Suchergebnisse für ‘fakten’

Gratis-“Titanic” gegen Gratis-“Bild”

Sollte am 8. November eine Gratis-“Bild“ in Ihrem Briefkasten landen — die PARTEI hätte da ein interessantes Angebot für Sie:

Die PARTEI Zwangsumtausch: Bild vs. TITANIC + Glühwein

Zum grossen Mauerevent am Abend des 08.11.2014 tauschen wir jede (in Worten: jede) “Gratisbild” gegen ein Faktenmagazin der Marke “TITANIC” um. Ohne wenn und aber! Machen Sie das Beste aus Ihrem Papiermüll und geniessen Sie einen spätsommerlichen Abend mit Glühwein (umsonst), Mauerpropaganda (gratis) und bunten Witzheftchen (TITANIC).

Wir haben sicherheitshalber nochmal nachgefragt: Das ist wirklich ernst gemeint! Also wenn Sie am 8. November in Berlin sind (weitere Orte siehe unten) und Lust haben, den Gratis-Schrott gegen was Vernünftiges einzutauschen: Die Aktion findet ab 19 Uhr an der Adalbertstraße, Ecke Bethaniendamm/Engeldamm statt.

Und wenn Sie jetzt schon Widerspruch eingelegt oder einen Sticker an Ihren Briefkasten geklebt haben, können Sie ja vielleicht noch dem einen oder anderen Nachbarn einen sinnvollen Dienst erweisen.

Nachtrag: Auch in folgenden Städten können Sie am 8. November die Gratis-“Bild” gegen eine “Titanic” eintauschen:

Die “Huffpo” und die Popcorn-Panik

Viele von uns lesen vermutlich häufiger blödsinnige Texte, als uns bewusst ist. In dem Dschungel aus Pseudo-Journalismus, Clickbaiting und zusammengeklaubten Informationsfetzen ist es ja auch schwer, den Überblick zu behalten.

Es kann aber schon helfen, zumindest die hohlsten Medien aus den Bookmarks zu streichen. Zum Beispiel die Huffington Post.

Viele von uns essen vermutlich häufiger ungesunde Lebensmittel, als uns bewusst ist. In dem Dschungel aus Fertig-Produkten, Fastfood und Diät-Produkten ist es ja auch schwer, den Überblick zu behalten. […]

Es kann aber schon helfen, zumindest die ungesündesten Produkte vom Speiseplan zu streichen.

Gut, statt der angekündigten acht folgen dann zwar neun “ungesunde Lebensmittel”, aber die Zahlen sind dann doch eher das kleinste Problem.

Fangen wir mal ganz oben in der Liste an, beim Mikrowellen-Popcorn. Die “Huffpo” behauptet:

In Mikrowellen-Popcorn sind Chemikalien zu finden, die mit Leber-, Hoden- und Bauchspeicheldrüsenkrebs in Verbindung gebracht werden. Die Perfluoroctansäure und der Stoff Diacetyl lösen Tumore und Lungenschäden aus.

Im Original ist der letzte Satz mit einem Link unterlegt, der allen Ernstes zum “Kopp”-Verlag führt.

“Kopp”-Verlag, das ist der mit den “Informationen, die Ihnen die Augen öffnen” — zum Beispiel über UFOs, Geheimdienste, den 11. September, Chemtrails, den Dritten Weltkrieg, Flug MH17, die Politik, die Medien, die Heilkraft der Kokosnuss und so weiter.

Und weil natürlich auch die Lebensmittelindustrie mit den CIA-UFO-Manipulations-Leuten unter einer Decke steckt, finden sich zwischen den Büchern über “Die Pyramiden und das Pentagon” (Untertitel: “Die streng geheimen Forschungen von Regierungen und Geheimdiensten zu mystischen Relikten, untergegangenen Zivilisationen und außerirdischen Besuchern”) und “Das Geheimnis der deutschen Atombombe” (“Gewannen Hitlers Wissenschaftler den nuklearen Wettlauf doch?”) immer wieder auch Texte zu den “Wahrheiten” über unser Essen.

Das ist der “Kopp”-Artikel, den die “Huffpo” als Quelle herangezogen hat. Es ist ein aus dem Englischen übersetzter Text von naturalnews.com, einer amerikanischen Seite, die sich auf Verschwörungstheorien aus der Medizin spezialisiert hat.

Solche Krebs-Lebensmittel-Listen kursieren schon seit Jahren. Das Mikrowellen-Popcorn ist meistens mit dabei. Im “Kopp”-Text heißt es dazu:

Die amerikanische Umweltbehörde EPA bezeichnet die Perfluoroctansäure (PFOA) im Mikrowellen-Popcorn als “wahrscheinlich” karzinogen, mehrere unabhängige Studien haben die Substanz mit der Entstehung von Tumoren in Zusammenhang gebracht. Auch das Diacetyl, das im Popcorn selbst verwendet wird, wird mit Lungenschäden und Krebs in Verbindung gebracht.

In Verbindung gebracht. “Wahrscheinlich” karzinogen. Was genau das bedeutet, verrät der Text nicht, weder bei “naturalnews” noch bei “Kopp” noch bei der “Huffpo”. Und wenn man sich mal die seriösen Quellen zu dem Thema anschaut, wird auch schnell klar, warum.

Im Jahr 2000 wurde bei mehreren Menschen in den USA eine Lungenerkrankung namens Bronchiolitis obliterans festgestellt, die möglicherweise von dem Butteraroma des Mikrowellen-Popcorns (Diacetyl) ausgelöst wurde.

