Suchergebnisse für ‘foto opfer’

Journalismus für Kassenpatienten

Für jemanden, der sich – wie Jacky Gombert für “Bild” – gewöhnlich mit Vermietern herumschlagen muss, die ihre Mieter aus Gier in den Tod sprengen (“Lebenslang für Deutschlands schlimmsten Vermieter: Aus Gier sprengte er 6 Mieter in den Tod”), mit Vätern, die ihre Töchter nach Bosnien entführen und der Mutter zum Muttertag bösartige Fotos schicken (“Der schrecklichste Muttertag: Vater entführt Tochter nach Bosnien und schickt der Mutter jetzt dieses Foto!”), mit erfrorenen Rentnerinnen (“Erfroren, weil im Altenheim niemand die Tür öffnete”) und vergewaltigten Goldfischen (“Frosch vergewaltigt und tötet Goldfisch”, wir berichteten)…

… für so jemanden ist der Fall der Rentnerin Sighild J. vermutlich ein Klacks: Das “Opfer eines bizarren Zahnarzt-Zoffs”, seit sieben Monaten “ohne Zähne”, lässt sich von “Bild” bereitwillig in den Mund fotografieren und rückt auch noch anstandslos ihren “Heil- und Kostenplan” raus, damit “Bild” ihn zeigen kann!

Doch obwohl es in dem Artikel darum geht, dass die Rentnerin “nicht zu viel Geld ausgeben” und ihre Zahnprothese deshalb von “einem Billiganbieter” hatte anfertigen lassen wollen, heißt’s in “Bild”:

“Kosten: 981 Euro, Eigenanteil 781 Euro.” (siehe auch Ausriss)

Na, logo: Steht ja auch da, die Summe: “780,39” – klar und deutlich (zumindest bei Bild.de) auf dem abgebildeten “Heil- und Kostenplan” unter Eigenanteil, ähm, Zuschussfestsetzung.

Und wir können nur hoffen, dass sich jemand wie Jacky Gombert bei verurteilten Vermietern und mutmaßlichen Töchterentführern mehr für die Fakten interessiert.

Mit Dank an Andreas R. und Dr. med. dent. Sabine R.

Presserat missbilligt “Bild”-Berichte

Der Presserat hat aufgrund von Beschwerden von BILDblog zwei “Bild”-Berichte beanstandet.

  • “Bild” zeigte blutenden Tierpfleger

    "Löwe zerfleischt Pfleger"Am 13. Juli 2007 hatte die “Bild”-Zeitung unter der Überschrift “Löwe zerfleischt Pfleger” berichtet, dass ein Mann in Mashad im Iran Opfer eines Löwenangriffs geworden sei (siehe Ausriss) – und auf einer halben Zeitungsseite zum Teil blutige Bilder des Angriffs gezeigt, die aus einem mindestens drei Monate alten Privatvideo stammten (wir berichteten.). Eines der Fotos zeigte den am Boden liegenden Pfleger mit weit aufgerissenen Augen. In der Bildunterzeile hieß es: “Gerade noch rechtzeitig! Der schwer verletzte Pfleger kann vom Notarzt reanimiert werden.”

    Der Presserates sah die gesamte “Bild”-Berichterstattung als “unangemessen sensationell” an. Er monierte insbesondere den Abdruck des Bildes mit dem schwer verletzt und blutend am Boden liegenden Pfleger, weil er so “zum Objekt, zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt” wurde. Indem “Bild” das Foto abdruckte, sei über einen “körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausreichenden Art und Weise” berichtet worden, wie es in Richtlinie 11.1 des Pressekodex heißt.

    Der Axel Springer Verlag hatte argumentiert, dass die Berichterstattung den Lesern die Gefährlichkeit von Raubtieren habe vor Augen führen sollen. Insbesondere, da “in den Medien” häufig der Eindruck erweckt würde, “Wildtiere wie Löwen, Eisbären etc.” seien “possierliche Weggefährten”.

    Diese “grundsätzliche Thematik” allerdings konnte der Presserat nicht erkennen. Selbst wenn es “Bild” darum gegangen wäre, so der Beschwerdeausschuss, hätte “diese Art der Bebilderung” und insbesondere das Bild mit dem am Boden liegenden Pfleger nicht erscheinen müssen.

    Der Presserat erkannte in der “Bild”-Veröffentlichung einen Verstoß gegen Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.
     

  • “Bild” druckte Interview mit Marco W. in Untersuchungshaft

    Laut Presserat hat die “Bild”-Zeitung unlautere Methoden angewandt, als sie am 26. und 27. Juni 2007 ein Interview mit dem 17-jährigen Marco W. abdruckte. Ein “Hurriyet”-Reporter hatte das in “Bild” veröffentlichte Gespräch – ohne Einverständnis seiner Eltern und seines Anwalts – geführt, als Marco W. wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung einer 13-Jährigen in einem türkischen Gefängnis in Untersuchungshaft saß (wir berichteten). Laut Presserat habe sich Marco W. jedoch “in einer seelischen Extremsituation” befunden, und für “Bild” hätte sein Schutzbedürfnis “einem derart detaillierten Interview entgegen gestanden”. Der Presserat:

    Gerade vor dem Hintergrund der politischen Dimension des Falles wäre eine erhöhte Sensibilität erforderlich gewesen. (…) Mit den Aussagen, die er in der Zeitung tätigte, konnte er nicht abschätzen, ob er sich vielleicht damit selbst belastet oder nicht.

    Außerdem hätte “Bild” laut Presserat “die Pflicht gehabt, die Umstände, unter denen das Interview mit dem türkischen Medienkollegen entstand, sorgfältiger zu prüfen”.

