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Opfer des Layouts

Wer sich die heutigen Tageszeitungen anschaut, stellt fest, dass das schwere Erdbeben bei den Samoainseln viele Titelseiten dominiert.

Auch die “Stuttgarter Zeitung” hat sich für einen “Katastrophen auf Samoa”-Aufmacher entschieden und sogar ein gutes Foto dafür gefunden. Im hauseigenen Online-Auftritt ist es bereits seit gestern in einer Bildergalerie zu sehen:

Stuttgarter Zeitung 430

Doch vorn auf der gedruckten “Stuttgarter” (hier im Großformat) sieht dasselbe Foto heute so aus:

Stuttgarter Zeitung Titelblatt 430

Wie sowas geht? Der hauseigene Grafiker hatte die rechte Hälfte des Bildes gespiegelt und (nicht ohne Aufwand) alles, was den Schwindel schon auf den ersten Blick auffliegen lassen könnte, retuschiert: Der Mann, der in den Trümmern steht, wurde digital ausradiert; dort, wo eigentlich das Auto steht, ließ man ein wenig Gras drüber wachsen und pflanzte einen Text.

Der Grund für diese merkwürdige Irreführung des Lesers ist ebenso peinlich wie banal: Im Juni dieses Jahres wurde die “Stuttgarter Zeitung” dank eines Redesigns zur “besten StZ aller Zeiten”. Und das neue Layout verlangt nun mal jeden Tag ein vierspaltiges Foto im Verhältnis 1:2,8 (Annäherungswert). Doch um es mit Michael Maurer, dem stellvertretenden StZ-Chef, zu sagen:

Das Foto auf der Seite 1 ist kein Selbstzweck. Es soll zwar die Optik der Titelseite attraktiver und moderner machen, aber es soll vor allem die journalistische Qualität und journalistische Eigenleistungen der StZ hervorheben. (…) Dem Leser wird damit klar signalisiert, welche Glanzstücke aus redaktioneller Sicht ihn im Innenteil erwarten.

Das wollen wir nicht hoffen.

Mit Dank an Stefan und rod66.

Nachtrag, 20.00 Uhr:
Uns erreichte folgender Kommentar von Michael Maurer, stv. Chefredakteur der “Stuttgarter Zeitung”:

Das Aufmacher-Bild auf der ersten Seite der Stuttgarter Zeitung vom Donnerstag, 1. Oktober, ist technisch in einer Art und Weise bearbeitet worden, die nicht unseren journalistischen Standards entspricht. Mit der Doppelung eines Ausschnittes ist die Aussage des Bildes verfälscht worden. Die Redaktion übernimmt die Verantwortung für diesen Fehler und wir entschuldigen uns bei unseren Leserinnen und Lesern.

Das Entführungsopfer aus dem Katalog

In der neuen Ausgabe des “Spiegel” wird ziemlich anschaulich darüber berichtet, welche Form von journalistischem Elendstourismus der Entführungsfall Jaycee Dugard in den USA vor Ort ausgelöst hat. Jeder, der was zu sagen hat, wird honoriert und zitiert. Und sogar die, die nichts zu sagen haben, kommen zu Wort — wie das eben so ist bei eher dünnen Nachrichtenlagen.

Auch die “Bild”-Zeitung will ihren Lesern keineswegs die sensationellsten Sensationen im Fall Jaycee vorenthalten. Und stellt eine interessante Frage:

Schreenshot_bild.de

Bild.de begründet diesen, nunja, Verdacht damit, dass… also… naja, die Frau ist blond, könnte in etwa in Jaycees Alter sein, außerdem hatte ihr Entführer dieses Bild auf seiner Visitenkarte — und ein Geschäftspartner des Entführers sagte: Ja, das könnte Jaycee sein! Muss erst mal reichen.

Hätte “Bild” sich ein wenig Zeit für Recherche genommen… ach, was reden wir denn da. Die Antwort lautet: nein. Wer diese junge Frau ist, wissen wir zwar auch nicht genau, aber dafür, woher das Foto stammt: von einer CD “Art Explosion”  (250.000 Images), einer Bilder- und Grafiksammlung, wie man sie über unzählige Agenturen bestellen kann und die in erster Linie dann dafür da ist, optische Elemente in Katalogen zu setzen. Oder auch auf Webseiten wie beispielsweise in Online-Shops:*


*) Inzwischen — warum auch immer — entfernt.

