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Sehweg nach Indien entdeckt!

Das “Mystery”-Ressort, das sich Bild.de seit einiger Zeit gönnt, wirkt wie Bild.de auf Drogen: noch ein bisschen lauter, bunter und übergeigter als der Rest des Angebots.

So fragte die Seite gestern:

Beweis für Alien-Besuch auf der Erde entdeckt?

Das ist wohl auch als indirekte Antwort auf einen Artikel aus dem letzten August zu verstehen, als Bild.de schon mal in der Überschrift fragte, ob (endlich, vermutlich) der Beweis für außerirdisches Leben erbracht sei.

Aber auch diesmal sieht es schlecht aus mit einer positiven Antwort auf die Frage.

Bild.de beruft sich – wie andere Quellen auch – auf die “Rajasthan Times”. Dort ist der betreffende Artikel inzwischen offline genommen worden und nur noch im Google Cache verfügbar.

Diese mysteriöse Höhlenmalerei aus Indien gibt Rätsel auf: Das bizarre Wesen im Raumanzug ähnelt einem Außerirdischen, und auch das Ufo ist gut zu erkennen

Möglicherweise hat das etwas damit zu tun, dass der etwas unscharfe Bildausschnitt, den Bild.de und die anderen Medien gerade als möglichen Beweis für eine prähistorische Alien-Sichtung in Indien präsentieren, schon einmal in einer bizarren Ufo-Dokumentation aus dem Jahr 2007 zu sehen war — und damals aus einer australischen Höhle stammen sollte:

Faksimile einer angeblichen australischen Höhlenmalerei

Der Regisseur des Films erklärt übrigens selbst, dass es sich bei dem Bild um eine Zusammenstellung von verschiedenen Motiven handele, die auf diese Weise besser zu überblicken seien. (Wobei auch das ein bisschen zweifelhaft ist, wenn man die Zeichnungen, aus denen die Zusammenstellung bestehen soll, mal zum Vergleich heranzieht.)

Mit Dank an Martin B.

Von Aliens und anderen Kometen

Schon seit geraumer Zeit gönnt man sich bei Bild.de einen für ein, nun ja, Nachrichtenportal ungewöhnlichen Luxus: Die Sensationsberichte aus dem seit jeher beliebten Bereich “Ufos, Aliens, 2012 und Übersinnliches” haben ein eigenes Online-Ressort erhalten: “Mystery”. Hier schreibt vornehmlich der einschlägig bekannte Attila Albert über alles, was ihm mysteriös genug erscheint — vom baldigen Weltuntergang über Vampirhunde bis hin zum knuffigen Alien-Baby. Das hat nicht nur den Vorteil, dass interessierte (und leichtgläubige) Leser durch die Bündelung von “Mystery”-Nachrichten in eine Parallelwelt des Übersinnlichen eintauchen können. Gleichzeitig gelingt es “Bild”, den wohl selbst in der eigenen Redaktion etwas verrufenen Verschwörungsschmuddelkram, vom seriösen — oder sagen wir besser: anders unseriösen — Teil der Inhalts-Produktion zu trennen.

Die Einteilung einer Nachrichtenseite in offensichtlichen und nicht offensichtlichen Unfug birgt aber auch Schwierigkeiten: Wann genau ist eine Nachricht blödsinnig genug, um ins Mystery-Ressort verbannt zu werden? Was passiert mit tatsächlichen Geschehnissen, in die man jedoch das Walten übersinnlicher Kräfte hineininterpretiert? Die Ergebnisse dieser ständigen Abwägungen sind bisweilen durchaus amüsant. So ist ein angeblicher Schädel auf dem Mars unter “News” eingeordnet, während ein Alien-Fingerabdruck als “Mystery” behandelt wird, und das obwohl noch im selben Artikel aufgelöst wurde, dass es sich bei dem “Fingerabdruck” um ein mehrere tausend Quadratkilometer großes Gangsystem handelt.

Noch anschaulicher wird die ewige Frage nach Mystery oder Nicht-Mystery, wenn man die Berichterstattung zu einem Ereignis in der vergangenen Woche betrachtet.

