Suchergebnisse für ‘Presserat’

Guttenberg, Sportschau, Bill O’Reilly

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die wundersame Beliebtheit der zu Guttenbergs”
(ndr.de, Video, 7:11 Minuten)
Stephanie und Karl-Theodor zu Guttenberg werden von den Medien als “politisches Power-Paar mit Glamourfaktor” inszeniert. Anna von Bayern (“Bild am Sonntag”) und Fernsehjournalistin Tamara Gräfin von Nayhauß spielen dabei eine tragende Rolle.

2. “‘Heute’ adelt alten PR-Text zu aktueller Uni-Studie”
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
Eine Studie, die von der Gratiszeitung “Heute” als “aktuelle Uni-Studie” verkauft wird, stammt vom Softwarehersteller Symantec und ist fast ein Jahr alt.

3. “Der Presserat im Web 2.0”
(telemedicus.info, Adrian Schneider)
Adrian Schneider kommentiert die Meldung des Presserats, sich künftig auch für “moderierte Foren” zuständig zu sehen. “Wenn Redaktionen Forenbeiträge vorab kontrollieren, sei diese Prüfung als journalistisch-redaktionelle Leistung zu verstehen, sodass der Presserat auch für solche Nutzerkommentare zuständig sei.”

4. “Lustige Panne bei der ‘Sportschau'”
(sueddeutsche.de, Christopher Keil)
In der ARD-Sportschau wurden am Dienstagabend “vier Spielpaarungen und Spielstände, die es nie gegeben hatte”, verlesen. “Der für die Ergebnistafel zuständige Grafiker habe einen ‘Blackout’ gehabt, sagte der für die Sportschau zuständige Sportchef Steffen Simon vom WDR an diesem Mittwoch. Der technische Mitarbeiter habe offenbar eine andere, eine falsche Maske für die Resultate eingestellt.” Nachtrag, 17 Uhr: Die ersten vier Spielpaarungen hat es durchaus gegeben, nämlich am 1. Spieltag. Die Resultate dazu stammen vom 5. Spieltag.

5. “Vorsicht, Vorurteile!”
(noz.de, Burkhard Ewert)
“Warum Medien die Herkunft von Straftätern selten nennen”

6. “Jon Stewart in No Spin Zone”
(foxnews.com, Video, 6:22 Minuten, englisch)
Jon Stewart zu Besuch bei Bill O’Reilly. In Teil 2 des Gesprächs schätzt Stewart ein, warum O’Reilly nicht mehr so wichtig ist: “You’ve been overtaken by a more extreme version of you. You’re like Fox 1.0, you’re the beta version. Fox 2.0 has jumped over you.”

BKA? Da könnte ja jeder bitten! (3)

Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht — es sei denn als Farce. Wie die nächste Wiederholungsstufe heißt, ist bisher noch nicht überliefert, aber mit der Bezeichnung “Bild” läge man vermutlich nicht allzu falsch.

Im August 2009 fahndete das Bundeskriminalamt mit Bildern nach einem Mann, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde und der sich bei seinen Taten selbst gefilmt hatte. Nachdem der Mann sich selbst gestellt hatte, bat das BKA die deutschen Medien, die Fahndungsfotos nicht weiter zu verwenden. Die Medien kamen dieser Bitte mit unterschiedlichem Eifer nach (BILDblog berichtete), “Bild” und Bild.de erhielten für den wiederholten Abdruck der Bilder in Tateinheit mit der Bezeichnung des mutmaßlichen Täters als “Dreckschwein” gar eine “Missbilligung” vom Deutschen Presserat (BILDblog berichtete ebenfalls).

Knapp einen Monat später fahndete das BKA erneut über die Medien nach einem Mann, dem schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie zur Last gelegt wurde. Hier kam es zur erwarteten Farce, denn wie sich kurz nach der Verhaftung des Mannes herausstellte, war der Mann für seine Taten bereits 15 Jahre zuvor verurteilt worden und hatte seine Strafe abgesessen — was die Medien freilich nicht davon abhielt, die Fahndungsfotos, deren weitere Verwendung sich das BKA verbeten hatte, weiter zu verwenden (BILDblog berichtete auch hier).

