1. Verleger bekommen Hilfe vom Staat (taz.de, Anne Fromm)
Die Große Koalition will die Sozialabgaben für Zeitungszusteller senken, „zur Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen“. Das Steuergeschenk an die Verlage muss jedoch finanziert werden und das führt zur Frage: Wer zahlt die Zeche? Der Steuerzahler oder gar die Zeitungsboten selbst? Und was ist generell von der Idee zu halten?
2. Gemeinsame Plattform von ARD und Verlagen (deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs)
Der BR-Intendant und aktuelle ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm denkt über eine gemeinsame Plattform mit Inhalten von Öffentlich-Rechtlichen und Verlagen nach. Das Ziel: Sich mit dieser Art “Super-Mediathek” von YouTube, Facebook und Co. zu emanzipieren. Zeitungsverlegerchef Döpfner, sonst im Dauertwist mit den Öffentlich-Rechtlichen, gefällt die Idee. Das Projekt ist jedoch sehr ambitioniert, um es zurückhaltend zu formulieren und weist zahlreiche Schwierigkeiten auf. Einige davon hat der Journalist Martin Hoffmann in einem Twitter-Thread zusammengefasst.
3. Faktencheck: Die vom „Rheinneckarblog“ erfundene Terror-Story ist kein „Gonzo-Journalismus“ (correctiv.org, Caroline Schmüser)
Der „Rheinneckarblog“ meldete am Wochenende einen „massiven Terroranschlag in Mannheim“. Rund 50 Angreifer hätten mit Macheten und anderen Messern verschiedene Feste in der Stadt gestürmt, und für ein „Blutbad apokalyptischen Ausmaßes“ gesorgt. Später stellte sich heraus: Die Geschichte war frei erfunden. Der Verdacht liegt nahe, um zahlende Abonnenten zugewinnen, denn Seitenbetreiber Prothmann hatte an strategischer Stelle eine Paywall eingerichtet. Prothmann gibt als Rechtfertigung für die Aktion an, es habe sich um „Gonzo-Journalismus“ gehandelt. „Correctiv“-Autorin Caroline Schmuser erklärt, warum dies keineswegs der Fall ist.
4. Radikal und islamfeindlich (faktenfinder.tagesschau.de, Sylvia Stöber)
Donald Trump hat sich als neuen Nationalen Sicherheitsberater einen berühmt-berüchtigten Falken in die Regierung geholt. Der erzkonservative Militarist John R. Bolton befürwortete nicht nur den Irak-Krieg, er ist auch gegen das Iran-Abkommen und unter Umständen für einen Präventivschlag gegen Nordkorea. Und er leitet einen Think Tank, der unter anderem Desinformation über Deutschland verbreitet. Sylvia Stöber dröselt die Verbindungen und Verwicklungen des neuen Sicherheitsberaters auf.
5. AfD im Bundestag: Mehr als jeder dritte Abgeordnete offenbar in Facebook-Gruppen mit rassistischer Hetze (motherboard.vice.com, Sebastian Meineck)
Nach einer „Motherboard“-Analyse sind offenbar mehr als ein Drittel aller AfD-Bundestagsabgeordneten Mitglied rassistischer Hetzgruppen auf Facebook. Sebastian Meineck hat sich in die braunen Ecken des Netzwerks begeben und Partei und Abgeordnete mit ihren Mitgliedschaften konfrontiert. Weiterer Lesetipp: Wie aus Falschnachrichten Fake-News werden (golem.de, Friedhelm Greis) über die Taktik von Rechtspopulisten, schlecht recherchierte Meldungen klassischer Medien für sich auszunutzen.
6. “Krone”-Kolumnist Jeannée muss sich “Sudelfeder” nennen lassen (diepresse.com)
Der österreichische Boulevardjournalist Michael Jeannée teilt in seinen Kolumnen gerne aus, kann aber augenscheinlich nicht viel einstecken. Wegen der Bezeichnungen „Sudelfeder“ und “Promille-Schreiber” zog er vors Gericht. Dies urteilte: Die erste Zuschreibung ist erlaubt, die zweite nicht, da kein “ausreichendes Tatsachensubstrat“. Die Prozessbeteiligten haben Rechtsmittel eingelegt: Nun darf sich das Wiener Oberlandesgericht mit Sudelfeder und Promille-Schreiber befassen.
1. Wie der MDR der AfD und Moskau zugleich half (tagesspiegel.de, Matthias Meisner)
Die Konstellation ist schon ganz interessant: Ein AfD-Politiker schimpft beim vom russischen Staat finanzierten TV-Sender “RT” über den Islam, alles ermöglicht durch die technische Hilfe des öffentlich-rechtlichen MDR. Matthias Meisner fragt: “Musste das sein?” Der MDR antwortet bei Twitter: Ja, das musste sein, “das handhaben wir bei allen Mitgliedern der EBU — der Europäischen Rundfunkunion, in der auch Russia Today International Mitglied ist — gleichermaßen.” Nur: “RT” ist gar nicht Mitglied in der “EBU”.
2. Heino schenkt Heimatministerin Platte mit SS-Liedern (sueddeutsche.de, Christian Wernicke)
Das war ein bemerkenswertes Geschenk, das Schlagersänger Heino Nordrhein-Westfalens Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) zum “NRW-Heimatkongress” mitgebracht hatte: eine Schallplatte von 1981 mit dem Titel “Die schönsten deutschen Heimat- und Vaterlandslieder”. Nur einer der 24 von Heino gesungenen Songs habe überhaupt einen Bezug zum Bundesland, schreibt Christian Wernicke: “Vieles hingegen klang schrecklich großdeutsch. “Wenn alle untreu werden” ist ein Gassenhauer aus dem “Liederbuch der SS”. Und mit “Flamme empor” und “Der Gott, der Eisen wachsen ließ” intonierte Heino da noch weitere Melodien, die einst die Nazi-Schergen gesungen hatten.”
3. Emotionen statt Fakten (deutschlandfunk.de, Stefan Fries)
Man sieht sie inzwischen unter oder inmitten von vielen Artikeln: Online-Umfragen von Redaktionen, bei denen man einen Regler nach links oder rechts schieben und so beispielsweise kundtun kann, dass man die Zeitumstellung super oder total blöd findet. Das Problem dabei: Diese Umfrage sind ziemlich anfällig für Manipulationen — es reicht oft schon, einen Cookie zu löschen, um mehrfach abstimmen zu können. Jetzt hat sich auch der Presserat mit den manipulierbaren Online-Umfragen beschäftigt, wie Stefan Fries berichtet.
