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Journalismus zum Davonlaufen

Torsten Oletzky, Chef der Ergo-Versicherungsgruppe, hat der “Rheinischen Post” für ihre Samstagsausgabe ein Interview gegeben. Darin sprach er auch über die Folgen, die das Bekanntwerden von Lustreisen für Versicherungsmitarbeiter gehabt hatte:

“Verloren haben wir mit konkretem Bezug darauf etwa 500 Kunden – von insgesamt immerhin 20 Millionen.”

Wirklich neu war diese vergleichsweise niedrige Zahl nicht: Ergo-Personalvorstand Ulf Mainzer hatte der “Berliner Zeitung” rund eine Woche vorher fast exakt das Gleiche gesagt, was Dank der Nachrichtenagentur dapd auch recht ordentlich verbreitet worden war.

Diesmal nannte also Oletzky die Zahl und die Nachrichtenagentur dpa verbreitete sie. Allerdings klingt das in der dpa-Variante schon eine Spur beunruhigender:

Die Affären um Lustreisen und Riester-Verträge haben den Versicherer Ergo nach eigenen Angaben mehrere hundert Kunden gekostet. “Verloren haben wir mit konkretem Bezug darauf etwa 500 Kunden”, sagte Ergo-Chef Torsten Oletzky der “Rheinischen Post” (Samstag).

(Die Relationsgröße von insgesamt 20 Millionen Kunden hat dpa* einfach mal weggelassen. Dabei wäre es dem Verständnis natürlich durchaus zuträglich gewesen, zu wissen, dass es um 0,025 Promille der Ergo-Kunden geht.)

Richtig irre wurde die Meldung dann aber im “Spiegel Online”-Remix:

Sexparty-Skandal: Versicherer Ergo laufen die Kunden davon

Kunden nehmen dem Versicherer Ergo die Skandal-Serie der vergangenen Wochen übel. Mindestens 500 Versicherte kündigten infolge der Negativ-Schlagzeilen ihren Vertrag, sagte Ergo-Chef Oletzky. Sein Job scheint aber nicht in Gefahr.

Mit Dank an Markus Sch. und Philipp K.

*) Nachtrag, 21. Juli: Die Deutsche Presseagentur hat uns nach eingehender interner Prüfung mitgeteilt, dass sie das Zitat zunächst deshalb verkürzt wiedergegeben hatte, weil die “Rheinische Post” es selbst so verbreitet hatte. In einer späteren Wochenendzusammenfassung vom Sonntag zitiert dpa Oletzky dann ausführlicher.

Die Nachrichtenagentur dapd, die bereits Anfang Juli über die rund 500 Kündigungen berichtet hatte (s.o.) verbreitete die Meldung am Samstag dann übrigens ein weiteres Mal.

dapd  

Lohnsteuermann über Bord

Der Unterschied zwischen einem Einkommensnachweis (oder auch Entgeltnachweis) und einer Lohnsteuerkarte mag sich einem Laien vielleicht nicht gleich erschließen, aber er ist gewaltig. Der Einkommensnachweis wird beispielsweise von Banken und Behörden zur Einstufung bei der Kreditvergabe bzw. bei der Klärung von Unterhaltsverpflichtungen genutzt, während eine Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber zur Berechnung der Lohnsteuer dient. Die einzige Gemeinsamkeit eines Einkommensnachweises und einer Lohnsteuerkarte ist, dass es beide in elektronischer Form gibt — oder gab.

Die Nachrichtenagentur dapd hatte diesen Unterschied nicht begriffen, als sie gestern zusätzlich zum Aus des elektronischen Entgeltnachweisverfahrens ELENA das Ende der elektronischen Lohnsteuerkarte erklärte:

Bund verabschiedet sich von elektronischer Lohnsteuerkarte

Berlin (dapd). Die Bundesregierung will die Einkommen der deutschen Steuerzahler nun doch nicht elektronisch erfassen. (…) Der elektronische Entgeltnachweis sollte ab 2014 die alte Lohnsteuerkarte endgültig ersetzen. (…)

Auch in der eine Stunde später folgenden Zusammenfassung hieß es in der Überschrift:

Regierung beerdigt digitale Lohnsteuerkarte – Elektronischer Entgeltnachweis Elena vor dem Aus

Zwar steht das seit Jahren umstrittene ELENA-Verfahren tatsächlich vor dem Aus, mit der digitalen Lohnsteuerkarte hat das jedoch rein gar nichts zu tun. Sie soll, wie geplant, im Jahr 2012 unter dem Namen ELStAM (Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale) eingeführt werden.

Die “Berichtigung”, die die Agentur dann heute morgen nachlegte (“Damit wird klargestellt, dass die elektronische Lohnsteuerkarte nicht vom Aus für Elena betroffen ist”), kam leider zu spät für die heute erschienenen Printausgaben der “Berliner Morgenpost”, von “Welt Kompakt” und vielen anderen.

Die kursierende Falschmeldung sorgte sogar für eine Richtigstellung des saarländischen Finanzministeriums:

Saarbrücken: Elektronische Lohnsteuerkarte bleibt
Trotz der geplanten Einstellung des Verfahrens zum elektronischen Entgeltnachweises (Elena) bleibt den Arbeitnehmern die elektronische Lohnsteuerkarte erhalten.

Darauf hat das saarländische Finanzministerium hingewiesen. Ein Sprecher sagte, die elektronische Lohnsteuerkarte habe mit Elena nichts zu tun. Elena betreffe nur die Sozialversicherung.

