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Radfahren in Berlin, Bedrohte Stiftung, Erfundene Guillotine

1. So gefährlich werden Radfahrer in Berlin überholt
(tagesspiegel.de)
Der Berliner “Tagesspiegel” hat ein spektakuläres und in vielfacher Hinsicht äußerst bemerkenswertes Stück Datenjournalismus abgeliefert: Mittels ausgegebener Abstandssensoren hat die Redaktion erfasst, wie nah sich Rad- und Autofahrer auf Berlins Straßen wirklich kommen. Die Ergebnisse sind besorgniserregend und erklären, warum es auf Berlins Straßen teilweise so aggressiv zugeht. Alle Ergebnisse des Versuchs samt interaktiver Grafiken, Umfragen und Interviews gibt es auf der besuchenswerten und preisverdächtig gut aufbereiteten Seite radmesser.de.
Weiterer Lesehinweis: Auf Facebook erzählt “Tagesspiegel”-Redakteur Hendrik Lehmann vom Zustandekommen des Projekts, an dem so viele Menschen über einen langen Zeitraum mitgewirkt haben.

2. “In Österreich geht es verrohter zu”
(sueddeutsche.de, Oliver Das Gupta)
Die Wiener Grünen-Politikerin Sigi Maurer hat sich öffentlich gegen obszöne und beleidigende Verbalattacken gewehrt und ist dafür vom Gericht verurteilt worden (noch nicht rechtskräftig). Im Interview mit der “Süddeutschen Zeitung” erklärt Maurer, wieso sie im Internet belästigten Frauen davon abrät, Täter offen anzuprangern, warum eine Klarnamenpflicht nicht die Lösung sei und was man als Opfer dennoch tun könne.

3. Massive Drohungen gegen Stiftung
(faktenfinder.tagesschau.de, Wolfgang Wichmann)
Verschiedene Boulevardmedien wie “Bild” und “B.Z.” prangerten eine Kita-Informationsbroschüre der Amadeu Antonio Stiftung als “Schnüffel-Fibel” an (“Übermedien” berichtete). Nun sieht sich die Stiftung massiven Drohungen und Hassbotschaften ausgesetzt und musste die Polizei einschalten.

4. Pressedistribution: Deutsche Post plant starke Preiserhöhung für niedrige Gewichtsklassen
(dnv-online.net, Wolfgang Rakel)
Die Deutsche Post plant deutliche Preiserhöhungen für den Versand wenig wiegender Postvertriebsstücke. Davon stark betroffen sind Zeitungen wie die “junge Welt”, die aufgrund der erhöhten Portokosten ihre Existenz bedroht sieht.

5. Die erfundene Guillotine der “Gelbwesten”
(faz.net, Michaela Wiegel)
In der Auseinandersetzung zwischen “Gelbwesten” und französischer Regierung bleibt auch die Wahrheit auf der Strecke. Das liegt daran, dass der Streit nicht nur auf der Straße, sondern auch in den sozialen Medien ausgetragen wird. Nicht immer mit fairen Mitteln, wie ein als Fotomontage entlarvtes Bild einer Guillotine beweist. Journalisten, die über die Demonstrationen berichten wollen, werden teilweise beschimpft und angegriffen, was auf unangenehme Art an die deutschen “Pegida”-Umzüge erinnert. Aber auch die französische Regierung nimmt es nicht so genau mit der Wahrheit.

6. Zusammenarbeit von Familienministerium und Inlandsgeheimdienst: Wir klagen für Transparenz
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Das Familienministerium lässt Demokratieprojekte vom Inlandsgeheimdienst auf ihre Demokratietauglichkeit überprüfen, ohne dass diese davon erfahren. Ein juristisches Gutachten habe ergeben, dass diese Überprüfung rechtswidrig sei, das Familienministerium habe seine Praxis jedoch fortgesetzt. Nun wehren sich die Informationsfreiheits-Kämpfer von “Frag den Staat” mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Mafia-Berichterstattung, Sprache der Politik, “Partnerprogramm” für Hass

1. Unter Verdacht – Gericht verbietet MDR-Ausstrahlung
(ndr.de, Timo Robben)
Wer zum Thema organisierte Kriminalität und Mafia recherchiert, hat zu den normalen Schwierigkeiten noch eine weitere, juristische: Die Beweislage muss für eine Verdachtsberichterstattung ausreichen, und das ist oft Auslegungssache. Das mussten gerade zwei MDR-Journalisten auf schmerzliche Weise erfahren, deren Film “Paten in Deutschland — die armenische Mafia und Diebe im Gesetz” aus eben diesen juristischen Gründen nicht ausgestrahlt werden konnte.

Siehe dazu auch den “Zapp”-Beitrag: “Recherche über Mafia schwierig”, in dem der MDR-Journalist Ludwig Kendzia die Schwierigkeiten bei der Mafia-Berichterstattung erklärt. (ndr.de, Video, 14:02 Minuten).

2. Russlands linke Offensive
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Silvia Stöber)
Von Berlin aus operieren Onlinemedien mit politischen Inhalten, berichten über “das ausbeuterische globale System”, das die Menschheit “versklavt und unseren Planeten zerstört”, und rufen die Menschen dazu auf, “ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen”. Finanziert werden die durchaus erfolgreichen Seiten aus Russland. Der ARD-“Faktenfinder” hat sich auf Spurensuche begeben.

3. Rechte Verlage zahlten wohl Geld an Betreiber von Hetzseiten
(sueddeutsche.de, Katja Riedel & Sebastian Pittelkow)
Mario R. betrieb Hassportale im Netz und steht wegen unerlaubten Waffenhandels vor Gericht. Nun hat sich herausgestellt, dass Hintermänner des Kopp Verlags und des rechten Magazins “Compact” ihm offenbar mehr als 100.000 Euro überwiesen haben und zwar im Rahmen eines “Partnerprogramms”.

