Suchergebnisse für ‘focus’

Bündnis gegen missbräuchliche Klagen, Laschets Bilder, Sommerloch

1. SLAPPs: Zivilgesellschaftliches Bündnis warnt vor Gefahren für Rechtsstaat und Demokratie
(dju.verdi.de)
Ein breites Bündnis aus Medienorganisationen und NGOs hat sich an die medien- und rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der demokratischen Parteien im Bundestag gewandt, um auf die wachsende Bedrohung öffentlicher Partizipation durch sogenannte SLAPPs aufmerksam zu machen. Die Abkürzung SLAPP leitet sich aus dem Englischen ab und steht für “strategic lawsuit against public participation”, also “Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung”, und lehnt sich an das Wort “slap” an (Ohrfeige, Schlag ins Gesicht). Primäres Ziel der strategischen und oftmals als missbräuchlich empfundenen Klagen sei nach Einschätzung des Bündnisses, Kritikerinnen und Kritiker einzuschüchtern und aus der Öffentlichkeit zu drängen. Dies stelle eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie dar.

2. Ein Bild von einem Kandidaten
(uebermedien.de, Hendrik Wieduwilt)
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet gibt in der Öffentlichkeit nicht immer ein gutes Bild ab, und das ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen. Wiederholt fällt er durch unglückliche Bildbotschaften auf, ob mit falsch aufgesetzter Gesichtsmaske, unpassendem Schuhwerk im Katastrophengebiet, den Händen in den Taschen, mitten in Müllbergen oder im Hintergrund vergnügt kichernd, während der Bundespräsident zu den von der Flutkatastrophe heimgesuchten Menschen spricht. Wie wichtig sind derlei Medien-Pannen und öffentlich transportierte Tollpatschigkeiten? Hendrik Wieduwilt kommentiert: “Laschet möchte einer der mächtigsten Männer des Globus werden. In einer medialisierten Welt ist die Frage, warum er ständig durch die Szenerie stolpert wie ein Schulpraktikant durch eine Uhrenwerkstatt, relevant – und das Internet ist zudem groß genug für mehr als ein Thema. Offenbar hat niemand aus seinem Umfeld den nicht eben unerfahrenen Politiker beiseite genommen und gesagt, Armin, diese Kanzlersache geht vermutlich mit ein bisschen Medienaufmerksamkeit einher, achte da mal drauf. Vielleicht hat Laschet auch einfach besonders gemütlich geantwortet, dass ihm sowas egal sei, er sei Armin Laschet.”

3. Ewige Suche nach dem B-Sager
(taz.de, René Martens)
René Martens denkt über gelingenden Wissenschaftsjournalismus nach und hat dazu nicht nur einen Reader des Bildungs- und Forschungsministeriums gelesen, sondern auch mit Experten und Expertinnen gesprochen. Am Ende steht bei ihm eine Erkenntnis: “Die Voraussetzung dafür, dass der Wissenschaftsjournalismus den Journalismus in Gänze befruchten kann, wäre, dass sich Redaktionen zumindest teilweise von ihrer bisherigen Reichweitenstrategie verabschieden. Nachrichten- und Po­li­tik­jour­na­lis­t:in­nen müssten dem Druck widerstehen, alles ganz schnell in die Info-Stratosphäre zu pusten, weil die anderen es auch tun. Um es pathetischer oder eben mit Kant zu sagen: Sie bräuchten den Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.”

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4. Stichtag Freitag: Kommt die Fusion von RTL und G+J?
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Am morgigen Freitag veröffentlicht die RTL Group ihre Geschäftszahlen für das zweite Quartal. Dann wird es wohl auch Informationen über die mögliche Fusion zwischen der Mediengruppe RTL Deutschland und dem Medienhaus Gruner + Jahr geben.

5. Ranking: Die Frauenmachtanteile bei deutschen Leitmedien 2021
(kress.de, Marc Bartl)
Nach der neuen “Leitmedienzählung” von ProQuote erreiche die “taz” einen “Frauenmachtanteil” von 56,3 Prozent, doch wie sieht es bei “Stern”, “Zeit”, “SZ”, “Spiegel”, “Bild”, “Focus”, “Welt” und “FAZ” aus? Marc Bartl fasst zusammen, wie es um die Frauenanteile in journalistischen Führungspositionen laut ProQuote bestellt ist.

6. Sachen gibt’s
(kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Das berühmt-berüchtigte Sommerloch sorgt Jahr für Jahr dafür, dass wir in den Genuss von allerlei läppischen oder skurrilen Meldungen kommen. Anna Hunger hat sich ein paar besonders schöne Sommer-News herausgesucht. Es geht um den Schnitz-Hitler aus Weil im Schönbuch, ein vermeintliches Wollmammut im Fluss und einen Baggerfahrer mit ordentlich Wut in der Schaufel.

Politmagazine seltener?, “Bild” und “Welt” verlieren, Kino-Status

1. ARD-Intendanten überlegen, seltener Politmagazine auszustrahlen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Nach Informationen von “Übermedien” überlege die ARD, ihre Politmagazine vom kommenden Jahr an seltener auszustrahlen. Das würde Sendungen wie “Panorama”, “Monitor”, “Kontraste”, “Fakt”, “Report Mainz” und “Report München” betreffen. Stefan Niggemeier hat sich umgehört, womit dieser mögliche Schritt begründet wird, und fragt: “Geht es wirklich darum, nach zeitgemäßen Formaten für die digitale Welt zu suchen, oder will man auch lästige Redaktionen zurechtstutzen?”

2. AWA 2021: “Sport Bild”, “Focus” und “Bunte” die größten von vielen Verlierern
(meedia.de, Jens Schröder)
Die aktuelle Markt- und Werbeträgeranalyse des Allensbach-Instituts (oder ganz korrekt: des “Instituts für Demoskopie Allensbach”) weist unter anderem die Reichweite verschiedener Printmedien aus. Nummer 1 im Reichweitenranking ist die “Apotheken Umschau”. Zu den größten Verlierer zählen “Sport Bild”, “Focus” und “Bunte”, die im Vergleich zu 2020 jeweils Verluste von mehr als 400.000 Lesern pro Ausgabe hinnehmen mussten. Bei den überregionalen Zeitungen haben “Bild” und “Welt” kräftig verloren.

3. Wie die Corona-Krise der Psyche von Journalisten schadet
(de.ejo-online.eu, Sarah Karacs)
Das European Journalism Observatory hat Journalistinnen und Journalisten befragt, ob und wie sich die Covid-19-Berichterstattung auf ihre eigene psychische Gesundheit ausgewirkt hat. Die Psychologin Esther Perel kommentiert: “Redaktionen befinden sich in einem Zustand der Trauer und haben im letzten Jahr enorme Verluste erlitten. Sie befinden sich in einem Zustand des kollektiven Traumas, und die Journalisten sind erschöpft.” Sie seien “Teil der Geschichte, über die sie berichten.”

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4. Russische Polizei durchsucht Wohnungen mehrerer Investigativjournalisten
(spiegel.de)
Der Kreml erhöht weiter den Druck auf die letzten verbliebenen unabhängigen Medien des Landes. Diesmal hat es die russische Rechercheplattform “Proekt.media” erwischt, gegen die die Polizei mit großer Härte vorgegangen sei. Ein möglicher Hintergrund der Aktion: Die Seite habe offenbar kurz vor der Veröffentlichung einer Recherche über den Innenminister gestanden.

5. Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk, neu gedacht!
(blog.wikimedia.de, Bernd Fiedler)
Wikimedia Deutschland hat erneut einen “Runden Tisch Freie Lizenzen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk” veranstaltet und dazu verschiedene Repräsentanten aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk, Politik und Zivilgesellschaft eingeladen. Dabei hat man auch eine Bilanz der vergangenen Jahre gezogen. Positiv habe sich beispielsweise das ZDF geäußert: “Seit über einem Jahr stellen wir im ZDF ausgewählte Clips von Terra X unter CC-Lizenz zur Verfügung. Unsere Bilanz fällt sehr positiv aus. Allein über die Wikipedia konnten wir schon über 15 Millionen Abrufe sammeln. Auch die Rückmeldungen von den Schulen sind positiv.”

6. “Mit Mittelware durchmogeln war schon vor der Pandemie vorbei”
(medienpolitik.net, Helmut Hartung)
Christian Bräuer ist Vorstandsvorsitzender der AG Kino und weiß daher, wie es der Branche geht. Im Interview kritisiert er das uneinheitliche Regelungsdickicht von Corona-Auflagen sowie die Konzentration von Marktmacht: “Die Effekte der Pandemie wird der gesamte Medienmarkt noch auf Jahre bis Jahrzehnte spüren. Während wir in Europa noch damit beschäftigt sind, die Folgen der Pandemie abzufedern, beobachten wir in den USA eine wahnsinnige Marktdynamik. Der Trend zur Konzentration von Marktmacht hat sie durchaus beschleunigt, auch wenn er vorher schon vorhanden war.”