Während heute.de und focus.de ihre zwischenzeitlich falschen Meldungen korrigiert haben, scheint sich bei anderen Online-Ausgaben niemand für die sechs Stunden alte dapd-Berichtigung zu interessieren. Obwohl sich die digitale Lohnsteuerkarte bester Gesundheit erfreut, heißt es etwa in den Online-Auftritten der “Sächsischen Zeitung” und der “Augsburger Allgemeinen” immer noch:

Bund begräbt elektronische Lohnsteuerkarte

"Elena" scheitert am Datenschutz Das Ende der elektronischen Lohnsteuerkarte

Vielleicht wäre es am besten, wenn Nachrichtenagenturen gleich Zugriff auf alle Redaktionssysteme bekämen. Dann könnten sie im Falle mögliche Fehler gleich selbst korrigieren. Denn die Online-Medien überprüfen die Meldungen vor Veröffentlichung ja offensichtlich sowieso nicht.

Mit Dank an Jens G. und Christoph T.

Nachtrag, 21:03 Uhr: Als könnte es Bild.de nicht auf sich sitzen lassen, wenn andere Medien Fehler machen. Gut zehn Stunden nachdem dapd die Falschmeldung von gestern zurückgenommen hat und rund eine Stunde nachdem wir diesen Beitrag veröffentlicht haben, ist ein Artikel erschienen, der alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Bild.de glaubt allen Ernstes immer noch, dass das Aus von ELENA gleichzeitig das Aus für die elektronische Lohnsteuerkarte bedeutet:

Projekt "Elena" gescheitert Aus für digitale Lohnsteuerkarte

Dazu gibt es einen Screenshot von einer Website, die für ELENA wirbt (oder warb), mit diesem Bildtext:

Die digitale Lohnsteuerkarte hat ausgedient. (…)

Im Text heißt es fälschlicherweise:

„Elena” sollte ab 2014 die herkömmliche Lohnsteuerkarte ablösen und die Erstellung von Einkommensbescheinigungen erheblich erleichtern.

Noch größerer Unfug ist jedoch das:

Zwar erhalten sie ihre Lohnsteuerkarte im Gegensatz zu früher weiter auf elektronischem Weg. Diese Form enthält jedoch wesentlich weniger sensible Daten, als das bei „Elena“ der Fall gewesen wäre.

Die Lohnsteuerkarte erhält man nicht “weiter auf elektronischem Weg” wie Bild.de schreibt, sondern im Jahr 2012 zum ersten Mal. Bis dahin gilt die Lohnsteuerkarte von 2010. Der zweite Satz ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn man bedenkt, dass ELENA mit der Lohnsteuerkarte rein gar nichts zu tun hat.

Mit Dank an Thomas, Michael M. und Joachim K.

Nachtrag, 20. Juli: Bild.de hat reagiert und die elektronische Lohnsteuerkarte ohne jeden Hinweis aus dem Artikel entfernt.

Adolf Sauerland, Affenbilder, James Murdoch

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “James Murdoch’s statement in full”
(independent.co.uk, James Murdoch, englisch)
Die seit 1843 verkaufte Zeitung “News of the World” erscheint am Sonntag, 10. Juli 2011, zum letzten Mal, ohne kommerzielle Inserate, die Einnahmen werden einem guten Zweck zugeführt. James Murdoch sagt warum: “I want all journalism at News International to be beyond reproach. I insist that this organisation lives up to the standard of behaviour we expect of others.”

2. “Anstandslos”
(ksta.stadtmenschen.de/blogs, Vögi)
Zur Werbekampagne von “Bild”: “Die BILD greift zu einem psychologischen Trick und instrumentalisiert zu dessen Umsetzung willfährige Prominente, die das taktische Manöver entweder nicht durchschauen oder aber – wahrscheinlicher – den persönlichen Anstand zurückstellen.”

3. “Die Verlage verklagen die Falschen”
(meedia.de, Dirk Kunde)
Aufgrund eigener Erfahrungen glaubt Dirk Kunde, dass die Verlage die Konkurrenz falsch einschätzen. Für das digitale Verlagsgeschäft seien profilierte Autoren in Zukunft gefährlicher als Google oder öffentlich-rechtliche Sender: “Die Leserschaft findet sich, wenn die Artikel Relevanz haben, gleiches gilt für die Werbeeinnahmen. Ohne Akquise kamen Bannerbuchungen aus Deutschland, Frankreich und China. Nur der Umfang der Einnahmen ist bislang ein Problem der Blogger.”

4. “Jimmy Schulz: Ich widerspreche meiner Ministerin beim Leistungsschutzrecht”
(leistungsschutzrecht.info, Philip Banse)
Was würde passieren, wenn “das gewerbsmäßige Verlinken auf Verlagsseiten abgabepflichtig” wäre? FDP-Politiker Jimmy Schulz sieht es so: “Das wäre ja ein deutsches Gesetz und dann wird in Deutschland vernünftigerweise keiner mehr gewerbsmäßig auf Verlagsseiten verlinken. Stellen Sie sich mal vor, zum Beispiel Google würde dann beschließen, anstatt diese Abgaben zu zahlen, einfach nicht mehr auf diese Verlage zu verlinken. Was machen die denn dann? Dann liest die ja gar keiner mehr.”

