Suchergebnisse für ‘Presserat’

Spahns Pressearbeit, “KenFM” und die Sorgfalt, Gottschalk gibt auf

1. So verschafft sich Spahn gute Nachrichten über sich selbst
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Jost Müller-Neuhof macht Jens Spahn im “Tagesspiegel” schwere Vorwürfe. Der Bundesgesundheitsminister und dessen Sprecher würden die Medien nicht informieren, sondern dirigieren. Wer kritisiert, werde ausgeschlossen: “Jens Spahn ist nicht der einzige Minister, der sich auf diese Weise Kritik erspart. Aber er gilt als einer, der ‘bestimmte Kanäle’ in die Öffentlichkeit besonders intensiv nutzen lässt, um dort in gutem Licht zu erscheinen. Wer keinen Zugang zu diesen Kanälen hat, ist vom Informationsfluss abgeschnitten. Spahn und sein Pressesprecher Hanno Kautz kommunizieren nur, wenn sie kommunizieren wollen.”

2. Dein Freund und Berichterstatter
(sueddeutsche.de, Claudia Henzler)
Die Polizei Baden-Württembergs hat sich selbst einen “Pressekodex” auferlegt, in dem Grundsätze für die eigene Berichterstattung und die Zusammenarbeit mit den Medien festgelegt sind. Der Deutsche Presserat hält die publizistischen Leitsätze für sinnvoll. “Wir finden es grundsätzlich gut, wenn sich die Polizei transparente Regeln für die Öffentlichkeitsarbeit gibt”, sagt Presserats-Sprecher Sascha Borowski: “Wichtig für uns ist, dass die Polizei auf Nachfrage von Journalisten die Herkunft von Tatverdächtigen nennt und die Entscheidung damit bei der Reaktion bleibt, ob sie die Herkunft für relevant hält oder nicht.” Woran man sich jedoch störe, sei die Bezeichnung “Pressekodex”. So heißt schließlich auch die freiwillige Selbstverpflichtung von Verlagen und Medienschaffenden des Presserats.

3. “Wissenschaft ist keine Demokratie”
(zeit.de, Linda Tutmann)
Die Wissenschaftsjournalistin und Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim gehört vor allem bei jungen Leuten zu den beliebtesten Journalistinnen in Deutschland. Mehr als eine Million Personen haben ihren Youtbe-Kanal “maiLab” abonniert. Im Interview mit “Zeit Online” spricht sie über Wissensvermittlung, Meinungsfreiheit, Medienkompetenz, Hass im Netz und ihre persönliche Bedrohungslage: “Ich gehe nirgendwo mehr hin, ohne persönliche Security.”

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4. Verfahren gegen “KenFM”
(blog.wdr.de, Christopher Ophoven)
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat ein Verfahren gegen “KenFM” von Ken Jebsen eingeleitet. Es geht dabei um Verstöße gegen die “journalistische Sorgfaltspflicht” – doch was ist darunter eigentlich zu verstehen? Christopher Ophoven ist der Frage nachgegangen und erklärt die Zusammenhänge. Unterdessen hat Jebsen öffentlich angekündigt, Deutschland zu verlassen. Er wolle in ein anderes Land umziehen, “wo man uns in Ruhe arbeiten lässt”.

5. Wie wir den gedruckten SPIEGEL dezent neu gedacht haben
(devspiegel.medium.com, Creative Direction)
Die Kreativdirektion des “Spiegel” hat das Design der Printausgabe überarbeitet. Im Entwicklerblog werden die wichtigsten Änderungen vorgestellt, die man “eher als Evolution denn als Revolution” verstanden wissen wolle. So sind die Änderungen oftmals nur marginal, dennoch ist es interessant zu lesen, was sich die Fachleute dabei gedacht haben.

6. Wie die Klatschpresse dafür sorgte, dass Gottschalk seinen Podcast im SWR aufgibt
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Thomas Gottschalk beendet seinen SWR-Podcast “Podschalk”. Und das hat dem Moderator zufolge mit der Klatschpresse zu tun, die sich aus isolierten Zitaten regelmäßig neue Geschichten zusammenfabuliert: “Das Problem ist, dass unser kleiner Podcast zu einer Zitatenquelle für Menschen wurde, denen ich diese Zitate einfach so nicht gegeben hätte. Und irgendwelche Redakteurinnen irgendwelcher Frauenzeitungen, die man nicht als Redakteurinnen bezeichnen kann, weil sie sich irgendwelchen Dreck unter der Türspalte durch zusammenkehren, das ist etwas, wo ich einfach sage: Nee.”

7. »All das fühlte sich wie ein ganz mieser Film an«
(spiegel.de, Kevin Kühnert)
In eigener Sache und deshalb als zusätzlicher Link: Morgen erscheint das Buch “Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet” von unseren BILDblog-Autoren Mats Schönauer und Moritz Tschermak. Kevin Kühnert hat dafür ein Nachwort mit irren Einblicken geschrieben: “Meine erste Titelgeschichte in der »Bild« hatte ich mir anders vorgestellt.” Kühnerts Text ist vorab beim “Spiegel” zu lesen, das ganze Buch bekommt ihr ab dem 11. Mai im Buchladen um die Ecke oder jetzt schon beim Onlineversender eurer Wahl. Tipp des “6 vor 9”-Kurators: Am besten noch heute bestellen – der KiWi-Verlag hat bereits vor Erscheinen eine zweite Auflage hinterhergeschoben.

Eigentor des Torwarts, Influencing oder Kinderarbeit?, Netflix-Krise

1. Sky will Jens Lehmann nicht mehr als Gast einladen
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der ehemalige Fußballtorwart und heutige TV-Experte Jens Lehmann hat, sich augenscheinlich in der Adresse irrend, eine rassistische Nachricht an einen Kollegen verschickt. Das hat nun Konsequenzen, wie Sky-Sportchef Charly Classen mitteilt: “Wir hatten Jens Lehmann oft bei Sky als Gast in unserem Programm, sind sehr enttäuscht über sein Verhalten und planen, ihn jetzt nicht mehr als Gast in unsere Sendungen einzuladen”. Lehmann verliere außerdem seinen Sitz im Aufsichtsrat von Hertha BSC, wie der Fußballklub bestätigt habe.

2. Presserat rügt ZEITmagazin
(blog.zeit.de, Chefredaktion ZEITmagazin)
Im “ZEITmagazin” Nr. 41/20 schrieben sieben Autorinnen und Autoren über das Wohnen und Arbeiten von morgen. Den sieben Artikeln waren jeweils grafische Illustrationen mit herausgestellten und namentlich genannten Produkten beigestellt. Der Presserat rügte dies als Schleichwerbung: Die Nennungen hätten unterbleiben müssen, um den entstehenden werblichen Effekt zu vermeiden. Im Blog der “Zeit” akzeptiert die Chefredaktion des “ZEITmagazins” die Rüge.

3. Influencing oder Kinderarbeit?
(deutschlandfunk.de, Ann-Kristin Pott, Audio: 5:30 Minuten)
Einige Influencerinnen setzen auf Instagram auch ihre Babys und Kleinkinder für Werbung ein. Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt, kritisiert diese Instrumentalisierung: “Babys sollten nicht kommerzialisiert werden, und genau das passiert, wenn Influencer-Eltern Babyfotos einsetzen, um ihre Reichweite zu steigern oder um die Reichweite von Werbepostings zu steigern. Eltern sind hier in einer Doppelfunktion, sie sind einmal Auftraggeber:innen für das entsprechende Posting, aber sie sind auch Fürsorger:innen für ihre Kinder.”

