In einem Artikel über Michael Hartmann (SPD) schrieb “Zeit Online” gestern:
Sprecher für SPD-Innenpolitik wird Hartmann allerdings nicht mehr werden. Am Dienstag bestimmten die Abgeordneten den Magdeburger Burkhardt Lischka für dieses Amt. Er ist bereits der dritte innenpolitische Sprecher der SPD in dieser Legislaturperiode. Anfang Februar war der bisherige Innenpolitiker Sebastian Edathy von diesem Amt zurückgetreten.
Das ist falsch. Zumindest die zweite Hälfte.
Sebastian Edathy hat dieses Amt in Wahrheit nämlich nie bekleidet, er konnte also auch nicht davon zurücktreten. Michael Hartmann war bereits seit Oktober 2011 Sprecher für SPD-Innenpolitik und folgte damit direkt auf den langjährigen Sprecher Dieter Wiefelspütz.
Lischka ist demnach nicht “bereits der dritte”, sondern erst der zweite innenpolitische Sprecher der SPD in dieser Legislaturperiode.
Die falsche Behauptung, Edathy sei der Vorgänger von Hartmann gewesen, geistert allerdings schon seit geraumer Zeit durch die Medienlandschaft. In die Welt gesetzt wurde sie vermutlich von der “Bild”-Zeitung, die im Juli schrieb:
Hartmann ist eng befreundet mit Sebastian Edathy (44) — seinem Vorgänger als innenpolitischer Sprecher.
Lischka wird dann bereits der dritte SPD-Innenpolitikexperte in dieser Legislaturperiode sein: Hartmann-Vorgänger Sebastian Edathy hatte seine Bundestagsmandat im Februar niedergelegt […].
Übrigens: Edathy war zwar nie innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, aber Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages. Womöglich haben die Politik-Journalisten diesen feinen Unterschied — immer wieder aufs Neue — übersehen.
1. “Mit Bedacht: Verantwortung von Auslandsreportern” (ndr.de, Video, 7 Minuten)
Welche Verantwortung Reporter für ihre Informanten tragen. Erwähnt im Bericht werden auch zwei Reporter der “Bild am Sonntag”, die 2012 in Iran unterwegs waren (ab 2:45 Minuten).
3. “Warum Choreos nichts mit Prügeleien zu tun haben” (effzeh.com, David Schmitz)
Fußball: Eine beim Bundesliga-Spiel 1. FC Köln gegen Borussia Möchengladbach gezeigte Riesenflagge lässt Bild.de fragen: “Warum hat der FC das nicht verhindert?”. David Schmitz bemerkt dazu: “Es ist also so, dass der Verein in Zukunft besser jedes Motiv, das auch nur halbwegs provokant ist, unterbinden sollte, damit im Stadion keine Ausschreitungen stattfinden können, die ja aber gar nicht stattgefunden haben. Einleuchtend.”
4. “Wie die neue NZZ aussehen soll” (watson.ch, Maurice Thiriet)
Maurice Thiriet liegt die Nullnummer einer neuen “Neuen Zürcher Zeitung” vor: “NZZ-Sprecherin Bettina Schibli betont, dass es sich bei der watson vorliegenden Nullnummer ‘um eine von mehreren in der Marktforschung qualitativ und quantitativ beurteilten Testversionen’ handle, die seither aufgrund des Feedbacks aus der Marktforschung weiter verändert worden seien.”
5. “Wolle hat die Faxen dicke” (taz.de, Mark-Stefan Tietze)
Mark-Stefan Tietze schreibt in der Rubrik “Die Wahrheit” über die aktuellen Querelen beim “Spiegel”.
1. “Wissenschaftsjournalismus als Herausforderung” (blogs.faz.net/planckton, Sibylle Anderl)
Der Wissenschaftsjournalismus steht vor einer kaum noch zu überschaubaren Flut von wissenschaftlichen Publikationen: “Während noch vor gar nicht allzu langer Zeit einfach wissenschaftsjournalistisch aufbereitet werden konnte, was in den namhaften Journals veröffentlicht wurde, muss heute radikal ausgewählt werden, da die Anzahl von Veröffentlichungen für die Eins-zu-eins-Berichterstattung zu groß geworden ist. Das Fundament einer solchen Auswahl kann schwerlich anderes als ein fundiertes wissenschaftliches Fachwissen sein. Sofern das bei Wissenschaftsjournalisten nicht mehr vorliegt, müssen aber andere Strategien gefunden werden.”
