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Super-Schurke Wikileaks

Wikileaks bestimmt noch immer die Schlagzeilen. Doch heute bekommen die Enthüllungen auf der Plattform selbst kaum Raum, vielmehr konzentriert sich die redaktionelle Aufmerksamkeit ganz auf den “Hacker-Krieg” um die Enthüllungsplattform. Die lose Gruppierung “Anonymous” hat zu Attacken auf vermeintliche Wikileaks-Feinde aufgerufen — und tatsächlich waren einige Webseiten für kurze Zeit nicht erreichbar.

Grund genug für Bild.de, drängende Fragen zu stellen:

Kristinn Hrafnsson – die Nummer 2 bei Wikileaks - Steuert dieser Isländer den Cyberkrieg?

Die Antwort jedoch enthält Bild.de seinen Lesern vor. Dass beide Gruppierungen betonen, keine direkte Verbindungen untereinander zu haben und dass “Anonymous” bereits zahlreiche andere Kampagnen durchgeführt hat, kommt weder in diesem, noch in den zwei anderen Artikeln zum Thema vor.

Stattdessen hat Bild.de ganz exklusiv erfahren wie teuer die Aktionen der “Wikileaks-Hacker” sind:

"Die negativen Begleitfolgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind sehr ernst zu nehmen", so Fritsche. "Vertrauensverluste, Arbeitplatzverluste für Arbeitnehmer oder Wettbewerbsverzerrungen."  Den möglichen Schaden der Wikileaks-Angriffe würden Experten auf 20 bis 50 Milliarden Euro schätzen.

Die Zahl ist besonders beeindruckend, wenn man berücksichtigt, dass keine der bisher angegriffenen Organisationen ihren Sitz in Deutschland hatte. Die Schäden in den Ländern, die tatsächlich Ziel der Angriffe waren, müssen in die Trillionen gehen.

Oder auch nicht. Bei den Kollegen von “Welt Online” klingt es nämlich ganz anders:

Aber auch ohne Wikileaks sind deutsche Unternehmen seit Jahren in höchstem Maße durch Computerspionage gefährdet. Grobe Schätzungen sprechen von Schäden in Höhe von 20 bis 50 Milliarden Euro jedes Jahr. Laut einer Statistik des Wirtschaftsberatungsunternehmens KPMG wurde jedes vierte deutsche Unternehmen in den letzten drei Jahren Opfer von Cybercrime.

Bild.de hat also mal eben alle digitalen Straftaten in Deutschland auf das publizistische Konto von Wikileaks geschrieben. Weitere Exklusiventhüllungen um den Super-Bösewicht “Dr. Leaks” lassen damit bestimmt nicht lange auf sich warten.

Warum Assanges Aktivitäten so überaus verwerflich sind, erklärt Profi-Rechercheur ”Bild”-Kolumnist Ernst Elitz heute in einem Kommentar:

Journalismus wägt ab und gräbt tiefer, denn er weiß: Die Wahrheit liegt meist unter der Oberfläche. Der Journalist will die Welt erklären. Assange will nur bloßstellen und Vertrauen zwischen den Staaten zerstören. Damit erklärt er sich selber zum Staatsfeind.

Zum Staatsfeind wird man also, wenn man keinen ordentlichen Journalismus betreibt, die Wahrheit unter der Oberfläche ignoriert und nur bloßstellen will. Wenn es danach geht, müsste Elitz eigentlich in Kürze zum Einsatz der Bundeswehr gegen Bild.de aufrufen.

Mit Dank auch an Alex.

Lolas Rente*

Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland wartet. Er wartet darauf, dass ihm jemand von ARD und ZDF verrät, wie viel Geld die öffentlich-rechtlichen Sender für die Rentenbezüge ihrer ehemaligen Angestellten ausgeben. Immerhin wartet er offenbar nicht allein; er schreibt: “Wir warten.”

Suchsland hat für das Online-Magazin “Telepolis” einen Artikel verfasst, in dem er seinem Frust darüber Ausdruck verleiht, dass ARD und ZDF immer weniger so sind, wie sie seiner Meinung nach sein sollten. Er ist damit nicht allein, und die meisten Belege, die er für seine These nennt, dass die öffentlich-rechtlichen ihre “Verpflichtungen immer weniger erfüllen, weil sie den Privatsendern immer ähnlicher werden”, sind bekannt: weniger Dokumentationen, mehr Talkshows.

