Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche verschiedene afrikanische Länder besuchte, ging es für “Bild”, Bild.de und “Bild”-Parlamentsbüro-Leiter Ralf Schuler vor allem um eine Frage:
Die Dringlichkeit dieser Frage unterstreicht Schuler unter anderem mit dieser Aussage:
Aber es ist auch ein Wettlauf gegen die rasant steigenden Geburtenraten, zwischen fünf und sieben Kinder sind üblich.
Das ist schlicht falsch.
Es gibt kein afrikanisches Land, in dem die Geburtenrate “rasant steigt” (wobei Schuler sowieso wohl eher die Fruchtbarkeitsrate und nicht die Geburtenrate meint). Im Gegenteil: Die Geburtenraten auf dem afrikanischen Kontinent gehen seit Jahren und Jahrzehnten zurück. Für die drei Länder Senegal, Ghana und Nigeria, in die Ralf Schuler die Bundeskanzlerin bei ihrer Reise begleitet hat, sieht das laut Weltbank so aus:
Schulers Behauptung, dass “zwischen fünf und sieben Kinder” üblich seien, passt auch nicht mit den vorliegenden Statistiken zusammen. Laut Weltbank hatten 2016 nur zwölf der 54 afrikanischen Länder (mit der nur teilweise anerkannten Westsahara sind es 55) eine Fruchtbarkeitsrate von über fünf: Niger (7,2), Somalia (6,3), Demokratische Republik Kongo, Mali (je 6,1), Tschad (5,9), Burundi, Angola (je 5,7), Uganda (5,6), Nigeria (5,5), Gambia, Burkina Faso (je 5,4) und Mosambik (5,2). Im “World Factbook” der CIA, wo es bereits die geschätzten Zahlen für 2017 gibt, sind es 13: Niger (6,5), Angola (6,2), Mali, Burundi (je 6,0), Somalia (5,8), Burkina Faso, Uganda (je 5,7), Sambia (5,6), Malawi (5,5), Mosambik, Südsudan, Nigeria und Liberia (je 5,1). Üblich ist also eine Fruchtbarkeitsrate von weniger als fünf Kindern.
Bevor man mit großen Fragen (etwa: “Kann Merkel in Afrika Flüchtlinge aufhalten?”) in den Diskurs eisnteigen will, sollte man vielleicht erstmal die kleinen Fakten richtig haben.
1. Brief an die deutschen Journalisten (faz.net, Jay Rosen)
Der US-amerikanische Journalismus-Professor Jay Rosen hat sich für ein von der Robert Bosch Stiftung unterstütztes Forschungsprojekt drei Monate in Deutschland aufgehalten. Bei der Untersuchung ging es um das Selbstverständnis deutscher Journalisten und die Frage, inwieweit es sich von dem ihrer amerikanischen Kollegen unterscheidet. Aus seinen Interviews mit 53 Journalistinnen und Journalisten hat Rosen ein Destillat herausgearbeitet und in einem “Brief an die deutschen Journalisten” zusammengefasst.
Weiterer Lesetipp: “Meedia” hat bei deutschen Online-Redaktionen nachgefragt, was sie von den Ratschlägen halten: “Wir berichten, was ist. Nicht, was wir glauben, das sein sollte”: Redaktionen zu Rosens Journalismuskritik (Thomas Borgböhmer).
2. Blogger und Journalisten: Ähnlicher als gedacht (de.ejo-online.eu, Johanna Mack)
Eine Studie der Otto Brenner Stiftung (PDF) über Deutschlands Blogger geht der Frage nach, wie journalistische Blogger einzuordnen sind. Worin unterscheiden sich die “Amateure” von den “Profis”? Ist eine derartige Unterscheidung überhaupt nötig? Johanna Mack fasst die Ergebnisse der Studie zusammen: “Die Autoren vermuten, dass Blogs auch in Zukunft keine generelle Konkurrenz für den tagesaktuellen Journalismus darstellen werden, aber in bestimmten Fachbereichen wie Mode, Reise und Technik durchaus aufholen könnten.”
3. «10vor10» und «SonntagsZeitung» wehren sich gegen Zensur (infosperber.ch, Urs P. Gasche)
In der Schweiz konnte man miterleben, welchen Einfluss PR-Berater auf ihre Politik-Klienten haben: Dort unterbrach ein PR-Sprecher von Außenminister Ignazio Cassis die Frage des “10vor10”-Journalisten mit den Worten: “Ich habe gesagt, das ist keine Thema”. Urs P. Gasche lobt die Schweizer Medien, die dieses Gebaren sichtbar gemacht und kritisiert haben.
4. Schweden warnt vor Bots und Fake News (faktenfinder.tagesschau.de, Carsten Schmiester)
Vor der Parlamentswahl in Schweden hat sich eine führende Mitarbeiterin des schwedischen Geheimdienstes Säkerhetspolisen an die Öffentlichkeit gewandt: “Glaubt nicht alles, was online über Parteien, ihre Programme, ihre Stärken und Schwächen geschrieben ist und gesagt wird.” Dahinter steckt die Sorge vor gefälschten Konten, der Digital-Bombardierung durch Bots und der massenhaften Verbreitung von Falschmeldungen.
5. Medienzirkus zum Anfassen (deutschlandfunk.de, Mirjam Kid, Audio, 5:53 Minuten)
Abweichend von herkömmlichen geschlossenen Veranstaltungen waren beim Campfire-Festival für Journalismus nicht nur Journalistinnen und Journalisten, sondern auch Nutzerinnen und Nutzer eingeladen. Mirjam Kid berichtet von ihren Eindrücken vom dreitägigen Lagerfeuer.
