Suchergebnisse für ‘Presserat Bild’

“Bild TV” ohne 20 Millionen, Fonds für Pressefreiheit, Browser Ballett im TV

1. Presserat rügt SZ
(sueddeutsche.de)
Der Presserat hat einen Online-Text der “Süddeutschen” über den Mord an fünf Kindern in Solingen gerügt, in dem zunächst Zitate aus einem Whatsapp-Chat des sechsten Kindes zu lesen waren. Später hatte die Redaktion diese Zitate gelöscht, ist nun jedoch für die Ursprungsversion gerügt worden. Anstatt das unangenehme Thema zu ignorieren, reagiert die “SZ”, wie man es sich von manch anderem gerügten Medium wünschen würde: “Die Chefredaktion der SZ hält die Rüge für gerechtfertigt und bedauert den Fehler.”

2. Renner: Springer verweigert “Bild TV” zusätzliche Gelder.
(turi2.de, Andreas Grieß)
Laut einem Bericht der “Berliner Zeitung” (Bezahlartikel) hatte “Bild”-Chef Julian Reichelt fest damit gerechnet, weitere 20 Millionen Euro für den Ausbau von “Bild TV” zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Springer-Aufsichtsrat habe ihm die Mittel jedoch verweigert. Ein Grund: Die größtenteils kläglichen Zuschauerzahlen. Bei der Verleihung des Axel-Springer-Awards an Tesla-Chef Elon Musk hätten beispielsweise nur 260 Menschen zugeschaut.
Nachtrag: Die “Berliner Zeitung” musste ihren Artikel um folgenden Hinweis ergänzen: “In einer vorherigen Version schrieben wir, am 17. November habe der Springer-Aufsichtsrat beschlossen, ‘Mittel in Höhe von mindestens 20 Millionen Euro für Bild Live’, würden ‘nicht fließen’. Inzwischen teilte Axel Springer mit, dass am 17. November in einer Vorstandssitzung ‘für das Jahr 2021 für Bild Live ein Investitionsvolumen von ca. 22 Millionen Euro bestätigt worden’ sei. Zudem ist uns im ursprünglichen Text eine Verwechslung unterlaufen: Nicht die Verleihung des Axel-Springer-Awards sahen bei Bild Live im Schnitt 260 Zuschauer. Tatsächlich hatte diese Quote ein Interview mit dem Tesla-Chef im Vorfeld der Preisverleihung.”

3. Die Top-Listen 2020 der besten Videos des Jahres stehen fest
(blog.youtube)
Youtube hat seine Bestenlisten für Deutschland veröffentlicht: die “Top Trending Videos”, die “Top-Musikvideos”, die “Top Creator” und die “Breakout Creator” (größte Durchstarter des Jahres) des Jahres 2020. In der Video-Bestenliste wurden keine Musikvideos, Trailer und Kindervideos einbezogen. Sie wird angeführt vom Corona-Video der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, einem Video über die Belästigung von Frauen (“Männerwelten” von Joko und Klaas) und Bibis Haus-Tour. Wer sein Medien-Universum erweitern oder einfach nur erfahren will, was derzeit so angesagt ist, bekommt hier eine gute Übersicht.

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4. Twitter will mehr Gruppen vor »Entmenschlichung« schützen
(spiegel.de)
Twitter hat seine “Richtlinie zu Hass schürendem Verhalten” überarbeitet. Verboten ist nun auch die “Entmenschlichung einer Gruppe” aufgrund von “Kaste”, “nationaler Herkunft” oder “ethnischer Zugehörigkeit”. Inwieweit sich die überarbeiteten Regeln in der Praxis auswirken werden, ist noch unklar. Ähnlich unklar wie die Konsequenzen bei Verstößen gegen die Twitter-Richtlinie, die vom Einzelfall anhängen würden. Arisha Michelle von der US-Menschenrechtsorganisation Color of Change sagt, die Ankündigung falle in die “wachsende Kategorie von zu unbedeutenden, zu späten PR-Stunts”.

5. Ein Fonds für die Pressefreiheit
(verdi.de, Sarah Schäfer)
Beim jüngsten Medien-Meeting der Gewerkschaft dju (Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union) ging es um den Druck, der durch Klagen auf Redaktionen ausgeübt wird. Dass juristische Mittel eingesetzt werden, um eine ungewünschte Berichterstattung zu beeinflussen oder zu verhindern, sei längst keine Ausnahme mehr. In dem Beitrag geht es auch um den “Prinzenfonds”, der Menschen unterstützt, die wegen Aussagen über das Haus Hohenzollern abgemahnt oder verklagt werden.

6. Browser Ballett
(ardmediathek.de, Video: 29:38 Minuten)
Auf Youtube hat der Satire-Kanal “Browser Ballett” etwa 300.000 Abonnenten gewinnen können. Das öffentlich-rechtliche Format aus der Funk-Familie hat nun den Sprung aus dem Internet ins klassische ARD-Programm geschafft. Highlight der Sendung aus unserer Sicht: Ein satirischer Einblick in den “Bild”-Redaktionsalltag mit Julian-Reichelt- und Paul-Ronzheimer-Doubles, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Die geschilderten Szenen scheinen bei aller Überzeichnung durchaus vorstellbar (ab Minute 1:20).
Weiterer Lesehinweis: Nur mit indirektem Medienbezug, aber sehr lesenswert: Der Bericht “Ich war in der Psychiatrie und es war die beste Zeit meines Lebens” vom “Browser Ballett”-Gründer Schlecky Silberstein.

Bild.de zeigt Vergewaltigungsopfer

Die “Bild”-Redaktion zeigt alles, ohne Rücksicht auf irgendwas oder Empathie für irgendwen: Sie zeigt Tatverdächtige unverpixelt, Täter unverpixelt, falsche Täter unverpixelt, Opfer unverpixelt, falsche Opfer unverpixelt, getötete Kinder unverpixelt, den WhatsApp-Chat eines Elfjährigen, der gerade erfahren hat, dass seine fünf Geschwister getötet wurden, unverpixelt; sie zeigt auch ein Foto, auf dem eine Frau zu sehen ist, die kurz zuvor vergewaltigt wurde, unverpixelt.

Vor etwa zwei Wochen hat der Deutsche Presserat wieder einen Schwung Rügen verteilt. Insgesamt 15 Stück, sechs davon gingen an “Bild” beziehungsweise Bild.de (eine davon übrigens für die Berichterstattung, um die es oben bei “falsche Täter unverpixelt” geht). Vor allem über eine Rüge berichteten mehrere Medien: die zum “Bild”-Artikel “Fragwürdige Methoden: Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch” über den Virologen Christian Drosten. Eine andere Rüge, die der Presserat gegen Bild.de aussprach, wird in der Berichterstattung hingegen nur nebenbei erwähnt, wenn überhaupt. Dabei war das Vorgehen von Bild.de ausgesprochen skrupellos: “Redaktion zeigt Vergewaltigungsopfer”, schreibt der Presserat dazu. Den Fall wollen wir hier nachträglich noch einmal dokumentieren.

Am 23. März auf der Bild.de-Startseite:

Screenshot Bild.de - Plötzlich bricht eine Welt zusammen - Mein Papa hat mir gesagt, dass er ein Vergewaltiger ist
(Unkenntlichmachung der Augen des Jungen durch Bild.de, weitere Verpixelung durch uns.)

Ein Junge habe seinen Vater im Gefängnis besucht. Der 43-jährige Mann habe seinem neunjährigen Sohn bei diesem Besuch erzählt, dass er “ein Vergewaltiger und ein ­Mörder, ein versuchter Mörder” sei, so der Junge laut Bild.de. Daher die Überschrift.

