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Die gekaufte Weihnacht und andere Rügen

Erinnern Sie sich an das traurige Weihnachts-Sparfestessen im “Gong”, das mit plumper Werbung für Produkte der Firma Unilever versetzt war? Das hat auch dem Presserat nicht geschmeckt. Er hat die einstmals renommierte Fernsehzeitschrift wegen dieser Schleichwerbung gerügt.

Insgesamt zwölf Rügen sprachen die Beschwerdeausschüsse jetzt aus. Gleich drei davon richteten sich gegen den Missbrauch von Fahndungsfotos durch Boulevardmedien. Die Polizei hatte jeweils Bilder von Verbrechensopfern herausgegeben, um ihre Identität zu klären. Die Online-Ableger von “Express” und “Bild” veröffentlichten die Aufnahmen von den Leichen aber auch nach dem Ende der Fahndung erneut, teils mehrfach.

In einem Fall ging es um eine geistig behinderte Frau, die grausam ermordet worden war und deren Foto Bild.de zusammen mit Details über den Zustand der zerstückelten Leiche und Einzelheiten aus ihrem Privatleben erneut veröffentlichte. Zusätzlich “unangemessen sensationell” fand der Presserat, dass Bild.de in einem anderen Fall die Leiche einer Jugendlichen wiederholt zeigte (BILDblog berichtete). Ebenso urteilte der Presserat über die Entscheidung von express.de, ein Foto, bei dem man der Leiche “unmittelbar ins Gesicht” blicke, auch nach dem Ende der Fahndung noch einmal zu zeigen.

Der Online-Ableger des Berliner Boulevardblattes “B.Z.” erhielt eine Rüge, weil er die Persönlichkeitsrechte eines jungen Mannes verletzt hatte. Er war im vergangenen Jahr festgenommen worden, weil er verdächtigt wurde, Autos angezündet zu haben. In einer Fotostrecke zeigte die “B.Z.” online Bilder von der Festnahme und nannte diverse Details aus seinem Privatleben. Allein die Tatsache, dass der Vater des Jungen Kommunalpolitiker sei, mache den Verdächtigen nicht zur Person der Zeitgeschichte, urteilte der Presserat. Dass die “B.Z.” anderer Meinung ist (insbesondere vermutlich, wenn es sich um einen Politiker der Linken handelt), demonstrierte eindrucksvoll ihre Titelseite zum Thema (siehe links).

Einen Verstoß gegen die Menschenwürde sah der Presserat in einem Witz, den die Satirezeitschrift “Titanic” in ihrer Online-Ausgabe über den Eisenbahn-Suizid des Torwartes Robert Enke riss. Das Foto zeigt einen Lokführer mit der in “Bild”-Typographie gesetzten Schagzeile: “Jetzt meldet sich der Zugführer zu Wort: ‘Ich habe Enke überlistet!'” Es handele sich dabei nicht um Satire, die auch drastisch, überspitzt und polemisch sein dürfe, sondern um das “reine Spiel mit den Gefühlen der Angehörigen und der Bahnführer, die von einem solchen Geschehen ebenfalls traumatisiert werden”, urteilte der Presserat und sprach eine Rüge aus.

Bild  

Entsetzliche Bilder, exakt so dargestellt

Am 6. April 2008 veröffentlichten “Bild am Sonntag” und Bild.de das Foto einer nackten Kinderleiche auf einem Obduktionstisch: Es zeigte die fünfjährige Lea-Sophie, die ihre Eltern verhungern ließen. Die Redaktion, die behauptete, lange über das Für und Wider der Veröffentlichung diskutiert zu haben, hatte ihre Entscheidung damals mit dem Satz begründet: “Denn wir wollen, dass so etwas nie wieder in Deutschland passiert!” (BILDblog berichtete).

Genützt hat der selbstlose Einsatz nichts: Am 11. März 2009 fanden Notärzte und Polizisten in einer Hamburger Wohnung die Leiche der neun Monate alten Lara-Mia — “jämmerlich verhungert”, wie “Bild” am Samstag in der Hamburger Regionalausgabe kommentierte.