6. G+J startet erstes Magazin mit RTL-Gruppe – und mit hoher Druckauflage (horizont.net, Roland Pimpl)
Wenn aus Fernsehformaten Erfolge im Print werden sollen: Gruner+Jahr wirft heute das Magazin zur Vox-Gründershow “Die Höhle der Löwen” auf den Markt. Es ist eine Art von familiärer Zusammenarbeit: Sowohl Gruner+Jahr als auch Vox gehören zur Bertelsmann-Gruppe.
Hinweis: Wegen des aktuellen Geschehens in Chemnitz gibt es heute eine “6 vor 9”-Sonderausgabe, die sich ausschließlich diesem Thema widmet.
1. Sarrazin, Trump und die Medien: Ah, ein Stöckchen! (dwdl.de, Hans Hoff)
Anlässlich der Vorstellung von Thilo Sarrazins neuem Faktenverdreh-Schmöker fragt sich Hans Hoff, ob die Medien über jedes Stöckchen springen sollten, das man ihnen hinhält. Natürlich nicht, so seine Botschaft, aber das sei alles andere als einfach: “Wie man’s macht, macht man es falsch. Im Prinzip müsste ich diesen Text noch vor Veröffentlichung in die Tonne kloppen, um nicht auch zum heimlichen Umsatzbeförderer zu werden. Ich tue es nicht und spüre sofort, in welchem Dilemma all die Kollegen da draußen stecken. Man möchte was sagen, was man besser nicht sagen sollte, aber meint, unbedingt sagen zu müssen. Und dann sagt man es halt und macht es wieder falsch. Stinknormaler Journalismus dieser Tage.”
2. Facebook ist das neue Sportfernsehen (medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Facebook wehrt sich stets gegen die Einordnung als Medienunternehmen mit dem Hinweis, man würde keine eigenen Inhalte anbieten. Doch im Sportbereich tritt Facebook durchaus als Inhalteanbieter auf: Das Netzwerk hat für viel Geld Übertragungsrechte für europäischen Spitzenfußball gekauft. Was es damit auf sich hat und welche Technologie-Konzerne ebenfalls im lukrativen Sportgeschäft mitmischen wollen, erklärt Adrian Lobe in der “Medienwoche”.
3. Hoffen auf ein helles Wunder (taz.de, Anne Fromm)
Viele Medien haben sich in den letzten Jahren Online-Begleitboote für Millenials und junge Leser zugelegt. Nun will es auch das “Neue Deutschland” wissen und startet am Mittwoch ein Portal für junge Linke. “Supernova” heißt die Seite, auf der sich künftig drei Redakteure um eine jüngere Leserschaft bemühen wollen.
Weiterer Lesehinweis: Hier erklärt das “Supernova-Kollektiv” die Intention des linken Lifestyle-Magazins: Hauptsache, es knallt.
4. Reuters-Journalisten in Myanmar zu sieben Jahren Haft verurteilt (diepresse.com)
Zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters sind in Myanmar wegen der “Verletzung von Staatsgeheimnissen” zu siebenjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Sie hatten über die Ermordung von zehn Männern und Jungen recherchiert, die der muslimischen Minderheit der Rohingya angehörten.
Weitergehende Informationen zur Lage der Pressefreiheit in Myanmar gibt es bei den “Reportern ohne Grenzen”.
5. Network des Schweigens (faz.net)
Nach Angaben von “New York Times” und “The Daily Beast” soll der amerikanische Fernsehsender NBC News versucht haben, die Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein zu vertuschen. Nach monatelangen Recherchen hätte es von der Chefetage die Anweisung gegeben, kein Interview mit einem mutmaßlichen Weinstein-Opfer zu führen und die ganze Geschichte fallenzulassen.
6. Eine Stimme verstummt (sueddeutsche.de, Nikolaus Piper)
Die “Village Voice”, die älteste Alternativzeitung Amerikas, wird eingestellt. Ende der Sechzigerjahre war die “Voice” die meistverkaufte Wochenzeitung der Vereinigten Staaten, vor knapp einem Jahr wurde die Druckausgabe eingestellt, und nun hat der Verleger das endgültige Aus des Magazins verkündet.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat gestern entschieden: Sami A., vor gut einem Monat nach Tunesien abgeschoben, muss zurück nach Deutschland geholt werden.
In der “Bild”-Ausgabe von heute und bei Bild.de ist dazu ein Kommentar der gesamten Redaktion erschienen:
Darin heißt es unter anderem:
In über einem Jahr hat die Bundesregierung es nicht geschafft, einen Mechanismus zu schaffen, um Terroristen wie Sami A. rechtssicher in ihre Heimat zurückzuschicken.
Ein Land, das diejenigen, die es auslöschen und mit Terror überziehen wollen, jahrelang auf Kosten der Steuerzahler aushält, dann auf Kosten der Steuerzahler im Privatjet ausfliegt und dann auf Kosten der Steuerzahler im Privatjet wieder zurückholt, damit sie hier wieder — vom Steuerzahler bezahlt — ihr Unwesen treiben können, das gibt es nur ein einziges Mal auf der Welt. Und dieses Land heißt Deutschland.
Natürlich gelte im Rechtsstaat Deutschland das letzte Wort der Gerichte, natürlich müsse dieser Staat dem Urteil im Fall Sami A. folgen. Doch:
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Osama bin Ladens Leibwächter bald wieder deutschen Boden betreten und umgehend seinen Antrag auf Hartz IV stellen wird. Ein Propaganda-Fest für alle Radikalen im Land, das Merkel, ihr Innenminister Horst Seehofer und der zuständige Minister in NRW zu verantworten haben.
“Das Land, das Terroristen zurückholt” — diesen Wahlkampfslogan bekommt die AfD in Bayern von der Bundesregierung geschenkt. (…)
Wenn Sami A. zurückkehrt, kann man das durchaus als Sieg des Rechtsstaats bezeichnen. Aber auch als schreckliche Niederlage für die Handlungsfähigkeit unseres Staates. All die Versprechen, dass Deutschland Gefährder, Kriminelle, Vorbestrafte bald konsequent abschieben wird, kann kein Mensch mehr ernsthaft glauben.