4. Die Sprache der Politik
(wdr.de, Achim Schmitz-Forte, Audio, 27:44 Minuten)
Der Grünen-Politiker Robert Habeck war bei der WDR-“Redezeit” zu Besuch und hat dort erzählt, dass gute Politik vor allem eine Frage der richtigen Sprache sei: “Wie in der Politik etwas gesagt wird, entscheidet, was in der Politik gedacht und was gemacht wird”.
Weiterer Lesehinweis zum Thema Sprache: Welche Strategien verwenden die Rechten mit ihrer Sprache? Zur Rhetorik der AfD: Der rechte Redner befiehlt, die Zuhörer folgen (fr.de, Heinrich Detering).

5. “Zehn Morde. Sind ihnen völlig egal”
(spiegel.de, Arno Frank)
Die Journalistin Annette Ramelsberger hat volle fünf Jahre den NSU-Prozess begleitet. In einem Gemeinschaftsprojekt mit drei weiteren Journalistinnen und Journalisten entstand das 2000-seitige Werk “Der NSU-Prozess. Das Protokoll”. Im Interview erzählt Rammelsberger von den Merkwürdigkeiten des Prozesses, ihren schwersten Momenten aber auch über den bewegenden Moment, als es stehenden Applaus für die Aussage einer Frau mit iranischen Eltern gab. Diese habe sich trotz eines Bombenanschlags nicht unterkriegen lassen und arbeite mittlerweile als Chirurgin an einer Kölner Klinik.

6. Regulierung von Social Media und Suchmaschinen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Reporter ohne Grenzen (ROG) hat einen Bericht mit Empfehlungen für die öffentliche Kontrolle von Diensten wie Facebook, Google und Twitter veröffentlicht. Der Bericht geht davon aus, dass diese Dienste heute keine rein privaten Unternehmen mehr seien, sondern essenzieller Bestandteil moderner Öffentlichkeit, und daher in besonderer Weise kontrolliert werden müssten. Er richte sich an die Bundesregierung und Vertreter des Bundestages und sei diesen bereits zugestellt worden. Wer sich dazu weiter einlesen will: Es gibt eine Kurzfassung (PDF) wie auch den vollständigen Bericht (PDF).
Weiterer Lesehinweis: Der große Facebook-Medien-Report: So extrem schaden die Algorithmus-Änderungen deutschen Medien-Seiten (meedia.de, Jens Schröder).

Hannibal ohne Resonanz, Bayers Lügphosat, Schöne-Wort-Ministerin

1. Wo bleibt die Resonanz auf die “Hannibal”-Recherche?
(deutschlandfunkkultur.de, Tim Wiese & Jenny Genzmer, Audio, 13:59 Minuten)
Die “taz” hat in einer aufwändigen Recherche ermittelt, dass es ein rechtes Netzwerk in der Bundeswehr gibt, das beste Verbindungen in deutsche Behörden hat. Warum gab es so wenig Resonanz auf die Recherche? Wo bleibt die große Debatte zum Thema “Rechtsextremismus in den Behörden”? “Deutschlandfunk Kultur” versucht, diese Fragen zu beantworten.

2. Medien übernahmen unbedarft eine Lüge des Bayer-CEO Baumann
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Verantwortliche des Bayer-Konzerns verwiesen gerne auf die angeblich 800 wissenschaftlichen Studien, die bewiesen, dass das Pestizid Glyphosat nicht krebserregend sei. Problem Nummer 1: Das Bundesinstitut für Risikobewertung kenne nur rund 50 thematisch einschlägige Berichte, wie die “taz” erfahren habe. Problem Nummer 2: Die maßlos übertriebene Zahl des Bayer-Konzerns sei ungeprüft von Medien verbreitet worden. Eine notwendige Richtigstellung beziehungsweise Einordnung sei nicht vorgenommen worden.

3. Gegen die Obdachlosigkeit
(sueddeutsche.de, Thomas Hahn)
Vor 25 Jahren wurde das Hamburger Straßenmagazin “Hinz&Kunzt” gegründet. Einerseits ein Grund zum Feiern, andererseits gebe es Grund zur Sorge: Die Print-Ausgabe des Obdachlosenmagazins sei weit von den Blütezeiten entfernt und werde nur noch weitgehend von Älteren gekauft. Um ein junges Publikum zu erreichen, setze man auf das Online-Angebot und die sozialen Medien. Aber nur das gedruckte Heft sorgt dafür, dass die Obdachlosen etwas in der Hand haben, das sie verkaufen können.

4. Die Schöne-Worte-Ministerin
(udostiehl.wordpress.com)
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey versteht sich aufs Framing und erfindet für ihre Gesetzesvorhaben positiv klingende Wortschöpfungen: Nach dem “Gute-KiTa-Gesetz” folgte das “Starke-Familien-Gesetz”. Was aus Sicht der Ministerin legitim ist, sollte von den Medien jedoch nicht gedankenlos nachgeplappert werden, findet Udo Stiehl: “Verblüffend ist, dass trotz aller Bekundungen zu Objektivität und journalistischer Distanz die “Schöne-Worte-Politik” kritiklos ihren Weg findet. Gerade in Zeiten, da Medienhäuser neue Investigativredaktionen bilden, ein US-Präsident das Thema Schönfärberei täglich auf dem Silbertablett serviert und über den Umgang mit den Kampagnen der AfD diskutiert wird, müsste doch die Sensibilität für politische PR inzwischen sehr hoch sein.”

5. Gefährliche Orte
(spiegel.de, Thomas Fischer)
Vergangene Woche erschien der Jahresbericht “Beziehungsgewalt” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Anlass für viele Medien, alarmistische Töne anzuschlagen. Ex-BGH-Richter und Strafrechtsexperte Thomas Fischer ordnet die Zahlen ein und kritisiert die Medien für ihren einseitigen Umgang mit dem Thema.

6. In der “Welt” der Reichen
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Schutz- und wehrlos sieht sich eine gesellschaftliche Minderheit Deutschlands schlimmsten Formen der Diskriminierung ausgesetzt: die Reichen. Diesen Eindruck wollen jedenfalls “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt und sein Redakteur Dirk Schümer erzeugen. Boris Rosenkranz setzt sich in seiner “Übermedien”-Glosse mit den steilen Thesen von “Welt” auseinander und hat zum Abschluss noch eine schöne Pointe parat.