Allerdings: Die Erkrankten hatten allesamt in einer Popcorn-Fabrik gearbeitet, sie waren den Diacetyl-Dämpfen also über lange Zeit und in großen Mengen ausgesetzt. Darum wird die Krankheit auch “popcorn worker’s lung” genannt.

Für den normalen Verbraucher ist das Risiko dagegen viel geringer. 2007 wurde zwar ein Fall bekannt, in dem ein Mann erkrankte, der nicht mit dem Popcorn gearbeitet, sondern es bloß gegessen hatte — allerdings hatte er sich auch zehn Jahre lang jeden Tag mehrere Packungen in der Mikrowelle zubereitet und das Diacetyl darum ebenfalls über einen langen Zeitraum inhaliert.

Die andere Substanz, Perfluoroctansäure, gilt zwar ebenfalls als gefährlich, aber erstens kommt sie nicht im Popcorn selbst vor, sondern in der Verpackung, und zweitens ist ihr Einfluss auf die menschliche Gesundheit erst wenig erforscht. Wenn, dann sind aber, wie beim Diacetyl, am ehesten Industriearbeiter betroffen, die lange und intensiv mit der Subtanz zu tun haben. Das Bundesamt für Riskobewertung ist außerdem, obwohl es die Substanz durchaus kritisch sieht, 2008 zu dem Schluss gekommen, dass “Gesundheitliche Risiken durch PFOS und PFOA in Lebensmitteln […] nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand unwahrscheinlich” seien.

Wenn es also bei “naturalnews” oder im “Kopp Verlag” heißt, dass “mehrere unabhängige Studien […] die Substanz mit der Entstehung von Tumoren in Zusammenhang gebracht” haben, dann ist gemeint: in Tierversuchen.

Davon ab: In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen die Mengen von Diacetyl und Perfluoroctansäure reduziert oder verzichten inzwischen ganz darauf. Wenn man also nicht gerade in einer Mikrowellen-Popcorn-Fabrik arbeitet oder sich täglich mehrere Packungen davon reinpfeift, hält sich die Krebs-Gefahr doch stark in Grenzen.

Aber solche Fakten stören dann nur bei den Panikschürern aus der Verschwörungsecke. Und die “Huffpo” streut die Viertelwahrheiten weiter, weil sie sich, statt in vernünftigen Quellen zu recherchieren, blind auf die selbsternannten Augenöffner verlässt.

Auch beim Rest der Krebs-Lebensmittel-Liste hat sich die “Huffpo”-Autorin ganz offensichtlich von den hysterischen Geschichten der “Kopp” & Co.-Jünger einlullen lassen. Wir wollen jetzt nicht zu jedem Punkt aufschreiben, was davon stimmt und welche Details verschwiegen wurden (das wäre schließlich die Aufgabe der “Huffpo” gewesen), aber ein Blick auf die Quellen erklärt schon einiges.

Der Artikel enthält 14 Links. Zwei davon gehen zu eigenen “Huffpo”-Artikeln, einer zu “Focus Online”. Alle anderen führen den Leser schnurstracks in die zwielichtige Welt der AIDS-Leugner und Chemtrail-Gläubigen.

Verlinkt ist neben dem “Kopp”-Verlag etwa das “Zentrum der Gesundheit”. Das Portal bietet laut Eigenbeschreibung “unzensierte Informationen aus den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Naturheilkunde” — also Videos wie “Der HIV-AIDS-Schwindel” oder “Chemotherapie heilt Krebs und die Erde ist eine Scheibe” oder auch “CIA Kontrolliert Deutsche Medien”.

Eine weitere Quelle sind die “Deutschen Wirtschafts Nachrichten”, eine nicht weniger dubiose Seite, die eigentlich eher für panische Untergangsszenarien aus der Wirtschaft zuständig ist und ungefähr den gleichen Schlag von Menschen anzieht wie “Kopp” & Co.

Und schließlich beruft sich die Autorin noch auf eine Seite namens “fatkiller.guru”, auf der es um die magischen Heilkräfte der Natur geht. Da heißt es:

Warum haben wir diese natürlich heilende Magie vergessen?

Dank korrupter Politiker und die Macht der Pharmaindustrie.

Es ist nicht so, dass wir diese Wundermittel vergessen haben. “Die” wollen uns nur glauben lassen, dass sie einige schwerwiegende Risiken einschließen.

Tja. Und auf solchen Quellen basiert der ganze Artikel. Aber die “Huffpo”-Macher scheint das nicht zu stören. Der Text ist seit fünf Tagen online, die Nähe zur “Kopp”-Ecke wurde in den Kommentaren schon mehrfach kritisiert, aber passiert ist bislang: nichts.

Mit Dank an Moritz N.

Nachtrag, 29. Oktober: Inzwischen hat die “Huffington Post” den Artikel doch noch überarbeitet und am Ende einen Hinweis eingefügt:

Nachtrag: Drei der genannten Punkte basierten auf fragwürdigen Quellen. Wir haben sie daher entfernt. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen. Alle anderen Punkte haben wir ebenfalls noch einmal überprüft und weitere Quellen hinzugefügt.

Gratiseinwilligung, Goldenes Blatt, Gekaufte Journalisten

1. “Einfach mal bei der VG Media anfragen”
(schmalenstroer.net)
Michael Schmalenstroer will von den in der VG Media organiserten Presseverlegern wissen, ob er von ihnen auch, wie Google, eine “widerrufliche Gratiseinwilligung” und somit ein kostenloses Nutzungsrecht für ihre Inhalte erhalte. Siehe dazu auch “Peinliches Ende des Leistungsschutz-Dramas” (sueddeutsche.de, Johannes Boie) und “Das Leistungsschutzrecht scheitert vorerst und verzerrt dennoch den Wettbewerb” (internet-law.de, Thomas Stadler).