Es gehört schon ein bisschen Aufwand und Wille dazu, den eigenen Leserinnen und Lesern Urteile von Gerichten, die viele Leute vielleicht nicht verstehen können oder wollen, zu erklären. Bei den “Bild”-Medien gibt es diesen Willen offenbar nicht. Stattdessen hohlen Populismus und falsche Fakten.
Die Redaktion erklärt den Vorgang zu einer “schrecklichen Niederlage für die Handlungsfähigkeit unseres Staates”. Dabei ist die Rückholung — ob sie nun wirklich stattfinden oder an der tunesischen Staatsanwaltschaft scheitern wird, die noch gegen Sami A. ermittelt — das genaue Gegenteil davon. Der Vorgang zeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert, auch wenn ihn manch einer auszutricksen versucht. Er zeigt, dass Gerichte unabhängig entscheiden, auch wenn Politiker öffentlich Druck ausüben. Und er zeigt, dass der Rechtsstaat für alle gilt, auch für jene, die als Gefährder geführt werden, auch für jene, die die “Bild”-Redaktion als “Terroristen” bezeichnet, obwohl sie mindestens rechtlich gesehen keine sind.
Genau das müsste man den Leserinnen und Lesern erklären: Dass der Rechtsstaat für jeden gilt; dass jeder das gleiche Recht auf einen fairen Prozess hat, unabhängig von politischer Einstellung und Ideologie, und egal wie unliebsam die jeweilige Person sein mag.
Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass sich die Stärke eines Staates auch darin zeigt, wie er mit seinen Feinden umgeht: Ob er ihnen dieselben Rechte und Verfahren zugesteht wie allen anderen; dass es dabei unerheblich sein muss, wer die politische Macht gerade innehat.
Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass es im Interesse jeder Bürgerin und jedes Bürgers ist, dass das genau so bleibt; dass es für jeden nur Vorteile hat, wenn Gerichte unabhängig und nur auf Grundlage des Gesetzes entscheiden; dass Behörden und Ministerien sich nicht einfach über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzen können; und dass es zu solchen Entscheidungen wie der des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster kommt, wenn sie es doch tun.
Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass die Entscheidung des OVG nicht bedeutet, dass Sami A. in Zukunft nicht abgeschoben werden kann; dass es darum auch gar nicht ging; dass sein Asylantrag weiter als abgelehnt gilt, dass aber auch weiterhin ein Abschiebeverbot besteht; dass es in der Entscheidung des OVG auch nicht darum ging, ob Sami A. gefährlich ist oder nicht, ob er Leibwächter Osama bin Ladens war oder nicht, ob er Terrorist ist oder nicht oder ob ihm im Falle einer Abschiebung Folter droht; dass es um die Fragen ging, ob die Abschiebung rechtswidrig war, ob Behörden einem Gericht Informationen vorenthalten und ob sie sich über eine Gerichtsentscheidung hinweggesetzt haben.
Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass bisher eine Abschiebung unter anderem auch daran gescheitert ist, dass es noch immer keine offizielle Zusicherung aus Tunesien gibt, dass Sami A. dort nicht gefoltert wird; dass die einzige Aussage in diese Richtung vom tunesischen Minister für Menschenrechte stammt, erschienen in “Bild”; dass das dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verständlicherweise nicht als Zusicherung reichte.
Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass Sami A. kein verurteilter Terrorist ist; dass Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingestellt wurden, weil die Ergebnisse dieser Ermittlungen nicht für eine Anklageerhebung reichten.
Man müsste den Leserinnen und Lesern erklären, dass nicht endgültig bewiesen ist, dass Sami A. Leibwächter Osama bin Ladens war; dass dieser Vorwurf vor allem auf der Aussage eines anderen Mannes beruht, bei dem Ermittler schon früh Zweifel hatten, ob seine Geschichte in allen Punkten stimmt.
Vielleicht interessieren sich die “Bild”-Leute auch deswegen nicht für eine solche Aufklärung der eigenen Leserschaft, weil sie mit ihrer Berichterstattung der vergangenen Monate Beteiligte sind. Mit dem Druck, den ihre Schlagzeilen auf Politiker und Behörden ausübten, sorgten auch sie dafür, dass der Fall Sami A. für alle so groß wurde, dass derart überstürzt gehandelt wurde.
Statt aufzuklären, schreiben die “Bild”-Medien dann Sätze wie diesen:
“Das Land, das Terroristen zurückholt” — diesen Wahlkampfslogan bekommt die AfD in Bayern von der Bundesregierung geschenkt.
Genau genommen ist es natürlich nicht die Bundesregierung, die der AfD den Wahlkampfslogan mit dem falschen “Terroristen” schenkt, sondern “Bild”. Und es sind die “Bild”-Mitarbeiter, die das alles als “Propaganda-Fest für Radikale” bezeichnen.
Welche “Radikalen” meinen sie damit? Jene, die die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster für ihre Stimmungsmache als “schreckliche Niederlage für die Handlungsfähigkeit unseres Staates” auslegen? Das macht die Redaktion ja schon selbst.
Mit Dank an Johannes K. und Thomas für die Hinweise!
“Bild”-Chefreporter Peter Hell hat einen Bulgaren gefunden, der den Leserinnen und Lesern mal erklärt, wieso das mit den deutschen Sozialleistungen für EU-Bürger aus Sicht eines Bulgaren eine ganz einfache Rechnung ist:
Blöderweise nutzt er dafür allerdings falsche Zahlen. Und die “Bild”-Medien verbreiten sie weiter:
Einer, der aufgrund der lukrativen Sozialleistungen aus Plovdiv (Bulgarien) mit dem Bus vor acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland reiste, ist Ricky* (20, Name geändert). BILD traf den Bulgaren, seine zwei Geschwister und Eltern in ihrer Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung (70 qm) in Dortmund. Zwei Jahre arbeitete Ricky als Koch. Aktuell lebt die gesamte Familie von Sozialleistungen.