Im dazugehörigen Artikel zeigt Bild.de auch ein Foto, auf dem ein Polizeiauto, ein Rettungswagen, Polizisten und eine Frau zu sehen sind. Die Frau ist in eine Decke eingewickelt. In der Bildunterschrift steht:

Am Morgen des 12. Oktober 2019 wurde eine Studentin (20) gefesselt in einem Gebüsch gefunden. Sie wurde sofort ins Krankenhaus gebracht

Die Studentin wurde entführt, vergewaltigt, ausgesetzt und nur per Zufall von einem Mann entdeckt, der anschließend die Polizei rief. Auf dem Foto, das den Polizeieinsatz zeigt und das Bild.de veröffentlichte, ist das Opfer zu erkennen. Der Presserat schreibt dazu:

BILD.DE erhielt eine Rüge für die Berichterstattung “Mein Papa, hat mir gesagt, dass er ein Vergewaltiger ist”. In der Berichterstattung zeigte die Redaktion das unverpixelte Fotos eines Vergewaltigungsopfers kurz nach seinem Auffinden durch die Polizei. Der Ausschuss sieht in der erkennbaren Abbildung einen schweren Verstoß gegen den Opferschutz nach Richtlinie 8.2 des Pressekodex.

Am vergangenen Freitag veröffentlichte der Presserat eine detailliertere Dokumentation zu der Rüge (hier zu finden unter dem Aktenzeichen 0311/20/2). Demnach reagierte die “Bild”-Redaktion erst überhaupt nicht auf die Aufforderung, zu der Beschwerde Stellung zu nehmen; nach erneuter Aufforderung antwortete die Rechtsabteilung des Springer-Verlags, dass die Veröffentlichung des Fotos zulässig sei, da die Frau bei der vorhandenen Bildauflösung überhaupt nicht zu erkennen sei.

Das sah der Beschwerdeausschuss des Presserats anders:

Anders als die Zeitung ist der Ausschuss der Meinung, dass die Frau auf einem der beiden Fotos erkennbar abgebildet worden ist. Die Abbildung eines Opfers unmittelbar nach der Straftat stellt einen schweren Verstoß gegen dessen Persönlichkeitsschutz dar. Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Nur weil jemand zufällig Opfer eines Verbrechens wird, darf er nicht automatisch identifizierbar in den Medien gezeigt werden. Die Frau ist keine Person des öffentlichen Lebens. Die Redaktion kann auch keine Einwilligung vorlegen, die eine Ausnahme von Richtlinie 8.2 begründen könnte.

Inzwischen ist das Gesicht der Frau bei Bild.de verpixelt.

Ein Teil der Beschwerde richtete sich auch gegen die Abbildung des Neunjährigen auf der Bild.de-Startseite und im Artikel. Seine Augen wurden von der Redaktion zwar etwas verpixelt, aber erstens ist die Verpixelung so klein, dass ihn viele, die ihn ab und zu mal sehen, auf dem Foto wiedererkennen dürften. Zweitens wird sein Vorname genannt, der abgekürzte Nachname, Bild.de schreibt, in welche Klasse er geht, nennt den Vornamen des Vaters und den Vornamen der Mutter. Und drittens ist die Mutter auf dem Foto unverpixelt zu sehen, wodurch jede Person, die die Mutter kennt, auch weiß, um welches Kind es sich handelt. Dennoch gab es dafür keine Rüge, da der Redaktion eine Erlaubnis der Mutter vorlag. Der Presserat bewerte “die Abbildung des Sohnes durchaus kritisch”, …

… sieht jedoch keinen Anlass dafür, die Selbstbestimmung der Mutter und deren Entscheidung zur Einwilligung in Frage zu stellen.

Bleibt die Frage, ob eine Redaktion unbedingt alles machen muss, was sie darf.

Mit Dank an Horst W. für den Hinweis!

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Presserat rügt mal wieder, Wirrer Kunst-Coup, Schlagzeilen-Betrug

1. Presserat rügt “Bild”-Bericht über Drosten-Studie
(sueddeutsche.de)
Der Deutsche Presserat hat insgesamt zwölf neue “öffentliche Rügen” ausgesprochen, dabei handelt es sich um die härteste Sanktion der Beschwerdeausschüsse des Presserats. Ganz vorn bei den Gerügten mit dabei mal wieder die “Bild”-Zeitung, die in ihrer Berichterstattung über den Virologen Christian Drosten gleich mehrfach gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen habe.
Weiterer Lesehinweis: Siehe dazu auch Julia Köppes Überblick aus dem Mai: “‘Bild’-Streit mit Virologen: Wie berechtigt ist die Kritik an der ‘Drosten-Studie’?” (spiegel.de).
Über eine Kampagne der “Bild”-Redaktion gegen Christian Drosten hatten wir ebenfalls im Mai berichtet: Wie die “Bild”-Redaktion mit schmutzigen Tricks versucht, Christian Drosten zu zerlegen.

2. Ich glaube, es ist noch etwas anderes …
(twitter.com, Sebastian Dullien)
Viel wurde darüber spekuliert, warum die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” ein Interview mit Jan Böhmermann auf Geheiß von “FAZ”-Herausgeber Jürgen Kaube kurz vor Drucklegung aus dem Blatt geschmissen hat. “FAS” beziehungsweise “FAZ” hatten sich nicht zu den Gründen geäußert. War es der Unmut über das kurz davor erschienene Interview des Entertainers bei der “Süddeutschen Zeitung”? Sebastian Dullien hat eine andere Theorie und glaubt, die “FAS” sei in eine Falle Böhmermanns getappt. Die habe etwas mit dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu tun.

3. Schlagzeilen-Betrug mit falschem Merz-Versprechen
(georgstreiter.de)
“Es ist schon dreist, wie ‘Bild’ mit Schlagzeilen-Betrug versucht, neue Abonnenten für ‘bild.de’ zu keilen”, schimpft der Journalist und ehemalige stellvertretende Sprecher der Bundesregierung Georg Streiter in seinem Blog. Jüngstes Beispiel sei ein Teaser zur einem Interview mit Friedrich Merz auf der Startseite von Bild.de, der mit einer reißerischen Überschrift versehen sei, deren Aussage das Gespräch nicht hergebe. Streiter, früher selbst bei “Bild”, schreibt in seinem Fazit: “So betrügt ‘Bild’ seine Leser – und tut nebenbei Friedrich Merz einen Tort an”.

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4. Falsche Vorwürfe gegen Roth
(tagesschau.de, Patrick Gensing)
Zahlreiche Medien berichteten schier Skandalöses über die Vizepräsidentin des Bundestags: Mit einer in einem Bild festgehaltenen Daumen-runter-Geste hätte Claudia Roth ihrem Unmut über eine Rede von Innenminister Horst Seehofer Luft gemacht und dabei ihre Neutralitätspflicht verletzt. In Wirklichkeit hat es sich jedoch um ein Zeichen an CDU und CSU gehandelt, dass die vom Minister überzogene Redezeit von der Redezeit der Unionsfraktion abgezogen werde, so Patrick Gensing vom ARD-“Faktenfinder”.

5. Gegendarstellung: Spahn gegen jW
(jungewelt.de, Dennis Gabriel)
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dessen Ehemann Daniel Funke würden von der “jungen Welt” Textlöschungen und die Abgabe von Unterlassungserklärungen verlangen. Dabei gehe es um die angeblich unzulässige Berichterstattung über den Erwerb einer Villa. Die “junge Welt” sieht sich im Recht und gibt sich entsprechend kämpferisch: “Das Vorgehen von Spahn und Funke ist der Versuch, unangenehme Berichterstattung und Kommentierung zu verhindern und Journalisten einzuschüchtern. Deshalb wird der Versuch, der Tageszeitung junge Welt einen Maulkorb zu verpassen, auch mit juristischen Mitteln zurückgewiesen.”
Weiterer Lesehinweis: Auch der “Business Insider” bekam Post von Spahn und Funke: Jens Spahn wollte Berichte über Hauskauf verbieten lassen und scheitert – Gericht untersagt nur die Nennung konkreter Summen (Business Insider, Romanus Otte).