Unter Suchslands Text liegt ein ohrenbetäubendes Raunen. Denn er reichert die übliche (deshalb aber natürlich nicht unberechtigte) Kritik mit diversen Gerüchten an. Das heißeste davon lautet:

50 Prozent aller Rundfunk-Gebühren entfallen zur Zeit allein auf Zahlung der Rentenbezüge ehemaliger Angestellter (…).

Suchsland hat diese Information offenbar exklusiv “aus den zweifellos gut unterrichteten Kreisen der Chefetage eines großen öffentlichen Senders”. Und er flucht:

Solche Informationen sind bislang nicht öffentlich. Warum eigentlich? Gibt es kein Recht auf Transparenz bei der Verwendung von Rundfunkgebühren — ähnlich wie die Bürger das Recht haben zu erfahren, was mit den Steuergeldern passiert?

Sollte die Information aus der Chefetage nicht zutreffen, wäre es für die Sender jedenfalls ein Leichtes, diese zu widerlegen, indem sie die Zahlen offen legt. Wir warten.

Apropos “ein Leichtes”: Es gäbe da etwas, das Herr Suchsland tun könnte, anstatt mit spitzem Finger auf die Tischplatte zu tippen. Er könnte auf die Internetseite der “Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten” (KEF) gehen, die nicht nur genau das tut, was ihr Name sagt, sondern darüber sogar öffentlich Rechenschaft ablegt. Er fände dort ein ganzes Kapitel über die “Betriebliche Altersversorgung”. In vielen Tabellen könnte er nachlesen, wie viel Geld die einzelnen öffentlich-rechtlichen Sender dafür pro Jahr ausgeben. Die Kommission hat sich sogar die Mühe gemacht, den Nettoaufwand zu errechnen, der neben den Ausgaben für die Altersvorsorge auch korrespondierende Erträge berücksichtigt und die “effektive Belastung des Gebührenzahlers” darstellen soll. Sie verfolge nämlich, schreibt die Kommission, wie Suchsland zum Hohn, “stetig das Ziel, eine größere Transparenz in der Darstellung der Verwendung der Rundfunkgebühren für die betriebliche Altersversorgung der Rundfunkanstalten zu erreichen”.

Für 2010 zum Beispiel rechnen ARD, ZDF und Deutschlandradio insgesamt mit einem Nettoaufwand von 377,6 Millionen Euro für die Altersversorgung. Dem stehen 8,5 Milliarden Euro Einnahmen gegenüber — davon stammen über 85 Prozent aus den Rundfunkgebühren, also mehr als 7,2 Milliarden Euro.

Es scheint, als würden ARD, ZDF und das Deutschlandradio nicht fünfzig, sondern fünf Prozent der Gebühren, die sie bekommen, für Rentenbezüge ausgeben. Wenn die gut unterrichteten Kreise der Chefetage eines großen öffentlichen Senders tatsächlich über jeden Zweifel erhaben sind, muss sich Suchsland wohl verhört haben.

Jedenfalls könnte er jetzt aufhören zu warten (und den anderen Bescheid sagen).

Mit großem Dank an den Hinweisgeber.

Nachtrag, 10. Dezember, 0.00 Uhr. “Telepolis” hat dem Artikel folgende “Ergänzung” hinzugefügt:

Nachdem die Zahlenangaben für viel Unruhe gesorgt haben, will der Autor demnächst dazu weiter berichten.

Wir warten.

Nachtrag, 11. Dezember, 16.30 Uhr. Rüdiger Suchsland räumt nun in einer “persönlichen Stellungnahme” auf “Telepolis” ein, dass seine Behauptung, 50 Prozent aller Rundfunk-Gebühren entfielen auf Rentenbezüge, “nicht zu halten” sei und nennt die Kritik an seinem Eintrag “gerecht”. Er verteidigt jedoch grundsätzlich das ahnungslose Publizieren von irgendwo Aufgeschnapptem:

Grundsätzlich halte ich allerdings daran fest, dass es gerade der Sinn von Blogs mit ihrer Möglichkeit zur Leserreaktion ist, auch das zu publizieren, was ich hier mal “partytalk” nennen will. Da hört man nämlich neben reinen Gerüchten immer wieder Dinge, die namentlich nie zur Veröffentlichung gesagt werden und trotzdem stimmen.