“B.Z.” füttert AfD mit falschen Fakten für Fragestunde im Parlament

Wie schafft man es, mit nur einem Artikel gleich zweimal danebenzuliegen, rechtes Wutvolk und noch rechtere Hetzer zu füttern und der AfD eine Grundlage für eine faktisch falsche Anfrage im Parlament zu liefern? So:

Gunnar Schupelis füllt im Springer-Boulevardblatt “B.Z.” regelmäßig eine Aufreger-Kolumne. Titel: “Mein Ärger”. Schupelius’ Ärger basiert in diesem Fall auf zwei Zahlen, die für ihn nicht zusammenpassen wollen. Am Dienstag schrieb er:

Ausriss BZ - Gunnar Schupelius – Mein Ärger - Der gerechte Zorn des Gunnar Schupelius - Justizsenator weiß nicht, warum Haftbefehle nicht vollstreckt werden

Auch in Berlin sind viele Straftäter auf freiem Fuss, die eigentlich hinter Gitter gehören. Auf eine Anfrage der B.Z. teilte [Berlins] Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) mit, aktuell würden 1633 Personen per Haftbefehl gesucht.

Schupelius fragte in der Sache auch noch bei Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) nach. Dieser verwies allerdings auf den Justizsenator. Schupelius:

Beide Senatoren stehen nun allerdings im Verdacht, nicht die Wahrheit oder nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Denn nach Angaben der Bundesregierung liegt die Zahl der nicht vollstreckten Haftbefehle in Berlin bei 8585 (Stichtag: 31. März 2018).

Das sind knapp 7000 mehr als von Justizsenator Behrendt angegeben. Wer also sagt die Wahrheit? Das konnten wir trotz intensiver Nachfragen bisher nicht vollständig klären.

Das Duell, das Gunnar Schupelius ausruft: Berlins Justizsenator vs. Bundesregierung. 1633 Haftbefehle vs. 8585 Haftbefehle.

Ein bisschen was konnte Schupelius dazu aber doch klären: Während sich der Justizsenator bei seiner Antwort auf das sogenannte MESTA-System bezieht, die Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation, stammen die Zahlen der Bundesregierung aus dem bundesländerübergreifenden System INPOL-Z. Schupelius:

Befinden sich also im MESTA-System der Staatsanwälte ganz andere Angaben als im INPOL-Z der Polizei und wenn dem so wäre, warum?

Erstmal: ja. Und “warum” das so ist: Die Zahl aus der MESTA, die Berlins Justizsenator Behrendt genannt hat (1633 Haftbefehle), bezieht sich auf per Haftbefehl gesuchte Personen, gegen die ein Prozess stattfinden soll. Sie sind also erstmal nur Tatverdächtige, die noch nicht verurteilt sind, aber in Untersuchungshaft sollen. Das passt auch ziemlich gut zu dem, was Schupelius laut Vorspann seines eigenen Textes gefragt hatte:

Gunnar Schupelius fragt sich, warum so viele tatverdächtige Straftäter frei herumlaufen, obwohl ein Haftbefehl gegen sie vorliegt.

Die Zahl aus INPOL-Z, die die Bundesregierung nennt (8585 Haftbefehle), hat Schupelius offenbar aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen (PDF, Seite 3). Allerdings, und das steht eindeutig in dieser Antwort, bezieht sich INPOL-Z auf einen viel größeren Personenkreis als MESTA:

Die Gesamtzahl der zum Stichtag 31. März 2018 im Polizeilichen Informationssystem (INPOL-Z) verzeichneten Fahndungsnotierungen mit dem Zweck der Festnahme aufgrund einer Straftat, zur Strafvollstreckung, Unterbringung oder Ausweisung sowie zur Festnahme entwichener Strafgefangener belief sich [deutschlandweit] auf 175 397.

Neben den Tatverdächtigen also auch Leute, die schon verurteilt sind, aber ihre Haftstrafe nicht angetreten haben; Leute, die in einer Psychiatrie untergebracht werden sollen; Leute, die wegen Straftaten ausgewiesen werden sollen. Kurzum: viel mehr Leute. Daher die große Differenz zwischen den Angaben des Berliner Justizsenators und der Bundesregierung.

Für Gunnar Schupelius’ Ärger gibt es allerdings noch einen weiteren Grund. Am Ende seines Textes schreibt er:

Justizsenator Behrendt konnte nicht sagen, wie viele religiös motivierte Straftäter aktuell in Berlin gesucht werden. Es sind genau 3151. Das steht im polizeilichen System INPOL-Z. Hat Behrendt in diese Statistik gar nicht reingeschaut?

Weiß in diesem Senat eine Hand überhaupt noch, was die andere tut?

Hier hat der “B.Z.”-Kolumnist endgültig alles durcheinandergebracht.

Die Zahl, die Schupelius nennt, stammt ebenfalls aus der Antwort der Bundesregierung (PDF, Seite 4). Nur: Sie bezieht sich nicht, wie er schreibt, auf Berlin, sondern auf ganz Deutschland. Und: Betrachtet man sie näher, sieht man, dass sie sich bemerkenswert zusammensetzt.

Eine religiös motivierte Straftat gehört in der INPOL-Z-Statistk zur PMK, der politisch motivierten Kriminalität. Laut Antwort der Bundesregierung wurden zum Stichtag 26. März 2018 deutschlandweit 4411 Personen im PMK-Zusammenhang per Haftbefehl gesucht (neben “religiöse Ideologie” auch: “links”, “rechts”, “ausländische Ideologie”, “Spionage/Proliferation/Landesverrat” sowie “nicht zuzuordnen”). Jeder dieser 4411 Fälle ist in der Antwort der Bundesregierung aufgelistet (ab Seite 7), unter anderem aufgeschlüsselt nach “Grund des Haftbefehls”, “dem HB zugrunde liegendes Delikt” und PMK-“(Phänomen)Bereich”.