2. “Zwanzig Jahre Spiegel Online: Die letzte News-Website der alten Art”
(blogs.stern.de, Lutz Meier)
Lutz Meier gratuliert “Spiegel Online” zum 20. Geburtstag. Es spreche jedoch vieles dafür, “dass diese Art des Online-Journalismus ihre Grenzen erreicht hat. Im Wettrennen um das Ziel, mit wenig Aufwand schnell viele Klicks zu erzeugen, gibt es inzwischen jede Menge Konkurrenz – die mit weniger journalistischen Scheuklappen kämpft. (…) Was fehlt, und nicht nur dem Spiegel-Verlag, ist aber ein Geschäftsmodell für Premium-Journalismus in einer weitgehend digitalisierten Welt.”

3. “Bitte keinen Journalismus”
(dominikimseng.com)
Dominik Imseng stellt eine Verschmelzung von Werbung und Journalismus fest: “Ist es auszuschliessen, dass man schon bald nicht mehr nur Werbung als geistige Umweltverschmutzung betrachtet, sondern auch Journalismus? Dass es nicht nur Werbeblocker gibt, sondern auch News-Blocker? Installiert, um uns vor einer geistlosen Ablenkung zu bewahren, die umso verführerischer ist, als sie sich den Anschein von Relevanz gibt?”

4. “Lokführerstreik: Die Mär von der geschönten Urabstimmung”
(wibkeschmidt.com, 22. Oktober)
Wibke Schmidt beschäftigt sich mit dem Artikel “Geheimer Brief an GDL-Chef wegen Schummel-Verdacht” (bild.de), dessen Inhalt von anderen Medien aufgenommen wird: “Die meisten Medien sind zwar nicht selbst auf den Skandalisierungszug aufgesprungen, haben die dpa-Meldung aber in ihr Onlineangebot aufgenommen, so dass sich die Mär von der ‘Schummelei’, einem Rechenfehler oder gar einer denkbaren Wahlfälschung fröhlich weiterverbreitet hat.”

5. “Die Wahrheit über die Lügen der Journalisten”
(krautreporter.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier prüft Fakten im Buch “Gekaufte Journalisten” von Udo Ulfkotte.

6. “Bis dass ‘Das goldene Blatt’ Euch scheidet”
(topfvollgold.de, Moritz Tschermak)
Die Ehe zwischen Prinz Charles und Camilla Parker Bowles im “Goldenen Blatt”: “Allein in den vergangenen zwei Jahren verkündete ‘Das goldene Batt’ also ein Ehe-Drama, drei Ehe-Ausse und vier Scheidungen. Mal war es ‘endgültig’, mal ‘die ganze Wahrheit’. Und immer völliger Blödsinn.

Frontal21, Mario Götze, Peter Wälty

1. “Ukraine-Konflikt: Kritik an Medienhäusern”
(ndr.de, Video, 6:21 Minuten)
Die Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt: Rund 300 Menschen demonstrieren vor dem Redaktionsgebäude des “Spiegel” in Hamburg, die ARD-Tagesschau und die ARD-Tagesthemen erhalten täglich stapelweise kritische Post (ab 4:28 Minuten).

2. “Als-ob-Information”
(demystifikation.wordpress.com)
Stefan Wagner misst eine von der ZDF-Sendung “Frontal21” in einem Beitrag (youtube.com, Video, ab 5:15 Minuten) verwendete Grafik nach.

3. “Kein Liebling der Massen”
(wdr.de, Video, 8:35 Minuten)
Die WDR-Sendung “Sport Inside” beleuchtet die Abschottung von Fußballer Mario Götze durch PR und Werbung.

4. “Deshalb nervt PR”
(blog.tagesanzeiger.ch/offtherecord, Christian Lüscher)
Christian Lüscher listet zehn Methoden auf, wie Öffentlichkeitsarbeiter versuchen, Journalisten für ihre Sache zu gewinnen.

5. “‘Diese professionelle Demutsheuchelei ist mir auf Dauer zu anstrengend'”
(persoenlich.com, Matthias Ackeret)
Ein Interview mit Peter Wälty, Leiter Digitalentwicklung und stellvertretender Chefredaktor von “20 Minuten”: “Wir kriegen 5’000 Leserbilder im Monat, davon zeigen wir vielleicht 50. Dasselbe bei den Leserkommentaren. Wir kriegen täglich um die 5’000, aber nur deshalb, weil wir die Kommentarfunktion nach 24 Stunden schliessen. Würden wir das nicht tun, hätten wir doppelt so viele.”

6. “Helmut Markwort: ‘Ja, ich bin Moritz Rodach'”
(newsroom.de, Bülend Ürük)
Helmut Markwort gibt zu, unter dem Pseudonym Moritz Rodach für “Focus Online” über den FC Bayern München geschrieben zu haben: “Ich bin ja nicht nur Fan, sondern auch Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern. Jeder weiß das. Natürlich auch die Kollegen von Online, als sie mich baten, ihnen ein paar Fakten von einer Reise mit den Bayern durchzugeben. Es war eine Gelegenheitsarbeit – und in meinem grundsätzlichen Bemühen, ein objektiver Journalist zu sein, meine subjektive Schwachstelle.”

Bild  

Kinderschänder-Quatsch mit “Bild”

Bei einer solchen Nachricht reiben sich Boulevardjournalisten natürlich die Hände: Das Landgericht Paderborn hat angeordnet, einen Sexualstraftäter, der sich an mehreren Kindern vergangen hatte und deshalb seit 19 Jahren hinter Gittern sitzt, aus der Forensischen Psychiatrie zu entlassen — obwohl ihn die Ärzte und externen Gutachter immer noch für gefährlich halten.