Indirekt scheinen auch ARD und ZDF selbst Schuld zu sein, dass Leute wie er falsche Meldungen über sie in die Welt setzen:

Jetzt könnte man zwar auch darüber räsonnieren, was es denn über den ÖR sagt, dass man solche Informationen erstmal glaubt, bzw. hier immer mit dem worst case rechnet, aber das würde dann wie eine Ausrede klingen, und das soll es nicht.

*) Lola Öber-Klöben, langjährige ZDF-Archivarin (Name geändert)

Halbgares zu Wikileaks

Julian Assange, der mit seiner Online-Plattform Wikileaks die USA und die internationale Diplomatie in Atem gehalten hat, wurde am Mittag in London festgenommen. Es ist ein Showdown wie aus dem Bilderbuch. Die Medien tragen aber ihren Teil dazu bei, den Konflikt noch mehr zuzuspitzen, durch Missverständnisse, Schludrigkeiten und simple Fehler.

So weiß zum Beispiel “Spiegel Online” von einer Trotzreaktion der Wikileaks-Aktivisten zu berichten:

"Die heutigen Aktionen gegen unseren Chefredakteur Julian Assange werden unseren Betrieb nicht beeinflussen", twitterten Vertreter der Enthüllungsplattform gegen 13 Uhr. "Wir werden heute Nacht mehr Botschaftsdepeschen veröffentlichen als normal."

In Wahrheit lautete die Twitter-Nachricht jedoch ein wenig anders:

Today's actions against our editor-in-chief Julian Assange won't affect our operations: we will release more cables tonight as normal

Zu deutsch:

Die heutigen Maßnahmen gegen unseren Chefredakteur Julian Assange werden unseren Betrieb nicht beeinflussen. Wir werden wie üblich heute Nacht weitere Botschaftsdepeschen veröffentlichen.

Weniger eilig, aber weitaus exklusiver hatte das Handelsblatt am Morgen eine Meldung mit mehr Lokalbezug veröffentlicht:

Geldgebern von Wikileaks drohen Sanktionen  Die Aufsichtsbehörde in Kassel verlangt eine Stellungnahme der Wau-Holland-Stiftung, einer der weltweit größten Geldgeber des Enthüllungsportals. Im schlimmsten Fall droht der Stiftung die Aberkennung des Steuerprivilegs – damit würde eine der wichtigsten Geldquellen für Wikileaks versiegen.

Hier war der Autor etwas voreilig: Zwar ist das Steuerprivileg des Vereins tatsächlich gefährdet, in der Folge muss aber die Geldquelle von Wikileaks nicht zwangsläufig versiegen — zumal sich die Gründungsvorsitzende Ursula Kooke für die Förderung von Wikileaks ausspricht. Der Verlust der Steuerprivilegs bedeutet nämlich zunächst einmal, dass Spenden nicht steuerlich abgesetzt werden können. Sollte es dazu kommen, kann der Verein Wikileaks dennoch weiter unterstützen.

Die “Neue Zürcher Zeitung” hatte bereits am Montag mit der Meldung für Aufsehen gesorgt, dass der Schweizer Finanzdienstleister Postfinance das Konto von Julian Assange gekündigt habe. Auch das ist richtig, nur schaffte es die NZZ nicht, die Begründung von Postfinance richtig wiederzugeben:

Grund sei, dass Assange bei der Kontoeröffnung falsche Angaben zu seinem Wohnort gemacht habe, schreibt PostFinance in der Mitteilung vom Montag. Als Domizil habe Assange Genf angegeben, was sich bei einer Überprüfung der Daten als unwahr herausgestellt habe. Assange könne keinen Schweizer Wohnsitz nachweisen. Voraussetzung für ein Konto bei Postfinance ist ein Schweizer Domizil.

Auch hier erwischte der Autor wieder nur die halbe Wahrheit: Zwar begründet Postfinance die Kündigung mit den falschen Angaben von Assange bei der Kontoeröffnung. Ein Wohnsitz in der Schweiz wäre für ein solches Konto hingegen nicht nötig — wie auch Leser bei der NZZ korrekt kommentieren.

