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“Bild” verliert beim Vergewaltiger-Quartett

Nachdem im Mai vergangenen Jahres eine 16-Jährige behauptet hatte, von vier Minderjährigen vergewaltigt und dabei mit dem Foto-Handy gefilmt worden zu sein, berichteten darüber viele Medien — und für die meisten war die Sache auch ohne Richterspruch eindeutig. Beispielshalber seien hier mal alle vorverurteilenden Tatsachenbehauptungen* zu dem Fall in den an vier aufeinanderfolgenden Tagen veröffentlichten Artikeln der “Bild”-Zeitung aufgelistet:

Vier Schüler (13 bis 15) vergewaltigen Mädchen (16) +++ Es ist widerlich. Es ist schockierend. Es macht Angst! +++ Schülerin vergewaltigt +++ die vier Täter +++ Warum waren sie zu solch einer abartigen Tat fähig? +++ Opfer +++ Täter +++ das Vergewaltiger-Quartett +++ Täter +++ diese Tat +++ die Täter +++ Jetzt spricht die 16jährige Christina, die in Charlottenburg von vier Jungs geschändet wurde. +++ Die Gruppen-Vergewaltigung von Charlottenburg — der Fall erschüttert ganz Deutschland. +++ Nach BILD-Informationen mußte Christina ihre Peiniger auch oral befriedigen. +++ die abscheuliche Tat +++ die vier Täter +++ die vier Täter +++ vergewaltigte 16jährige +++ …und die vier Täter laufen immer noch frei rum +++ die Vergewaltiger +++ Täter +++ die Täter +++ die Täter +++ die Täter +++ die Täter +++ Täter und Opfer +++ Sextäter +++ Christina von vier Jungen vergewaltigt +++ die widerliche Tat +++ Wie BILD erfuhr, hat einer der vier Peiniger die Schülerin bei der brutalen Tat entjungfert.

*) Natürlich gab es auch relativierende Formulierungen in den “Bild”-Texten: Tatverdächtige (2x), Beschuldigte (1x), mutmaßlich (9x — Beispielsatz: “Und jetzt verhöhnt einer der mutmaßlichen Täter das Opfer auch noch dreist im TV!”

Seit einer Woche nun gibt es Neuigkeiten — gute Neuigkeiten eigentlich:

Nach den übereilten Vorverurteilungen hat die Berliner Justiz die Ermittlungen nun allerdings nach rund neun Monaten eingestellt. Die angebliche Vergewaltigung sei keine Straftat gewesen, sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft Michael Grunwald. Weder die Angaben der Beteiligten noch die ausgewerteten Sachbeweise belegten die für eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung erforderliche Gewaltanwendung oder erhebliche Bedrohung des Mädchens.

So berichtete am 9. Februar die Nachrichtenagentur ddp (und ähnlich auch dpa). Die Nachricht übernahmen anschließend nur wenige Medien. “Bild” gehört nicht dazu.

Allgemein  

“…dass sich das nicht wiederholt”

Am vergangenen Freitag gab “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann im Hamburger NDR-Radio 90,3 eines seiner seltenen Interviews. Angesprochen auf die Rügen durch den Presserat sagte er:

“Wir drucken diese Rügen selbstverständlich ab und achten auch sehr darauf, dass sich das nicht wiederholt. Es gibt, um ein Thema zu sagen, das Thema der Selbstmorde. Da hat sich eben etwas verändert, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Bei uns muss jede Berichterstattung über einen Selbstmord vom Chefredakteur abgesegnet werden, ob das zulässig ist oder nicht zulässig. Egal, ob das in einer Regional- oder einer Lokalausgabe ist. Das muss mit mir abgestimmt werden. Einfach um zu verhindern, das wir in diesem Bereich — weil wir das insgesamt in dem Pressekodex, den wir uns als Printmedium gegeben haben, sehr sehr eng sehen.”

Kai Diekmann ist seit 1. Januar 2001 Chefredakteur der “Bild”-Zeitung.

Im selben Jahr rügt der Presserat “Bild” dafür, “in ausführlichen Bildstrecken und unter voller Namensnennung den Tod eines jungen Mannes dargestellt” zu haben, “der erfolgreich an einem Selbstmordversuch gehindert wurde, beim Abstieg von einem Gerüst jedoch zu Tode stürzte.”

Ebenfalls 2001 rügt der Presserat “Bild” dafür, “ohne erkennbares öffentliches Interesse über den Selbstmord eines jungen Mannes berichtet” zu haben.

2002 rügt der Presserat “Bild” dafür, dass die Zeitung von einer Frau, die sich auf einem Friedhof angezündet hatte, das gut erkennbare Leichenfoto gezeigt, “jegliche Zurückhaltung vermissen” gelassen und sich hinterher nicht öffentlich entschuldigt habe.

2003 rügt der Presserat “Bild” dafür, dass die Zeitung identifizierbar über den Tod eines Mannes berichtet und die Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Selbstmorde “grob missachtet” habe.

2005 rügt der Presserat “Bild” dafür, über den Freitod eines Polizisten unangemessen sensationell berichtet und keine Rücksicht auf das Leid der Opfer und die Gefühle der Angehörigen genommen zu haben.

2006 rügt der Presserat “Bild” dafür, detailliert, identifizierbar und mit ausführlichen Spekulationen über den Selbstmord einer überschuldeten Mutter berichtet zu haben.

Andererseits: Seit wann die behaupteten Vorsichtsmaßnahmen in der “Bild”-Redaktion in Kraft sind, hat Diekmann ja nicht gesagt.

PS: Der zuletzt vom Presserat gerügte Selbstmord-Artikel aus dem Jahr 2006 ist bei Bild.de nach wie vor unverändert online.

Heute anonym X

Am Donnerstag veröffentlichte die Zentralstelle Kinderpornografie des Bundeskriminalamtes Fotos von einem jungen Mädchen, das vermutlich Opfer eines sexuellen Missbrauchs wurde. Die Polizei hoffte, dass jemand das Kind erkennt. Die Sendung “Aktenzeichen XY” zeigte das Foto. “Bild” auch.

