zu retten, kamen ums Leben.

Die “Bild”-Mitarbeiter, die vor sieben Tagen noch betonten, dass sie “das Gesicht des blonden Mädchens” nicht zeigen, drucken heute in Millionenauflage Fotos von der 42-jährigen Mutter, von dem 45-jährigen Vater und auch von dem elfjährigen Kind — alle ohne Verpixelungen:

Ausriss Bild-Zeitung - Überschrift des Artikels - Drei Tote in Italien - Familien von Vulkan-Loch verschluckt - dazu die Fotos der Verstorbenen
(Die Unkenntlichmachungen bei der Mutter, dem Vater und dem elfjährigen Jungen stammen von uns, die Unkenntlichmachung bei dem zweiten Kind im obersten Foto stammt von “Bild”.)

Die Art und Weise, wie “Bild” in diesem Fall berichtet, ist wahrlich kein Einzelfall. So gut wie jeden Tag findet man in dem Blatt — ob nun in der Bundesausgabe oder in einer der 24 Regionalausgaben — Fotos verstorbener Menschen, ohne Unkenntlichmachung, ohne Rücksichtnahme auf Persönlichkeitsrechte, ohne Interesse daran, was all das mit Angehörigen und Freunden macht.

Mit Dank an @DPRuettler für den Hinweis!

Disruptions-Baustelle BR, TV-Duell-Millionäre, How to Strunz

1. Baustelle Liebeskummer
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky & Katharina Riehl)
Der Bayerische Rundfunk (BR) befindet sich inmitten großer Veränderungen, vielleicht ist es sogar der größte Umbruch, den der Sender verkraften musste: Riesige Defizite wurden angehäuft, bis 2025 sollen 450 Stellen in der Produktion abgebaut werden. Für 2017 bis 2020 droht ein Minus von 328 Millionen, aber trotzdem baut der „BR“ in Freimann eine neue Senderzentrale. Die SZ-Autorinnen Tieschky und Riehl zweifeln an der Geordnetheit der Umstrukturierungen: „Bleibt die Frage, ob das so sein muss. Alles gleichzeitig – hätte man nicht entzerren können, das Sparen, die Reform, den Umzug?“

2. Sofortige Freilassung von Deniz Yücel gefordert
(deutschlandfunkkultur.de, Katrin Heise)
Der Journalist Deniz Yücel („Welt“) befindet sich seit nunmehr über 200 Tagen in türkischer Haft. Lea Deuber von “journalists.networks” hat einen offenen Brief an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gestartet, den 14 Journalistenorganisationen unterstützen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht Deuber über ihre Beweggründe und Hoffnungen.
Weiterer Lesetipp: “Moralische Appelle reichen nicht mehr aus” auf Welt.de.

3. Neues aus dem Fernsehrat (15): Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Leonhard Dobusch stellt ein Thesenpapier zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien vor, das Vertreter aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft in einem Gesprächskreis mit Politik und öffentlich-rechtlichen Sendern entwickelt haben.

4. Marcel H. zeigt keine Emotionen und gibt Taten zu
(wdr.de, Sebastian Wehner)
Der WDR hat sich entschieden, einen 19-Jährigen, dem der Mord an zwei Menschen vorgeworfen wird und der die Tat eingeräumt hat, nur verpixelt zu zeigen. Das ist insofern bemerkenswert, da der Angeklagte vor Gericht den ausdrücklichen Wunsch geäußert hat, er wolle nicht unkenntlich gemacht werden. „Der Grund für unsere Entscheidung: Wir wollen niemandem eine Bühne bieten, der schockierende Fotos seiner Opfer ins Netz gestellt und mit seinen Taten geprahlt haben soll.”

5. Wenn Millionäre fragen
(freitag.de, Wolfgang Michal)
Wolfgang Michal ist aufgefallen, wie wenig es beim TV-Duell zwischen Merkel und Schulz um das Thema der sozialen Gerechtigkeit ging. Womöglich hängt das mit den prominenten und gut situierten Fragestellern Klöppel (RTL), Maischberger (ARD), Illner (ZDF) und Strunz (Sat1) zusammen: „Alle vier sind erfolgreiche Unternehmer in eigener Sache. Das ist auch gar nicht zu kritisieren. Bei ihren Vorgängern Stefan Raab und Anne Will war es 2013 nicht anders. Aber fragen wird man schon dürfen, ob es thematisch nicht zu extremen Verzerrungen kommt, wenn sich die Fragesteller biographisch kaum unterscheiden, wenn sie alle den gleichen sozialen Status und das gleiche Alter aufweisen und mehr verdienen als Kanzlerin und Herausforderer zusammen.”

6. Strunz in fünf Minuten
(zdf.de)
Sie wollen unbedingt werden wie Fremdschäm-Ikone und Rechtsaußen-Talker Claus Strunz (Sat1)? Ein 5-Minuten-Coaching durch Carolin Kebekus macht’s möglich.