    Interessanterweise fühlt sich die “Bild”-Zeitung jedoch eigentlich gar nicht so richtig zuständig für das von ihr gedruckte Interview mit Marco. Schließlich hätte “Bild” in den Berichten doch “mehrfach deutlich herausgestellt”, dass das Interview von einem ‘Hürriyet’-Reporter geführt worden sei. Laut Presserat argumentierte die Axel Springer AG wie folgt:

    Wäre es tatsächlich eine Initiative und ein ausdrücklicher Auftrag von BILD gewesen, dann hätte BILD dies deutlich gemacht und hätte nicht mehrfach darauf verwiesen, dass es sich um einen Journalisten der ‘Hürriyet’ handelt.

    Deshalb sei es “unrichtig”, “dass das Interview mit Marco auf Veranlassung und im Auftrag von BILD geführt worden sei”.

    Das allerdings lässt für uns nur einen Schluss zu:

    "Für BILD war Dursun Gündogdu von der großen türkischen Tageszeitung Hürriyet vor Ort."
     
    A: Springer lügt.

    B: Springer kann nicht lesen.

    Oder C: “Bild” schreibt in einer Sprache, die nur so aussieht wie deutsch (siehe Ausriss).
     
     
     
    Der Presserat erkannte in dem “Bild”-Interview eine Verletzung von Richtlinie 13.3. (Straftaten Jugendlicher) sowie einen Verstoß gegen Ziffer 4 (Grenzen der Recherche) des Pressekodex und sprach eine Missbilligung* aus.

*) Eine Missbilligung durch den Presserat ist für die missbilligte Zeitung folgenlos. Der Presserat “empfiehlt” den Zeitungen allerdings, die Missbilligungen abzudrucken — “als Ausdruck fairer Berichterstattung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet in der Regel auf diesen Ausdruck fairer Berichterstattung.

Unverbesserlich V

Es ist doch eigentlich gar nicht so schwer:

Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. (…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen. Sensationsbedürfnisse allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen.
(Richtlinie 8.1 des Pressekodex)

Zwar könnte man sich bei “Bild” fragen, ob beispielsweise in Fällen, wo eine Mutter ihr Neugeborenes tötet, eine Ausnahme von dieser “Regel” greife (obgleich das Verhältnis von Ausnahme zu Regel bei “Bild” ohnehin eigentümlich ist). Aber der Presserat hat “Bild” die Antwort bereits gegeben: Nein und nochmals nein. Trotzdem zeigt “Bild” regelmäßig Fotos von Frauen, die ihre Kinder getötet haben oder dessen verdächtigt werden (wir berichteten hier und hier).

Auch heute wieder.

Eine 23-Jährige hat offenbar ihr Neugeborenes in der Badewanne ertränkt und versuchte später sich das Leben zu nehmen. Jetzt steht sie vor Gericht. Der “Tagesspiegel” schreibt:

Die junge Frau (…) will von den Fotografen nicht abgelichtet werden. (…) Kopf und Oberkörper versteckt sie unter einer Kapuzenjacke, die sie erst ablegt, als die Fotografen den Saal verlassen.

"Diese Mutter-Hände haben ein Baby ertränkt"“Bild” zeigt ein Foto von ihr, auf dem sie gerade besagte Kapuzenjacke anhebt (siehe Ausriss). Nicht einmal einer der bei “Bild” so beliebten kleinen schwarzen Alibi-Balken verdeckt die Augen der jungen Frau.

Bild.de indes zeigte dasselbe Foto verpixelt – allerdings nur im Text. Auf der Bild.de-Startseite war das unverfremdete Foto der Frau geraume Zeit in einem großen Teaser zu sehen.

Ein Versehen? Offenbar schon.

Inzwischen nämlich ist das Foto der 23-Jährigen auch im Text bei Bild.de nicht mehr verpixelt. Und den Teaser von der Startseite können Bild.de-Leser in einer etwas kleineren Version auf der “News”-Seite begaffen:

Das ist immerhin genau so konsequent wie rücksichtslos.

Mit Dank an die überaus zahlreichen Hinweisgeber.

Allgemein  

Presserat rügt teils frei erfundenen “Bild”-Bericht

Der Presserat hat aufgrund einer Beschwerde von BILDblog eine Rüge gegen die “Bild”-Zeitung ausgesprochen. Der Artikel der “Bild Bremen” (Ausriss rechts) habe gegen das Persönlichkeitsrecht zweier Kinder, das Wahrheitsgebot und die Sorgfaltspflicht verstoßen.

Das Gremium erklärte:

BILD (Bremen) erhielt eine nicht-öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 8, 2 und 1 des Pressekodex. Die Zeitung hatte berichtet, dass zwei Mädchen im Alter von eins und vier Jahren auf Veranlassung ihrer Mutter zur Beschneidung nach Afrika gebracht werden sollten, was aber durch den Vater und einen Polizeieinsatz habe verhindert werden können. Ausschlaggebend für die Rüge war ein beigestelltes Foto, das beide Kinder ungeblendet zeigte. Hierfür gab es nicht die Einwilligung beider Eltern. Die Veröffentlichung dieses Fotos verletzt die Persönlichkeitsrechte der Kinder nach Ziffer 8 des Pressekodex.

Einen Verstoß gegen das Wahrheitsgebot aus Ziffer 1 des Pressekodex sah der Ausschuss zudem im Einstieg des Beitrages, wonach in einer dunklen Hütte in Afrika bereits ein Medizinmann auf die Mädchen gewartet habe. Dies war offenbar frei erfunden.