Tatsächlich hatte die Fahnung Erfolg, das Mädchen konnte aufgrund von Hinweisen identifiziert werden. “Bild” berichtet heute darüber, zeigt ein verpixeltes Foto des Mädchens und erklärt dies so:

BILD hat das Gesicht des Kindes auf Wunsch der Polizei unkenntlich gemacht.

Feine Sache. Wörtlich las sich der “Wunsch der Polizei” allerdings so:

Da mit der Identifizierung des Opfers der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien ersucht, bislang veröffentlichte Bilder nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Und einmal dürfen Sie raten, ob die “Bild”-Zeitung auch das unverpixelte Foto des Mädchens aus ihrem Internetportal entfernt hat.

Danke an Nils K., Gerald H., Mareike, Mike D. und Ulrich B.

Nachtrag, 14. Januar. Jetzt lautet die Antwort Ja.

Allgemein  

Da wird sich Karl Lügenfeld aber freuen

“Frechste Bescherung aller Zeiten” nennt die “Bild”-Zeitung ihre Idee, einer Reihe von Prominenten das zu schenken, was sie angeblich verdient haben.

Weil der Modeschöpfer Karl Lagerfeld so “gern beim Alter schummelt”, bekommt er von “Bild” ein “Klassenfoto (datiert)”. Lustig. Und welches Alter gibt “Bild” in diesem Zusammenhang für Lagerfeld an? “(68)”.

Tja. Also, wenn wir die “frechste Bescherung aller Zeiten” veranstalteten, würden wir “Bild” ein Archiv schenken. Darin könnte die Zeitung dann diesen drei Jahre alten Artikel aus der “Bild am Sonntag” finden:

Karl Lügenfeld! Er machte sich fünf Jahre jünger. Am Mittwoch feiert Lagerfeld Geburtstag. Offiziell den 65. - in Wahrheit wird er 70 Jahre

Manche Leute sind selbst zum Frechsein zu blöd.

Vielen Dank an Jann M.

  

Hilfe, ich bin in BILD! (Teil 2)

Im ersten Teil unseres Ratgebers “Hilfe, ich bin in BILD!” vor einer Woche hatten wir Ihnen Tipps gegeben, was Sie tun können, wenn der “Bild”-Reporter plötzlich bei Ihnen vor der Tür steht o.ä. — also bevor der “Bild”-Reporter die ersten Zeilen zu Papier gebracht hat…

… und jetzt steht es da schwarz auf weiß. “Bild” hat über Sie berichtet, sie vielleicht zitiert, womöglich ein Foto von Ihnen abgedruckt oder irgendwelche Behauptungen über Sie aufgestellt.

Das kann einen ganz ordentlichen Schock auslösen. Und gut möglich, dass daraufhin Ihr Telefon nicht mehr stillsteht, weil sich Freunde und Bekannte bei Ihnen melden, aber auch andere Medien oder irgendwelche Leute, die Sie unterstützen oder beschimpfen wollen. Aber: Keine Panik. Wenn “Bild” Ihnen Unrecht getan hat und Sie die Hinweise aus dem ersten Teil unseres Ratgebers beherzigt haben (siehe Checkliste), stehen Ihre Chancen gut, sich erfolgreich gegen “Bild” zu wehren. Wobei ganz klar gesagt werden muss: Eine unliebsame Berichterstattung alleine ist noch kein Grund, gegen “Bild” vorzugehen. Die ist nämlich vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Erst wenn eine abwertende Meinungsäußerung die Grenze zur sogenannten “Schmähkritik” überschreitet, also beispielsweise eine Beleidigung oder Geschäftsschädigung darstellt, kann man dagegen vorgehen. Auch bei unwahren Tatsachenbehauptungen, bei unzulässigen Foto-Veröffentlichungen oder bei mangelnder Anonymisierung bestehen Unterlassungs-, Widerrufs- oder Berichtigungs- und in schweren Fällen evtl. Schmerzensgeldansprüche. Aber selbst gegen wahre Tatsachenbehauptungen können Sie sich u.U. mit einer “Gegendarstellung” wehren.

Man kann festhalten: Das Ganze ist überaus kompliziert — und für den Laien kaum zu bewältigen.

Deshalb geht es im zweiten und letzten Teil unseres BILDblog-Ratgebers “Hilfe, ich bin in BILD!” zwar darum, was Sie tun können, wenn “Bild” über Sie berichtet und Ihnen Unrecht getan hat, vor allem aber darum, wie sich eventuelle juristische Schritte finanzieren lassen.

NACH DER VERÖFFENTLICHUNG:

  • “Oh, nein!? Was schreiben die denn da?”
    “Bild” hat also tatsächlich über Sie berichtet. Und insbesondere, wenn Sie konsequent die Zusammenarbeit mit “Bild” verweigert haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Berichterstattung nicht gerade positiv ausgefallen ist. Ist sie aber nicht nur unfreundlich, sondern fehlerhaft, wurden Sie beispielsweise falsch zitiert oder hat “Bild” unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt, wurden Sie beleidigt oder ihr Ruf beschädigt oder wurden Sie nicht ausreichend anonymisiert, sollten Sie sich zunächst an die Beweissicherung machen — also Screenshots des Artikels im Internet machen und die entsprechende Zeitung aufbewahren.
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  • “Denen sag’ ich jetzt aber mal die Meinung!”
    Ob Sie sich im Anschluss an die unliebsame Berichterstattung direkt an “Bild” wenden, ist natürlich Ihre Sache. Möglich, dass “Bild” Sie dann vertröstet, von einem Versehen spricht, Ihnen anbietet, (bei entsprechender Kooperation Ihrerseits) in nächster Zeit positiver über Sie zu berichten, oder die Sache in einem weiteren Artikel klarzustellen verspricht etc. Es zeigt sich allerdings immer wieder, dass selbst im Optimalfall die direkte Kontaktaufnahme zu “Bild” wenig nützt.
     