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4. Netflix in der Krise: Ideenflaute, Einheitsbrei, lahmes Wachstum – was ist passiert?
(rnd.de Imre Grimm)
Nach explosivem Wachstum in der Vergangenheit fallen bei Netflix die neuesten Zahlen deutlich niedriger aus als von Analystinnen und Aktionären erwartet. Imre Grimm macht dafür verschiedene Gründe aus: fehlenden cineastischen Nachschub, eine rasch wachsende Konkurrenz und die “Disney-Falle”. Netflix sei laut Grimm zwar weniger von Idealismus, Reinheitswahn und Gottesfurcht getrieben als Disney. Am Ende aber drohe dasselbe: kulturelle Verödung.

5. “Solche Filme kann man eigentlich nicht machen”
(sueddeutsche.de, Martina Knoben)
Marc Bauder und Daniel Sager haben eine Doku über das Investigativ-Ressort der “Süddeutschen Zeitung” gedreht. Im Interview (mit der “SZ”) erzählen die beiden über die Entstehung des Films, die Finanzierung von Dokumentarfilmen und die Mühen der Ebene: “Investigativer Journalismus hat auch mit Frustration zu tun, mit Nachjustieren und nochmal neu Ansetzen. Man wacht nicht morgens auf und findet ein belastendes Video über einen Politiker im Briefkasten, es ist ein mühsames Zusammensetzen von Puzzleteilen.”

6. Tausende AOL-Kunden wählen sich noch per Modem ins Internet ein
(t3n.de)
Im Jahr 2002 kam der Internet-Provider AOL weltweit auf rund 34 Millionen Kundinnen und Kunden. Heute sind es nur noch – beziehungsweise immer noch – 1,5 Millionen. Und vielleicht noch überraschender: Wie bekannt wurde, sollen sich einige Tausend von ihnen immer noch per Modem ins Internet einwählen.

Steilvorlage für Rechtsaußen, Spahns Privates, Männliche Regionalzeitungen

1. Die dpa liefert Steilvorlage für rechte Verschwörungshetzer – die “Welt” nimmt dankend an
(volksverpetzer.de, Tobias Wilke)
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg fragte beim Bundesinnenministerium nach dem Anteil der Asylerstantragstellenden, die bei der Antragstellung keine gültigen Identitätspapiere vorweisen konnten. Der Anteil habe bei mehr als der Hälfte gelegen, so das Ministerium. Über eine dpa-Meldung gelangte die Zahl zu allerlei rechten Postillen und der NPD, die sie in ihre Erzählung einpflegten. Aber auch die “Welt” stürzte sich auf die Meldung. Tobias Wilke erklärt, wie die Zahl zustande komme und warum der Skandal an ganz anderer Stelle liege. Lesenswert, weil es eine Falschargumentation dekonstruiert, auf die viele aus Unkenntnis hereinfallen.

2. Das Private ist politisch
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die Immobiliengeschäfte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn werfen Fragen auf. Fragen, mit denen sich Redaktionen beispielsweise ans Grundbuchamt gewandt haben. Spahn scheint dies sehr zu missfallen: Laut “Tagesspiegel” hätten seine Anwälte erfahren wollen, wer denn da von welchen Medien was genau wissen wollte. Steffen Grimberg kommentiert: “Alles Private ist immer noch politisch. Und was Spahn verbergen wollte, interessiert plötzlich alle Welt. Er sollte sich schleunigst bessere Be­ra­te­r*in­nen besorgen, sonst geht’s am Ende noch auf die Gesundheit.”

3. Tipp: So klappt es mit der Filmförderung
(fachjournalist.de, Ralf Falbe)
Was nicht alle wissen: Die Filmförderung springt nicht nur bei aufwändigen Kinoproduktionen, sondern auch bei Kurzfilmen, Dokus und Multimedia-Projekten ein. Ralf Falbe gibt Tipps für die Antragstellung und Kostenzusammenstellung. Nicht nur für Produzenten und Filmemacherinnen lesenswert, weil der Text einen ganz anderen Blick hinter die Kulissen liefert.

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4. Männerdomäne Regionalzeitungen: ProQuote Medien stellt neue Studie vor
(pro-quote.de)
Der Verein ProQuote hat eine “qualitative Studie zu Machtbeteiligung und Aufstiegschancen von Journalistinnen bei Lokal- und Regionalzeitungen” angestoßen (PDF). In der Untersuchung geht es auch um die Fragen, warum in deutschen Regional- und Lokalzeitungen so wenige Frauen in Führungspositionen kommen und wie man dem entgegenwirken kann: “Der Frauenmachtanteil in den Chefredaktionen liegt bei rund zehn Prozent – und damit niedriger als in jeder anderen Mediengattung.”

5. Lie­bes­grüße von der Medi­en­auf­sicht
(lto.de, Frederik Ferreau)
Unlängst verschickten Landesmedienanstalten “Hinweisschreiben” an verschiedene Onlineportale, in denen sie auf Ungenauigkeiten in der Berichterstattung aufmerksam machten. Medienrechtler Frederik Ferreau wirft einen juristischen Blick auf die neue Praxis und kommentiert: “Das ist in der Anfangsphase ein begrüßenswertes, weil grundrechtsschonenderes Vorgehen. Bedenklich werden solche Schreiben aber, sollten darin geringfügige Mängel der Online-Portale thematisiert werden, die gar nicht das Potential einer Tatbestandserfüllung besitzen: Dann überdehnte die Aufsicht ihre Befugnisse und könnte schlimmstenfalls ‘chilling effects’ in Form einer Einschüchterung der Anbieter hervorrufen. Im sensiblen Spannungsfeld zwischen Medien und Medienaufsicht gilt es, solche Effekte unbedingt zu vermeiden.”

6. ServusTVs Corona-Quartett gleicht einem Verschwörungskabinett
(kobuk.at, Lena Wechselberger)
Lena Wechselberger analysiert die Sendereihe “Corona-Quartett” des österreichischen Privatsenders ServusTV, die zum Stelldichein von “alternativen Experten” wurde. Ihr Fazit: “Diskussionen über COVID-19 und die Regierungsmaßnahmen dürfen natürlich durchaus kritisch und kontrovers sein, das ist keine Frage. Polarisierung zum Selbstzweck einer gesamten Sendreihe zu machen, ist jedoch höflich ausgedrückt: Mehr als fraglich. Das Ergebnis ist die Konstruktion einer Parallelrealität fernab jeglicher wissenschaftlichen Fakten. Das Corona-Quartett wurde so zur österreichischen Speerspitze verharmlosender (Falsch-)Information während einer weltweiten Pandemie.”

Beschwerderekord, Haftbefehl gegen Hildmann?, Behäbige Fernseh-Zeiten

1. 2020: Beschwerderekord beim Presserat
(presserat.de)
Der Deutsche Presserat stellt seinen Jahresbericht 2020 (PDF) vor, der eine traurige Rekordmarke bereithält: Noch nie habe es so viele Beschwerden wie im vergangenen Jahr gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich fast doppelt so viele Personen an die freiwillige Selbstkontrolle der Print- und Onlinemedien gewandt.

2. Attila Hildmann wird offenbar per Haftbefehl gesucht
(tagesspiegel.de, Alexander Fröhlich & Julius Geiler)
Kochbuchautor und Verschwörungsideologe Attila Hildmann ist für seine wüsten Tiraden und Hetzereien bekannt. Nachdem die großen Social-Media-Plattformen ihm den Zugang gesperrt haben, hat er sich auf den Messengerdienst Telegram zurückgezogen. Wo er sich jedoch gerade örtlich aufhält, sei nicht bekannt. Möglicherweise habe er sich ins Ausland abgesetzt, um einem drohenden Haftbefehl zu entgehen. Derweil seien die Berliner Ermittler mit einer wahren Sisyphos-Aufgabe beschäftigt: Sie würden mehr als 1000 Hildmann-Aussagen auf strafrechtliche Relevanz hin überprüfen.