2. “CDU im Büro, AfD zuhaus” (taz.de, Jens Twiehaus)
Carola Hein ist Lokaljournalistin bei der “Märkischen Allgemeinen Zeitung” – und in einer Beziehung mit dem Politiker Alexander Gauland: “Knapp zwei Wochen vor der Brandenburger Landtagswahl porträtierte sie die CDU-Kandidatin Saskia Ludwig für ihre Zeitung. Und fuhr dann abends nach Hause in die Berliner Vorstadt von Potsdam, um dort AfD-E-Mails für ihren Lebensgefährten Alexander Gauland zu tippen.”
4. “Kommentare im Internet: ‘Du bist so hässlich, geh sterben'” (spiegel.de, Björn Stephan)
Ein Interview mit Kathrin Weßling, die Onlinekommentare sammelt und vorliest: “Die Tendenz ist, dass Frauen für ihr Aussehen, ihre Sexualität beleidigt werden. Dann heißt es: Diese Frau müsste mal wieder ‘richtig durchgenommen’ werden. Oder: Diese Frau hat ein psychisches Problem. Männern hingegen wird oft Inkompetenz vorgeworfen, Unwissen, schlechte Recherche oder Arroganz. Ich habe bei einem Mann noch nie einen Kommentar gelesen wie: Du bist so hässlich, geh sterben.”
5. “‘Die BBC war die größte Enttäuschung'” (deutschlandradiokultur.de, Korbinian Frenzel)
Wolfgang Blau spricht rückblickend über die Snowden-Leaks-Veröffentlichungen des “Guardian”.
6. “Beim FC Fulham entlassener Felix Magath schaltet Anwalt ein” (tagesspiegel.de)
Britische Medien berichten, Felix Magath habe die Oberschenkelverletzung eines Spielers “mit einem Stück Käse behandeln lassen, statt den Reha-Plan des Mannschaftsarztes zu befolgen”. Ausserdem rufe er “Spieler in sein Büro und starre sie minutenlang an, um zu sehen, ob sie blinzeln”.
1. “Lügen & Betrügen” (3sat.de, Video, 43:52 Minuten)
Wie Schüler, Studenten und Wissenschaftler abschreiben, manipulieren, lügen und betrügen.
2. “Bild dir keine Meinung” (taz.de, Meike Laaf)
Alexander Blum von “Bild am Sonntag” lässt bei Google Suchergebnisse zu vier Bildblog-Beiträgen, in denen sein Name vorkommt, löschen (BILDblog berichtete): “Er selbst äußerte sich dazu nicht, doch die Pressestelle des Axel-Springer-Verlags bestätigte der taz auf Anfrage, dass Blum ‘die Löschung eigeninitiativ beantragt’ habe, und fügte hinzu: ‘Eine Rücksprache mit der Redaktion hat es nicht gegeben.'”
3. “Die Mär vom guten Online-Journalismus” (robotergesetze.com, Boris Hänßler)
Der Longform-Journalismus werde zukünftig nur noch ein Publikum finden, “das sein Gehirn durch regelmäßige, lange Lesephasen trainiert, bewusst oder unbewusst”, glaubt Boris Hänßler: “Um die große Masse zu erreichen, braucht der Online-Journalismus dann eine andere Lösung, die es noch nicht gibt. Und wie das mit Ideen so ist: Sie kommen nicht, in dem wir sie herbei reden – sie kommen irgendwann von alleine.”
4. “Ukraine-Konflikt: ARD-Programmbeirat bestätigt Publikumskritik” (heise.de/tp, Malte Daniljuk)
Malte Daniljuk stellt ein Protokoll des ARD-Programmbeirats vor, das sich mit der ARD-Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt auseinandersetzt: “Besonders negativ seien die Weltspiegel-Ausgaben des Bayrischen Rundfunks mit einer ‘einseitigen, fast schon an die Sprache des Kalten Krieges gemahnenden Moderation’ sowie der ‘Bericht aus Berlin’ hervorgestochen.”