In den Zeilen 295 bis 3055 der Tabelle findet man in der Spalte “(Phänomen)Bereich”, mit wenigen Ausnahmen, nur “PMK religiöse Ideologie”. Und bei fast allen von ihnen steht als “Grund des Haftbefehls”: “SIS II / Interpol-Rotecke”. Als “dem HB zugrunde liegendes Delikt” ist notiert: “Haftbefehl ausländischer Behörden — Delikt unbekannt”. Das sieht dann zum Beispiel so aus:

Screenshot aus der Antwort der Bundesregierung - Es sind viele Spalten der Auflistung der offenen Haftbefehle zu sehen, darunter ständig SIS II / Interpol-Rotecke und PMK religiöse Ideologie

Das heißt: Der Großteil der 3151 Haftbefehle für “religiös motivierte Straftäter” (noch mal: in ganz Deutschland, nicht nur in Berlin), die Schupelius nennt, sind keine deutschen Haftbefehle. Es sind internationale Haftbefehle, entweder aus dem Schengener Informationssystem, kurz SIS II, oder von einem anderen Interpol-Mitgliedsstaat.

Bei einem “Red Notice” beziehungsweise einer Rotecke von Interpol läuft das beispielsweise so: Ein Interpol-Mitgliedsstaat hat einen nationalen Haftbefehl gegen Person X und gibt dazu eine Ausschreibung an Interpol. Interpol leitet diese Ausschreibung dann an die zuständigen Behörden in allen anderen Mitgliedsstaaten weiter. In Deutschland ist das das Bundeskriminalamt, also die Behörde, bei der auch das INPOL-Z-System angesiedelt ist, auf das sich Schupelius bezieht. Der Vermerk “SIS II / Interpol-Rotecke” bedeutet also erstmal nur, dass die jeweilige Person weltweit — auch in Deutschland, aber nicht nur in Deutschland — von irgendeinem anderen Staat gesucht wird. Warum auch immer — “Delikt unbekannt”.

Wie problematisch und fragwürdig Interpol-Rotecken sein können und dass sie von autoritären Regimen und Despoten gern als Repressionsmittel eingesetzt werden, kann man hier und hier und hier und hier und hier nachlesen.

Schupelius’ Text (von dem eine abgespeckte Version auch in der Berlin-Ausgabe der “Bild”-Zeitung erschien) und die Fehler darin drehten vergangene Woche die große Social-Media-Runde, wie das Analyse-Tool “CrowdTangle” zeigt:

Screenshot des Analyse-Tools Crowdtangle, das zeigt, wer bei Facebook oder Twitter einen Beitrag geteilt hat

Die “Bild”-Redaktion verbreitete den Beitrag unter ihren knapp 2,5 Millionen Fans bei Facebook. AfD-Abgeordnete teilten ihn, genauso AfD-Kreisverbände, AfD-Stadtverbände, “BadenWürttemberg freiheitlich-patriotisch-traditionsbewusst”, “Viktor Orban Fanclub”, “Aus Liebe zu Deutschland”, “Reale Verschwörungen!”, “Völker dieser Welt erheben sich !!”, “Die Patrioten für Deutschland” und so weiter. Der zornige Gunnar Schupelius und die “B.Z.” haben ihnen allen mit falschen Fakten neues Futter für ihre Stimmungsmache gegen Staat und Politik geliefert.

Schupelius’ Fehler schafften es sogar ins Berliner Abgeordnetenhaus. Marc Vallendar von der AfD nutzte sie dort am vergangenen Donnerstag in der Fragestunde des Parlaments (ab Minute 42:02):

Nach Angaben des Justizsenators werden derzeit in Berlin 1633 Personen mit Haftbefehl gesucht. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums belief sich die Zahl der nicht vollstreckbaren Haftbefehle in Berlin per 31. März dieses Jahres aber auf 8585, darunter allein 3151 Personen, die wegen religiös motivierter Straftaten gesucht werden. Ich frage den Senat: Wie ist diese erhebliche Differenz von fast 7000 Personen zu erklären?

Antwort: siehe oben.

Nachtrag, 20. November: Das BKA hat inzwischen auf eine Anfrage von uns geantwortet. Wir wollten wissen, warum fast alle Haftbefehle mit dem Grund “SIS II / Interpol-Rotecke” dem Bereich “PMK religiös motiviert” zugeordnet sind. Die Antwort der Behörde:

Bei diesen Fahndungsnotierungen handelt es sich überwiegend um Red Notices, die für Mitglieder des so genannten Islamischen Staates ausgestellt wurden. Nach dem militärischen Sieg über den IS sind viele Kämpfer geflohen, unter anderem auch ins europäische Ausland. Entsprechend hoch ist die Zahl der internationalen Fahndungsnotierungen. Daher handelt es sich bei dem weit überwiegendem Teil der dem Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie- zugeordneten Haftbefehlen um Interpol-Rotecken anderer Staaten zu Personen, die sich an Kampfhandlungen in Jihad-Gebieten beteiligt haben sollen.

Umstrittener Waldspaziergang, Späh-Export, Unpolitisch reanimiert

1. Waldspaziergang mit Höcke – der Spiegel als Klatschmagazin
(deutschlandfunk.de, Matthias Dell)
“Deutschlandfunk”-Kolumnist Matthias Dell kritisiert den “Spiegel” für dessen jüngste Homestory mit AfD-Rechtsaußen Björn Höcke: “Spricht die Journalistin Höcke mal auf seine programmatischen Sätze an, redet der sich raus – wenig überraschend für den Leser. Für die „Spiegel“-Journalistin scheint das Ausweis ihrer Arbeit genug. Offenbar hat sie in den zurückliegenden Jahren nicht verstanden, dass die Strategie der AfD genau so funktioniert: Dem „Spiegel“ gegenüber wird anders geredet als in der Öffentlichkeit und zu den Anhängern. Auch über den „Spiegel“ übrigens. Scheint aber alles egal.”