Letzte Woche nun fahndete das BKA über die Fernsehsendung “Aktenzeichen XY … ungelöst” mal wieder nach einem Mann, der des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Verbreitung kinderpornografischer Schriften “dringend verdächtig” war. Zwei Tage nach der Ausstrahlung der Sendung wurde der Mann aus Bad Oeynhausen am Freitag festgenommen und das BKA schrieb in seine Pressemitteilung die inzwischen traditionelle Bitte:

Wichtig:
Da mit der Identifizierung der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien gebeten, die veröffentlichten Fotoaufnahmen nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Was jetzt passierte, ist vielleicht am Besten mit dem Begriff “Irrsinn” zu beschreiben, denn Bild.de kam der Bitte des BKA zunächst tatsächlich nach: Der ursprüngliche Fahndungsaufruf wurde durch einen Artikel über die Festnahme des Tatverdächtigen ersetzt, in dem kein einziges Foto zu sehen war. Dann muss jemandem bei Bild.de aufgefallen sein, dass man ja Bild.de ist.

Also erschien am Samstag ein neuer Artikel, in den die zehnteilige Bildergalerie mit den Fahndungsfotos eingebunden ist, deren weitere Veröffentlichung das BKA unterbinden wollte:

Geschnappt! Der dicke Kinderschänder, der zwei Mädchen missbrauchte.

“Bild am Sonntag” wiederum verzichtete auf einen Abdruck der Fahndungsfotos — und veröffentlichte stattdessen ein anderes, besser identifizierbares Foto des Verhafteten:

Nach XY-Sendung: Kinderschänder festgenommen

Ganz andere Bilder brachte “Bild” am Montag in ihrer Regionalausgabe:

Mieser Kinderschänder aus NRW! Verhaftung nach Aktenzeichen XY

Mit Dank an Lukas S., Sven S., Kaweh und AJ.

Bild.de  etc.

Loveparade: Rüge und Missbilligungen

Es waren viele Beschwerden, die zur Berichterstattung über die Loveparade-Katastrophe beim Deutschen Presserat eingingen, sehr viele Beschwerden: 241 insgesamt, die zu 13 Sammelbeschwerden zusammengefasst wurden.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Eine “öffentliche Rüge”, die härteste Sanktion, die dem Presserat zur Verfügung steht, hat sich Bild.de eingehandelt: In einem Artikel beschrieb ein Arzt die Todesumstände einer jungen Frau, die dazu auf einem ungepixelten Foto zu sehen war. Der Presserat sah darin Verstöße gegen die Ziffern 8 und 11 des Pressekodex.

Der Artikel, über dem nicht weniger als 18 Autoren-Namen prangten, war eine Übernahme aus der gedruckten “Bild”-Zeitung, aber weil sich niemand gesondert über die Printausgabe beschwerte, wurde nur Bild.de wegen der “unangemessen sensationellen Darstellung” gerügt.

Aber nicht alles, was in den Tagen nach dem Unglück in Zeitungen und online erschienen ist, war in den Augen des Presserats “unangemessen sensationell”: In einer großen Fotostrecke von Bild.de, über die sich allein 179 Menschen beschwert hatten, sah der Presserat nur in einem Fall eine “unangemessen sensationelle Darstellung”. Die Darstellung abgedeckter Leichen falle nicht automatisch darunter, stellten die Ausschussmitglieder klar.

Manfred Protze, Vorsitzender des Beschwerdeausschuss 1, ließ dazu verlautbaren:

Dass viele Menschen diese Fotos unerträglich finden, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass ein solches Ereignis von hohem öffentlichen Interesse ist. Dabei dürfen Journalisten auch Situationen zeigen, die die furchtbare Realität dokumentieren.

Eine Grenze sei erst erreicht, wenn “Menschen zu bloßen Objekten herabgewürdigt” würden.

Die Opfer von der Loveparade: Wer büßt für ihren Tod?

Verschiedene Zeitungen und Online-Portale hatten die Opfer mit Fotos vorgestellt und teilweise den abgekürzten Namen, das Alter, den Wohnort und weitere Details wie Hobbies und Beruf veröffentlicht (willkürliches Beispiel: s.o.). Damit verstießen sie gegen Ziffer 8 des Pressekodex, die die Privatsphäre der Opfer schützen soll.

Für ungepixelte Fotos der Opfer mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen gab es in drei Fällen “Hinweise”, in vier weiteren Fällen, in denen weitere Details aus dem privaten Umfeld veröffentlicht wurden, “Missbilligungen”.

