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Irrsinn, wem Irrsinn gebührt

Seit Monaten sind die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland in einer Art permanentem Alarmzustand, weil sie eine große Kampagne von “Bild” gegen ihre Häuser befürchten. Es spricht wenig dafür, dass der heutige Artikel über den “Gebührenirrsinn” den Auftakt zu einer solchen Kampagne darstellt — dafür ist zur Zeit einfach zu viel Papst in Deutschland und in “Bild”, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber auch für sich genommen ist der Artikel bemerkenswert.

Gebühren-Irrsinn: ARD und ZDF fordern 1,3 Milliarden mehr!

Unter Berufung auf die “Zeit” schreibt “Bild”, dass “das teuerste öffentlich-rechtliche Fernsehen der Welt” noch teurer werden solle. Und zwar zum Beispiel so:

Die ARD kassiert in diesem Jahr 5,52 Milliarden Euro Zwangsgebühren. Demnächst will der Sender 225 Millionen Euro mehr. Für die Jahre 2013 bis 2016 hat die ARD bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) einen Mehrbedarf von 900 Millionen Euro angemeldet.

“225 Millionen Euro mehr” hört sich natürlich nach viel Geld an. Bezogen auf die 5,52 Milliarden sind es knapp vier Prozent, die die ARD zusätzlich “will” — etwas mehr als ein Inflationsausgleich (über die vier Jahre Laufzeit gerechnet, entspricht das einer jährlichen Steigerung von rund 1 Prozent).

Beim ZDF vergleicht “Bild” gleich die Einnahmen eines Jahres mit den Mehrforderungen über den Vierjahreszeitraum, damit letztere höher wirken:

Das ZDF bekommt in diesem Jahr 1,82 Milliarden Euro. Für die nächste Gebührenperiode fordert das Zweite 429 Millionen Euro mehr.

Tatsächlich “bekommt” das ZDF in diesem Jahr auch keine 1,82 Milliarden aus den Gebühreneinnahmen, sondern 1,72. Das geht aus der “internen Finanzvorschau der Sender” (PDF) hervor, die “exklusiv auf BILD.​de” zu sehen sind und mit denen Bild.de die “Transparenz” schaffen will, “die die öffentlich-rechtlichen Anstalten in ihren Finanzangelegenheiten verweigern”.

Außerdem hat Bild.de ein paar vermeintlich namhafte Kritiker des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gefunden, die ganz im Sinne der Axel Springer AG gegen “das gebührenfinanzierte Engagement von ARD und ZDF im Internet und bei Apps” (so der Geschäftsführer der SPD-Medienholding ddvg Jens Berendsen) wettern oder sich wie “CDU-Kulturpolitiker Peter Tauber” und “FDP-Medienexperte Burkhard Müller Sönksen” (ein alter Freund der “Bild”-Zeitung) am Begriff “Grundversorgung” verheben dürfen.

Doch zurück zum “teuersten öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Welt” und seinen “Irrsinns”-Forderungen:

Jeder Haushalt müsste dann statt 17,98 Euro bisher, monatlich 18,86 Euro Rundfunkgebühren zahlen, so “Die Zeit”.

Zum Vergleich: Die Briten zahlen für ihr öffentlich-rechtliches Fernsehen monatlich 12,98 Euro, die Franzosen 9,66 Euro, die Italiener sogar nur 9,08 Euro.

Da hat “Bild” natürlich drei sehr renommierte öffentlich-rechtliche europäische Sendeanstalten ausgewählt (wobei Frankreich und Italien jetzt eher schlechte Beispiele für die gewünschte Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgeben) — und drei sehr günstige.

Zum Vergleich: Die Österreicher zahlen im Monat durchschnittlich 22,03 Euro, die Dänen 25,74 Euro (191,67 Dänische Kronen) die Schweizer sogar 31,34 Euro (38,53 Schweizer Franken).

Mit Dank auch an Sebastian.