2. Bundesregierung gegen Exportkontrolle
(reporter-ohne-grenzen.de)
Interne Verhandlungsprotokolle und Strategiepapiere der Bundesregierung beweisen, dass die Bundesregierung ein Projekt torpediert, das sie 2015 selbst angestoßen hatte: Die Reform der sogenannten Dual-Use-Verordnung, mit der die EU den Verkauf europäischer Spähsoftware an Staaten verhindern will, in denen Menschenrechte missachtet und Journalisten überwacht werden. “Reporter ohne Grenzen”-Chef Christian Mihr in einer Stellungnahme dazu: “Digitale Überwachung gefährdet die Arbeit von Journalisten auf der ganzen Welt und endet im schlimmsten Fall in Verfolgung und Folter. Es ist erschütternd, dass die Bundesregierung die Pläne der EU zugunsten von Industrieinteressen verwässern möchte.”

3. Polens Ministerpräsident sagt Medien in deutschem Besitz den Kampf an
(faz.net)
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki stört sich an kritischen Medien. Besonders ärgern ihn polnische Medien in deutschem Besitz. Diese würden “interne Angelegenheiten Polens” beeinflussen und “die derzeitige Regierung angreifen”. Ein besonderer Dorn im Auge: Die deutsch-schweizerische Mediengruppe Ringier Axel Springer Media. Zu dem Unternehmen gehören das Wochenmagazin “Newsweek Polska”, die auflagenstarke Tageszeitung “Fakt” und das Online-Portal “Onet” — allesamt Medien, die kritisch über die Arbeit der rechtsnationalistischen Regierung berichten würden.

4. Klingeln ist zwecklos
(sueddeutsche.de, Thorsten Schmitz)
Mitten in Berlin residieren erfolgreiche Onlinemedien, die im Auftrag Russlands eine neue Art von Propaganda betreiben. Und dies recht erfolgreich: Allein der Facebookkanal “In the Now” hat mehr als 3,7 Millionen Abonnenten. Die Seite gehört zur Maffick GmbH, einem Klingelschildnachbar der Plattformen “Ruptly” und “Redfish”. Dass der russische Staat hinter diesen Onlinemedien in Berliner Bestlage steckt, würden diese mit großem Aufwand verschleiern. Dazu gehört anscheinend auch, Fragen von Journalisten abzublocken.

5. Eine Reanimation ist keine politische Demonstration
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Als ein Mitarbeiter einer Partei im Düsseldorfer Landtag mit schweren Herzproblemen zusammenbrach, retteten ihm zwei Landtagsabgeordnete mittels Herz-Druck-Massage und Mund-zu-Nase-Beatmung vermutlich das Leben. Eine schöne Geschichte, über die man unter verschiedenen Gesichtspunkten berichten könnte. So setzt sich die an der Rettung beteiligte Landtagsabgeordnete auch politisch dafür ein, dass mehr Menschen wiederbelebt werden können und will die Laienreanimation an Schulen in Nordrhein-Westfalen weiterentwickeln (PDF). Die Medien schmissen sich jedoch vor allem auf die Parteizugehörigkeit der Beteiligten. Stefan Niggemeier kommentiert: “Yüksel und Schneider verdienen jede Anerkennung, weil sie einem Menschen vermutlich das Leben gerettet haben, aber doch keine besondere Anerkennung, weil es ein AfD-Mann war. Im Gegenteil: Es entwertet ihren Einsatz, wenn man ihn nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als Besonderheit feiert. Und wenn man ihren Akt der Lebensrettung als politische Lektion für AfD-Leute interpretiert.”

6. Nach Kritik: “Spiegel”, “Stern” und “Zeit” machen Rückzieher
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Anfang der Woche kündigten die Magazine “Spiegel”, “Stern” und “Focus” sowie die Wochenzeitung “Die Zeit” an, künftig nicht mehr Auflagenzahlen für jede einzelne Ausgabe an die Kontrollorganisation IVW melden zu wollen. Um Aufwand und Geld zu sparen und weil diese Daten “keine große Rolle spielen”. Vielleicht aber auch, um sich nicht der geschäftsschädigenden Schmach schlechter Werte auszusetzen. Dagegen protestierten jedoch die Werbekunden, worauf “Spiegel”, “Stern” und “Zeit” eiligst zurückruderten.

Aus Kreisen, Gesichtserkennungs-Unstatistik, Publizistisches Einerlei

1. “Aus Kreisen…” — das Spiel mit den Informationen
(deutschlandfunk.de, Henning Hübert, Audio, 6:47 Minuten)
Wie ist es zu erklären, dass manche Journalisten bereits kurz nach Bekanntgabe von Angela Merkels Rückzug als Parteivorsitzende mit Hintergrundinformationen an die Öffentlichkeit gehen konnten? Stephan Detjen, Chef des Hauptstadtstudios des “Deutschlandfunks”, erzählt von den ungeschriebenen Spielregeln des Berliner Medienbetriebs. Und erklärt, wie es einem der Kandidaten für das Amt des CDU-Vorsitzenden, Friedrich Merz, gelingen konnte, auch ohne politische Ämter all die Jahre über im Gespräch zu bleiben.

2. Unstatistik des Monats: “Erfolgreiche” Gesichtserkennung mit Hunderttausenden Fehlalarmen
(rwi-essen.de)
Das Innenministerium hat sich mit einer Pressemitteilung über das angeblich erfolgreiche Projekt zur automatischen Gesichtserkennung die fragwürdige Auszeichnung “Unstatistik des Monats Oktober” erworben. Die Statistik-Experten vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung haben nachgerechnet und kommen auf monatlich mehr als 350.000 unnötige Personenkontrollen durch Fehlalarme: “Dass das Gesichtserkennungssystem 99,3% der Verdächtigten zu Unrecht verdächtigt, ist mit der Regel von Bayes (ein Satz aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung) berechnet, die in Bayern inzwischen jeder Schüler der 11. Klasse lernt. Im Bericht und der Pressemitteilung ist sie nicht zu finden.”