“Bild” und Hitlers Badewanne

Der folgende Text sollte eigentlich in unserem Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste” erscheinen, hat aus Platzgründen aber einfach nicht mehr reingepasst. Darum freuen wir uns, ihn nun exklusiv hier zu veröffentlichen.

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Unser Buch ist überall erhältlich, zum Beispiel bei euren lokalen Buchhändlern, bei GeniaLokal, bei Amazon, bei Thalia, bei Hugendubel, bei buch7, bei Osiander oder bei Apple Books. Es ist auch als eBook und Hörbuch erschienen.

Das Drei-Millionen-Dollar-Märchen

Um ihre spektakulären Schlagzeilen zu konstruieren, braucht die “Bild”-Zeitung nicht viel. Manchmal genügt ein kleines Stück altes Papier.

„Es ist nur ein kleines Stück altes Papier, doch es kann ihr Leben verändern!“, schreibt die Dresdner “Bild”-Regionalausgabe im Herbst 2012.1 Auf einem Flohmarkt hätten Rentner Herbert und Lebensgefährtin Astrid (Namen geändert) einen Schwung alter Briefmarken gekauft. „Als ich diese auf dem Küchentisch ausbreitete, stockte mir der Atem!“, sagt Opa Herbert. Denn vor ihm liegt allem Anschein nach eine absolute Rarität: eine blaue One-Cent-Briefmarke mit dem Konterfei von Benjamin Franklin und einem eingepressten Muster, dem sogenannten „Z Grill“. Sie ist eine der seltensten Briefmarken der Welt, bisher sind lediglich zwei Exemplare bekannt (zum Vergleich: von der „Blauen Mauritius“ existieren noch zwölf2). Darum beträgt der Katalogwert der „Z Grill“ auch stolze drei Millionen Dollar.3

Ob Opa Herbert auf seinem Küchentisch genau diese Marke liegen hat, muss aber erst noch geprüft werden. „Das Echtheitszertifikat kann in diesem Fall jedoch nur die ‚Philatelic Foundation‘ in New York ausstellen“, zitiert “Bild” einen Briefmarkenexperten. Doch da gibt es einen Haken. Opa Herbert: „Ich habe nur 600 Euro Rente. Damit kann ich mir die Reise und die Prüfgebühr nicht leisten.” Verzweifelt suche er jetzt einen Sponsor, schreibt “Bild”, und damit endet der Artikel.

Dann passiert ein paar Tage lang gar nichts. Doch als plötzlich die britische “Daily Mail” über den Fall berichtet4, erkennt “Bild” offenbar das Potenzial der Story und hebt sie groß in die Bundesausgabe: „SAMMLERGLÜCK! Rentner findet 2,5-Mio.-Briefmarke auf dem FLOHMARKT“.5 Nun springen auch andere nationale und internationale Medien auf und berichten über die „Sammlersensation vom Flohmarkt“.6 Ob es sich bei der Briefmarke wirklich um das seltene Stück handelt, stehe aber immer noch nicht fest, schreibt “Bild”: „Offiziell muss die Echtheit der One-Cent-Marke noch von der ‚Philatelic Foundation‘ in New York bestätigt werden. Ohne ein Zertifikat dieser Stiftung kann die Marke nicht in einem Auktionshaus verkauft werden.“

Und dank der bundesweiten Aufmerksamkeit gibt es für die „Briefmarken-Millionäre“, wie “Bild” sie schon nennt, eine gute Nachricht: Ein Verlag für Briefmarkenzubehör bietet an, die Reisekosten nach New York zu übernehmen. Opa Herbert beantragt sofort einen neuen Reisepass: „Mein alter ist fast abgelaufen, genügt für den Flug nach New York nicht mehr.“7

Drei Wochen später ist es dann so weit: Endlich treten Opa Herbert und der “Bild”-Reporter die langersehnte Reise an. Endlich kann die Briefmarke auf Echtheit geprüft werden. Endlich geht es mit dem Flugzeug nach: London. „Jetzt brachte er seine Marke persönlich nach London – zur Wertermittlung. BILD begleitete ihn!“

Nanu? Statt in die USA fliegen sie auf einmal nach England. Und legen die Marke nicht der „Philatelic Foundation“ in New York, sondern der „Royal Philatelic Society“ in London vor. Eine Erklärung für den plötzlichen Kurswechsel liefert “Bild” nicht.

Der Grund ist aber nicht schwer zu erraten. Denn in New York wäre ihnen etwas dazwischengekommen, das der sensationellen Berichterstattung ein schnelles Ende bereitet hätte: die Wahrheit.

Schon einen Tag nachdem “Bild” zum allerersten Mal über den Fall berichtet hatte, also lange bevor die “Bild”-Maschinerie so richtig anlief, hatte die New Yorker „Philatelic Foundation“ bereits öffentlich und sehr eindeutig erklärt, dass die Briefmarke nicht die erhoffte Rarität sei: „Wir haben ihm [Opa Herbert] mitgeteilt, dass es nicht der Z-Grill ist“, sagte David Petruzelli von der Foundation gegenüber der amerikanischen “Huffington Post”, die den Fall in der “Bild”-Zeitung entdeckt und dann bei der Foundation nachgefragt hatte. 8 „Er hat uns einen guten Scan davon zugeschickt. Es ist nicht die Briefmarke“, so das Ergebnis der Experten. Der Mann solle sich nicht damit herumquälen, einen Sponsor zu suchen und nach New York zu fliegen. Das hätten schon viele Sammler getan und seien dann enttäuscht worden. Die Marke von Opa Herbert sei es nicht mal wert, daran zu lecken, jedenfalls nicht im Vergleich zu drei Millionen Dollar. „Ich habe mein Bestes gegeben, ihm zu erklären, dass es nicht die Briefmarke ist. Wir wollten nicht, dass er sich die Mühe macht.” Der Fund sei wahrscheinlich nicht der „Z Grill“, sondern ein „F Grill“. Er schätze den Wert auf unter hundert Dollar.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürften die Leute von “Bild” also gewusst haben, dass an der Geschichte nichts dran ist. Doch statt ihre Leser darüber aufzuklären, geben sie sich erst richtig Mühe, das Märchen von der „Millionen-Marke“ als Wahrheit zu verkaufen. So zitieren sie (eine Woche nachdem der New Yorker Experte erklärt hatte, dass es nicht die besagte Briefmarke sei) unter der Überschrift: „Profis von Millionen-Marke begeistert“ einen deutschen Gutachter mit den Worten: „Sie ist zu 99 Prozent echt, womöglich wertvoller als die Blaue Mauritius. Eine Fälschung ist unwahrscheinlich.“9

Derselbe „Gutachter“ erklärt jedoch wenig später dem “Briefmarken Spiegel”:

„Also erstmal bin ich kein Gutachter. Und zweitens sind die Sätze vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe zwar erwähnt, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine echte, also schlichtweg um eine nicht gefälschte Briefmarke handelt, die auch echt gelaufen sein dürfte. Aber ich habe nie behauptet, dass es sich um die besagte Rarität handelt. Dies könnte ich ja auch gar nicht beurteilen.” Dazu in der Lage wäre einzig die Philatelic Foundation.10

Und was die von der Briefmarke hält, wissen wir ja nun. “Bild” aber erwähnt New York einfach überhaupt nicht mehr und reist ohne Erklärung nach London – wo die Marke erst einmal in einem Tresor landet, weil die Prüfung „ein halbes Jahr dauern“ könne, wie “Bild” schreibt.

Am Ende des Tages durfte [Opa Herbert] seine Marke persönlich in den großen Tresorraum der Royal Society legen – wo sie jetzt bleibt. Dann rief er Freundin [Astrid] (71) in Sachsen an: „Es ist geschafft, ich liebe dich!“11

Mit dieser rührenden Szene endet die Serie über das kleine Stück Papier, aus dem “Bild” ein halbes Dutzend Artikel und internationale Aufmerksamkeit generieren konnte. Während die eigentliche Frage, ob es wirklich drei Millionen Dollar wert ist, für die “Bild”-Leser weiter unbeantwortet bleibt.