Als am Dienstagabend vergangener Woche mehrere Menschen bei verschiedenen Behörden anriefen, weil sie eine Lichtkugel am Himmel sahen, konnte das bei Bild.de nur eine Konsequenz haben: UFO-Alarm! Damit lag das Ereignis klar im Aufgabenbereich von “Mystery”, wo auch der erste hysterische Artikel zum Thema erschien (mittlerweile deutlich entschärft, aber noch in der URL erkennbar):

ufo-alarm-norddeutschland/lichtkugel-erschreckt-menschen-alien-meteorit.html

Als sich irgendwann nicht mehr verleugnen ließ, dass die Erscheinung auf einen Meteoriten zurückzuführen war und die von “Bild” ersehnte Alien-Invasion einmal mehr ausblieb, schob man drei weitere Artikel nach, die im Gegensatz zum ersten als “News” gekennzeichnet waren.

Sollte wirklich eines Tages eine Alien-Invasion bevorstehen, würde dank “Bild” bestimmt niemand mehr auch nur zum Himmel blicken. Schwierige Frage übrigens: Wären echte Aliens eigentlich noch “Mystery” oder doch schon wieder “News”?

Frischer Fisch für den Mutantenstadl

Es ist ja nicht nur so, dass wir uns gerade in einer handfesten Wirtschaftskrise befinden — noch dazu ist die Welt auch aus anderen Gründen ein unwirtlicher und irgendwie mysteriöser Ort geworden. Wenn man alleine mal aufzählt, was sich in der letzten Zeit in “Bild” so alles angesammelt hat: unbehaarte Aliens in Mexiko beispielsweise, deren DNA noch nie ein Wissenschaftler zu Gesicht bekommen hat. Affenmenschen, Außerirdische mit Selbstauslöser, Entführungen ins Weltall.

“Bild” hat deshalb eine eigene “Mystery”-Rubrik ins (irdische) Leben gerufen. Die wiederum hat jetzt gruseligen Zuwachs bekommen:

Dahinter stecken für den “Bild”-Chef-Mysteriologen Attila Albert drei mögliche Erklärungen: Mutation. Sprung der Evolution. Und (immerhin wird das wenigstens in Erwägung gezogen): Angler-Latein. Die vierte und zutreffende Möglichkeit ist offenbar zu banal, als dass die Mystery-Jäger der “Bild” über sie nachdenken wollten: keines davon. Der Fisch ist nämlich hinlänglich bekannt: ein “Schwarzer Pacu”, ursprünglich im Amazonas-Gebiet beheimatet, erstmals beschrieben bereits 1818, mit vielen eindrucksvollen Zahnfotos im Internet vertreten, artverwandt und manchmal auch verwechselt mit dem Piranha. (Bild.de erwähnt immerhin, dass ein bereits 2006 schon einmal in Texas gefundenes Exemplar kein Piranha sein könne. Wie man aber auf die Idee kam, man könne deswegen die genaue Gattung nicht bestimmen — eher unklar.)

Dass der Fischer, der den Pacu nun in einem russischen See vorfand, “unter Schock” den Platz des Grauens verlassen hat, kann man eventuell noch nachvollziehen. Um von der “Bild”-Redaktion aus den Fund für ein schockierendes Erlebnis zu halten, muss man sich sehr große Mühe geben. Schon ein Blick in die englischsprachige “Wikipedia” hätte auch gereicht, das Rästel um die mutierten Menschenzähne schnell zu lösen:

Their teeth, which may look similar to human teeth, are used to cut through vegetation and crush seeds that fall into the water.

(Mit ihren Zähnen, die menschlichen Zähnen ähneln können, schneiden sie durch die Vegetation und zermahlen Samen, die ins Wasser fallen.)

Der entscheidende Begriff “Pacu” fällt sogar in dem “Prawda”-Artikel, der die Quelle für die Geschichte ist. Aber Bild.de hat ihn lieber weggelassen. Sonst hätte man den Artikel ja (wie ungefähr alle anderen auch) nicht mehr ins Ressort für “Ufos, Aliens, Übersinnliches” packen können.

Mit Dank an Mike S. und Daniel!

Bild  

Von Außerirdischen und Unterirdischem

Man kennt das von Kindern, wenn sie sich hinstellen und mit “Komm doch! Komm doch!”-Rufen provozieren — entweder weil sie sich in Sicherheit fühlen oder auch aus reiner Lust, es einmal drauf ankommen zu lassen, was in die Fresse zu bekommen.