Die Zeitung verletzte außerdem die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Als Quellen für den Bericht wurden neben der Polizeimeldung und den Aussagen des Vaters nicht auch die Aussagen der Mutter berücksichtigt. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Mutter Beschneidungen ablehnt und ihre Kinder nicht zu diesem Zweck nach Afrika bringen wollte. Der Ausschuss hält es zwar für zulässig, dass die tagesaktuelle Berichterstattung im Wesentlichen auf der Polizeimeldung beruhte. Dies hätte jedoch für den Leser deutlich erkennbar sein müssen.

Aus Opferschutzgründen verzichtete der Ausschuss darauf, die Zeitung zum Abdruck der Rüge zu verpflichten.

Mehr über die gerügte “Bild”-Berichterstattung:

Das Gegenteil von Anonymisieren

Schon oft haben wir hier darüber berichtet, dass die “Bild”-Zeitung wieder und wieder die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt, indem sie ihrem Millionenpublikum Fotos präsentiert, die – irgendwo aufgetrieben – kaum oder gar nicht anonymisiert (mutmaßliche) Täter und Opfer von Straftaten zeigen.

Dabei es ist ja nicht so, dass “Bild” nicht wüsste, dass und wie man anonymisieren muss. Im Gegenteil. Wir zeigen hier mal beispielhaft die gängigsten Versionen:

Neuerdings jedoch benutzt “Bild” beim Herzeigen von Menschen, für deren Herzeigen es keinerlei Notwendigkeit gibt, auch eine neue Art der Nachbearbeitung.

Aktueller Fall: Eine Frau soll vor knapp 20 Jahren drei Babys zur Welt gebracht, möglicherweise nach der Geburt getötet und in der Tiefkühltruhe eingefroren haben. Ihr 18-jähriger Sohn habe die Babyleichen nun durch Zufall entdeckt. Da sei die Frau zur Polizei gegangen und festgenommen worden. Sie befinde sich in psychiatrischer Behandlung. Aus Ermittlerkreisen heißt, die Tat sei “im Grunde aufgeklärt” – evtl. sogar verjährt.

Und “Bild” hat ein Foto der Frau. Seit gestern vormittag zeigt sie es online. Als Quelle wird der “Bild”-Fotograf Stefano Laura genannt. Nachdem er das Exklusiv-Foto offenbar bei Nachbarn/Freunden/Verwandten beschafft hatte (auch das gehört zu den Aufgaben von “Bild”-Fotografen), war die “Bild”-Redaktion am Zug, musste entscheiden, ob sie die Abgebildete bei der Veröffentlichung unkenntlich macht oder nicht. Und entschied mal wieder: nicht.

Irgendwann im Laufe des Tages jedoch kam jemand bei “Bild” auf die Idee, das Foto auf Bild.de doch noch einmal grafisch nachbearbeiten zu lassen. Das Ergebnis wollen wir nicht zeigen, nur die Methode:

Die Nachbearbeitung fand also offensichtlich nicht aus Menschlichkeit statt, sondern aus unternehmerischem Kalkül: Wer das Foto aus dem Online-Angebot von “Bild” klaut benutzt, zeigt auch gleich die Quelle.

Immerhin: Wir haben verstanden und empfehlen daher allen, die unbedingt private Fotos von sich online stellen wollen, dies:

Mit Dank an die Hinweisgeber – und Philipp Neuhaus fürs Symbolfoto.

P.S.: Die gedruckte “Bild” zeigt das Foto der Frau auf der Titelseite und noch einmal groß im Artikel.

“Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach?”

Es sind aufregende Tage für “Bild”-Reporter Sebastian Rösener und seine Kollegen aus Bremen. Nicht nur die Polizei, auch “Bild” sucht diejenigen, die vor zwei Wochen durch den Wurf eines Holzklotzes von einer Autobahnbrücke eine Frau töteten. Einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise der “Bild”-Leute gibt der folgende Bericht, den uns Manuela, eine Mutter, geschickt hat:

Tja, das “Hilfe, ich bin in ‘Bild'” habe ich ein klitzekleines bisschen zu spät gelesen… da hatte sich “Hallo, hier ist Sebastian…” schon wieder bei meiner Tochter gemeldet.

Gegriffen hat er sich das Mädel am Tag nach dem Holzklotzwurf auf der A29, als sie mit unseren Hunden unterwegs war — wir wohnen dort. Nicht auf der A 29, aber daneben und ungefähr 500 Meter Fluglinie vom ursprünglichen Einschlagsort entfernt…

Marie kam nach Hause an dem Tag: “Ich muss unbedingt sofort Fynn anrufen…” Ich habe gefragt, wieso, und sie erzählte mir, dass Reporter sie ausgequetscht hatten. Erst wusste sie nicht mal, von welcher Zeitung (oder mochte mir das nicht sagen, kann auch sein). War aber schon zu spät, weil sie nämlich auf Jens [Name von uns geändert] hingewiesen hatte. Nach einer Erklärung, was ich davon halte und dass gerade die Blödzeitung nicht grad zur Aufklärung beiträgt, hat sie das auch schnell verstanden, Fynn wurde nicht angerufen.

Am nächsten Tag hat Marie (15 und blond) die Zeitung gekauft und sich den Artikel durchgelesen… Fand sie erst nicht schlimm, aber als ich ihr dann ein paar Sachen erklärt habe, hat sie es so langsam begriffen, das da ziemlich viel verkehrt läuft.

Jens, mittlerweile auch Telefonopfer von “Sebastian von der ‘Bild’-Zeitung”, hat recht schnell die Nase voll gehabt und beschlossen, nichts mehr mit “Bild” zu tun haben zu wollen.

Tja, dann kam das Fahndungsfoto raus — und sofort klingelte abends um kurz vor zehn nicht nur das Handy meiner Tochter, nein, auch Jens wurde wieder belästigt. “Bist du noch ein ganz kleines bisschen wach? Dann würde ich vorbei kommen und dir das Bild zeigen!” Jens gab an, Kopfschmerzen zu haben, und so wurde ihm das Fahndungsbild am Telefon geschildert. Jens hat aber dazu nichts mehr gesagt.