Im Sauseschritt Ost-West-Konflikt

Die Wahrheit, schreibt Günter Wallraff schon 1977 in „Der Aufmacher“, liege bei “Bild” „oftmals weder in noch zwischen den Zeilen, sie liegt mehr unter den Zeilen, jedenfalls unter den gedruckten“. Gedruckt werde alles, was die Auflage steigert; nicht gedruckt werde, was den Verkauf nicht fördert. „Ein klassisches Prinzip, einfach und gleichzeitig universell anwendbar.“ 12

Dass die Briefmarke von Opa Herbert laut den Experten in New York weniger als hundert Dollar wert ist, wird nicht gedruckt. Und dass auch die Prüfer in London schließlich zu dem Ergebnis kommen, dass es sich mitnichten um die wertvolle Rarität handelt, wird von “Bild” erst Jahre später in einem Nebensatz erwähnt. Aber auch davon lässt sich die Redaktion nicht beirren: Im selben Artikel behauptet sie weiterhin, Opa Herbert habe die „Millionen-Briefmarke“ gefunden, einen „wertvollen Schatz, der sogar die blaue Mauritius in den Schatten stellt“.13

Diese selektive Realitätsverweigerung ist ein wesentlicher Bestandteil in der Berichterstattung der “Bild”-Medien. Ein Mittel, das die Redakteure einsetzen, um Geschichten künstlich aufzubauschen und am Leben zu halten. Nicht nur bei den großen, ernsten Themen wie Ausländerkriminalität oder Corona, auch bei kleineren, leichteren wie eben Briefmarken. Oder dem Sandmännchen.

Über das hat der “Bild”-Reporter, der für die Briefmarken-Story verantwortlich war, ein paar Jahre zuvor auch mal einen Artikel geschrieben, der ebenfalls für großes Aufsehen sorgen sollte. „Sandmann in den Westen verkauft“, lautet die Schlagzeile, die im Februar 2009 ausschließlich in den ostdeutschen Ausgaben von “Bild” zu lesen ist. Im Artikel schreibt der Reporter, dass „der Osten“ ab April „die Lizenz für seinen größten TV-Liebling“ verliere:

Generationen von Kindern brachte Sandmännchen (…) seit 1959 ins Bett. Und bis heute schalten ihn täglich 1,5 Mio. Fans ein. Genauso erfolgreich ist der TV-Knirps als Märchenfigur auf den Bühnen zwischen Rügen und Fichtelberg.

Doch damit ist jetzt Schluss. Ausgerechnet zum 50. Sandmann-Geburtstag hat der RBB die Sandmann-Lizenz in den Westen verkauft. Und zwar an das Kölner Theater Cocomico. (…) Der Vertrag läuft vorerst zwei Jahre. Danach können wir wieder auf unseren Sandmann hoffen!14

Tatsächlich wurden lediglich die Musical-Rechte an das Kölner Theater vergeben, wie uns ein RBB-Sprecher damals auf Nachfrage erklärt. Für das Sandmännchen im Fernsehen bleibe alles wie gehabt – was auch “Bild” bekannt gewesen sein dürfte, denn zwei Tage vorher hatte bereits die “Sächsische Zeitung” berichtet, dass sich an der Ausstrahlung im Fernsehen nichts ändere.

Nach Erscheinen des “Bild”-Artikels ruft ein Sprecher des RBB beim Autor des Textes an und weist ihn darauf hin, dass die Berichterstattung irreführend sei. Doch der lässt sich nicht vom Kurs abbringen und schreibt in der nächsten “Bild”-Ausgabe wieder über das Sandmännchen:

Der schnelle Verkauf unseres Sandmännchens in den Westen – Tausende Kinder zwischen Rügen und Fichtelberg sind traurig. (…) „Die Entscheidung, die Lizenz nach Köln zu geben, ist uns nicht leicht gefallen“, räumt [ein RBB-Sprecher] ein.15

Letzteres sei übrigens, wie uns der RBB-Sprecher damals versichert, ein Satz, den “Bild” „komplett frei erfunden“ habe.16 Er selbst habe das „nie gesagt“ – nicht zuletzt deshalb nicht, weil das Sandmännchen im Westen ohnehin längst so beliebt sei wie „zwischen Rügen und Fichtelberg“ und mehrere Jahrzehnte nach dem Mauerfall eigentlich nicht zum Ost-West-Konflikt tauge.

Eigentlich.

„Ist das die Unterhose von Eva Braun?“

Auch bei anderen Themen wird die Wahrheit häufig tief unter den Zeilen begraben. Gut zu beobachten beispielsweise in der Berichterstattung über einen alten Dauergast der “Bild”-Medien.

„Hitlers geheimer Gold-Zug!“, heißt es im Spätsommer 2015 groß auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung, dazu ein Foto von Adolf Hitler, hinter ihm ein mit Kanonen bestückter NS-Zug.17 Im Westen Polens sei „ein verschollener Panzerzug der Wehrmacht entdeckt“ worden, schreibt “Bild”, an Bord sollen sich „von den Nazis geraubte Schätze und Kunstwerke befinden“. Zwei Hobbyforscher seien auf den Sensationsfund gestoßen, weil ihnen ein alter Mann auf dem Sterbebett das Versteck verraten habe. Ein polnischer Minister habe den Fund „zu 99 Prozent“ bestätigt.

In seriösen Medien kommen sofort Zweifel auf. “Spiegel Online” zitiert den polnischen Zentralbankchef, der die Geschichte einen „Hoax“ nennt.18 “Zeit Online” interviewt einen polnischen Geschichtsjournalisten, der sich an die erfundenen Hitler-Tagebücher erinnert fühlt. Auch die angeblichen Beweisfotos seien „dubios“, befindet “Zeit Online” und ahnt: Der Sensationsfund „könnte zur Ente verpuffen“.19

“Bild” hingegen lässt so gut wie keinen Zweifel an der Sache und ist ganz vorne mit dabei: „BILD vor Ort – Was passiert mit Hitlers Gold-Zug?“, „BILD traf den Mann, der das Geheimnis lüften kann“, „Historikerin brachte BILD-Reporter auf die Spur“. Tagelang folgt ein Artikel auf den nächsten: „Nazi-Zug versetzt Experten in Goldrausch“, „Juwelen, Gold, Bernsteinzimmer? Das Geheimnis um den Nazi-Zug von Polen“, „Zeigen Satelliten-Bilder, wo der Nazi-Zug steckt?“, „Geteilte Böschung mit auffälligem Bewuchs: Führt diese Furche zu Hitlers Gold-Zug?“20

Währenddessen machen sich, wie der Korrespondent von “Zeit Online” berichtet, „tausende Schaulustige und Abenteurer“ auf den Weg nach Niederschlesien, „um sich in den teils einsturzgefährdeten und womöglich verminten Stollen auf Schatzsuche zu begeben – und dabei in Lebensgefahr“.21 Sechs Tage später stürzt ein 39-jähriger Mann auf der Suche nach dem Zug in eine Vertiefung und stirbt.22

Als auch in den Wochen danach keiner der zahllosen Schatzsucher fündig wird, verschwindet der vermeintliche Hitler-Schatz nach und nach wieder aus der Berichterstattung der “Bild”-Medien. Als die Suche einige Monate später offiziell abgebrochen wird23, ist ihnen das nicht mal mehr eine kleine Meldung wert.

Die “Bild”-Artikel zum angeblichen Nazi-Gold-Zug sind auch heute noch online abrufbar. Viele davon sind mit großen Fotos von Adolf Hitler bebildert, einige nur gegen Bezahlung lesbar. Hitler verkauft sich. Was selbst “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner sauer aufstößt:

Was mich anwidert, ist, dass Hitler eine Art Marke geworden ist. (…) Was mich nervt, ist seine unverminderte Gegenwart. Hitler-Filme, Zeichnungen von ihm werden in Auktionshäusern feilgeboten, Filme, „Der Untergang“, Bücher, „Er ist wieder da“.

Seine Ur-Enkel sind wieder da, sie werfen Brandbomben auf Flüchtlingsheime.

Mit dem Gold-Zug ist Hitler wieder da. Das Finstere, das Abscheuliche.

Die Schatzsuche nach dem Nazi-Gold ist für mich wie in Scheiße suchen.24

In der wühlt Wagners Heimblatt aber immer wieder gerne. Die Münchner Regionalausgabe von “Bild” zum Beispiel macht ein paar Monate vor dem Nazigoldrausch in Polen eine andere vermeintliche Hitler-Entdeckung, diesmal im Keller einer Hochschule.

„Das ist Hitlers Reichspartei-Badewanne“, titelt sie über dem halbseitigen Foto einer gammeligen Badewanne. Sie sei „schon ganz braun“, witzeln die Autoren: ein „rechteckiges Stück Geschichte – direkt aus Adolf Hitlers Büro-Badezimmer!“ Und exklusiv hinein in die “Bild”-Zeitung. Die Wanne sei zwischen 1933 und 1937 „in das Dienstbad des Diktators“ eingebaut worden und schließlich im Keller der Hochschule gelandet, heißt es im Artikel.25

Auf die Frage, ob sich Hitler „am Feierabend hier bei einem Schaumbad“ entspannte, gibt sich “Bild” die Antwort zwar gleich selbst – „höchstwahrscheinlich nicht“ –, doch das hält sie nicht davon ab, groß über den angeblich sensationellen Fund zu berichten. Belege gibt sie für das alles nicht an, weder Zitate von Experten noch handfeste Spuren oder Beweise, nicht mal ihre Quelle verraten die Autoren.