4. Die Blockchain-Technologie: Anwendungsbeispiele und Potenziale im Journalismus (fachjournalist.de, Florian Regensburger)
Viele Digital-Experten und Krypto-Fans sehen in der Blockchain-Technologie, die auch die Grundlage von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum bildet, eine Lösung zahlreicher Probleme: beispielsweise bei Wahlen, bei Abschlüssen von Verträgen, bei Urheberrechtsfragen. Kann die Blockchain auch die Probleme lösen, mit denen sich der (digitale) Journalismus rumschlägt? Florian Regensburger hat sich einige bereits existierende mediale Anwendungsbeispiele auf Blockchain-Basis angeschaut.
5. Ich, ich, ich – aber wie viel Joko steckt in Jokos Zeitschrift? (dwdl.de, Alexander Krei)
Seit gestern gibt es ein neues Magazin bei “Gruner + Jahr”, es heißt “JWD. Joko Winterscheidts Druckerzeugnis”. Genauso wie bei “Barbara” (Barbara Schöneberger) ist das Heft um eine prominente Person herum aufgebaut: in diesem Fall um — Überraschung! — Moderator Joko Winterscheidt. Alexander Krei hat “JWD.” gelesen und wirkt recht angetan. Weiterer Lesetipp: Im Interview mit der “Zeit” hat Winterscheidt nicht nur, aber auch über sein neues Magazin gesprochen.
6. Tageszeitung im Abo? Wie sich das 2018 anfühlt (blog.franziskript.de, Franziska Bluhm)
“Seit sieben Jahren waren wir ohne, nun läuft seit ungefähr zehn Tagen in unserem Haushalt ein Experiment: Wir haben eine Tageszeitung.” Das schreibt die experimentierfreudige Franziska Bluhm. Ihr erstes Fazit fällt gemischt, mit Hang zum Negativen aus.
Ein 18-Jähriger ersticht aus Eifersucht seine Freundin (17). Ein Siebenjähriger rammt seiner Lehrerin ein Messer in den Bauch. Ein 15-Jähriger ersticht seine Mitschülerin (14). Ein 14-Jähriger sticht auf einem Spielplatz einen Mann ab, sagt danach: “Mir egal, hat er verdient.”
Mit dieser Sammlung beginnt die “Bild”-Redaktion ihren heutigen “Report” zur “Messer-Angst in Deutschland”:
Der Fall des Siebenjährigen, der vor knapp zwei Wochen seine Lehrerin mit einem Messer verletzt haben soll, steht wie selbstverständlich zwischen all den anderen Fällen, die laut “Bild” und Bild.de in ihrer Häufung “ein mulmiges Gefühl” hinterlassen. Die “Bild”-Medien stellen den Grundschüler in eine Reihe mit Jugendlichen, die grausame Verbrechen begangen haben oder begangen haben sollen, andere Menschen umgebracht haben oder umgebracht haben sollen. Schaut man sich allerdings die bisher bekannten Fakten zu dem Vorfall im baden-württembergischen Teningen an und liest sich Aussagen des Opfers durch, wirkt es alles weit weniger brutal, als es “Bild” in den vergangenen Tagen dargestellt hat.
Doch der Reihe nach.
Am 6. März schickte eine Grundschullehrerin einen Zweitklässler aus dem Klassenzimmer, damit dieser an einem Tisch auf dem Flur nicht erledigte Hausaufgaben nachholt. Der Junge soll schon seit seiner Einschulung auffällig sein, den Unterricht stören, gegenüber Mitschülern gewalttätig sein, häufig Probleme machen. Als die Lehrerin nach dem Jungen schaut, hat dieser ein Messer in der Hand, vermutlich hat er es in der Bastelecke der Schule gefunden. Der “Badischen Zeitung” sagt die Lehrerin (Artikel nur mit Abo lesbar), sie habe den Jungen aufgefordert, ihr das Messer zu geben. Das habe dieser nicht getan. Sie habe dann nach der Hand des Schülers gegriffen, um ihm das Messer abzunehmen. Es kam dann wohl zu einer Rangelei:
“Dann hat er zu sich gezogen und ich zu mir — da muss es dann passiert sein”, sagt die Frau. Wie genau — da sei sie aber unsicher. Sicher sei sie jedoch, dass der Junge das Messer in der Bastelecke gefunden und nicht mitgebracht habe. “Ich bin sicher, dass er es nicht geplant hat.”
Die Schilderungen der Lehrerin klingen nach einem sehr unglücklichen Ablauf mit schlimmen Folgen für sie selbst: Die etwa ein Zentimeter tiefe Stichwunde im Bauchbereich musste unter Vollnarkose operiert werden, die Frau ist bis heute krankgeschrieben, sie leide noch immer unter Panikattacken. Ihre Beschreibung des Vorfalls klingt nicht so, als wäre der Siebenjährige ein skrupelloser Gewalttäter, der geplant mit Waffen auf andere Menschen losgeht.
Genau dazu macht ihn aber ein Artikel, den “Bild” und Bild.de (nur mit “Bild plus” lesbar) bereits am Samstag veröffentlicht haben:
Die “Bild”-Medien schreiben:
Alle wussten, welche Gefahr von dem aggressiven Jungen (7) ausgeht. Doch es passierte — nichts. Jetzt griff der Zweitklässler zum Messer — und stach es einer Lehrerin in den Bauch!
Und:
Als sie ihm das Messer wegnehmen wollte, stach er zu!
Diese Darstellung passt nicht zum Ermittlungsstand der Polizei. Demnach ist der Junge kein Messerstecher im Sinne von: Messer greifen und aktiv zustechen. Es habe sich nicht um einen “gezielten Angriff” gehandelt, steht in der Polizeimeldung: “Es gibt derzeit keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Siebenjährige seine Lehrerin bewusst verletzen wollte.”
Die Darstellung der “Bild”-Medien passt auch nicht mit der Aussage des Opfers in der “Badischen Zeitung” zusammen — das Gerangel kommt im “Bild”-Text gar nicht erst vor. Dabei sprach die Redaktion sogar mit der Lehrerin (“Doch jetzt meldet sich die verletzte Lehrerin in BILD zu Wort.”). Sie sagt in dem Artikel unter anderem: “‘Ich leide noch heute unter dem Angriff und finde es schlimm, dass das so verharmlost wird.'” Sie meint damit wohl auch eine Aussage der zuständigen Polizeistelle, die anfangs lediglich von “oberflächlichen Schnittverletzungen” sprach.