  • “Wer hilft mir denn jetzt? Ein Anwalt?”
    Auch wenn Ihnen dieser Schritt eigentlich nicht behagt: Suchen Sie möglichst schnell (am besten noch am Tag der “Bild”-Veröffentlichung) einen Anwalt auf. Das Presserecht ist kompliziert, und für Laien besteht kaum eine Chance, beispielsweise erfolgreich eine Gegendarstellung durchzusetzen. Tatsächlich haben sogar gestandene, aber fachfremde Anwälte damit unter Umständen ihre Probleme. Wo Sie einen Experten für Presse- und Medienrecht finden, können Sie bei den Rechtsanwaltskammern, beim Deutschen Anwaltsverein oder bei Ihrer Rechtsschutzversicherung erfragen.
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  • “Kann ich mir so einen Anwalt überhaupt leisten?”
    Natürlich ist die anwaltliche Beratung nicht umsonst. Bis zum 1. Juli 2006 waren laut Gebührenordnung für die Erstberatung maximal 190 Euro fällig. Womöglich aber zahlen Sie sehr viel weniger. Denn, so erklärt uns Rechtsanwalt Matthies van Eendenburg, das Honorar für die Erstberatung sei verhandelbar. Seine Höhe hängt für gewöhnlich davon ab, wie kompliziert sich die Sachlage darstellt — sowie vom Anwalt und ihrem Verhandlungsgeschick. Eendenburg: “Wenn Sie denselben Anwalt beauftragen, weitere Schritte zu unternehmen, wird das Honorar für die Erstberatung angerechnet.” Außerdem gibt es in manchen Städten öffentliche Beratungsstellen, die für Menschen mit niedrigem Einkommen und geringem Vermögen kostengünstige Auskünfte erteilen.
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  • “Ich hab’ doch eine Versicherung!?”
    Wenn Sie eine Rechtsschutzversicherungen haben, sollten sie zunächst, also noch vor der Erstberatung, klären, ob sie die Kosten für derartige Streitigkeiten übernimmt, und wenn ja, in welcher Höhe. “Häufig ist Rechtsschutz gegen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes gegeben”, sagt Eendenburg. Gegendarstellungsverfahren hingegen seien “in der Regel nicht versichert.” Das liegt daran, dass Sie auch dann einen Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung haben können, wenn Sie sich z.B. über eine Tatsachenbehauptung ärgern, obwohl die gar nicht falsch ist. Der Gegendarstellungsanspruch setzt nämlich keine Rechtsverletzung voraus.
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  • “Und ohne Versicherung?”
    Wer wenig Geld hat und keine Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen kann, kann bei Gericht Prozesskostenhilfe beantragen — auch bei presserechtlichen Streitigkeiten. Eendenburg: “Bei Veröffentlichungen der ‘Bild’-Zeitung liegt der Streitwert in der Regel über 5.000 Euro, so dass das Landgericht zuständig ist, für das ‘Anwaltszwang’ besteht.” Den Prozesskostenhilfeantrag stellt also meist der Anwalt bei Gericht, das ihn jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen bewilligt. “Dies setzt — wie bei jedem Verfahren — hinreichende Erfolgsaussichten und eine Bedürftigkeit des Antragstellers voraus”, sagt Eendenburg. Leider wird die Hilfe daher oft nur in Fällen gewährt, in denen sie eigentlich nicht nötig wäre, weil man ohnehin gewinnt und die Kosten der Verlierer trägt (s.u.).
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  • “Kann mir nicht auch der Wallraff helfen?”
    Eine letzte Möglichkeit zur Finanzierung eines Rechtsstreits hat der Publizist Günter Wallraff geschaffen. Der von ihm ins Leben gerufene und aus privaten Mitteln finanzierte “Rechtshilfefonds für ‘Bild’-Opfer” hilft bei gravierenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen, also beispielsweise bei schweren Fällen von Rufmord. “Wir haben schon über hundert Fälle erfolgreich durchgefochten”, so Wallraff zu BILDblog. Fehlen Ihnen also die Mittel für einen Anwalt, und hat “Bild” Ihnen wirklich übel mitgespielt, können Sie sich unter dem Betreff Rechtshilfefonds an Wallraffs Verlag Kiepenheuer & Witsch wenden. Der leitet Ihr Anliegen dann weiter.
    Kontakt:
    Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co KG
    Rechtshilfefonds für “Bild”-Opfer
    Rondorfer Str. 5
    50968 Köln
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  • “Aber wenn ich gewinne, zahlt BILD doch sowieso, oder?”
    Es gibt vor Gericht für niemanden eine Erfolgsgarantie. Und bei einem Rechtsstreit werden die Kosten grundsätzlich von den beteiligten Parteien getragen, wobei gilt, dass der Verlierer alles zahlen muss. Aber denken sie daran: Es muss nicht immer einen klaren Verlierer geben. Können Sie sich mit Ihrer Klage z.B. nur teilweise durchsetzen, müssen Sie auch einen Teil der Kosten selber tragen. Und selbst, wenn Sie gewinnen, werden Ihre Anwaltskosten nur insoweit vom Verlierer getragen, als sie nicht über den gesetzlichen Gebührensatz hinausgehen. Haben Sie mit ihrem Anwalt ein höheres Honorar vereinbart, müssen Sie für die Differenz selber aufkommen. Außerdem müssen Sie als Kläger die Gerichtskosten zunächst vorschießen — allerdings nicht in jedem Fall: “Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung besteht die Pflicht zur Leistung eines Gerichtskostenvorschusses nicht”, so Eendenburg. Außerdem sagt Eendenburg: “Schlecht sieht es aus, wenn die Gegenseite zwar verliert, aber pleite ist. Dann bleiben Sie auf den Kosten sitzen.” Im Falle der “Bild”-Zeitung müssen Sie sich darüber aber eher keine Sorgen machen.

Trotzdem mag das für Sie jetzt alles ein bisschen abschreckend klingen. Aber lassen Sie sich nicht entmutigen: “Bild” hat nicht das Recht, unzulässig über Sie zu berichten. Und vielleicht können ja auch wir Ihnen weiterhelfen. Auch wenn wir ausdrücklich keine Rechtsberatung anbieten, können wir Ihnen, sollten Sie “Bild”-Opfer geworden sein, u.U. dennoch behilflich sein — bei der Suche nach einem geeigneten Anwalt etwa oder dabei, sich journalistisch zu wehren.

Wenn Sie also das Gefühl haben, dass “Bild” Ihnen Unrecht getan hat, schreiben Sie uns ruhig eine Mail an [email protected]. Wenn wir können, helfen wir Ihnen gern.