6. Wirrer Kunst-Coup im “heute journal”: Was wollte die Gestalt in Blau?
(berliner-zeitung.de, Hanno Hauenstein)
Am Freitagabend gab es im “heute journal” des ZDF eine seltsame Szene: Hinter Moderator Claus Kleber tänzelte eine Person in Schutzkleidung durchs Bild, und Klebers Stimme wurde von einer zweiten Tonspur überlagert. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um eine, natürlich abgesprochene, Aktion des Künstlers Christian Jankowski.

“Bild”s Nachtreten bis zum Umfallen, Geschlechterverteilung, Opferschutz

1. Nachtreten bis zum Umfallen
(faz.net, Michael Hanfeld)
“FAZ”-Medienredakteur Michael Hanfeld kritisiert die kampagnenartige Berichterstattung der “Bild”-Medien über beziehungsweise gegen den Virologen Christian Drosten. Hanfeld kritisiert aber auch den “Tagesspiegel”-Beitrag des Biochemikers Alexander Kekulé, der “nicht einmal mit den grundlegenden Gepflogenheiten des Wissenschaftsdiskurses vertraut sei”. Hanfelds Fazit: “So nimmt die Debatte einen Verlauf, wie ihn sich die ‘Bild’ mit ihrer zerstörerischen Macht wünscht. Sie steckt andere mit ihrem Antiaufklärungsvirus an, von dessen Symptomen wir uns bei dieser Gelegenheit abermals überzeugen können. Sie verdreht Fakten und Zusammenhänge, und sie verdreht den Kopf. Dass das Boulevardblatt davon je genesen werde, damit rechnen wir nicht.”
Weiterer Lesehinweis: Friede Springer beklagt sich über Bild-Chefredakteur Julian Reichelt (berliner-zeitung.de, Kai-Hinrich Renner).

2. Frankfurter Buchmesse 2020
(3sat.de, Nil Varol, Video: 3:26 Minuten)
Lange wurde mit einer Absage gerechnet, doch die Frankfurter Buchmesse soll auch in diesem Jahr stattfinden, wenn auch in abgespeckter Form. Dies verkündeten gestern die Verantwortlichen via Videokonferenz. 3sat hat einige kleine Verlage nach ihren Reaktionen und Erwartungen gefragt. Von den großen Publikumsverlagen hätten bereits einige abgesagt, darunter Branchenriesen wie Random House (u.a. Goldmann, Heyne, Blanvalet, Penguin, Luchterhand, DVA, Der Hörverlag), Holtzbrinck (Rowohlt, S. Fischer, Droemer Knaur, Kiepenheuer & Witsch und Argon) und Bonnier (Carlsen, Piper, Ullstein, ArsEdition, Münchner Verlagsgruppe, Thienemann und Hörbuch Hamburg).

3. Zu Gast: Der Virologe
(sueddeutsche.de, Theresa Hein)
Eine neue Studie hat sich mit der Geschlechterverteilung in der aktuellen Corona-Berichterstattung beschäftigt und bestätigt das, was man bereits ahnte: Als Experten rund um die Corona-Thematik kommen meist Männer zu Wort. Eine weitere Studie sei zu ähnlichen Ergebnissen gekommen: Der Schwede Max Berggren habe die Geschlechterverteilung in der Corona-Berichterstattung in Online-Auftritten deutscher Printmedien untersucht und auch dort meist Männer identifiziert.
Weiterer Lesehinweis: Aus dem Jahr 2019, aber dennoch interessant, weil es das Analysetool Prognosis vorstellt, mit dem der Datenjournalist Berggren Online-Auftritte von Zeitungen scannt: “Zeitungen funktionieren als Spiegel der Gesellschaft” (sueddeutsche.de, Anna Steinbauer).

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4. Twitter, Google und Facebook wehren sich gegen Trumps Dekret
(spiegel.de)
That escalated quickly: Nachdem Twitter einen Trump-Tweet mit einem Faktenchecker-Hinweis versehen hat, erließ der US-Präsident in Windeseile ein Dekret, mit dem er Soziale Medien stärker in die Haftung und damit dominieren will.
Weiterer Lesehinweis: Wer mehr über die Hintergründe erfahren möchte, sei Tomas Rudls Einordnung des Vorgangs bei netzpolitik.org empfohlen: Der mächtigste Mann der Welt, das ewige Opfer.

5. Amazon: will good take care of you?
(youtube.com, Friedrich Küppersbusch, Video: 5:16 Minuten)
Friedrich Küppersbusch ist sauer: “F*ck°ng relentless: Wie die weltweit größte Niedriglohnkeimschleuder amazon zum Müttergenesungswerk mit Bücherregal avanciert.” Hintergrund sind die übereinstimmenden und wortgleichen PR-Lobhudeleien auf das Unternehmen Amazon, die in diversen amerikanischen Nachrichtensendungen als Pseudo-Nachricht verlesen wurden.

6. Presserat: “Bild” hält sich nicht an den Opferschutz
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der Presserat hat sechs Rügen an Medien für Verstöße gegen den Pressekodex ausgesprochen — fünf davon gingen an “Bild” beziehungsweise Bild.de. Wie schon so oft wurde vor allem der ungenügende Opferschutz gerügt.
Weitere Guckempfehlung: Die Autorin und Satirikerin Sarah Bosetti hat “Post für die Bild-Zeitung”: “Liebe Bild, ich möchte Euch beglückwünschen. Ihr habt geschafft, was noch kaum jemandem gelungen ist. Ihr könnt die Welt zu einem besseren Ort machen. Alles, was Ihr dafür tun müsst, ist: nicht mehr arbeiten.” (facebook.com, radioeins, Video, 2:00 Minuten).

Bei Mordverdacht macht “Bild” einen Deutschen wieder zum Flüchtling

Wann ist man eigentlich Deutscher? Also so richtig deutsch, akzeptiert sogar von der “Bild”-Redaktion? Braucht man dafür einen deutschen Namen, deutsche Vorfahren, ein irgendwie geartetes deutsches Aussehen? Muss man in Deutschland geboren sein? Oder reicht die deutsche Staatsbürgerschaft?

In Leipzig soll ein Mann seine Ex-Freundin getötet haben. Der 30-Jährige ist Deutscher mit deutschem Pass und lebt seit knapp 25 Jahren in Deutschland. Als 6-Jähriger flüchteten er und seine Familie aus Afghanistan, was bei dieser Geschichte eigentlich keine Rolle spielen sollte. “Bild” und Bild.de sehen das offenbar anders. Denn wenn man möglicherweise zum Straftäter geworden ist, dann kann man noch so lange schon in Deutschland leben und einen noch so deutschen Pass haben. Dann ist man direkt: einstiger “Vorzeigeflüchtling”, wie die “Bild”-Redaktion in einem Facebook-Teaser schreibt.

Mehrere Tage berichteten die “Bild”-Medien in der vergangenen Woche über den Fall. In ihrer Leipzig-Ausgabe titelte die “Bild”-Zeitung am Mittwoch:

Ausriss Bild-Zeitung - Myriams Killer war mal ein Musterbeispiel gelungener Integration

Man kann nur mutmaßen, was der Leserschaft eine solche Überschrift sagen soll — hängen bleibt aber irgendein Zusammenhang zwischen Migration und Gewaltverbrechen. Und dann noch nicht mal von irgendeinem sowieso schon kriminellen Dahergelaufenen verübt, sondern von einem “Musterbeispiel gelungener Integration”. Wenn jetzt die sogar schon …

Die Onlineversion des Artikels wurde über 4000 Mal bei Facebook geteilt, von AfD-Politikern und -Ortsverbänden, von der NPD, von “Pegida”, von Facebookgruppen mit Namen wie “Büdingen wehrt sich — Asylflut stoppen”, “Klartext für Deutschland — FREI statt bunt” und “Aufbruch deutscher Patrioten”. Sie alle stürzen sich auf die Bezeichnungen “Vorzeigeflüchtling” und “Musterbeispiel gelungener Integration”. Die “Bild”-Redaktion weiß sehr genau, für wen sie schreibt.