Dies sind an sich nicht besonders schwere Fehler. Im Kollektiv mit hunderten und tausenden Meldungen gleicher Bauart entsteht jedoch ein Gemisch aus Halbwahrheiten, das kaum noch eine wirklich informierte Debatte um Wikileaks zulässt.

Mit Dank auch an Christoph H.

Nachtrag, 17 Uhr: “Spiegel Online” hat die Übersetzung der Twitter-Nachricht inzwischen korrigiert.

Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP hat ein Sprecher des Regierungspräsidiums Kassel den Bericht des “Handelsblatts” relativiert: Die Mahnung wegen eines fehlenden Geschäftsberichts habe nichts mit Wikileaks zu tun, eine Prüfung des Stiftungszwecks und damit des Steuerprivilegs stehe jedoch noch nicht an.

Untertauchen für Anfänger

Wo ist Julian Assange? Und: Ist er auf der Flucht? Der Wirbel rund um die Whistle-Blower-Plattform Wikileaks sorgt für immer neue Höhepunkte im weltweiten Medienzirkus. Kein Wunder, dass Bild.de da mitspielen will:

Jagd auf Wikileaks-Chef Julian Assange: Entkommt er wegen einer Behörden-Schlamperei?

Doch nicht nur Behörden schlampen, wenn es um Julian Assange geht. Zur Frage nach dem gegenwärtigen Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers schreibt Bild.de zunächst dies:

Scotland Yard sei sein Aufenthaltsort bekannt, berichtet die britische Tageszeitung “The Independent”. Der Australier wird von Schweden wegen Vergewaltigungsverdachts gesucht, steht inzwischen auf der internationalen Fahndungsliste von Interpol. (…)

Nach dem Bericht des “Independent” habe der Australier der Polizei bereits im Oktober nach seiner Ankunft im Land seine Kontaktdaten zur Verfügung gestellt.

Ein paar Absätze weiter sieht es ganz anders aus:

Doch bereits seit Monaten treibt Assange ein Versteckspiel mit den Behörden, gibt seinen Aufenthaltsort nicht preis und operiert aus dem Untergrund.

Und auch zum Aufenthaltsort des Wikileaks-Gründers hat Bild.de noch ein paar ganz exklusive Informationen:

Assange weist die Vorwürfe zurück; er sieht sich als Opfer eines Komplotts und ist deshalb im August 2010 abgetaucht. Angeblich versteckt er sich jetzt in Australien, doch sein genauer Aufenthaltsort ist weiterhin unbekannt.

Diesen Satz verwendete Bild.de bereits in mehreren Artikeln, richtiger wird er dadurch aber nicht. Assange ist keinesfalls seit August abgetaucht: Damals hielt er sich nämlich noch in Schweden auf. Erst im September durfte er das Land verlassen und gab schon im Oktober wieder eine große Pressekonferenz in London.

Doch England oder Australien, behördlich gemeldet oder auf der Flucht — Hauptsache, es gibt irgendwas zu spekulieren.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Innocence in Danger, Talkshows, Wikileaks

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “geheimes budget in danger”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Der Verein “Innocence in Danger” kündigt an, “wegen verleumderischer Aussagen” gegen den DuMont-Verlag vorzugehen. Felix Schwenzel und auch Bettina Winsemann auf “Telepolis” recherchieren Hintergründe zur Transparenz der Spenden.

2. “Talkshow-Overkill”
(medien-monitor.com, Fabian Schwane)
“Wer keine Talkshows mag, der dürfte die ARD in Zukunft nur schwerlich mögen”, schreibt Fabian Schwane zum zukünftigen Programm im “Ersten”. Stefan Niggemeier zeigt im Fernsehblog schon mal “das bislang noch geheime Ergebnis der Programmreform”.

3. “Im Geheimraum”
(fr-online.de, Arno Widmann)
Arno Widmann begrüßt das Aufbrechen von Geheimräumen durch Wikileaks: “Die Bevölkerung hat keinen Grund, den Regierenden zu vertrauen. Sie tut gut daran, immer wieder auf Offenlegung und Veröffentlichung zu dringen.”