Als Marie von “Sebastian” angerufen wurde, hat sie ihn an mich verwiesen und mir das Handy gegeben. Und es war echt ein klasse Gespräch, ich wusste gar nicht, das Reporter so dermaßen arme Socken sein können, zu blöd, um zu kapieren, dass die Aufklärung der Straftat eine Sache der Polizei ist und sachdienliche Hinweise viel besser bei Herrn Weiß oder Herrn Krüder, dem Kontaktpolizisten von Maries Schule aufgehoben sind. Dann wollte man mir sachliche und faire Berichterstattung weis machen — und mit Herrn Wagner nichts zu tun haben. “Der sitzt in Berlin, mit dem haben wir nichts zu tun, WIR sind sachlich und objektiv!” Soso, warum dann die gezielte Wortwahl im Artikel, konnte er mir auch nicht erklären. Dumm gelaufen.

Ob ich denn die letzten Tage die “Bild”-Zeitung gekauft hätte — nein habe ich nicht. “Wie schade! Da hätten Sie mal sehen können, wie sachlich wir berichtet haben!” Jupp…

Gestern musste ich dann Marie wegen Kopfschmerzen von der Schule abholen, und nachdem ich wegen eines Fernsehteams vor der Schule quasi eine Vollbremsung hingelegt habe, um denen nicht durchs Bild zu fahren, stand an der Bushaltestelle ein rotbrauner alter Kombi, Ford oder so mit Bremer Kennzeichen. Meine Tochter: “Das sind die ‘Bild’-Reporter!”, und man sah auch einige sehr glückliche Mädels mit irgendwelchen Blättern vom Auto weggehen…

Hm, irgendwie war ich etwas schusselig, ich hätte den Wagen fotografieren sollen. Da der sicherlich nicht das letzte Mal dort auftaucht, werde ich Marie und friends bitten, das zu tun. Die nächste Schülerzeitung kommt bestimmt — und dann könnte man ja in “Bild”-Manier über die “Bild” berichten… ich schreibe auch gerne einen Gastkommentar…

  

“‘Richter Gnadenlos’ spricht Klartext”

Dies ist die Geschichte, wie “Bild” den umstrittenen Hamburger Amtsrichter Ronald Schill zum Hoffnungsträger hochschrieb, der mit seiner Partei bei der Bürgerschaftswahl 2001 schließlich fast 20 Prozent der Stimmen bekam. Und es ist die Geschichte von der außerordentlichen Nähe eines “Bild”-Redakteurs zu Schill und seinen Leuten.

Ungefähr ab 1996 taucht Ronald Schill in den Medien auf. Seine Urteile sind spektakulär — vor allem, weil sie so hart sind, dass die Staatsanwaltschaft immer wieder Berufung zugunsten der Angeklagten einlegt. Für Aufsehen sorgt vor allem, als er eine psychisch labile Frau, die zehn Autos zerkratzt hat, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. “Bild” berichtet zunächst relativ distanziert und unparteiisch.

1997 ist die Sympathie unverkennbar. “Urteilen deutsche Richter zu milde?”, fragt “Bild” am 22. August und erwähnt Ronald Schill als positives Gegenbeispiel. Vier Tage später lautet die rhetorische Frage von “Bild” schon: “Richter Gnadenlos — brauchen wir mehr von seiner Sorte?”

Redakteur Matthias S. wird offenbar von 1999 an langsam zum Schill-Beauftragten von “Bild”. “Der harte Richter Schill — Was ist das eigentlich für ein Mann?” fragt er am 21. Mai. Anlass ist, dass Schill einen nicht vorbestraften Pflegehelfer zu 15 Monaten Haft verurteilt, der mit 20 anderen “Linksautonomen” die Herausgabe eines Ausweises von zwei Polizisten gefordert hat. “Bild” berichtet zwar ausführlich über die Kritik an diesem Urteil, schreibt aber auch: “In der Bevölkerung ist Schill dagegen beliebt” und zitiert drei Bürger, die glücklich sind über das Durchgreifen gegenüber den “Chaoten” und “Krawallbrüdern”.

Ein typischer Schill-Gerichts-Bericht in “Bild” liest sich so wie dieser Artikel von Matthias S. und einer Kollegin vom 11. Juni 1999:

Der Staatsanwalt forderte zwei Jahre mit Bewährung, der Angeklagte atmete auf. Auf soviel Milde hatte Klaus B. (23) aus Dulsberg nicht zu hoffen gewagt. Schwere Brandstiftung — kein Kavaliersdelikt, seit fünf Monaten sitzt der Soldat in U-Haft. Aber mit seiner Entlassung wurde es trotzdem nichts. Denn das letzte Wort hat nicht der Staatsanwalt, sondern der Richter.

Und der hieß in diesem Fall Ronald Schill (40).

Schills Urteil: vier Jahre Haft — mehr darf ein Amtsrichter nicht verhängen.

Ein Jahr später — der Richter ist inzwischen versetzt worden — berichtet Matthias S. in “Bild” über Schills Pläne, eine eigene Partei zu gründen. Sein Programm fasst “Bild” so zusammen:

Mehr Sicherheit für alle, weg mit der Arroganz der Macht. Schluss mit der autofeindlichen Politik, her mit dem Transrapid, selbst wenn Hamburg dafür zwei Milliarden lockermachen muß. Dafür Verzicht auf die Straßenbahn und neue Gefängnisse.