Und laut “Bild”-Ausgabe von heute hat er seiner Lehrerin also “ein Messer in den Bauch” gerammt.
Bei dem Siebenjährigen handelt es sich offenbar um ein Kind, das größere Probleme mit Aggression hat und besondere Hilfe braucht. Es scheint sich aber nicht um einen kaltblütigen siebenjährigen Schwerverbrecher zu handeln, den man in der Titelgeschichte von Deutschlands größter Tageszeitung in einem Atemzug mit vermutlichen Mördern oder Totschlägern nennen sollte. Heinz-Rudolf Hagenacker, Bürgermeister von Teningen, warnt vor einer “medialen Vorverurteilung” des Jungen. Ein Bürgermeister muss Redaktionen bitten, dass sie sich nicht auf einen Siebenjährigen — wohlgemerkt: Siebenjährigen (!) — stürzen.
Leider scheinen solche Hinweise nötig zu sein: Ein BILDblog-Leser, dessen Kinder nach eigener Aussage auf die Grundschule in Teningen gehen, schrieb uns, dass die Schule heute von Kamerateams und Pressemitarbeitern belagert wurde. Angeblich mussten Polizisten kommen, und Eltern ihre Kinder abholen.
1. Social Media März (pop-zeitschrift.de, Jörg Scheller & Wolfgang Ullrich)
Die Autoren Jörg Scheller und Wolfgang Ullrich haben sich den Twitter-Account des Medientheoretikers und Philosophen Norbert Bolz näher angeschaut. Und das auf interessante Weise: Das formal wie auch inhaltlich lesenswerte Gespräch könnte der Beginn eines neuen Genres von Twitter-Profil-Rezensionen sein. Im Kern gehe es bei Bolz um die Geschichte einer Radikalisierung. “In Bolz’ Tweets waltet der “Thymos”, also der von der Neuen Rechten beschworene “Zorn” und “Stolz”, in Beamtengestalt. Aus komfortabler Distanz, umhegt von Väterchen Staat, gut abgesichert durch ein unkündbares Beschäftigungsverhältnis, das Bolz all seinen Klagen über das Elend der Universitäten zum Trotz aufrechterhält.“
2. An Unglücksstellen besser nicht fotografieren (lawblog.de, Udo Vetter)
Strafrechtler Udo Vetter macht in seinem Blog darauf aufmerksam, dass das Fotografieren von hilflosen Personen an Unglücksstellen geahndet werden kann. Möglich macht dies ein eigener Straftatbestand, nämlich § 201a Abs. 1 Ziff. 2 StGB. Wichtig: Bei Fotos von Unfallopfern spiele es keine Rolle, ob Rettungs- oder sonstige Einsatzkräfte behindert wurden.
3. “Die Konsumenten schauen genauer hin” (deutschlandfunk.de, Bettina Köster)
Seit 1972 kann man sich mit Beschwerden über Werbung an den “Deutschen Werberat” wenden, eine von der Werbewirtschaft eingerichtete Institution. Im Jahr 2017 gingen dort 1389 Beschwerden ein, 135 davon rügte der Rat bei den Unternehmen. Einen Großteil dieser Beanstandungen macht sexistische Werbung aus. Der “Deutschlandfunk” hat sich deshalb mit Julia Busse vom “Werberat” über geschlechterdiskriminierende Werbung, Humor und Provokation unterhalten.
4. Hat Uwe Tellkamp recht – oder nicht? (spiegel.de, Almut Cieschinger)
Almut Cieschinger von der “Spiegel”-Dokumentation hat drei von Uwe Tellkamps Dresdner Behauptungen zur Flüchtlingspolitik auf ihre Richtigkeit beziehungsweise Falschheit überprüft.
5. Beck to History (verfassungsblog.de, Andreas Fischer-Lescano)
Juristen kennen ihn seit dem ersten Semester: den nach Otto Palandt benannten Kurzkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). An dem Standardwerk geht im Recht kein Weg vorbei. Doch Namensgeber Otto Palandt hat eine unselige NS-Vergangenheit, auf die der Verlag zwar mittlerweile eingeht, diese aber nicht zum Anlass nimmt, das Werk umzubenennen. Andreas Fischer-Lescano, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Uni Bremen, kritisiert den Vorgang als eine Form von Tätergedenken im Namen „aufgeklärter Erinnerungskultur“: „Zu Zwecken aufgeklärter Erinnerungskultur in Adolf Eichmann-Zügen zu reisen, Rechtsprechung in Rudolf Freisler-Justizpalästen zu üben, die Bundeswehr in Generalfeldmarschall-Rommel-Kasernen zu stationieren oder über Rudolf Heß-Plätze zu flanieren, ist ein absurder Gedanke — an den sich der Verlag offenbar allein deshalb klammert, weil er den Markennamen seines Bestsellers konstant halten möchte.“
6. Über 1.000 Menschen drohten, ihn zu töten. Freunde wandten sich ab: “Ich würde es wieder tun”, sagt Sebastian Frankenberger. (vice.com, Tim Geyer)
Wenn jemand weiß, wie es sich anfühlt, im Zentrum eines Shitstorms zu stehen, dann ist es Sebastian Frankenberger, der den Volksentscheid zum Nichtraucherschutz mit in Gang setzte. Acht Jahre sind seit der Abstimmung vergangen und immer noch trudeln bei ihm Hassbotschaften ein, darunter auch Morddrohungen. „Vice“ hat sich mit Frankenberger getroffen (natürlich in einer Raucherkneipe) und ihn gefragt, wie er mit all dem Hass umgeht.
Wir müssen noch mal über den Twitter-Account @DoraGezwitscher sprechen, den “Bild”-Chef Julian Reichelt vergangene Woche retweetet hat. Das Schlimme war gar nicht, dass Reichelt Inhalte eines Accounts verbreitet, der immer wieder lügt, hetzt, desinformiert und Stimmung gegen Ausländer macht. Das kann im Twittertempo mal passieren. Erschreckend war, wie Reichelt auf die Kritik daran reagierte: Am Ende forderte er Beweise, dass hinter @DoraGezwitscher ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” steckt — kleiner geht es bei ihm nicht, bevor er zugeben könnte, dass es sich um einen ganz üblen Twitteraccount handelt.
Ob die Person (oder die Gruppe) hinter @DoraGezwitscher rechtsextrem, rechtsradikal oder Teil eines organisierten Netzwerks ist, können wir auch nicht sagen. Wir wollen Julian Reichelt aber doch noch einmal zeigen, was für eklige Inhalte in diesem Kanal auftauchen. Alle Beispiel in diesem Beitrag stammen aus 2018.