3. Immer häufiger wird zugeschlagen
(taz.de, David Bauer)
Wenn Donald Trump Stimmung gegen Medien machte, bekamen dies bislang meist die Journalistinnen und Journalisten großer Medienhäuser wie CNN oder “New York Times” zu spüren. Das Dauergehetze gegen die Redaktionen kommt mittlerweile jedoch auch beim Lokaljournalismus an. David Bauer schreibt vom alltäglichen Hass, der amerikanischen Pressevertretern aus Teilen der Bevölkerung entgegenschlägt. Und der sich nicht nur in Verbalattacken oder Drohungen, sondern auch in tätlichen Angriffen ausdrückt.

4. “Jeder Journalist sollte mal ins Gefängnis”
(mediummagazin.de, Jens Twiehaus)
Der Leiter der “Zeitenspiegel”-Reportageschule, Philipp Maußhardt, musste im Oktober für drei Tage ins Gefängnis, und das hat einen ungewöhnlichen Grund: Maußhardt hatte einen Ebay-Verkäufer wegen Nicht-Lieferung verklagt, war aber nicht zum von ihm selbst initiierten Gerichtstermin erschienen, was ein Ordnungsgeld nach sich zog. Weil er sich weigerte, dies zu bezahlen, wanderte Maußhardt für drei Tage in den Knast. Eine Erfahrung, die jeder mal gemacht haben sollte, wie er im Interview erklärt.

5. Publizistische Vielfalt ist bedroht
(de.ejo-online.eu, Linards Udris & Mark Eisenegger & Daniel Vogler)
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz betreiben Medienhäuser zunehmend redaktionelle Verbundsysteme. Was auf der einen Seite Kosten spart, beschneidet auf der anderen Seite die journalistische und publizistische Vielfalt. Und das ist nachweisbar: Das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich hat für sein Jahrbuch einen automatisierten Textvergleich angestellt. Das Ergebnis: In den Schweizer Medien werden immer öfter dieselben Inhalte verbreitet.
Weiterer Lesetipp: Das komplette Jahrbuch sowie verschiedene in Kurzform aufbereitete Analysen können auf der eigens dafür eingerichteten Website kostenlos heruntergeladen werden.

6. Return of the Gruselpresse: 13 Horrorfilme mit Journalisten
(journalistenfilme.de, Patrick Torma)
Pünktlich zu Halloween stellt Patrick Torma 13 neue Horrorfilme mit Journalistinnen und Journalisten vor, die Slashern, Dämonen und allerlei mythologischem Getier auf die gruselige Pelle rücken.

Goldkartoffel Reichelt, Selfie-Journalismus, Never ending Maaßen

1. Neue deutsche Medienmacher zeichnen “Bild”-Chefredakteur für “unterirdische” Berichterstattung aus
(deutschlandfunk.de)
“Bild”-Chef Julian Reichelt ist der erste Preisträger der “Goldenen Kartoffel”. Der Negativpreis wurde ihm von den “Neuen deutschen Medienmachern” für seine “unterirdische Berichterstattung über Aspekte unserer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft” verliehen. BILDblog gratuliert!

2. Österreich: Rekordland bei Morden
(noemix.wordpress.com)
Wenn man den Schlagzeilen österreichischer, aber auch deutscher Medien wie “Focus Online” glaubt, ist Österreich das Rekordland bei Morden. Dabei ist es umgekehrt: Österreich ist das Land mit der niedrigsten Mordrate in ganz Europa. Michael Nöhrig erklärt das Phänomen.

3. Ein bisschen anonym? Wie Selfie-Journalismus Informanten gefährdet
(uebermedien.de, Peter Welchering)
Wenn Journalisten ihre anonym bleiben wollenden Informanten vor laufender Kamera befragten, reichte es früher, das Aussehen der Hinweisgeber oder Kronzeugen zu verändern und einen Stimmverzerrer einzusetzen. Dass dieser Schutz heute unzureichend ist, müssten Journalisten spätestens seit dem Frühjahr 2014 wissen. Da sei auf einer Forensiker-Tagung nämlich eine Methode bekannt geworden, schreibt Peter Welchering, mit der Ermittler durch Analyse der elektrischen Netzfrequenz vermummte und verkleidete Informanten enttarnen können, auch wenn deren Stimme verzerrt wurde. Deshalb lasse man Aussagen von Informanten vor der Kamera inzwischen häufig von Schauspielern nachstellen. In einem “Panorama”-Beitrag unterblieb dies, was am “Selfie-Journalismus” der Beitragsmacher liege: “Journalistische Arbeit wird zur Aufführung, die Enttarnung eines Informanten zum Kollateralschaden des Schauspiels.”

4. Presseteam der Polizei darf keine Demonstranten fotografieren
(sueddeutsche.de)
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat entschieden, dass die Polizei keine Demonstranten fotografieren darf, um die Aufnahmen später für PR-Zwecke zu verwenden: “Schon dass die Polizei Demonstranten wahrnehmbar fotografiert hatte, sei rechtswidrig, urteilten die Richter. Es dürfe bei Kundgebungen erst gar nicht der Eindruck von staatlicher Überwachung entstehen. Fotografierende Polizeibeamte könnten einschüchternd wirken und Demonstranten von der Ausübung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abhalten.”

5. Maaßen wiederholt Medienschelte
(spiegel.de, Wolf Wiedmann-Schmidt)
Der (vielleicht irgendwann einmal) scheidende Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hat seine Kritik an der Berichterstattung der Medien bekräftigt und dem “Tagesschau”-Chef Kai Gniffke einen vierseitigen Brief zukommen lassen. Es sei ein “kritischer Blick” auf “die Maßstäbe der medialen Darstellung des Rechtsextremismus erforderlich”.

6. Eine Branche stirbt: Nur noch 600 Videotheken in Deutschland
(heise.de, Wolf von Dewitz & dpa)
Es gibt nur noch (oder soll man sagen immer noch?) 600 Videotheken in Deutschland. Von 2015 bis 2017 sank nach Angaben eines Branchenverbands die Kundenzahl von 4,8 Millionen auf 2,6 Millionen. Der Verband sehe vor allem die Piraterie und deren unzureichende Bekämpfung als Wurzel allen Übels.