Der Text von Christian Kersting beginnt mit den Worten:

Die Bilder sind entsetzlich, brennen sich unauslöschlich ins Gedächtnis ein.

Und weil “Bild” die Gedächtnisse von Notärzten, Polizisten und anderen mit dem Fall betrauten Personen offenbar nicht ausreichten, hat man sich dazu entschieden, das Bild (“Der kleine Körper ist völlig abgemagert”) auch noch in die Gedächtnisse der Leser am Frühstückstisch einzubrennen.

Dabei war “Bild” natürlich nicht so blöd, noch einmal Fotos unbekannten Ursprungs zu verwenden und damit eine weitere – hilf- wie folgenlose – “Missbilligung” des Deutschen Presserats wegen Verletzung der Würde des Opfers zu riskieren — Nein!

Man gab einfach eine fast fotorealistische Zeichnung in Auftrag, die die Fotos brutalst möglich detailreich wiedergibt, großflächig in der Zeitung und auf der Startseite von Bild.de:

Wie viel Schuld tragen die Behörden am Tod der kleinen Lara-Mia?

Neben der Zeichnung steht:

BILD-Zeichnerin Nora Nowatzky hat die Situation exakt so dargestellt, wie sie auf den Fotos in den Akten zu sehen ist. Der kleine Körper ist völlig abgemagert. So fanden Notärzte und Polizisten das Mädchen.

Wie “Bild” an diese Fotos gekommen ist, konnten Polizei und Staatsanwaltschaft auf unsere Anfrage nicht erklären — nur, dass sie nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen seien.

Mit Dank an Daniel K., Eagle und Sarah H.

Die Farm, uMag, Tagesschau

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das Bauchbinden-Drama bei Inka Bauses ‘Farm'”
(faz-community.faz.net, Peer Schader)
Die Kandidaten der der RTL-Sendung “Die Farm” werden dem Publikum jeweils mit einem von der Redaktion ausgedachten und zum Namen und Alter eingeblendeten Satz vorgestellt. Mit dabei sind Informationen wie “hat vorher noch nie einen Euter berührt” oder “kann Steffi nicht leiden”.

2. “Das neue ‘uMag’ oder: Wie man eine Zeitschrift ruiniert”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath ist vom Relauch des uMag nicht begeistert: “Triste Optik, mangelnde Orientierung für den Leser und die gefährliche Abkehr vom Mainstream machen das ‘uMag’ allenfalls zum intellektuell anmutenden Couchtisch-Staubfänger.”

3. “Identifizierende Berichterstattung”
(presserat.ch)
Der Schweizer Presserat heisst eine Beschwerde gegen eine im Sommer letzten Jahres in der Boulevardzeitung “Blick” veröffentlichte Geschichte über Nacktbilder einer Sekretärin gut. 20min.ch berichtete damals in zwei Artikeln darüber.

4. “Ein – zwangsweise berechtigtes – Plädoye(ah)r”
(aheadwork.de, ichgehschlafen)
“Ich finde, dass die Süddeutsche Zeitung, die Printversion also, jeden Cent wert ist, ja, und mein Abo läuft auf jeden Fall weiter, aber, und das ist der springende Punkt, wenn ich Teil der ‘Internet-Generation’ wäre, dann hätte ich nicht im Traum daran gedacht, mir die SZ zu abonnieren. Lieber hätte ich mir ein Rätselheft gekauft und mich gewundert, warum keine journalistischen Beipackartikel mit abgedruckt wurden.”