Ricky rechnet gegenüber BILD vor: “In Bulgarien bekommst du 7 bis 8 Euro Kindergeld und 15 Euro Arbeitslosengeld pro Monat. In Deutschland ist das besser. Hier sind es fast 200 Euro pro Person. Eine Familie mit drei, vier Kindern kommt auf fast 800 Euro. Die Miete und der Strom werden uns mit 600 Euro auch bezahlt. Außerdem bekomme ich Arbeitslosengeld. Deshalb ist Deutschland für mich das beste Land.”
Erstmal: Wenn Ricky heute 20 ist und vor acht Jahren nach Dortmund kam, dürfte es ausgesprochen unwahrscheinlich sein, dass er als 12-Jähriger auf die Idee kam, sich aufgrund deutscher Sozialleistungen nach Deutschland aufzumachen, wie Bild.de in der Überschrift behauptet. Die Initiative dürfte wohl eher von Rickys Eltern ausgegangen sein.
Dann: Wenn Ricky zwei Jahre als Koch gearbeitet hat, wird er vermutlich in die Sozialkassen eingezahlt haben. Dass er daraus nun Arbeitslosengeld bekommt, ist erstmal nur fair.
Aber vor allem: Leider hat Ricky keine besonders große Ahnung von den Sozialleistungen in Bulgarien. Und leider hat “Bild”-Chefreporter Peter Hell kein besonders großes Interesse an Fakten.
“7 bis 8 Euro Kindergeld und 15 Euro Arbeitslosengeld pro Monat” in Bulgarien — da wird selbst der letzte Stammtischler sagen: “Ist ja klar, dass die zu uns kommen und hier was abstauben wollen!” Nur sind die Zahlen falsch.
Eine bulgarische Familie mit einem Kind bekommt aktuell 40 Lew pro Monat, mit zwei Kindern insgesamt 90 Lew, mit drei Kinder 135 Lew, mit vier Kinder 145 Lew. Für jedes weitere Kind gibt es 20 zusätzliche Lew. Zwei bulgarische Lew sind in etwa ein Euro. Also: 20 Euro für ein Kind, 72,50 Euro für vier Kinder. Das ist, verglichen mit den monatlich rund 200 Euro Kindergeld in Deutschland, immer noch wenig. Aber eben deutlich mehr als von Ricky in den “Bild”-Medien behauptet.
Noch viel weiter entfernt von den tatsächlichen Zahlen ist Rickys Angabe zum Arbeitslosengeld. In Bulgarien hat jeder darauf einen Anspruch, der in mindestens neun der 15 Monate vor der Arbeitslosigkeit in den staatlichen Arbeitslosenfonds eingezahlt hat. Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nach dem durchschnittlichen Nettolohn der vorangegangenen 24 Monate und beträgt 60 Prozent davon. Es gibt allerdings einen Mindestbetrag: Für 2018 liegt dieser bei 9 Lew, also 4,50 Euro — pro Tag. Und nicht, wie von Ricky in “Bild” behauptet, bei 15 Euro pro Monat. Der Höchstbetrag liegt bei 74,29 Lew beziehungsweise 37,15 Euro täglich. Das monatliche Arbeitslosengeld beträgt in Bulgarien bei 30 Tagen im Monat also zwischen 135 Euro und 1114,50 Euro. Wer bis zu drei Jahre in den Arbeitslosenfonds eingezahlt hat, hat vier Monate lang Anspruch auf Arbeitslosengeld; wer über zwölf Jahre eingezahlt hat, hat Anspruch auf zwölf Monate Arbeitslosengeld.
Daneben gibt es in Bulgarien auch eine Sozialhilfe. Der Staat unterscheidet bei der Festlegung der Höhe, je nach Lebenssituation: Eine Alleinerziehende bekommt einen anderen Betrag als ein Rentner. Grundsätzlich orientiert sich die Sozialhilfe aber am monatlichen garantierten Mindesteinkommen von 75 Lew, also 37,50 Euro.
Die “Bild”-Redaktion hat sich mal wieder große Mühe gegeben, eine Debatte möglichst zu verunsachlichen.
2. Warum wir die Kommentarfunktion abschalten (dw.com, Ines Pohl)
Die “Deutsche Welle” schaltet die Kommentarfunktion unter ihren redaktionellen Meinungsbeiträgen ab. Das Diskussionsniveau habe stetig abgenommen: Der Diskurs sei in letzter Zeit von persönlichen Beschimpfungen, Beleidigungen und rassistischen Äußerungen geprägt gewesen. Dementsprechend zeitaufwändig und nervenaufreibend sei die redaktionelle Betreuung gewesen.
3. Russische Trolle für und gegen Merkel (faktenfinder.tagesschau.de, Karolin Schwarz & Patrick Gensing)
In einer Datenanalyse wurde untersucht, wie russische Trolle auf Twitter den Wahlkampf in Deutschland beeinflussten. Karolin Schwarz und Patrick Gensing erklären anhand von Beispielen die Vorgehensweise der Trolle, deren Zielrichtung nicht immer eindeutig auszumachen sei.
4. Das Magazin “Flow” – Pausenmusik im Fahrstuhl der Pflichten (deutschlandfunk.de, Matthias Dell)
Das Magazin “Flow” will seinen Leserinnen und Lesern helfen, achtsam und im Einklang mit sich selbst zu leben. “Deutschlandfunk”-Kolumnist Matthias Dell hat dort allerdings nur ein permanentes Hochhalten der Weltschlechtigkeit entdeckt. “Flow” sei die Pausenmusik im Fahrstuhl der Pflichten.