Nun könnte man sagen: Missverständnis, kann man ja nicht ahnen — und steht ja auch so ähnlich in anderen Medien … aber “Bild” weiß spätestens seit Montag, dass es sich unmöglich um Jaycee handeln kann. Am Montag nämlich meldete sich eine Leserin bei “Bild” mitsamt zwei Fotos von der CD — und bat “Bild” um eine Stellungnahme. Die kam nicht, stattdessen hat “Bild.de” die vermeintliche Jaycee jetzt auch noch in eine Bildergalerie eingebaut:

Mit Dank an Alicja!

Bild.de, RTL, stern.de  etc.

Die Opfer des Todesfluges

Der Online-Ableger der Illustrierten “Stern” präsentiert die Opfer der im Atlantik abgestürzten Air-France-Maschine in einer großen Bildergalerie. Unter dem ersten Foto heißt es:

Doch das ist nicht das ganze Zitat von der DLRG-Seite. Das ganze Zitat geht so:

Aus irgendwelchen Gründen fand stern.de das mit der Bitte an die Medien um Zurückhaltung nicht so zitierwürdig. Womöglich hätte der Satz am Anfang dieser Bildergalerie auch nur ungewollt ironisch gewirkt.

Um einige der Opfer zeigen zu können, hat sich stern.de — wie andere Medien auch — offenkundig einfach auf den Internetseiten von Arbeitgebern oder Vereinen bedient. Man hört das ja auch immer wieder in den Medien, dass das Internet ein rechtsfreier Raum sei, in dem auch das Urheberrecht dauernd verletzt werde.

Das RTL-Elendsmagazin “Explosiv” hat sich beim Ausschlachten der Tragödie gestern auch auf die Expertise einer Frau gestützt, die auf die nötigen Grenzüberschreitungen quasi spezialisiert ist: Inken Ramelow, deren Arbeit das NDR-Medienmagazin “Zapp” vor kurzem einen eigenen Beitrag gewidmet hat.

Nach dem Amoklauf von Winnenden hatten wir uns bei “RTL aktuell” erkundigt, wie der Sender unter Chefredakteur Peter Kloeppel grundsätzlich mit den Fotos von Betroffenen in Unglücks- oder Verbrechensfällen umgeht. Wir fragten zum Beispiel:

“Ist nach Ansicht des Senders eine Einwilligung des Urhebers nicht notwendig, wenn man sich die Fotos einfach im Internet besorgen kann? Muss jeder, der sein Bild bei StudiVZ oder anderen Angeboten einstellt, damit rechnen, es in einer RTL-Nachrichtensendung wiederzufinden? Oder bemüht sich RTL auch in solchen Fällen in der Regel um eine Einwilligung?”

Die Antwort des Senders lautete:

“Die Redaktion möchte keine Stellungnahme zu redaktionellen Abläufen abgeben.”

Das ist ziemlich genau dieselbe Antwort, die der “Stern” auf ganz ähnliche Fragen des Magazins “Panorama” gab:

“Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine Auskunft.”

Von der “Bild”-Zeitung (die in einem Verlag erscheint, dessen Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner ironischerweise gerade für eine Verschärfung des Urheberrechtes im Internet kämpft) würden wir natürlich im Zweifel nicht einmal diese Antwort bekommen. Sie scheint sich gestern bei der Aufmachung des Themas in ihrem Online-Angebot vorgenommen zu haben, ein lehrbuchhaftes Beispiel dafür zu produzieren, was der Pressekodex meint, wenn er er von einer “unangemessen sensationellen Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid” spricht:


(Unkenntlichmachung, natürlich, von uns.)

Mit Dank an Heiko J. und viele andere sowie Peer S. und DWDL.