Ausdrücklich betonte der Presserat, dass die Veröffentlichung von Fotos ohne Einwilligung der Hinterbliebenen “grundsätzlich unzulässig” sei. Die Frage, ob die Bilder aus sozialen Netzwerken wie Facebook entnommen wurden, klärte der Ausschuss diesmal nicht. Die Zeitungen hatten darüber auch keine Informationen abgegeben. Gleichzeitig kündigte der Presserat aber an, sich “zeitnah” mit der Thematik zu befassen, da er es “als bedenklich einstuft, wenn Journalisten hier für ihre Beiträge recherchieren und sich der dort gespeicherten Fotos bedienen.”

Amokberichterstattung, Kachelmann, Irak

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Empfehlungen zur Amok-Berichterstattung”
(presserat.info)
Der deutsche Presserat stellt einen Leitfaden zur Amokberichterstattung (PDF-Datei, 54 Seiten) online, der mit einigen praktischen Negativbeispielen von “Bild” und Bild.de operiert. “Der Leitfaden soll Journalisten bei wichtigen Fragen im Redaktionsalltag eine Orientierung geben. Welche Fotos dürfen wir veröffentlichen? Welche Namen dürfen wir nennen? Welche Informationen über den Täter und die Tat können wir bringen?”

2. “Wer ist der echte und wer der falsche Kachelmann?”
(tagesschau.de, Video, 3:33 Minuten)
Die “Tagesthemen” über den ersten Tag im Prozess gegen Jörg Kachelmann. “Fast schon hysterisch die Stimmung vor dem Prozess des Jahres, an dem es die eine Wahrheit nicht gibt.”

3. “Erbarmen! Nun retten Schauspieler die Welt”
(faz.net, Jan Hauser)
Jan Hauser bemerkt vermehrt Schauspieler in den Talkshows: “Die Fernsehmacher suchen ein bekanntes Gesicht abseits der üblichen politischen Verdächtigen. Das soll den Zuschauer veranlassen, während des Schaltens durch die Fernsehprogramme inne zu halten. Die Schauspieler sollen Authentizität vermitteln und einfache Wahrheiten verbreiten.”

4. “Sarrazins 18 Prozent: Und, was können Sie sich so vorstellen?”
(beim-wort-genommen.de, Jonas Schaible)
Jonas Schaible schreibt zur Emnid-Umfrage für “Bild am Sonntag” (BILDblog berichtete) und was daraus in anderen Medien wird: “(…) weder auf der Emnid-Seite noch auf Bild.de finde ich detaillierte Angaben zur Ausarbeitung der Studie. Es fehlen sämtliche Hintergrundinformationen, es fehlt alles, dass Ergebnisse einer Studie eigentlich überprüfbar macht, das erlaubt, eine Studie einzuschätzen.”

5. “Punk’d, Iraqi-Style, at a Checkpoint”
(atwar.blogs.nytimes.com, Yasir Ghazi, englisch)
Versteckte Kamera im irakischen Fernsehen: Prominenten werden Bombenattrappen ins Auto gelegt, worauf sie von gespielten Grenzwächtern zur Rede gestellt werden: “‘Why do you want to blow us up?’ ‘You are a terrorist.’ ‘How much did they pay you to do it? You will be executed.'” Unklar ist, ob das Material mit oder ohne vorherige Aufklärung der Prominenten gedreht wurde.

6. “When it comes to phone hacking, the press is the elephant in the room”
(guardian.co.uk, Charlie Brooker, englisch)
Charlie Brooker erzählt die Geschichte einer Prominenten, die einen “ultimate celebrity faux pas” begangen habe, nämlich an zwei Tagen das genau gleiche Kleid zu tragen. Und erklärt, warum die britischen Medien so wenig zur “News of the World phone hacking affair” zu sagen haben.

Gong  

Schleichwerbung auf Rezept

Im Frühjahr ist die einstmals renommierte Fernsehzeitschrift “Gong” vom Presserat dafür gerügt worden, dass die Rezepte ihres großen Weihnachtsmenus durchsetzt waren mit Hinweisen auf Produkte der Firma Unilever (BILDblog berichtete). Noch trauriger als die Schleichwerbung an sich ist allerdings der Versuch der Rechtsabteilung der “WAZ”-Gruppe, sie zu rechtfertigen. Der Presserat fasst ihre Stellungnahme so zusammen:

[…] man habe durch die Reaktion von Lesern festgestellt, dass bei der Verwendung spezieller Zutaten eine redaktionelle Produktempfehlung gewünscht sei. Insofern habe man durch die Nennung konkreter Produkte das Informationsinteresse des Lesers bedient. Dies betreffe maßgeblich die Empfehlung von Produkten wie “Suppenliebe Hühnersuppe”, “Cremefine” und “Fix für Nudel-Mozzarella-Gratin”. Der Leser könne aufgrund dieser Hinweise erkennen, welche Art von Zutat Verwendung gefunden habe. Gegebenenfalls könne er, sofern vorhanden, auf Konkurrenzprodukte zurückgreifen, da jedenfalls eine für das Verständnis des Lesers ausreichende Individualisierung durch die Produktnennung erreicht worden sei. Auch sei nicht zu beanstanden, dass das Produkt “Cremissimo-Schokoladeneis” genannt wurde, da dieses aufgrund seiner Konsistenz und Streichfähigkeit besonders gut für die Verwendung im Rahmen des Rezeptes geeignet sei.