3. Boulevard-Medien gehen unfair mit Frauen um
(jetzt.de, Nhi Le)
Manche Medien würden die immer gleichen toxischen und misogynen Bilder bedienen, wenn es um die Berichterstattung über prominente Frauen geht, so die Journalistin Nhi Le: “Rabenmutter, Heilige oder Hure, Zicke, Goldgräberin, Homewrecker. All diese und weitere Narrative beruhen auf sexistischen Vorwürfen und Ansprüchen, denen Frauen nie gerecht werden können und nie gerecht werden sollten. Denn sie sind rückschrittlich, heuchlerisch und teilweise einfach bösartig.”

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4. “Geschäftsmodell von Google und Facebook in den Blick nehmen”
(deutschlandfunk.de, Magdalena Neubig, Audio: 5:01 Minuten)
Der Softwarehersteller Microsoft will gemeinsam mit europäischen Presseverlagen ein Bezahlsystem für Verlagsinhalte im Internet entwickeln. Dahinter steckt der Wunsch der Verlage, die großen Tech-Firmen für die direkte und indirekte Nutzung ihrer Inhalte zur Kasse zu bitten. Alexander Fanta, Brüssel-Korrespondent von netzpolitik.org, erklärt im Interview mit dem Deutschlandfunk die verschiedenen Interessenlagen und überlegt, wie eine europäische Haltung aussehen könnte.

5. Bis unter die Dusche
(taz.de, Wilfried Urbe)
Bei den großen Streaming-Plattformen trenden seit einiger Zeit unterhaltsame Sport-Dokus. Die Filme bieten den Zuschauenden Spannung und Emotionalität und verschaffen den Protagonisten und Vereinen Aufmerksamkeit. Wilfried Urbe stellt einige Beispiele aus dem Portfolio von Amazon und Netflix vor, denen das Ganze teilweise viel wert ist. So soll der englische Fußballklub Manchester City laut Branchenexperten für den Blick hinter die Kulissen 10 Millionen Pfund erhalten haben.
Und passend zum Thema “Sport in den Medien”: Mehr als 6500 Gastarbeiter starben seit der WM-Vergabe nach Katar (spiegel.de).

6. Im Fernsehen der Vergangenheit
(sueddeutsche.de, Fabian Dombrowski)
Fabian Dombrowski hat sich auf einen Bummel durch das Retro-Angebot der ARD gemacht, geleitet von Neugier, Zufall und Algorithmus. Anscheinend kann der Ausflug in das Filmangebot der 50er- und 60er-Jahre therapeutisch wirken, wenn man sich denn darauf einlässt: “Sich durch die Video-Exponate zu klicken, wirkt nach einer Weile entschleunigend bis ermüdend, man ist diese Behäbigkeit in der Berichterstattung ja gar nicht mehr gewohnt. Teils vergeht mehr als eine halbe Minute, bis überhaupt mal jemand zu sprechen beginnt, und wenn es dann jemand tut, macht er Pausen zwischendrin, die irrwitzig lang wirken.”

Grenzen des Boulevard, Putzige Polizeitaktik, Seitenwechslerin

1. Die Grenzen des Boulevard: Über das Leben und Sterben von Kasia Lenhardt
(rnd.de, Imre Grimm)
Die 25-jährige Kasia Lenhardt war Model, Influencerin und Mutter. Am Dienstagabend fand die Polizei ihren leblosen Körper in einer Wohnung in Berlin. Die genauen Hintergründe ihres Todes sind noch unklar. Klar ist jedoch, dass sie seit Wochen im Zentrum einer Boulevard-Schlammschlacht stand. Imre Grimm kommentiert: “Dieser Tod hat eine Vorgeschichte, und sie verrät viel über die Mechanismen eines Teils der modernen Medienwelt, die ihr Heil darin sieht, Menschen bedenkenlos als Gossip-Objekte und Glamour-Rohstoff auszubeuten, erst recht, wenn diese von sich aus nach Aufmerksamkeit streben. Die Unschuldsbeteuerungen klingen dabei immer gleich: Ist doch nicht unser Problem. Die profitieren doch davon!”
Weiterer Lesehinweis: Jedes Detail ein Text: “Das Model Kasia Lenhardt ist gestorben. Der Umgang mit ihr sagt viel über frauenfeindliche Narrative in Boulevard- und sozialen Medien.” (taz.de, Carolina Schwarz)

2. LobbyControl befürchtet “Schieflage in der Digitalpolitik”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 4:19 Minuten)
Julia Reuss, bisher Büroleiterin von Digitalstaatsministerin Dorothee Bär und Lebensgefährtin von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, wechselt als Lobbyistin zu Facebook. Ulrich Müller von der Initiative LobbyControl findet das problematisch: “Für Facebook ist das Interessante daran, dass sie eine Lobbyistin gewinnen, die gut vernetzt ist, die das politische Geschäft kennt und die dann dabei helfen soll, die Facebook-Interessen stark in die Politik hineinzutragen. Und das ist eben das Problem: Weil wir so viele große Themen vor der Nase haben und es wichtig ist, dass diese zukünftige digitale Regulierung nicht einseitig von den großen Unternehmen wie Facebook bestimmt wird.”

3. Aus Freude am Rassismus
(uebermedien.de, Hendrik Wieduwilt)
In der “Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht” des renommierten Beck-Verlags erschien ein Beitrag des Juristen Rüdiger Zuck, in dem dieser “mit rassistischen Ausdrücken um sich wirft, als wäre es braunes Konfetti”, schreibt Hendrik Wieduwilt. Er hat den Fall aufgearbeitet: “Dieser Zuck-Text und die redaktionelle Entscheidung, ihn zu drucken, ist eine Schande für den Verlag und das Juristenmilieu. Juristen sollten sich fragen: Will man in diesem Zusammenhang eigentlich wirklich noch auftauchen? Andere Verlage haben schließlich auch schöne Zeitschriften.”

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4. Ausländerkriminalität: Medien und Polizei verzerren das Bild
(youtube.com, Zapp, Svea Eckert & Lea Eichhorn, Video: 11:04 Minuten)
Journalisten und Journalistinnen von NDR und BR haben die Berichterstattung über Kriminalität unter die Lupe genommen. Sie haben dazu zahlreiche Polizeipressemitteilungen ausgewertet, die vielen Redaktionen als Grundlage ihrer Berichte dienen. Ein Ergebnis: In der Berichterstattung über Kriminalität würden ausländische Nationalitäten deutlich öfter genannt als deutsche. Svea Eckert und Lea Eichhorn haben mit Chefredakteuren und dem Presserat über die Problematik gesprochen.

5. Wie US-Polizisten mit Uploadfiltern Livestreams verhindern wollten
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
In den USA hätten laut Markus Reuter Bürgerinnen und Bürger bis auf sehr wenige Ausnahmen das Recht, Polizistinnen und Polizisten bei der Arbeit zu filmen. In Kalifornien haben sich manche der Gefilmten auf eine geradezu putzige Weise dagegen gewehrt: Sie haben im Moment der Filmaufnahme ihr Handy gezückt und urheberrechtlich geschützte Musik abgespielt – offenbar in der Hoffnung, dass die Musikerkennung und die Uploadfilter von Instagram anspringen und eine Veröffentlichung unterbinden.