Den viel passenderen größeren Zusammenhang lässt sie hingegen außen vor: Gewalt gegen Frauen. Der Tod der Frau in Leipzig reiht sich ein in die zahlreichen Frauenmorde, die hierzulande und überall auf der Welt eine traurige Alltäglichkeit haben. Wegen Fällen wie diesem gab es in letzter Zeit Debatten zu verharmlosenden Bezeichnungen in Medien wie “Beziehungsdrama”: Gewalttaten in Beziehungen sollen nicht mehr als einzelne “Tragödien” beschrieben werden, sondern als strukturelles Problem. Die dpa kündigte beispielsweise an, künftig auf Begriffe wie “Familientragödie” verzichten zu wollen.

Anders Bild.de. Als die genauen Hintergründe der Tat in Leipzig noch nicht bekannt waren, titelte die Redaktion:

War der Mordversuch eine Beziehungstat?

Kolumnistin Katja Thorwarth schrieb vergangenes Jahr in der “Frankfurter Rundschau” darüber, “warum Mord keine ‘Beziehungstat’ ist”. Solche Überlegungen scheinen an “Bild” spurlos vorbeizugehen.

Das gilt auch für Überlegungen zu Persönlichkeitsrechten: Regelmäßig veröffentlichen die “Bild”-Medien unverpixelte Fotos von Tatopfern und von bisher nicht verurteilten Tatverdächtigen. Die Unschuldsvermutung ist der Redaktion eher lästig. Und so lässt “Bild” auch diese Gelegenheit nicht aus und zeigt sowohl ein Foto der Getöteten als auch eines des mutmaßlichen Täters ohne jegliche Unkenntlichmachung.

Das Foto der Getöteten hat “Bild” vom Facebook-Account der Frau:

Screenshot Bild.de - Foto: Facebook

Dabei hatte der Deutsche Presserat schon vergangenen Dezember festgestellt:

Facebookeintrag kein Freibrief für Verwendung von Opferfotos

Konkret ging es damals um einen Fall, bei dem Bild.de ein Foto einer getöteten Frau von Facebook gezogen und veröffentlicht hatte — für den Presserat ein Verstoß gegen den Opferschutz. Der Ehemann des Opfers sei in den Sozialen Netzwerken zwar offen mit dem Tod seiner Frau umgegangen, so das Gremium, trotzdem hätte die “Bild”-Redaktion eine Erlaubnis zur Veröffentlichung der Bilder einholen müssen:

Die Veröffentlichung von Fotos und Angaben zu Opfern durch die Angehörigen in sozialen Netzwerken ist nicht gleichzusetzen mit einer Zustimmung zu einer identifizierenden Darstellung in den Medien.

Gab es für die “Bild”-Berichterstattung aus Leipzig so eine Zustimmung? “Bild”-Sprecher Christian Senft wollte sich dazu nicht äußern: Man kommentiere, “wie üblich”, keine redaktionellen Entscheidungen. Nach unserer Anfrage hat die Redaktion die Fotos des Opfers bei Bild.de verpixelt.

Mit Dank an Maria T. und anonym für die Hinweise!

Nachtrag, 23:24 Uhr: Mit dem Herauskramen der Bezeichnung “Vorzeigeflüchtling” ist die “Bild”-Redaktion nicht allein. Auch Sächsische.de bezeichnet den Tatverdächtigen in einem später erschienenen Artikel so.

Mit Dank an @doestrei für den Hinweis!

Nachtrag, 21. April: Auch die “Leipziger Volkszeitung” berichtet von dem Fall und schreibt über den Tatverdächtigen, er sei ein “Musterbeispiel gelungener Integration” gewesen.

“Tag24” bekommt es hin, den Mord an der Frau sprachlich auf ganz besondere Weise zu verharmlosen: Die Redaktion schreibt vom “dramatischen Höhepunkt einer toxischen Liebe im Sozialarbeiter-Milieu”.

Mit Dank an @RASSISMUSTOETET für den Hinweis!

Bild.de ist auf der Suche nach einem Antibiotikum gegen das Coronavirus

Es ist ja allein schon bedenklich, dass zwischen der Kombination aus Dachzeile und Überschrift …

Screenshot Bild.de - Hoffnung für Corona-Patienten - Deutsche Forscher entwickeln Antikörper-Therapie

… und dem vierten Absatz des Bild.de-Artikels

Der Frankfurter Wissenschaftler Professor Erhard Seifried arbeitet mit seinem Team und anderen Zentren unter Hochdruck daran, eine Studie zu starten, die genauere Ergebnisse zur Wirksamkeit liefern soll. Kann die Antikörper-Therapie schwere Verläufe abmildern? Kann sie Todesfälle verhindern? Das alles muss noch herausgefunden werden.

… die “HOFFNUNG FÜR CORONA-PATIENTEN” auf “Das alles muss noch herausgefunden werden” zusammenschnurrt. So schreibt auch der Deutsche Presserat in Ziffer 14 seines Pressekodex:

Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte.

Was die medizinische Expertise der “Bild”-Redaktion angeht, wird es etwas weiter hinten im Text aber noch bedenklicher. Zur Frage, ob die Antikörper-Therapie, die die Forscher entwickeln, “Covid-19 heilen” kann, schreibt die Bild.de-Autorin:

Nein. Bei der Antikörper-Therapie geht es nicht um Heilung, sondern um die Verhinderung schlimmer Verläufe. “Die Idee ist, dass möglichst viele Viren abgefangen werden und sich nicht mehr vermehren können”, erklärt Seifried.

Aber: Die Antikörper-Therapie ist nicht vergleichbar mit einem Antibiotikum. Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein solches Mittel gegen die Viren gefunden ist.

Das wäre wirklich eine ganz besondere medizinische Sensation: Die Entdeckung eines Antibiotikums, das nicht, wie sonst üblich, nur gegen Bakterien wirkt, sondern auch “gegen die Viren”.

Mit Dank an Florian B. und @loutum1 für die Hinweise!

Nachtrag, 16:15 Uhr: Bild.de hat die Stelle im Artikel geändert. Dort steht nun:

Der Wissenschaftler sieht die Therapie eher als Überbrückung, bis ein Heilmittel gegen das Corona-Virus gefunden ist.

Das Wort “Antibiotikum” taucht im Beitrag nun nicht mehr auf.

Am Ende des Artikels gibt es einen transparenten Korrekturhinweis der Redaktion:

Nachtrag: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Eindruck erweckt, Antibiotika würden auch gegen Viren helfen. Dem ist natürlich nicht so, Antibiotika helfen nur bei bakteriellen Infektionen.

Wann die “Bild”-Medien Roma und Romnja erwähnen

Eine Frau hat mehreren Rentnern Lügengeschichten erzählt und ihre Opfer dabei um viel Geld gebracht: Mal behauptete sie, dass sie ein Vermögen auf einem Schweizer Konto liegen hätte, an das sie aber nur rankäme, wenn man ihr Geld für Notar und Anwalt leiht; mal sagte sie, dass sie Probleme bei der Rückzahlung eines Darlehens hätte. Die Männer gaben ihr teilweise sechsstellige Summen, die sie nie wiederbekamen — insgesamt 1,5 Millionen Euro soll sich die Frau auf diese Weise ergaunert haben. Vergangene Woche wurde sie zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Bild.de und die Frankfurt-Ausgabe der “Bild”-Zeitung berichteten über den Prozess:

Screenshot Bild.de - Betrügerin gaukelte Geldprobleme vor - R. (49) zockte 1,5 Millionen Euro bei Rentnern ab
(Zur Unkenntlichmachung: Verpixelung links und Augenbalken rechts durch “Bild”, der Rest durch uns.)