Der Kanzler der Hochschule erklärt uns damals auf Nachfrage:

Die Meldung ist aufgrund einer nicht autorisierten Auskunft unseres Hausmeisters erschienen. “Bild” hatte einen Bericht über unterirdische Gänge in München bringen wollen. Dabei sahen die Reporter die Badewanne im Keller und haben nachgefragt. Ob die Badewanne wirklich aus Hitlers Badezimmer stammt, wissen wir nicht. Ich wehre mich deshalb stets gegen Spekulationen. Leider war “Bild” nicht bereit, auf die Meldung zu verzichten.26

Stattdessen macht “Bild” aus der ranzigen Badewanne, in der Hitler höchstwahrscheinlich nicht gebadet hat, eine fast ganzseitige Geschichte und lässt jegliche Zweifel unter einer großen Schlagzeile verschwinden.

Im Juni 2017 dominiert Hitler wieder die “Bild”-Titelseite. „Hitlers Silberschatz gefunden“, heißt es dort groß neben einem Foto des Diktators. In Argentinien sei hinter einem Bücherregal ein „bizarrer Nazi-Schatz“ entdeckt worden: „STATUEN, KATZEN-SPARDOSE!“27 Als sich drei Monate später herausstellt, dass es sich um Fälschungen handelt28, ist davon in der “Bild”-Zeitung nichts mehr zu lesen.

„Hitlers geheimer Cognac-Keller entdeckt“, titelt “Bild” im Sommer 2015.29 Hier, in einem Keller in Sachsen, behauptet die Zeitung, habe „Adolf Hitler (†56) Ende 1944 seine Delikatessen und Unmengen Cognac“ versteckt. Beweise dafür hat sie bis heute nicht geliefert.30

„Es ist immer das Gleiche“, heißt es im 1978 erschienenen Dramolett „Der deutsche Mittagstisch“ von Thomas Bernhard: „Kaum sitzen wir bei Tisch an der Eiche, findet einer einen Nazi in der Suppe. Und statt der guten alten Nudelsuppe bekommen wir jeden Tag die Nazisuppe auf den Tisch. Lauter Nazis statt Nudeln.“31

Bei “Bild” wird vor allem einer aufgetischt. „Hitlers Lieblingsbücher“32, „Hitlers Bar“33, „Hitlers Mietvertrag“34, „Hitlers Hoden-Diagnose“35, “Grüner mit Hitler-Droge erwischt”36. Zwischendurch auch mal ein bisschen personelle Abwechslung: „BILD findet Görings Modell-Eisenbahn“37. Oder: „Wie kam Costa Cordalis an den Nazi-Teppich von Goebbels?“38 Oder: „Ist das die Unterhose von Eva Braun?“39

Solche „Hitlereien“ finden sich auch in anderen Medien, schreibt Daniel Erk, der für die Onlineausgabe der “taz” sechs Jahre lang das “Hitlerblog” geführt hat:

In diesen Jahren ist keine, wirklich keine Woche vergangen, in der Hitler nicht Thema in der Presse gewesen wäre, in der nicht irgendein Kasper einen mal guten, mal schlechten Hitler-Witz gemacht hätte oder in der die Symbole und Begriffe des Dritten Reiches nicht in einem abwegigen oder ärgerlichen Kontext aufgetaucht wären. Wirklich: keine einzige Woche.

Zu einem Erkenntnisgewinn hätten die Geschichten aber so gut wie nie geführt:

Idealerweise wäre das ja ein Kommunikationsanlass, um über den Hitler-Wahn, die Ängste, Symbole und Tabus zu sprechen. Stattdessen sieht man immer nur Titelgeschichten über Hitlers letzte Stunden und liebste Hunde. Die Boulevardisierung des Themas hat die Substanz längst verdrängt.40

Aber um Substanz, darum, die Leser zu informieren, geht es ja auch nicht, jedenfalls nicht der “Bild”-Zeitung. Verkauft werden nicht Tatsachen, sondern Geschichten. Und wenn die Fakten nicht zur Schlagzeile passen, werden sie geschickt umgedichtet oder verschwiegen. Dann erwähnen die “Bild”-Medien einfach gar nicht, dass sich der Sensationsfund als Fälschung entpuppt hat. Oder sie fliegen statt nach New York, wo sie die Realität erwarten würde, nach London, wo sie die Geschichte noch weiterfüttern können. Wer sich nur in “Bild” informiert, glaubt womöglich heute noch, dass in Polen ein Nazi-Zug voller Gold gefunden, dass das Sandmännchen in den Westen verkauft und dass Opa Herbert Briefmarkenmillionär wurde.

„Versteckt sich in der Mona Lisa ein Alien?“

Dass gerade die Hitler-Geschichten in “Bild” seit Jahren so eine prominente Rolle spielen, dürfte aber nicht nur daran liegen, dass sie gut geklickt und gekauft werden. Absurde Schlagzeilen wie „UFO-Sekte will jetzt Hitler klonen!“41 oder „Zeigten Kornkreise Hitlers Bombern den Weg?“42 haben der Zeitung insbesondere unter Chefredakteur Kai Diekmann hin und wieder einen ironischen Touch verliehen: auch mal albern sein, sich selbst nicht so ernst nehmen. In dieser Zeit erschienen immer wieder Geschichten wie „Haben Außerirdische den Windrad-Flügel geklaut?“43, oder „Versteckt sich in der Mona Lisa ein Alien?“44, oder „Liegt da ein abgehacktes Bein auf dem Mars?“45

Doch seit Julian Reichelt das Steuer übernommen hat, finden solche Blödeleien kaum noch statt. Die “Bild”-Themenseite „Mystery“ („Aliens, Ufos, Übersinnliches“), die unter Diekmann laufend mit bekloppten Ufo-Geschichten befüllt wurde, besteht heute aus Artikeln wie „Mutter (84) und Sohn saßen wochenlang tot auf dem Sofa“46 oder „Wie Corona-Leugner um die Promis werben“47. Generell findet man in den heutigen “Bild”-Medien augenzwinkernde Elemente eher selten. Der Ernst hat Einzug gehalten. Und: die Politik.

Denn unter Reichelt ist auch die scherzhafte Seite von “Bild”, so sie denn mal zum Vorschein kommt, oft politisch aufgeladen. „Ist Wladimir Putin ein unsterblicher Vampir?“, heißt es dann zum Beispiel: „Gruselige Nachrichten zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin: Ist der Kreml-Chef unsterblich? Beteiligt er sich seit knapp 100 Jahren an russischer Kriegspolitik? Oder sogar schon seit Jahrhunderten?“48

Oder: „Ist Donald Trump die dritte Inkarnation des Teufels? Wird der New Yorker Immobilienmogul einen 27 Jahre langen Weltkrieg auslösen?“, wie “Bild” Anfang 2017 fragt, unter der Überschrift: „Sagte Nostradamus die Trumpocalypse voraus?“49

Andere Albernheiten, mit Aliens und ohne Agenda, hat “Bild” auf vereinzelte Ausnahmen reduziert. Hitler geht aber immer noch.

„Letzter Hitler bricht sein Schweigen!“, verkündet “Bild” im Oktober 2018 exklusiv auf der Titelseite: „BILD traf den Groß-Neffen in den USA“.50 Für die Story hat die Redaktion die komplette Seite 3 der Bundesausgabe freigeräumt, in der Mitte: ein riesiges Foto von Adolf Hitler.

Der Mann, den “Bild” in den USA gefunden hat und „Alexander Hitler“ nennt, soll um viele Ecken ein Nachfahre Adolf Hitlers sein. Mit Medien redet er eigentlich nicht. Als die “New York Times” ihn 2006 aufspürt, bittet er „vehement und wiederholt“ darum, nicht identifiziert zu werden, aus Angst vor einem Mediensturm und davor, dass man ihn fälschlicherweise für einen Nazi halten könnte.51

Er heißt nicht mal Hitler. Das schreibt auch der “Bild”-Redakteur im Artikel – und nennt ihn trotzdem so, immer und immer wieder. „Alexander Hitler lebt in einem Holzhaus.“ „DEAD END steht auf dem Schild vor der Straße, in der Alexander Hitler wohnt.“ „Gepflegt sind dafür die vielen Topfpflanzen, die hier stehen. Fleißiges Lieschen, Bartnelken, Eisbegonien, Funkien. Die amerikanischen Hitlers haben einen grünen Daumen.“

In der kleinen Stadt wisse „fast niemand“, dass der Mann „der letzte Hitler“ sei, schreibt die “Bild”-Zeitung. Und als wollte sie etwas daran ändern, verrät sie, in welcher Gegend der Mann wohnt, beschreibt sein Grundstück, was für ein Auto er fährt. „Er ist groß, zirka 1,85 Meter, trägt ein türkis-weiß-kariertes Hemd und eine beigefarbene Cargohose. Alexander Hitler.“ Im Artikel zeigt “Bild” über die gesamte Seitenbreite ein Foto, das offenbar aus größerer Entfernung aufgenommen wurde: Der Mann steht in der Tür seines Hauses, sein Gesicht ist nicht verpixelt.