Das ist natürlich alles nicht wahr.

In Wahrheit bezieht der “Gong” einen Großteil seiner Rezepte einfach von der Firma Unilever. Die bietet Redaktionen dafür eine eigene Datenbank im Internet, die, wie ihr Name “Rezept & Bild” nahelegt, auch gleich hochauflösende Fotos der Gerichte enthält.

Unilever stellt diese Inhalte kostenlos zur kommerziellen Nutzung zur Verfügung — unter einer Bedingung: Die darin natürlich immer enthaltenen Namen ihrer Marken wie “Knorr”, “Mondamin” und “Rama” müssen genannt werden. In den Nutzungsbedingungen heißt es:

Zulässig ist es, die Produkt-Kategorie zusammen mit einer Marke der Unilever Gruppe in Klammern zu nennen. Bsp.: ‘Bourbon-Vanille (z.B. von Cremissimo))’.

Genau so verfährt der “Gong”. In der vergangenen Woche gab es drei Braten-Rezepte von Unilever mit der entsprechenden Schleichwerbung für Unilever-Produkte (siehe rechts). In dieser Woche dreht sich auf den “Gong”-Rezeptseiten alles um den Kürbis, mit einem Lachsfilet-Rezept von Pfanni, einem Curry-mit-Rind-Rezept von Mondamin, einem Krosse-Plätzchen-Rezept von Rama und einem Putenbraten-Rezept von Knorr.

Mit dem Informationsinteresse der Leser, wie die sich für ihren Qualitätsjournalismus für bekannt haltende “WAZ”-Gruppe behauptet, hat das alles nichts zu tun. Sondern damit, wie Unternehmen die Lücke füllen, die durch sinkende Etats und Qualitätsansprüche in den Redaktionen entsteht, und redaktionelle Inhalte durch werbliche Inhalte ersetzen — sicherlich nicht nur in so harmlosen Bereichen wie Kochrezepten.

Die Rüge des Presserates hat der “Gong” übrigens bereits am 1. April mit einem irreführenden Text veröffentlicht. Sollten sie auch sorgfältige “Gong”-Leser übersehen haben, könnte das daran liegen, dass die Redaktion einen außerordentlich unauffälligen Platz wählte: im Klein- und Kleinstgedruckten zwischen Leserbriefen und Impressum.

Mit großem Dank an Max M.!

Matthäus, Angeber, Zeitlupe

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Loveparade: Fall für Presserat”
(sueddeutsche.de, Ralph Pfister)
Fast alle der rund 140 zur Berichterstattung über die Loveparade in Duisburg eingegangenen Beschwerden beim Presserat richten sich gegen “Bild”. “Ganze drei Beschwerden richten sich – Stand Dienstag Mittag – nicht gegen Bild oder Bild Online.”

2. “Lothar vs. Liliana: die inszenierte Trennung”
(meedia.de, Nils Jacobsen)
Nils Jacobsen hält die von “Bild” und Sat.1 besonders ausführlich begleitete Trennung des Ehepaars Lothar und Liliana Matthäus für inszeniert.

3. “4 von 4 Studien sind fragwürdig”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Für Martin Weigert sind viele Studien zu Tech- und Netzthemen fragwürdig, weil sie inkorrekt sind oder fehlerhaft wiedergegeben werden, weil sie mit gesundem Menschenverstand widerlegt werden können, weil sie kaum Aussagekraft besitzen oder weil sie Erkenntnisse verbreiten, die jedes Kind erraten könnte.

4. “Blöffsack-Journalismus”
(weltwoche.ch, Daniela Niederberger)
Mitunter auch selbstkritisch kritisiert Daniela Niederberger den Angeber-Journalismus, der mit Ideenlosigkeit zu tun habe und den Austeil-Journalismus, der mit Unerfahrenheit und Selbstüberschätzung zu tun habe.