5. “Zur Diskussion um die Web-Tagesschau: verfrüht, überzogen, unverhältnismäßig”
(wir-muessen-twittern.de, Robert Kindermann)
Der langjährige NDR-Mitarbeiter Robert Kindermann glaubt, dass die Tagesschau und tagesschau.de Angebote sind, die “wichtiger kaum sein können für eine demokratische Gesellschaft”. Der Artikel schliesst mit dem Satz: “Denn wenn die Tagesschau im Netz nicht darf, was andere dürfen, wird sie zwangsläufig verschwinden, da in wenigen Jahren nur noch das Netz – die digitale Welt – existiert.”

6. “Meinungsmacher”
(dctp.tv, Videos)
Vier neue, lange Interviews mit Bloggern und Bloggerinnen. Dabei: Esther Slevogt, Anne Roth, Felix von Leitner und Tim Pritlove.

Zu viele Klischees

In Dortmund wurde gestern ein Bordell zwangsversteigert — etwas, was man nicht alle Tage erlebt:

Seltene Zwangsversteigerung: Ein Bordell unter dem Hammer

Reporter Dirk Berger besuchte für die “Westfälische Rundschau” den Gerichtssaal und formulierte stellenweise so salopp, dass ihm dabei mitunter die sprachlichen Bilder entglitten:

Die Geschäfte laufen schlecht, die Wirtschaftskrise geht den Freiern wohl zunehmend auf die Hardware, sozusagen.

Reicht es, wenn der Autor selbst den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und der “Hardware” von Freiern versteht?

Nicht verstanden zu haben scheint Herr Berger, dass es die Freiheit jeder Person ist, sich tätowieren zu lassen oder die Haare zu färben. Ins Solarium oder zum Krafttraining zu gehen. Oder Uhren zu tragen. Sogar im Gerichtssaal.

Sonst hätte er kein Urteil darüber gefällt, was zu viel ist an Körperschmuck, Haarfarbe, Hautfärbung, Körperstatur und Accessoires einzelner an der Versteigerung beteiligten Personen:

Das Wörtchen "zu" umschreibt das Alleinstellungsmerkmal von Mitgliedern des Milieus: Zu tätowiert, zu blond, zu brauner Teint für 10 Grad minus, zu breite Schultern, zu fette Uhren. Das Klischee ist der Feind genauer Beobachtung, aber es gab zu viel "zu", als dass man dem Klischee nicht erliegen konnte.

Es fragt sich, wie sehr der den Klischees Erlegene “frei von Vorurteilen” ist, wie es Ziffer 13 des Pressekodex für die “Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren” fordert.

Mit Dank an Julian.

Linke Wahlkampf-Berichterstattung

Die Axel Springer AG behält sich das Recht vor, im Wahlkampf einseitig und irreführend über die Parteien und ihre Programme zu berichten. Das kann man aus einer Stellungnahme folgern, die die Rechtsabteilung des Verlages gegenüber dem Presserat abgegeben hat.

Es geht um die Art, wie die “Bild am Sonntag” im vergangenen Bundestagswahlkampf die Steuerpläne der Parteien darstellte (wir berichteten). In einer Übersicht zum Ausschneiden und Aufheben stellte sie scheinbar die unterschiedlichen Positionen der Parteien dar. Bei der Linken fanden sich — als einziger Partei — ausschließlich Pläne für Steuererhöhungen. In seinem auf der nächsten Seite stehenden Leitartikel bestätigte der “stellvertretene (sic!) Chefredakteur” Michael Backhaus den Eindruck: “Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen.” Das war angesichts des Wahlprogramms, das Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen vorsah, objektiv falsch …

… nach Ansicht der Abteilung Verlagsrecht der Axel Springer AG jedoch absolut zulässig. Sie erklärte gegenüber dem Presserat, bei dem wir uns über die Berichterstattung der “Bild am Sonntag” beschwert hatten, dass der Presserat selbst schon 1990 festgestellt habe, dass es nicht zu kritisieren sei, wenn eine Zeitung lediglich über einen bestimmten Ausschnitt aus einem Wahlprogramm berichte. Die Richtlinie 1.2 im Pressekodex, die sich mit der Wahlkampfberichterstattung beschäftigt, sei bloß eine “Kann-Bestimmung”.