5. Brutale zehn Jahre (arminwolf.at)
Armin Wolf hat sich die Auflagen-Entwicklung von Tageszeitungen in Deutschland und Österreich angeschaut. Die Printverluste könnten auch durch steigende Online-Werbeerlöse nicht ausgeglichen werden. Wolfs Apell: “Kaufen Sie professionell gemachte Zeitungen und Magazine! Sonst wird es irgendwann keinen seriösen Journalismus mehr geben. Vielleicht schon 2034, vielleicht sogar noch früher.”
6. Til Schweiger und Jan Ullrich im Medienpuff von „Bunte“ und RTL (uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video, 4:59 Minuten)
Verfilmte Medienkritik kann kaum unterhaltsamer daherkommen: Boris Rosenkranz hat die “Zwangsmedientherapie” des Schauspielers Til Schweiger an seinem Finca-Nachbarn, dem Ex-Radprofi Jan Ullrich, in einem fünfminütigen Film aufgearbeitet.
Ich ärgere mich gerade. Ich ärgere mich über Journalisten angesehener Medienhäuser, die von einem Mordaufruf gegen sie berichten, den es nicht gibt. Ich ärgere mich über Journalisten, die ihre Redlichkeit und das Vertrauen in ihre Verlage beschädigen und damit Kollegen beleidigen, die tatsächlicher Verfolgung ausgesetzt sind. Die manipulative, weil Mitleid- und Solidarität-triggernde Empörungs-Tweets absetzen, welche den Verdacht nahelegen, dass sie mit dem Mittel der Täter-Opfer-Umkehr von eigenen Fehlern ablenken wollen. Und ich ärgere mich über Journalisten, die all das Mordaufruf-Gerede nachplappern, weil es ihnen in ihr Weltbild passt.
Doch der Reihe nach.
Die Wochenzeitung “Die Zeit” veröffentlichte vergangenen Donnerstag ein Pro & Contra zur Frage der Legitimität privater Seenotrettung von Geflüchteten. Massive Kritik gab es vor allem für die in der Überschrift formulierte Frage “Oder soll man es lassen?”, wohl auch, weil aus ihr nicht klar hervorging, dass mit “es” nur die private Seenotrettung gemeint war und nicht die Seenotrettung im Allgemeinen:
In einem “SZ”-Kommentar kritisiert Heribert Prantl die “Zeit”. Man dürfe Menschen nicht als Sache betrachten und behandeln. So ein Pro & Contra sei vielleicht gut gemeint, aber nicht gut. Es relativiere die Menschenwürde:
Wer sich auf eine solche Denkweise einlässt, der landet bei der Folter und bei der Todesstrafe.
Auch die Publizistin Ingrid Brodnig beanstandet die Fragestellung. Diese sei ein Beispiel für “False Balance” im Journalismus: Journalisten seien darauf gedrillt, “beide Seiten” zu beleuchten. Dies führe im schlimmsten Fall dazu, dass menschenfeindliche Positionen denkbare Optionen werden:
Es ist ein Irrtum, dass ausgewogener Journalismus bedeutet, man gibt allen Meinungen Raum — egal wie menschenfeindlich oder faktenfern sie sind. Dieses Streben nach “alle Seiten müssen vorkommen” kann im Journalismus dazu führen, dass wir plötzlich Menschenrechte infrage stellen.
Man kann diese Frage natürlich stellen, aber dann muss sich die “Zeit” auch die Frage gefallen lassen, was das denn soll, diese Frage zu stellen.
Es sei ganz einfach eine Frage von Humanität und Menschenwürde, Leben zu retten. Und da gebe es kein Contra.
Doch hier soll es nicht vornehmlich um die inhaltliche Bewertung des “Zeit”-Artikels gehen, sondern um die Legende vom Mordaufruf gegen “Zeit”-Redakteure.
Auf Twitter reagiert “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff auf die vielerorts als unanständig und inhuman empfundene “Zeit”-Überschrift mit einer gespiegelten, ebenso unanständigen und inhumanen Gegenfrage samt Pro-Contra-Abstimmung:
(Mittlerweile wurde der Tweet von Twitter gelöscht. Zunächst war Wolff mehrfach mitgeteilt worden, dass Beschwerden vorlägen, denen man jedoch nicht stattgegeben habe. Inzwischen hat Twitter offenbar seine Meinung geändert, den Tweet gelöscht und Wolff mit einer zwölfstündigen Sperre belegt.)
Der renommierte Medienmanager und ehemalige Chefredakteur von “Zeit Online” Wolfgang Blau kommentiert:
Nun ist es aber recht offenkundig, dass der Wortlaut des Tweets von Tim Wolff einen derartigen Mordaufruf nicht hergibt. Nur zur Erinnerung: Der “Titanic”-Chefredakteur reagierte mit einer ungehörigen Gegenfrage auf eine aus der Sicht von vielen ungehörige Frage (die, was wir am 12. Juli noch nicht wissen, der verantwortliche Redakteur später selbst als Fehler bezeichnen wird).
Die gespiegelte Gegenfrage stellt vor allem ein rhetorisches Mittel dar. Sie ist ein Vergleich, der verdeutlichen soll, wie unverschämt die Denkweise ist, die einer solchen Frage zugrunde liegt. Vielleicht ist es daher noch nicht mal Satire, sondern nur sehr zugespitzte Gegenrede. Man kann Wolffs Gag gut finden oder auch nicht. Was er auf jeden Fall nicht ist: ein ernst gemeinter Mordaufruf. Und das ist jedem klar, der soweit alphabetisiert ist, dass er aus einem Zusammenhang sinnentnehmend lesen kann.