5. “Ein Mann, kein Wort”
(zeit.de, Eva Müller)
Adolf Sauerland ist nach wie vor Oberbürgermeister von Duisburg: “Für Adolf Sauerland heißt Verantwortung übernehmen: bleiben. Seither hat das Unglück von Duisburg ein Gesicht – seines.”

6. “zahlt die dapd auch honorare an affen?”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Wie entlöhnt die Nachrichtenagentur dapd den Urheber eines Selbstporträts, einen Affen?

dapd  etc.

Hilfe!

Gestern Mittag vermeldete die Nachrichtenagentur dapd aufgeregt das “Aus für Notrufsäulen an deutschen Straßen bis Jahresende”. Wer bei dieser Überschrift angenommen hatte, die orangefarbenen Notrufsäulen entlang der Autobahnen (die ja durchaus als “deutsche Straßen” durchgehen dürften) würden – etwa bis Jahresende – verschwinden, wurde schon im ersten Satz eines besseren belehrt:

Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Dies teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. (…)

Nicht betroffen vom beschlossenen Abbau sind die derzeit rund 16.000 Notrufsäulen an den deutschen Autobahnen, für die der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) zuständig ist.

Aber auch das war offensichtlich nicht ganz richtig, denn dapd verschickte rund vier Stunden später eine “Berichtigung”. Dort hieß es nun:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen

Was genau es bedeutet, wenn “nur Baden-Württemberg” die Notrufsäulen behält, erklärte dapd natürlich auch gerne:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen an den Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, in den anderen Bundesländern werden sie abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. Bundesweit gibt es den Angaben zufolge derzeit knapp 2.100 Säulen, davon allein rund 1.800 in Baden-Württemberg.

dapd hatte also herausgefunden, dass immerhin 14% der noch bestehenden Notrufsäulen an deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen abmontiert werden sollen — nämlich die außerhalb Baden-Württembergs. Die restlichen der ehemals rund 7.000 Notruftelefone sind nämlich seit der Einführung eines Handyortungssystem für die Leitstellen im Jahr 2006 sukzessive abgebaut worden, wie uns die Björn-Steiger-Stiftung auf Anfrage erklärte.

Nun würde man als Laie sagen: “Hmmmmm, das ist dann wohl eher keine Meldung! dapd war sich nur zu fein, den ursprünglichen Schwachsinn komplett zurückzuziehen.” Doch Profis denken da anders.

“Bild” bringt heute auf der Titelseite folgende Kurzmeldung, die sich offensichtlich auf eine der ersten dapd-Varianten beruft:

Notrufsäulen an Bundesstraßen werden abgeschafft

Stuttgart – Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart mit. Die Notrufsäulen seien nicht mehr finanzierbar. Außerdem habe die heute selbstverständliche Handynutzung sowie die nun mögliche Ortung von Mobiltelefonen die Säulen zuletzt zunehmend überflüssig gemacht. Bundesweit gibt es noch rund 2000 Säulen. Nicht betroffen sind die rund 16000 Notrufsäulen an den Autobahnen.

Diese Quelle muss auch der “Tagesspiegel” benutzt haben:

Notrufsäulen an deutschen Straßen verschwinden bis Jahresende

Stuttgart – Für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen kommt das Aus. Sie würden bis zum Jahresende abgebaut, teilte die Björn-Steiger-Stiftung mit. Die Säulen seien nicht mehr finanzierbar. Zudem seien sie durch die Handynutzung zunehmend überflüssig. Nicht betroffen sind die 16 000 Notrufsäulen an den Autobahnen. dapd

Die “Süddeutsche Zeitung” brachte einen längeren Artikel, der auf der ersten dapd-Meldung basierte und auch die Online-Medien haben die NichtGeschichte natürlich dankbar aufgenommen — wobei abendblatt.de eine wahre Meisterleistung geglückt ist: In dem Artikel, der mit den Worten “nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen” beginnt, zeigt sich ein ADAC-Experte vom “kompletten Aus für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen” überrascht. Der dapd hatte das ADAC-Zitat aus seiner berichtigten Fassung herausgenommen, weil sich das “komplette Aus” als wenig haltbar erwiesen hatte.

Auch die dpa erweckt seit gestern den Eindruck, der seit fünf Jahren voranschreitende Abbau der Notrufsäulen sei eine Neuigkeit:

Aus für Notrufsäulen – Steiger Stiftung baut ab

Stuttgart (dpa) – Die Björn Steiger Stiftung baut ihre Notrufsäulen bundesweit nach und nach ab. Von den ursprünglich 7000 Säulen stehen noch 2095, davon gut 1800 in Baden-Württemberg, sagte eine Sprecherin der Stiftung am Mittwoch in Stuttgart. Die hohen Kosten für das Notrufsystem über die Säulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen seien in Zeiten von Handys nicht mehr zu rechtfertigen, begründete sie die Entscheidung. Nicht betroffen sind die Säulen an Autobahnen. Sie werden vom Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) betrieben.

Mit großem Dank an Tobias.

Hinweis, 19.10 Uhr: In der ursprünglichen Fassung dieses Eintrags hatten wir geschrieben, die dpa-Meldung sei “immer noch völlig unkorrigiert”. Die dpa erklärte uns dazu, dass es an der Meldung “nichts zu korrigieren” gebe, da alle Fakten korrekt wiedergegeben würden.

Bild, dpa  etc.