***
Der schreckliche Tod der 14-jährigen Keira in Berlin war auch bei @DoraGezwitscher Thema. Dort war zu lesen:
Doch Keira hörte nicht auf ihn. Gegen 15 Uhr schickte sie ihrem Kumpel noch ein Selfie von sich und ihrem Date per Snapchat. “Das muss auf ihrem Heimweg gewesen sein. Der Weg von der Straßenbahn zu ihrer Wohnung”, sagt er.
Bei Snapchat werden Fotos nicht gespeichert. “Wenn ich gewusst hätte, was passiert, hätte ich einen Screenshot gemacht”, so der Bekannte. Er kannte den Jugendlichen nicht. “Er trug einen blauen Kapuzenpulli mit Nike-Aufschrift, war einen Kopf größer als Keira, hatte kurze dunkelblonde Haare und trug eine Brille ohne Rahmen”, erinnert er sich.
Das Zitat, das @DoraGezwitscher veröffentlicht hat, gibt es aber tatsächlich. Es stammt nicht von Bild.de, sondern von “Anonymous News”, einer grässlichen Hetzer-Seite mit aktuellen Artikeln wie “Spiel und Spaß in Auschwitz: Fußball und Bordellbesuche — Das andere Leben der KZ-Häftlinge”, “Kulturelle Bereicherung: Wie Muslime durch traditionellen Inzest unsere Gesellschaft belasten” oder “BRD-Gesinnungsjustiz: Deutscher erhält 10 Jahre für Silvester-Böller — IS-Mörder 22 Monate Bewährung” (mit dem “Böller”-Deutschen sind die Mitglieder der rechtsterroristischen “Gruppe Freital” gemeint).
Sie sehen, Julian Reichelt: Bei @DoraGezwitscher handelt es sich um einen Account, der auf Hetz-Portale zurückgreift, der Lügen verbreitet und mit diesen Lügen Stimmung gegen Ausländer machen will.
@DoraGezwitscher hat den Tweet inzwischen gelöscht.
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Ein weiteres großes Feindbild von @DoraGezwitscher: der öffentlich-rechtliche Rundfunk, speziell “Tagesschau” und “Tagesthemen”. Der Account twitterte unter anderem diese vermeintliche Enthüllung (ein paar Tage später noch einmal in ganz ähnlicher Form):
In dem 49-Sekunden-Video ist ein etwas kruder Zusammenschnitt eines “Tagesthemen”-Kommentars von Alois Theisen vom 10. November 2016 zu sehen. Mit Hilfe von Einblendungen behauptet @DoraGezwitscher, dass es “Zensur in der ARD Mediathek” gäbe. Theisen sagt in diesem Zusammenschnitt:
Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.
Dann erscheint eine “Tagesthemen”-Tafel, Theisen ist kurz nicht mehr zu hören und spricht dann weiter:
… biger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Das soll laut Einblendung die “zensierte Version” gewesen sein. Direkt im Anschluss kommt laut @DoraGezwitscher Theisens “Originalkommentar”:
Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Die ARD soll also wohl den Teil “Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger” rausgeschnitten haben.
Die “Tagesthemen”-Ausgabe von damals ist bei tagesschau.de noch online abrufbar. Moderatorin Pinar Atalay kündigt den Kommentar (ab Minute 14:43) mit den Worten an: “Donald Trump und den Siegeszug des Populismus kommentiert jetzt Alois Theisen vom ‘Hessischen Rundfunk'”. Und Theisen sagt dann:
Leben wir tatsächlich im Zeitalter der Lüge, wie man den vornehmer klingenden Begriff der Ära des Postfaktischen übersetzen könnte? Ich denke, es ist nur der hilflose und untaugliche Versuch, die sich häufenden unerwarteten Wahlentscheidungen zu erklären. Warum sollten sich Wähler heute leichter belügen lassen als früher? Verfügen wir nicht über mehr Informationsquellen als je zuvor? Und noch nie wurden Aussagen von Politikern so häufig und von verschiedenen Seiten überprüft wie heute.
Nein, Lügen gab es in der Politik wie im Privaten zu allen Zeiten. Wer anderes behauptet, verklärt nur die angeblich gute alte Zeit. Wer den Wahlsieg von Donald Trump, das Votum der Briten für den Brexit und die Erfolge der AfD in Deutschland mit gutgläubiger Dummheit oder Borniertheit der Wähler gegenüber Fakten erklärt, der beweist für mich nur eines: eine unerträgliche Arroganz gegenüber dem Souverän im Staate, dem Volk, und damit auch gegenüber den Wählern und deren Vernunft.
Die politischen Verhältnisse entwickeln sich vielleicht anders, als es manche Meinungsmacher gerne hätten. Aber womöglich leben sie selbst im Zeitalter des Postfaktischen, sehen und verstehen die entscheidenden Fakten nicht, unter denen die Wähler leben und arbeiten. Und auch nicht ihre Sorgen, Ängste und manchmal auch Panik vor dem rasanten Wandel in der Welt.
Mit Ängsten und Stimmungen wurde auch schon immer Politik gemacht, mit der vor der Atomenergie zum Beispiel. Was dort billig war, sollte auf der anderen Seite nicht falsch sein. Das Zeitalter des Postfaktischen, es ist eine weitere hilflose Formel, hinter der sich nur eines verbirgt: Viele schlaue Welterklärer verstehen die Welt nicht mehr.
Keinerlei Zensur, alles noch drin.
Der Tweet von @DoraGezwitscher ist das, was man völlig zurecht “Fake News” nennen kann: eine bewusste Lüge, um eine Agenda zu verfolgen.
Meine Meinung: Natürlich darf Satire so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.
Die Tweets von @DoraGezwitscher sind zwar keine Satire, aber die Person hinter dem Account “versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.”
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@DoraGezwitscher schießt mit unlauteren Mitteln nicht nur gegen Gruppen und TV-Sendungen, sondern auch gegen Einzelpersonen.
Schaut man sich das 14-sekündige Video an, sieht man, dass nicht Sookee sagt “Schieß auf AfD-Wähler mit Hohlmantelgeschossen”, sondern der von ihr interviewte MC Bogy, der damit einen seiner Texte zitiert.