Nachtrag/Korrektur, 16.10 Uhr: In der ersten Version dieses Artikels hatten wir uns verrechnet, was die Mehrforderungen der ARD angehen.

Straßenkämpfe, Trinkkonzepte, Konfetti

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Empören wir uns nicht genug, Herr Harpprecht?”
(mediummagazin.de, Annette Milz)
Vom “Einstein” in der Kurfürstenstrasse bis zum “Borchardt” in der Französischen Straße sei das Vertrauen und die Vertraulichkeit das gängigste Korruptionsmittel zwischen Medien, Politik und Wirtschaft in Berlin, sagt Klaus Harpprecht: “In Wahrheit sind die vermeintlich exklusiven Informationen meist nur Bestechungsmittel, um Journalisten zu bauchpinseln.”

2. “Pöbler, Drängler, Straßenkämpfer”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
“Der Straßenkampf – Rüpel-Republik Deutschland” heißt die Titelgeschichte des aktuellen “Spiegel”. Unter den Linden in Berlin spiele sich das so ab: “Der Wagen sei in Sekundenschnelle ‘umzingelt’, links und rechts schießen die Radler vorbei, um danach an der Ampel die ‘Poleposition’ zu suchen und schließlich fahren sie dann demonstrativ nebeneinander und kümmern sich nicht drum, dass sie den Verkehr aufhalten. Muss man nur mal nach Berlin für fahren, um diesen unerträglichen Straßenkampf zu erleben!”

3. “Nachhaltige Vollverblödung”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.com, Thomas)
Auf “Zeit Online” entdeckt Thomas eine Reklame für Flaschen aus Borosilikatglas, die in umweltfreundlichem, skandinavischen Design daherkommen und ein nachhaltiges Trinkkonzept verfolgen.

4. “Kommentar zur Berichterstattung über den Hirschmannprozess”
(feldstecher.wordpress.com)
Mehrere Schweizer Medien konsultieren in der Berichterstattung über den Prozess gegen Carl W. Hirschmann jun. den gleichen Experten, den Zürcher Anwalt Valentin Landmann: “Seine Konkurrenten im Zürcher Anwaltsverband haben nicht einmal im Ansatz eine vergleichbare Werbefläche.”

5. “Alles kostet Geld, und auch mein Service kostet”
(welt.de, Benjamin von Stuckrad-Barre)
Benjamin von Stuckrad-Barre besucht den ehemaligen ARD-Talker Jürgen Fliege.

6. “9/11”
(blog.bassena.org, H​a​n​s K​i​r​c​h​m​e​y​r)
H​a​n​s K​i​r​c​h​m​e​y​r war am 11. September 2001 in New York: “09:04 – Dichter Qualm: Minuten später wurden mir die glitzernden ‘Konfetti’ zu dutzenden vor die Füße geweht. Es waren die Akten, Briefe und Notizen jener Menschen, die da oben gearbeitet hatten.” Zu 9/11 siehe auch die Erinnerungen von Ulrich Wickert (“So, und wer ist das? Ich habe keine Ahnung”) und diese neue Verschwörungstheorie (“Stecken Verschwörungstheoretiker hinter den Anschlägen vom 11. September?”).

Bulle, Apple, Füllstoff

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Mein Bulle”
(lawblog.de, Udo Vetter)
Ein Polizist wird vom Amtsgericht Mannheim zu einer Geldstrafe verurteilt, “wegen der Verhaftung einer Bundestagskandidatin, die so inszeniert war, dass die Journalistin eine exklusive Schlagzeile bekam.” Die Schlagzeile lautete 2009 auf Bild.de: “Hier wird eine Bundestags-Kandidatin verhaftet”.

2. “Die Selbstvergewisserungs-Maschine Bild”
(meedia.de, Christian Meier)
Christian Meier liest gelangweilt die am Samstag in Übergröße erschienene “Bild”: “Die Mega-Bild ist auch mega-langweilig. Sie gibt sich als Huldigung an große Deutsche und deutsche Marken (Werbekunden, hereinspaziert) und endet als Einschlafhilfe.”