Die Medien sind krank

Wie wird aus einer interessanten Information eine Nachricht, die viele Medien und damit viele Menschen erreicht? Die Geschichte der Meldung, dass die Deutschen 2010 wieder häufiger krank feierten, die in dieser Woche durch die Medien ging, ist ein gutes Lehrstück.

1.

Immer am Anfang des Jahres gibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine große Tabelle mit Daten über die Entwicklung der Arbeitszeit in Deutschland heraus. Darin steht unter anderem, wie viele Überstunden die Arbeitnehmer gemacht haben und wie oft sie krank waren.

In diesem Jahr veröffentlicht das IAB die Zahlen am 20. Januar und erwähnt in einer Pressemitteilung unter anderem, dass der Krankenstand 2010 gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen habe. Die Agentur dapd berichtet, doch die Nachricht bleibt ohne größere Resonanz.

2.

Irgendwann später im Jahr ruft der “Bild”-Redakteur Stefan Ernst beim IAB an und fragt, ob man nicht irgendwelche exklusiven Daten für ihn habe. Das Institut verneint, weist aber auf die vielen interessanten Informationen auf der eigenen Internetseite hin. Ernst greift auf die Arbeitszeit-Tabelle zurück und macht aus den eigentlich längst bekannten Angaben über die Überstundenentwicklung einen Artikel, der am 14. Februar auf Seite 1 erscheint.

3.

Die Nachrichtenagenturen AFP, dpa und epd melden daraufhin unter Bezug auf “Bild” die IAB-Zahlen aus dem Januar über die Entwicklung der Überstunden. dpa ergänzt sie in einer weiteren Meldung am selben Tag um die IAB-Daten über den leicht erhöhten Krankenstand.

4.

Einige Monate vergehen. Eines Tages erinnert sich “Bild”-Mann Stefan Ernst bei der Suche nach einer aufregenden Wirtschaftsgeschichte für die Seite 1 offenbar an die alte IAB-Tabelle. Diesmal greift er sich ein anderes Detail heraus: die Angaben über den erhöhten Krankenstand. So meldet “Bild” am 14. Juni noch einmal, was das IAB bereits im Januar und dpa bereits im Februar gemeldet hat:

5.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet daraufhin eilig unter Bezug auf “Bild”, dass sich der Krankenstand laut IAB 2010 leicht erhöht habe. Autor der Meldung ist derselbe dpa-Mann, der dieselbe Nachricht schon vier Monate zuvor geschrieben hatte.

6.

Auf der Grundlage der dpa-Meldung verkaufen nun “Handelsblatt”, “taz”, “Berliner Zeitung”, “B.Z.”, “Spiegel Online” und viele andere als Neuigkeit, was das IAB gut fünf Monate zuvor veröffentlicht hat und was dpa vier Monate zuvor bereits einmal gemeldet hat.

Und wir lernen:

  • Nachrichten müssen in der “Bild”-Zeitung stehen, damit Nachrichtenagenturen sie wahrnehmen.
  • Wenn sie in der “Bild”-Zeitung stehen, sind sie für Nachrichtenagenturen immer ein Thema, selbst dann, wenn sie sie bereits Monate zuvor schon vermeldet haben.
  • Was Nachrichtenagenturen melden, ist für andere Medien eine Nachricht, selbst wenn es alt, bekannt oder falsch ist.

Falsch auch? Ja. Vermutlich hat der Krankenstand im vergangenen Jahr gar nicht zugenommen. Die IAB-Studie beruht auf Stichproben, die solche Schlüsse, wie sie das Institut und die Medien ziehen, gar nicht zulässt. Mehr dazu hier:

Bild  etc.

Aber der Hund ist verrückt, ja?

In ihrer gestrigen Münchner Regionalausgabe konnte “Bild” mit einer kleinen Sensationsmeldung aufwarten:

Neu entdeckt! Ein Lied von Mosi

So soll unser Mosi für immer unvergesslich bleiben: ​Im Internet ist jetzt drei Minuten lang die Original-Stimme des ermordeten Modezaren Rudolph Moshammer (†64) zu hören!

Wie “Bild” berichtet, habe der Münchner Musikproduzent und Komponist Gottfried Seidl-Carusa einen Schlager veröffentlicht, “der Jahre lang bei ihm in der Schublade schlummerte”.

Seidl-Carusa: “Wir haben den Dixie-Song zusammen vor elf Jahren in einem Tonstudio von Ambros Seelos aufgenommen. Ich habe gesungen, er seinen Text dazu gesprochen. ​Mosi war begeistert. ​Aber dann kam 2001 sein Grand Prix-Auftritt dazwischen und unser Liebeslied geriet leider völlig in Vergessenheit.”

Als BILD jetzt über das nachlassende Interesse der Münchner an ihrem einstigen Liebling berichtete, erinnerte sich sein Freund wieder an das unveröffentlichte Mosi-Lied und verewigte es auf seiner Homepage (www.​carusa-music.​de/​projekte).

Es spricht wenig dafür, dass sich Seidl-Carusa tatsächlich erst jetzt, nach einem “Bild”-Bericht an seinen Song mit der wiederkehrenden Zeile “Mein Hund Daisy ist so crazy” erinnert hat. Und wenn, dann muss er ihn zwischendurch mehrfach erfolgreich verdrängt haben:

Der Text, den er online gestellt hat, datiert vom Mai 2005. Im Internet (also auf Carusas Website), wo der Song laut “Bild” “jetzt” zu hören ist, steht er auch schon länger, im Google-Cache vom 3. April 2011 ist er jedenfalls schon vorhanden.