Der Autor schildert in seinem Text auch das Vorgehen der Frau und schreibt als Einleitung in “Bild”:

DIE MASCHE DER ROMA:

Bei Bild.de wurde daraus eine Zwischenüberschrift:

Screenshot Bild.de - Die Masche der Roma

Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Taten der Frau mit ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu tun haben. Und es gibt genauso wenig Anhaltspunkte dafür, dass man diese “Masche” als eine “der Roma”, wohlgemerkt im Plural, bezeichnen kann.

Der Presserat schreibt in Richtlinie 12.1 seines Pressekodex:

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Genau das befürchtet die Initiative Sinti-Roma-Pride. Sie hat einen Offenen Brief an die “Bild”-Redaktion geschrieben. Zu dem “zutiefst rassistischen, reißerischen und unzutreffenden” sowie “antiziganistischen Zusatz” im “Bild”-Artikel heißt es dort:

Als Angehörige der Ethnie selbst würden wir gerne mehr darüber erfahren, wieso das unsere Masche ist und wieso wir alle trotz dieser uns fest zugeschriebenen Masche selbst noch keine 1,5 Mio. € erwirtschaftet haben, weil wir dahinter noch nicht gekommen sind, da der Großteil der deutschen Sinti und Roma eben nicht kriminell ist, sondern ganz normal einer geregelten Arbeit nachgeht.

Die Nennung der ethnischen Herkunft der verurteilten Betrügerin findet Sinti-Roma-Pride auch deswegen so auffällig, weil eine solche Nennung an andere Stelle ausbleibe: Wenn Roma und Romnja Opfer sind, wie beim rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem auch zwei Roma und eine Romni getötet wurden. Der “Bild”-Redaktion schreibt die Initiative:

Wir als Interessenvertretung für Sinti und Roma, fragen uns angesichts dieser ungleichwertigen Benennung von Tätern und Opfern, welches Motiv Sie bei diesem sich immer wieder wiederholenden Vorgehen verfolgen.

Das ist eine sehr gute Frage, finden wir.

Mit Dank an Birgit B. für den Hinweis!

Hass-Meldepflicht, Streit-Ressort, “Bild” als Werkzeug des Attentäters

1. Soziale Medien müssen Hasspostings künftig dem BKA melden
(spiegel.de, Wolf Wiedmann-Schmidt)
Betreiber Sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Youtube müssen Hasspostings künftig dem Bundeskriminalamt melden. So sehen es jedenfalls die Änderungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vor, auf die sich Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium verständigt haben. Das Löschen allein reicht nicht mehr aus. Die Betreiber sind verpflichtet, die IP-Adresse und Portnummer herauszugeben, mit denen man zumindest das verwendete Endgerät ermitteln kann. Beleidigungen seien jedoch nicht von der Regelung betroffen. Der Strafverteidiger Udo Vetter kommentiert bei Twitter: “Soziale Netzwerke werden jetzt zu Denunziationsmaschinen umgebaut. Freut euch, wenn ihr eure erste polizeiliche Vorladung bekommt, z.B. weil weder der hochqualifizierte Melder bei Twitter noch die Polizei Ironie verstehen.”

2. Ermitt­lungen gegen Jour­na­listen ein­ge­s­tellt
(lto.de)
Nach der Veröffentlichung des “Ibiza-Videos” hatte der frühere österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache zwei Journalisten, eine Journalistin und zwei Chefredakteure der “Süddeutschen Zeitung” angezeigt. Die Staatsanwaltschaft München hat die Ermittlungen nun jedoch eingestellt. Es habe ein “überragendes Interesse an der Berichterstattung über die thematisierten Missstände” gegeben.

3. Presserat: bild.de als Werkzeug des Attentäters von Halle
(stefan-fries.com)
Der Deutsche Presserat hat Bild.de für die Veröffentlichung von Videomaterial gerügt, das von dem Attentäter von Halle stammt. Der Presserat erkläre dazu: “In dem Video unter dem Titel ’35 Minuten Vernichtungswahn’ ordnete ein Reporter die gezeigten Sequenzen zwar ausführlich ein. Jedoch übernahm die Redaktion die Dramaturgie des Täters, indem sie seine Vorgehensweise chronologisch vom Laden der Waffen bis hin zu den Sekunden vor und nach den Mordtaten zeigte. Bei beiden Szenen konnten die Zuschauer aus der Perspektive des Täters quasi live dabei sein. Diese Darstellung geht über das öffentliche Interesse hinaus und bedient überwiegend Sensationsinteressen.”

4. Zeitungswende in Italien
(faz.net, Tobias Piller)
“FAZ”-Wirtschaftskorrespondent Tobias Piller kommentiert die Übernahmeschlacht um die italienische “La Republiucca”: “Ausgerechnet diejenige Zeitung, die einst als Stimme gegen das italienische Establishment gegründet worden war, wird nun von denen übernommen, die wie sonst niemand die etablierten Mächte in Italien repräsentieren — von der Familie Agnelli.”

5. NZZ: «Transparenz ist durchaus gegeben»
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Der “NZZ” lag eine zwölfseitige Verlagsbeilage zur Immuntherapie bei (“Wie unser Körper Krebs bekämpfen kann”). Die Beilage habe sich auf den ersten Blick nicht vom unabhängigen Redaktionsteil der “NZZ” unterschieden, sei jedoch vom Pharmakonzern MSD (Merck Sharp & Dohme) in Auftrag gegeben worden. Urs P. Gasche hat bei der Zeitung nachgefragt, ob es für die Leserinnen und Leser nicht transparenter gewesen wäre, statt “Verlagsbeilage” etwa zu titeln: “Beilage des Pharmakonzerns MSD”? Gasche hat eine Antwort auf seine Frage bekommen, die ihn jedoch nicht zufriedenstellt.

6. Und jetzt? Zoff!
(taz.de, Erica Zingher & Peter Weissenburger)
Seit einem Vierteljahr existiert das neue Streit-Ressort der “Zeit”. Erica Zingher und Peter Weissenburger haben sich das Ressort genauer angeschaut und ziehen eine vorläufige Zwischenbilanz: “‘Streit’ verdeutlicht, dass die Debatte über die Meinungsfreiheit im Kern an einer Grundannahme hängt: Wer glaubt, dass Deutschland drauf und dran ist, in der Mitte auseinanderzureißen, wird viel in Kauf nehmen, um dies zu verhindern, womöglich eine folgenschwere Öffnung nach rechts. Wer das anders sieht, muss davor warnen. Das alles ist, Sie ahnen es, eine Streitfrage.”

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“Bild”, Kai Diekmann und der Wunder-Krebstest

Vor zwei Monaten verkündete die “Bild”-Zeitung eine “Weltsensation”, die jedoch gar keine war — und die sich zu einem wissenschaftlichen und journalistischen Skandal entwickelte, zu dem inzwischen sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt. Beteiligte, unter anderem: die Uniklinik Heidelberg und ein chinesisches Pharmaunternehmen. Auch Ex-“Bild”-Chef Kai Diekmann spielt bei der Geschichte eine Rolle.

Eine Chronik.

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21. Februar 2019: Exklusiv bejubelt die “Bild”-Zeitung auf der Titelseite eine “Weltsensation aus Deutschland”:

Es sei “ein echter Durchbruch”, heißt es da, eine “medizinische Sensation”:

Seit vielen Jahren wird daran geforscht, Krebs im Blut zu erkennen. Ärzte der Universitätsklinik Heidelberg erreichten jetzt revolutionäre Ergebnisse: Sie weisen mit einem Test Brustkrebs im Blut nach. Und zwar mit einer Treffsicherheit, die vergleichbar ist mit der einer Mammografie! Wie BILD exklusiv erfuhr, soll der Bluttest noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.

Im Innenteil: ein großes Interview mit Christof Sohn, dem Geschäftsführenden Ärztlichen Direktor der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg.

Darin darf er den Bluttest ausführlich bewerben: viel sicherer als bisherige Tests, hohe Treffsicherheit, besonders gut für Risikopatientiennen, und so weiter und so fort.