Allgemein  

“Bild” gerügt, gerügt, gerügt und gerügt

Schüler (12) prügelt Lehrerin in Klinik

So sah die “Bild”-Zeitung am 30. Mai dieses Jahres aus. Verpixelt war im Original nur das Gesicht der Lehrerin — nicht das des zwölfjährigen Schülers. Auf Seite 3 der Ausgabe Berlin-Brandenburg berichtete “Bild” auf fast einer ganzen Seite und zeigte den 12-jährigen Jungen erneut ohne irgendeine Unkenntlichmachung auf einem rund 20 Zentimeter hohen Foto. Auch am folgenden Tag zeigte “Bild” ein weiteres großes Foto des Jungen.

Für diese Berichterstattung wurde “Bild” nun vom Presserat gerügt. Es habe “kein öffentliches Interesse” gegeben, “das die Identifizierbarkeit der Personen gerechtfertigt hätte”. “Bild” verstieß gegen die Ziffer 8 des Pressekodex, wonach die Presse “das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen” achten soll. In Richtlinie 8.1 heißt es:

Die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern und Tätern in der Berichterstattung über (…) Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) sind in der Regel nicht gerechtfertigt.

Der Presserat verurteilte auch diesen “Bild”-Artikel vom 17. Mai 2006 über eine Familientragödie in Erftstadt:

Landarzt erschießt seine Familie

“Bild” zeigte große Fotos von dem Vater sowie seiner Frau und ihrem gemeinsamen zehnjährigen Sohn, die er erschossen haben soll — nach dem Urteil des Presserates zu unrecht. “Bild” hatte nur das Gesicht des überlebenden jüngeren Sohnes verpixelt.

Gerügt wurde die “Bild”-Zeitung außerdem dafür, dass sie das Foto einer Frau veröffentlichte, die verdächtigt wurde, ihr neugeborenes Kind erstickt zu haben.

Schließlich berichtete “Bild” im Sommer detailliert über den Selbstmord einer Mutter, die zuvor offenbar ihr Kind getötet hatte. Die Richtlinie 8.5 des Pressekodex lautet:

Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände.

Diese Regel hat einen sehr konkreten Hintergrund: Es gilt als wissenschaftlich erwiesen, dass ausführliche Berichte in den Medien über Selbstmorde dazu führen, dass mehr Menschen Selbstmord begehen.

“Bild” berichtet dennoch immer wieder detailliert, identifizierbar und unter Schilderung der konkreten Begleitumstände über Selbstmorde, wird dafür immer wieder gerügt und ist von diesen Rügen offenbar nachhaltig unbeeindruckt.

Im konkreten Fall zeigte “Bild” nicht nur ein großes, unverpixeltes Foto der Mutter, die sich das Leben nahm, und des Hauses, von dem sie in den Tod sprang, inklusive eines kleinen roten Pfeils, der ihren Sturz symbolisierte. “Bild”-Autor Moritz Stranghöner spekulierte auch ausführlich für das Motiv ihres Suizids, schilderte die Lebensumstände der Frau und erzählte minutiös den Ablauf des Dramas nach.

Der Presserat sprach eine öffentliche Rüge aus.

Bei Bild.de ist der gerügte Artikel unverändert online. Bereits in einem früheren Fall hat die “Bild”-Zeitung uns gegenüber deutlich gemacht, dass eine Rüge für sie kein zwingender Grund ist, einen Artikel aus dem Angebot von Bild.de zu entfernen oder zu ändern.

PS: In den ersten drei Fällen muss “Bild” die Rügen nicht veröffentlichen. Dies sei “im Sinne der Betroffenen”, erklärte der Presserat. “Nicht-öffentliche Rügen” werden angeblich ausgesprochen, um die Opfer zu schützen. Inwieweit es ihr Leben erschütterte, wenn die “Bild”-Zeitung in, sagen wir: ein oder zwei Jahren einen einzigen kryptischen Satz über die Rüge auf einer hinteren Seite versteckt, weiß wohl nur der Presserat.

  

Hilfe, ich bin in BILD! (Teil 1)

“Bild” kommt meistens unerwartet. Unangekündigt steht der “Bild”-Reporter vor der Wohnungstür — oder das Telefon klingelt, und “Bild” ist dran.

Die “Bild”-Zeitung ist plötzlich auf jemanden aufmerksam geworden, der sonst nicht in der Öffentlichkeit steht und keinerlei Erfahrung im Umgang mit Medien hat: auf Menschen, die in einer Behörde, einer Firma, einem Verein arbeiten, Menschen, die (ganz gleich, ob als Opfer oder Täter) in Straftaten und Unglücksfälle verwickelt sind oder in irgendein ungewöhnliches (oder von “Bild” für ungewöhnlich befundenes) Ereignis. Aber auch Menschen, deren Verwandte, Bekannte, Arbeitskollegen in dergleichen verwickelt sind, und jeder, der sich besonders gut mit Außerirdischen, Nazis, Asteroiden, weißen Rehen oder sonst was auskennt, muss damit rechnen, dass “Bild” überraschend in sein Leben tritt — und das oft schneller, als man denkt.

Und natürlich kann man die Berichterstattung von “Bild” nicht kontrollieren. Das ist auch gut so, denn das ist das Wesen der Pressefreiheit. Aber man kann einiges tun, den Kontakt mit “Bild” wenigstens so zu gestalten, dass man sich nicht völlig hilflos fühlt, wenn man sich anderntags aus unruhigen Träumen erwachend in der “Bild”-Zeitung wiederfindet.

Im ersten Teil unseres zweiteiligen BILDblog-Ratgebers “Hilfe, ich bin in BILD!” sagen wir, was Sie tun können, bevor der “Bild”-Mitarbeiter überhaupt die ersten Zeilen zu Papier gebracht hat.