5. “Friedensnobelpreis für WikiLeaks!”
(magda.de, Wolfgang Michal)
Für Wolfgang Michal liegt der Vorteil von Wikileaks für Whistleblower auf der Hand: “Es gibt keine stationären Redaktionscomputer, die von der Polizei ‘bei Gefahr im Verzug’ beschlagnahmt werden können, es gibt keine Redakteure, die – wenn sie ihre Quellen nicht preisgeben – in Beugehaft genommen werden können, und es gibt keine Verleger, die auf Schadenersatz verklagt oder wegen Landesverrat vor Gericht gezerrt werden können – und dabei vielleicht einknicken.”

6. Einschränkung der Zeitlupe
(diepresse.com)
Der öffentlich-rechtliche TV-Sender RAI schafft gemäß Chefredakteur Eugenio de Paoli, “Tore und Ausschlüsse ausgenommen”, bei Fußball-Übertragungen die Zeitlupe ab: “Die gewonnene Sendezeit will man für Analysen der Taktik nützen.”

Was von der Loveparade übrig blieb

Irgendwann sind die Journalisten auf die Idee gekommen, dass die Stimmung, die man als “Sprachlosigkeit” bezeichnen könnte, am Besten abgebildet werden kann, indem man sie beschreibt, kommentiert und abfotografiert. Dass man dem stillen Entsetzen und der Trauer eine laute Mischung aus Information, Mutmaßung und Klickstrecken entgegensetzen sollte, weil man den nahezu unmöglichen Prozess des Verstehens so vielleicht erzwingen kann.

“Bild” kann deshalb heute, rund einen Tag, nachdem Polizei und Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen begonnen haben, bereits das “Todes-Protokoll” der Ereignisse von Duisburg vorlegen. Die Zeitung kann sichtlich verstörte Jugendliche befragen, die einen Freund verloren haben, und eine traumatisierte Überlebende berichten lassen:

"Auf meinen Beinen lagen zwei Leichen!"

Daneben die Fotos von fünf Verstorbenen (auf Bild.de sind es inzwischen mehr), die die Redaktion zumindest teilweise offensichtlich aus dem Internet übernommen hat. Auf einem anderen Foto ist exakt das zu sehen, was die Bildunterschrift verspricht:

Ein Mädchen und ein junger Mann beim gemeinsamen Versuch, eine leblose Person zu reanimieren.

Schon seit dem frühen Samstagabend hatte Bild.de in Bildergalerien notdürftig abgedeckte Tote gezeigt (“Die Hand im Tode verkrampft. Auch dieser Mann wurde bei der Panik vermutlich zerquetscht.”, “Ein Foto, das Gänsehaut vermittelt – zwei Tode am Haupteingang.”, “Die Leiche eines jungen Ravers liegt abgedeckt im Müll.”, usw. usf.).

Doch Bild.de zeigte auch diese auf den ersten Blick harmlose Luftaufnahme:

Fotomontage vom Festival-Gelände.

Das Foto, das inzwischen entfernt wurde, zeigt fahrende Autos auf der gesperrten Autobahn 59, kahle Bäume im Hochsommer, Menschengruppen, die mehrfach im Bild sind und vieles mehr — mit anderen Worten: Es ist eine ziemlich schlecht gemachte Fotomontage. Und das, wo die Menschenmassen auf den Originalfotos vom Festivalgelände beeindruckend genug gewesen wären.

Auch wenn die mehr als einhundert Beschwerden, die allein bis zum heutigen Mittag beim Deutschen Presserat eingegangen sind, sich “bisher alle” gegen die Berichterstattung von “Bild” und Bild.de richteten, waren dies längst nicht die einzigen Medien, die Fotos von Opfern veröffentlichten. Bilder von Schwerverletzten, unter Schock stehenden Personen, Rettungsmaßnahmen und Leichentüchern, unter denen Gliedmaßen hervorschauen, gab (und gibt) es auch auf express.de, stern.de, derwesten.de zu sehen. “RP Online” anonymisierte immerhin die meisten erkennbaren Gesichter, ebenso wie Bild.de bei den Fotos seiner “Leserreporter”.

Bemerkenswert auch das Titelbild der “Westdeutschen Allgemeinen Zeitung” heute, auf dem die Arme eines toten Menschen zu sehen sind — und die Idee, die Ereignisse vom Wochenende ausgerechnet mit einer Karikatur zusammenfassen zu wollen.

Mit Dank an die vielen, vielen verschiedenen Hinweisgeber!

Bild  

Sie haben das Recht zu Schweigen

“Bild” hat’s bekanntlich nicht so mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen.