Erstens: Stegers war früher beim ARD-“Faktenfinder”, wie man auch in dem Screenshot von @DoraGezwitscher lesen kann. Und zweitens: Das “Danke, liebe Antifa” ist keine Liebesbekundung an die “Antifa”, sondern das Zitat eines “Tagesspiegel”-Artikels, der exakt mit diesen Worten überschrieben ist.
Und noch ein Beispiel, das zeigt, wie verzweifelt @DoraGezwitscher nach Schmutz sucht, den man auf Mitarbeiter des ARD-“Faktenfinders” werfen kann:
Bei dem Text, den Patrick Gensing getwittert hat, handelt es sich um eine Passage aus einem Song der Band “Rantanplan”. Und noch viel wichtiger: “Spacken” hat nichts mit “spastisch behinderten Menschen” zu tun, wie @DoraGezwitscher behauptet. Es bedeutet “dumme Menschen”.
Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher verdreht, verbiegt, verschweigt Kontexte, desinformiert.
Den Tweet zu Patrick Gensing hat @DoraGezwitscher inzwischen gelöscht.
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@DoraGezwitscher bezeichnet Deniz Yücel als Rassisten:
Sie sehen, Julian Reichelt: @DoraGezwitscher beteiligt sich an der stramm rechten Stimmungsmache gegen Ihren Kollegen bei “Springer”.
Deutschland geht durch die Diesel-Hölle — drohende Fahrverbote, Stinke-Image und Verkaufszahlen im Keller.
Dabei ist das alles Blödsinn, der Diesel noch lange nicht tot. Und dafür gibt es gute Gründe. Hier 10 Wahrheiten, die sich viele Politiker nicht zu sagen trauen (oder vielleicht einfach mal nachlesen sollten). Unser Diesel-Manifest.
Beim Begriff “Manifest” kann man ja so etwas wie eine Grundsatzerklärung erwarten, und das passt in diesem Fall ganz gut, denn das “BILD-MANIFEST” ist voller Fehler und Verdrehungen und Verkürzungen — eben genau so, wie “Bild” ständig arbeitet.
Es ist wirklich einiges schiefgelaufen beim Text von Tom Drechsler, Chefredakteur Auto der “Bild”-Gruppe, und Stefan Voswinkel, stellvertretender Chefredakteur Auto der “Bild”-Gruppe. Deshalb: der Reihe nach. Fangen wir mit der Bildunterschrift an. Dort steht:
Knapp die Hälfte aller Autos in Deutschland wird von einem Diesel-Motor angetrieben
Schon das ist falsch. Laut Kraftfahrt-Bundesamt gab es 2017 insgesamt 45.803.560 Pkw in Deutschland. 15.089.392 davon waren Diesel, also etwa ein Drittel. Es gab ungefähr halb so viele Diesel wie Benziner (29.978.635). Dass “knapp die Hälfte aller Autos in Deutschland” von einem Diesel-Motor angetrieben werde, stimmt aber schlicht nicht.
Das ist schon beeindruckend: Der Chefredakteur Auto und sein Stellvertreter bekommen es nicht mal hin, für ihr “Diesel-Manifest” unfallfrei aus einer Tabelle den Anteil an Diesel-Autos in Deutschland abzulesen. Sie schaffen es nicht, Grundsätzliches zum Diesel richtig darzustellen, wollen aber in einem “Manifest” dem Land erklären, warum es sich bei Diesel-Kritik um “Blödsinn” handelt.
Weiter zu “Wahrheit” Nummer 1:
Wir führen die Diesel-Diskussion zu einer Zeit, wo das Stickoxid-Problem technisch gelöst ist. Sagt sogar die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Der Verband hat gerade getestet (7 der 10 saubersten Diesel kommen aus dem VW-Konzern) und einen Mercedes E220 d besonders gelobt. Der unterschreitet die neusten Grenzwerte um den Faktor 0,6, NOx (Stickoxide) auf der Straße mit 44 g/km.
Natürlich meinen Drechsler und Voswinkel nicht “44 g/km”, sondern 44 mg/km. Aber davon mal abgesehen: “7 der 10 saubersten Diesel kommen aus dem VW-Konzern”, dazu noch ein Mercedes, der von der “Deutschen Umwelthilfe” (“DUH”) gelobt werden soll — das klingt ja ganz schön sauber. Schaut man sich die Ergebnisse (PDF) der zitierten “DUH”-Messung allerdings mal an, erkennt man, dass nur sechs von 66 der getesteten Euro-6-Diesel den NOx-Grenzwert (80 mg NOx/km) einhalten (plus ein VW Transporter, der den Grenzwert für Diesel-Nutzfahrzeuge einhält). Ein getesteter Audi A8 “aus dem VW-Konzern” überschreitet den Grenzwert um dem Faktor 17,8. Bei den getesteten Euro-5-Dieseln sind es zwei von fünf Fahrzeugen, die unter dem Grenzwert (180 mg NOx/km) liegen, allerdings beide mit Hardwarenachrüstung.
Die “DUH” hat im selben Test auch Euro-6-Benzin- und Benzin-Hybrid-Pkw gemessen. Dort haben vier von fünf Fahrzeugen den für sie jeweils anzuwendenden Grenzwert eingehalten.
Eine weitere “Bild”-“Wahrheit”:
40 Mikrogramm pro Kubikmeter soll der Jahresmittelwert in der Außenluft nicht übersteigen. In Büros liegt er bei 60 Mikrogramm, in industriellen Arbeitsplätzen und im Handwerk bei 950 Mikrogramm. Die Luft auf den Straßen soll sauberer sein, als am Arbeitsplatz? Was für ein Irrsinn!
Ja, “Irrsin”, wie man Dinge aus dem Zusammenhang reißen kann. Die von Drechsler und Voswinkel erwähnten 60 Mikrogramm pro Kubikmeter in Büros stammen laut Umweltbundesamt aus den 1990er-Jahren. Während die 40 Mikrogramm pro Kubikmeter für Außenluft eben ein Jahresmittelwert sind, handelt es sich bei dem sogenannten “Richtwert II” für Büros um “einen wirkungsbezogenen Wert, bei dessen Erreichen beziehungsweise Überschreiten unverzüglich zu handeln ist.” Laut “Tagesschau”-“Faktenfinder” empfehle das Bundesumweltamt aber sowieso “aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse, diesen Wert nicht mehr anzuwenden.”