VOR DER VERÖFFENTLICHUNG:

  • “Kein Kommentar.”
    Niemand muss mit der “Bild”-Zeitung sprechen, wenn er nicht will. Der “Bild”-Mitarbeiter mag Ihnen das Gefühl geben, es sei in Ihrem eigenen Interesse. Häufig ist es das nicht. Stattdessen hat es sich schon oft bewährt, einfach jeglichen Kommentar zu verweigern. Vielleicht werden Sie damit unliebsame Berichterstattung nicht verhindern können. Doch die Erfahrung zeigt, dass “Bild” sich eine “gute Geschichte” im Zweifelsfall auch durch gute Argumente nicht kaputtmachen lässt.
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  • “Ohne mich.”
    Aber Sie können und sollten noch mehr tun. Medienanwalt Matthies van Eendenburg sagt: “Wer mit ‘Bild’ nichts zu tun haben will, sollte außerdem deutlich mitteilen, dass er auch sonst nicht Gegenstand der Berichterstattung werden will.” Grundsätzlich hat nämlich jeder das Recht, selbst zu bestimmen, ob die Öffentlichkeit Notiz von ihm nehmen soll oder nicht. Zwar gibt es Ausnahmen von diesem Prinzip, aber ob die im konkreten Fall greifen, können Sie hinterher immer noch sehen. Die Tatsache, dass Sie beispielsweise Opfer eines Unglücks oder einer Straftat geworden sind, macht Sie jedenfalls nicht automatisch zu einer Person der Zeitgeschichte, über die frei berichtet werden darf.
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  • “Wer sind Sie?”
    Entscheiden Sie sich (aus welchen Gründen auch immer) dafür, doch mit “Bild” zu sprechen, sollten Sie erst mal herausfinden, mit wem Sie es konkret zu tun haben, also nach Namen und Telefonnummer (Durchwahl?) des Reporters fragen. Lassen Sie sich, wenn möglich, seine Visitenkarte geben. Denn bei “Bild” behauptet man im Nachhinein gern, es habe sich bloß jemand als “Bild”-Mitarbeiter ausgegeben.
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  • “Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mir das notiere.”
    Außerdem, rät Anwalt Eendenburg, sollten Sie Datum und Uhrzeit notieren und ein Gesprächsprotokoll anfertigen. Oder Sie lassen nach vorheriger Ankündigung ein Diktiergerät mitlaufen. Das mag übertrieben klingen. Doch wenn es zu einem Rechtsstreit um eine bestimmte Äußerung kommt, sind oft konkrete Formulierungen entscheidend. Und ein Mitschnitt des Gesprächs oder ein direkt hinterher angefertigtes Protokoll sind zuverlässiger und glaubwürdiger als Erinnerungen, die man unter Umständen Monate später vor Gericht aus dem Gedächtnis hervorkramen muss.
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  • “Ich würde das dann gern autorisieren.”
    Lassen Sie sich — wenn möglich, noch bevor Sie “Bild” Auskunft geben — zusichern, dass das Interview oder zumindest alle wörtlichen Zitate vor der Veröffentlichung von Ihnen autorisiert werden. (Zwar heißt es in den “Journalistischen Leitlinien” der Axel Springer AG ausdrücklich, die Journalisten trügen “grundsätzlich, auch im Falle besonderen Termindrucks, dafür Sorge, dass Interviews vom Gesprächspartner mündlich oder schriftlich autorisiert werden”, doch berichten Betroffene immer wieder, dass “Bild” dieser Selbstverpflichtung nicht nachgekommen sei.) Am besten, Sie lassen sich diese Zusicherung schriftlich geben und autorisieren nur Zitate, die Ihnen schriftlich vorliegen — idealerweise ebenfalls schriftlich. Eendenburg rät außerdem dazu, bei dem Gespräch “einen neutralen Zeugen dabei zu haben.” Vor Gericht ist nämlich nicht entscheidend, was Sie tatsächlich gesagt oder autorisiert haben, sondern was Sie beweisen können.
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  • “Ehm, ich hab’s mir anders überlegt…”
    Haben Sie trotzdem mit “Bild” gesprochen und sich mit der Veröffentlichung eines Artikels über Sie einverstanden erklärt, sieht es eher schlecht aus. Eine einmal gegebene Einwilligung ist grundsätzlich verbindlich und kann nur schwer widerrufen werden. Eine mögliche Ausnahme, sagt Eendenburg, sei, dass bis zur Veröffentlichung sehr viel Zeit vergangen ist und sich gravierende Umstände geändert haben. “Diese gravierenden Umstände muss man aber auch nachweisen können.”
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  • “Da sind Sie bei mir leider falsch.”
    Nicht selten werden “Bild”-Reporter oder -Fotografen losgeschickt, um Fotos zu besorgen — von Opfern von Unglücksfällen oder Straftaten etwa, oder auch von Tätern. Gerne werden dafür Bekannte, Kollegen, Angehörige, Lehrer oder Freunde angesprochen. Aber denken Sie daran: Die Veröffentlichung eines Fotos setzt in den meisten Fällen die Einwilligung der Abgebildeten voraus. Bei Kinderfotos müssen die Erziehungsberechtigten und ab einem Alter von etwa sieben, acht Jahren zusätzlich die Kinder einverstanden sein. Bei Verstorbenen die Rechtsnachfolger und möglicherweise auch Angehörige, die nicht Erben sind. Außerdem sind die Urheberrechte des Fotografen zu berücksichtigen. Es ist jedenfalls niemand verpflichtet, ein Foto herauszugeben. Falls Sie sich aber entscheiden, in die Veröffentlichung eines Fotos einzuwilligen, sollten Sie diese Einwilligung schriftlich, unterschrieben und mit Datum festhalten. Rechtsanwalt Eendenburg: “Die Einwilligung sollte enthalten, zu welchem Zweck — also: die Veröffentlichung in der “Bild”-Zeitung zu einem bestimmten Thema — sie erteilt wird und für welche Dauer sie gelten soll.”
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  • “Wollen Sie mir drohen?”
    Insbesondere Prominente berichten immer wieder, dass ihnen von “Bild”-Mitarbeitern unliebsame Berichte angedroht werden, wenn sie die Zusammenarbeit verweigern. Das kann natürlich auch Privatleuten passieren. Unser Rat: Lassen Sie sich nicht einschüchtern. Gegen die Drohung an sich lässt sich laut Rechtsanwalt Eendenburg in aller Regel jedoch nichts unternehmen. “Eine Grenze ist erst dort erreicht, wo mit der Verbreitung von unrichtigen Tatsachen oder Schmähkritik gedroht wird.” Dagegen besteht rechtlich ein Unterlassungsanspruch, den man zunächst im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen muss. In solchen Fällen sollten Sie sich umgehend (also noch vor einer möglichen Veröffentlichung) an einen Anwalt wenden. In Extremfällen “könnte der Straftatbestand der versuchten Nötigung vorliegen, und der Betroffene kann Strafanzeige stellen”, so Eendenburg. In weniger schwer wiegenden Fällen bleibt immerhin die Möglichkeit, eine Beschwerde beim Presserat einzureichen.