Das Märchen vom Mordaufruf macht unter Journalisten dennoch weiter die Runde.
Hier ließe sich einiges anmerken: Zum Setzen des Wortes Seenotretter in Anführungszeichen und der dadurch deutlich gemachten Unterstellung, es handele sich gar nicht um eine Rettung, oder zum diffamierenden Ausdruck “Refugees-Welcome-Fanatiker”. Doch bleiben wir bei der Legende von den “Tötungsaufrufen gegen “Zeit”-Mitarbeiter”.
Nur wenige Minuten spätertwitterte der verantwortliche “Zeit”-Redakteur Bernd Ulrich:
Auch hier könnte man einiges anmerken, zum Beispiel zum selbstmitleidigen und passiv-aggressiven Duktus und dem abschätzigen Gerede von der “flüchtlingsfreundlichen Gemeinde”, die gegen Ulrich und die “Zeit” angeblich ins “Gefecht” gezogen sei. Zur Wortwahl und Rechtschreibung, die wohl Emotionalität und Nachdenklichkeit signalisieren soll. Oder zu dem kühnen Vorwurf, dass derartige Kritik für den Rechtsruck in Deutschland verantwortlich sei. Hier soll es jedoch nur um die Bemerkung “Zeit-Redakteure töten?” gehen, die sich auch bei Ulrich wiederfindet.
Und die beim Deutschen Journalisten-Verband einzieht. Dort kommentiert Hendrik Zörner im hauseigenen Blog:
Geht’s noch? Da ersaufen im Mittelmeer täglich Menschen, die Armut und Unterdrückung in ihren Heimatländern entkommen wollen. Hierzulande entspinnt ein Blatt eine akademische Diskussion über das Für und Wider von Humanität. Und unter dem Deckmantel der Satire wird ein kaum verdeckter Mordaufruf in die Welt gesetzt.
Noch einmal: Beim Tweet des “Titanic”-Chefredakteurs handelte es sich eindeutig nicht um einen Mordaufruf. Tim Wolff erklärt seine Technik mit folgenden Worten:
Ich kenne keine andere Methode, so jemanden in dieser kalten Routine der Bestätigung der mörderischen Verhältnisse zu stören, als ihn kurz spüren zu lassen, wie es sich anfühlt, wenn die eigene körperliche Versehrtheit öffentlich lässig verhandelt wird.
Bleibt die Frage, ob es sich bei der viral gestreuten Mordaufruf-Legende um Vorsatz oder Fahrlässigkeit handelt. Echte Sorgen scheinen sich die Empör-Journalisten jedenfalls nicht gemacht zu haben: Von dem naheliegenden Gang zur Polizei und dem Stellen einer Anzeige ist nichts bekannt. Auch nicht bei der “Titanic”, bei der wir extra nochmal nachgefragt haben.
1. “Zeit” gerät nach Pro-und-Contra zur Seenotrettung in die Kritik (sueddeutsche.de, David Denk)
Die “Zeit” hat mit einem Pro und Contra zur Frage der Legitimität privater Seenotrettung massive Kritik ausgelöst. Dabei ging es um die in der Überschrift formulierte Frage “Oder soll man es lassen?” und die “Contra”-Position der “Zeit”-Korrespondentin Mariam Lau. In der Digitalausgabe wurde die Überschrift mittlerweile in “Gut? Oder nur gut gemeint?” geändert. Die Redaktion will darin jedoch kein Eingeständnis eines Fehlers sehen, dem lägen nur “technische Gründe” zu Grunde …
In einem “SZ”-Kommentar kritisiert Heribert Prantl die “Zeit”. Man dürfe Menschen nicht als Sache betrachten und behandeln. So ein Pro und Contra sei vielleicht gut gemeint, aber nicht gut. Es relativiere die Menschenwürde. “Wer sich auf eine solche Denkweise einlässt, der landet bei der Folter und bei der Todesstrafe.”
Vor allem auf Twitter wurde der Beitrag intensiv diskutiert. Hier drei Threads, die verschiedene Aspekte beleuchten: Simon Hurtz kritisiert den Text von Mariam Lau, plädiert jedoch für mehr Argumente und weniger Furor: “Bringt es uns wirklich weiter, wenn wir die Zeit jetzt als bürgerliche Bild-Zeitung bezeichnen oder den Untergang des Journalismus heraufbeschwören? Das ist doch genau das angebliche Sprechverbot, das Rechte immer beklagen.” Julian Pahlke von “Jugend Rettet” reagiert mit einer eindringlichen Tweetabfolge über das Sterben im Mittelmeer, wie er es selbst als Augenzeuge erlebt habe: “Der Tod im Mittelmeer ist nicht, wie man immer glaubt, ein lautes Ereignis. Er kommt langsam und wird immer ruhiger. Er ist gerade deshalb so dramatisch weil er so ruhig ist.” Und laut Ingrid Brodnig illustriere die Frage der “Zeit” das Problem der “False Balance” im Journalismus. Journalisten seien darauf gedrillt, “beide Seiten” zu beleuchten. Dies führe im schlimmsten Fall dazu, dass menschenfeindliche Positionen denkbare Optionen werden: “Es ist ein Irrtum, dass ausgewogener Journalismus bedeutet, man gibt allen Meinungen Raum — egal wie menschenfeindlich oder faktenfern sie sind. Dieses Streben nach “alle Seiten müssen vorkommen” kann im Journalismus dazu führen, dass wir plötzlich Menschenrechte infrage stellen.”
Im Blog der “Zeit” haben sich die verantwortlichen Chefredakteure Sabine Rückert und Bernd Ulrich mit einer Art Stellungnahme an die Leser gewandt: “Wir bedauern, dass sich einige Leser in ihrem ethischen Empfinden verletzt gefühlt haben, und dass der Eindruck entstehen konnte, die ZEIT oder auch Mariam Lau würden einer Seenotrettung generell eine Absage erteilen.”