6. Mehr freie “Zeit”
(sueddeutsche.de)
Die “Zeit”-Verlagsgruppe kündigt eine schöne Aktion an: Schülerinnen und Schülern können ab sofort ein kostenloses digitales “Zeit”-Abo bis zum Ende des Schuljahres bekommen. Nach sechs Monaten, zu Beginn der Sommerferien, laufe das Abo automatisch aus, ohne dass eine Kündigung nötig sei. Mit dem Angebot wolle der Verlag vor allem Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 10 bis 13 ansprechen.

Bundespresseförderung, Angriffe auf Journalisten, Leben nach Töpperwien

1. “Wir wissen es nicht”
(journalist.de, Jan Freitag)
Gegen den Branchentrend meldet die “Zeit” wachsende Zahlen. Der “journalist” hat sich mit “Zeit-Online”-Chefredakteur Jochen Wegner über die Gründe unterhalten. Einer davon sei die aktuelle Pandemie: “So zynisch das klingt: Die Corona-Krise hat auch Gutes bewirkt. Sie hat uns etwa gezeigt, wo unsere Zukunft und die des Qualitätsjournalismus liegen könnte. Die gute Entwicklung von Zeit Online hat gewiss mit dem Ansatz zu tun, aktuelle, evidenzbasierte Berichterstattung zu stärken.”

2. Kurs halten lohnt sich
(jungewelt.de, Simon Zeise)
Die “junge Welt” berichtete 2019 über die Behinderung von Betriebsratswahlen bei einem Biolebensmittelhändler, was diesem gar nicht gefiel. Das Unternehmen erwirkte eine einstweilige Verfügung mit der Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000 Euro alternativ Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten. Die Redaktion blieb bei ihrer Version und legte erfolgreich Widerspruch ein. Die Richter hätten die Klage des Konzerns bis auf einen Punkt abgelehnt: “Als Lehre bleibt: Unrecht darf öffentlich benannt werden. Auf dass sich Arbeiter weiter gegen ihre Ausbeuter zur Wehr setzen.”

3. Politischer Korrespondent in Berlin: Einfach mal in Ruhe zuhören
(rnd.de, Markus Decker)
Markus Decker blickt zurück auf seine vergangenen 20 Jahre als politischer Korrespondent in Berlin. Eine mit Anekdoten gespickte Zeitreise, die auch zeigt, wie sich die Außenwahrnehmung seines Berufsstands geändert hat: “Dass ein Journalist morgens ins Büro geht und wie ein Bäcker oder Metzger ehrlichen Herzens versucht, das Beste zu geben, scheint manchen Bürgern nicht mehr vorstellbar. Derlei Wutbürgerei macht mich gelegentlich zu einem wütenden Korrespondenten. Selbst in jenen linken Kreisen, die Donald Trump für das Allerletzte halten, hat sich die Trump-Vokabel ‘Fake News’ eingebürgert. Wir sind, soweit ich sehen kann, die einzige Berufsgruppe, der bei Fehlern Absicht unterstellt wird.”

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4. Warum die Bundespresseförderung ihre Ziele verfehlen wird – und wie es besser gehen könnte
(meta-magazin.org, Christopher Buschow)
Wer sich zum Pro und Contra der Bundespresseförderung einlesen möchte, dem sei dieser Text empfohlen. Christopher Buschow, Junior-Professor für Medienmanagement an der Uni Weimar, geht auf die wesentlichen Kritikpunkte an der Förderlinie ein und überlegt, wie es besser funktionieren könnte.

5. Arbeiten unter Pressefeinden
(taz.de, Anne Fromm)
Die Anzahl der Angriffe auf Jour­na­lis­ten und Journalistinnen hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Ein Großteil sei von “Querdenker”- und Anti-Corona-Maßnahmen-Demos ausgegangen. Anne Fromm kommentiert: “Es ist schon ein interessanter Gegensatz. Wenn eine taz-Autor*in polemisch in einer Kolumne die Polizei kritisiert, läuft der Bundesinnenminister die Wände hoch und droht mit einer Strafanzeige. Wenn der Presserat die Innenminister bittet, die Polizei zum Schutz der Presse mehr in die Pflicht zu nehmen, passiert: nix. Und das bei 252 Angriffen auf Journalist*innen in einem Jahr.”

6. Da muss man kein Wurstfan sein
(sueddeutsche.de, Holger Gertz)
Holger Gertz erinnert an die Verdienste der jüngst in den Ruhestand getretenen Livereporterin und WDR-2-Sportchefin Sabine Töpperwien: “Wenn also Sabine Töpperwien nicht mehr in der Bundesligakonferenz auftaucht, ist sie trotzdem noch da. Als Pionierin. Sie hat den anderen eine Schneise freigeschlagen, an ihr haben sich die Platzhirsche abreagiert (Otto Rehhagel, seines Zeichens Otto der Große beziehungsweise Rehhakles: ‘Sie haben doch noch nie den Schweiß einer Kabine gerochen.’) Aber sie ist nicht bitter geworden unter dem Druck dieser und anderer Unverschämtheiten. Nicht bitter werden, ist eine große Lebensleistung.”

Inauguration Day, Wir alle sind Bosbach, Steingarts Seemannsgarn

1. Journalisten in Kampfmontur
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Heute findet in Washington die Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden statt. Seit Tagen gleicht die Stadt einem Militärstützpunkt mit Straßensperren und Kontrollpunkten. Für den reibungslosen Ablauf der Inauguration sollen rund 25.000 Nationalgardisten sorgen. Journalisten und Journalistinnen würden sich auf das Event wie auf einen Kriegseinsatz vorbereiten samt Schutzausrüstung, kugelsicherer Weste und Bodyguard. Reporterin Katie Miller (“Washington Post”) schreibt dazu auf Twitter: “Ich habe mir gerade einen neuen Wintermantel gekauft, der über die kugelsichere Weste passt, damit ich sicher (und warm) von der Amtseinführung des nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten berichten kann. Wie absurd ist das eigentlich?”

2. Trumps Verbannung von Social Media – Kritiker verkennen Gesetze
(netzpolitik.org, Julia Reda)
Angela Merkel äußerte sich vergangene Woche kritisch zur Twitter-Sperre von Donald Trump und meldete juristische Bedenken an. Darüber ist Julia Reda verwundert: “Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Denn es gibt sehr wohl einen rechtlichen Rahmen für die Moderation von Inhalten auf Social Media-Plattformen in den USA, an dem sich Twitter und Facebook orientiert haben. Außerdem wäre die Entscheidung in Deutschland, wo das Netzwerkdurchsetzungsgesetz den rechtlichen Rahmen absteckt, vermutlich genauso ausgefallen.” In ihrem Beitrag beschreibt Reda, wie eine zeitgemäße europäische Plattformregulierung aus ihrer Sicht aussehen sollte.

3. “Bild” veröffentlicht keine Rügen des Presserates mehr in der gedruckten Zeitung
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Verlag Axel Springer hat sich, wie viele andere Medienhäuser, gegenüber dem Presserat verpflichtet, Rügen “in dem jeweils betroffenen Medium aktualitätsnah und in angemessener Form zu publizieren”. Die “Bild”-Redaktion fühlt sich an die Selbstverpflichtung anscheinend nicht gebunden: Bereits seit eineinhalb Jahren habe die gedruckte “Bild” keine der gegen sie ausgesprochenen Rügen veröffentlicht, berichtet “Übermedien”. Einen Grund dafür habe der Verlag auf Nachfrage nicht genannt. Da “Bild” sich so sperrig in Sachen Fehlerkultur gibt, erinnert Medienkritiker Stefan Niggemeier an einige der gerügten Verstöße des Boulevardblatts.