5. “Kein Mädchenhändler, kein Lobbyist” (blogs.stern.de, Hans-Martin Tillack)
Hans-Martin Tillack schreibt über Ex-“Bild”-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje: “Er darf öfters auf Seite 2 des Boulevardblattes mit einem ‘Bild-Kommentar’ auftreten. Die Zeitung erwähnt dabei nie, dass der 65-Jährige im Hauptberuf als Berater für zahlende Kunden unterwegs ist. Auch unter seinem Pro-Steinbrück-Kommentar fehlte jeder Hinweis auf eine Doppelrolle des gelernten Journalisten.”
6. “With New Ad Measure, The Economist Emphasizes Quality Over Quantity” (blogs.wsj.com/cmo, Suzanne Vranica, englisch)
Der “Economist” erweitert die Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit des Publikums zu messen. “Some experts argue that if there was more focus on the time readers spend with stories and ads, publishers would invest in more compelling content and maybe rely less on lighter content that is designed to get people to click through or share.”
1. “Der Fotograf als Pädokrimineller” (rheker.wordpress.com)
Sascha Rheker macht sich Gedanken über einen Gesetzentwurf, der “die unbefugte Herstellung oder Verbreitung” von Fotos, auf denen nackte Kinder oder Jugendliche zu sehen sind, unter Strafe stellen will. “Wer das Urlaubsfoto eines Familienvaters oder ein anderes harmloses Kinderbild, wie einen Anne Geddes Bildband, über die Konstruktion ‘unbefugt’ auf eine Stufe mit dem, was man landläufig Kinderpornographie nennt stellt, der verharmlost letzteres und der verharmlost das, was Kindern da bei der Produktion dieser Bilder an Mißbrauch zustößt.” Siehe dazu auch “Ermittlungstatbestand: Kinderfotos” (notes.computernotizen.de, Torsten).
2. “Genug gekuschelt! Warum die Autorisierungspraxis deutschen Medien schadet” (meedia.de, Peter Littger)
Peter Littger glaubt, die Autorisierung von Texten schade dem Journalismus in Deutschland: “Während Briten meistens so genannte durchgeschriebene Texte verfassen, in denen sie einzelne Zitate aus den Gesprächen nutzen, aber darüber hinaus auch andere Stimmen zu Wort kommen lassen und das Gespräch insgesamt journalistisch einordnen, ziehen deutsche Journalisten sehr häufig die Form des Wortlautinterviews vor. Damit entziehen sie sich jeder journalistischen Einordnung, was man objektiv finden mag, was aber vor allem einfach und bequem ist.”
4. “‘Ich bin ein Korinthenkacker-Typ'” (cicero.de, Merle Schmalenbach)
Merle Schmalenbach trifft Postillon-Gründer Stefan Sichermann in Fürth: “Sein Erfolg zeigt, dass man im Internet mit Beharrlichkeit sehr weit kommen kann.”
5. “Mehr Journalismus waltern” (schaechtele.tumblr.com)
Kai Schächtele schreibt über die Krise der Zeitungen: “Die Selbständigen haben längst verinnerlicht, dass sie Risiken eingehen müssen, um voranzukommen. Es ist höchste Zeit, dass dieses Bewusstsein auch unter den Festangestellten ankommt. Zu ihrem eigenen Wohl.”
6. “Muslimin über Salafisten in Deutschland: ‘Herr Augstein, Sie irren'” (spiegel.de, Sounia Siahi)
Sounia Siahi antwortet auf eine Kolumne von Jakob Augstein: “Herr Augstein, ich will mich hier in meinem deutschen Zuhause nicht wie in einem arabischen Land bewegen müssen. Ich fühle mich hier frei, beschützt und in jeder Hinsicht gesegnet. Und dieses Gefühl möchte ich mir um nichts in der Welt nehmen lassen. Wenn der deutsche Staat dafür tut, was er tun muss, kann ich es verstehen.”
1. “Geomagnetisches Stürmchen droht” (heise.de)
Die Schlagzeile “Gigantischer Sonnen-Sturm im Anmarsch” auf Bild.de: “In den zurückliegenden Sonnenfleckenmaxima gab es solche Stürme über Jahre hinweg im Abstand von wenigen Wochen, ohne dass diese Schäden hinterlassen hätten. Erst wenn die höchste Kategorie erreicht ist, geraten Satelliten und Stromnetze in Gefahr; ob tatsächlich Probleme auftreten und wie groß diese sind, hängt von verschiedenen Parametern ab.”