Für die “Bild”-Zeitung erwartungsgemäß ein großer …

(Ausriss aus der Dienstagsausgabe.)

Und sie ist nicht die einzige, die den Fall kritisch sieht. Das Besondere an dem “Bild”-Artikel ist aber, dass er den Eindruck erweckt, als sei die Klinik selbst verantwortlich dafür, dass der Mann freikommen soll.

Das Blatt schreibt:

Ein Gutachter warnt, “dass der Betroffene bei unüberwachter Bewegungsfreiheit sexuelle Kontakte zu Jungen herstellen werde”.

Warum darf er trotzdem raus? Das Gesetz schreibt vor, dass Bernd B. testweise auch unbegleitete Ausgänge gestattet werden müssen. ABER: 1995 hatte ein Freigänger in Lippstadt ein Kind ermordet. Nach Bürgerprotesten wurde festgelegt, dass Patienten für Freigänge in eine andere Stadt gebracht werden müssen.

Um Bernd B. In eine andere Stadt zu bringen, hatte die Klinik aber kein Personal! Der Täter blieb eingeschlossen. “Das ist rechtswidrig”, sagt sein Anwalt Carsten Ernst.

Und schwupps — ist die Klinik schuld, weil sie angeblich nicht genug Personal hat:

Diese Darstellung sei jedoch “hochgradiger Quatsch”, sagte uns Karl Donath, der Sprecher des Klinik-Trägerverbandes LWL auf Nachfrage. Es gebe keinen Personalmangel. Das sei der “Bild”-Zeitung vor Erscheinen des Artikels auch bekannt gewesen. Trotzdem habe sie die wohl lancierte Behauptung gebracht.

Er erklärte weiter:

“Der Dreh- und Angelpunkt ist nicht der nicht vorhandene Personalmangel, sondern dass die Justiz die Freiheitsrechte von Untergebrachten im Einzelfall höher bewertet als verbleibende Sicherheitsbedenken auf Seiten der Behandler. Die Justiz muss diesen sogenannten Verhältnismäßigkeits-Grundsatz umso höher bewerten, je länger der Patient schon im Maßregelvollzug ist.”

Für die im “Bild”-Artikel genannten Lockerungsmaßnahmen (unbegleiteter Ausgang in einer anderen Stadt) herrsche in der Klinik, so der Sprecher, “erst recht kein Personalmangel, weil wir dafür extra Geld bekommen.” Im Übrigen sei der unbegleitete Ausgang “kein zielloses Umherstromern, sondern erfolgt unter zeitlicher Kontrolle und mit festen Regeln und Zielen.”

All das verschweigt die “Bild”-Zeitung einfach, was den Klinik-Sprecher aber offenbar nicht allzu sehr überrascht:

“Wenn Fakten eine vorgefertigte Geschichte kaputtzumachen drohen, dann werden sie in manchen Fällen eben einfach umgedeutet oder beiseitegeschoben. Das ist kein neues Phänomen bei Boulevardmedien, nicht nur bei der ‘Bild’-Zeitung.”

Mit Dank an Jürgen L.

Helmut Markwort, Nicolaus Fest, New York Times

1. “News zu News bei Google”
(google-produkte.blogspot.de, Philipp Justus)
Nach einer via der Verwertungsgesellschaft VG Media von deutschen Printverlegern eingereichten Klage kündigt Google an, “Snippets und Thumbnails einiger bekannter Webseiten wie bild.de, bunte.de oder hoerzu.de nicht mehr anzeigen, also jener Verlage, die in der VG Media organisiert sind. Für diese Seiten werden wir nur noch den Link zum Artikel sowie dessen Überschrift anzeigen.”

2. “Verlage empört: Jetzt will Google nicht mal mehr ihr Recht verletzen!”
(stefan-niggemeier.de)
VG Media reagiert mit einer Pressemitteilung unter dem Titel “Google erpresst Rechteinhaber” (vg-media.de, PDF-Datei) auf die Nachricht. Stefan Niggemeier schreibt dazu: “Die Verlage haben sich zuerst darüber beklagt, dass Google ihre Inhalte (angeblich) rechtswidrig nutzt. Nun beklagen sie sich darüber, dass Google ihre Inhalte nicht mehr rechtswidrig nutzt. Man kann den Irrsinn kaum noch angemessen kommentieren.”

3. “Mutig: Reporter bringen die Welt nach Nordkorea”
(ndr.de, Video, 8:55 Minuten)
Journalisten, die Bilder aus der Welt nach Nordkorea schmuggeln. Und Journalisten, die Bilder aus Nordkorea herausholen und der Welt zeigen.

4. “Fakten, Fakten, Fakten”
(zeit.de, René Martens)
Helmut Markwort, Mitglied des Aufsichtsrats des FC Bayern München, steht unter Verdacht, in seiner Zeit als “Focus”-Chefredakteur unter dem Pseudonym Moritz Rodach “Focus”-Texte über den Fußballverein verfasst zu haben.

5. “Nicolaus Fest verlässt die ‘Bams’-Chefredaktion”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Wie die Axel Springer AG mitteilt, verlässt Nicolaus Fest “das Unternehmen auf eigenen Wunsch, um in Zukunft als freier Journalist zu arbeiten”. Uwe Mantel schreibt: “Zuletzt fiel Nicolaus Fest, seit 2013 stellvertretender Chefredakteur der ‘Bild am Sonntag’, mit seinem Kommentar ‘Islam als Integrationshindernis’ auf, für den die ‘BamS’ auch eine Rüge durch den Presserat kassierte.” (BILDblog berichtete).