Die 950 Mikrogramm pro Kubikmeter für Industriearbeitsplätze waren schon im Bundestagswahlkampf ein Desinformationsschlager von AfD, CSU und FDP. Was die Politiker damals und die zwei “Bild”-Autoren heute nicht erwähnen: Während der Grenzwert für die Außenluft auch kranken und schwachen Leuten, Schwangeren, Säuglingen und alten Menschen jederzeit einen Aufenthalt draußen ermöglichen soll, gilt der Industriegrenzwert laut Umweltbundesamt für “gesunde Arbeitende an acht Stunden täglich und für maximal 40 Stunden in der Woche”. Dass für spezielle Berufe, etwa Stahlkocher, mit speziellen Belastungen spezielle Regelungen gelten, ist so überraschend nicht. Es wundert ja auch kaum jemanden, dass ein Radiologe laut Bundesamt für Strahlenschutz an seinem Arbeitsplatz einer deutlich höheren Strahlenbelastung ausgesetzt sein darf als ein Kleinkind in der Kita.
Weiter zur nächsten “Wahrheit”:
Die größten Stinker in Innenstädten sind nicht Diesel-Pkw, sondern der öffentliche Nahverkehr mit seinen alten Bussen. Trotzdem reicht das Sofortprogramm “Saubere Luft” der Bundesregierung nur für den Kauf von ein paar Hundert E-Bussen. Berlin will ab 2019 nach und nach 45 zu den bisherigen 4 (!) E-Bussen anschaffen. Zum Vergleich: Im chinesischen Shenzen fahren 16 359 elektrische Busse, 100 Prozent!
Dass Nahverkehr-Busse viel Stickoxid ausstoßen, soll ein “guter Grund” dafür sein, dass “der Diesel noch lange nicht tot” ist? Und warum sollte man nicht die Probleme mit den Diesel-Pkw und die Probleme mit den “alten Bussen” parallel angehen können?
Jedenfalls: Drechslers und Voswinkels Vergleich zwischen Shenzhen und Berlin hinkt wie ein vom “BVG”-Bus angefahrenes Wildschwein. Erstmal: Shenzhen ist deutlich größer als Berlin. Die Fläche der chinesischen Stadt beträgt mehr als das Doppelte, in Shenzhen wohnen knapp dreieinhalb Mal so viele Menschen wie in Berlin. Die Busflotte ist dementsprechend auch viel größer: Während durch Shenzhen also 16.359 Busse fahren, sind es in Berlin rund 1400 Busse der “Berliner Verkehrsbetriebe” (“BVG”). Die komplette Umstellung auf Elektrobusse geschah in Shenzhen auch nicht über Nacht, sondern hat gut acht Jahre gedauert. Nach dem ersten Jahr hatte die Stadt 200 E-Busse im Einsatz. Auch dagegen mögen die 45 zusätzlichen Elektrobusse in Berlin mickrig wirken. “Bild” erwähnt aber auch nicht, dass es für die “BVG” aktuell ausgesprochen schwierig ist, überhaupt an E-Busse zu kommen.
Zum Schluss ist da dann noch die Überschrift, die die “Bild”-Redaktion für ihr “Diesel-Manifest” gewählt hat:
DEUTSCHLAND SOLLTE STOLZ AUF DEN DIESEL SEIN!
Man hätte ja alles mögliche über den Artikel schreiben können: “Lasst unseren Diesel in Ruhe!” oder “Diesel ist voll super!” oder “Diesel! Diesel! Olé, olé, olé!”. Stattdessen sollen die Deutschen stolz sein auf ihren Diesel. Das kommt uns irgendwie bekannt vor.
So reagierte die AfD auf das Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts:
Mit Dank an Martin E., Erik und @andreas_vogt für die Hinweise!
1. Ein Drittel aller Rügen wegen Schleichwerbung (deutschlandfunk.de, Silke Ballweg, Audio, 5:00 Minuten)
Der Presserat hat seine Jahresbilanz vorgelegt: In den Beschwerden beim Kontrollorgan der deutschen Printmedien sei es im vergangenen Jahr besonders oft um Schleichwerbung gegangen. Aber auch die Herkunftnennung von Tätern und die Berichterstattung über den G20-Gipfel hätten zu vielen Beschwerden und Rügen geführt.
2. Der beste Rundfunkbeitrag aller Zeiten! (kanzleikompa.de)
Die Bestimmung von Ex-Staatssekretär Eumann zum gutbezahlten Direktor der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt verlief auf eine demokratisch recht zweifelhafte Art: Eigentlich als „Wahl“ deklariert, handelte es sich eher um eine Kungelei, bei der es nur einen einzigen Kandidaten gab. Medienrechtler Markus Kompa wollte sich damit nicht abfinden und bewarb sich in einer subversiven Protestaktion selbst um das Amt. Das Verwaltungsgericht ließ ihn abblitzen. Kompa sammelt nun per Crowdfundingaktion Geld, um beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschwerde einlegen zu können.
3. «Die Zeit»: zweimal minus, einmal plus (infosperber.ch, Christian Müller)
“Infosperber”-Autor Christian Müller ist genervt von Maxim Billers „Zeit“-Beiträgen: „Ja, natürlich, Maxim Biller darf schreiben, was er will. Er darf mir auch einen Brief schreiben, ich gebe ihm gerne meine postalische Adresse. Aber soll ich für ein Blatt – ich bin seit Jahrzehnten Abonnent der «Zeit» – noch Geld ausgeben, wenn diese Zeitung einen Brief an mich abdruckt, in dem ich persönlich «Heuchler» genannt und des «Provinzialismus» beschuldigt werde? Muss ich mich wirklich von der «Zeit» unter die Arschlöcher einreihen lassen?“
5. „Lasst mehr Frauen unsere Filme machen!“ (deine-korrespondentin.de, Helen Hecker)
Frauen spielen im Filmbusiness immer noch eine untergeordnete Rolle: Bei den 100 erfolgreichsten Hollywood-Produktionen des letzten Jahres führten zu 92 Prozent Männer die Regie, die Drehbücher wurden zu neunzig Prozent von Männern verfasst. Die Zahlen in Deutschland sind ähnlich schlecht: Im Bereich Kamera kommen Frauen auf einen Anteil von 15 Prozent, beim Filmton auf gerade mal neun Prozent. Eine neue Initiative fordert mehr Gleichberechtigung im Filmgeschäft und eine 50-Prozent-Quote.
6. Ohne Skrupel: “Bild Plus” ködert mit Gewalt (ndr.de, Sabine Schaper & Sophia Stritzel, Video, 4:16 Minuten)
Aus traurigem Anlass war BILDblogger Moritz Tschermak beim Medienmagazin “Zapp” virtuell zu Gast: Bild.de hatte ein Video verbreitet, in dem ein Mädchen nach einer Messerattacke um ihr Leben fleht, und das Video sogar als Abo-Köder verwendet.