2. “China überholt Deutschland bei den regenerativen Energien” (diewunderbareweltderwirtschaft.de, Dieter Meyeer)
Die Schlagzeile “Erneuerbare Energien: China überholt Spitzenreiter Deutschland” auf Spiegel.de: “Sicher, China investiert in Wind und Solar. Aber zu behaupten, dass China bereits in der Größenordnung liegt wie Deutschland, ist kompletter Unfug, den man sich nur zusammenschreiben kann, wenn man in Mathe gepennt hat (oder wenn man ne knallige Überschrift braucht).”
4. “Im Interesse der Öffentlichkeit” (sonntagszeitung.ch, Stephan Russ-Mohl)
Warum ist die Zahlungsbereitschaft für Journalismus “in der jungen Generation so drastisch geschwunden, während man für SMS und Klingeltöne bereitwillig Geld hinblättert”, fragt Stephan Russ-Mohl und antwortet, dass “zumindest die klügeren Leserinnen und Leser zu Recht mehr und mehr an der Glaubwürdigkeit ihrer Medien” zweifeln. Sie sähen “nicht recht ein, dass sie für weniger redaktionelle Leistung mehr Geld bezahlen sollen.”
5. “Testament der Ratlosigkeit – Anmerkungen zu Blumencron” (datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Lorenz Matzat beschäftigt sich mit dem Text “Schafft den Online-Journalismus ab” (faz.net, Mathias Müller von Blumencron): “Nein, wirkliche Rezepte hat Blumencron nicht anzubieten. Einerseits meint er, dass Redaktionen Feuer anzünden müssten, um zu bestehen. Gleichzeitig verweist er auf den Innovation Report der NYT. Das US-Mediums brennt wie kein anderes ein Feuer im Netz ab. Aber es gibt selber zu, so zitiert Blumencron die Analyse, bislang nicht den ‘Code der digitalen Ära’ geknackt zu haben. Warum sollte man also der NYT nacheifern? Weil man selbst keine bessere Idee hat? Und spielt man wirklich in der gleichen Liga wie die NYT oder der Guardian?”
Im Juni druckte die “Bild”-Zeitung ein Foto, auf dem ein Mann stirbt. Blutüberströmt sitzt er auf dem Boden, ein Messer steckt in seinem Bauch, hinter ihm steht noch der mutmaßliche Täter.
Das Foto erschien in “Bild Hamburg”, auf Bild.de und riesengroß auf Seite 3 der Bundesausgabe:
Auf den weiteren Fotos ist zu sehen, wie sich Passanten um das Opfer kümmern und der mutmaßliche Täter, dessen Gesicht klar zu erkennen ist, festgenommen wird.
(Nachdem der Artikel erschienen war, haben wir uns übrigens mit dem Fotografen über die Bilder unterhalten. Seine Antworten können Sie hier nachlesen.)
Gestern hat sich der Presserat mit dem Fall beschäftigt und gegen “Bild” und Bild.de eine öffentliche Rüge ausgesprochen. Die Berichterstattung verstoße sowohl gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) als auch Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex. In der Pressemitteilung heißt es:
Der Vorgang des Sterbens wird in einem protokollarischen Detailreichtum geschildert, der nicht in öffentlichem Interesse liegt und somit unangemessen sensationell ist.
Auch bei anderen Artikeln der “Bild”-Medien war es vor allem die übertriebene Grausamkeit, die vom Presserat kritisiert wurde.
So erhielt Bild.de eine weitere Rüge für die Berichterstattung über eine Beziehungstat, bei der ein Mann seine Ehefrau erschossen hatte. In dem Artikel waren Porträtfotos des Opfers zu sehen, außerdem nannte die Redaktion den vollen Namen der Frau. Damit habe Bild.de zum Einen den Persönlichkeitsschutz der Frau verletzt, denn nach Richtlinie 8.2 des Pressekodex ist bei Verbrechen und Unglücken “das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich”.
Außerdem enthielt der Artikel ein Foto, das von einer Augenzeugin mit der Handykamera aufgenommen wurde. Es zeigt Täter und Opfer kurz vor der Tat auf einer Wiese sitzend, der Mann hält ein Gewehr in der Hand.