Umfragensorge, Dessauer Fischfilet, Informationsfreiheit

1. Marktforscher fordern mehr Sorgfalt bei Berichten über Umfragen
(horizont.net, Sabine Hedewig-Mohr)
Der “Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute” hat sich in einem offenem Brief an die Medien gewandt: “Seit einiger Zeit nehmen wir mit großer Sorge wahr, dass in Zeitungen und Zeitschriften, in Radio- und Fernsehberichten sowie in der Onlineberichterstattung Umfrageergebnisse vermehrt als repräsentativ bezeichnet werden, auch wenn diese nicht repräsentativ sind. Dies ist ein unhaltbarer Zustand.”

2. Entwicklungsministerium: Löschen statt offenlegen
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
Als das Entwicklungsministerium eine Anfrage nach dem Terminkalender des Ministers bekam (gemäß Informationsfreiheitsgesetz), wurde dies von der Behörde verweigert. Darauf schaltete sich die Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit ein. Das Ministerium reagiert. Jedoch nicht, indem es den Terminkalender zur Einsichtnahme freigab, sondern indem es ihn löschte. Nun teilt die Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit mit, sie sei mit dem Vorgehen des Ministeriums zwar nicht einverstanden, fühle sich aber nicht mehr zuständig: Da es die Daten nicht mehr gebe, sei auch das Informationsfreiheitsgesetz nicht mehr anwendbar.

3. Haltungsfragen
(journal-nrw.de, Andrea Hansen)
“Darf ich als Journalist privat auf eine Demo gegen die AfD gehen, wenn ich auch über die Partei berichte? Wie viel Haltung kann mein Artikel enthalten, wie viel davon braucht er sogar? Und was ist das überhaupt: Haltung? Was ist Meinung, und wo ist der Unterschied zwischen beiden?” Andrea Hansens Beschäftigung mit journalistischen Haltungsfragen erscheint im aktuellen Medien- und Mitgliedermagazin des Deutschen Journalisten-Verband NRW, ist aber auch online verfügbar.

4. Trolle hetzen mit rassistischen Sprüchen gegen Rap-Video der Berliner Polizei
(motherboard.vice.com, Dennis Kogel und Sebastian Meineck)
Die Berliner Polizei hat ein Musikvideo auf Youtube veröffentlicht, bei dem es um Vielfalt, Verständigung und Miteinander geht (“KBNA – Füreinander da!”). Nun überfluten rechte Trolle den Kommentarbereich mit negativen und rassistischen Aussagen und versuchen, die Kampagne zu diskreditieren. Nach “Motherboard”-Recherchen geht dies vor allem auf ein bekanntes Forum zurück, in dem die Trolle die Aktion publik machten und koordinierten.

5. Die brasilianische Lügenfabrik
(spiegel.de, Julia Jaroschewski)
Ein Fake-News-Skandal erschüttert Brasilien. Es geht um Hunderttausende gekaufte Falschnachrichten auf WhatsApp im Wahlkampf. Sowohl Linke als auch Rechte würden im brasilianischen Wahlkampf mit schmutzigen Tricks kämpfen. Und der findet zunehmend auf WhatsApp statt: Brasilien ist für den Messengerdienst weltweit einer der größten Märkte und zur wichtigsten Onlinefront im Wahlkampf geworden.

6. “Feine Sahne Fischfilet” – Theater nimmt Ausladung zurück und entschuldigt sich
(mz-web.de)
Es gibt Bewegung in der Causa “Feine Sahne Fischfilet”, zumindest an einer Stelle: Das Anhaltische Theater in Dessau hat seine Konzertabsage zurückgezogen und sich bei der Band offiziell entschuldigt: “Nach der heftigen öffentlichen Diskussion hat die Theaterleitung verstanden, dass der Diskurs über Kunst nur geführt werden kann, wenn die Kunst sich unbedingt in aller Freiheit präsentieren kann.” Währenddessen hält die Stiftung Bauhaus Dessau weiter an ihrer Absage fest.

Kurz korrigiert (517-521)

Bei “Zeit Online” haben sie neulich das Kunststück hinbekommen, einen offensichtlichen Fehler nicht zu korrigieren, dabei aber ganz im Sinne der Transparenz zu behaupten, ihn korrigiert zu haben.

In einer Reportage über den Ort Schwarzenberg im Erzgebirge, in dem vor einer Weile eine schwarze Puppe mit einer Schlinge um den Hals von einer Brücke hing, standen diese zwei Sätze:

Schon einmal wurde in Sachsen eine Puppe aufgeknüpft. 1996 hing sie von einer Autobahnbrücke in Jena, gekennzeichnet mit einem Davidstern. Aufgehängt hatte sie Uwe Böhnhardt, eines der späteren Mitglieder des NSU.

Während Schwarzenberg tatsächlich in Sachsen liegt, liegt Jena in Thüringen — die in der “Zeit”-Reportage hergestellte Wiederholung von an Brücken aufgeknüpften Puppen in Sachsen passt also nicht so ganz. Im Kommentarbereich wiesen Leser die Redaktion auf den Fehler hin, worauf “Zeit Online” reagierte. Nun steht am Ende des Artikels:

Korrekturhinweis: In der ursprünglichen Version dieses Textes schien es so, als läge Jena in Sachsen. Es liegt aber in Thüringen. Wir haben das online korrigiert. Die Redaktion.

Das ist sehr vorbildlich. Bloß stimmt “Wir haben das online korrigiert” nicht. Die Stelle im Text lautet nun nämlich:

Schon einmal wurde in Sachsen eine Puppe aufgeknüpft. 1996 hing sie von einer Autobahnbrücke, gekennzeichnet mit einem Davidstern. Aufgehängt hatte sie Uwe Böhnhardt, eines der späteren Mitglieder des NSU.

Die Redaktion hat einfach “in Jena” gestrichen, wodurch “in Sachsen” allerdings nicht richtiger wird.