Am selben Tag gibt die Uniklinik eine Pressemitteilung heraus, in der sie die “neue, revolutionäre Möglichkeit” des Bluttests noch einmal selbst feiert: “Dies ist ein Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik”, schreibt sie.

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21. bis 27. Februar 2019: Andere Medien greifen die Geschichte auf. Dabei melden einige schon Zweifel an, etwa “Spiegel Online” oder die “Zeit”. Viele aber, etwa “Focus Online” oder “DerWesten”, verlassen sich blind auf “Bild” und bezeichnen den Bluttest ihrerseits als “Sensation”, “Durchbruch” oder “Revolution”.


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27. Februar 2019: Sieben renommierte Verbände, von der Deutschen Krebsgesellschaft über die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bis zur Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, geben eine gemeinsame Stellungnahme heraus, in der sie die Berichterstattung kritisieren:

Eine Berichterstattung, die ohne Evidenzgrundlage Hoffnungen bei Betroffenen weckt, ist aus unserer Sicht kritisch zu bewerten und entspricht nicht den von uns vertretenen Grundsätzen medizin-ethischer Verantwortung.

Es sei einfach noch zu früh für Jubelstimmung, so die Experten: Die Studie sei “noch nicht abgeschlossen, die Ergebnisse sind nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert und der Test noch nicht zugelassen”. Daher “halten wir Schlussfolgerungen über die Validität und den klinischen Nutzen für verfrüht und raten ausdrücklich davon ab, diagnostische oder therapeutische Entscheidungen basierend auf Blutuntersuchungen zu treffen, die nicht von nationalen oder internationalen Leitlinien empfohlen werden.”

In den nächsten Tagen häuft sich die Kritik an der “Bild”-Berichterstattung, aber auch am Vorgehen der Heidelberger Forscher. So schreibt etwa Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung:

Nach üblichen wissenschaftlichen Standards veröffentlichen Forscher zuerst eine Studie in einer Fachzeitschrift, die dort begutachtet wird, und gehen erst dann an die Presse. Beim Bluttest wurde dieser Standard nicht eingehalten. Die Heidelberger Forscher sind zuerst medienwirksam zur BILD-Zeitung gegangen. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung liegt nicht vor.

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8. März 2019: Der Journalist Jan-Martin Wiarda berichtet in seinem Blog und bei den “Riffreportern” ausführlich über den Fall und deckt weitere Merkwürdigkeiten auf. “Welche Rolle spielt das Joint Venture mit einem chinesischen Pharma-Unternehmen?”, fragt er unter anderem, denn: Partner der Uniklinik sei ein chinesisches Pharmaunternehmen, dessen Aktienkurs seit einigen Tagen, insbesondere seit der gehypten Berichterstattung über den Bluttest, einen steilen Anstieg zeige.

Erstmals äußert sich auch Christof Sohn, der Geschäftsführende Ärztliche Direktor der Universitäts-Frauenklinik, der von “Bild” groß interviewt wurde, zur Formulierung “Weltsensation”: Diese Schlagzeile sei nicht angebracht gewesen, er habe sie vor Veröffentlichung auch nicht gekannt, und er und seine Kollegen hätten sie “in dieser Form” nicht mitgetragen.

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20. März 2019: Die “Rhein-Neckar-Zeitung” (“RNZ”) steigt in die Berichterstattung ein und leistet in den darauffolgenden Wochen ausgezeichnete journalistische Arbeit; ihre zahlreichen Artikel sind unter rnz.de/heiscreen nachzulesen.

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22. März 2019: Der Aktienkurs des chinesischen Pharmaunternehmens erreicht den höchsten Stand seit acht Monaten. Seit dem 21. Februar, dem Erscheinungstag des “Bild”-Artikels und der Pressemitteilung der Uniklinik, ist der Kurs um fast 60 Prozent gestiegen:

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23. bis 29. März 2019: Die Kritik reißt nicht ab. Das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg erklärt in der “RNZ”, dass die “verfrühte Kommunikation nicht den hohen Ansprüchen an eine verantwortungsvolle Wissenschaftskommunikation entspreche”. Gerade im medizinischen Bereich, “der für die Betroffenen mit so viel Ängsten und großer Hoffnung verbunden ist, darf es keine Effekthascherei geben”. Auch die Heidelberger Universität teilt mit, dass sie “eine umfassende Klärung der Vorgänge für zwingend erforderlich” halte.

Die Uniklinik ist derweil um Schadensbegrenzung bemüht. Sie “bedauert, dass es zu Irritationen gekommen ist” und verkündet die Gründung einer internen Arbeitsgruppe und einer externen Expertenkommission, die die Vorgänge aufarbeiten sollen.

Außerdem distanziert sie sich von der PR-Strategie zum Bluttest: Die Medienbegleitung habe die Heiscreen GmbH verantwortet, sagt die Kliniksprecherin der dpa. (Die Heiscreen GmbH wurde 2017 gegründet und soll den Bluttest in Deutschland vermarkten. Hauptanteilseigner ist eine Tochterfirma der Uniklinik, weitere Anteile hält über eine Beteiligungsgesellschaft der schillernde Unternehmer Jürgen Harder. Auch der von “Bild” interviewte Christof Sohn und eine weitere Ärztin der Uniklinik sind an der Heiscreen GmbH beteiligt.)

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30. März 2019: Der “Spiegel” berichtet über “Das Märchen vom Wundertest aus Heidelberg” und bringt einen alten Bekannten ins Spiel:

Wie die angebliche Weltsensation am Ende genau in der “Bild”-Zeitung landete, ist zwar nur schwer nachzuvollziehen. Fest steht aber: Ohne Zustimmung vonseiten des Universitätsklinikums ist dies nicht geschehen. Auch ein weiterer Bekannter Harders war daran offenbar beteiligt: Ex-“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der sich dazu nicht äußern will. Aber was wäre der Mann für ein Journalist, wenn er sich nicht dafür einsetzen würde, dass ein Thema, das ihm am Herzen liegt, in seine alte Zeitung kommt?

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4. April 2019: Die Uniklinik erstattet Anzeige gegen Unbekannt — warum genau, wird allerdings nicht klar. In einer Pressemitteilung teilt sie lediglich mit, dass sie sich “aufgrund der Anzeichen eines unlauteren Vorgehens bei der Entwicklung und Ankündigung” des Bluttests zu diesem Schritt veranlasst sehe. Der Sprecher der Heidelberger Staatsanwaltschaft erklärt in der “RNZ”, in der eingegangenen Anzeige stünden “weder der vermutete Tatbestand, noch weitere Hintergründe zum Sachverhalt, noch Personen, gegen die sich die Strafanzeige richtet.” Das sei sehr ungewöhnlich. Sollte sich jedoch ein Anfangsverdacht ergeben, werde die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnehmen.

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6. April 2019: Die “RNZ” berichtet, dass Vorstand und Pressestelle des Klinikums “sehr frühzeitig in die unseriöse PR-Kampagne eingeweiht” waren. So sei das “Bild”-Interview …

sowohl von der Pressestelle der Uniklinik als auch von zwei Vorständen gegengelesen worden. Achtete die Ärztliche Direktorin Annette Grüters-Kieslich auf inhaltliche Korrekturen, so freute sich der Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, über die wissenschaftliche Korrektheit: “Präziser, als ich es ‘Bild’ zugetraut hätte”.

Auch die Pressemitteilung der Klinik sei “in großer Runde abgesprochen” worden. Der Entwurf sei unter anderem an Kai Diekmann geschickt worden.

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11. April 2019: Die “RNZ” geht genauer auf die Rolle Diekmanns ein:

Kai Diekmann war von 2001 bis 2015 Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. 2018 startete er mit dem Investmentbanker Lenny Fischer den “Zukunftsfonds”. Die Markenstrategie für diesen Kapitalanlagefonds entwickelte die Digitalagentur “diesdas.digital” — die auch für die Heiscreen GmbH den Internetauftritt machte. Diekmann war “bei mehreren Treffen” in Sachen Brustkrebstest dabei, wie er der RNZ sagte, “aus Interesse”. Finanziell beteiligt sei er aber nicht. Jürgen Harder bezeichnet er gegenüber der RNZ als “persönlichen Freund”.