In dieser Richtlinie heißt es:

Zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit gehört, dass die Presse in der Wahlkampfberichterstattung auch über Auffassungen berichtet, die sie selbst nicht teilt.

Ob eine Zeitung dieser Empfehlung folgen wolle, müsse ihr selbst überlassen bleiben, argumentiert Springer. Der Verlag beharrt zudem darauf, dass der von uns bemängelte Kasten die Forderungen der Linkspartei korrekt wieder gegeben habe — die Erhöhung des Steueraufkommens sei ein zentraler Bestandteil des Wahlprogramms.

Der Beschwerdeausschuss des Presserates widersprach:

Zwar kann eine Redaktion selbst entscheiden, welche Schwerpunkte sie setzt, wenn sie über Wahlprogramme berichtet und ist nicht gezwungen, jeweils alle Details zu nennen. Insbesondere in Kombination mit dem Kommentar-Satz “Die Linke denkt nur ans Erhöhen” wird jedoch der Eindruck erweckt (…), es gebe keinerlei Steuersenkungs-Pläne im Programm. Die Darstellung ist irreführend, da nicht mitgeteilt wird, dass DIE LINKEN für etliche Gruppen die Steuern senken wollen. Im Sinne einer umfassenden Information des Lesers wäre es notwendig gewesen, auch das zumindest zu erwähnen. Das hätte die Sorgfaltspflicht erfordert.

Der Presserat erteilte “Bild” deshalb einen “Hinweis”, die Schwächste der drei (allesamt folgenlosen) Beanstandungs-Formen des Gremiums.

Nicht bemängelt wurde vom Presserat, dass die “Bild am Sonntag” einer Gegendarstellung, in der Oskar Lafontaine später den falschen Behauptungen der Zeitung widersprach, den Satz hinzufügte, sie sei zu deren Abdruck “unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt” verpflichtet — und so den falschen Eindruck erweckte, Lafontaines Äußerungen seien unwahr.

Dreckschweine muss man zeigen dürfen

“Bild” hat ein eklatantes Problem zu akzeptieren, dass auch Menschen, die schlimme Verbrechen begangen haben, Menschen bleiben und die Menschenrechte somit auch weiterhin für sie gelten.

Im August hatte das Bundeskriminalamt in verschiedenen Medien nach einem Mann gefahndet, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde. Aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit stellte sich der mutmaßliche Täter nach einem Tag und das BKA bat, die zur Fahndung veröffentlichten Fotos nicht weiter zu verwenden und aus dem Internet zu entfernen. “Bild” ignorierte diese Bitte ebenso wie etliche als seriös geltende Medien (BILDblog berichtete).

Im Oktober nutzte “Bild” die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Trier als willkommenen Anlass, die Fotos erneut zu veröffentlichen und den mutmaßlichen Täter unter anderem als “Deutschlands schlimmsten Kinderschänder”, “Sex-Bestie” und “Dreckschwein” zu bezeichnen (BILDblog berichtete auch da).

Weil wir in der Berichterstattung von “Bild” einen Verstoß gegen den Pressekodex sahen, haben wir uns beim Deutschen Presserat beschwert und waren damit nicht allein.

Ziffer 1 Pressekodex

Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.

Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.

In seiner Stellungnahme an den Presserat erklärte die Rechtsvertretung der Axel Springer AG, dass sie die Bezeichnungen “Sexbestie”, “Perverser” oder “Dreckschwein” für zulässig halte. (Über das besondere Verhältnis von “Bild” zur Bezeichnung “Schwein” hatten wir auch schon mal berichtet.) Ausschlaggebend seien hierfür die besonderen Umstände des Falls. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik habe das Bundeskriminalamt öffentlich nach einem Mann gefahndet, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen werde.

“Bild” möchte den Mann also gerne als “Dreckschwein” bezeichnen dürfen, weil öffentlich nach ihm gefahndet worden war, und erklärt weiterhin, dass es sich “nicht nur um Wertungen der Tat durch die Redaktion” handele, sondern mit der Wortwahl “auch ausgedrückt werde, was der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung über den Mann denke”.