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4. Durch- und weggezappt
(taz.de, Steffen Grimberg)
Die Meldung klingt zunächst positiv: “Das NDR-Medienmagazin ‘Zapp’” baut sein Online- und Social-Media-Angebot aus”. Dahinter steckt jedoch ein rigoroses Sparprogramm. Die Sendung wird zukünftig nicht mehr im Wochenrhythmus, sondern nur noch einmal im Monat im NDR-Fernsehen zu sehen sein. Steffen Grimberg befürchtet negative Folgen durch Etatkürzung und Umstrukturierung: “Was passiert, wenn die garantierte ‘Abwurfstelle’, also die Fachsendung, verloren geht oder drastisch beschnitten wird, konnte man bei der Zeit oder im Spiegel besichtigen. Seitdem hier die Medienseite(n) beziehungsweise die Medienressorts abgeschafft wurden, hat die Zahl der verhandelten Medienthemen massiv abgenommen.”

5. Seemannsgarn von der «Pioneer One»: Wie der Berliner Medienunternehmer Gabor Steingart die Geschichte eines möglichen Parteiwechsels von Friedrich Merz in die Welt setzte
(nzz.ch, Marc Felix Serrao)
Steht CDU-Politiker Friedrich Merz vor einem Wechsel zur FDP, wie der Publizist Gabor Steingart in seinem Newsletter “Morning Briefing” zu wissen glaubte? Keineswegs, wie der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner auf Twitter in einem Statement klarstellt und juristische Schritte gegen die Berichterstattung ankündigt: “Berichte von Gabor Steingart über einen angebotenen Parteiwechsel sind aber (wieder mal) Fake News. Gemeinsam wehren Friedrich Merz und ich mich anwaltlich dagegen.”

6. Endlich wieder loslabern
(zeit.de, Daniel Erk)
Daniel Erk hat sich bei der neuen Plapper-App Clubhouse umgeschaut: “Wenn es einen Ort gibt, dessen Leitspruch ‘Es ist alles gesagt, aber noch nicht von allen’ lautet, dann Clubhouse, dieses nicht enden wollende Stammtischgespräch. Und nicht zufällig ist eines der in Deutschland derzeit erfolgreichsten Formate eine tägliche Lunchrunde im Regierungsviertel. Twitter ist eine Hölle redundanter Diskussionen unter Politikstudierenden und Instagram eine Hölle ewiger Dia-Abende von Menschen mit Modelambitionen. Clubhouse dürfte langfristig die Hölle der Talkshowgesellschaft werden. Schon bald werden wir merken: Wir alle sind Wolfgang Bosbach. Allzeit bereit, halbinformiert zu labern.”

“Spiegel” auf Psychedelika, Lächeln im Lockdown, Twitters Trump-Sperre

1. Hochmut kommt vor der Rüge: “Spiegel” blamiert sich beim Presserat
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Häufig passieren die entscheidenden Fehler beim Umgang mit Fehlern. Der Presserat hat den “Spiegel” wegen eines “Selbsterfahrungsberichts” einer Psychedelika-Lobbyistin gerügt. Anstatt die Rüge hinzunehmen, den Fehler einzugestehen und womöglich Besserung zu geloben, beantragte das Nachrichtenmagazin die Wiederaufnahme des Verfahrens – und unterlag erneut. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier hat sich den unwürdigen Ablauf angeschaut, inklusive des unrühmlichen Endes. Dazu ergänzte Niggemeier auf Twitter: “Apropos ‘peinlich’: Die gedruckte Bild-Zeitung hat seit 1 ½ Jahren keine Rügen des Presserat für ihre Verstöße gegen den Pressekodex mehr veröffentlicht. Inzwischen steht rund ein Dutzend Rügen aus. Aber die Rügen für *andere* auf Seite 1 veröffentlichen. Bigott.”

2. Angstmache, Falschmeldungen und Gerüchte
(tagesschau.de, Patrick Gensing)
ARD-“Faktenfinder” Patrick Gensing nimmt einen deutlichen Zuwachs an Desinformation zur Impfthematik wahr. Eine Impfgegner-Gruppe auf Facebook sei innerhalb von wenigen Wochen auf 75.000 Mitglieder angewachsen: “In den täglich Dutzenden Beiträgen in diesen privaten Gruppen finden sich Versatzstücke aus zahlreichen Falschmeldungen und Gerüchten, die seit Monaten verbreitet werden. Besonders groß ist die Angst, der Impfstoff könnte das Erbgut verändern. Dies ist allerdings ein Missverständnis: Die sogenannte mRNA gelangt lediglich in die Zelle und wird dort ‘abgelesen’. Danach wird sie abgebaut.”

3. Die Macht der Konzerne
(taz.de, Daniel Bouhs)
Wollen Sender oder Verlage ein Live-Video-Angebot im Netz starten, sind sie auf die Genehmigung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, kurz KEK, angewiesen. Doch das Medienkonzentrationsrecht habe dringenden Reformbedarf, die KEK-Entscheidungen seien entsprechend anfällig für Anfechtungen. Eigentlich hätte es längst ein gesetzgeberisches Update geben sollen, doch zwei Bundesländer hätten das Projekt ausgebremst. Daniel Bouhs erklärt die verschiedenen Interessenlagen.

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4. Massenüberwachung des BND muss vor Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
(netzpolitik.org, Serafin Dinges)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) eingereicht. Die Beschwerdeführer würfen dem BND vor, Korrespondenzen zwischen RSF-Mitarbeitenden und im Ausland ansässigen Journalistinnen und Journalisten überwacht zu haben. “Dass die Beschwerde von RSF nun vom Gerichtshof in Straßburg akzeptiert wurde, ist umso bemerkenswerter, da ähnliche Klagen in Deutschland bereits 2013 vom Bundesverwaltungsgericht und 2017 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurden.”

5. Twitter sperrt Trump, Facebooks Hardware-Ambitionen, Twitter kauft Breaker, Umbau von Facebook Pages
(socialmediawatchblog.de)
Das “Social Media Watchblog” arbeitet in einer frei lesbaren Ausgabe seines Briefings den Trump-Rauswurf durch Twitter auf. Die Entscheidung sei richtig, komme jedoch Jahre zu spät und offenbare die problematischen Kräfteverhältnisse im Internet. Wie immer sind die Informationen und Ableitungen gut strukturiert, eingeordnet und mit Quellen und Leseempfehlungen angereichert.

6. RTL will für mehr “Lächeln im Lockdown” sorgen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die gestrige Nachrichtensendung “RTL aktuell” fand ein überraschendes Ende: Für “mehr Lächeln im Lockdown” las das Moderationsduo Passagen aus einem Buch der Komikerin Gabi Köster vor. Ähnliche Aktionen seien laut RTL für alle Magazin- und Nachrichtenformate geplant.

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“Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt”

Günter Wallraff recherchierte einst investigativ und verdeckt als “Hans Esser” bei “Bild” und sorgte mit seinen Büchern “Der Aufmacher” (1977) und “Zeugen der Anklage” (1979) für viel Aufsehen. Jakob Buhre hat für BILDblog Wallraff am 12. Dezember in Köln getroffen und mit ihm einige Passagen der neuen Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” angeschaut.

Protokoll/Interview: Jakob Buhre

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Heiko Maas nach einem “Bild-Live”-Interview in der “Bild”-Redaktion, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eines der größten Printmedien in Deutschland, sie vermittelt einem Zugang zu der breiten Masse der Öffentlichkeit, und Politiker sind darauf angewiesen, dass sie kommunizieren können, in die Öffentlichkeit, mit dem was sie tun, mit dem was sie für richtig halten. Und dafür ist die ‘Bild’ ein richtig gutes Instrument.”