RTL  

Fotos: studivz.de, privat (2)

Wenn sich einer schon mal die Mühe gemacht hat, dann können andere doch auch davon profitieren — dachte man sich wohl bei RTL, nachdem die Kollegen von “Bild” aus den entsprechenden StudiVZ-Profilen bzw. privaten Webseiten die Fotos der Opfer und des inzwischen tatverdächtigen Sohnes des Familiendramas in Eislingen kopiert und unverpixelt gezeigt hatten. Weswegen man die Bilder nahm, sie in die Schnittsoftware kopierte und kurzerhand in den RTL-Nachrichten zeigte.

Ziemlich makaber mutet es übrigens in diesem Zusammenhang an, was StudiVZ als Betreiber einer inzwischen ziemlich professionell genutzten Recherchemaschine der “taz” gegenüber zum Thema Bilderklau vor rund einem Jahr im März 2008 sagte:

“Die journalistische Verwertung von Bildern aus StudiVZ ist nicht in unserem Interesse. Das steht auch eindeutig in unseren AGB. Wird dennoch ein Foto von einem unserer Nutzer zu diesem Zweck unautorisiert verwendet, so handelt es sich hierbei um eine Verletzung der Urheberrechte. Der Nutzer kann gegen das entsprechende Medium vorgehen.”

Und wer tot ist — hat dann einfach Pech gehabt?

Mit Dank an Ralf A.

Fotos: studivz.de, privat

In Eislingen in Baden-Württemberg ist eine fürchterliche Bluttat geschehen. Ein Ehepaar und zwei Töchter wurden vermutlich in der Nacht auf Karfreitag erschossen, die Polizei geht bisher von einem Mord aus. Der 18-jährige Sohn, der die Nacht außer Haus verbracht hatte, fand die Toten am Karfreitag. Sehr viel mehr, als dass die Polizei in diesem Fall weiter ermittelt, weiß man noch nicht. Dementsprechend wenig vorhanden sind auch Bilder vom Tatort und natürlich der Opfer.

Das macht aber nichts, wenn man das Internet als Recherchequelle zu nutzen weiß. Für die Reporter der “Bild” jedenfalls war das Beschaffen der Fotos ein Kinderspiel von wenigen StudiVZ-Mausklicks:

Screenshot: Bild.de, Verpixelung: BILDblog.de

(Von uns unkenntlich gemacht).

Natürlich fand man bei StudiVZ auch noch die zweite erschossene Tochter; das Foto des Vaters der beiden entdeckte man auf dessen Praxishomepage — und den 18-jährigen Sohn nahm man sich von der Seite der örtlichen DLRG (immerhin machte man sich bei ihm noch die Mühe, das Gesicht zu verpixeln).

Und insofern muss man es fast schon als Drohung verstehen, wenn “Bild” die Berichterstattung mit der Ankündigung beendet: “BILD berichtet weiter.”

Mit Dank an Thomas M.

Nachtrag 12.4.: Aus der ursprünglichen Bildergalerie bei bild.de ist der inzwischen von der Polizei als tatverdächtig eingestufte 18jährige Sohn der Familie mittlerweile verschwunden, alle anderen Bilder sind noch drin. Über die Gründe für die plötzliche Herausnahme könnten wir allenfalls spekulieren…

Auf Opfer kann “Bild” keine Rücksicht nehmen

Das ARD-Magazin “Panorama” hat sich bei der “Bild”-Zeitung nach den von ihr und der “Bild am Sonntag” veröffentlichten Fotos von den Opfern des Amoklaufes in Winnenden erkundigt:

“Hat die BamS-Redaktion diese Fotos von den Angehörigen oder Freunden erhalten oder sie aus dem Internet heruntergeladen?

Haben die Angehörigen dieser Veröffentlichung zugestimmt?

Wenn nicht, warum haben Sie die Fotos ohne Freigabe durch die Familien veröffentlicht?

Was sagen Sie zu dem Vorwurf des Vaters von Chantal S.: ‘Die Bild-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.'”

“Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich antwortete schriftlich :

“Entgegen Ihrer Annahme dürfen Fotos von Opfern auch ohne Genehmigung gezeigt werden, sofern es sich um Bildnisse im Zusammenhang mit wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt. Der Redaktion fällt eine solche Entscheidung nicht leicht und sie muss in jedem Einzelfall sorgfältig abwägen, ob das öffentliche Interesse so überragend ist, dass man die Fotos auch ohne Einwilligung zeigen darf. Offensichtlich haben das auch alle anderen Zeitungen und Zeitschriften so beurteilt, die die besagten Bilder veröffentlichten.