Der Beschwerdeausschuss sieht in der Bezeichnung “Dreckschwein” hingegen eine Beleidigung, die die Menschenwürde verletze. Die Bezeichnung “Sex-Bestie” hält der Ausschuss dagegen für vereinbar mit dem Pressekodex.

Auch bei der Veröffentlichung der Fotos beruft sich das Springer-Justitiariat auf das große öffentliche Interesse an dem Fall. Außerdem habe der Presserat schon öfter entschieden, dass bei einem vorliegenden Geständnis auch identifizierend über Tatverdächtige berichtet werden dürfe. Etwas unglücklich für diese Argumentationsführung ist freilich der Umstand, dass der Angeklagte bisher noch gar kein Geständnis abgelegt hat, was dann sogar dem Presserat auffiel.

Er hält die erneute Veröffentlichung der Fotos für unzulässig und verweist ausdrücklich darauf, dass das BKA die Aufnahmen offiziell zurückgezogen habe.

Wegen Verstoßes gegen Ziffer 8, Richtlinie 8.1 und Verletzung der Ziffer 1 des Pressekodex sprach der Beschwerdeausschuss eine “Missbilligung” gegen “Bild” und Bild.de aus. Es besteht keine Pflicht, eine solche “Missbilligung” zu veröffentlichen, “als Ausdruck fairer Berichterstattung” empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine Veröffentlichung.

Es ist unwahrscheinlich, dass “Bild” und Bild.de gewillt sind, faire Berichterstattung ausdrücken zu wollen. Die Bilder, die der Presserat beanstandete, sind immer noch online. Aber um deren Entfernung hatte ja schon das BKA vor Monaten vergeblich gebeten. Und im Gegensatz zum Presserat sind die Leute beim BKA sogar bewaffnet.

Focus  

Bei Burda haben sich zwei gefunden

Manchmal sind es gerade scheinbar besonders unterschiedliche Partner, die perfekt zusammenpassen. Eine journalistische Zeitschrift und eine kommerzielle Kontaktbörse zum Beispiel.

Die Illustrierte “Focus” macht seit längerer Zeit fleißig Schleichwerbung für die Partnervermittlung Elitepartner.de. Die Kontaktbörse gehört der Tomorrow Focus AG, der Internet-Tochter des Burda-Verlages, der den “Focus” herausgibt.

Aus dem Pressekodex:

Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Dem Branchendienst “Meedia” ist aufgefallen, dass “Focus” und “Focus Online” immer wieder auf “ElitePartner” verweisen, ohne die geschäftliche Verquickung offenzulegen, wie es der Pressekodex eigentlich vorschreibt. Eine “Focus”-Sprecherin sagte gegenüber “Meedia”, man achte selbstverständlich “immer darauf, transparent zu berichten und gerade im Falle von Beteiligungen unseres Unternehmens diese auch zu erwähnen”. Wenn dieser Hinweis fehle, sei das “wohl aus Platzgründen ausnahmsweise nicht möglich gewesen”.

Das ist natürlich nicht wahr.

Der gedruckte “Focus” hat in den vergangenen beiden Jahren am 21. Januar 2008, 5. Mai 2008, 23. Juni 2008, 8. September 2008, 3. November 2008, 29. Dezember 2008, 16. Februar 2009, 27. April 2009, 27. Juli 2009, 10. August 2009 und 14. Dezember 2009 über “ElitePartner” berichtet. In keinem Fall hat der “Focus” die eigene Beteiligung an dem Unternehmen erwähnt.