In der Kombination dieses Bildes mit dem direkt daneben platzierten Porträtfoto des Opfers sah der Beschwerdeausschuss eine unangemessen sensationelle Darstellung im Sinne der Ziffer 11 Pressekodex.
Als “unangemessen sensationell” bewertete der Presserat auch das Werk eines “Bild”-Zeichners, auf dem ein Mann zu sehen ist, der von einer Heuballen-Maschine “zerschreddert” wird (“Bild” liebt solche brutalenZeichnungen). Kritisiert wurde neben der Illustration auch die Tatsache, dass das Opfer aufgrund persönlicher Details identifizierbar wurde. Das Gremium sprach daher eine Missbilligung gegen Bild.de aus.
Ebenso missbilligt wurde ein Bild.de-Artikel mit dem Titel:
Darin zeigt das Portal ein Foto, auf dem die Frau schwer verletzt auf der Straße liegt. Da sich die Geschichte in Peking ereignet hatte, habe kein ausreichendes öffentliches Interesse an dem Fall bestanden, befand der Presserat, und auch hier erkannte er eine “unangemessen sensationelle Darstellung”.
Genau wie bei einem weiteren Artikel, diesmal in der Print-Ausgabe. Darin hatte “Bild” ein Foto gedruckt, auf dem mehrere irakische Soldaten erschossen werden, das Blut spritzt aus ihren Köpfen. Mehr muss man wohl nicht dazu sagen.
Eine weitere Missbilligung bekam Bild.de für einen Artikel über den Soldaten Bowe Bergdahl. Er enthielt ein (offenbar von Facebook geklautes) Foto der Ex-Freundin des Mannes, an dem laut Presserat kein öffentliches Interesse bestand.
Eine weitere Rüge ging an die Online-Ausgabe des “Tagesspiegel”, wo ein Original-Dokument erschienen war, das angeblich aus dem Büro des Vorsitzenden der Partei Die Linke stammte. Darin wurde aufgelistet, wer nach der Bundestagswahl eine Funktion in der neuen Fraktion haben und wer ausscheiden soll. Darüber hatte sich ein Mitarbeiter eines Regionalbüros beschwert, der in dem Papier als “zu schützende Person” namentlich genannt wird.
Der Ausschuss war der Ansicht, dass die Veröffentlichung des Namens des Betroffenen seine informationelle Selbstbestimmung verletzt. Weil er kein politisches Mandat ausübt und nicht öffentlich in Erscheinung getreten ist, durfte er nicht genannt werden.
Tagesspiegel.de habe Ziffer 2 verletzt, weil die Informationen vor der Veröffentlichung nicht sorgfältig genug auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft wurden, heißt es in der Begründung.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.
Die Zeitschrift “L.A. Multimedia” wurde gleich zweimal gerügt, weil sie “die Grenze zur Schleichwerbung” überschritten hatte (Verstoß gegen Ziffer 7). In den Artikeln ging es um den Einsatz moderner Medien im Schulunterricht. Der Ausschuss sah es “als erwiesen an, dass die redaktionelle Veröffentlichung durch geschäftliche Interessen des Unternehmens [ein Anbieter von Schulmedien] beeinflusst wurden”.
Einen ähnlichen Verstoß erkannte der Ausschuss bei einer Beilage der Zeitschrift “Diabetes Journal”. Das Heft bewarb ein Gerät für Diabetiker und habe damit die gebotene Trennung zwischen Werbung und Redaktion verletzt. Das Impressum enthielt zwar den Hinweis “Mit freundlicher Unterstützung von …”, doch das reiche nicht aus, befand der Presserat und sprach ebenfalls eine Rüge aus.
Nicht namentlich genannt wurde eine regionale Tageszeitung, die eine Missbilligung erhielt, weil sie mehrere Pressemitteilungen unter dem Kürzel eines Redakteurs abgedruckt hatte. Die Zeitung habe damit gegen Richtlinie 1.3 verstoßen, nach der Pressemitteilungen als solche gekennzeichnet werden müssen, wenn sie ohne Bearbeitung durch die Redaktion veröffentlicht werden.
Insgesamt verteilte der Presserat (die vorherigenEntscheidungen mitgerechnet) sieben Rügen, 24 Missbilligungen und 25 Hinweise.