Das Bedauern der “Zeit”-Verantwortlichen scheint sich jedoch hauptsächlich auf sich selbst zu beziehen: Auf Twitter klagt Bernd Ulrich selbstmitleidig und passiv-aggresiv über die “flüchtlingsfreundliche Gemeinde”. Und trägt dazu bei, dass sich das Märchen von “Mordaufrufen” gegen “Zeit”-Redakteure verbreitet, was sich augenscheinlich auf “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff bezieht, der jedoch keineswegs zu irgendeiner Tötung aufgerufen, sondern eine unanständige Frage mit einer unanständigen Gegenfrage satirisch gespiegelt hat. Nachtrag, 12:24 Uhr: Bernd Ulrich schreibt “nach einmal Drüberschlafen” bei Twitter: “Die Überschrift war ein, war mein Fehler” und kündigt einen eigenen Text zum Thema in der nächsten Ausgabe an.
2. EU-Politiker Axel Voss nutzt auf Facebook urheberrechtlich geschützte Fotos und verrät uns nicht, ob er sie bezahlt hat (buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Axel Voss sitzt für die CDU im EU-Parlament und hat dort das neue und strengere Urheberrecht vorangetrieben. Das neue Gesetz soll unter anderem Plattformen dazu zwingen, urheberrechtlich geschütztes Material mittels Uploadfilter zu blocken und damit ein Veröffentlichen durch Unberechtigte unmöglich zu machen. “BuzzFeed News” hat sich bereits vor ein paar Tagen auf dem Facebook-Profil des Politikers umgeschaut und dort zahlreiche urheberrechtlich geschützte Bilder entdeckt. Auf Nachfragen, ob und wie eine Lizenzierung dieser Bilder erfolgt sei, reagierte das Büro des Politikers ausweichend. Doch nun passiert gerade ein Wunder: Wie auf magische Weise verschwinden immer mehr Einträge von Voss’ Facebook-Seite, bei denen derartige Bilder verwendet wurden.
3. „Mehr Kontrolle von außen“ (taz.de, Frederic Valin)
Die “taz” hat mit dem ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt gesprochen. Es geht um die aktuelle Fußball-WM, die Vergabe an Katar, diverse Substanzen und seine Entscheidung, nicht nach Russland zu fahren. Seppelts Resümee: “Die Doping- und Korruptionsskandale der vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Sport ist bei weitem eben nicht der schöne Schein, den uns die Hochglanzbilder vorgaukeln. Auch im Fußball nicht. Nur, weil die Menschen die WM im Fernsehen gucken, heißt das noch lange nicht, das sie goutieren, was die Fifa macht. Einschaltquoten sind kein ethisches Argument.”
4. “Wie würde es im Netz aussehen, wenn es uns nicht gäbe?” (golem.de, Jennifer Fraczek)
Die rund 40.000 Mitglieder der Facebook-Gruppe #ichbinhier schreiben Erwiderungen auf Hasskommentare. Im Interview mit Golem.de erklärt der Gründer der Online-Initiative Hannes Ley, wie er die Idee aus dem Netz in die echte Welt bringen will: “Unser Ziel ist es, ein Konzept für die Lehrerbildungsinstitute (LBI) zu entwickeln.”
5. Facebook-Chats sind auch nur Briefe (lto.de, Bastian Biermann)
Der Bundesgerichtshof hat ein wichtiges Urteil zum sogenannten digitalen Nachlass gefällt und Eltern, die nach der Todesursache ihrer 15-jährigen Tochter suchen, Zugriff auf deren Facebook-Account gewährt. Damit habe das Gericht den digitalen Nachlass dem analogen gleichgestellt, so Bastian Biermann in seiner Einordnung des Urteils. Im Sinne der Rechtsklarheit sei es jedoch wünschenswert, dass der Gesetzgeber eine eindeutige Regelung zum digitalen Erbe treffe. Bis es soweit ist, rät Biermann zu Vorsorgemaßnahmen zu Lebzeiten.
6. Speechless Speech: Mark Zuckerberg (webtapete.de)
Zum Wochenausklang noch etwas Leichtes: Der für seine “Musicless”-Videos (hier ein Beispiel) bekannte Sounddesigner und Vertonungskünstler Mario Wienerroither hat Mark Zuckerberg vertont.
1. Monsterworte (spiegel.de, Georg Diez)
Georg Diez schreibt über die Sprache der Flüchtlingspolitik: “Sie denken sich immer neue Monsterworte aus, diese Politiker, um ihre Verantwortung zu verschleiern, schreckliche, technokratische, sterile, bürokratische Maßnahmenworte, Umsetzungsworte, Tatenworte ohne Taten, denn es ist allein die Fiktion von Autorität, die in Worten wie “Masterplan” steckt oder “Ausschiffungsplattform” oder “Ankerzentren” — schlimmer noch, es sind Worte, die einen Rechtsbruch in abwaschbare Sprache verkleiden und so tun, als sei dieser tatsächliche Rechtsbruch die geeignete Maßnahme, um einen fiktiven Rechtsbruch zu bekämpfen.”
Weiterer Lesetipp: Bei “Flüchtlingsforschung gegen Mythen” diskutieren WissenschaftlerInnen Behauptungen aus der Flüchtlingsdebatte. Aktuell in der siebten Ausgabe.
2. Gegendarstellung (martinsonneborn.de)
Gibt es im Europaparlament immer mehr Fraktionen und Fraktionslose, wie die “FAZ” einen CDU-Abgeordneten zitiert? Martin Sonneborn, fraktionsloses Mitglied im EU-Parlament (Die Partei), widerspricht dem in seiner “Gegendarstellung” und räumt mit aus seiner Sicht weiteren Lügen und Mythen auf.