Außerdem hatte sich der Produzent und Komponist schon im Februar 2005, dreieinhalb Wochen nach Ermordung des Modeschöpfers, schon einmal an das Werk “erinnert”: Das bayerische Regionalprogramm von Sat.1 hatte damals über die wieder entdeckte Hunde-Hymne berichtet. Seidl-​​Carusa posierte damals im Tonstudio und kündigte an, das Lied zugunsten von Moshammers Verein “Licht für Obdachlose” veröffentlichen zu wollen. Anschließend erklärte die Sat.1-Moderatorin, der Song sei auch auf einer neuen DVD zum Andenken an Moshammer enthalten.

Sat.1 Bayern hat seinen Beitrag vom 7. Februar 2005 heute noch einmal online gestellt — um damit auf die aktuelle Berichterstattung zu reagieren, die längst weite Teile der deutschen Medienwelt erfasst hat.

Die folgende Auflistung ist sicher unvollständig:

dpa:

Moshammers Liebeslied an Hund “Daisy” aufgetaucht

dapd:

Moshammers Hymne auf Daisy – Bislang unbekanntes Lied vom verstorbenen Modezar Moshammer soll für Stimmung auf dem Oktoberfest sorgen

“Spiegel Online”:

Sechs Jahre nach dem Tod von “Modezar” Rudolph Moshammer schenkt der Münchner Musikproduzent und Komponist Gottfried Seidl-Carusa der Welt ein Lied. Nicht irgendein Lied. Es ist eine – bisher garantiert unveröffentlichte – musikalische Liebeserklärung Moshammers an seine Yorkshire-Hündin Daisy.

stern.de:

Mosi-Song aus Schublade gezaubert: Liebeslied an Hundedame Daisy. Vor sechs Jahren wurde der Münchner Modezar Rudolph Moshammer in seinem Haus ermordet. Jetzt ist ein bislang unbekanntes Lied von ihm aufgetaucht: eine Liebeserklärung an seinen Hund Daisy.

“Die Welt”:

Mehr als sechs Jahre nach seinem Tod ist ein Lied des exzentrischen Modeschöpfers Rudolph Moshammer aufgetaucht. Der Titel: “Mein Hund Daisy ist so crazy”. Der Münchner Musikproduzent Gottfried Seidl-Carusa hat den Song nach eigenen Angaben jahrelang in seiner Schublade gehabt. Nun hat er ihn auf seine Internetseite gestellt.

“Rheinische Post”:

Moshammer-Lied für “Daisy” aufgetaucht

“Focus Online”:

Modezar: Moshammer-Song "Mein Hund Daisy" aufgetaucht

abendblatt.de:

Musikalischer Nachlass: Neues Lied vom toten Modezar Moshammer im Internet zu hören. Ein Musikproduzent hat das Lied "Mein Hund Daisy ist so crazy", das er 2000 mit dem Modezar Rudolph Moshammer aufnahm nun veröffentlicht.

“Augsburger Allgemeine”:

Der "Verrückte-Daisy-Song". Komponist will mit Lied des verstorbenen Rudolph Moshammer einen Wiesnhit landen

n-tv.de:

"Mein Hund Daisy ist so crazy": Mosi-Liebeslied aufgetaucht

“Berliner Kurier”:

Gut sechs Jahre nach seinem Tod sorgt der exzentrische Modeschöpfer Rudolph Moshammer wieder für Furore: Mit dem Songtitel “Mein Hund Daisy ist so crazy” – einem Liebeslied an seinen Vierbeiner. Beim Münchner Musikproduzenten Gottfried Seidl-Carusa lag der Dixie-Song in der Schublade, nun hat er ihn auf seiner Internetseite veröffentlicht.

AFP, dapd, dpa  etc.

Panikmache in deutschen Landen

Das Darmbakterium EHEC sorgt in der Bevölkerung für Unruhe: Franz Josef Wagner schrieb gestern an die “lieben Gurken, Tomaten, Kopfsalate” und stellte fest, dass “alles, was früher gesund war”, heute “nicht mehr gesund” sei, und bei “Spiegel Online” erklärte ein Gemüsehändler:

Händler im Ehec-Stress: "Ich werde wie ein Mörder behandelt, weil ich Gurken verkaufe"

Am Mittwochabend hatte die Deutsche Presseagentur (dpa) getickert:

Auch für die Fachleute vom Robert Koch-Institut erhellt sich das Bild erst langsam. Aufgrund einer unter Hochdruck erstellten Studie greifen die Experten jetzt zum Hammer: Vorsorglich sollte man auf rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate aus Norddeutschland komplett verzichten.

Doch der “Hammer” hing woanders: in seiner Pressemitteilung hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) erklärt:

Vor dem Hintergrund des noch anhaltenden, gravierenden Ausbruchsgeschehens mit zum teil schweren gesundheitlichen Folgen empfehlen RKI und BfR über die üblichen Hygieneregeln im Umgang mit Obst und Gemüse hinaus, vorsorglich bis auf weiteres Tomaten, Salatgurken und Blattsalate insbesondere in Norddeutschland nicht roh zu verzehren.

Also keine Warnung vor Gemüse aus Norddeutschland, sondern “insbesondere in Norddeutschland” — ein Unterschied, wie ob man vor Touristen aus einem bestimmten Land warnt oder vor Urlaub ebenda.