Wallraff: Man kann es schon fast als Unterwerfung deuten, wie staatstragende Politiker hier bei “Bild” ihre Aufwartung machen und antichambrieren. Aber hat unser Außenminister so etwas wirklich nötig?

Peter Tschentscher, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eine konservative Zeitung, ich bin ein konservativer Mensch und die Sozialdemokraten in Hamburg sind sehr bodenständig. Insofern passt das gut zusammen.”

Wallraff: Da bekennt ein Sozialdemokrat vor dem Springer-Hochhaus: “ich bin konservativ”. Ehrlich gesagt hat mich das jetzt erstmal verunsichert, ob Tschentscher nicht am Ende CDU-Mitglied ist. Warum dieser Kotau? Was passt denn da so gut zu zusammen?

Karl Lauterbach, Folge 3: “Es kommt drauf an, ob ich, um Hetze zu betreiben, kleine Unterschiede hochjazze und damit den Eindruck erwecke, die widersprechen sich alle, oder ob ich das Gemeinsame betone und einräume: an der Spitze gibt es noch unterschiedliche Bewertungen.”

Wallraff: Ich bin mit Karl Lauterbach befreundet. Für mich ist er ein Ausnahme-Politiker. Er hat kein sicheres Bundestagsmandat, redet keinem nach dem Mund und macht sich nicht gemein, sich denen anzubiedern. Er spricht hier davon, dass “Hetze betrieben wird”, das finde ich mutig. Und immerhin zeigen uns die Filmemacher das.


“Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.” (Foto: Christoph Michaelis)

Wie ist denn Ihr Eindruck insgesamt vom Filmischen her?

Wallraff: Da waren gerade sehr viele Zeitungen zu sehen. Können wir nochmal dahin spulen? – Hier, diese Stapel, das sind alles “Bild”-Exemplare. Entweder liegen in den Redaktionen auf den Schreibtischen wirklich keine anderen Zeitungen oder ist es eine plumpe Werbung?

Die Auswahl der Themen und Schauplätze wirkt auf mich sehr beliebig. Man erfährt nur wenig über den Durchschnitt der Artikel, die in der Zeitung erscheinen, welche Themen dort bevorzugt werden. Mir fehlen auch die “Bild”-Leserinnen und -Leser.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das alles sehr im gegenseitigen Einvernehmen von Amazon und “Bild” stattgefunden hat. Wären die Filmemacher unabhängig, hätten sie auch mit Opfern der “Bild”-Berichterstattung oder externen Medienkritikern gesprochen. So ist das die reinste “embedded”-Reportage.

Christian Lindner, von dem “Bild” einen Paparazzo-Abschuss druckte, äußert sich allerdings auch in der Doku.

Wallraff: Na, und. Aber wenn es um die namenlosen Opfer von “Bild” geht, das sehe ich hier nicht, dass die einmal zu Wort kommen. In Folge 7, von der Sie mir gerade Auszüge gezeigt haben, ist die Diskussion der Redaktion über Persönlichkeitsrechte zu sehen, immerhin. Allerdings vermute ich, dass die wenigsten Zuschauer sich diese ermüdende Serie bis zur letzten Folge antun werden.

Auch von Ihren Recherchen bei “Bild” gibt es Filmaufnahmen. Wie sind Sie damals mit Kameras in die “Bild”-Redaktion gekommen?

Wallraff: Das war gar nicht so einfach, es gab ja noch keine versteckten Kameras. Mir half damals ein Freund vom niederländischen Fernsehen, Jan Kuiper. Sein Sender hat vorgegeben, dass sie im Rahmen einer Städtepartnerschaft-Reportage auch in Hannovers Redaktionen filmen wollten. Die erste Anfrage hatte mein Redaktionsleiter abgelehnt. Also hat ein Team zwei bis drei andere Drehs simuliert und so getan, als würden sie zum Beispiel bei der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” Filmaufnahmen machen. Das hat bei “Bild” die Eitelkeit geweckt, und sie sind drauf angesprungen. Meine Freunde kamen schließlich mit zwei Teams. Die einen haben den Chefredakteur in ein Dauer-Interview verwickelt, die anderen haben im Großraumbüro das zynische Treiben gefilmt.


Günter Wallraff 1977 als “Hans Esser” in der “Bild”-Redaktion Hannover. (Foto: Günter Zint)

Zurück zur Amazon-Doku: Wie beurteilen Sie die Aussagen der Blattmacherinnen und Blattmacher, die Sie hier sehen?

Wallraff: Es kommen hier welche zu Wort, wo ich sagen würde: Diesen Typus gab es zu meiner Zeit höchst selten. Durchaus reflektierte, vielleicht auch entsprechend ausgebildete Journalisten, die in anderen Blättern vermutlich einen seriösen Journalismus vertreten würden, ihn hier aber nur schwerlich durchsetzen können.

Zu meiner Zeit gab es viel mehr den Drücker-Typ, der den Opfern halb-betrügerisch ins Haus einfiel. Und dann vor allem Machos: Mein Redaktionsleiter hatte einen Schießstand in seiner Penthouse-Wohnung, es wurde Blitzschach gespielt, und man musste sich als trinkfest beweisen. Es war sehr männerbündlerisch. Hier sehe ich, zumindest zwischendurch, auch vereinzelt Frauen, und die kommen eher nachdenklich zu Wort.

Ein großer Unterschied ist auch: Zu meiner Zeit bei “Bild” wurde dem Chef so gut wie nie widersprochen. Der Redaktionsleiter duzte alle, musste aber gesiezt werden.

Wir hatten damals auch viele Kettenraucher, und Whiskey war in der Redaktion das Leitgetränk. Es scheint doch einiges harmloser geworden zu sein, jetzt kaut der Chefredakteur seine Gummibärchen.

Redaktionskonferenz, Folge 1, Redakteur aus dem Off: “Wir wollen die Rede [von Angela Merkel] vernichten?” – Julian Reichelt: “Nein, ich will sie nicht vernichten.”

Wallraff: “Abschießen, vernichten” waren zu meiner Zeit bei “Bild” Alltagsbegriffe. Es ging oft darum, Menschen “fertig zu machen”. “Bring die Sau zur Strecke!” Es gab auch keine Trennung zwischen Berichterstattung und Meinung.

Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt. Dazu passt ja auch sein Feldbett im Büro. Man weiß von ihm, dass er sich als jemand sieht, der Politik macht – und nicht begleitet.

“Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Alexandra Würzbach in einer Redaktionskonferenz, Folge 4: “Wir haben gesagt ‘Refugees Welcome’ und haben es uns zwei, drei Jahre später anders überlegt.” […] – 
Julian Reichelt: “Wir haben uns ‘Refugess Welcome’ nicht anders überlegt, das ist falsch, das lasse ich so nicht stehen.” Es folgen Filmaufnahmen von Paul Ronzheimer im Flüchtlingslager Moria.

Wallraff: Das überrascht mich und entspricht tatsächlich nicht dem Klischee. Vielleicht liegt es auch daran, dass Reichelt noch unter Kai Diekmann selbst in Kriegsgebieten war, in Afghanistan, in Syrien und im Irak, und sogar Flüchtlingen geholfen haben soll, nach Deutschland zu kommen, wie einst der “Spiegel” berichtete. So etwas prägt. Wenn “Bild” Not und Elend im Flüchtlingslager zeigt, könnte man daraus die Forderung an die Politik ableiten, dass sie sich des Themas annimmt.