Ein Blick auf Julian Reichelts Twitter-Account ist ja immer ein schauriges Erlebnis. Aber in den vergangenen zwei Tagen war es dort besonders schaurig.
Alles fing an mit einem Retweet Reichelts:
Vielleicht erstmal zu “Feine Sahne Fischfilet”. Die Punkband hat viele Fans, aber auch viele Feinde. Sie tauchte wegen ihrer “explizit anti-staatlichen Haltung” im Verfassungsschutzbericht 2011 des Landes Mecklenburg-Vorpommern auf. Sie leistet aber auch wichtige Arbeit gegen Rechtsextremismus und nationalistische Tendenzen im Osten des Landes. Die Bandmitglieder organisieren Konzerte und Kundgebungen in Kleinstädten und Dörfern. Sie stellen sich sehr engagiert dem Rechtsruck in Mecklenburg-Vorpommern entgegen.
Patrick Gensing, der beim “Faktenfinder” der “Tagesschau” Lügen und Fälschungen nachrecherchiert, findet die Musik von “Feine Sahne Fischfilet” offenbar gut. Jedenfalls twitterte er in der Vergangenheit häufiger Fotos von Konzerten der Band. Für seine Arbeit beim “Faktenfinder”, bei der er immer wieder auch Falschmeldungen aus der rechten Ecke enttarnt, wird Gensing regelmäßig und massiv mit Schmutz beworfen.
Dieser Schmutz kommt unter anderem von dem Account, den “Bild”-Chef Julian Reichelt retweetet hat. @DoraGezwitscher sucht sich für seine Kampagne gern alte Tweets von Patrick Gensing raus (im aktuellen Fall eben aus dem Februar 2016) und schießt damit gegen den Journalisten. Nun hieß der Account @DoraGezwitscher nicht immer @DoraGezwitscher, sondern wohl auch mal @DoraBromberger. Unter dem Namen der von den Nazis ermordeten jüdischen Malerin Dora Bromberger verbreitete der Account unter anderem Lügen über die “Oktoberfest Bilanz der Polizei München”, um damit Stimmung gegen Ausländer zu machen. Mit einem gefälschten Foto machte er die Vorsitzende der “Jungen Union” Hamburg zur Antifa-Steinewerferin. Solche Tweets waren eher Regel als Ausnahme.
Inzwischen gibt es dasselbe rechte Hetz-Programm eben unter dem Namen @DoraGezwitscher (um es noch komplizierter zu machen: Es gibt noch einen inhaltlich wie optisch sehr, sehr ähnlichen Account mit dem Namen @DorasZwitschern). Dort ärgert sich der anonyme Autor beispielsweise darüber, dass ein AfD-Politiker aufgrund seines Schimpfworts “Merkelnutte” als “Schande für den Bundestag” bezeichnet wird. Für die Tweets bekommt @DoraGezwitscher viel Applaus von Rechts und noch weiter Rechts.
Julian Reichelt verbreitet also einen Tweet dieses Accounts gegen Patrick Gensing und verschafft ihm damit beachtliche zusätzliche Reichweite. Nun kann es ja mal passieren, dass man bei Twitter einen Beitrag entdeckt, der einem ganz gut in den Kram passt, ihn schnell retweetet — und schon ist man Multiplikator für jemanden, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben möchte. Die entscheidende Frage ist dann, wie man mit dieser Situation umgeht. Reichelt zeigt ganz eindrucksvoll, wie man es auf gar keinen Fall machen sollte und wie man sich immer weiter reinreitet. Angesprochen auf die Ausrichtung von @DoraGezwitscher, schreibt der “Bild”-Chef:
Das muss man auch erstmal schaffen: Anderen Leuten “Gesinnungsfuror” vorwerfen und im selben Tweet von einer Person verlangen, dass sie jetzt doch mal bitte ihren Musikgeschmack erklären soll (für das inzwischen eingestellte “Bild”-Jugendportal “BYou” ist “Feine Sahne Fischfilet” übrigens eine Band, die sich “für mehr Menschlichkeit und Solidarität” einsetzt).
Es folgte dann ein Hin und Her zwischen Reichelt und seinen Kritikern. Interessant war dabei die Taktik des “Bild”-Chefs: Er legte die Messlatte, ab wann das nun wirklich zu weit geht, was bei @DoraGezwitscher passiert, immer ein Stückchen höher. Während Leute ihn anfangs darauf hinwiesen, dass es sich um einen bekannten rechtspopulistischen Account handelt, und ihm dafür Belege lieferten, wollte Reichelt Beweise, dass @DoraGezwitscher rechtsextrem ist. Später wollte er Beweise, dass hinter @DoraGezwitscher ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” steckt. Es reicht Julian Reichelt offenbar nicht, dass @DoraGezwitscher (beziehungsweise früher @DoraBromberger) auf übelste Weise und mit falschen Fakten gegen Ausländer hetzt. Es muss bei ihm schon ein “professionell organisiertes, rechtsextremes Netzwerk” sein, damit er sagt: “Ja, stimmt, war nicht die beste Idee.” Julian Reichelt hat den Retweet inzwischen still und leise gelöscht, er folgt dem Account @DoraGezwitscher nun allerdings.
Wie man so eine Situation auch handhaben kann, zeigt einer von Reichelts Vorgängern bei “Bild”: Kai Diekmann. Als der vor zweieinhalb Jahren — ob nun absichtlich oder aus Versehen — dem Twitter-Account der sehr rechten “Jungen Freiheit” gefolgt ist, reagierte er auf die Kritik daran so:
1. „Die Regierungen müssen handeln“ (taz.de, Belinda Grasnick)
Die „taz“ hat mit der Menschenrechtsanwältin Flutura Kusari über den Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Ján Kuciak und dessen Freundin gesprochen. Kusari, die auch Rechtsberaterin für das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit ist, drängt auf schnelle Ermittlungsergebnisse und fährt selbst nach Bratislava, um die dortigen Ermittlungen zu überprüfen.