6. “Here’s The Unfortunate Math That Will Likely Force The New York Times To Make Even More Cuts…”
(businessinsider.com, Henry Blodget, englisch)
Henry Blodget rechnet aus, wie viele Journalisten die “New York Times” im digitalen Zeitalter beschäftigen könnte: “So the New York Times might eventually be able to support a newsroom budget of $140 million as compared to the ~$200 million budget it has today. Using the same $150,000-per-journalist all-in estimate, this budget would support ~930 top-notch journalists. (…) But 930 journalists is about 300 fewer than the New York Times will employ after this latest round of cuts.”

Nacktbilder, Presseförderung, Amal Alamuddin

1. “mögliche folgen von blog-professionalisierung: haltungsschäden und merkbefreiung”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Felix Schwenzel denkt über Blogger nach, die gestohlene Nacktbilder von Prominenten bearbeitet veröffentlichen: “nach ein paar tagen des nachdenkens, halte ich es tatsächlich für möglich, dass manche blogger glauben, dass ein paar pinselstriche aus etwas verletzendem, übergriffigen und für die betreffenden extrem unangenehmen etwas schönes, angenehmes und wohliges machen könnten.”

2. “Den Medien die Totenglocke läuten”
(nzz.ch, Veit Dengler)
Veit Dengler, CEO der NZZ-Mediengruppe, wendet sich, “flankierende Massnahmen” und “indirekte Förderung” ausschließend, gegen staatliche Presseförderung: “Internet und Co. haben nicht nur die Zeitungen vor radikal neue Aufgaben und Probleme gestellt, sie sind dabei, unsere gesamte Gesellschaft, so gut wie alle Wirtschaftszweige, unser Wissen und unser Denken völlig umzukrempeln. Alle und alles muss die Herausforderungen der neuen Medien bewältigen, um bestehen zu können. Warum sollen gerade journalistische Medien in diesem Prozess staatlich gefördert werden? Warum nicht die Buchbinder, Strassenmusikanten oder Reisebüros?”

3. “Josef Joffe, Jochen Bittner ./. ZDF – Die Anstalt”
(heise.de/tp, Markus Kompa)
Markus Kompa besucht eine Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg: “Im Termin am Freitag hatten die Pressejuristen gewisse Probleme, die satirischen Äußerungen auszulegen. Satire ist als Unterfall der Meinungsfreiheit grundsätzlich von Meinungsfreiheit geschützt, wobei allerdings Lügen nicht durch taktische Formgebung von Satire ‘legalisiert’ werden können. Nach Ansicht des Bittner/Joffe-Anwalts handelte es sich um falsche Tatsachenbehauptungen.” Siehe dazu auch “ZEIT-Journalisten verstehen keinen Spaß” (kanzleikompa.de).

4. “Wie die taz durch die Medienkrise kommt”
(blogs.taz.de/hausblog, Karl-Heinz Ruch)
Karl-Heinz Ruch schreibt zur Krise der Zeitungen: “Die Erwartung, dass die Zukunft des Journalismus nicht mehr bei Print, sondern bei Online liegt, hat in vielen Redaktionen zu Verwerfungen geführt, die vor allem eines gezeigt haben: Es stehen viele Besitzstände auf dem Spiel. Inzwischen lichtet sich vielerorts der Nebel und es wächst die Erkenntnis, dass nicht die unterschiedlichen Publikationswege das Problem darstellen, sondern dass tradierte Geschäftsmodelle nicht mehr und neue Geschäftsmodelle noch nicht funktionieren.”

5. “Die fünf schrecklichsten Fakten über den Wissenschaftsjournalismus”
(scilogs.de, Markus Pössel)
Der Beitrag “Das sind die fünf faszinierendsten Fakten über unser Universum” auf Focus.de.

6. “Internationally acclaimed barrister Amal Alamuddin marries an actor”
(thebusinesswomanmedia.com, Amanda Rose, englisch)

Bild  

Schutzwesten gegen Asylbewerber (2)

Vor gut zwei Wochen haben wir darüber geschrieben, wie die “Bild”-Zeitung Stimmung gegen ein Asylbewerberheim in Bautzen macht.

Das Blatt hatte in der Dresdner Ausgabe behauptet:


(Unkenntlichmachung von uns.)

In dem Artikel hieß es:

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Bautzen kaufte dem Rettungsdienst stich- und schusssichere Westen. (…) Offenbar geht es vor allem um Einsätze im Spreehotel – der Vier-Sterne-Herberge, wo neuerdings Asylbewerber untergebracht sind.

Die Polizei, das DRK und der Betreiber des Heims haben allerdings mehrfach klargestellt, dass diese Darstellung falsch ist.

Zunächst mal: Das Heim ist gar keine “Vier-Sterne-Herberge” mehr. Der Hotelbetrieb wurde schon vor geraumer Zeit eingestellt, das Gebäude dient jetzt ausschließlich als Unterkunft für die Asylbewerber. Und die Westen, die sich das DRK tatsächlich besorgt hat, sind auch nicht schusssicher, sondern schützen “nur” gegen Schläge und Stiche.

Vor allem aber wurden sie nicht “aus Angst vor Attacken aus dem Asyl-Hotel” besorgt, wie “Bild” behauptet, sondern um die Rettungskräfte ganz allgemein und bei allen Einsätzen zu schützen. Ganz unabhängig vom Einsatzort. Der Polizei ist in dem Heim auch “kein Übergriff auf Rettungspersonal bekannt”.