Völlig anderes Thema, aber geographisch genauso falsch: dieser Satz von Bild.de in einem Beitrag zum “längsten Langstreckenflug der Welt”:

Der Flug von Singapur nach New York, der bei guten Wetterbedingungen planmäßig 18 Stunden und 45 Minuten dauern soll, löst den bisher weitesten Langstreckenflug ab: Qatar Airways fliegt in 17 Stunden und 40 Minuten von Auckland in Australien nach Doha.

Auckland ist die größte Stadt Neuseelands und hat mit Australien nichts zu tun, selbst wenn CNN und Rapper das behaupten.

Mit dem Taschenrechner können “Bild”-Mitarbeiter mindestens genauso schlecht umgehen wie mit Google Maps. Zum Abschneiden der SPD bei den bayrischen Landtagswahlen verrechnete einer von ihnen:

Mit Spitzenkandidatin Natascha Kohnen (50) verzeichnete die SPD ihr bundesweit schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl. Mehr als 50 Prozent der Stimmen haben die Sozialdemokraten verloren.

Nee. Bei der Bayernwahl 2013 bekam die SPD insgesamt 2.437.401 Stimmen. Bei der Wahl am Sonntag waren es laut vorläufigem Ergebnis 1.317.942, also 1.119.459 Stimmen weniger. Das sind nicht “mehr als 50 Prozent” weniger, sondern 45,9 Prozent weniger.

Und zum Schluss noch ein Hinweis an “Bild”-Chefreporter Peter Hell, bevor er das nächste Mal ein Video bei Twitter per Retweet verbreitet …

Screenshot des Retweets von Peter Hell - Indonesia. Few Seconds before Tsunami when it hits

… das scheinbar den Tsunami in Indonesien Ende September dieses Jahres zeigt: Es handelt sich um Aufnahmen von 2011 aus Japan (ab Minute 1:26).

Mit Dank an Sebastian M., Joshua R., Sven W., Timo R. und Roland W. für die Hinweise!

Medienmäzen Google, Ausgespext, Lokalzeitungen als Klauopfer

1. Wie Google zum Medien-Mäzen wurde
(republik.ch, Adrienne Fichter)
Wenn die Kritik der Schweizer Verlage an Google leiser geworden ist, könnte das an den Millionen liegen, die ihnen der Suchmaschinenkonzern überweist. Die “Republik”-Recherche in Zusammenarbeit mit Netzpolitik.org schlüsselt die Zahlungen auf und zeigt, wie intransparent die privaten Deals zwischen Google und den Schweizer Medien laufen.

2. Das Internet, es scheint an allem Schuld zu sein
(sueddeutsche.de, Jan Kedves)
Die Musik- und Popkulturzeitschrift “Spex” wird nach 38 Jahren eingestellt. Damit verschwindet nach “Groove” ein weiteres prägendes Musikmagazin. Gründe sind der Auflagen- und Anzeigenschwund, und das hat wiederum mit dem Internet zu tun. Jan Kedves blickt von außen aufs Ganze, kennt aber auch die Innenansicht: Er hat einige Jahre in den Redaktionen von “Groove” und “Spex” gearbeitet, unter anderem als Chefredakteur.
Weiterer Lesehinweis: Auf Spex.de verabschiedet sich der aktuelle Chefredakteur Daniel Gerhardt von Lesern und Leserinnen.
Und die “taz” hat einige Stimmen zum Ende des Berliner Musikmagazins eingeholt: Krach, bum! Spex kaputt (Julian Weber & Tim Caspar Boehme).

3. Brinkbäumer geht ganz
(taz.de, Frederik Schindler)
Der “Spiegel”-Verlag und “Spiegel”-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer haben sich geeinigt: Brinkbäumer wird das Nachrichtenmagazin im März 2019 verlassen und nicht, wie von manchen vermutet, als Korrespondent weiterschreiben. Als Grund für das Zerwürfnis wurden im August unterschiedliche Auffassungen über die Zusammenführung der Print- und Onlineredaktionen genannt. Ihm sei zudem der Auflagenverlust des Magazins angelastet worden. Brinkbäumer hatte sich im Rahmen der Auseinandersetzung von den Medienrechtsanwälten Christian Schertz und Simon Bergmann vertreten lassen, die immer wieder auch gegen Berichterstattungen des “Spiegels” vorgehen, so jüngst im Fall Ronaldo.

4. Alles nur geklaut?
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio, 4:55 Minuten)
Zu den Grundlagen des journalistischen Handwerks gehört es, Quellen korrekt zu zitieren und zu nennen. Doch ausgerechnet Medien tun sich damit manchmal schwer. So werden Lokalzeitungen häufig nicht genannt, wenn überregionale Redaktionen deren Recherchen übernehmen. Dem “Mindener Tageblatt” erging es so bei einer Geschichte über Alltagsrassismus in Deutschland.

5. Der dänische Rundfunk im Würgegriff
(de.ejo-online.eu, Henrik Kaufholz)
Der dänische Rundfunk sieht schweren Zeiten entgegen: Er wird zukünftig nicht mehr aus Gebühren, sondern aus Steuermitteln finanziert. Und muss in den nächsten fünf Jahren 20 Prozent seines Budgets einsparen. Einen “Generalangriff auf die freie Meinungsbildung” nennt dies der dänische Journalist Henrik Kaufholz.

6. Sigi Maurer startet Crowdfunding-Kampagne gegen Hass im Netz
(futurezone.at)
Die österreichische Ex-Grüne Sigi Maurer hatte sich öffentlich gegen obszöne Drohnachrichten zur Wehr gesetzt. In der Folge war sie von einem Gericht wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe und Entschädigung verurteilt worden. Dagegen will Maurer juristisch vorgehen und hat eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Insgesamt wollen Maurer und der Verein Zara 100.000 Euro einsammeln, um damit die Prozesskosten ihres Falles zu finanzieren sowie Klägerinnen in anderen Fällen Geld zur Verfügung stellen zu können. Am ersten Tag sind bereits mehr als 50.000 Euro zusammengekommen.

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