Wenige Tage nach der Parteigründung erklärt Schill in “Bild”, in Hamburg herrschten “Zustände wie in Palermo oder im Chicago der 20er Jahre” und “Ganz Europa lacht über die Zustände in dieser Stadt”. Die Zeitung wertet das so: “‘Richter Gnadenlos’ spricht in BILD-Hamburg Klartext”.

“Bild” steht ihm treu zur Seite, auch als die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Schill erhebt:

Rechtsbeugung? Freiheitsberaubung? Da gibt es einen, der die öffentliche Ordnung wiederherstellen wollte. Richter Ronald Schill.

Und “Bild”-Redakteur Christian Kersting kommentiert einen Tag später:

Schill trifft mit seiner Kritik an Hamburgs Innen-, Justizund Ausländerpolitik den Nerv vieler Bürger. Ihn deshalb in die rechte Ecke zu stellen wäre zu billig. (…)

In der Bevölkerung wächst das Unverständnis darüber, dass vor den Gerichten die Täter häufig mehr Verständnis finden als die Opfer. Vor allem, wenn es um Jungkriminelle geht.

In der Bevölkerungwächst das Unverständnis darüber, dass ausländische Verbrecher ihre Händel immer öfter auf offener Straße mit Waffengewalt austragen. Die Polizei scheint machtlos.

Richter Schill spricht diese Sorgen der Menschen an, verspricht Abhilfe.

Am 1. Juli 2001, knapp drei Monate vor der Wahl, stellt Matthias S. in “Bild” vier “Sympathisanten” Schills vor, allesamt offenbar ehrenwerte Männer, die Sätze sagen wie der Kaufmann Franz-Joseph Underberg: “Wir wollen ein CSU-Programm in Hamburg, ohne Rechtsradikale anzusprechen.”

Die nächsten Monate sind keine guten für Schill und seine neue Partei — und auch in “Bild” finden sich ausführliche Berichte zum Beispiel über den Prozess gegen ihn, an dessen Ende er wegen Rechtsbeugung zu 12.000 Mark Strafe verurteilt wird — ein Urteil, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Aber schon unmittelbar danach ist der Parteichef für “Bild” wieder glaubwürdiger Zeuge und Experte für Kriminalität und diverse andere Themen und kommt regelmäßig zu Wort. In “Bild” wirkt sein Populismus wie die Stimme der Vernunft.

Als sich im Juni 2001 abzeichnet, dass der Bundesgerichtshof das Urteil gegen Ronald Schill kippen wird, feiert “Bild”-Redakteur Matthias S.:

Richter Schill triumphiert über Hamburger Justiz

Rechtsbeugung? Generalbundesanwalt fordert Freispruch! Amtsrichter Ronald Schill steht vor seinem bisher größten Sieg. Seine Verurteilung wegen Rechtsbeugung (120 Tagessätze a 100 Mark) wird beim Bundesgerichtshof mit Pauken und Trompeten durchfallen. (…) Ein vernichtenderes Urteil hätte es für Hamburgs Justiz kaum setzen können.

Im Rahmen einer Serie “Hamburger Spitzen-Kandidaten privat” besucht Matthias S. den Kandidaten Schill zuhause:

(…) Ein häuslicher Typ war er eigentlich nie. Immer auf Achse. Früher im Gericht und in der Stadt. Nun der Wahlkampfstress. “Das ist auch finanziell ein Problem”, gibt er offen zu. “Seit Mai lebe ich von meinen Ersparnissen, habe unbezahlten Urlaub genommen. Die Miete zahlt Katrin.” In die Stadt fährt er meistens per U-Bahn, manchmal auf mit seinem 20 Jahre alten Matra-Simca. Einkaufen geht er bei Aldi.

Kochen allerdings ist nicht sein Ding. “Ich gab ihm einmal eine Kartoffel zum Schälen”, sagt Katrin Freund. “Das war ein Fiasko.” Also brutzelt sie für ihn, am liebsten Paella. Leibgetränk ist für den Ur- Hamburger (kam im UKE zur Welt) ein kühles Bier. (…)

“Gerne”, sagt er, “wäre ich Strafrichter geblieben. Politik hielt ich immer für ein schmutziges Geschäft.”

Warum gründete er dann eine Partei?

“Weil die Zustände in der Stadt so schlimm wurden.”

Ist er ein Selbstdarsteller?

“Ganz und gar nicht. Ich könnte mir vorstellen, mich wieder aus der Politik zurückzuziehen, sobald die Stadt wieder sicher ist.”

Als Schill dann auf Anhieb sensationelle knapp 20 Prozent der Stimmen bekommt, erklärt Matthias S. den Erfolg in “Bild” so:

Die Würde seines Amtes und seine klare Sprache über die Zustände der Stadt haben in der Stadt den Nerv getroffen.

(…) Braun gebrannt, schlank, Frauentyp – und Kämpfer. Er geht zur CDU, bietet Zusammenarbeit an, redet mit der STATT-Partei. Sie alle winken ab. Schill hat glasklare Vorstellungen und will sie durchsetzen. (…)

Und Schill legt sich mit seinen Gegnern an. Er zieht vor den BGH, als man ihn in Hamburg wegen Rechtsbeugung verurteilt, und erreicht die Aufhebung des Urteils. Er wettert gebetsmühlenartig gegen Rot-Grün, die Kriminalität, gegen die der Senat nichts tut. Und wird auf grausame Weise durch die Terroranschläge [vom 11. September] bestätigt. Plötzlich wird Hamburg zur Drehscheibe des Weltterrorismus.

Gestern um 14 Uhr im Wahllokal umringen ihn 30 Fotografen. Auch die, die ihn anfangs als Spinner verlachten.