Wir haben damals bei “Bild” nachgefragt, ob der Mann wusste, dass er fotografiert wird, und ob er eingewilligt hat, dass dieses Foto veröffentlicht wird. Der “Bild”-Redakteur wollte uns darauf nicht antworten.

Die Geschichte und das unverpixelte Foto des Mannes gehen um die Welt. Stolz präsentiert “Bild” am nächsten Tag „internationale Presse-Reaktionen“52: Zeitungen in England, Spanien, der Türkei „und über 100 weitere Medien“ hätten über die “Bild”-Zeitung und den „letzten Hitler“ berichtet.

Obwohl er weder ein „Hitler“ ist noch „der letzte“ – er hat noch zwei Brüder. Die auch nicht Hitler heißen. Auch bei deren Haus (das “Bild” ebenfalls abbildet) klingelt der Redakteur. „Die Tür öffnet sich einen Spalt. Ein Mann, um die 50 Jahre alt, schiebt das Fliegengitter beiseite und streckt seinen Kopf heraus. Volles, dunkles Haar, glatt rasiertes, kantiges Gesicht. Hitler trägt kurze Hose.“

Als sich der “Bild”-Redakteur als solcher zu erkennen gibt, schließt der Mann sofort die Tür. Und schaltet die Rasensprenger an.

Wodarg vs. “Volksverpetzer”, Polizei darf falsch twittern, Badeurlaub

1. Pandemie-Leugner Wodarg fordert 250.000 Euro von Volksverpetzer
(volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Die Äußerungen von Wolfgang Wodarg zur COVID-19-Pandemie in Deutschland stoßen bei vielen Wissenschaftlern, Politikerinnen und Medien auf Kritik, so auch beim “Volksverpetzer”. Dagegen setzt sich Wodarg nun mit juristischen Mitteln zur Wehr und besteht laut “Volksverpetzer” nicht nur auf der Abgabe einer Unterlassungserklärung, sondern auch auf Zahlung von 250.000 Euro als angeblichen Schadensersatz. Der “Volksverpetzer” erfährt im Netz derweil eine große Welle der Solidarität.

2. Kön­ig­li­cher Bade­ur­laub ist kein zeit­ge­schicht­li­ches Ereignis
(lto.de)
Das Landgericht Köln hat es der “Bild”-Redaktion per einstweiliger Verfügung verboten, Urlaubsfotos des niederländischen Königspaares zu veröffentlichen. Die Aufnahmen zeigen König Willem-Alexander und Königin Máxima in Badebekleidung bei einem Yachtausflug in Griechenland und waren offensichtlich mit einem Teleobjektiv geschossen worden. Der Springer-Verlag habe den Beschluss des Gerichts anerkannt. Ihm drohe im Wiederholungsfall ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 Euro.

3. Die Liebe zu Fox News ist erkaltet – plant Trump jetzt einen eigenen TV-Sender?
(rnd.de, Imre Grimm)
Lange Zeit war Fox News Donald Trumps Haus- und Hofsender, doch seit einiger Zeit scheint die Liebe erkaltet. Nun hat ein Fox-Moderator die Übertragung einer Live-Pressekonferenz mit den Worten “Ich kann Ihnen das nicht weiter mit gutem Gewissen zeigen” abgebrochen. Imre Grimm kommentiert: “Es scheint, als habe der Sender plötzlich eine menschliche Regung entdeckt, die lange überlagert schien von der gierigen Begeisterung über Trumps quotenträchtige Qualitäten als Entertainer und Menschenfänger: das eigene Gewissen.” Nun würden sich einige Beobachter fragen, ob Trump einen eigenen Sender starten wolle.

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4. So niedrig ist der Anteil der Frauen in Berichten von Spiegel, Focus, Bild am Sonntag und Welt am Sonntag
(kress.de, Roland Schatz)
Media Tenor, ein Schweizer Unternehmen für Medienanalysen, hat untersucht, wie oft in den vergangenen zehn Jahren in großen Medien wie “Spiegel”, “Focus”, “Bild am Sonntag” und “Welt am Sonntag” über Männer und Frauen geschrieben wurde. Was den Anteil von Frauen in der Berichterstattung betrifft, kommt besonders der “Spiegel” schlecht weg: “Beim Spiegel dominiert also die Einstellung: In erster Linie lohnt es sich über Tätigkeiten von Männern zu berichten, wenn sie ihre Leserschaft über Entwicklungen in Politik und Wirtschaft informieren. 2020 wird seit 2001 das extremste Jahr: in den letzten 20 Jahren spielten Frauen für die Hamburger nie eine unwichtigere Rolle als in diesen Covid19-Zeiten.”

5. Gericht weist Klage gegen Falschmeldung der Polizei ab
(netzpolitik.org, Marie Bröckling)
Im Jahr 2017 twitterte die Polizei im Zusammenhang mit der Räumung des linksalternativen Kiezladens Friedel54, dass im Gebäude ein Türknauf unter Strom gesetzt worden sei. Die Meldung verbreitete sich sehr schnell, auch aufgrund der Berichterstattung einiger Medien, stellte sich jedoch später als Falschmeldung heraus. Nun musste sich ein Gericht mit dem Vorgang befassen. Es hat die Klage der Betroffenen jedoch abgewiesen. Der Richter habe Verständnis für den Wunsch der Kläger, ein Grundsatzurteil zum Twittern der Polizei zu erwirken. Es sei jedoch der “richtige Fall zum falschen Zeitpunkt”.

6. Zwei Mal «Streaming» – oder: Die Renaissance der Programmzeitschrift
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Die Idee einer Streaming-Programmzeitschrift erinnert ein wenig an die guten alten Zeiten, in denen man im Buchhandel noch gedruckte Internet-Adresslisten kaufen konnte. Nick Lüthi hat sich zwei Streaming-Magazine für den deutschen beziehungsweise den Schweizer Markt angeschaut.
Weiterer Lesehinweis: Während die klassischen TV-Sender mit ihren Mediatheken immer mehr zu einer Art Gegen-Netflix werden wollen, testet der Streaming-Anbieter in Frankreich ein lineares Programm, das für alle gleich ist: Man nannte es Glotze (sueddeutsche.de, Claudia Tieschky).

Carolin Emcke ist auch müde, Deftiges Minus, Kartellklage gegen Google

1. Ich bin auch müde
(sueddeutsche.de, Carolin Emcke)
Carolin Emcke hat eine Entgegnung auf den “SZ”-Artikel über den Pianisten Igor Levit vom 16. Oktober geschrieben. In dem herausragenden Text stecken viele kluge Fragen und Gedanken. Ein Einwurf, den man gerne auch ein zweites Mal liest, weil er nicht nur den konkreten Fall, sondern Grundsätzliches berührt.

2. “Die Zeit” bleibt im Aufwind, dickes Minus für “Die Welt”
(dwdl.de, Alexander Krei)
Auch das dritte Quartal bescherte der Print-Branche deftige Minuszahlen. Besonders schwer erwischte es die Zeitungen und Zeitschriften, die ihre Auflage mit kostenlosen Bordexemplaren aufhübschen: Da der Flugverkehr coronabedingt weitgehend zusammengebrochen ist, ging auch die Verbreitung der in Flugzeugen verteilten Exemplare zurück, teilweise dramatisch. Beim “Focus” ging es von über 64.000 Heften im Sturzflug auf gerade mal 408 herunter, ein Minus von über 99 Prozent. Auch die “Bild”-Zeitung hat den Bordexemplar-Effekt zu spüren bekommen. Dort fehlten ebenfalls mehr als 60.000 Exemplare, insgesamt lag das Auflagen-Minus von “Bild” sogar bei fast 200.000, was einem Rückgang von 14 Prozent entspricht.

3. Wer, wenn nicht Google?
(spiegel.de, Max Hoppenstedt & Benjamin Bidder & Patrick Beuth & Malin Möller)
Das US-Justizministerium hat eine Kartellklage gegen den Suchmaschinenkonzern Google angestrengt. Damit könnten Alternativen zu Google interessant werden. Die 64-seitige Klageschrift nenne einige davon als Konkurrenten im US-Suchmaschinenmarkt: darunter Bing aus dem Hause Microsoft, das datenschutzfreundliche DuckDuckGo sowie die russische Suchmaschine Yandex. Der “Spiegel” ordnet Eigenschaften und Chancen der Google-Alternativen ein.