4. “Polit-Gossip in der Redaktions-Soap”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz fragt sich, warum deutsche Redaktionen “nur über teflonbehaftete Kanzlerinnen” schreiben und wartet auf das erste Ranking: “So beliebt sind unsere Politiker in Amerika! Man spürt ja schon förmlich das Durchhecheln nach den geheimen Zeugnisnoten, die unsere Politiker vom großen Lehrer drüben bekommen.”

5. “Sexkritik: Ich will niemals geleakt werden”
(jetzt.sueddeutsche.de, Penni Dreyer)
Penni Dreyer fragt sich, was wäre, wenn Wikileaks “ausnahmsweise mal nicht die geheimen Akten amerikanischer Diplomaten und hochrangiger Regierungsmitglieder veröffentlichen, sondern auf einmal lauter Daten, in denen es um mein Liebesleben geht”.

6. “iPhone-Erziehung”
(nzz.ch, Thomas Böhm)
“Wie kommt eigentlich das iPhone in die Hände der Kleinen? Warum widerstehen meine Frau und ich nicht der Versuchung, durch Übereignung unserer Erziehungshoheit an ein Unterhaltungsmedium ein paar Minuten Schlaf zu gewinnen?”

Bild  

“Bravo, Stephanie zu Guttenberg!”

Es gibt viel Kritik an der RTL2-Show “Tatort Internet”, in der gezeigt wird, wie Männer in Chats vermeintlich 13-jährige Mädchen ansprechen, sich mit ihnen verabreden und sie treffen. Die renommierte Medienanwältin Dorothee Bölke wirft dem Sender vor, “die journalististischen Pflichten bei der Verdachtsberichterstattung nicht beachtet” zu haben. Der Presserechtler Carsten Brennecke bezeichnet die Darstellung der angeblichen Täter als “klar rechtswidrig”. Drei Kinderschutzvereine nennen die Show ein “reißerisches und vorurteilsstärkendes” Format, das keinen Beitrag zum Schutz von Mädchen und Jungen vor sexualisierter Gewalt leiste. “Es erfüllt einzig und allein die Aufgabe, potentielle Sexualtäter an den Pranger zu stellen und altbewährte Ressentiments zu verstärken.” Und Clemens Bieber, der Vorsitzende des Würzburger Caritas-Verbandes, fordert die Absetzung der Show.

Einer der Männer, die den Verantwortlichen von “Tatort Internet” in die Falle gingen, war der Leiter eines Kinderdorfes der Caritas. Der 61-jährige war, wie andere potentielle Kinderschänder auch, unzureichend unkenntlich gemacht worden. Am Donnerstag vergangener Woche kündigte ihm die Caritas. Seitdem ist der Mann verschwunden. Am Freitag wurde er als vermisst gemeldet; Vertraute fürchten, er könne sich etwas angetan haben.

Die Aufnahmen mit dem Pädagogen waren bereits im Mai entstanden. Caritas-Chef Bieber wirft dem Sender vor, den Arbeitgeber fünf Monate lang nicht über das Fehlverhalten des Mannes informiert und so weitere Opfer riskiert zu haben. Es stelle sich die Frage, sagte er der “Süddeutsche Zeitung”, “ob es dem Sender wirklich um den Schutz der Kinder geht oder doch nur um die Einschaltquote.”

Und so berichtete am vergangenen Samstag die “Bild”-Zeitung über den Fall:

“Bild”-Chefreporter Hans-Jörg Vehlewald erwähnt in seinem Stück keinen einzigen der Vorwürfe gegen die Sendung. Aber selbst wenn man die ganze Kritik für vernachlässigenswert hält, ist es sehr abwegig, den Artikel mit “Bravo, Stephanie zu Guttenberg” zu überschreiben. Anders als Vehlewald behauptet, gehört Stephanie zu Guttenberg, die Ehefrau des Bundesverteidigungsministers und Präsidentin des Kinderschutzvereins “Innocence in Danger”, nämlich keineswegs zum “Reporterteam” der Sendung. Sie war nur Gast in der ersten Ausgabe der Show — nicht einmal der, in der es um den Kinderdorf-Leiter ging. Nach Angaben des Produzenten der Sendung ist sie nicht in die internen Abläufe der Sendung eingebunden.

Frau zu Guttenberg ist natürlich trotzdem eine der wichtigsten Mitwirkenden. Ohne sie wäre das Format vermutlich nicht prominent auf der Titelseite von “Bild” angekündigt worden.