Schon am nächsten Tag meldet “Bild” voreilig: “Bürgerblock steht” — damit ist die von “Bild” Hamburg angestrebte Koalition aus CDU, FDP und Schill-Partei gemeint. Die Zeitung kann es nicht erwarten, dass der Rechtspopulist endlich an die Macht kommt. Drei Tage nach der Wahl fragt Matthias S. in “Bild”:

Warum verzögert die FDP den Senatswechsel?

Während ganz Hamburg auf den Wachwechsel im Rathaus wartet, wollen sich die Liberalen mit der Regierungsbildung richtig Zeit lassen — Schnecken-Tempo bei FDP-Chef Rudolf Lang(e)sam! (…)

Die “innere Wahrheit”, so vermuten informierte Rathaus-Kreise, geht so: Die Polit-Neulinge aus der FDP haben Angst, von den CDU-Profis und Schill überfahren zu werden.

Am folgenden Tag legt “Bild” nach. Weil der FDP-Chef erklärt, Schill sei als Senator “nicht tragbar”, falls er rechtskräftig wegen Rechtsbeugung verurteilt werde, staunen Matthias S. und Christian Kersting:

Nanu! FDP rückt von Schill ab (…)

Erst verzögert FDP-Chef Lange die Koalitionsverhandlungen (BILD von gestern). Jetzt rückt er auch noch von seinem neuen Partner Schill ab und stellt Forderungen. Was spielt Lange da für ein Spiel?

Es kommt schließlich zur Koalition, Schill wird Minister, und “Bild” feiert schon zwei Monate später den “ersten großen Erfolg für Innensenator Ronald Schill”: “20 Polizisten als Soforthilfe!”, leihweise aus Bayern.

Als Anfang 2002 die Drogen-Gerüchte um Schill nicht verstummen wollen, ist die Interpretation von “Bild” unmissverständlich — fast möchte man sagen: vorbildlich, angesichts der sonst üblichen Vorverurteilungen durch “Bild”. “Bild”-Redakteur Matthias S. und eine Kollegin schreiben:

Was läuft da für ein schmutziges Spiel um Ronald Schill? Der ehemalige Justizsenator und jetzige Bundesverfassungsrichter Prof. Wolfgang Hoffmann-Riem hat den Innensenator in einem offenen Brief dazu aufgefordert, sich öffentlich zu Kokain-Vorwürfen zu äußern. Schill erklärte daraufhin ganz klar: “Ich habe niemals Kokain genommen.”

Der schmutzige Spieler scheint für “Bild” der Bundesverfassungsrichter zu sein.

Es folgt die inzwischen berüchtigte Episode mit Schills Drogentest, dessen Ergebnis “Bild” zu einem Beweis dafür verfälscht, dass der Richter “nie” Drogen genommen habe (BILDblog berichtete). Konsequenterweise beginnt die Zeitung nun eine Kampagne gegen Schills Kritiker. Autor fast all dieser Artikel: Matthias S.

Ende 2002 nimmt die Geschichte eine interessante Wendung. Die “Hamburger Morgenpost” berichtet, dass die Ehefrau von Matthias S. unerwartet eine Stelle in der Hamburger Justizbehörde bekommen habe — obwohl sie nicht über die nötigen Erfahrungen verfüge. CDU-Justizminister Roger Kusch habe sogar ihre Ernennung zur Richterin vorgeschlagen, was der Richterwahlausschuss ablehnte: Sie werde den Anforderungen offenkundig nicht gerecht. Die “taz” titelt: “Gefälligkeitsdeal für wohlgesonnenen ‘Bild’-Reporter”. Die SPD behauptet, beweisen zu können, dass Frau S. die Stelle nach einer Absprache zwischen ihrem Mann und dem Justizsenator bekommen hat. Der “Bild”-Redakteur habe sich in einer Mail an den Justizsenator darüber beschwert, dass sich das Bewerbungsverfahren so lange hinziehe, obwohl längst abgemacht sei, dass seine Frau die Stelle bekommen sollte.

“BILD berichtet nicht über üble Gerüchte”

“taz”-Interview mit dem “Bild”-Lokalchef Peter Huth, 11. Januar 2003:

(…) Warum hat die BILD [über die Vorwürfe gegen S. und den CDU-Senator] bis heute nicht berichtet?
BILD berichtet über Fakten und nicht über üble Gerüchte und böswillige Unterstellungen. Für uns gilt als erwiesen, dass die Unterstellungen gegen unseren Reporter haltlos sind.

Beim Thema Filz in Hamburg hat BILD an anderer Stelle sehr ausführlich und wiederholt berichtet. Jetzt halten Sie sich auffallend zurück. Worin liegt der Unterschied zu dem aktuellen Fall?
Noch einmal: Man kann nur über Filz berichten, wo es Filz gibt. Im vorliegenden Fall kann davon keine Rede sein.

Die Nähe des Reporters [Matthias S.] zu Mitgliedern dieses Senats ist unter den Rathausjournalisten seit längerem ein Thema. Er soll ja auch mal als Pressesprecher der Schill-Partei im Gespräch gewesen sein. Wie beurteilen Sie diese journalistische Nähe?
BILD-Reporter verfügen im allgemeinen über ausgezeichnete Kontakte zu Politikern aller Couleur. Dass dieses Vertrauensverhältnis von vielen Kollegen neidisch begutachtet wird, ist uns nicht neu.

Wie würden Sie das Verhältnis der BILD-Zeitung zu diesem Senat beschreiben?
Das Verhältnis von BILD zum Senat ergibt sich — wie bei jeder guten Zeitung — aus der Verpflichtung gegenüber dem Leser. BILD berichtet sorgfältig, unabhängig und wahrheitsgemäß über die Geschehnisse im Rathaus — egal, wer und welche Partei dort regiert.