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11. April 2019: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen auf. Genauer: die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Mannheim. Die Anweisung dazu habe die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe erteilt, schreibt die “RNZ”:

Hintergrund der Ermittlungen soll unter anderem der Verdacht auf Kursmanipulation und Insiderhandel mit Aktien sein. Die “Bild”-Schlagzeile “Weltsensation aus Heidelberg” könnte in diesem Szenario eine gewichtige Rolle spielen, weil sie womöglich den Kurs einer Aktie in China beflügelt hat. Zwar gibt man sich bei der Justiz bedeckt und verweist lediglich auf erste Erkenntnisse durch die Berichterstattung der RNZ — ermittelt wird schließlich “in allen rechtlichen Belangen”. Dennoch kam schnell der Verdacht auf, dass hinter dem “Bluttest-Skandal” im Grunde ein Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz stecken könnte.

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14. April 2019: In der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (“FAS”) kritisiert die Leitende Ärztliche Direktorin des Klinikums, Annette Grüters-Kieslich, die Wortwahl der “Bild”-Zeitung:

“Die Schlagzeile einer Boulevardzeitung, die von einer Weltsensation in diesem Zusammenhang sprach, hat mich betroffen gemacht. Als Ärztin und Wissenschaftlerin hätte ich niemals von einer Weltsensation gesprochen; ich habe eine solche Wertung stets als vollkommen irreführend angesehen.” Man sei damit befasst, die Verantwortlichkeiten zu klären und werde die Öffentlichkeit so schnell wie möglich informieren.

Zudem deckt die “FAS” neue Details auf. So sei für die PR-Kampagne unter anderem Christina Afting zuständig gewesen — die frühere Büroleiterin von Kai Diekmann bei “Bild”. Mit der “Bild”-Berichterstattung, so Afting, habe sie jedoch nichts zu tun gehabt. Laut “FAS” soll die PR-Kampagne etwa 80.000 Euro gekostet haben.

Neben den Staatsanwälten aus Mannheim würden sich demnächst auch Spezialermittler des Landeskriminalamtes mit dem Fall befassen, schreibt die “FAS”.

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Heute: Noch sind eine Menge Fragen offen. Fest steht aber: Viele Details wären ohne die hartnäckige Arbeit einiger Journalisten, vor allem von “Riffreporter” Jan-Martin Wiarda und den Journalisten der “Rhein-Neckar-Zeitung”, wohl nie an die Öffentlichkeit gelangt. Und: Obwohl die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung, insbesondere die Bezeichnung als “Weltsensation”, von Experten als verantwortungslos und selbst von der Klinikleitung als “vollkommen irreführend” gewertet wird, steht sie auch heute noch unverändert online.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

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Nachtrag, 26. April: Wir haben die Überschrift und den ersten Absatz geändert, weil der Eindruck entstehen konnte, dass die Staatsanwaltschaft in der Sache gegen Kai Diekmann ermittelt. Dem ist nicht so.

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Nachtrag 2, 26. April: Inzwischen liegt der “RNZ” die Rechnung für die PR-Kampagne vor, die die Düsseldorfer Beratungsagentur Deekeling Arndt Advisors an die Heiscreen GmbH geschickt hat:

79.420,78 Euro rechnen die Berater ab. Sie übernahmen das gesamte Projektmanagement rund um die PR-Kampagne: das Kommunikationskonzept, die Pressemitteilung, die Pressekonferenz am 21. Februar auf einem Kongress in Düsseldorf sowie die Beantwortung und Koordination von Medienanfragen.

Besonders intensiv abgestimmt wurde die Kampagne offenbar in den zehn Tagen vor dem großen Aufschlag am 21. Februar. “Tägliche Telefonkonferenzen zwischen dem 12. und 22. Februar 2019”, listet die Agentur auf. In Rechnung gestellt werden “enge telefonische Abstimmungen und Rücksprachen” unter anderen mit dem früheren “Bild”-Chef Kai Diekmann, Heiscreen-Geschäftsführer Dirk Hessel, den Bluttest-Erfindern Sarah Schott und Christof Sohn, Harders Anwalt Thomas Dörmer sowie Doris Rübsam-Brodkorb, der Pressesprecherin des Universitätsklinikums.

Bemerkenswert ist die enge Abstimmung mit Kai Diekmann, dem Ex-Chefredakteur der “Bild”-Zeitung und persönlichen Freund von Jürgen Harder. Dazu passt: Die Rechnung hat Christina Afting geschickt. Sie ist “Managing Director” bei der Agentur — und leitete früher das Büro Diekmann bei der “Bild”.

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23.Mai: Das Blog “Medwatch” berichtet, dass der Test “anders als bislang kommuniziert nicht nur nicht marktreif ist — sondern eigentlich wertlos.” Das gehe aus Unterlagen hervor, die “Medwatch” von der Pressestelle der Uniklinik erhielt.

Demnach erhält fast jede zweite gesunde Frau einen falsch positiven Befund — was bislang öffentlich nicht thematisiert wurde. Bei Frauen, die älter als 50 Jahre sind, ist der Wert etwas besser: Bei diesen erhält gut jede vierte gesunde Frau einen falschen Krebsbefund, doch übersieht der Test bei zwei von fünf Brustkrebspatientinnen über 50 den Tumor.

Als besonders vielversprechend bezeichnete die Uniklinik den Test für Frauen bis 50, sowie für Hochrisikopatientinnen mit genetischen Mutationen. Dabei schlägt der Test bei der jüngeren Gruppe von Brustkrebspatientinnen zwar in 86 Prozent aller Fälle korrekt an, doch liegt hier die Spezifität bei nur 45 Prozent: Der Test liefert also bei 55 Prozent der gesunden Frauen einen falsch positiven Befund. Bei Hochrisikopatientinnen liegt die Sensitivität bei 90 Prozent, doch wiederum erhält mehr als jede zweite gesunde Frau einen falschen Krebsbefund. Dies hieße, dass ein Großteil aller Frauen, die über den Bluttest einen Krebs-Befund erhalten, in Wahrheit gesund sind.

“Medwatch” kritisiert auch die Berichterstattung verschiedener Medien, etwa die des “Focus”, der auch noch einen Monat nach Lautwerden der Zweifel titelte: “Die Sensation aus Heidelberg: Mit Bluttest Brustkrebs erkennen”.

Focus-Titselseite: Wie wir den Krebs besiegen - Mediziner können immer mehr Krebsarten erfolgreich behandeln - kleiner Schlagzeile auf der Titelseite: Die Sensation aus Heidelberg - Mit Bluttest Brustkrebs erkennen

Die “Bild”-Zeitung habe ihre Leser “bislang noch nicht über die weiteren Entwicklungen” informiert, schreibt “Medwatch”. Auf “mehrere Fragen zur Berichterstattung über den Bluttest” habe der Axel-Springer-Verlag geantwortet: “Bitte haben Sie Verständnis, dass wir redaktionelle Prozesse und Entscheidungen grundsätzlich nicht kommentieren.”

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16. August: Der Deutsche Rat für Public Relations hat die “Täuschung der Öffentlichkeit im Fall HeiScreen” gerügt:

Nach intensiver Überprüfung und Anhörung aller beteiligten Parteien hat der Deutsche Rat für Public Relations dem Vorstand des Universitätsklinikums Heidelberg und der HeiScreen GmbH eine Rüge wegen bewusster Falschbehauptung und Täuschung der Öffentlichkeit ausgesprochen. (…)

Der Rat hatte sich zur Prüfung des Falles entschieden und sieht es als erwiesen an, dass beide Parteien bei der Vorstellung des „neuen“ Verfahrens zur Diagnose von Brustkrebs eine öffentliche Produktvorstellung zugelassen und begleitet haben, die weder in Wortwahl, Zeitpunkt und Format angemessen, noch im Hinblick auf abgeschlossene Studien und die angekündigte Marktreife der Wahrheit entsprochen hat.