Der Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie das System von Freundschaften und Abhängigkeiten funktioniert, das unter Chefredakteur Kai Diekmann die Berichterstattung von “Bild” prägt. Das Blatt darf zum Beispiel exklusiv die Klage zu Guttenbergs über die Sexualisierung unserer Welt zwischen seine Tittenbilder drucken und arbeitet dafür an ihrer Heiligsprechung. Es ist eine Win-Win-Situation, von der beide profitieren, nur vielleicht die Wahrheit nicht, oder weniger pathetisch formuliert: die Leser.

Heute erfahren sie zwar immerhin, dass “Presserechtler” der Show “Rechtswidrigkeit” vorwerfen (verpackt in einen Absatz, der damit beginnt, dass “die Ministergattin in Teilen der Öffentlichkeit Hohn und Spott für ihr Engagement gegen Kindesmissbrauch erntet”). Der Artikel ist aber ganz im Sinne zu Guttenbergs verfasst, die sich in ihrer der Zeitung auch selbst zu den Vorwürfen äußert. Gegenüber anderen Medien hatte sie eine Stellungnahme abgelehnt.

PS: Auf Seite 1 macht “Bild” heute einen Mann zum “Verlierer” des Tages, weil er Guttenberg und andere dafür kritisiert, sich “mit dem Thema Kinderpornografie ‘im Internet’ profilieren (zu) wollen” und den Missbrauch von Kindern populistisch zu missbrauchen: den Politiker Jörg Tauss, der ein Buch über die “Kinderporno-Lüge” plant. “Widerlich!” urteilt “Bild”.

Klitzekleines Detail: Tauss ist kein SPD-Mitglied; er ist bereits im Juni 2009 aus der Partei ausgetreten. Aber womöglich war das nur ein Versehen von “Bild”.

Mit Dank an Oliver O., Dennis B. und Tbo!

3DS, Rheinischer Merkur, Zickenkrieg

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. Busunglück: “Fakt”-Reporter soll sich als Angehöriger ausgegeben haben
(polskaweb.eu)
Um “an Exklusivfotos und Insider-Informationen” zu kommen, soll sich ein Mitarbeiter der polnischen Boulevardzeitung “Fakt” “als Angehöriger eines der Todesopfer aus dem polnischen Reisebus ausgegeben haben, der am vergangenen Sonntag auf dem Berliner Ring verunglückte”. Eine Sprecherin des die Zeitung herausgebenden Axel-Springer-Verlags dementierte das. “Zu keinem Zeitpunkt habe er seine Identität als ‘Fakt’ Mitarbeiter verborgen und auch habe sich kein Angehöriger hierüber beschwert”.

2. “Bild nennt Release-Termin für 3DS – und alle machen mit”
(de.ign.com, Tino Hahn)
“Bild” kündigt, ohne dafür eine Quelle zu nennen, die Spielkonsole Nintendo 3DS für den 11. November 2010 an, was Spiele-Websites weltweit weiterverbreiten. Wie golem.de schreibt, wird sie jedoch erst im Februar (Japan) und März 2011 (USA und Europa) verkauft.

3. “Der ‘Bild’-Boykott einer Bäckerei”
(ndr.de, Video, 4:15 Minuten)
“Zapp” besucht die Bäckerei in Hamburg-Ottensen, in der Betreiber André Krause “Bild” nicht mehr verkauft (vollständiges Interview, Video, 6:19 Minuten).

4. “Klum-pa-Klatsch me if you can”
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Torsten Dewi würde gerne ein Blog über die “Verlogenheit der Yellow Press” schreiben. Es genüge nicht, nur einzelne Versäumnisse zu kritisieren, es gehe um “das Existenzrecht von Magazinen, die praktisch komplett aus Hörensagen und Gerüchten bestehen”.

5. “Rheinischer Merkur trifft Rheinischen Hausfreund”
(umblaetterer.de, Marcuccio)
Marcuccio analysiert diese Eigenwerbung der Wochenzeitung “Rheinischer Merkur”. Und liest dann nochmals jene Ausgabe des Blatts, die er sich vor zehn Jahren kaufte und in der Benjamin von Stuckrad-Barre als “der Zlatko der Literatur” bezeichnet wird.