“Bild” lässt Angst wachsen

Die Menschen in Deutschland haben weniger Angst. Das zeigt eine repräsentative Umfrage, die die “R+V”-Versicherung jedes Jahr durchführen lässt und die den Namen “Die Ängste der Deutschen” trägt. Nach 20 Sorgen fragt die Studie regelmäßig — bei 18 von ihnen sind die aktuellen Werte niedriger als im vergangenen Jahr. Nur in den Kategorien “Schadstoffe in Nahrungsmitteln” und “Naturkatastrophen” gab es jeweils einen Zuwachs.

Ganz vorne liegen die Ängste vor Terrorismus (71 Prozent), politischem Extremismus (62), Spannungen durch Zuzug von Ausländern (61), finanziellen Folgen der EU-Schuldenkrise für die Steuerzahler (58) und den bereits erwähnten Schadstoffen in Nahrungsmitteln (58). Der Durchschnittswert aller Ängste beträgt 46 Prozent und damit sechs Prozentpunkte weniger als im vergangenen Jahr.

Die “Bild”-Zeitung, die seit jeher Angst verkauft, hat die Ergebnisse der Ängste-Umfrage genommen und heute eine Extra-Seite zum Thema veröffentlicht:

Übersicht über Bild-Seite mit sechs Artikel - BILD-Report - Innere (Un-)Sicherheit

Im Teaser steht:

Anschläge, Wohnungseinbrüche, rechtsfreie Räume — die innere Un-Sicherheit in Deutschland wächst! Erst gestern wurde bekannt: Vor nichts haben die Bürger mehr Angst als vor Terrorismus! BILD sagt, welche Missstände es gibt.

Egal, dass in der “R+V”-Studie vornehmlich sinkende Werte zu finden sind — “Bild” lässt “die innere Un-Sicherheit” und die Angst der Menschen wachsen.

Die Redaktion nennt in den einzelnen Artikeln auf der Seite Personen, die für die angebliche “Un-Sicherheit” verantwortlich seien: neben Ausländern, Linksautonomen und Drogendealern auch Richter:

Ausriss Bild-Zeitung - Gerichte denken zuerst an Täter

Unter dieser Populismus-Überschrift geht es ähnlich weiter:

Beide Fälle erschütterten Deutschland: Frank S. (46) stach Kölns heutiger Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit einem Messer in den Hals. Hussein K. (laut Gutachten älter als 22) ermordete die Studentin Maria L.

Trotz des breiten öffentlichen Interesses ordneten Strafgerichte an: Medien müssen auf Fotos der Angeklagten “die Gesichtszüge unkenntlich” machen. Aus Sorge um die Prangerwirkung, um die Persönlichkeitsrechte …

Die Informationsfreiheit der Bürger? Kommt erst an zweiter Stelle …

In “Die Ängste der Deutschen” wurde nicht nach der Angst vor in Boulevardzeitungen unkenntlich gemachten Angeklagten gefragt. Daher gibt es auch keine Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland eine “innere Un-Sicherheit” verspüren, weil Redaktionen von Richtern dazu aufgefordert werden, einer bisher nicht verurteilte Person Persönlichkeitsrechte zuzugestehen. Die Verpixelung von Gesichtern dürfte jedenfalls nicht zu den Ur-Ängsten zählen.

Was die “Bild”-Redaktion in ihrem Ärger über richterliche Anordnungen zur Unkenntlichmachung der “Gesichtszüge” ständig vergisst: Das Zeigen eines Angeklagten, der ganze mediale Rummel rund um einen Prozess kann zu milderen Urteilen führen, weil Richter die Verletzungen von Persönlichkeitsrechten und die Vorverurteilungen bei der Wahl des Strafmaßes manchmal einberechnen. Sie könnten die Anordnungen in den beiden genannten Fällen also auch im Interesse der Prozesse und angemessener Strafen erlassen haben.

Doch mit solchen Überlegungen beschäftigen sich die “Bild”-Mitarbeiter gar nicht erst, schließlich haben sie ein Zitat vom Bundesverfassungsgericht gefunden, das ihre Position vermeintlich stärkt:

Dabei entschied das Bundesverfassungsgericht: “Bei schweren Gewaltverbrechen ist ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Informationsinteresse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters (…) anzuerkennen.”

Nun steht dort erstmal nichts über Fotos von Angeklagten. Und auch sonst passt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aus dem die Aussage stammt, sensationell schlecht in die “Bild”-Argumentation. Denn in der Begründung, die die Redaktion zitiert, steht zwei Absätze später:

Handelt es sich im Übrigen um ein noch laufendes Ermittlungsverfahren, so ist im Rahmen der Abwägung auch die zugunsten des Betroffenen streitende, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen (…). Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch wird insoweit oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen. Eine individualisierende Bildberichterstattung über den Angeklagten eines Strafverfahrens kann allerdings dann gerechtfertigt sein, wenn sich der Betreffende nicht beziehungsweise nicht mehr mit Gewicht auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen kann, etwa wenn er sich in eigenverantwortlicher Weise den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen in der medialen Öffentlichkeit auch im Wege der individualisierenden Berichterstattung gestellt hat (…).

… was weder der eine Angeklagte noch der andere Angeklagte, die “Bild” als Beispiele nennt, getan hat.

“Bild” wählt ein Zitat aus einem Urteil, um Richtern zu zeigen, dass das Bundesverfassungsgericht etwas ganz anderes sagt als diese, dabei sagt das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil das, was die Richter sagen.

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