3. “Live by the BILD, die by the BILD”
(sportmedienblog.de)
Fußball: Das Sportmedienblog befasst sich mit der “Führungsspieler-Debatte” und der Aufregung über das Buch von Philipp Lahm: “Seine Aussagen wurden aus dem Zusammenhang gerissen? Verkürzt dargestellt? Ach was! So arbeitet BILD nunmal.” Siehe dazu auch nennenswertes.de, das sich Aussagen von Mario Gomez im ZDF-Sportstudio widmet.

4. “traurige BILDfälschung”
(die-anmerkung.blogspot.com)
Bezugnehmend auf diese Analyse eines Fotos von Steve Jobs fragt “Die Anmerkung”, ob Bild.de eine Fotofälschung verbreitet.

5. “Artikel Fanatismus”
(343max.de, Max Winde)
Max Winde über Blogger und Twitterer, die jeden unverzüglich steinigen, der es wagt, ‘der Blog’ zu sagen. “Ganz im Ernst: Wie wollen wir jemals zu einer Gesellschaft gelangen, die jeden seine Kultur, Religion, Sexualität, Weltanschauung frei ausleben lässt, wenn wir es nicht mal schaffen solche Nebensächlichkeiten zu akzeptieren oder wenigstens zu ignorieren?”

6. “Lorem ipsum dolor sit amet (Hajos Apple-Bashing)”
(rpzine.de)
In sozialen Netzwerken hat der “Spiegel Online”-Artikel “Abrechnung eines Ex-Fans – Apple, es reicht!” von Hajo Schumacher für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Texts for Robots kürzt den Text “um den Füllstoff”.

Störfall im Netz

Wir würden inzwischen bezweifeln, dass bei “Focus Online” die Agenturmeldungen überhaupt noch gelesen werden, bevor sie online gehen. Das wäre nicht schlimm (und weitgehend üblich), wenn “Focus Online” nicht die Angewohnheit hätte, diesen Agenturmeldungen eigene Vorspänne und Überschriften voranzustellen. Und da wird’s dann schwierig, wenn niemand die Meldung gelesen hat.

Vor drei Wochen wurde so aus der Forderung eines Papstkritikers eine Forderung des Papstes (BILDblog berichtete), gestern ging einer der (weitgehend zerstörten) Unglücksreaktoren von Fukushima weltexklusiv bei “Focus Online” wieder ans Netz.

Und das kam so: AFP hatte gestern Vormittag unter der Überschrift “Reaktor nimmt erstmals nach Fukushima wieder vollen Betrieb auf – Japanische Behörden geben grünes Licht” eine kurze Meldung verschickt. Ihre ersten Sätze lauteten:

Erstmals nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima hat die Regierung des Landes die Wiederaufnahme des wirtschaftlichen Betriebs eines Atomreaktors genehmigt. Reaktor 3 der Atomanlage Tomari auf der Nordinsel Hokkaido nahm am Mittwoch wieder den vollen Betrieb auf, nachdem die Behörden dafür grünes Licht gegeben hatten, wie der Betreiber Hokkaido Electric Power (Hepco) mitteilte.

Von einigen vielleicht unbekannten Wörtern mal ab sollten Kinder der vierten Klasse diesen Sätzen entnehmen können, dass Reaktor 3 der Atomanlage Tomari auf der Nordinsel Hokkaido am Mittwoch wieder den vollen Betrieb aufgenommen hat.

Und das hat “Focus Online” diesen Sätzen entnommen:

Fukushima: Reaktor nimmt wieder vollen Betrieb auf. Erstmals nach der Atomkatastrophe in Fukushima nimmt der Reaktor 3 des Atomkraftwerks wieder den vollen Betrieb auf. Die japanische Behörde gab dafür grünes Licht, wie die Betreiber Hokkaido Electric Power mitteilte. Seit der Katastrophe sind fast drei Viertel der Atomreaktoren wegen Sicherheitschecks und zur Wartung außer Betrieb.
Mit Dank an Stefan.