1. “‘Bei Naturkatastrophen finden wir besonders viele Fakes'” (journalist.de, Catalina Schröder)
Ein Interview mit Mark Little von Storyful, das Medienhäuser mit verifizierten Inhalten aus Sozialen Medien beliefert. “Vor ein paar Jahren haben Reporter Sätze gesagt wie ‘Worte reichen nicht aus, um zu beschreiben, was ich gerade sehe’. Heute hat jeder Zugang zu Fotos und Videos von Augenzeugen. Soziale Netzwerke machen es auch für Politiker viel schwieriger, Dinge zu ignorieren. Sie können nicht mehr sagen, dass sie von einem Thema nichts wussten. Es gibt für alles Augenzeugenberichte, die überall für jeden verfügbar sind.”
2. “Wir haben nicht zugehört” (taz.de, Karim El-Gawhary)
“In einer Zeit, in der die Medien den Krieg in Syrien fast vergessen und andere Konflikte auf die Tagesordnung des wandernden Krisenzirkus gesetzt hatten”, haben James Foley und Steven Sotloff aus Syrien berichtet, und wir hätten nicht zugehört, schreibt Karim El-Gawhary: “Westliches Wegsehen und auch ein Stück Arroganz und arabische Verzweiflung sind die Grundstoffe, die den IS zu dem gemacht haben, was er heute ist: eine Organisation, auf deren Gräueltaten wir nun angstvoll blicken.”
3. “Kool Savas: Kein Pantoffelheld” (woz.ch)
Die WOZ erhält ein Schreiben einer Anwaltskanzlei, die Kool Savas vertritt: “Staiger hatte Kool Savas im Text eine homophobe Geisteshaltung, Highlander-Romantik und völkischen Heroismus vorgeworfen. Das allerdings war nicht Gegenstand der Beschwerde: ‘Unserem Mandanten wird unterstellt, (…) ein ‘Pantoffelheld’ zu sein’, schreibt die Kanzlei. Der Begriff ‘Pantoffelheld’ findet sich allerdings nicht im besagten WOZ-Text. Er ist eine Kreation von Höcker Marken & Medienrecht. Weil es sich aber tatsächlich nicht zweifelsfrei belegen lässt, dass es sich beim Berliner Gangstarapper in Wirklichkeit um einen, wie seine Anwälte es interpretieren, ‘Pantoffelhelden’ handelt, ist die WOZ bereit, die entsprechenden zwei Sätze in der Online-Version zu schwärzen.”
4. “Political Correctness. Geschichte einer Konstruktion” (bzw-weiterdenken.de, Franziska Schutzbach)
Franziska Schutzbach schreibt über Politische Korrektheit: “Der Vorwurf des Tugendterrors spiegelt letztlich eine autoritäre Geisteshaltung, die weder verstehen will, noch an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen interessiert ist, sondern vor allem eines im Sinn hat: Zu verbieten und über falsch und richtig zu urteilen.”
1. “Entführung: Journalisten als lukrative Opfer” (ndr.de, Video, 5:38 Minuten)
Während sich die USA und Großbritannien weigern, Lösegelder für entführte Journalisten an Terrororganisationen zu zahlen, überweisen europäische Regierungen Gelder in Millionenhöhe.
3. “In 8 Schritten zur viralen Überschrift” (journalist.de, Roy Peter Clark)
Roy Peter Clark gibt Tipps zum Verfassen von Schlagzeilen mit viraler Durchschlagskraft: “1. Empören Sie sich über Ungerechtigkeiten, 2. Seien Sie überrascht oder begeistert, 3. Benutzen Sie einen Motor, 4. Verwenden Sie Zahlen, 5. Sex, Promis, Wunderheilungen: Keine Angst vor klassischen Reizen, 6. Spielen mit der Sprache, 7. Stellen Sie abwegige und interessante Dinge nebeneinander, 8. Erzählen Sie die Geschichte in der Überschrift.”
4. “Das Ende des Journalismus” (medienblog.blog.nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler schreibt über den Artikel “Hier gibts die grössten Pimmel!” (blickamabend.ch): “Es folgt eine 13-teilige Fotoreihe, geordnet nach der durchschnittlichen Grösse der Penisse in den verschiedenen Ländern. (…) Versehen sind die Zahlenwerte mit den Bildern prominenter Personen aus den jeweiligen Staaten, die gerade eine Gestik machen, die in der Bildlegende als Andeuten der Grösse eines Penis umgewertet wird.”