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29. August: Nach mehrfacher Beschwerde beim “Ombudsmann” hat “Bild” nun eine Anmerkung unter den Artikeln veröffentlicht (Links im Original):

Aktualisierung – August 2019
Die Uniklinik Heidelberg hat mittlerweile zurückgenommen, dass der oben beschriebene Bluttest zur Erkennung von Brustkrebs noch dieses Jahr auf den Markt kommen wird.

Eine unabhängige Prüfkommission hat als Zwischenergebnis unter anderem veröffentlicht, dass der Test zu früh der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, es „Führungsversagen“ und „Machtmissbrauch“ an der Universitätsklinik gab.

Inzwischen sind der Medizin-Dekan der Heidelberger Uniklinik sowie zwei Mitglieder des Vorstandes zurückgetreten. Außerdem wurde dem Direktor der Unifrauenklinik für drei Monate die Lehr- und Forschungserlaubnis entzogen.

BILD veröffentlichte am 21. Februar 2019 einen Artikel über den neuen Bluttest. Der Text basierte auf einer offiziellen Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg, in der der neue Test als „revolutionäre Möglichkeit“ und als „Meilenstein in der Brustkrebsdiagnostik“ bezeichnet wurde, sowie auf einem autorisierten Interview. Der Test wurde am 21.2. außerdem auf dem Gynäkologen-Kongress in Düsseldorf vorgestellt.

Wie geht es mit dem Test nun weiter? Das ist im Moment unklar. Abzuwarten bleibt, was die angekündigten größeren Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit des Tests ergeben. Dass diese noch ausstehen, hatte Bild direkt zu Anfang geschrieben (siehe hier). Die Ergebnisse lassen aber weiterhin auf sich warten.

BILD informiert, sobald es neue, fundierte Angaben zum Test gibt.

Sonst hat sich aber nichts geändert. Überschrift, weiterhin: “Warum dieser Test eine Weltsensation ist”.

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13. September: Nun wurde die Berichterstattung auch vom Deutschen Presserat gerügt:

Eine Rüge erhielt BILD.DE für die Veröffentlichung einer Exklusiv-Geschichte unter der Überschrift „Erster Blut-Test erkennt zuverlässig Brustkrebs“ über einen von Heidelberger Forschern entwickelten Brustkrebs-Test. Der Beschwerdeausschuss stellte Verstöße gegen die gebotene Sorgfalt in der Medizin-Berichterstattung (Ziffern 2 und 14 des Pressekodex) fest. Der Artikel über das als „medizinische Sensation“ beschriebene Testverfahren beruhte allein auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums und Aussagen der beteiligten Forscher und war geeignet, unberechtigte Hoffnungen bei Betroffenen zu wecken. Wie sich später herausstellte, hatten die Forscher den Stand des Testverfahrens positiver dargestellt, als es dem Forschungsstand entsprach. Die Redaktion hatte bei ihrer exklusiven Berichterstattung versäumt, die gemachten Angaben durch weitere Quellen zu überprüfen.

Nicht mehr nominiert, Frankfurter Polizeiskandal, Presserat-Bericht

1. “Oder soll man es lassen?” Warum der Zeit-Beitrag zur Flüchtlingsrettung nicht mehr für den Wolff-Preis nominiert ist
(meedia.de, Georg Altrogge)
Vor wenigen Tagen erschien auf der Nominierungsliste für den Theodor-Wolff-Preis das äußerst umstrittene Pro und Contra der “Zeit” über die Seenotrettung von Geflüchteten “Oder soll man es lassen?”. Dies traf auf allerlei Kritik (siehe auch BILDblog vom 4. April: “Es wäre interessant zu erfahren, was der Namensgeber Theodor Wolff von dieser Nominierung halten würde. Wolff musste nämlich selbst flüchten (vor den Nazis).”) Nun hat eine der zwei Autorinnen — Caterina Lobenstein, welche die Pro-Argumentation übernommen hatte — den Beitrag zurückziehen lassen. Über diesen Schritt gibt es nun erneute Diskussionen.

2. Jahresbericht 2018: Beschwerden auf dem zweithöchsten Stand in der Geschichte des Presserats
(presserat.de, PDF)
Der Deutsche Presserat ist eine Organisation der großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände und Herausgeber publizistischer Grundsätze, die auch als “Pressekodex” bezeichnet werden. Auf Verstöße gegen diesen Kodex reagiert der Presserat mit einem Hinweis, einer Missbilligung oder dem härtesten Sanktionsmittel: der Rüge. Laut aktuellem Jahresbericht ist die Anzahl der eingegangenen Beschwerden beim Presserat im vergangenen Jahr deutlich gestiegen — und zwar auf den zweithöchsten Stand seit Bestehen der Institution.

3. Frankfurter Polizeiskandal: Ermittler wollen Daten von “Bild”
(fr.de, Pitt v. Bebenburg & Hanning Voigts)
Für die Aufarbeitung des Frankfurter Polizeiskandals will die Staatsanwaltschaft wissen, wer bestimmte Online-Berichte bei Bild.de gelesen hat, doch bislang hat die “Bild”-Redaktion alle Auskünfte verweigert. Ein richterlicher Beschluss zur Beschlagnahmung der entsprechenden Daten wurde vom Frankfurter Amtsgericht abgelehnt. Dagegen ist die Staatsanwaltschaft nun mit einer Beschwerde vorgegangen. Sollte das Amtsgericht bei seiner Auffassung bleiben, müsste das Landgericht entscheiden.

4. Wir gehören dazu
(taz.de, Beliban zu Stolberg & Eser Aktay & Ronya Othmann)
In deutschen Redaktionen arbeiten zu wenige Menschen mit Migrationsgeschichte, finden die Verfasserinnen und Verfasser des “taz”-Kommentars zur Diversität in den Medien. Obwohl etwa ein Viertel der deutschen Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund habe, werde der Anteil der Journalistinnen und Journalisten mit Wurzeln im Ausland in den Redaktionen auf etwa fünf Prozent geschätzt. Daher die Forderung: “Die Vielfalt der Bevölkerung muss sich in den Redaktionen widerspiegeln. Denn nur so können Stereotype, Klischees und Vorurteile in den Medien aufgebrochen werden — und folglich auch in den Köpfen der Menschen.”

5. Talkshow führt zu Eklat in Deutschland
(persoenlich.com)
Die Autorin Salomé Balthus war in der Talksendung des Schweizer Fernsehens “Schawinski” zu Gast. Nach der Aufzeichnung hat sie ihre Erfahrungen in ihrer “Welt”-Kolumne “Das Kanarienvögelchen” beschrieben und dabei diverse Vorwürfe gegen Moderator Schawinski erhoben. Dieser hat sich daraufhin bei der “Welt” über die seiner Ansicht nach unzutreffenden Vorwürfe beschwert und Belege vorgelegt. Eine Intervention mit Folgen: “Die Balthus-Kolumne wurde umgehend gelöscht und der Autorin vom Chefredaktor der «Welt» gekündigt.”

6. Wie Spotify die Musik- und Festivalbranche für immer verändert
(handelsblatt.com, Alexander Demling)
Die Musikindustrie befindet sich im Wandel. Nach LP, Kassette und CD sind wir längst beim Streaming. Einer der wichtigsten Player auf diesem Markt ist Spotify, das nicht nur wegen der Musiktitel und Alben erfolgreich ist, sondern auch wegen seiner Playlists punktet: Die deutsche Hip-Hop-Playlist “Modus Mio” hat zum Beispiel eine Million Follower. Alexander Demling erklärt den aktuellen Umbruch in der Musikindustrie und beschreibt, welche Allianzen geschmiedet werden.

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