Nachtrag, 19. August: “Focus Online” hat Überschrift und Vorspann unauffällig korrigiert. Beim Papst war es noch transparent gewesen.

2. Nachtrag: Unser Leser Andre Sch. weist uns darauf hin, dass “Focus Online” die Fehler nicht komplett “unauffällig” korrigiert hat. Wer sich durch die Leserkommentare klickt, findet dort einen kleinen Hinweis:

Erster Satz ist falsch. "Erstmals nach der Atomkatastrophe in Fukushima nimmt der Reaktor 3 des Atomkraftwerks wieder den vollen Betrieb auf." Eben gerade nicht der Reaktor 3 von Fukushima... Anmerkung der Redaktion: Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Fehler inzwischen korrigiert.

Wir sind Papst!

Im Hinblick auf den anstehenden Papst-Besuch im September hat die “Rhein-Zeitung” mit Christian Weisner gesprochen, dem Sprecher der Kirchen-Volksbewegung “Wir sind Kirche”.

Weisner sagt in dem Interview unter anderem:

RZ: Wo brennt es in der Kirche?

Weisner: Dazu gehören vor allem der fehlende Nachwuchs an Priestern, die unbefriedigende Rolle der Frau, der fehlende theologische Diskurs, die mangelhafte Bereitschaft zur Ökumene und der sexuelle Missbrauch. (…)

Die Nachrichtenagentur dapd hat daraus eine kleine Meldung gemacht, die unter der Überschrift “Papst soll etwas für die Ökumene bewegen” bei verschiedenen Medien veröffentlicht wurde.

Auch “Focus Online” hat sich der Meldung angenommen und ihr einen eigenen Vorspann und eine eigene Überschrift verpasst. Und so kann die Internetseite jetzt weltexklusiv eine Sensation vermelden:

Katholische Kirche: Papst Benedikt XVI. fordert mehr Ökumene. Papst Benedikt XVI. hat im Vorfeld seines Deutschland-Besuches die „mangelnde Bereitschaft in der katholischen Kirche zur Ökumene“ kritisiert. Er nimmt damit Stellung zur wachsenden Kritik, dass die Kosten für den Papst-Besuch zu hoch seien.

Mit Dank an Wolfgang.

Nachtrag, 31. Juli: “Focus Online” hat den Fehler heute transparent korrigiert.

Super!, Urs Meier, Elmar Theveßen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie BILD am SONNTAG aus Fehlern Profit schlägt”
(danielbroeckerhoff.de, Tina Schober)
Tina Schober beleuchtet die Hintergründe zu einem in der “Bild am Sonntag” abgedruckten Foto eines siebenjährigen Mädchens aus Thüringen, das ermordet wurde. “Die Redaktion entschuldigt sich also für ein falsch abgedrucktes Foto – und belohnt sich mit einem Exklusiv-Bild.”

2. “Ein Schweizer Opfer packt aus”
(sonntagonline.ch, Nadja Pastega)
Ex-Fußballschiedsrichter Urs Meier erzählt, was ihm widerfuhr, nachdem er 2004 England ein Tor aberkannte. “Britische Journalisten haben in Portugal recherchiert, ob ich dort eine Ferienwohnung oder ein Haus besitze. Sie wollten mir nachweisen, dass ich mal Geld genommen habe oder korrupt war. Meiner Ex-Frau haben sie 30000 Pfund geboten, weil sie eine Story machen und mich in die Pfanne hauen wollten. Meinem damals 14-jährigen Sohn haben sie auf dem Schulweg abgepasst. Sie wollten wissen, von welcher englischen Mannschaft er Fan sei. Wenn er über seinen Vater rede, würden sie organisieren, dass er zu einem Spiel seiner Lieblingsmannschaft gegen Manchester United eingeladen werde.”