Im zweiten Teil unseres zweiteiligen BILDblog-Ratgebers “Hilfe, ich bin in BILD!” geht es darum, was Sie tun können, wenn “Bild” über Sie berichtet und Ihnen Unrecht getan hat.

  

Jeder ist seines eigenen Glückes Feind

Das Erstaunliche vorweg: Offenbar weiß man bei “Bild” über Persönlichkeitsrechte eigentlich ganz gut Bescheid. Theoretisch.

Als Nicolaus Fest, einer der stellvertretenden “Bild”-Chefredakteure, gestern abend vor den Toren Hamburgs (eigentlich vor den Toren Wedels) im Hörsaal 5 der Fachhochschule Wedel einen Gastvortrag über “Medien und Persönlichkeitsrecht” hält, hat seine Sekretärin leider vergessen, ihm auch das Vortragsmanuskript einzupacken. Immerhin hat der gelernte Jurist und Kunsthistoriker aber einen dicken Aktenordner mit Fallbeispielen dabei. Und das Grundsätzliche ist ohnehin schnell gesagt: “Journalismus kommt ja von jour, der Tag”, und jeden Tag aufs Neue gebe es einen Konflikt zwischen dem Recht des Einzelnen auf den Schutz seiner Persönlichkeit einerseits und dem öffentlichen Interesse andererseits. Dazwischen gelte es abzuwägen.

“Natürlich ist es ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht, wenn man ungefragt irgendwelche Leute ‘abschießt'”, sagt Fest. Aber das Ganze sei “eigentlich ein Thema für Juristen” und die Abwägung immer eine Einzelfallentscheidung. Zudem entschieden die Gerichte unterschiedlich (in Berlin meist zugunsten des Medienopfers, in Hamburg zugunsten von “Bild” der Pressefreiheit), und — um Fests unausgesprochene Quintessenz gleich vorwegzunehmen — Schuld sind immer die anderen.

Fest selbst hingegen formuliert seine These wie folgt: “Alle denken: Der größte Feind des Persönlichkeitsrechts ist die ‘Bild’-Zeitung.” Aber das, so Fest, stimme gar nicht, denn:

“Der größte Feind des Persönlichkeitsrechts ist im Zweifel der Inhaber selbst.”

Und in der Tat scheint Fests mitgebrachte Beweislast erdrückend: Da schrieb doch eine “bekannte Schauspielerin” in einem persönlichen Brief an “Bild” ausführlich und detailliert über Ehestreitigkeiten, um das Blatt abschließend zu bitten, von weiterer Berichterstattung abzusehen! (Die rund 50 Zuhörer im mäßig gefüllten Hörsaal sind amüsiert.) Andere Prominente wiederum verbeten sich die angelegentliche Berichterstattung über ihr Privatleben — aber, wie sich herausstellt, nur, weil sie mit irgendeinem anderen Medium einen Exklusivvertrag geschlossen haben. (Die Zuhörer staunen.) “Unterdrücken, steuern, wirtschaftliche Marktposition stärken”, das sei es, was der Prominente mit der Berichterstattung über ihn wolle.

Zwischen den Zeilen wird deutlich: Wer einem Promimagazin ein exklusives Interview gibt, muss sich gefallen lassen, dass “Bild” in seinem Privatleben herumschnüffelt. Wer Mutter ist und sich (trotzdem) für ein Erotikmagazin fotografieren lässt, muss sich (deshalb) von “Bild” fragen lassen, ob man da denn seinen Erziehungsaufgaben nachkomme. Wer irgendwann mal ein Buch übers Jogging geschrieben hat, muss natürlich auch Jahre später hinnehmen, dass “Bild” ihren elf Millionen Lesern zeigt, dass er irgendwo auf der Welt in einer Patisserie gewesen ist. Wer als Schauspieler die Rolle eines polizeilichen Ermittlers übernimmt, muss einsehen, dass “Bild” eventuelle Ermittlungen gegen ihn zu Schlagzeilen macht. Und wenn sie das nicht hinnehmen wollen, diese Prominenten, dann liegt das nicht zuletzt an der florierenden “Anwaltsindustrie”, die aus jeder Persönlichkeitsrechtsverletzung Kapital zu schlagen versuche. Dass das offenbar ein Geschäftsmodell ist, dass sich “Bild” ungern streitig machen lässt, sagt er nicht.

Ebenfalls unerwähnt bleiben am Abend in Wedel all jene Fälle, in denen “Bild” auch das Privatleben von Prominenten in die Öffentlichkeit zerrte, die selbst nie Privates preisgeben. Oder die vielen nicht-prominenten “tätowierten Liebesmonster” und vorverurteilten “Bestien” auf dem Weg in den Gerichtssaal — und auch nicht die Kinder, deren Gesichter “Bild” immer mal wieder ohne Einverständnis der Eltern auf ihre Titelseiten druckt: für Fest offenbar alles Einzelfälle, über die man sich streiten kann — im Zweifel vor Gericht.

Am Ende des Abends aber erhalten wir von Fest immerhin endlich Antwort auf eine Frage, die wir vor einem knappen Vierteljahr an “Bild” gestellt und bislang nicht beantwortet bekommen hatten – nämlich, ob “Bild” das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (von “Bild” schlicht “Maulkorb-Urteil” genannt) eigentlich anerkenne. Fest tastet sich langsam heran: Das Urteil, das Prominenten einen weitreichenden Schutz ihres Privatlebens zubilligt, sei auf europäischer Ebene nicht unumstritten, zudem sei auch die Straßburger Entscheidung nur ein Einzelfall und “Bild” ohnehin nicht prozessbeteiligt gewesen. Aber dann sagt er zusammenfassend:

“Wir halten uns an die etablierte Rechtsprechung, weil sie verlässlicher ist, bevor wir uns auf das außerordentlich dünne Eis des Straßburger Urteils begeben.”