Der “Focus” berichtet vor allem gerne über sinnlose Ergebnisse nicht-repräsentativer Umfragen, die das Schwesterunternehmen “ElitePartner” in großer Zahl veröffentlicht, um in die Medien zu kommen. (Ähnlich aussageschwache Umfrageergebnisse des Konkurrenzunternehmens “Parship” haben es seit Jahren nicht mehr in den “Focus” geschafft.) Gelegentlich äußert sich die Illustrierte aber auch über “ElitePartner” direkt und schreibt zum Beispiel:

Spezialisiert auf Klasse: Mittels eines Persönlichkeitstests verkuppelt die Hamburger Partneragentur Elitepartner.de anspruchsvolle Singles mit festen Bindungsabsichten.

Dafür war Platz.

Optimierungswahnsinn, Paid Content, Vietnam

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “The Year in Media Errors and Corrections”
(regrettheerror.com, englisch)
Ein sehr ausführlicher Jahresrückblick auf Fehler und Korrekturen der englischsprachigen Medien.

2. Presserat in Österreich
(medienschelte.at)
Medienschelte.at zählt drei Gründe auf, warum der zwischenzeitlich aufgelöste Presserat in Österreich “noch vor seiner Konstituierung eine Farce ist”.

3. “Masse statt Klasse”
(bf-g.de/berkner, Bastian Berkner)
Online-Redakteur Bastian Berkner schreibt, wie er “Texte und Überschriften in Richtung Suchmaschine optimieren” muss: “Langsam aber sicher geht mir der Optimierungswahnsinn aber auf den Keks, denn ich habe immer mehr das Gefühl für eine Maschine zu schreiben anstatt für meine Leser.”

4. “Wegen dieser Paid Content-Geschichte…”
(basicthinking.de/blog, André Vatter)
André Vatter widmet sich dem Zweifrontenkrieg, dem Printmedien ausgesetzt sind: “Schwindende Werbeeinnahmen und sinkende Auflagen”. Und dem Zeitungstauschring von Taxifahrern.

5. “Wie lebt es sich in einem Land mit Zensur? Ein Bericht aus Vietnam”
(blog.kooptech.de, Thomas Wanhoff)
“Ich lebe jetzt seit eineinhalb Jahren in Vietnam. Als ich hierher kam, wusste ich, welche Beschränkungen es für Journalisten gab. Ich wusste nicht, wie wenig man das merkt. Und genau das ist das Problem.”

6. “In mobile phone journalism, Africa is ahead of the west”
(guardian.co.uk/media/pda, Mercedes Bunz, englisch)
Mercedes Bunz zeigt journalistische Möglichkeiten mit dem in Afrika eher verbreiteten Mobiltelefon auf, so zum Beispiel über das Open-Source-Projekt Ushahidi, das während Krisen Informationen sammelt.

Brender, Buhrow, Simpsons

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wie gaga ist ‘Bild’ Bremen denn?”
(taz.de, Benno Schirrmeister)
“Eine halbe Seite muss die Bremer Lokalausgabe der Bild für eine Gegendarstellung räumen – in 100-Punkt-Schrift, also 3,5 Zentimeter großen Buchstaben.”

2. “Selbstkontrolle: Der Presserat lebt wieder”
(diepresse.com)
Österreich hat wieder einen Presserat: “Der ‘Verein der Selbstkontrolle der österreichischen Presse’ soll künftig zwei Senate mit je sechs Journalistenmitgliedern stellen, ein siebentes rechtskundiges Mitglied hat den Vorsitz.”

3. Interview mit Michael Sohn
(zeit.de, Julia Mayer)
AP-Fotograf Michael Sohn: “Inzwischen habe ich das Gefühl, dass auch vermeintliche Paparazzi-Fotos inszeniert sind. Zum Beispiel die Bilder der Politiker, die während der Opelverhandlungen oben am Fenster des Kanzleramts standen. Damit schien man den Eindruck erwecken zu wollen: Wir arbeiten bis tief in die Nacht für euch.”