3. “Die Macht der Boulevard-Zeitungen”
(echo-online.de, Klaus Thomas Heck)
Klaus Thomas Heck erinnert an die Boulevardzeitung “Super!”, die Anfang der 1990er-Jahre in Ostdeutschland erschien: “Ein Jahr lang kübelt die Zeitung, die im englischen Tabloid-Format erscheint, eine widerliche Mischung aus Übertreibungen und Halbwahrheiten aufs Papier, dann endet die Ära von ‘Super!’ am 24. Juli 1992 wegen sinkender Auflagen. Doch viele ihrer Redakteure landen später problemlos bei anderen Medien. Franz Josef Wagner ist heute Kolummnist für ‘Bild’. Und auch die Verleger von ‘Super!’ haben ihr ostdeutsches Abenteuer gut überstanden. Sie hießen Hubert Burda – und Rupert Murdoch.”

4. “Plädoyer zur Abschaffung des Terrorexperten. Selten waren so viele so schnell auf dem Holzweg”
(blogs.taz.de/arabesken, Karim El-Gawhary)
Die ersten Spekulationen von Terrorexperten nach den Anschlägen in Norwegen befassen sich mit möglichen islamischen Tätern, obwohl es dafür keine konkreten Anhaltspunkte gibt (BILDblog berichtete, siehe dazu auch Stefan Niggemeier).

5. “BILD.de vs. Elmar Theveßen: die fragwürdige Degradierung eines renommierten Journalisten zum Möchtegern-Experten”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Für “Bild” ist ZDF-Journalist Elmar Theveßen ein “Möchtegern-Experte” und darum “Verlierer des Tages”. Ralf Marder: “Ich meine, dass man hier zu weit über das Ziel hinausgeschossen ist und sich vielleicht auch mal an die eigene Nase fassen sollte.” Siehe dazu auch die Stellungnahme von Elmar Theveßen im ZDF-Blog.

6. “Der ZEIT-Online-Totenrechner: 1500 deutsche Opfer in Norwegen”
(blog.dummy-magazin.de)
“Auf Deutschland mit seinen 80 Millionen Menschen umgerechnet, würde dies fast 1500 Tote in einer Nacht bedeuten”, schreibt Christoph Bertram auf zeit.de zu den Opfern in Norwegen. Das dummyblog erweitert die Umrechnung: “Wieso bei der Umrechnung der Opfer auf Deutschland aufhören? Viel eindrucksvollere Ergebnisse verspricht der Vergleich mit China. 90 Norweger entsprechen 24000 Chinesen!”

Kachelmanns Sonnenschein und -sein

Das Kriegsbeil im Haus erspart den Journalisten.
(Alte indianische Weisheit)

Wer sich ein bisschen im Medienbetrieb auskennt, weiß, dass das Verhältnis zwischen dem Wettermoderator Jörg Kachelmann und der Axel Springer AG als schwierig belastet zerstört betrachtet werden darf.

Insofern wäre unter Umständen Vorsicht geboten, wenn “Bild am Sonntag” exklusiv eine Personalie aus Kachelmanns Firma Meteomedia verkündet:

Claudia Kleinert will nicht mehr für seine Firma Meteomedia arbeiten: Kachelmanns Sonnenschein verzieht sich

Die Zeitung hatte gestern geschrieben:

Seit 2002 moderiert Claudia Kleinert (41) “Das Wetter im Ersten” und das “Wetter nach den Tagesthemen”. Bisher als Mitarbeiterin der Meteomedia AG, der Wetterfirma von Jörg Kachelmann. Doch der muss demnächst ohne seine prominenteste Moderatorin auskommen. Claudia Kleinert zu BILD am SONNTAG: “Fest steht, dass ich im nächsten Jahr nicht mehr bei Meteomedia arbeite.”