Natürlich gehört unser Mitgefühl den vielen Familien in Winnenden, denen der schlimmstmögliche Schicksalsschlag widerfahren ist. Nichts kann den Schmerz und die Trauer über Verlust eines Kindes und eines Angehörigen lindern. Leider gehört es zu den Aufgaben von Journalisten, auch über solch dramatischen Ereignisse und die dahinter stehenden Schicksale zu berichten — sowohl über Täter, als auch über Opfer.”

Medienanwalt Christian Schertz widerspricht:

“Wenn ein Schüler oder ein Student sein Foto bei StudiVZ einstellt, willigt er damit noch lange nicht ein, dass dasselbe Foto im Falle eines Unglücksfalles, an dem er beteiligt ist, auf der Titelseite einer Boulevardseite veröffentlicht wird. (…)

Das Leid von anderen Menschen ist natürlich auch etwas, das die Sensationsgier befriedigt und damit Auflage macht. Und da ist es oft eine Abwägung von möglichen Anwaltskosten und den vielleicht noch zu zahlenden Schmerzensgeldern und dem, was man mit der Auflagensteigerung erreicht. Und dann ist das Ergebnis relativ eindeutig aus Sicht mancher Chefredakteure.”

Der “Panorama”-Beitrag greift auch den Fall von Sara L. auf, einer jungen magersüchtigen Frau, die im vergangenen Jahr starb. Fotos: INTERNETGegen den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern hatte “Bild” damals einen großen Artikel mit Fotos von Sara veröffentlicht, die das Blatt sich im Internet besorgt hatte (wir berichteten).

“Bild”-Sprecher Fröhlich gibt den Eltern indirekt die Schuld daran, dass “Bild” das Schicksal ihrer Tochter ausgeweidet hat. Sie hätten Sara dadurch, dass sie einem Nachruf auf Sara im “Tagesspiegel” zugestimmt hätten, zu einer “relativen Person der Zeitgeschichte gemacht”, behauptet Fröhlich:

“In solch einem Fall bedarf es keiner Zustimmung des Abgebildeten oder der Hinterbliebenen.”

“Bild” lässt Schläger-Opfer für sich kämpfen

Es ist nicht Neues, dass “Bild” Probleme mit der Tatsache hat, dass für Kriminelle die gleichen Rechte gelten wie für alle anderen Bürger.

Wenn ein junger Mann, der wegen versuchten Mordes im Gefängnis sitzt, seine langjährige Freundin heiraten will, mit der er ein Kind hat, ist das für “Bild” etwa ein “Trick”, um der Abschiebung zu entgehen. Wenn ein Anwalt nach Unregelmäßigkeiten während der Polizei-Verhöre Freispruch für seinen Mandanten fordert, nennt die Zeitung diesen Vorgang “unfassbar”.

Auch braucht es in der Regel mehrere Gerichtsurteile, bis “Bild” zähneknirschend und unter “Aber die Pressefreiheit!”-Gemurmel darauf verzichtet, aktuelle Fotos von freigelassenen Ex-Terroristen zu zeigen.

Was also ist es für “Bild”, wenn einer der Münchener “U-Bahn-Schläger” vor dem Landgericht Hamburg erwirkt, dass die Zeitung sein Foto nicht mehr unverfremdet zeigen darf?

Na sicher:

Skandal um U-Bahn-Schläger

“Bild” ereifert sich aber nicht selbst, sondern überlässt die Empörung jemandem, bei dem sie jeder noch so skeptische Leser nachvollziehen kann: dem Opfer.

Prügelopfer entsetzt über Gerichtsurteil

Spiridons Opfer Bruno N. (76): “Ich kann das nicht verstehen. Die wollten mich totschlagen. Bei so einer Tat gibt es keinen Anspruch auf Privatsphäre. BILD hat die Leser aufgeklärt, indem Fotos der Täter veröffentlicht wurden.”

Quasi über Bande kann die “Bild”-Redaktion so deutlich machen, was sie von dem Urteil hält, ohne sich selbst zu Wort zu melden.