4. “Aufregung um Brender bleibt wohl ohne Folgen”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath glaubt, dass der Fall Brender mit der Wahl von Peter Frey zum neuen ZDF-Chefredakteur “höchstwahrscheinlich und bedauernswerterweise beendet” ist. “Im Grunde also ist deshalb bei allen Beteiligten die antrainierte Empörung über die politische Konkurrenz deutlich größer als die Empörung über die Organisationsstruktur des ZDF.”

5. Interview mit Tom Buhrow
(cafeterra.de, Sabrina Gundert)
Tagesthemen-Moderator Tom Buhrow sagt, was ein Journalist haben muss: “Leidenschaft. Neugier. Liebe zur Sprache. (…) Weiterhin ist Sorgfalt bedeutsam. Es geht nicht darum, irgendwas in den Medien zu sehen, was einen fasziniert, und dann einfach mal was darüber zu schreiben. Gründliche Recherche muss sein.”

6. “Newspaper Headlines from The Simpsons”
(youtube.com, Video, 8:15 Minuten, englisch)
Eine Sammlung von Zeitungsschlagzeilen bei den Simpsons.

Gerügt: Leckerer Likör und typische Zigeuner

Das gekauft wirkende Loblied auf eine Fluggesellschaft ist nicht der einzige Artikel aus der “Welt am Sonntag”, der jetzt vom Presserat beanstandet wurde, weil er das Trennungsgebot von Werbung und Redaktion verletzt. Das Gremium rügte auch einen “WamS”-Artikel, in dem ein Münchner “Barchef” das hohe Lied auf ein Mixgetränk mit dem Likör einer bestimmten Marke sang. Genauer:

Wer derzeit in die Gläser der Republik schaut, sieht vor allem: Orange. Aperol Sprizz heißt das süffige Sommer-“Must-have”, wie man so sagt, von einem Trend zu sprechen wäre fast schon untertrieben, denn das modische Getränk ist allgegenwärtig. (…)

Spätestens seit diesem Frühling hat der Sprizz seinen Siegeszug durch ganz Deutschland angetreten, unterstützt von einem klug gemachten Fernsehwerbespot, in dem zwei Mädels per Handzeichen signalisieren, dass sie dazugehören zur großen, fröhlichen Aperol-Gemeinde. Diese wächst weiter, und man fragt sich, was den kollektiven Erfrischungsrausch in diesem Maße ausgelöst haben könnte. In der Eckkneipe wird ebenso “gesprizzt” wie am Gestade der hippen, innerstädtischen Strandbar.

Glaubt man den dort durch ausreichend Sprizz-Bestellungen Seliggewordenen in ihren Liegestühlen, dann entspringt der Kombination Strandbar und Sprizz der Erholungswert eines kleinen Italien-Urlaubs für zwischendurch. Dolce Vita in Dortmund. Oder Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart, Berlin. (…)

Bei der “Welt am Sonntag” hielt man das womöglich für Journalismus, der Presserat war weniger besoffen. Er rügte allerdings nur “Welt Online”, wo der “WamS”-Artikel offenbar ursprünglich zudem “mit einem großformatigen Werbefoto des Likör-Herstellers, auf dem der Schriftzug des Getränks plakativ hervorgehoben wurde” illustriert war.

* * *

Wenn sich jemand beim Presserat über einen Online-Artikel beschwert, schaut das behördenähnliche Gremium anscheinend nicht nach, ob der nicht einfach aus der Zeitung übernommen worde. Das zeigt auch die Rüge für die Berichterstattung von Bild.de über ein Familiendrama, bei dem eine Mutter sich und ihre drei Kinder in einem Auto angezündet und so getötet hatte. Bild.de zeigt in einer Bilderstrecke nicht nur abwechselnd Fotos von dem ausgebrannten Auto und dem Abtransport einer Leiche und Werbung u.a. für das Kontaktportal StayFriends (“Schulfreunde wiederfinden”), sondern auch sechs offenbar private Fotos von den Kindern und der Mutter. Nach Ansicht des Presserates verletzt das die Persönlichkeitsrechte der Opfer. Die identifizierende Berichterstattung habe vor allem mit Rücksicht auf die Angehörigen unterbleiben müssen. Bild.de habe außerdem gegen das Gebot verstoßen, bei Selbstmorden besonders zurückhaltend zu berichten.