Branchendienste wie kress.de und DWDL, aber auch Webportale wie “Meedia” und “Quotenmeter” übernahmen die Meldung unter alleiniger Berufung auf “Bild am Sonntag”.

Meteomedia dagegen bezeichnete den Bericht als “schlicht falsch und erfunden”. Frau Kleinert habe eine solche Aussage “zu keiner Zeit” gemacht. Sie werde weiterhin das ARD-Wetter präsentieren und auch weiter bei Meteomedia arbeiten.

Die “Süddeutsche Zeitung”, die in einem Teil ihrer heutigen Auflage ebenfalls berichtet hatte, dass Frau Kleinert Meteomedia verlasse, widersprach dem in einem späteren Teil der Auflage:

ARD-Wettermoderatorin Claudia Kleinert will weiterhin in der ARD auftreten, auch wenn die Wettersendungen im Ersten künftig nicht mehr von Jörg Kachelmanns Firma Meteomedia produziert werden. Das bestätigte Kleinert der SZ auf Anfrage, widersprach aber Berichten, in denen von einer Kündigung bei Meteomedia die Rede war.

Die Vorgeschichte erklärt sich Jörg Kachelmann bei Twitter so:

Das übliche Verfahren, was auch viele andere in der Öffentlichkeit stehende Menschen fälschlicherweise dazu verleitet, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Unsere Medienstelle schrieb gestern an mich, die BamS hätte sich gemeldet – Zitat: Redakteur Rüssau hat mir gesagt, die Redaktion wolle das “vielleicht mal vorhandene Kriegsbeil begraben und die alten Geschichten beerdigen”. Bams wolle eine schöne Story über das Engagement von Meteomedia in den Philippinen und auch über den fast karitativen Aspekt dieses Projektes machen. Das sei jedoch nur möglich, wenn die Redaktion Fotos erhalte, die JK in den Philippinen und beim Aufbau der Wetterstation zeige. Zitat Ende.

Und natürlich kommt das nicht in die Tüte. Die Götter des Boulevards strafen allerdings sofort. Anstelle der rührenden Story des karitativen Wetterfroschs bei den armen Menschen Asiens gibts eins auf den Deckel http://bit.ly/qwX2Yh Macht nix. Nur für die Zukunft: Ihr müsst nicht mehr anrufen, BamS. Nie mehr. https://www.bildblog.de/31107/nie-mehr-springer-nie-mehr-burda/

Nocebo-Effekt, Norderney, Spiegel Online

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Geheime Pressekonferenz im ‘Dortmunder Kreis'”
(blog.telefacts.tv, Thomas Schweres)
Die Einladung zu einer Pressekonferenz der Polizei Dortmund geht exklusiv an einen “Dortmunder Kreis”. Der Leiter der Pressestelle, Wolfgang Wieland, sagt Thomas Schweres warum: “Wenn ich die Sache per Pressemitteilung rausgegeben hätte, müsste ich gleich eine Schul-Aula mieten und die Straße für Übertragungswagen sperren lassen.”

2. “Medienpolitik während der WM”
(taz.de, J. Kopp & M. Völker)
Interviews mit Spielerinnen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft werden “nach Steinzeitmethoden” autorisiert. “Das gesprochene Wort wird hier nicht nur nicht respektiert, sondern verfälscht.” (…) “Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und etliche Manager von Spielerinnen waren der Meinung, man könne der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild oktroyieren, die Presse führen und bevormunden.”

3. “FCB-Fans griffen in Bern Journalisten an”
(20min.ch, Lukas Mäder)
In Bern werden Journalisten und Fotografen von Fußball-Hooligans angegriffen.