6. “Wenn die Böcke zicken”
(clack.ch, Nicole Althaus)
Nicole Althaus denkt nach über das “Unwort” “Zickenkrieg”, das kurz nach der feststehenden Frauenmehrheit in der Schweizer Regierung in verschiedenen Zeitungen zu lesen war.

Missbrauch, Steinbach, Beckham

6 vor 9

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1. Interview mit Norbert Pfeiffer
(jetzt.sueddeutsche.de, Marc Widmann)
Norbert Pfeiffer war als Leiter der Mainzer Uniklinik mehrere Tage im Fokus der Medien, nachdem drei Babys an Infusionen verstarben, die mit Bakterien verseucht waren. “Mein Umgang mit dieser Situation war von einem einfachen Prinzip geprägt: Ich wollte authentisch bleiben und bei der Wahrheit bleiben.”

2. “Ein schwerer Fall von Missbrauch”
(novo-argumente.com, Boris Kotchoubey)
Boris Kotchoubey fragt, wer an Missbrauchsfällen Geld verdient und mahnt an, das Wort “Missbrauch” nicht wahllos zu gebrauchen. “Glaubt man den Journalisten, so führten all diese Handlungen bei den Opfern zu gleich schweren seelischen Verletzungen, sodass das einzige Heilmittel wahrscheinlich in der Möglichkeit bestand, jetzt – in manchen Fällen 30 bis 40 Jahre nach dem Ereignis – darüber ein exklusives Interview zu geben.”

3. Interview mit Willi Steul
(merkur.de, Dieter Anschlag)
Deutschlandradio-Intendant Willi Steul tut vom vielen Schulterklopfen über das nicht quotenorientierte Programm des Deutschlandradios bereits die Schulter weh: “Von der Quote, würde ich sagen, sind wir relativ befreit. Aber auch wir brauchen eine Anerkennung. Wir können ja nicht für die Fische senden.”

4. “David Beckham takes legal action over claims he slept with prostitute”
(telegraph.co.uk, Anita Singh, englisch)
David Beckham verklagt das US-Magazin “In Touch”. Sein Sprecher dazu: “The allegations that have been made are completely untrue and totally ridiculous, as the magazine was clearly told before publication. Sadly, we live in a world where a magazine can print lies and believe they can get away with it. We are taking legal action against the magazine”.

5. Ein Buch von Erika Steinbach
(visdp.de, Sebastian Esser, PDF-Datei, 1.7 MB)
Sebastian Esser fragt: “Wenn Erika Steinbach ein Buch herausbringt, und niemand schreibt darüber, ist es dann immer noch eine Provokation?”

6. “Narrensicheres Geschäftsmodell, kostenlos abzugeben”
(oetting.posterous.com, Martin Oetting)
“Das Geschäftsmodell nennt sich ‘Berater-Berater’, und man muss nur das folgende Redemanuskript bei irgendeiner Social Media Konferenz möglichst energisch vortragen. Danach sollte man für ca. ein Jahr ausgesorgt haben.”

Staatsanwälte, Sunshine, Retweets

6 vor 9

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1. “Amoklauf-Berichte: Und stündlich grüßt der Staatsanwalt”
(telemedicus.info, Adrian Schneider)
Der Amoklauf von Lörrach: Adrian Schneider erschreckt, “dass ausgerechnet die Staatsanwaltschaft als schnellste und zuverlässigste Quelle für die Details des Geschehens Spalier steht. Hat ein Oberstaatsanwalt in einer solchen Situation nicht Besseres zu tun, als so schnell und oft wie möglich Interviews zu geben? Sollten nicht gerade die Ermittlungsbehörden so kurz nach der Tat zurückhaltend mit Einzelheiten sein?”

2. “Warum der Journalismus überleben muss”
(medienheft.ch, Roman Berger)
Roman Berger stellt in einem langen, grundsätzlichen Text fest, dass sich im Newsgeschäft mit den Gratismedien die Rollen vertauscht haben: “Der Leser, der User, der sich bisher als Kunde sah, ist Ware geworden. Kunde ist derjenige, der die Werbung schaltet.”