Das ist zwar nicht wahr, weil “Bild” immer wieder auch gegen die “etablierte Rechtsprechung” verstößt. Aber klar: Wenn die Gerichte dann doch gegen “Bild” entscheiden — dann sind es eben die falschen Gerichte, die sich von den falschen Anwälten haben überzeugen lassen.

Mit Dank für die Fotos an Sebastian Conrad.

Wer hat an der Uhr gedreht?

Als “Zeitzeugin” des Transrapid-Unglücks stellte “Bild” am 25. September Melanie Kroll aus Wilhelmshaven vor:

Sie saß an Bord einer kleinen Propellermaschine, ihr Freund (36) am Steuerknüppel.

Nur Minuten nach der Katastrophe flogen sie über den Unglücksort im Emsland.

Nur Minuten? Dass das nicht stimmt, kann man schon auf den ersten Blick erkennen: Krolls Foto, das “Bild” veröffentlichte, zeigt, wie ein Teil des Transrapids der Werkstattwagen von zwei riesigen Kränen geborgen wird.

Die Fotos sind nicht Minuten, sondern Stunden nach dem Unglück entstanden. Die Katastrophe ereignete sich gegen 10 Uhr. Kroll war, wie sie dem ARD-Magazin “Panorama” sagte, um “kurz nach zwei” an der Unglücksstelle.

Warum datiert “Bild” das Foto zurück? “Panorama” hat Nicolaus Fest, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion gefragt:

“Weiß ich ehrlich gesagt nicht. Müsst’ ich mal nachprüfen. Scheint mir ein Fehler zu sein. Gut. Es ist ja insofern auch… auch bei uns passieren Fehler. Ich will das gar nicht… gar nicht kleinreden oder verneinen.”

Dieser “Fehler” war praktisch für “Bild”. So ersparte sich die Zeitung zunächst unbequeme Fragen. Die Polizei hatte nämlich nach dem Unfall ein Überflugverbot verhängt, damit die Rettungshubschrauber ungestört fliegen konnten. Deshalb ist die Uhrzeit entscheidend. “Bild” erweckt den Eindruck, die “Leser-Reporterin” sei ohnehin zufällig in der Luft gewesen, als sich das Unglück ereignete. In Wahrheit ist sie gezielt zur Unglücksstelle geflogen, nachdem sie aus dem Fernsehen von der Katastophe erfuhr.

“Dann hab ich gleich angerufen bei meinem Bekannten, weil der ein Flugzeug hat, und hab gedacht, das ist also das einfachste, wenn wir da hinfliegen.”

Von dem Überflugverbot habe sie nichts gewusst.

  

Presseratsrügen für “Bild” 2005

“Bild” berichtet unangemessen sensationell über Unfall
Verstoß gegen Ziffern 8 und 11 (BK2-66/05)

Ein Arzt-Ehepaar verunglückt mit dem Auto in Spanien, der Mann wird schwer verletzt, seine Frau getötet. Die “Bild”-Zeitung zeigt Fotos der beiden, die sie aus dem Internetauftritt der gemeinsamen Praxis hat – ohne dafür eine Zustimmung eingeholt zu haben. “Bild” nennt auch Namen und Heimatort des Paares – obwohl die Familie ausdrücklich darum geben hatte, es nicht zu tun. Die Angehörigen halten die Aufmachung für reißerisch, pietätlos und schockierend.

Die Rechtsabteilung von Axel Springer erwidert, an dem Umglück und seinen Opfern habe ein “zeitgeschichtliches Interesse” bestanden, da die Verunglückten auf dem Weg zu einer spektakulären Rallye und in ihrem Heimatort als Rennfahrer bekannt gewesen seien.

Der Presserat widerspricht: Es habe kein öffentliches Interesse gegeben, hinter dem das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen zurücktreten müsse. Außerdem sei die Darstellung von “Bild” “unangemessen sensationell” gewesen. Einen Verstoß gegen Ziffer 4, die “unlautere Methoden” bei der Beschaffung z.B. von Fotos untersagt, sieht der Presserat allerdings nicht: Die Fotos hätten zwar nicht veröffentlicht werden dürfen. Der “Schwerpunkt der Unlauterkeit” habe aber nicht in der Beschaffung, sondern in der Verwendung der Bilder bestanden. (Nicht-öffentliche Rüge)

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“Bild” schädigt Ruf eines Ehemannes
Verstoß gegen Ziffer 8 (BK2-67/05)

Unter der Überschrift “Hartz IV macht ihr das Leben zur Hölle” berichtet “Bild” aus der Sicht der Ehefrau darüber, wie sie aus finanziellen Gründen trotz zerrütteter Ehe weiter mit ihrem Mann unter einem Dach wohnen muss. “Bild” nennt den Wohnort und die vollen Namen aller Beteiligten, inklusive des 15-jährigen Sohnes. “Bild” zeigt auch ein Foto des Jungen und ein Hochzeitsfoto, auf dem der Ehemann klar zu erkennen ist. Der Ehemann beanstandet diese Veröffentlichungen, denen er nicht zugestimmt habe. Einige Angaben seien zudem falsch. Insgesamt sei der Artikel für ihn sehr rufschädigend.

Die Rechtsabteilung von Axel Springer erklärt, gerade die Personifizierung dieses Erfahrungsberichts mache das politische Modell von Hartz IV in seinen vielschichtigen Auswirkungen bekannt und damit auch überprüfbar. Die Pressefreiheit habe Vorrang gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Ehemannes. Die Frau habe das Recht, ihr Schicksal gerade unter Nennung ihres Namens zu schildern: Dass damit auch der Mann identifizierbar werde, habe er infolge der Güter- und Interessenabwägung hinzunehmen.

Der Presserat urteilt, dass die Berichterstattung ohne die Einwilligung des Mannes unzulässig war. Dass es der Zeitung überhaupt darum gegangen sei, das politische Modell von Hartz IV “überprüfbar” zu machen, hält die Beschwerdekammer für einen Vorwand. Darum sei es nur ganz am Rande gegangen – und eine Identifizierung der Betroffenen sei dafür nicht nötig gewesen. “Bild” habe den Grundsatz verletzt, das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen zu achten. (Nicht-öffentliche Rüge)

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“Bild” macht Verdächtigen zum “Kannibalen”
Verstoß gegen Ziffern 8 und 13 (BK2-124/05)

“Bild” berichtet über die Wiederaufnahme eines Mordprozesses: Der Angeklagte war seinerzeit angeklagt worden, seine Cousine getötet und teilweise aufgegessen zu haben, wurde aber nicht verurteilt. “Bild” zeigt unter der Überschrift “Kannibale grillte seine Cousine im Backofen” nun ein riesiges Foto des Verdächtigen, auf dem es scheint, als würde er sich den Mund ablecken. Der Angeklagte beschwert sich beim Presserat. Die Veröffentlichung des Fotos verletzte sein Persönlichkeitsrecht; außerdem gebe es keine Beweise, dass er der Täter sei oder Teile der Leiche verzehrt habe.