Filipp Piatov in Folge 3: “Ich bin bei ‘Bild’, weil mir gewisse Grundlinien des Hauses sehr zusagen: Transatlantische Partnerschaft, gutes Verhältnis zu Israel, klares Verhältnis zur Marktwirtschaft, Ablehnung von linken und rechten extremen Ideologien.”

Wallraff: Naja, das sind so Gemeinplätze. Ein paar Gebetssäulen. Ich finde, das ist ein bisschen wenig.

Alexander von Schönburg in Folge 3: “Ich war früher bei der ‘FAZ’, bin jetzt bei der ‘Bild’ und empfinde das, was ich hier mache, als Aufstieg, auch als intellektuellen Aufstieg. […] Wer Wichtiges zu sagen hat, kann es in kurzen Sätzen sagen, dazu zwingt einen ‘Bild’. Darum habe ich persönlich profitiert, für mein eigenes Schreiben, dass man sich zwingt, kurz und präzise zu schreiben. Und nicht, wie das bei der ‘FAZ’ oder ‘SZ’ zum Teil ist: Du schreibst, um deine Kollegen zu beeindrucken.”

Wallraff: Ach, du Schande. Er tut mir richtig leid. Was muss der Mann erlitten haben, dass er sich hier so klein macht? Konnte er sich früher beim Schreiben nicht klar ausdrücken? Es gibt in der “FAZ” und der “SZ” doch genug Artikel, die eine deutliche und klare Sprache benutzen und trotzdem verständlich und differenziert sind.

Früher steckte in der “Bild”-Sprache sehr oft eine Aggression, Verächtlichmachung und Vernichtungswille bis hin zum Rufmord. Für mich benutzt “Bild” immer wieder eine in der Versimplung auch denunzierende Sprache.


“Das ist doch lächerlich und anmaßend.” (Foto: Christoph Michaelis)

Julian Reichelt in Folge 3: “Unser natürlicher Aggregatszustand ist zu hinterfragen. Und wie sehr wir hinterfragen, sieht man uns halt ein bisschen mehr an, weil unsere Überschriften größer sind und unsere Sprache klarer.”

Wallraff: Das ist doch lächerlich und anmaßend. Es klingt so, als würden andere Medien weniger hinterfragen, weil sie kleinere Buchstaben verwenden. Dabei sind es gerade sie, die differenzieren und auch zwischen Kommentar und Bericht zu trennen wissen.

Und zum “Hinterfragen”: Wenn sie Christian Drosten eine Stunde Zeit geben, um eine Anfrage zu seiner wissenschaftlichen Kompetenz abzuverlangen, nennen sie das “hinterfragen”? Ich fand, das war gegenüber Drosten eine Unverfrorenheit, eine Allmachtsallüre. Dass Drosten sich darauf nicht eingelassen hat, das ehrt ihn.

Die Causa Drosten wird in der Doku sehr ausführlich behandelt, mit vielen kritischen Stimmen von innerhalb und außerhalb der Redaktion.

Wallraff: Da blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. Ich habe da jetzt Redakteure gesehen, die sich als Opfer gerieren, keinerlei Reue zeigen, sich auch nicht entschuldigen. Und wenn es Reue gab: Wurde sie in der “Bild” zum Ausdruck gebracht? Ich habe nichts davon gehört.

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Wenn Sie einmal “Bild” 1977 und “Bild” 2020 vergleichen …

Wallraff: Die “Bild” hat heute nicht mehr die zerstörerische Kraft und Macht, auch längst nicht mehr das kriminelle Potential wie damals. “Harmlos” wäre der falsche Begriff, aber sie hat nicht mehr die Relevanz. Damals war es ein beherrschendes, flächendeckendes Medium. Und was ich erlebt habe, war ein Hetzblatt, das auch Menschen mit Falschberichterstattung in den Suizid getrieben hat wie zum Beispiel den Schauspieler Raimund Harmstorf. Ich meine, dass ich mit dazu beitragen habe, dass diese Ära überwunden wurde.

Es gab damals die Rubrik “Bild hilft”, die vielen Menschen aber gar nicht geholfen, sondern hilfsbedürftige Personen bis ins Privateste hinein vorgeführt hat. Ein Junge mit Schulproblemen wurde als “Deutschlands faulster Schüler” und eine Frau, die sich wegen Problemen mit ihrer Fahrschule an “Bild hilft” gewandt hatte, fast kampagnenartig als “Deutschlands schlimmste Fahrschülerin” abgestempelt. Ich habe einen Rechtshilfe-Fonds finanziert, durch den “Bild”-Opfern zu Gegendarstellungen und Unterlassungen verholfen wurde bis hin zu Schadenersatz und Schmerzensgeld: Zum Beispiel für die hinterbliebenen minderjährigen Söhne eines Mannes, der sich nach einem Verleumdungsartikel umbrachte. In seinem Abschiedsbrief rief er zum “Bild”-Boykott auf: “Diese Schande kann ich nicht überwinden, ich wollte zuerst diesen Verbrecher, der K. [der “Bild”-Reporter] heißt, umbringen. Aber ihr solltet keinen Mörder als Vater haben. Durch meinen Tod aber ist er zum Mörder geworden. Wer etwas Ehrgefühl und Verstand hat, der sollte dieses Lügenblatt nicht kaufen!”

Es gibt heute natürlich auch eine andere Gegenöffentlichkeit: Es gibt die Rügen des Presserats, “Bild” liegt hier mit weitem Abstand vorne, lehnt es aber häufig ab, sie abzudrucken. Es gibt die Kollegen vom BILDblog, einige Prominente boykottieren “Bild”, und viele Gerichte betrachten die Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht mehr als Kavaliersdelikt.

Mehmet Scholl, Folge 6: “Die ‘Bild’-Zeitung hat mich ein Jahr lang völlig zerlegt, weil ich nicht mit ihnen gesprochen habe. […] Wenn die “Bild” im Sport alles schreiben würde, was sie wissen … Das tun sie aber nicht, weil sie schlau genug sind, zu wissen: Wir bekommen andere Informationen im Austausch dafür.”

Wallraff: Das sagt natürlich sehr viel aus. Da wird jemand zum Feindbild, weil er nicht mit “Bild” spricht. Und dass man bestimmte Geheimnisse nutzt, um an andere Informationen zu gelangen, das ist eigentlich eine Geheimdienst-Strategie: Wenn bestimmte Dienste Material über Verfehlungen von Politikern besitzen, können sie diese bei Bedarf “gefügig” machen.

Mehmet Scholl: “Ich habe mit der ‘Bild’ die Abmachung: keine privaten Storys. Wenn eine kommt, fragt mich – und dann haben wir es immer gemeinsam entschieden.”

Wallraff: Es gibt Prominente, die der “Bild” bis ins Intimleben hinein Dinge preisgeben, weil sie glauben, dass es ihnen nützt und dass sie geschont werden. Christian Wulff hat sich bis hin zur Home-Story zur Verfügung gestellt, aber es hat ihm nichts genützt. Er war für “Bild” irgendwann fällig, vermutlich aufgrund seiner Äußerung “Der Islam gehört zu Deutschland”. Da ging der Daumen nach unten, und es folgte eine der infamsten Rufmordkampagnen.

Was denken Sie heute über Journalisten, die für “Bild” arbeiten?

Wallraff: Ich differenziere. Wir haben jetzt einen gesehen, der von der “FAZ” zur “Bild” gegangen ist, die Mehrheit hat, glaube ich, eine Journalismus-Ausbildung. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen würde ich mich aber nicht auf ein Interview oder eine Home-Story einlassen. Und denjenigen, die es tun, würde ich einen Warnhinweis mitgeben: “Alles, was Sie fortan sagen oder auch nicht sagen, kann gegen Sie verwendet werden.”