Wir kommen nochmal auf diese Geschichte zurück, weil vorgestern der Betreiber des Heims bei Maybrit Illner zu Gast war (Sendung in der Mediathek, ab ca. 19:10). Dort erzählte er, dass es “natürlich” auch “ein paar vielleicht nicht so freundliche Bewohner” gebe, aber der Großteil sei vollkommen friedlich:

In diesen drei Monaten [seit die Asylbewerber in dem Heim wohnen], ist bei mir eine Sache vorgefallen, die wirklich nachweislich kriminell war, die war nicht in Ordnung, und die wird auch dementsprechend verfolgt. Es ist sonst nachweislich nichts passiert. Das einzige, was die Asylbewerber leider Gottes machen: Sie atmen die Luft der Bautzner. Und ich glaube, das ist wirklich nicht schlimm. Also es gibt nun gar keinen Grund, gegen diese Menschen zu sein. Sie tun niemandem was, und sie wollen sich integrieren.

Auch die Polizei und das DRK appellieren an die Bürger, …

nicht alle der 150 Asylbewerber zu verurteilen. Meist handelt es sich nur um vereinzelte Personen, die mit einem deutlichen Fehlverhalten alle Einwohner in ein schlechtes Licht rücken.

Über dieses Fehlverhalten haben sich einige Bautzner auch vor ein paar Tagen in einer “Sicherheitskonferenz” beschwert (nachzulesen etwa hier), doch sowohl die Polizei als auch die Stadt weisen immer wieder darauf hin, dass man nicht alle Bewohner über einen Kamm scheren dürfe und die Anzahl der Fälle verhältnismäßig gering sei.

Anfang des Monats berichtete auch der MDR:

Eine wachsende Anzahl Straftaten – wie von einigen Bautznern befürchtet – verzeichnete die Polizei indessen nicht. Laut Sprecher Thomas Knaup sind der Polizei seit dem Einzug der ersten Asylbewerber in das Spreehotel [im Juli, Anm.] 15 Fälle gemeldet worden. Im Vergleich zu den insgesamt 3.700 Straftaten, die sich 2013 in der Region ereignet hätten, sei der Anteil damit verschwindend gering, so Knaup.

Im “Bild”-Artikel heißt es allerdings nur, dass “das Miteinander der Nationalitäten” “nicht problemlos” ablaufe und die Polizei zu mehreren Einsätzen ausrücken musste. Eingeordnet werden diese Fälle nicht.

Ebenso wenig erwähnt “Bild”, dass es auch mindestens einen Übergriff gegen die Bewohner des Asylbewerberheims gegeben hat. Vor drei Wochen schrieb der Oberbürgermeister von Bautzen auf der Facebook-Seite der Stadt:

Liebe Bautzenerinnen und Bautzener!

Es sollte ein ganz besonderer Tag für das Kind einer tunesischen Asylbewerberfamilie werden. Doch am Morgen des ersten Schultages sah sich die junge Mutter dem Fremdenhass eines bislang unbekannten Mannes ausgeliefert. Die junge Frau wurde beschimpft und durch einen Schlag verletzt. Dieser Vorfall am hellen Tag, mitten in der Stadt Bautzen, ist widerlich. Ich bin zutiefst entsetzt darüber und entschuldige mich im Namen der Stadt und der friedliebenden toleranten Menschen ausdrücklich bei der jungen Familie für dieses Verhalten.

Über diesen Vorfall verliert der “Bild”-Reporter kein Wort. Auch nicht darüber, dass das Heim mit einem zwei Meter hohen Zaun umzogen worden ist — nicht, um die Leute zu kasernieren, “sondern um die Gefahr von außen abzuwenden”, wie der Betreiber des Heims bei Maybrit Illner erklärte.

Er fügte aber auch hinzu, dass viele Bautzner sehr hilfsbereit seien. Grundsätzlich sei Bautzen “ein guter Ort”:

Ich möchte nicht, dass die Idee entsteht, dass Bautzen eine völlig rechte Ecke Deutschlands ist. Es gibt aber leider Gottes eben einen ganzen Haufen rechtgesinnte Menschen, auch NPD-Mitglieder, die mir das Leben sehr schwer gemacht haben.

Er habe zwei Morddrohungen erhalten, werde — ebenso wie die Bewohner — häufig beleidigt, und in drei Geschäften sei ihm angetragen worden, dort bitte nicht mehr einzukaufen, weil es schlecht für ihr Image wäre.

Das alles sei Ausdruck einer …

Hysterie, die ich nicht nachvollziehen kann. Wenn die Asylbewerber nachweislich Ungedeih gemacht hätten, dann würde ich sagen: okay, verständlich. Aber es ist nichts passiert! Die reine Anwesenheit. Es ist die Angst vor dem Fremden.

Und diese Angst schürt auch die “Bild”-Zeitung, indem sie lügt, Fakten verschweigt und einseitig berichtet. Obwohl längst klar ist, dass der Artikel einen völlig falschen Eindruck erweckt und obwohl der Redaktion bekannt ist, dass sie damit Menschen gegen die Asylbewerber aufhetzt, ist bislang keinerlei Korrektur erschienen.

Im Gegenteil: Der Artikel ist immer noch online.

Mit großem Dank auch an Tobias M.

Nachtrag, 17. März 2015: Die Berichterstattung ist nun auch vom Deutschen Presserat missbilligt worden.

Nabelschau, Nordkurier, Jugend-TV

1. “Im Zeitalter der Selbststilisierung”
(taz.de, Michael Sontheimer)
Statt zu recherchieren, würden Journalisten immer häufiger Nabelschau betreiben, kritisiert Michael Sontheimer: “Wenn inzwischen die Journalistengeneration der Selfies glaubt, das Persönliche sei qua naturam politisch, auch wenn es nicht politisch gedacht und auf das Politische projiziert wird, ist das ein fataler Fehler. Zudem verwechseln die meisten Ich-Erzähler das Persönliche mit dem Privaten.”