Die Springer-Rechtsabteilung beruft sich auf ein “öffentliches Interesse” an der Berichterstattung, das auch die Veröffentlichung des Fotos rechtfertige.

Der Presserat widerspricht in jeder Hinsicht: Die Abbildung des Fotos sei in dieser “besonders sensationsheischenden” Form nicht zulässig, sondern verletze dessen Persönlichkeitsrecht. Und die Überschrift erwecke den Eindruck, dass der Mann seine Cousine im Backofen gegrillt habe, was nicht der Wahrheit entspreche. “Bild” habe gegen das Verbot der Vorverurteilung verstoßen. (Öffentliche Rüge)

(Siehe BILDblog-Eintrag “Die schärfste Sanktion”.)

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“Bild” verletzt die Ehre eines Unglücksfahrers
Verstoß gegen die Ziffern 8 und 9 (BK1-177/05)

Sieben junge Leute kommen ums Leben, als ihr Auto gegen eine Hauswand rast. “Bild” berichtet über den 22-jährigen Fahrer unter der Überschrift “Er raste eine ganze Clique in den Tod”, zeigt wiederholt ein Foto von ihm und veröffentlicht anonyme Behauptungen, wonach der “Totfahrer” unzuverlässig, gewalttätig und arbeitsscheu sei und sehr viel Haschisch konsumiert habe. Die Eltern des 22-Jährigen beschweren sich beim Presserat, weil das Andenken an ihren Sohn massiv verletzt werde. “Bild” habe kein Recht gehabt, das Foto ihres Sohnes zu veröffentlichen, die Polizei habe keine Beeinflussung durch Drogen festgestellt, viele Details seien falsch.

Die Rechtsabteilung der Axel Springer AG beruft sich bei der Darstellung auf Aussagen früherer Bekannter des 22-Jährigen, die anonym bleiben wollten. Auch die Tatsachen stimmten: Weil die Rücksitze des Fahrzeugs ausgebaut worden seien, sei es zum Beispiel zulässig gewesen, das Auto “alt und klapprig” zu nennen.

Nach Ansicht des Presserates hat “Bild” unbegründete Beschuldigungen ehrverleztender Natur über den Fahrer veröffentlicht. Das Persönlichkeitsbild, das “Bild” zeichne, stützte sich ausschließlich auf bloße Vermutungen von anonymen Bekannten aus einer früheren Lebensphase, überprüfbare Tatsachen fehlten. Auch hätte “Bild” den Fahrer nicht wiederholt erkennbar zeigen dürfen. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” zeigt Leiche eines Selbstmörders
Verstoß gegen Ziffern 8 und 11 (BK2-202/05)

Ein österreichischer Polizeibeamter nimmt sich in Dresden das Leben. “Bild” nennt Vornamen, Initial des Familiennamens, Alter und Tätigkeitsfeld des Mannes, zeigt ein Portraitfoto sowie ein Bild vom Ort des Geschehens, auf dem der Leichnam zu sehen ist. Unter der Überschrift “Ein letzter Schuss traf sein gebrochenes Herz” berichtet “Bild” angebliche Details aus dem Privatleben des Toten und spekuliert über die Motive für die Selbsttötung.

Die Rechtsabteilung der Axel Springer AG sagt, es handele sich bei dem Suizid um ein “zeitgeschichtliches Ereignis”, da der Betroffene Bezirks-Inspektor in Österreich gewesen sei. Mehrere Fotos von ihm seien über das Internet zu erhalten, auf der Titelseite (nicht aber im Innern) habe man das Gesicht mit einem Balken versehen. Auf dem Foto vom Tatort sei der Körper des Toten weitestgehend verdeckt.

Der Presserat rügt “Bild”, weil die Zeitung nicht die bei Selbsttötungen verlangte besondere Zurückhaltung gezeigt habe. Es handele sich nicht um ein Ereignis der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse. Mit ihren Spekulationen über den Freitod habe “Bild” unangemessen sensationell berichtet und keine Rücksicht das Leid der Opfer und die Gefühle der Angehörigen genommen. (Öffentliche Rüge)

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“Bild” berichtet identifizierend über Todesfälle auf Friedhof
Verstoß gegen Ziffer 4 und 8 (BA2-2/05)

Eine 72-jährige Frau bricht am Grab ihres Mannes tot zusammen, ein 75-jähriger herzkranker Zeuge, der zur Hilfe eilt, erliegt kurz danach ebenfalls einem Anfall. “Bild” zeigt das Grab, auf dem der Name deutlich zu lesen ist, und ein teilweise gepixeltes Foto des toten Helfers. Der Sohn der Verstorbenen beschwert sich über “Bild”: Beide Fotos seien ohne Einwilligung der Angehörigen veröffentlicht worden. Der Fotograf habe zudem unter Vorspiegelung falscher Tatsachen versucht, von anderen Dorfbewohnern Fotos zu bekommen.

Nach Angaben der Rechtsabteilung von Axel Springer war der Name auf dem Grabstein versehentlich nicht unkenntlich gemacht worden. Der Fotograf habe aber keine falschen Angaben gemacht. Ein öffentliches Interesse an der ungewöhnlichen Tragödie bestehe fraglos.

Der Presserat rügte “Bild”: Ein Friedhof und die besonderen Umstände begründeten einen besonderen Bereich des privaten Familienlebens, der eines besonderen Schutzes bedürfe. “Bild” hätte so berichten müssen, dass die Opfer nicht zu identifizieren sind, und sich nicht über den ausdrücklichen Wunsch der Familie hinwegsetzen dürfen, keine Fotos zu zeigen. (Nicht-öffentliche Rüge)

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