Das BKI hatte sogar noch erklärt, dass die Studie “nur bedingt Aussagewert für andere betroffene Orte” habe, da sie nur in Hamburg durchgeführt worden war. Das hatte sogar die dpa irgendwie verstanden:

(…) Aussagewert hat die Studie vor allem für Hamburg. Doch der Rat zum Komplettverzicht im Norden im Rohzustand trifft Millionen Menschen, Bauern und Händler.

Haben Sie’s gemerkt? Jetzt war plötzlich vom Komplettverzicht im Norden die Rede.

Doch in einer zweiten Kurzmeldung (“EHEC: Warnung vor Salat, Gurken und rohen Tomaten aus dem Norden”) warnte das RKI laut dpa plötzlich vor dem Gemüse “insbesondere aus Norddeutschland”. Und da es Agenturen wie AFP und dapd auch nicht so genau genommen hatten, rollte die Lawine los:

EHEC: Keine Tomaten, kein Salat aus Norddeutschland. Wo kommt der EHEC-Keim her? Erste Experten raten davon ab, Tomaten, Gurken und Salat aus Norddeutschland zu essen. Für die Gemüsehändler ist die Warnung ein Desaster.

Salat, Gurken und Tomaten: Experten warnen vor rohem Gemüse aus Norddeutschland

RKI warnt vor Salat, Gurken und Tomaten aus Norddeutschland: Das Robert Koch-Institut warnt davor, rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate aus Norddeutschland zu essen. Die EHEC-Erkrankten in einer Studie hätten diese Gemüsesorten deutlich häufiger gegessen als gesunde Vergleichspersonen, teilte das Institut in Berlin mit.

EHEC: Warnung vor Salat, Gurken und Tomaten aus Norddeutschland

Darmkeim Ehec: Warnung vor Gemüse aus Norddeutschland

Salat, Gurken und Tomaten: Experten warnen vor rohem Gemüse aus Norddeutschland

Auch in der 20-Uhr-“Tagesschau” sprach Marc Bator am Mittwoch von einer Warnung vor “Salaten, Salatgurken und Tomaten, insbesondere aus Norddeutschland”, während sich “Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke nicht so recht entscheiden wollte, ob es nun um Gemüse aus oder in Norddeutschland ginge. Wichtiger als der richtige Sachverhalt war ihm offenbar die richtige Reihenfolge der Meldungen in seiner Sendung.

Rund eine Stunde später versuchte die dpa mit einer weiteren Meldung, den Fehler unauffällig zu korrigieren. Doch die “Warnung vor Salat, Gurken und rohen Tomaten im Norden” interessierte da schon niemanden mehr. Auch AFP und dapd schwenkten irgendwann unauffällig auf die Formulierung “in Norddeutschland” um.

Am Donnerstag aber wählte die dpa eine ganz besondere Art der Korrektur und veröffentlichte am Nachmittag unter der Überschrift “EHEC-Warnung galt für den Norden, nicht für Gemüse aus dem Norden” eine Meldung, die dpa-Chef Wolfgang Büchner höchstselbst als Autor auswies.

Darin hieß es:

Auf Grundlage dieser Pressemitteilung des RKI berichteten zahlreiche Medien, das Institut warne vor Gemüse aus Norddeutschland. Auch die dpa sendete am Mittwochabend eine Eilmeldung mit der “Überschrift RKI warnt vor Salat, Gurken und Tomaten aus Norddeutschland”. Diese Formulierung war unscharf, weil sie als Aussage über der genaue Herkunft des Gemüses verstanden werden konnte. Es sollte damit aber lediglich eine Aussage über die regionale Begrenzung der Warnung getroffen werden. Die Formulierung “Gemüse aus Norddeutschland” wurde und wird in der weiteren dpa-Berichterstattung nicht mehr verwendet.

Da die dpa ihre Artikel in den Redaktionssystemen ihrer Kunden aus technischen Gründen nur am Veröffentlichungstag selbst korrigieren kann, die Ursprungsmeldung aber schon vom Vortag war, schrieb die dpa erklärend dazu:

Damit wird die dpa 1812 vom 25. Mai präzisiert. Damit ist klargestellt, dass das RKI nicht ausdrücklich vor Gemüse aus Norddeutschland gewarnt hatte, sondern vor dem Verzehr roher Tomaten, Salatgurken und Blattsalate “insbesondere in Norddeutschland”.

Zu der eigentlich fälligen Welle von Korrekturen oder “Präzisionen” auf den News-Seiten führte dieser Hinweis aber nicht.

Mit Dank an Gert M., Marcus W. und Jo A.

Bild, Bild.de  etc.

Wenn Rechte nach dem Rechten sehen

Am 5. Mai eröffnete das Museum “Keltenwelt am Glauberg” (Hessen) und nur wenige Stunden später gab es laut Bild.de einen “Skandal”, der für einige der Beteiligten noch Folgen haben sollte:

Skandal am Glauberg Hessen lässt Keltenschatz von Neonazis bewachen

Der Fall schien klar:

Wie BILD erfuhr sind die zwei Wachmänner bekannte NPDler. Einer ist Beisitzer im NPD-Landesvorstand, der andere aktiv bei der NPD im Wetterau-Kreis.