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4. Jetzt mit Arsch in der Hose
(taz.de, Steffen Grimberg)
“USA Today” ist eine der auflagenstärksten Zeitungen in den USA und hat noch nie eine Wahlempfehlung gegeben, obwohl das dort üblich sei. Doch dieses Jahr ist alles anders: “Elect Joe Biden. Reject Donald Trump”, titelte das Blatt. Endlich, findet Steffen Grimberg: “Bei den letzten Wahlen war Trump USA Today zwar auch schon reichlich suspekt. Aber zu einem klaren Bekenntnis fehlte es 2016 noch an Arsch in der Hose.”

5. Corona-Bundeshilfen für privaten Hörfunk
(blmplus.de, Lisa Priller Gebhardt)
Private Radiosender leiden in der Corona-Krise unter erheblichen Einnahmeausfällen durch entgangene Werbeeinnahmen. Von bis zu 40 Prozent Umsatzeinbußen ist zumindest in Bayern die Rede. Dort soll es nun neben Geldern aus dem Bundesprogramm Neustart Kultur auch Landeshilfen geben. Die werden wohl dringend benötigt, denn neben dem klassischen On-Air-Geschäft fallen auch Events, Spot-Produktionen für Firmenkunden sowie Konzerte als Einnahmequellen weg.

6. Zäh wie erkaltetes Kaugummi
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:25 Minuten)
Angesichts des bevorstehenden TV-Duells zwischen US-Präsident Donald Trump und Herausforderer Joe Biden erinnert Arno Orzessek an einige große Redeschlachten der Fernsehgeschichte. Die seien jedoch alle nichts gegen Trump: “Dass man ihm im zweiten TV-Duell mit Joe Biden das Maul per Stummschaltung stopfen will, zeugt von jener tiefen Verzweiflung, die Donalds Schwester Maryanne Trump Barry in unvergängliche Worte gekleidet hat: ‘Das Ändern der Geschichten. Die fehlende Vorbereitung. Das Lügen. Heilige Scheisse.'”

Twitter vs. QAnon, Bayern-Razzia, Falsches Mallorca-Bild

1. Twitter dreht Pro-Trump-Verschwörungskult den Saft ab
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Twitter will den rechtsradikalen Verschwörungsideologen rund um QAnon den Nährboden entziehen und hat in den vergangenen Wochen bereits 7.000 Accounts gesperrt. Weitere 150.000 seien von einer Art Reichweitenbegrenzung betroffen. Markus Reuter kommentiert: “Dem US-Präsidenten Trump könnte durch die Maßnahmen auf Twitter eine äußerst aktive User-Basis im Wahlkampf wegbrechen, da es Überschneidungen zwischen seiner Kern- und der Verschwörungsanhängerschaft gibt.”

2. Science Slams: Kampf dem Fachchinesisch
(ndr.de, Jürgen Deppe)
Bei sogenannten Science Slams kämpfen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit kurzweiligen und unterhaltsamen Vorträgen um die Gunst des Publikums. Julia Offe organisiert und veranstaltet seit 2009 die verschiedensten wissenschaftlichen Wettstreite in Deutschland. Im Interview mit NDR Kultur spricht sie über Wissenschaftskommunikation und erklärt, warum der Charité-Virologe Christian Drosten ein ausgezeichnetes Beispiel für Wissenschaft auf Augenhöhe ist.

3. Bayernweite Razzia wegen Hasskommentaren im Netz
(spiegel.de)
Wie das bayerische Landeskriminalamt mitteilt, habe es bayernweite Durchsuchungen im Rahmen der Initiative “Justiz und Medien – Konsequent gegen Hass” gegeben. Ein lokaler Radiosender habe auf Facebook per Livestream Bilder einer Flüchtlingsdemonstration gezeigt. Daraufhin hätten mehrere bayerische Nutzer und Nutzerinnen strafbare Kommentare geschrieben, welche die Ermittlungen gegen sie ausgelöst hätten.

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4. Georg Löwisch: Es ist nicht unsere Aufgabe, Bischofsringe zu küssen
(katholisch.de, Steffen Zimmermann)
“Christ & Welt” war ursprünglich eine evangelisch-konservative und lange Zeit sehr erfolgreiche “Wochenzeitung für Glaube, Geist, Gesellschaft”. Nach mehreren Eigentümerwechseln wird sie seit einiger Zeit als Sonderbeilage der “Zeit” fortgeführt. Heute erscheint die erste Ausgabe unter der Leitung des neuen Chefredakteurs Georg Löwisch, der über 20 Jahre bei der “taz” beschäftigt war, zuletzt als Chefredakteur. Im Interview spricht Löwisch unter anderem über seine publizistischen Ziele und seine Haltung: “Unsere Aufgabe ist es, gegenüber der Institution und den Mächtigen in der Kirche streng zu sein. Es wäre, glaube ich, niemandem geholfen, wenn wir den Exzellenzen nur ehrfürchtig ihre Bischofsringe küssen würden.”

5. Wie wir die Welt sehen
(journalist.de, Ronja von Wurmb-Seibel)
Die Autorin, Filmemacherin und Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel hat für die “Zeit” geschrieben und ist unter anderem Autorin eines Buchs über Afghanistan, wo sie auch für eine gewisse Zeit gelebt hat (“Ausgerechnet Kabul: 13 Geschichten vom Leben im Krieg”). In ihrem “Blick auf den Journalismus” erzählt sie von ihrem beruflichen Werdegang und ihrer persönlichen Entwicklung: “Je mehr ich mich mit Angst und ihren Folgen beschäftigte, desto besser verstand ich, warum sich meine Art, Geschichten zu erzählen, so grundlegend verändert hatte: Ich sah keinen Grund dafür, die Welt noch negativer darzustellen, als sie ohnehin schon ist. Noch negativer, als wir sie ohnehin schon sehen.”

6. Mallorca: Einige Medien nutzten ein nicht gekennzeichnetes Archivbild für aktuelle Berichterstattung
(correctiv.org, Kathrin Wesolowski)
“Focus Online” und Welt.de haben laut “Correctiv” in der aktuellen Berichterstattung ein altes und irreführendes Bild eines überfüllten Mallorca-Strands verwendet. Bei Welt.de illustrierte es die Schlagzeile “Hunderte Deutsche feiern am Ballermann – und missachten alle Corona-Regeln”. Aktuelle Live-Bilder einer Webcam würden jedoch einen weitgehend menschenleeren Strand ohne Strandliegen und Sonnenschirme zeigen.

Kurz-Bilder, Bolsonaro-System, Sobessernicht-Interview mit Meuthen

1. Warum Sebastian Kurz beim EU-Gipfel auf den Fotos in Österreichs Medien so gut aussieht
(moment.at, Tom Schaffer)
Wenn der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Fotos eine gute Figur abgibt, liege dies oft an seinem Mitarbeiter, dem Fotografen Arno Melicharek, der seinen Chef und Auftraggeber geschickt in Szene setze. Und daran, dass Agenturen und Redaktionen die Bilder des Kanzleramts-Fotografen nur allzu gern übernähmen, weil es Geld und Aufwand spare: “Wohlgemerkt ist all das kein Fehler von Melicharek, sondern einer von weiten Teilen der österreichischen Medienlandschaft. Die hat nicht nur keine journalistischen FotografInnen mitgeschickt, keine vor Ort beauftragt und viel zu oft auch keine anderen Bilder von anderen Agenturen übernommen, sondern uns dann auch noch (einmal mehr) PR-Fotos als unabhängige Berichterstattung verkauft.”

2. “Bild”, “Welt” und “FAZ” brechen ein, “Zeit” mit Rekord
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die Print-Auflagenentwicklung im zweiten Quartal dieses Jahres verlief einmal mehr unerfreulich für viele Verlage: Zum generellen Abwärtstrend sei bei manchen Titeln der coronabedingte Wegfall der “Bordexemplare” hinzugekommen, die kostenfrei auf Flügen verteilt werden. Beim “Focus” seien allein durch den “Bordexemplar”-Effekt über 65.000 Exemplare, nun ja, abhanden gekommen, was das gewaltige Auflagen-Minus von 30,5 Prozent zumindest teilweise erkläre. Auch die Auflagen von “Bild”, “Welt” und “FAZ” seien eingebrochen, während die “Zeit” einen neuen Allzeit-Rekord aufgestellt habe.