3. Die kalte Liebe der Medien gegenüber dem Brexit (nzz.ch, Felix Simon)
Europäische Medien zeichnen sich in Bezug auf den Brexit vor allem durch leidenschaftslose Distanz aus, schreibt Felix Simon. Laut einer neuen Studie würden Fernsehsender, Zeitungen und Online-Medien in acht europäischen Ländern neutral und faktenbasiert berichten — was sich von der Berichterstattung einiger grosser Zeitungen der Insel nicht unbedingt behaupten lasse.
Weiterer Lesetipp: Nach 26 Jahren im Amt tritt der englische Journalist Paul Dacre als Chefredakteur des konservativen Boulevardblatts “Daily Mail” zurück: Eine Pro-Brexit-Stimme wird leiser (nzz.ch, Rolf Hürzeler)
Und für Brexit-Interessierte die aktuelle Meldung: Brexit-Minister David Davis tritt zurück (spiegel.de)
4. Stichwortgeber für die rechte Blase (taz.de, Lalon Sander)
“Bild” ist oft Stichwortgeber für die rechte Blase, übernimmt jedoch auch Meinungen von dort. Ein Beispiel dafür sei “Bild”-Boss Julian Reichelt höchstpersönlich, der mit seinen Tweets immer wieder Lautsprecher und Stichwortgeber für Deutschlands Rechte sei, so Lalon Sander in seiner “Right Trash”-Kolumne.
5. “Sie sollten Gott danken, dass es hier in Deutschland kein Fox News gibt” (deutschlandfunkkultur.de, Mike Herbstreuth & Teresa Sickert, Audio, 15:59 Minuten)
Der US-Journalismusforscher Jay Rosen untersucht, wie sich das deutsche und das US-amerikanische Mediensystem voneinander unterscheiden. Zurzeit befindet er sich zu Studienzwecken in Deutschland. Bei “Deutschlandradio Kultur” spricht er über seine Eindrücke und Erkenntnisse: “Egal ob Sie religiös sind oder nicht, sollten Sie Gott danken, dass es hier in Deutschland kein Fox News gibt.”
Weiterer Lesetipp: Auf “Der rechte Rand” geht es aktuell um die Printversion des rechtskonservativen Onlineblogs “Tichys Einblick”. (der-rechte-rand.de, Robert Andreasch)
6. Siegtreffer (twitter.com/LMatthaeus10, Lothar Matthäus)
“Bild” kritisiert den ehemaligen Fußballspieler Lothar Matthäus dafür, Putin die Hand geschüttelt zu haben, und der macht keine langen Worte, sondern antwortet mit einem Foto. In der Fußballsprache würde man wohl sagen: Siegtreffer!
1. “Es ist deprimierend” (sueddeutsche.de, Thorsten Denkler)
Glenn Kessler verantwortet das Factchecker-Blog der “Washington Post”, bei dem es um den Wahrheitsgehalt von Politikeraussagen geht. Ein besonderer Schwerpunkt liegt darin bei Donald Trump: Kessler und sein Team konnten dem amerikanischen Präsidenten bislang über 3200 Falschaussagen seit dessen Amtsantritt im Januar 2017 nachweisen. Während Trumps Präsidentschaft sei es immer schlimmer mit Trump geworden: Am 20. Juni habe der US-Präsident 77 falsche Aussagen gemacht.
2. „Die Branche ist überhitzt“ (mediummagazin.de, Anne Haeming)
Das “Medium Magazin” hat das Interview mit den drei Politjournalisten Robin Alexander, Kristina Dunz und Stephan Lamby online gestellt. Darin debattieren die drei preisgekrönten Journalisten über “Haltung und Wege aus dem Sog”.
3. Qualitätsfilter oder Zensur? (faktenfinder.tagesschau.de, Konstantin Kumpfmüller)
Mit sogenannten “Qualitätsfiltern” will Twitter dafür sorgen, dass “bösartige” Inhalte gar nicht erst angezeigt werden. Dies betrifft vor allem Accounts, die Twitter in negativer Hinsicht aufgefallen sind. Davon fühlen sich viele Nutzer diskriminiert, die dagegen mit einem rotem Kreuz und dem Hashtag #QFD protestieren.
4. Die neue Ordnung (freitag.de, Matthias Dell)
Politik und Medien rutschen in atemberaubendem Tempo nach rechts, findet Matthias Dell im neuen “Freitag”. Die Ignoranz gegenüber rechter Gewalt berühre zentrale Punkte in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen: “Sich nach rechts öffnen zu können — wie es Politik und Medien gerade in atemberaubender, selbstvergessener Geschwindigkeit tun –, um dem schlechten Gewissen des eigenen Privilegiertseins zu entkommen, das mit “links” assoziiert wird, bedarf der Ignoranz gegenüber Opfern rechter Gewalt.”
5. Die große Einigung (taz.de, Peter Weissenburger)
Seit Jahren streitet sich der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) mit einzelnen Sendeanstalten: Den Verlegern ist alles ein Dorn im Auge, was “presseähnlich” ist oder sein könnte. Nun scheint der Streit beigelegt, unter anderem durch Einrichtung einer Schiedsstelle. Eine Idee, die bei der medienpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Tabea Rößner, auf Kritik stößt: “Es kann nicht sein, dass es eine Schiedsstelle von Pressevertretern gibt, die über die Ausführung des öffentlich-rechtlichen Auftrags entscheiden”.
6. Das freie Internet ist in Gefahr! Oder? (zeit.de, Julia Reda & Axel Voss)
Die EU-Abstimmung über das neue Leistungsschutzrecht steht bevor. Was spricht für ein derartiges Gesetz und was dagegen? Die “Zeit” lässt die Europaabgeordneten Axel Voss (CDU) und Julia Reda (Piraten) im Pro und Contra gegeneinander antreten.