Am Donnerstag erklärte die Zeitung in ihrer Ruhrgebietsausgabe:

Wurden hier Spuren eines Verbrechens vernichtet? Ehemann Dirk L. (43) kann oder will das den Fahndern offenbar nicht erklären, verweigert die Aussage. Und macht sich so verdächtig.

“Bild” mag es “verdächtig” finden, dass der Mann die Aussage verweigert, aber es ist sein gutes Recht, das von dem Augenblick an gilt, in dem er als Beschuldigter gilt. Der Beschuldigte muss zu keinem Zeitpunkt etwas sagen und muss sein Schweigen auch nicht rechtfertigen

Gestern dann fragte das Blatt in einem anderen Fall:

Warum lässt der Richter einen Killer so im Gericht sitzen?

Mal davon ab, dass das, was der Mann da über den Kopf gezogen hat, keine “Decke” ist, wie “Bild” schreibt, sondern eher ein Oberhemd, geht es hier natürlich um die Persönlichkeitsrechte des Mannes, die er auch als Angeklagter, Verurteilter oder “Killer” nach wie vor hat.

Das Gericht gestattete dem Angeklagten, sich zu vermummen, solange die TV-Kameras liefen. Mit Prozessbeginn wurde die Maskerade beendet.

“TV-Kameras”, hihi, der war gut. Denn man kann sich nur zu gut vorstellen, wie eine große deutsche Boulevardzeitung den Mann heute abgebildet hätte, wenn er sein Gesicht nicht verborgen hätte.

Der Rechtsanwalt und Lawblogger Udo Vetter erklärt dazu:

Es gehört zu den Aufgaben des Gerichts, im Rahmen der Hauptverhandlung die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu respektieren. Teil davon ist es auch, dass das Gericht die Befugnis des Angeklagten respektiert, sich nicht an identifizierender Berichterstattung indirekt zu beteiligen, indem er sein Gesicht hinhalten muss. Identifizierende Berichterstattung ist ja in solchen Fällen regelmäßig sowieso nicht zulässig. Der Angeklagte hat also das gute Recht, sein Gesicht überhaupt nicht fotografieren zu lassen.

Der konkrete Fall ist sogar noch etwas schwerwiegender, wie “Bild” selbst schreibt:

Er wurde gestern verurteilt, wird den Rest seines Lebens in die Psychiatrie gesteckt. (…)

Der zum Islam Konvertierte (“Allah hat geschossen”) leidet unter paranoider Schizophrenie.

Mit seiner “Maskerade” hat der Angeklagte “Bild” vor einem Verstoß gegen den Pressekodex bewahrt:

Richtlinie 8.4 – Erkrankungen
Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden fallen grundsätzlich in die Geheimsphäre des Betroffenen. Mit Rücksicht auf ihn und seine Angehörigen soll die Presse in solchen Fällen auf Namensnennung und Bild verzichten und abwertende Bezeichnungen der Krankheit oder der Krankenanstalt, auch wenn sie im Volksmund anzutreffen sind, vermeiden. (…)

Mit Dank an David R., Marcel S., Stefan H., Esther K., René, Martin und Maik H.

Keine Anonymität für niemand

Irgendeine Logik, irgendeine abwegige Erklärung muss dem Ganzen zugrunde liegen. Die Mitarbeiter von Bild.de werden sicher gute Gründe gehabt haben, warum sie zwei Angeklagte, von denen einer minderjährig ist, auf sieben von neun Fotos in einer Bildergalerie notdürftig anonymisiert haben — nur nicht auf dem ersten Foto, das man sieht, wenn man den Artikel aufruft, und nicht auf der Startseite.

Geständnisse bei Prozessauftakt

Vielleicht hat man sich einfach von den Kollegen bei der gedruckten “Bild” inspirieren lassen, die heute auf jedwede Unkenntlichmachung der Gesichter verzichteten:

Sind die Brunner-Totschläger schon in drei Jahren frei?

In der Rechtsabteilung der Axel Springer AG sollte man vielleicht schon mal über eine Urlaubssperre nachdenken. Im Fall der “U-Bahn-Schläger” von München hatte das Oberlandesgericht Hamburg “Bild” im vergangenen Jahr untersagt, einen der beiden Täter zu zeigen, der zum Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt war (BILDblog berichtete).

Dass der Pressekodex bei der Berichterstattung über Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jugendliche “besondere Zurückhaltung” fordert, dürfte der Zeitung eh egal sein.

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber!

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