2. “Zwei bekannte ZEIT-Journalisten und ihr Kampf gegen die Pressefreiheit”
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Vor dem Landgericht Hamburg streiten zwei “Zeit”-Journalisten und das ZDF über Aussagen, die in der Satiresendung “Neues aus der Anstalt” über diese Journalisten gemacht wurde. Als Reaktion auf den Beitrag von Thomas Stadler schreibt Jochen Bittner, weshalb er sich gezwungen sah, gegen “die weitere Verbreitung dieser falschen Tatsachenbehauptungen” vorzugehen.

3. “Endstation Winzerfest”
(juliane-wiedemeier.de)
Juliane Wiedemeier glaubt, dass konservative Lokalzeitungsmacher eine grössere Gefahr für die Lokalzeitung sind als das Internet: “Wer wissen will, was am Ort los ist, kommt auch 2014 an der Lokalzeitung nicht vorbei. Welche jedoch inhaltlich noch im Jahr 1981 hängt – in Zeiten, als Vereine über ihre Jahreshauptversammlungen noch nicht auf ihrer Internetseite berichten konnten und Menschen ihre tägliche Mediennutzungszeit auf eine ausgedruckte Zeitung und drei Fernsehprogramme verteilten.”

4. “Warum der Nordkurier lieber die Fakten nennt”
(nordkurier.de, Jürgen Mladek)
Gregor Kochhan wirft dem “Nordkurier” vor, es mit dem Pressekodex nicht so genau zu nehmen und liefert konkrete Verbesserungsvorschläge. Der “Nordkurier” hält dagegen: “Durch Verschweigen erzeugt man Unsicherheit und letztlich Angst. Was sollen die Menschen denn denken, wenn öfter Polizeiautos vorm Asylbewerberheim halten und nichts davon in der Zeitung steht? Das schürt Gerüchte und Stimmungen. Wir setzen Fakten dagegen.”

5. “Panik im Mittelstand oder: Wohin driftet der Journalismus?”
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal schreibt zur Publizistik der Zukunft: “Wer heute immer noch Journalist werden will (und das wollen erstaunlicherweise immer noch viele), wird künftig davon ausgehen können, entweder über Gebühren und Steuern finanziert zu werden oder von Stiftungen, Internet-Plattformen oder Crowdfunding zu leben. Der Journalist der Zukunft wird so im weitesten Sinne dem Öffentlichen Dienst angehören und als Vermittler von Informationen um größtmögliche Neutralität, Ausgewogenheit und Distanz bemüht sein. Oder er wird im Sinne der ihn beauftragenden ‘Gemeinde’ ganz bestimmte Ziele verfolgen und eine neue Form des Partei- und PR-Journalismus etablieren.”

6. “Aufgedeckt: So funktioniert der Zitationszirkel von Jugend-TV”
(blog.gwup.net, Bernd Harder)

Die AfD und der Mut zur Unwahrheit

Normalerweise kümmern wir uns hier ja nicht um das Fehlverhalten von Parteien, sondern um das von Medien. Da sich gestern aber das eine aus dem anderen ergeben hat, wollen wir nochmal kurz über die AfD sprechen.

Die Partei hat am Montag bei Facebook einen Artikel der “Bild”-Zeitung geteilt. Darin geht es, wie wir gestern berichteten, um das Deutsche Rote Kreuz in Bautzen, das sich neuerdings Schutzwesten besorgt hat — laut “Bild” aus “Angst vor Attacken” in einem Asylbewerberheim. Allerdings hat sich der “Bild”-Reporter die Fakten nur geschickt zurechtgedreht. In Wahrheit steht die Anschaffung der Westen laut DRK in keinem Zusammenhang mit dem Heim, und auch der Polizei ist dort “kein Übergriff auf Rettungspersonal bekannt.”

Gut, das konnte die AfD am Montag noch nicht wissen. Und klar: Wenn die “Bild”-Zeitung Quatsch berichtet, kann die AfD nichts dafür.

Trotzdem hat auch die Partei dazu beigetragen, die Wahrheit zum Nachteil der Asylbewerber zu verzerren. In der Ankündigung des Artikels schrieb sie nämlich:

Häufig stehen die Bewohner unter Alkohol- oder Drogeneinfluss und stellen dann eine Gefahr für die Hilfskräfte dar.

Das stimmt nicht. Zumindest ist davon im “Bild”-Artikel keine Rede. Der DRK-Chef hatte lediglich gesagt:

“Meine Mitarbeiter sind nicht zu beneiden. Wenn sie zu Patienten müssen, die unter Einfluss von Drogen- oder Alkohol stehen, psychische Erkrankungen haben oder gewaltbereit sind, dann ist eine Schutzausrüstung einfach notwendig!”

Er spricht ganz klar von allen Patienten. Auf die Bewohner des Asylbewerberheims geht er gar nicht ein.

Das heißt: Entweder hat die AfD den Artikel nicht richtig gelesen, oder sie will bewusst Stimmung gegen die Asylbewerber machen. Und wenn man sich das weitere Verhalten der Partei anschaut, muss man wohl zu dem Schluss kommen, dass Letzteres der Fall ist.

Denn obwohl spätestens seit gestern Mittag klar ist, dass die “Bild”-Zeitung ihre Leser mit dem Artikel in die Irre geführt hat, blieb der Facebook-Eintrag der AfD weiter online — und der Hetzmob durfte sich weiter austoben.