4. “Vorgestellt: Top-Themen 2011”
(derblindefleck.de)
Die Initiative Nachrichtenaufklärung gibt “die Rangliste der wichtigsten von den Medien vernachlässigten Themen und Nachrichten im Jahr 2011” bekannt. Mit dabei ist die “Bankenrettung ohne wirksame parlamentarische Kontrolle”, der “Doping im Fußball” oder der “Nocebo-Effekt”: “Schon das Wissen über Nebenwirkungen von Medikamenten und über Krankheitsverläufe kann Symptome auslösen.”

5. “Wulff mimt Urlaubsidylle für ZDF-Sommerinterview”
(welt.de)
Bundespräsident Christian Wulff fliegt für ein “Sommerinterview” mit dem ZDF kurzfrisitig nach Norderney. Noch ist er aber gar nicht im Urlaub: “Tatsächlich verbringt der Bundespräsident mit seiner Frau Bettina und den Kindern den Sommer auf der Ostfriesischen Insel – allerdings erst in ein paar Wochen.”

6. “SpOn-Politiker-Fotos”
(fuckyeahsponpolitikerfotos.tumblr.com)
Fotos von Politikern auf “Spiegel Online”.

Miami Vize

Gary Foster, ein früherer Mitarbeiter des amerikanischen Finanzdienstleisters Citigroup, ist angeklagt, über 19 Millionen Dollar unterschlagen und auf sein eigenes Konto überwiesen zu haben. Vielleicht tröstet ihn da ja ein wenig, dass er von den deutschsprachigen Medien nachträglich ganz an die Spitze seiner Bank befördert wurde.

Ursprung der Falschmeldung dürfte dieser Bericht der Nachrichtenagentur “Reuters” sein:

Ex-Citi-Spitzenmanager soll Bank 19 Mio Dollar gestohlen haben

(…) Ein früherer Spitzenmanager der US-Bank Citigroup soll dem Geldhaus rund 19 Millionen Dollar gestohlen haben. Dem einstigen Citi-Vizepräsidenten Gary Foster werde vorgeworfen, zwischen Mai 2009 und Dezember 2010 das Geld von Citi-Konten auf seine eigenen umgeleitet zu haben, teilten die US-Anklagebehörden am Montag mit.

Zwar ist es korrekt, dass Foster den Titel “Vice President” – oder, um genau zu sein, “Assistant Vice President” – führte, aber das bedeutet noch lange nicht, dass der durch den deutschen Begriff Vizepräsident korrekt übersetzt ist. Im amerikanischen Firmen gibt es nämlich zahlreiche Vice Presidents (BILDblog berichtete), deren untere Ränge mit einem einfachen Abteilungsleiter vergleichbar sind. Ein dem deutschen Verständnis eines Vizepräsidenten entsprechender Senior Executive Vice President bzw. Deputy President steht bis zu sieben Stufen über dem ehemaligen Assistant Vice President Gary Foster:

  1. Senior Executive Vice President (SEVP) = Deputy President
  2. Executive Vice President (EVP)
  3. Group Vice President (GVP)
  4. Senior Vice President (SVP)
  5. Corporate Vice President (CVP) – First Grade Executive Officer (or VP of old type company)
  6. First Vice President (FVP)
  7. Vice President (VP)
  8. Assistant or Associate Vice President (AVP)

Und während Gary Foster von der “New York Times” korrekt als “midlevel accountant in Citigroup’s Long Island City back office” bezeichnet wird, beförderten ihn deutschsprachige Medien durchweg zum “Ex-Citigroup-Vize”, “Ex-Citi-Vize”, “ehemaligen Spitzenmanager”, zur “ehemaligen Führungskraft” oder gar zum “Ex-Citi-Spitzenmanager”. Einzig die “Financial Times Deutschland” ordnet Foster korrekt dem “mittleren Management” zu.

Mit Dank an Frank (danke auch für den tollen Reim).