Ich kenne auch Menschen, die, durch meine Aufdeckungen inspiriert, zur “Bild” gegangen sind, weil sie es selber wissen wollten. Sandra Maischberger zum Beispiel erzählte in einem “Tagesspiegel”-Interview [Ausgabe vom 10. Februar 2002], dass sie deswegen bei “Bild” ein Praktikum machte und dann ein bisschen enttäuscht gewesen sei, weil sie das “Über-Leichen-gehen” dort nicht erlebt habe. Sie wurde dann übrigens am Ende gefragt, wie oft sie in dem Interview gelogen habe, worauf sie antwortete: einmal. (lacht)

Sollten Politiker heute “Bild” boykottieren?

Wallraff: Das wagt doch kaum noch jemand, aber sie sollten der eigenen Glaubwürdigkeit wegen zumindest Distanz wahren.


Günter Wallraff heute als Günter Wallraff. (Foto: Privat)

Hat man Sie eigentlich für die Amazon-Dokumentation angefragt?

Wallraff: Nein, ich hätte da auch abgesagt. Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.

Sie selbst sagen von sich, dass Sie Amazon boykottieren. Warum kann man dann Ihre Bücher dort kaufen?

Wallraff: Das kann ich leider nicht verhindern. Ich habe meinen Verlag schon vor langer Zeit angewiesen, meine Bücher nicht an Amazon auszuliefern. Mir wurde gesagt, ich würde dadurch zehn bis 15 Prozent Umsatz verlieren – damit kann ich leben. Amazon unterläuft meinen Boykott, indem sie meine Bücher jetzt über Zwischenhändler ordern. Das kann ich nicht verhindern, aber so muss Amazon sie etwas teurer einkaufen, als wenn mein Verlag sie direkt beliefert. Für mich ist Amazon eine globale Seuche, gegen die auch kein Impfstoff hilft.

Seuche ist ein starkes Wort, nicht nur angesichts der aktuellen Situation, wo Menschen froh sind, wenn sie Geschenke online kaufen können.

Wallraff: Das ist das Tragisch-Vertrackte, so ist Amazon auch noch der größte Corona-Krisengewinner, kann seine Umsätze verdoppeln und durch Steuervermeidungsstrategien Milliarden am Staat vorbei einstreichen. Ich verstehe jeden, der keine Möglichkeit hat, in ein Geschäft zu gehen, und deswegen online etwas bestellt. Ich selbst kann und möchte dieses Allmachtstreben von Jeff Bezos nicht unterstützen, der sein Unternehmen ursprünglich “Relentless”, “Gnadenlos” nennen wollte und Konkurrenten als Gazellen bezeichnet, die man jagen müsse. Die Innenstädte sterben aus, die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind miserabel – es ist eine seelenlose, total überwachte Arbeitsorganisation. Ich kenne Menschen, die bei Amazon gearbeitet haben und von unheimlichem Druck erzählen. Wer nicht mindestens im Durchschnitt der übrigen Mitarbeiter liegt, fällt heraus. Und nach dem Weihnachtsgeschäft wird aussortiert. Dafür nutzt Amazon den Begriff “ramp down”, der aus dem Vieh-Transport stammt und so viel bedeutet wie “die Rampe runter treiben”. Diejenigen, die entlassen werden, können sich ja dann später neu bewerben, man will so ihre Festanstellung verhindern.

Zum Schluss: Haben Sie mit “Team Wallraff” aktuell jemanden bei “Bild” eingeschleust?

Wallraff: Kein Kommentar.

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Werbe-Apotheke “Bunte”, Mistel-Mist, Cookie- und Tracker-Plage

1. Ohne Markennamen können “Bunte”-Leser mit Gesundheits­tipps nichts anfangen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier hat im Gesundheitsteil der “Bunten” geblättert. Dort gibt es allerlei Tipps gegen Wehwehchen jeder Art, die auffällig oft von passenden Anzeigen begleitet werden. Ein gravierender Verstoß gegen das Trennungsgebot von Redaktion und Werbung, wie auch der Deutsche Presserat findet. Die “Bunte” hat eine Stellungnahme abgegeben, die zugleich nichts- und vielsagend ist.

2. Wir pfeifen auf Ihre Privatsphäre
(gutjahr.biz)
Richard Gutjahr beschäftigt sich mit einem Thema, das uns beim Surfen tagtäglich begleitet: Cookies und den unübersichtlichen und irreführenden Cookie-Dialogfenstern. Selbst seriöse Nachrichtenseiten würden die Code-Schnipsel im Übermaß einsetzen. Bei der “Süddeutschen Zeitung” beispielsweise sollen es 470 Tracker sein, die auf die Besucherinnen und Besucher losgelassen werden. Auf seine Nachfragen bei den Verlagen habe Gutjahr nur ausweichende oder falsche Antworten bekommen. Wenn ihm denn überhaupt geantwortet wurde.

3. Die Sendung mit dem Rudi
(twitter.com/AnthroBlogger, Oliver Rautenberg)
Die “Sendung mit der Maus” hat eine siebenminütige Sachgeschichte über die Mistel produziert, eine Pflanzensorte, die als Halbschmarotzer auf Bäumen oder Sträuchern wächst. Mit dabei ein “Mistel-Experte” aus dem Bereich der esoterischen Pseudomedizin. Anthroposophie-Kenner Oliver Rautenberg dröselt die Sache auf und erklärt, was an dem Mistel-Filmchen Mist ist.

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4. Schlecht bezahlt als Medienprofi – was soll man wegen anderer Vorteile hinnehmen, was nicht?
(kress.de, Attila Albert)
Medienschaffende verdienen oft wenig. Besonders hart treffe es Selbstständige (zum Beispiel freie Reporterinnen), Pauschalisten, Berufsanfängerinnen und junge Führungskräfte. Attila Albert gibt praktische Empfehlungen zu Einkommensanalyse und Einkommenssteigerung. Dabei nennt er auch konkrete Zahlen und gibt Tipps zur Verhandlungstaktik.

5. 8 Gründe warum Spiegel TV die Goldene Kartoffel verdient hat
(schantall-und-scharia.de, Fabian Goldmann)
Der Negativpreis der Neuen deutschen Medienmacher*Innen, die “goldene Kartoffel”, ging dieses Jahr an “Spiegel TV”. Den Preis hätten sich die Reporter redlich verdient, findet Fabian Goldmann und hat dafür einige Argumente: “Spiegel TV” produziere Rassismus und verbreite gefährliche Verschwörungserzählungen. Die Redaktion verzichte selbst bei schweren Anschuldigungen auf Belege und übernehme unkritisch Angaben der Polizei. Betroffene und Beschuldigte kämen nicht ausreichend zu Wort, stattdessen biete “Spiegel TV” den Kriminellen eine Bühne zur Selbstinszenierung. Goldmann fühle sich bei den Reportagen eher an Scripted-Reality-Dokus erinnert.

6. “Dinner for One”: Ein Dutzend Fakten zum Silvesterkult
(rnd.de)
Bei vielen hat es sich zum Jahresausklangs-Ritual entwickelt: Silvester wird im Fernsehen “Dinner for one” geschaut. Natürlich gibt es den Schwarzweiß-Sketch um den 90. Geburtstag einer britischen Lady und die zunehmende Trunkenheit ihres Butlers auch 2020 wieder zu sehen. Wer mit Trivia zum Fernsehkult punkten will, sollte vorher die zwölf Hintergrund-Fakten überfliegen.

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