Na ja, fast:

Gegen das Foto-Urteil wird BILD Berufung einlegen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Die Amok-Opfer der “Bild am Sonntag”

Aus einem Internetforum:

Mein geschäft ist genau neben dem Geschäft von Herr K        , was meinst du wie viele Reporter zu mir kommen und mich belagerten und fragen gestellt haben. Am Samstag war es so gar so das die Bild am Sonntag für ein Bild von Herr K         mir 1500 € geboten und wenn die ganze Familie drauf sein sollte würde er sagar 4500 € zahlen, das meinte ich damit !!! Ich bekomm da ein hass !

Wir haben diese Behauptung sorgfältigst nicht überprüft. Wir können nicht sagen, ob sie stimmt. Unwahrscheinlich ist es nicht.

In der heutigen Ausgabe der “Bild am Sontag” findet sich kein Foto von Herrn K., dem Vater des Attentäters von Winnenden, sondern nur ein Foto, mit dem Tim K. sich für die kaufmännische Privatschule bewarb, ein Foto, das seine zugedeckte Leiche auf dem Parkplatz zeigt, ein Foto von ihm als Zweijähriger (“ein unschuldiges Lächeln”), ein Foto von Tim K. mit seiner Großmutter (“Der Amokläufer liebte ihre handgeriebenen Spätzle”), ein Foto vom Haus seiner Familie, ein Foto von ihrem Türschild und ein Foto, das angeblich den Teich im Garten zeigt (“Vater […] und Sohn Tim waren leidenschaftliche Sammler von Koi-Karpfen”).

Die “Bild am Sonntag” hat sich zudem entschieden, ihre Anteilnahme mit den Todesopfern dadurch auszudrücken, dass sie alle, von denen sie Fotos auftreiben konnte, und das sind 14 von 15, auf der Titelseite groß herausbringt:


(Unkenntlichmachung von uns.)

Auf fünf Seiten im Inneren zeigt sie noch einmal Fotos und erzählt Details aus dem Leben von jedem einzelnen der meist jungen Mädchen.

“Witwenschütteln” nennt man in der Branche die übliche Recherchemethode für solche Geschichten. Besonders groß scheint die Bereitschaft vieler Angehöriger und Freunde, der “Bild am Sonntag” den Stoff zu liefern, allerdings nicht gewesen zu sein. Einige der Artikel sind offenkundig mühsam aus dem zusammengestrickt, was die Internetseiten der Opfer zum Beispiel über ihre Hobbys verrieten. In den sozialen Netzwerken wie Kwick hat sich “Bild am Sonntag” auch bedient, um Fotos der Opfer zu bekommen.

Und über eines der getötetes Mädchen schreibt die “Bild am Sonntag”:

[…] hatte an die Haustür des Mehrfamilienhauses in […] einen Zettel geklebt, auf dem sie sich bei den Nachbarn entschuldigte, sollte die Party lauter werden. Unter den Gästen: bestimmt auch ihre beste Freundin, mit der sie oft zu Hip-Hop-Musik auf der Straße tanzte. Sie stellte ein Foto von […] am Ort des Schreckens auf. “Abf 4 ever” steht darauf — “Allerbeste Freunde für immer”. Es zeigt die beiden Mädchen in inniger Umarmung.

Auf dem Foto, das die “Bild am Sonntag” von dem Opfer zeigt, ist nur ihr Kopf zu sehen. Aber man kann noch erkennen: Es zeigt sie in inniger Umarmung mit einem anderen Mädchen. Auf dem Fotopapier scheinen Regentropfen zu liegen. Es ist leicht zu erraten, wie die “Bild am Sonntag” wohl an dieses Foto gekommen ist.

Mit Dank an Andreas S.!

Symbolfoto XLIX

Man muss das vielleicht einfach erst mal zeigen:

Denn so berichtete “Bild” am Samstag groß auf Seite 2.

“Bild”-Redakteurin Ulrike Brendlin und der Leiter des “Bild”-Hauptstadtbüros, Rolf Kleine, schreiben dazu:

Gestern: Voller Bundestag debattiert über höhere Diäten und Pensionen

Wenn es im Bundestag mal richtig voll ist…
… dann wird wahrscheinlich gerade über eine Diätenerhöhung (…) debattiert.