3. Interview mit Claudia Mast
(fr-online.de, Ulrike Simon)
Für Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Mast ist das Streben nach Exklusivität zweischneidig. Wenn eine Schein-Exklusivität produziert werde, “wenn Details, Nebensächlichkeiten oder vermeintliche Widersprüche mit dem Vergrößerungsglas betrachtet und ‘hochgezogen’ werden, kostet diese Aufgeregtheit der Berichterstattung langfristig die Reputation der Zeitungen.”

4. “Geistige Gemeingüter”
(graubrotblog.de, Björn Grau)
Björn Grau philosophiert über Retweets: “Wenn die Textrecycler nett sind, machen sie Quellenangaben beim Weiterverwenden. Und dann kann es ihnen doch gehen wie mir heute am Vormittag. Sie treffen auf automatisierte und humanoide Recycler recycleter Texte, die warum auch immer diese Nettigkeit nicht mehr bis ins x-te Glied zurück bedienen und werden auf einmal zu Autoren, die sie nicht sind und Plagiatoren, die sie nicht sein wollen.”

5. “Wenn der Sonnenschein das Hirn verbrutzelt”
(technoarm.de, Martin Böttcher)
Martin Böttcher testet zwei Tage lang Radio Sunshine Live: “Der Sender hat etwas Gekünsteltes, ‘Fakes’ an sich. Noch mal: Muss elektronische Musik so verkauft werden, als stamme sie von Gehirnamputierten für Gehirnamputierte?”

6. Warnhinweise für Journalismus
(ihrwebprofi.at, Robert Harm)
Robert Harm hat die als Aufkleber ausdruckbaren “Journalism Warning Labels” auf Deutsch übersetzt.

Ottfried Fischer, Hans Paul, Mel Gibson

6 vor 9

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1. “Hat ‘Bild’ Ottfried Fischer genötigt?”
(sueddeutsche.de, Nicolas Richter)
Die Staatsanwaltschaft München erhebt Anklage gegen einen ehemaligen “Bild”-Mitarbeiter, der Ottfried Fischer genötigt haben soll: “Der damalige Bild-Mann soll – laut Anklage – Mitte Oktober 2009 die PR-Agentin Fischers kontaktiert und von dem kompromittierenden Film erzählt haben. Fischer habe sich daraufhin bereit erklärt, Bild das Exklusiv-Interview zu gewähren, das im Oktober erschien.” Der Axel-Springer-Verlag dementiert: “Herr Fischer wurde zu keinem Zeitpunkt erpresst, an diversen Artikeln mitzuwirken.”

2. “Halt die Fresse Freifrau”
(motor.de/motorblog, Tim Renner)
Tim Renner hält nicht viel vom von “Bild” auf der Titelseite (“Besorgte Minister-Gattin schlägt Alarm”) thematisierten Buch “Schaut nicht weg” von Stephanie Freifrau von und zu Guttenberg.

3. “Peter Hahne ist gegen Kinderpornographie und lästige Details”
(faz-community.faz.net, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier kommentiert das Gespräch (zdf.de, Video, 26:59 Minuten) zwischen Peter Hahne und Stephanie zu Guttenberg zum Thema Kindesmissbrauch: “Hahne hat in der Sendung systematisch fast jede Gelegenheit gemieden, die Zuschauer aufzuklären, klüger zu machen. Er hat sie nur in ihren Gefühlen bestärkt.”

4. “Und alle noch einmal: Wempf!”
(medienspiegel.ch, Martin Hitz)
Die “Neue Zürcher Zeitung” wiederholt einen Tippfehler, den sie 2004 gemacht hat. “Steht das denn so im Korrekturprogramm?”

5. “Wie ein Paparazzo Promis jagt”
(mainpost.de, Gisela Rauch)
Ein Porträt von Hans Paul, der von sich sagt, “einer von drei ernst zu nehmenden Paparazzos in Deutschland” zu sein. “Paul sagt, People-Zeitschriften wie die deutsche ‘Gala’, die amerikanische ‘inTouch’ und Boulevardzeitungen wie der englische ‘Mirror’ würden sich um private Bilder der schwangeren Kerr reißen. Am besten mit Babybauch drauf.”

6. “Mel Gibson Paps the Paps”
(kara.allthingsd.com, Video, 2:12 Minuten, englisch)
Mel Gibson filmt zurück: “What’s the matter, got nothing better to do?”

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