3. Mehr als aus der Zeit gefallen
(deutschlandfunkkultur.de, Timo Grampes, Audio: 6:51 Minuten)
Bei Deutschlandfunk Kultur geht es um den ersten Kinofilm des Komikers Otto Waalkes aus dem Jahr 1985. “Otto – Der Film” wirke “mehr als aus der Zeit gefallen” und enthalte Szenen, die von vielen als rassistisch empfunden würden. Der Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Joshua Kwesi Aikins erklärt, warum das so sei: “Rassismus soll und muss thematisiert werden. Er darf gerne auch persifliert werden, denn er ist ja nicht nur tödlich und gewaltvoll, sondern auch extrem lächerlich.” Dies müsse jedoch passieren, ohne den Rassismus “einfach nur plump zu wiederholen”.

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4. Prozessauftakt gegen Stephan B. – Die Verantwortung der Medien
(mdr.de, Roland Jäger)
Gestern hat der Prozess gegen Stephan B. begonnen, der am ersten Prozesstag unter anderem den Anschlag auf eine Synagoge in Halle gestanden hat. Während andere Angeklagte die öffentliche Aufmerksamkeit eher scheuen, wolle der von rechtsextremen Gedanken getriebene B. mit vollem Namen genannt werden und dürfe gern unverpixelt gezeigt werden. Auf diese Selbstinszenierung und politische Vermarktung der Tat sollten sich die Medien nicht einlassen, findet Roland Jäger vom MDR: “Weil er diese Theorien und Einstellungen nach wie vor versucht weiterzutragen, dauert das Attentat an. Es liegt in der Verantwortung von uns Prozessberichterstattern, den Opfern und Betroffenen gerecht zu werden – und die Ansichten des Angeklagten nicht weiterzuverbreiten. Nur so kann das Attentat wirklich enden.”

5. RSF-Quartalsbericht: Hetze und Desinformation
(reporter-ohne-grenzen.de)
Dass Brasilien in der Rangliste der Pressefreiheit lediglich auf Platz 107 von 180 Staaten steht, hat laut Reporter ohne Grenzen mit dem sogenannten Bolsonaro-System zu tun: “Während Brasilien so schwer von der Corona-Krise getroffen ist wie kaum ein anderes Land der Welt, sehen sich Journalistinnen und Journalisten mit einer beispiellosen Welle des Hasses konfrontiert. Anfang des Jahres hetzte vor allem Präsident Jair Bolsonaro selbst gegen Medienschaffende, in den vergangenen drei Monaten taten sich vor allem seine Familie, seine engsten Regierungsmitglieder und seine treue Online-Anhängerschaft hervor.”

6. Sommerinterview mit Jörg Meuthen: So besser nicht
(ndr.de, Sebastian Friedrich)
“Das Sommerinterview mit Jörg Meuthen ist ein Lehrstück, wie man besser nicht mit einem AfD-Politiker spricht”, so Sebastian Friedrichs Urteil über das 25-minütige Gespräch der ARD mit dem Bundessprecher der AfD. Der Interviewer habe es Meuthen zu leicht gemacht, zu wenig nachgefasst und ihm altbekannte Zitate von Parteikollegen vorgelegt, die ihn zu wenig herausgefordert hätten.

Heinsberg-Update, Home-Office bei den “Waltons”, Versteckspiel der AfD

1. Streeck, Laschet, StoryMachine: Vom PR-Plan zum Exit-Rush – ein Update
(riffreporter.de, Christian Schwägerl & Joachim Budde)
Die wirtschaftlichen, politischen und sonstigen interessengeleiteten Verflechtungen rund um die sogenannte Heinsberg-Studie des Virologen Hendrik Streeck und das Engagement der PR-Agentur “Storymachine” geben Anlass zu weiteren Diskussionen. Nach ihrem ersten, viel beachteten Text schließen Christian Schwägerl und Joachim Budde mit einem Update an und schildern, was sich in der Woche danach getan hat.

2. «Für den Journalismus als Geschäft sieht es immer schlechter aus»
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Viele Medienhäuser waren vor der Corona-Krise schon angeschlagen und geraten jetzt in ernsthafte Schwierigkeiten. Wie soll es weitergehen in Zeiten, in denen der werbefinanzierte Journalismus kaum mehr eine Zukunft hat? Sich in die Abhängigkeit von Google und Facebook begeben, einen reichen Gönner suchen oder auf eine stärker werdende zahlende Nutzerbasis hoffen? Es sei eine Situation, bei der die Gewinner vor allem auf der anderen Seite des Ozeans sitzen, wie Adrian Lobe resümiert: “Die Krise unbeschadet überstehen werden hingegen Google und Facebook, die auch in Zukunft das Gros der Werbeeinnahmen absorbieren und den darbenden Medien mit ihrem Almosen ein prekäres Weiterleben ermöglichen.”

3. Das Versteckspiel der AfD
(netzpolitik.org, Daniel Laufer & Jan Petter)
Nach Recherchen von Daniel Laufer und Jan Petter werde das neue rechtsradikale Jugendportal “Fritzfeed” offenbar von Angestellten der AfD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen betrieben. Einer von ihnen sei sogar als Pressesprecher für die AfD-Fraktion tätig und habe sich am Telefon verleugnen lassen.

4. Wikipedia als Eldorado für PR-Abteilungen
(verdi.de, Marvin Oppong)
Vor wenigen Tagen hat der Deutsche Rat für Public Relations der Online-Enzyklopädie Wikipedia eine Rüge erteilt. Für die Leserinnen und Leser sei “nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob die Beiträge von den Autoren auf Eigeninitiative oder im Auftrag von Dienstleistern erstellt wurden.” Marvin Oppong nimmt dies zum Anlass, an die Aktivitäten eines Burda-Accounts zu erinnern, der den Wikipedia-Eintrag über den “Focus” in manipulativer Absicht und auf beschönigende Weise bearbeitet habe.
Dazu auch aus unserem Archiv: “Verlagsleitung BILD Gruppe” hübscht “Bild am Sonntag” bei Wikipedia auf.

5. Star der Inszenierung
(taz.de, Ralf Leonhard)
Wenn Österreichs Boulevardzeitungen Bundeskanzler Sebastian Kurz als Helden in der Corona-Krise feiern, sei dies kein Wunder, so Ralf Leonhard: “Kurz und seine Regierung danken die Hofberichterstattung mit einem Füllhorn an Sonderförderungen. Aus dem mit 12,1 Millionen Euro dotierten Coronatopf für Printmedien bekommt die Krone mit 2,72 Millionen den üppigsten Happen, gefolgt von den nicht minder Kurz-hörigen Gratisblättern Österreich und Heute (1,81 bzw. 1,82 Millionen).”
Weiterer Lesehinweis: Coronavirus bedroht Pressefreiheit, Österreich rutscht weiter ab (derstandard.at, Doris Priesching).

6. Die Corona-WG
(sueddeutsche.de, SZ-Autorinnen und Autoren)
Netflix-Aficionados und Bingewatcher kennen das Phänomen: Manchmal taucht man derart intensiv in die TV-Parallelwelt ein, dass man sich bei den Protagonistinnen und Protagonisten regelrecht zu Hause fühlt. Wie wäre es, wenn man dort gedanklich sein Home-Office aufschlägt? Die “Süddeutsche Zeitung” hat sich bei ihren Autoren und Autorinnen erkundigt, ob zum Beispiel die “Waltons”, die “Gilmore Girls” oder “Better Call Saul” eine wünschenswerte Arbeitsumgebung abgäben.

Zu Besuch bei Gujer, Zukunft von “Buzzfeed”, Fragerecht per Los

1. Wie war ich?
(republik.ch, Daniel Ryser)
Daniel Ryser hat ein überaus lesenswertes Porträt des “NZZ”-Chefredakteurs Eric Gujer verfasst. Er hat ihn im Schweizer Stammhaus besucht und ist nicht davor zurückgeschreckt, Gujer auch mit unangenehmen Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung zu konfrontieren: “Gujer lächelt das mit einem Kopf­schütteln weg, und natürlich kann man durchaus sagen, dass es völlig unwesentlich ist, dass in meinen komplett vernachlässigbaren, in Bubbles erstickenden linken Zecken­kreisen niemand mehr die NZZ liest, weil man es zum Beispiel in einer Welt der Trumps, Erdoğans, Putins, Orbáns, Bolsonaros und Johnsons irgendwann als intellektuelle Beleidigung empfand, wöchentlich erzählt zu bekommen, dass wir offenbar — zumindest in der Wahrnehmung an der Falkenstrasse — kurz vor einer totalitären Diktatur eines queer­feministischen Regen­bogens stehen. Aber 30’000 verloren gegangene Print-Jahres­abos lassen sich womöglich doch nicht so einfach mit Bubble und ‘lesen einfach keine Zeitung mehr’ schönreden.”