Und tatsächlich wurde am vergangenen Freitag im Bundestag über eine Diäten-Erhöhung debattiert. Und richtig voll war’s auch. Das Foto allerdings, mit dem “Bild” zu illustrieren behauptet, wie voll es deswegen im Bundestag gewesen sei, hat mit der “Bild”-Behauptung (“so voll”) nichts zu tun.

Das Foto (“voller Bundestag”)* zeigt vielmehr, wie uns der Bundestag an Anfrage mitteilt, den Plenarsaal gegen 13.58 Uhr — also kurz vor der namentlichen Abstimmung [pdf] über das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung**, die am Freitag (neben anderen Themen wie Tempolimit, Einheitsdenkmal, Unterhaltsrecht und Diäten-Erhöhung) ebenfalls auf der Tagesordnung stand.

Augenzeugen berichten uns, dass viele Abgeordnete nur kurz für die Abstimmung in den Saal gekommen seien. Und dass es beim Thema Diäten-Erhöhung nicht leer, aber deutlich leerer war als auf dem “Bild”-Foto, zeigt nicht zuletzt das offizielle Parlamentsfernsehen des Bundestages.

*) Das zweite “Bild”-Foto (“Leerer Bundestag”) zeigt übrigens den Plenarsaals am 13. Juni 2007 während der “2. und 3. Beratung (…) eines Dritten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR”.

**) Die Meldung zur beschlossenen Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung findet sich in “Bild” in einer kleinen 7-Zeilen-Meldung (rechts neben dem Wort “DIÄTEN-ERHÖHUNG”).

Symbolfoto XLVII

Ein 15-jähriges Mädchen ist brutal ermordet worden, der mutmaßliche Täter geständig, der Fall seit Monaten in den Schlagzeilen.

Am Donnerstag war Prozessauftakt. Die Eltern des Opfers saßen in einem Gerichtssaal in Hagen, und sie waren nicht allein. O-Ton “Westfalenpost”: “Vor Sitzungssaal 201 ist um 8.54 Uhr der Andrang bereits so groß, dass Reporter, interessierte Zuschauer und neugierige Gaffer vor der verschlossenen Saaltür einen bunten Pulk bilden. (…) Um 9.05 Uhr werden die Einlasskarten verteilt. Gedränge, Geschiebe, wie beim Sommerschlussverkauf. (…) Um 9.58 Uhr betritt das Gericht den Raum. Blitzlichtgewitter der Pressefotografen, TV Kameras surren, dann Abgang, raus.”

Und man muss sich das vorstellen: Inmitten dieses Blitzlichtgewitters und der surrenden TV-Kameras also, in einem Raum mit dem Oberstaatsanwalt, der gleich die Anklageschrift verlesen, und dem mutmaßlichen Mörder, der anschließend möglichst detailliert Auskunft über seine Tat geben sollte — die Eltern des Opfers. Klick!

Das ist schlimm, aber vielleicht ist es doch nicht das schlechteste Foto, weil es so eindringlich die Erschütterung zeigt, die ein solches Verbrechen auslöst:

Tiefe Trauer und Nervösität bei den Eltern von Nadine kurz vor Beginn der Gerichtsverhandlung

So steht es unter dem Foto in der “WAZ”. Und sogar in “Bild”, die vorgestern fast dasselbe Foto druckte, steht es ähnlich:

(…) die Eltern der toten Nadine sammeln Kraft für die schrecklichen Einzelheiten des Todes ihrer Tochter

Denjenigen aber, die bei “Bild” tagtäglich aus den Geschichten “Bild”-Schlagzeilen machen, war das nicht genug: “kurz vor Beginn”? “sammeln Kraft für”? Geht’s nicht besser, schlimmer? Ja:

Es hat also einen Sinn, dass es ab Prozessbeginn nicht mehr gestattet war, zu fotografieren: “Bild”, so lehrt uns die kleine, fette Lüge in der Überschrift, hätte die Fotos zu gern gedruckt.

Mit Dank an Tim E. — auch für das “WAZ”.

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