Selbst die übelsten Kommentare — von rassistischer Hetze bis hin zu konkreten Mordfantasien — wurden nicht gelöscht. Nun könnte man annehmen: Die AfD, die sich ja gerne als Wächterin der Meinungsfreiheit und Kämpferin für Transparenz inszeniert und deren Anhänger immer gleich “ZENSUR!!” schreien, wenn ihre Kommentare irgendwo gelöscht werden, moderiere auf ihrer Facebook-Seite aus Prinzip gar nicht. Aber: Doch, das tut sie.

Gut ein Dutzend Personen hat gestern auf der AfD-Seite unseren BILDblog-Eintrag verlinkt. Jeder einzelne davon wurde binnen Minuten gelöscht. Wir haben es selbst versucht, doch kurze Zeit später war unser Kommentar verschwunden — und wir als Kommentator gesperrt. Auch andere Kommentare (ohne Link), die darauf hinwiesen, dass der “Bild”-Artikel falsch sei, wurden sofort entfernt. Die Hetzsprüche hingegen blieben unangetastet.

Erst heute hat die Partei den Eintrag komplett gelöscht.

Nachtrag, 12. September: Wir haben versucht, eine Stellungnahme von der AfD zu bekommen, doch auf den versprochenen Rückruf warten wir bis heute.

Unsere Leserin Julia S. hat aber ebenfalls nachgefragt und gestern tatsächlich eine Antwort bekommen.

Die Anfrage:

Sehr geehrte Damen und Herren,
in den sozialen Medien diskutiert man zur Zeit über eine vor kurzem veröffentlichte Falschmeldung, die auch Sie auf Ihrer FB-Seite geteilt haben. In besagter Meldung wird suggeriert, dass Rettungssanitäter aufgrund des Einsatzes mit Asylbewerbern Schutzwesten tragen. Trotz diverser Kommentare auf Ihrer FB-Seite, dass es sich um eine Falschmeldung handelt, haben Sie erst nach einiger Zeit den Artikel gelöscht. Zuvor wurden kritische Kommentare entfernt und Nutzer blockiert. Im Gegensatz dazu blieben viele hetzerische Kommentare bestehen.

Ich frage mich nun, wie ein solches Handeln beispielsweise mit dem Slogan der AfD zur Landtagswahl in Thüringen (“Politik ohne Denkverbote”) vereinbar ist. Weiterhin heißt es in Ihrem Link (http://www.alternativefuer.de/landtagswahl-thueringen/): “Die Schere zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung muß sich wieder schließen. In diesem Bewußtsein wenden wir uns mit Nachdruck gegen zunehmend verbreitete Tendenzen, Andersdenkende einzuschüchtern oder zivilgesellschaftlich auszugrenzen. Wo dies militant geschieht, erinnern wir den Staat an sein Gewaltmonopol und die Öffentlichkeit an ihre demokratische Pflicht, sich für die Wahrung von Grundrechten und -werten zu engagieren.” Auch diese Aussage steht für mich im Gegensatz zu Ihrem Handeln zwecks besagter Falschmeldung.

Nebenbei würde mich auch interessieren, warum ihre Partei, die auch Personen der Hochschullandschaft vertreten möchte, noch die alte Rechtschreibung (z.B. muß, Bewußtsein) nutzt.

Über eine Antwort Ihrerseits würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Julia S.

Die Antwort:

Hallo Julia,
wir sind es gewohnt, dass zu fast jedem unserer Threads einige User kommentieren, das sei alles nicht wahr, übertrieben o.ä. Wir nehmen das sicherlich nicht jedesmal zum Anlass, den Wahrheitsgehalt eines verlinkte Berichts aus den Medien zu überprüfen. “Kritische” Kommentare wurden nicht gelöscht, sondern nur Kommentare, die gegen unsere Forenregeln verstoßen (siehe Impressum [Link von uns, Anm.]). Nachdem wir heute früh festgestellt haben, dass die kritischen Kommentare vermehrt gepostet worden waren, haben wir das geprüft und den Post danach entfernt. Man muss aber feststellen, dass es vielen “Kritikern” nicht darum ging, einen Post mit falscher Information zu verbergen, sondern offensichtlich nur darum, auf der Seite gegen die AfD “Stimmung” zu machen. Nicht anders ist es zu interpretieren, dass genau diese “Kritiker” nach der Löschung des Posts dazu übergingen, genau diesen immer wieder hier zu posten und eine “Entschuldigung” zu verlangen…

Diese, unsere Handlungsweise entspricht im Übrigen genau dem von Ihnen zitierten Absatz: Man versucht durch organisierte Aktionen auf unserer Seite “Andersdenkende” auszugrenzen, diffamiert AfD Anhänger und beleidigt diese. Wir halten die Meinung des überwiegenden Teils dieser “Kritiker”, die wir gestern zu diesem Thema auf unserer Seite hatten, nicht für die öffentliche Meinung!

Ihre abschließende Frage ist darin zu beantworten, dass es auch Unterstützer der AfD gibt, die ihre Schulausbildung bereits vor 1996 beendet haben. An den Reaktionen der User erkennen wir, dass sich kaum jemand daran stört, da es den Menschen hauptsächlich um die Inhalte geht. Grundsätzlich haben Sie jedoch Recht und wir sind bereits auch in diesem Punkt dabei, unsere Strukturen professioneller zu gestalten. Bis dahin verweisen wir auf die Aussagen unserer vielen und sehr gut ausgebildeten Funktions- und Mandatsträger wie Hr. Lucke, Hr. Henkel usw., die sicherlich den Ansprüchen des von Ihnen genannten Personenkreises in vollem Umfang entsprechen dürften.
VG (RH)

Blättern:  1 ... 63 64 65 ... 91