2. Was wird aus der deutschen Redaktion?
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 4:51 Minuten)
Vergangenes Jahr wurde “Buzzfeed News”-Chef Daniel Drepper noch als “Chefredakteur des Jahres” ausgezeichnet. Heute bangen er und seine Redaktion um die berufliche Existenz. Die “Buzzfeed”-Zentrale will seinen mit Lob und Preisen ausgezeichneten deutschen Ableger abstoßen. Man möchte meinen, dass sich deutsche Medienhäuser um das tüchtige Team reißen, doch die derzeitigen Aussichten seien ungewiss.

3. Rechtsextreme podcasten ungestört bei Spotify
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Rechtsextreme haben das Medium Podcast für sich entdeckt — um in der Corona-Krise die Deutungshoheit zu erlangen und um ihre Ideen unters Volk zu bringen. Matthias Schwarzer hat sich angeschaut beziehungsweise angehört, wie die Gruppierung “Ein Prozent” bei ihren Audio-Produktionen vorgeht und welche Köpfe hinter dem Netzwerk stecken.

4. Lotterie: Gewinner dürfen Fragen stellen
(verdi.de, Reiner Wandler)
Pressekonferenzen der spanischen Regierung finden derzeit online und vor leeren Stuhlreihen statt. Journalistinnen und Journalisten, die eine Frage stellen wollen, müssen auf eine Art Gewinnspiel hoffen: Nur wer ausgelost werde, könne per Videoschalte auf der Pressekonferenz zu Wort kommen. Dagegen richte sich nun der Widerstand zahlreicher Medienschaffender: Mittlerweile hätten über 400 von ihnen ein Manifest mit dem Titel “Die Freiheit zu fragen” unterzeichnet.

5. Podcasts zwischen Corona-Hype und Spotify-Monopol
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Corona-Podcasts haben viel für die Akzeptanz des Mediums Podcast getan. Gleichzeitig versuche Spotify, eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen, so Nick Lüthi in der Schweizer “Medienwoche”: “Befürchtungen gehen dahin, dass sich Spotify zu einem Gatekeeper entwickelt, vergleichbar mit der Rolle von Google oder Facebook im Netz. Noch ist es nicht so weit, aber Spotify geht den Weg in diese Richtung ziemlich zielstrebig. Dabei profitiert das Unternehmen auch von jenen Produzenten, die ihre Podcasts dort zum Abruf einstellen. Und das sind so ziemlich alle.”

6. “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne!”
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 1:19 Minuten)
“Focus”-Kolumnist Jan Fleischhauer kommentiert die Video-Kolumne von Jan Fleischhauer. Boris Rosenkranz hat eine Video-Collage mit Fleischhauer-Sprech-Schnipseln arrangiert und lässt ihn unter anderem sagen: “Misstrauen Sie dieser Video-Kolumne! Bis irgendwann die Polizei kommt.”

Schoßhund-Fragen sind bei “Bild” Chefsache

Wenn der Außenminister der USA bei “Bild live” ein Interview gibt, dann ist das selbstverständlich Chefsache.

Screenshot Bild live - zu sehen sind Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und US-Außenminister Mike Pompeo

Julian Reichelt durfte Mike Pompeo ein paar Fragen stellen. Und das hat der “Bild”-Chefredakteur genutzt — größtenteils um seine eigene Agenda abzuspulen: gegen Angela Merkel, gegen Heiko Maas, gegen die Berliner Landesregierung, gegen China.

Das schon mal vorweg: Keine der Fragen, die Reichelt in dem Interview unterbringen konnte, zielte auf mögliche Fehler oder Versäumnisse der US-Regierung in der Corona-Krise und die damit verbundene schlimme Lage in den USA. Keine Frage zu Donald Trumps Herunterspielen der Situation. Keine zu der späten Reaktion des US-Präsidenten auf das Coronavirus. Nicht mal ein vorsichtiges: “Hätte Ihre Regierung irgendetwas besser machen können, Herr Pompeo?”

Stattdessen: reichlich Suggestivfragen im Stile von “Derundder hat dasunddas gegen die USA gemacht. Ist das nicht schlimm?” Und, na klar: die Pflichten von Angela Merkel. Reichelt beginnt das Interview mit dieser Frage:

Amerika hat weltweit die meisten Toten in der Corona-Krise zu beklagen. Gibt es etwas, was das amerikanische Volk in dieser dramatischen Krise von Deutschland erwartet? Was ist Ihre Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel?

Was für eine Verknüpfung: “die meisten Toten in der Corona-Krise” in den USA — was soll Angela Merkel jetzt liefern? Mike Pompeo steigt darauf nicht ein. Er lobt Deutschland und die Bundeskanzlerin als “großartige Partner”.

Weiter geht es mit mit Reichelts Frage zum deutschen Außenminister Heiko Maas, denn der hat es doch tatsächlich gewagt, die USA zu kritisieren:

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat die USA und China in einem Atemzug kritisiert. Er hat gesagt: China hätte zu autoritär auf die Corona-Krise reagiert, die USA hingegen hätten das Problem verharmlost. Macht es Sie ärgerlich, wenn die Diktatur China und die Demokratie USA in einem Atemzug so kritisiert werden?

Was soll Mike Pompeo darauf schon antworten? “Nee, finde ich super”? Stattdessen erzählt er, US-Präsident Trump habe “sehr starke Maßnahmen ergriffen, um unser Volk zu schützen.” Die chinesische Regierung hingegen hätte nicht schnell genug Informationen geliefert. Das sei “natürlich sehr bedauerlich”.

Wenn Reichelt ein wirkliches Interesse an dem Thema hätte, könnte er da natürlich mal nachhaken und anmerken, dass Donald Trump das Coronavirus noch verharmloste, als längst sehr hohe offizielle Infektionszahlen aus China bekannt waren. Macht er in seiner Schoßhundhaftigkeit aber nicht.

Dafür die nächste Suggestivfrage:

Die Berliner Regierung hat den USA sogar Piraterie vorgeworfen, fälschlich vorgeworfen, weil angeblich die USA Masken konfisziert haben sollten auf dem Weg nach Berlin, mussten sich später dafür entschuldigen. Sind Sie besorgt über diese Form von Anti-Amerikanismus in der deutschen Hauptstadt?

Es scheint, als gehe der “Bild”-Chef noch einmal die “Bild”-Aufregerthemen der vergangenen Tage durch, mit dem Ziel, die “Bild”-Positionen durch den US-Außenminister bestätigen zu lassen.

Nachdem Reichelt gefragt hat, ob es nicht eine Möglichkeit wäre, die “Zölle auf amerikanische Produkte in Deutschland oder in der EU zu senken, um die US-Wirtschaft weiter anzukurbeln”, geht es weiter mit der Bestätigung von Feindbildern:

Sie haben es selber gesagt: Diese Krise hat begonnen in Wuhan, China. Braucht es eine globale Debatte darüber, ob der chinesischen Regierung für die massiven Schäden, die weltweit angerichtet worden sind, eine Rechnung präsentiert werden muss?

Mike Pompeo lässt sich darauf nicht ein. Er antwortet (laut “Bild”-Simultanübersetzung), dass es mehr als eine solche “globale Debatte” brauche:

Wir müssen herausfinden: Wie konnte das passieren, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passiert, oder wir zumindest das Risiko minimieren, dass so etwas je wieder passiert. Das ist wirklich essenziell: Dass wir verstehen, wo dieses Virus herkam, um das Risiko zu minimieren. (…) Es wird wirklich hohe Kosten geben. Und deswegen müssen wir sicherstellen, dass kein Land auf der Welt wieder der Ursprung einer solchen Krise sein kann.

Pompeo sagt nichts zu der “Rechnung” für die chinesische Regierung, nach der Reichelt gefragt hat. Also fragt der “Bild”-Chef noch mal:

Noch einmal: Soll China für diese Schäden, die dort entstanden sind, finanziell aufkommen?

Pompeo antwortet:

There will be a time when the people responsible will be held accountable. I am very confident that this will happen. At the moment, it’s absolutely necessary to focus on the current task in order to systematically restart the American, and then also the global, economy. There will be a time for assigning blame.

Also:

Es wird eine Zeit geben, in der die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Im Moment ist es absolut notwendig, sich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren, um die amerikanische und dann auch die globale Wirtschaft systematisch wieder in Gang zu bringen. Es wird eine Zeit für Schuldzuweisungen geben.

Daraus macht die “Bild”-Zeitung heute:

Ausriss Bild-Zeitung - US-Außenminister Pompeo im Bild-Intervier - Corona-Verantwortliche werden zur Rechenschaft gezogen

Bei Bild.de, wo die Redaktion eine englische Version des Artikels, der auch in der gedruckten “Bild” erschienen ist, veröffentlicht hat, klingt das etwas weniger vage:

Screenshot Bild.de - Bild interview with US Secretaroy of State Pompeo - China will be liable for the damage done by coronavirus

Die Aussage “China will be liable” hat hat sich die “Bild”-Redaktion ausgedacht.

Mit Dank an Gregor G. und anonym für die Hinweise!

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