Hat sich BILD aus rein journalistischer Sicht über den Regierungswechsel in Hamburg gefreut?
Der Regierungswechsel ist das Ergebnis einer freien Wahl der Hamburger Bürger. Es wäre mehr als zynisch, diesen aufgrund von journalistischen Kriterien zu bewerten.

Die “Bild”-Zeitung berichtet zunächst gar nicht über die Vorwürfe gegen ihren Redakteur (siehe Kasten). Als sie es endlich doch tut, lautet die Überschrift: “Kusch räumt mit Filzvorwürfen auf”.

Der Fall S. wird einer der Anlässe, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss “Schwarzer Filz” einzuberufen. Und seine engen Beziehungen zum Senat und der Schill-Partei zeigen sich laut “taz” auch an anderer Stelle: Er zitiert in “Bild” aus internen Ermittlungsakten gegen einen SPD-Sprecher, bevor dessen Anwalt sie überhaupt zu sehen bekommt. Der Staatsrat und Schill-Freund Walter Wellinghausen, der für die Ermittlungen zuständig ist und später wegen mehrere Affären zurücktreten muss, räumt schließlich ein, mit Matthias S. über das Thema gesprochen zu haben — die Opposition spricht von “Geheimnisverrat”.

Zum Verhängnis wird Matthias S. schließlich ein Wochenendtrip mit Peter Rehaag, dem Umweltsenator der Schill-Partei. Gemeinsam mit ihren Begleiterinnen fliegen sie im September 2003 nach Italien. “Als Spezialist in Sachen Schill hatte [Matthias S.] in der ‘Bild’ zuvor regelmäßig wohlwollend über Rehaag berichtet”, schreibt der “Spiegel”, “etwa über dessen heroischen Kampf zur Trockenlegung versumpfter Alsterwiesen oder über Rehaags Drogenpolitik.” Gut zwei Wochen, nachdem die “taz” den gemeinsamen Ausflug öffentlich gemacht hatte, stellt Springer Matthias S. “mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres von seiner Arbeit frei”. Er habe seine Vorgesetzten nicht über die Reise informiert — was den “journalistischen Leitlinien” des Verlages widerspreche.

Matthias S. bleibt nicht lange arbeitslos. Schon im Frühjahr 2004 taucht sein Name wieder in den Zeitungen auf: als Sprecher von Firmen von Ulrich Marseille. Marseille, der den gleichnamigen Klinikkonzern gründete, war 2002 Spitzenkandidat der Schill-Partei in Sachsen-Anhalt. 2003 flog Ronald Schill in seinem Privatflugzeug nach München, um seine Haarprobe für den Drogentest abzugeben.

Ein Schlag ins Gesicht

Wenn ein Medium “exklusiv” über ein Thema berichtet, kann das im Wesentlichen zwei Gründe haben: entweder die Redakteure nutzen einen Wissensvorsprung gegenüber der Konkurrenz, oder sie erzählen eine Geschichte, die sich so nie ereignet hat.

Am 5. Dezember 2007 berichtete “Bild” exklusiv und bundesweit, der Eintracht-Frankfurt-Stürmer Ioannis Amanatidis habe eine Frau geohrfeigt, die ihm mit ihrem Auto den Weg versperrt habe — stilecht begleitet von einem Foto der Frau, die sich die “schmerzende Wange” hält. Am nächsten Tag legte “Bild” Frankfurt ausgiebig nach, sprach noch mal mit dem angeblichen Opfer (wieder inklusive Wangen-Foto), ließ einen “1. Zeugen” “sprechen”, der allerdings nichts von einer Ohrfeige berichtete, wies auf Amanatidis’ Position als Botschafter des hessischen Landespräventionsrates hin, ließ aber immerhin auch den Beschuldigten selbst zu Wort kommen:

Amanatidis erhebt schwere Vorwürfe gegen die Frau: “Es haben sich wieder einmal Leute bei mir gemeldet, die mit dieser Frau ähnliche Vorfälle erlebt haben. So etwas hat sie wohl nicht zum ersten Mal abgezogen.” Er fürchtet offenbar, dass er mit Schmerzensgeld abgezockt werden soll.

Amanatidis’ Version

“Kurz bevor später die Polizei kam, trat die Frau nochmals auf mich zu und sagte dann, nachdem sie mich wohl erkannt hatte, dass sie der Polizei sagen werde, dass ich sie eine Hure genannt hätte. Dann schlug sie sich selbst mit der eigenen Hand ins Gesicht und sagte mir, sie werde der Polizei angeben, dass ich sie geschlagen hätte. Ich hatte so etwas bislang nur in einem Film gesehen und war fassungslos.”
“Frankfurter Neue Presse”, 7.12.2007

Als die “Frankfurter Rundschau” (FR) ebenfalls am 6. Dezember über die Anschuldigungen gegen den Fußballer berichtete, tat sie dies unter Berufung auf “Bild” auch mit folgendem Satz:

“Als ich meinen Vater schützen wollte, hat er mir mit der vollen Handfläche auf die linke Gesichtshälfte geschlagen”, berichtete die Frau, die dafür persönlich am Dienstagabend die Frankfurt-Redaktion des Boulevardblattes aufsuchte (und ein Leserhonorar einstrich).

Und in einem Interview zitierte die “FR” den griechischen Nationalspieler so:

Ich bin sauer auf dieses Schmuddelblatt (gemeint ist die Bild-Zeitung, Anm. d. Red.), das diesen Scheißdreck in die Welt setzt.

Gestern nun hat die Frankfurter Amtsanwaltschaft das Verfahren gegen Amanatidis eingestellt und ein neues “wegen des Verdachts der falschen Anschuldigung sowie Beleidigung” gegen das angebliche Opfer und ihre Begleiter eingeleitet.