Nachtrag, 18:03 Uhr: Tagesschau.de und “Spiegel Online” haben sich inzwischen korrigiert und weisen jeweils am Ende des Artikels transparent darauf hin. Bei “Spiegel Online” scheint sich die Korrektur aber hauptsächlich auf die Überschrift zu konzentrieren. Im Teaser und im Text ist immer noch die Rede von einem “früheren Spitzenmanager” und “einstigen Top-Manager”.

Bild, dpa  etc.

Die Medien sind krank

Wie wird aus einer interessanten Information eine Nachricht, die viele Medien und damit viele Menschen erreicht? Die Geschichte der Meldung, dass die Deutschen 2010 wieder häufiger krank feierten, die in dieser Woche durch die Medien ging, ist ein gutes Lehrstück.

1.

Immer am Anfang des Jahres gibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine große Tabelle mit Daten über die Entwicklung der Arbeitszeit in Deutschland heraus. Darin steht unter anderem, wie viele Überstunden die Arbeitnehmer gemacht haben und wie oft sie krank waren.

In diesem Jahr veröffentlicht das IAB die Zahlen am 20. Januar und erwähnt in einer Pressemitteilung unter anderem, dass der Krankenstand 2010 gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen habe. Die Agentur dapd berichtet, doch die Nachricht bleibt ohne größere Resonanz.

2.

Irgendwann später im Jahr ruft der “Bild”-Redakteur Stefan Ernst beim IAB an und fragt, ob man nicht irgendwelche exklusiven Daten für ihn habe. Das Institut verneint, weist aber auf die vielen interessanten Informationen auf der eigenen Internetseite hin. Ernst greift auf die Arbeitszeit-Tabelle zurück und macht aus den eigentlich längst bekannten Angaben über die Überstundenentwicklung einen Artikel, der am 14. Februar auf Seite 1 erscheint.

3.

Die Nachrichtenagenturen AFP, dpa und epd melden daraufhin unter Bezug auf “Bild” die IAB-Zahlen aus dem Januar über die Entwicklung der Überstunden. dpa ergänzt sie in einer weiteren Meldung am selben Tag um die IAB-Daten über den leicht erhöhten Krankenstand.

4.

Einige Monate vergehen. Eines Tages erinnert sich “Bild”-Mann Stefan Ernst bei der Suche nach einer aufregenden Wirtschaftsgeschichte für die Seite 1 offenbar an die alte IAB-Tabelle. Diesmal greift er sich ein anderes Detail heraus: die Angaben über den erhöhten Krankenstand. So meldet “Bild” am 14. Juni noch einmal, was das IAB bereits im Januar und dpa bereits im Februar gemeldet hat:

5.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet daraufhin eilig unter Bezug auf “Bild”, dass sich der Krankenstand laut IAB 2010 leicht erhöht habe. Autor der Meldung ist derselbe dpa-Mann, der dieselbe Nachricht schon vier Monate zuvor geschrieben hatte.

6.

Auf der Grundlage der dpa-Meldung verkaufen nun “Handelsblatt”, “taz”, “Berliner Zeitung”, “B.Z.”, “Spiegel Online” und viele andere als Neuigkeit, was das IAB gut fünf Monate zuvor veröffentlicht hat und was dpa vier Monate zuvor bereits einmal gemeldet hat.

Und wir lernen:

  • Nachrichten müssen in der “Bild”-Zeitung stehen, damit Nachrichtenagenturen sie wahrnehmen.
  • Wenn sie in der “Bild”-Zeitung stehen, sind sie für Nachrichtenagenturen immer ein Thema, selbst dann, wenn sie sie bereits Monate zuvor schon vermeldet haben.
  • Was Nachrichtenagenturen melden, ist für andere Medien eine Nachricht, selbst wenn es alt, bekannt oder falsch ist.

Falsch auch? Ja. Vermutlich hat der Krankenstand im vergangenen Jahr gar nicht zugenommen. Die IAB-Studie beruht auf Stichproben, die solche Schlüsse, wie sie das Institut und die Medien ziehen, gar nicht zulässt. Mehr dazu hier:

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