Aber die gerügte Berichterstattung auf Bild.de stammt aus der gedruckten “Bild”-Zeitung. An zwei Tagen in Folge berichteten die “Bild”-Leute Noel Altendorf, Matthias Lukaschewitsch, Rainer Mittelstaedt, Peter Rossberg und Marco Zitzow detalliert, in großer Aufmachung und mit privaten Fotos von den Opfern über den Fall. “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann hat die Suizid-Berichterstattung seines Blattes vor längerer Zeit zur Chefsache gemacht. Dennoch verstößt “Bild” in diesen Fällen immer wieder gegen den Pressekodex. Oder deswegen.

* * *

Die “Thüringer Allgemeine” kassierte eine Rüge für einen Artikel, in dem sie mit Peter Albach abrechnete, dem Bürgermeister von Weißensee, der bis zur jüngsten Wahl auch für die CDU im Bundestag saß. Denn was die Zeitung ihren Lesern verschwieg: Der Autor des kritischen Textes hatte bis kurz zuvor noch die Öffentlichkeitsarbeit für die Stadt Weißensee gemacht. Anscheinend gab es dann eine unschöne Trennung, jedenfalls einen Interessenskonflikt — der Presserat rügte die mangelnde Transparenz, die das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien gefährde.

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Der “Sarstedter Anzeiger”, der zur “Hildesheimer Allgemeinen Zeitung” gehört, wurde für die Berichterstattung über eine Familie gerügt, die in so katastrophalen hygienischen Verhältnissen lebte, dass das Jugendamt die 16-jährige Tochter in seine Obhut nahm. Der “Sarstedter Anzeiger” habe so viele Details benannt und Fotos gezeigt, dass die Familie für die breite Öffentlichkeit erkennbar geworden sei — obwohl kein öffentliches Interesse vorgelegen habe.

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Und dann war da noch Holger Borchard, Redakteur der “Offenbach-Post” in Langen, der anscheinend verzweifelt nach Wegen sucht, seine Abneigung gegen Sinti und Roma auszurücken. In einem Artikel über Betrüger, die behaupten, für die Langener Tafel zu sammeln, formulierte er vermeintlich oberschlau:

Der Zeuge, nach eigenen Worten selbst Nutznießer der Langener Tafel, hatte der Polizei gegen 14.30 Uhr vier Frauen “südländischen Aussehens” gemeldet, die Passanten auf der Bahnstraße um Spenden für die Langener Tafel anbettelten. Die ausgesandte Funkstreife fing das beschriebene Quartett, darunter eine Zehnjährige, Minuten später auf der Einkaufsmeile ab. Zur — laut Polizeisprecher Henry Faltin “nicht gerade einfachen” — Überprüfung der Personalien wurden die Vier auf die Wache mitgenommen.

Bei den drei erwachsenen Frauen handelte es sich um eine Südosteuropäerin, eine Staatenlose und eine Deutsche — alle einwandfrei einer Volksgruppe zuzuordnen, deren Namen eine Zeitung heute nicht mehr schreiben darf, weil sich sie sich damit garantiert eine Rüge vom Presserat einhandelt. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir es wie die Ordnungshüter beim unverfänglichen Hinweis auf besagter Damen Vorliebe für bunte Kleider belassen …

Der Presserat rügte den “klaren Verstoß” gegen das Diskriminierungsverbot im Pressekodex. Die Online-Ausgabe der “Offenbach-Post” habe mit ihrer “ironisch-herabsetzenden Umschreibung” der Frauen aus vermeintlicher Rücksicht auf den Pressekodex noch mehr betont, dass die angeblichen Täterinnen einer ethnischen Minderheit angehören — ohne einen sachlichen Grund zu nennen, warum das relevant ist.

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