Ein schauriges Bild! Zwei Sicherheits-Männer in SA-ähnlichen Uniformen stehen neben dem angeleuchteten 230 Kilo schweren Keltenherrscher im 1. Obergeschoss des neuen Museums. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Braune Hemden, schwarze Krawatten, schwarze Kampfhosen, dicke Koppelschlösser.

Innerhalb kürzester Zeit zogen zahlreiche Nachrichtenportale nach und bereits am nächsten Tag gab es ein “Bild”-Verhör mit der hessischen Kunstministerin Eva Kühne-Hörmann sowie empörte Reaktionen aus der Politik:

Neonazi-Skandal im staatlichen Keltenmuseum Politiker sind entsetzt über Nazi-Wachmänner

Doch die Wirklichkeit lässt sich nicht so einfach in Schwarz und Weiß – oder in diesem Fall Braun und Weiß – aufteilen, wie Bild.de es gerne hätte.

Es beginnt damit, dass die NPD nach Bekanntwerden des Vorfalls die Darstellung dementierte, einer der beiden Wachleute wäre im Landesvorstand, was auch die Antifaschistische Bildungsinitiative vor Ort bestätigte.

Bei den “SA-ähnlichen Uniformen”, die nicht weniger und nicht mehr nach SA aussehen als viele andere Uniformen, handelt es sich laut Ilona Huth, der Chefin der Sicherheitsfirma, bei der die beiden Wachleute angestellt waren, um reguläre Dienstkleidung.

Huth erklärte gegenüber dem Mittelhessenblog:

“Wir beschäf­ti­gen neben Deut­schen  auch Ita­lie­ner, Marok­ka­ner, Tür­ken, Ukrai­ner, Arme­nier, Polen, Bul­ga­ren, Syrer, Koso­va­ren, bosnisch-herzegowinische, ägyp­ti­sche, kroa­ti­sche, ser­bi­sche und  fran­zö­si­sche Mit­ar­bei­ter. Ins­ge­samt sind es im Kern 60 Mit­ar­bei­ter mit Aus­hil­fen im Stamm, die für uns arbei­ten. Wir hat­ten, seit­dem wir 2006 am Markt sind, noch nie irgend­wel­che Pro­bleme mit einem unse­ren Mit­ar­bei­ter und spe­zi­ell unse­ren bei­den neuen Mit­ar­bei­ter sind bei uns nie durch irgend­eine Äuße­rung auf­ge­fal­len, die an eine Ver­bin­dung mit rechts­ex­tre­mis­ti­schem Gedan­ken­gut hätte den­ken las­sen kön­nen”, sagt Huth. Die­ses habe sie auch in ihrem Wider­spruch auf die frist­lose Kün­di­gung geschrieben.

Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass das Foto auf Bild.de gestellt sein könnte:

In Stel­lung­nah­men, die dem Mit­tel­hes­sen­blog vor­lie­gen, wird ins­be­son­dere von Tobias B. der Vor­wurf erho­ben, dass Bil­der retu­schiert wor­den seien. Zudem habe es von einem Repor­ter, der sich als Bild-Mitarbeiter vor­ge­stellt habe, die Bitte um Auf­nah­men und ent­spre­chende Regie­an­wei­sun­gen gege­ben, die “ernste Bewa­chung” sym­bo­li­sie­ren soll­ten.

Auch die Entstehungsgeschichte eines Fotos der Nachrichtenagentur dapd, bei dem der Schatten so auf einen der beiden Wachleute fällt, dass der Eindruck eines nur allzu bekannten Seitenscheitels entsteht, ist mindestens interessant.

Christoph von Gallera vom Mittelhessenblog schreibt:

Sei­tens dapd wird ver­si­chert, der dapd-Fotograf habe die bei­den Wach­leute nicht in Szene gesetzt. Er habe aber, um ein “sei­ner Mei­nung nach inter­es­san­tes Foto zu machen”, einen von der Kamera aus­ge­lös­ten Blitz ein­ge­setzt. Dadurch sei der Schat­ten­wurf auf Wach­leute und Kel­ten­fürst ent­stan­den.

Eine weitere Eskalationsstufe war erreicht, als wenige Tage später bekannt wurde, dass einer der beiden Wachleute bereits vor der Eröffnung des Keltenmuseums den Holocaust geleugnet haben soll.

Die “FAZ” berichtete am 11. Mai:

(…) nun berichtete Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU), dass der Museumsleitung schon zuvor Hinweise auf eine rechtsextreme Gesinnung eines der Männer vorgelegen hätten. Dieser habe schon Tage zuvor in dem Museum den Massenmord der Nazis an den europäischen Juden geleugnet. Bei Aufbauarbeiten habe dies ein Mitarbeiter gehört und Museumsleiterin Katharina Kurzynski gemeldet.

Besagter Mitarbeiter hat diese Behauptung allerdings umgehend nach Bekanntwerden des Vorwurfs revidiert und konnte immerhin gegenüber der “Frankfurter Rundschau”, der “FAZ” und dem “Hessischen Rundfunk” seine Sicht der Dinge darlegen. Gegenüber BILDblog sagt er, es habe zwar ein Gespräch gegeben, in dem er einem der Männer “gedanklich eine rechte Gesinnung unterstellt” habe, aber:

Ich widerspreche (…), daß der Wachmann den Holocaust geleugnet habe, ich Mitarbeitern gegenüber behauptet hätte, von einer Holocaustleugnung des Wachmannes gehört zu haben und daß ich die Museumsleiterin informiert hätte.