Und die “FR” fügt hinzu:

Der Fall war seinerzeit von der Bild-Zeitung enorm hochgespielt worden. Gerüchte, dass die Frau für ihre Behauptungen möglicherweise bezahlt wurde, wollte die Amtsanwaltschaft nicht kommentieren.

Die “Bild”-Zeitung selbst berichtet heute online und offenbar in ihrer Frankfurter Ausgabe über die Einstellung des Verfahrens — nicht aber, wie bei der Verbreitung der unbewiesenen Vorwürfe, bundesweit. Und bei der Formulierung für die Gründe gibt es interessante Unterschiede:

“Frankfurter Rundschau” “Bild” Frankfurt
Der 26-jährige Amanatidis hatte den Streit eingeräumt, die Ohrfeige aber bestritten. Diese Aussage wurde auch von sämtlichen befragten Zeugen vor Gericht bestätigt. Daraufhin hatte die Frau Anzeige wegen Körperverletzung und Nötigung erstattet. Doch für den Schlag fanden sich keine Zeugen. Ihre Familienangehörigen, die mit im Auto saßen, waren nicht als Zeugen zugelassen.

Auf die Frage, ob es “klug” sei, sich mit “Bild” anzulegen, sagte Amanatidis im Dezember übrigens zur “FR”:

Das ist mir doch egal. Ich habe keine Angst vor diesen Leuten. Was will man erwarten von einem Blatt, das im Großen und Ganzen nur Dreck schreibt und so einer Person so viel Aufmerksamkeit schenkt.

Mit Dank an Johannes B., Tobias R., Florian Z., Arndt P., Henning K. und Markus für die Hinweise damals und jetzt.

Germany’s Next Toplessmodel (4)

“Für die ‘Bild’-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr
im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr
im Aufzug nach unten. Diese Entscheidung muss
jeder für sich selbst treffen.”
(Springer-Chef Mathias Döpfner im “Spiegel” 25/2006)

Sparen wir uns heute mal die Vorgeschichte und zitieren, was (und wie) man bei “Bild” inzwischen über die “Gemany’s Next Topmodel”-Kandidatin Aline berichtet:

"Egal, ob sie wegen ihrer harmlosen Nackedei-Fotos aus Heidi Klums Pro-7-Show fliegen wird oder nicht (BILD berichtete): Aline [ist] auf dem besten Weg, ein neues deutsches Top-Model zu werden!"

Erstaunlich, wie da ein Titelschlagzeilen- und Titelseiten-tauglicher “Nackt-Skandal” (“Bild”) und die “eindeutigen Sex-Posen” (“Bild”) plötzlich zu “harmlosen Nackedei-Fotos” werden, nicht wahr? (Erstaunlich auch, dass sich das offensichtliche Zurückrudern mit den Worten “BILD berichtete” zusammenfassen lässt.) Aber erfahrungsgemäß richtet sich die Art der Berichterstattung in “Bild” gern danach, wie willfährig sich das Opfer Objekt der Berichterstattung zeigt.

Und wenn es stimmt, was wir erfahren haben und sich Aline nach der fehlerhaften, irreführenden und überflüssigen Berichterstattung über ihre “harmlosen Nackedei-Fotos” tatsächlich mit ihrem Anwalt entschieden hat, nicht gegen “Bild” vorzugehen, sondern mit “Bild” zu kooperieren, ist das bestimmt total klug von ihr. Denn, so Aline (20): “Als Model ist es doch mit 25 Jahren vorbei.”

Und Top-Model “Nackt-Model” Micaela Schäfer z.B., mit der “Bild” jahrelang Aufzug fuhr, wird schließlich auch nicht jünger.

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237 Gründe, Sex zu haben
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Im Internetjournalismus geht es vor allem um Klicks. Je mehr Sex, Quiz oder Bilder, desto höher die Quote. Was aber zählt Qualität?

Rendite auf Kosten der journalistischen Qualität
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Die Börse hat erfreut auf die Ankündigung von Stellenstreichungen bei der “New York Times” reagiert: Der Kurs ging nach oben. Kritiker sehen die journalistische Qualität der Zeitung in Gefahr, wenn die Interessen der Anleger im Vordergrund stehen.

“Wir werden alle töten”
(faz.net, Christoph Gunkel)
Der Haussender der Hamas zeigt in der Kindersendung “Pioniere von morgen” Plüschtiere, die den Märtyrertod sterben. Über die Folgen der Hasspropaganda muss man sich keine Illusionen machen.

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Ein Auto rammen, um ein Foto von Lindsay Lohan zu ergattern? Paparazzi waren noch nie zimperlich. Doch die Methoden, mit denen sie ihre Opfer heute zur Strecke bringen, sind neu.

“Im Hause Ringier gibt es keine Strategien”
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Karl Lüönd, einer der erfahrensten Schweizer Journalisten, hat in diesen Tagen die viel beachtete Unternehmensdokumentation ?Ringier bei den Leuten? veröffentlicht. Im Gespräch mit “persönlich rot” spricht er über die Erkenntnisse, die er durch seine Recherchen gewonnen hat. Zudem trauert der Vollblutjournalist dem Verschwinden des klassischen Reporters nach.

Der beste Freund: Das Tagebuch
(drs.ch, Audio, Dialekt, 72:27 Minuten)
Was macht das persönliche Logbuch so faszinierend? Welche Wirkung hat es, Erlebtes auf Papier zu bringen und wie öffentlich sollen oder dürfen Tagebucheinträge sein? Was wenn die persönlichen Zeilen in falsche Hände geraten? Simone Hulliger diskutiert Geschichte, Wirkung und Zukunft von Tagebüchern mit Forschern, Prominenten und Menschen wie du und ich.

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