5. “Unter Druck” (zeit.de, Klaus Raab)
Klaus Raab betrachtet deutsche Wochentitel: “Auch Printmedien folgen einem Quotenprinzip, das gilt nun nicht nur für Focus, Spiegel und Stern. Die verkaufte Auflage ist eine der Währungen, in denen Qualität gemessen wird, weil es keine rein publizistische Währung gibt. Und das hat ähnliche Folgen wie bei den Öffentlich-Rechtlichen. Der schnelle Quotenerfolg wird überbewertet, die längerfristige Entwicklung einer eigenen Identität wird unterschätzt.”
6. “Deutsche! Wehrt Euch!” (wahrheitueberwahrheit.blogspot.de)
Wie “Focus Online” mit Bußgeldern für zu schnelles Fahren umgeht.
Das Land Nordrhein-Westfalen will bei Fußballspielen künftig offenbar weniger Polizei einsetzen, was die “Bild”-Zeitung seit ein paar Tagen zum Anlass nimmt, das sportliche Sommerloch mit einbisschenHysterie zu füllen.
Für ihre gestrige Ausgabe hat sie sich diese neue Schreckensliste ausgedacht:
Minden, Mannheim, Hamm, Kassel, Würzburg, Magdeburg gehören zu den gefährlichsten Orten im deutschen Fußball.
Grund: Es sind sechs von zehn Umsteige-Knotenpunkten der Deutschen Bahn, an denen die Fans Wochenende für Wochenende aufeinander prallen.
Begleitend dazu haben die “Bild”-Onliner eine flotte Infografik gebastelt, deren Informationsgehalt sich bei näherem Hinsehen allerdings eher in Grenzen hält (Klick für größere Version):
Gut, inzwischen wurde der “sehr lange Text” ersetzt, aber viel besser ist es dadurch nicht geworden.
Ein paar Beispiele.
Am 23. August könnte es laut Bild.de in Minden gefährlich werden, weil dort Schalke-Fans (die nach Hannover wollen) auf Fortuna-Köln-Fans (die nach Bielefeld wollen) treffen könnten:
Allerdings: Von Köln fahren Züge direkt nach Bielefeld, die Fans müssen also gar nicht umsteigen. Und wenn, dann eher in Hamm, nicht in Minden.
Einen Tag später könnten sich laut Bild.de am selben Bahnhof die Duisburger Fans (nach Chemnitz) und die Mainzer (nach Paderborn) treffen:
Auch sehr unwahrscheinlich — von Minden gibt es gar keine direkte Zugverbindung nach Paderborn (dagegen aber aus Hannover und Kassel).
Für die Fans von Dortmund II dürfte es auch eher schwierig werden, auf dem Weg nach Bielefeld in Minden umzusteigen, die Züge fahren nämlich über Bielefeld nach Minden.
Und die Fans der Stuttgarter Kickers lässt Bild.de auf ihrem Weg nach Bielefeld sowohl in Frankfurt (Main) als auch in Mannheim, Minden, Hannover und Kassel umsteigen — was ebenfalls sehr unrealistisch sein dürfte.
Oder das Aufeinandertreffen von Rostockern (nach Regensburg) und Schalkern (nach Hannover) in Hannover: Wenn die Schalker in Hannover ankommen, dürften die Rostocker schon längst wieder weg sein, weil ihr Spiel anderthalb Stunden früher beginnt und allein die Fahrt von Hannover noch mindestens vier Stunden dauert.
Aber solche Details übersieht die “Bild”-Redaktion ganz gerne mal, wenn sie ihr nicht in den Kram passen.
Das Foto, auf dem der Bahnsteig in Bengalo-Flammen steht, stammt übrigens nicht von einem der genannten Randale-Bahnhöfe, sondern vom Hamburger Hauptbahnhof, wie an dem Schild “Hamburg Hbf” nicht allzu schwer zu erkennen ist — wenn man es denn sehen kann. In der Print-Ausgabe wurde es abgeschnitten; “Bild” brauchte den Platz für die Schlagzeile.