Was also letztlich bleibt, ist viel Lärm um sehr wenig. Und obwohl erst kürzlich das Bundesarbeitsgericht die mit einer NPD-Mitgliedschaft begründete Kündigung gegen einen Behördenmitarbeiter gekippt hat, führte der mediale Wirbel um die Wachleute des Keltenmuseums zu folgenden Ergebnissen:

Nach dem Neonazi-Skandal: Wachfirma des Keltenfürsts gefeuert

Keltenwelt am Glauberg Konsequenzen für Museumsleiterin

Das gibt’s nur drei Mal

Die meisten Menschen außerhalb Bremens (und womöglich gar viele Bremer selbst) haben es nicht mitbekommen, aber am Sonntag wird in Bremen eine neue Bürgerschaft gewählt.

“Spiegel Online” versucht sich an einer großen Einordnung des kleinen Bundeslandes und wirft unter anderem einen Blick auf die Chancen der CDU:

Bemerkenswert ist, dass die CDU in den Umfragen bei 20 Prozent liegt und damit zur drittstärksten Partei abrutschen würde. Das wäre bundesweit bislang einmalig (…) .

Vielleicht hat “Spiegel Online” diesen Gedanken von der Nachrichtenagentur dapd übernommen, vielleicht hatte dort auch nur jemand den selben Gedanken:

Für die Christdemokraten wäre es nach Hamburg und Baden-Württemberg ein weiteres schlechtes Ergebnis. In den Umfragen kurz vor der Wahl liegen sie bei 20 Prozent, recht deutlich hinter den Grünen mit rund 24 Prozent. Drittstärkste Kraft in einem Bundesland – das wäre eine neue Situation, an die sich auch in Berlin niemand gewöhnen mag.

Die Behauptung ist in jedem Falle falsch, denn in Brandenburg ist die CDU bei den letzten beiden Landtagswahlen drittstärkste Kraft geworden.

Mit Dank an Henning.

Nachtrag, 18.30 Uhr: dapd hat den Fehler korrigiert, “Spiegel Online” bisher nicht.

Außerdem weisen uns dapd und einige Leser darauf hin, dass die CDU in der Geschichte der Bundesrepublik schon öfter nur drittstärkste Partei wurde, etwa 1950 in Hessen. 1951 wurde sie in Bremen gar nur Vierter. Aber das ist natürlich alles lange her und vor der Zeit von Grünen und Linkspartei.

2. Nachtrag, 21. Mai: “Spiegel Online” hat den Artikel korrigiert und mit einem Hinweis versehen:

Korrektur: In der ursprünglichen Fassung hieß es, ein Abrutschen der CDU in Bremen auf den dritten Platz wäre bundesweit einmalig. Die Christdemokraten lagen aber bereits bei mehreren Landtagswahlen hinter zwei Parteien. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Schon wieder ein neuer Tiefpunkt

Es läuft nicht gut für die Freie Demokratische Partei Deutschlands (FDP):

Die FDP hat trotz ihrer Personalveränderungen erneut an Wählergunst eingebüßt. Nach dem am Mittwoch veröffentlichten Forsa-Wahltrend des Magazins “Stern” und des Fernsehsenders RTL gab die Partei im Vergleich zur Vorwoche einen Punkt ab und fiel zum vierten Mal in diesem Jahr auf ein Rekordtief von drei Prozent.

So beschreibt die Nachrichtenagentur dapd den neuen “Tiefstwert”, den die Partei erreicht hat.

Und die Deutsche Preseagentur (dpa) erklärt:

Die FDP hat bislang von ihrem Personalaustausch in der Parteispitze und im Bundeskabinett stimmungsmäßig bei den Bürgern nicht profitiert. Im Gegenteil: Im wöchentlichen Wahltrend des Magazins “Stern” und des Senders RTL fielen die Freidemokraten zum vierten Mal in diesem Jahr auf ihr Rekordtief von 3 Prozent.

Der “Stern” selbst verkündet auf seiner Internetseite:

Trotz ihrer Personalveränderungen an Kabinettstisch, Partei- und Fraktionsspitze kommt die FDP nicht aus dem Umfragekeller. Im stern-RTL-Wahltrend gaben die Liberalen im Vergleich zur Vorwoche einen Punkt ab und fallen zum vierten Mal in diesem Jahr auf ihr Rekordtief von 3 Prozent.

“Spiegel Online” schreibt:

Die FDP hat ihr Personal an der Parteispitze und im Kabinett getauscht, aber die Stimmung für die Liberalen bleibt weiter schlecht: Trotz ihrer Personalveränderungen büßten die Liberalen erneut an Wählergunst ein.

Bild.de fasst zusammen:

Die FDP hat trotz ihrer Personalveränderungen erneut an Wählergunst eingebüßt.

Bevor sich die FDP jetzt spontan auflöst, weil nicht mal ein Bundesparteitag mit kämpferischen Reden der jungen Hoffnungsträger den Abwärtstrend stoppen kann, sollte sie allerdings noch einen kurzen Blick auf das Ende der Meldung bei “Spiegel Online” (und nur da) werfen:

Für den Wahltrend wurden 2501 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger vom 9. bis 13. Mai befragt. Der Parteitag der FDP fand vom 13. bis 15. Mai statt.

(Hervorhebung von uns.)

Und trotz des angekündigten schönen Wetters am Mittwoch haben sich die Menschen am Dienstag nicht in die Sonne gelegt!

Mit Dank an Christoph G.

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