Weiterer Lesetipp: „taz“-Redakteur Ambros Waibel fordert unsere Solidarität mit Investigativournalisten ein, auch in den Fällen, in denen es noch nicht zu Gewaltverbrechen kam: „Wenn versucht wird, Einschüchterung auf dem Rechtsweg durchzusetzen, wie es auch in Deutschland gang und gäbe ist, müssen wir auch das ernst nehmen – und Solidarität zeigen mit den mutigen Kolleginnen und Kollegen, die zum Thema Organisierte Kriminalität arbeiten.“
Lesenswert auch das kurze Interview mit dem Vorsitzenden der slowakischen Sektion des Europäischen Journalistenverbandes, der in Zusammenhang mit der Ermordung seines Kollegen schwere Vorwürfe erhebt: „Für den Premier sind wir dreckige Prostituierte“ (Welt.de, Hans-Jörg Schmidt).
3. Schalten die Schweizer ab? (taz.de, Anne Fromm)
Sollten die Schweizer am 4. März für „NoBillag“ stimmen, könnte erstmals ein europäisches Land seinen öffentlichen Rundfunk abschaffen. Anne Fromm hat sich in der „taz“ etwas Raum genommen für die Aufarbeitung eines Vorgangs, der auch jenseits der schweizerischen Landesgrenzen von Bedeutung ist: „Am Beispiel der Schweiz lässt sich verstehen, wie es so weit kommen kann, sich ein Diskurs so zuspitzen kann, dass der öffentliche Rundfunk in seiner Existenz bedroht ist.“
4. Fake über Merkel erfolgreichster Artikel (faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Es ist ein Trauerspiel: Der Fake-Artikel über eine angebliche Aussage von Kanzlerin Merkel war diesen Dienstag der erfolgreichste Social-Media-Beitrag überhaupt. Der „Faktenfinder“ erzählt, worum es dabei ging und mit welchen schmutzigen Tricks die Verbreiter derartiger Lügengeschichten vorgehen.
5. VG Neustadt, Kompa ./. LMK – Pressemitteilung (kanzleikompa.de)
In einer formal als „Wahl“ bezeichneten Kungelrunde wurde der SPD-Politiker Marc Jan Eumann zum Landesmedienchef in Rheinland-Pfalz bestimmt. Dies hat Kritiker auf den Plan gerufen wie den Medienanwalt Markus Kompa, der mit einer Gegenkandidatur reagierte. Kompa hat nun Post vom Verwaltungsgericht Neustadt/Weinstraße bekommen: Sein Antrag wurde abgelehnt. Er kann der juristischen Niederlage trotzdem etwas Gutes abgewinnen: „Der kostspielige Antrag war mir die Sache aber wert, denn auf anderem Weg wäre ich nie in den Besitz der höchst unterhaltsamen Akte über dieses mehr als fadenscheinige Verfahren gekommen. Die Akte ist ein Offenbarungseid an Unprofessionalität und Mauschelei. Während mir für meine Bewerbung künstliche Formalitäten in den Weg gelegt wurden, hatte Herr Dr. Eumann nicht einmal eine Bewerbung geschickt. In der Akte gibt es von ihm keinerlei Papiere, nicht einmal ein polizeiliches Führungszeugnis.“
6. Rettet den Bindestrich! (pressesprecher.com, Juliane Topka)
Werden Firmennamen mit anderen Begriffen zusammengesetzt, sollte man einen Bindestrich verwenden, doch in Deutschland scheint es eine Bindestrich-Phobie zu geben. Dies zeigt sich auch an anderen Beispielen. Juliane Topka erklärt, warum Bindestriche sinnvoll sind, und plädiert dafür, sie aus ihrem Schattendasein herauszuholen.
Bei der von vielenTiefpunktengeprägten “Bild”-Berichterstattung zu den G20-Ausschreitungen gibt es seit drei Tagen einen neuen Tiefpunkt: Nun (vor)verurteilen die “Bild”-Richter schon jemanden, bei dem einiges dafür spricht, dass er unschuldig ist, und stellen ihn an den Pranger.
Derzeit läuft in Hamburg der Prozess gegen den 30-jährigen Dimitri K.:
Als G20-Chaoten am 7. Juli einen Supermarkt im Schanzenviertel plünderten (Schaden: 1,7 Mio. Euro), soll er mittendrin gewesen sein. Anklage: besonders schwerer Landfriedensbruch.
K. sagt, er sei nicht vor Ort gewesen. Stattdessen sei er am fraglichen Tag mit Schmerzen zu Hause geblieben, schließlich hätten ihn am Vortag Polizisten angegriffen. Die Verlobte von K. bezeugte dessen Aussage.
Doch, so die “Bild”-Medien …
Doch ein verknackter G20-Plünderer identifizierte ihn. Sven B. (19) ist sich sicher: K. war dabei. Die Hals-Tattoos erkenne er wieder, hundertprozentig!
Für den Prozess zwar unerheblich, für die “Bild”-Redaktion aber bemerkenswert: Dimitri K. hat nicht nur ein Hals-Tattoo. Unter seinem rechten Auge hat er das Wort “Fuck” tätowiert und unter dem linken das Wort “Cops”. Was jetzt schon nach einer Folge “Richterin Barbara Salesch” klingt, wird noch besser:
Als der Angeklagte dann aber seine linke Hand zeigte, war plötzlich alles anders. Statt des von B. beschriebenen “187”-Tattoos stehen dort arabische Schriftzeichen. Irritiert änderte der Zeuge seine Aussage: “Ich bin mir sicher, dass er es nicht ist.”
Fassen wir mal zusammen: Ein Angeklagter, der ein Alibi für die Tatzeit zu haben scheint. Ein Zeuge, der den Angeklagten erst schwer belastet und dann komplett umkippt. Eine Tätowierung, die den Angeklagten belasten könnte, die es aber gar nicht gibt. Es sieht aktuell nicht gerade so aus, dass Dimitri K. während des G20-Gipfels “einen Supermarkt im Schanzenviertel” geplündert hat.
Und was machen die “Bild”-Medien? Trotz dieser Entwicklung im Prozess zeigen sie K. vor drei Tagen bei Bild.de unverpixelt ganz oben auf der Startseite und nennen ihn “G20-Plünderer” …
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)
… und drucken vorgestern in der Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung das Foto des angeblichen “Plünderers” ebenfalls ohne jegliche Unkenntlichmachung:
Persönlichkeitsrechte eines möglicherweise Unschuldigen? Sind der “Bild”-Redaktion doch egal. Und sowieso: Unschuldsvermutung? Ist der “Bild”-Redaktion doch egal. Julian Reichelt und sein Team treten elementare Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens mit den Füßen. Für sie, die sich als Deutschlands oberste Ankläger und Richter sehen, reicht es offenbar, dass jemand angeklagt ist, um diese Person einem Millionenpublikum als Verbrecher zu präsentieren.