Ungefähr in einer solchen Stimmung müssen sie in der vergangenen Woche bei “Bild” gewesen sein, als sie sich entschieden, als Teil einer rekordverdächtig dummen Serie des “Bild”-Außerirdischen-Beauftragten Attila Albert über Ufos und anderen Mystery-Quatsch den Anwalt Johannes Eisenberg zu zeigen und als “Alien” zu bezeichnen:

(Genau dieselbe Witz-Idee hatte “Bild” schon einmal im Frühling 2005; damals präsentierte das Blatt ebenfalls unter der Überschrift “Sind die Aliens schon unter uns?” Daniel Küblböck, Djamila Rowe, Michael Jackson, Reiner Calmund, Prinz Charles, Tatjana Gsell und Susan Stahnke als Indizien für außerirdisches Leben auf der Erde. Aber das nur am Rande.)

Jedenfalls kann es niemanden bei “Bild” überrascht haben, dass Eisenberg juristisch gegen die Veröffentlichung seines Fotos und Beschreibung als “Alien” vorgeht. Den Anwalt und die Zeitung verbindet eine lange Geschichte. Eisenberg hat viele Politiker, Prominente und Nicht-Prominente, die sich gegen falsche oder unzulässige “Bild”-Berichte wehrten, vertreten. Er verteidigte auch die “taz”, als “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann Schmerzensgeld für eine Satire über eine (erfundene) missglückte Penis-Verlängerungs-Operation forderte. Vor allem aber ließ er “Bild” schon einmal gerichtlich untersagen, sein Foto zu zeigen, und erstritt ein “empfindliches Schmerzensgeld”.

Eisenberg hatte 1998 einen libanesischen Straftäter, dessen Fall in Berlin Aufsehen erregte, presserechtlich vertreten und u.a. mehrere Gegendarstellungen von “Bild” gefordert. Die Zeitung reagierte darauf demonstrativ mit der Veröffentlichung von Eisenbergs Foto und suggerierte, dass er mit seinem Mandanten sympathisiere. Das Landgericht Berlin sah darin eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung: “Bild” habe Eisenbergs Recht am eigenen Bild “mit besonderer Hartnäckigkeit verletzt”, und zwar “in der Absicht, den Kläger davon abzuhalten, für seinen Mandanten A. Gegendarstellungs- und Unterlassungsansprüche geltend zu machen, obwohl ihre Angriffe auf Herrn A. äußerst scharf und teilweise unter Behauptung falscher Tatsachen geführt wurden.” Eisenberg habe nach der Veröffentlichung Morddrohungen erhalten, die “nur mit der Berichterstattung der Beklagten über den Kläger erklärt werden” könnten, so das Gericht.

Das ist über zehn Jahre her, aber vielleicht nicht ganz unwesentlich, um zu beurteilen, was es bedeutet, wenn “Bild” ein Foto von Johannes Eisenberg zeigt und behauptet, er sei ein “Alien”, das sich als “Anwalt tarnt” und “gegen investigative Medien kämpft”.

Die “Welt am Sonntag” hingegen, die gestern über das Vorgehen Eisenbergs gegen die Schwesterzeitung berichtete, nennt die Alien-Geschichte von “Bild” eine “Satire” und schließt daraus, dass Eisenberg Humor fehlt (was natürlich nicht falsch sein muss).

PS: Die Provokation des von ihr verhassten Berliner Anwaltes findet sich exklusiv in der Berlin-Brandenburger Ausgabe von “Bild”. Überregional nimmt Dirk Bach seinen Platz in der, äh, satirischen Aufzählung ein (siehe Ausriss links).

Bild.de unseriöser als “The Sun”

"Gift-Anschlag der al-Qaida? Britische Superspion im Koma"

So berichtet Bild.de seit gestern darüber, dass Alex Allan, Chefkoordinator der britischen Geheimdienste, im Koma liegt:

Sicherheits-Experten vermuten, dass er Opfer eines Gift-Anschlags von Russen oder des Terroristen-Netzwerks der al-Qaida geworden ist. (…)

Der Top-Sicherheitsexperte Chris Dobson: “Der plötzliche Zusammenbruch von Alex Allan erweckt Vermutungen, dass es einen Anschlag von ausländischen Geheimdiensten oder Terror-Gruppen gegeben haben könnte.”

Bild.de gibt zwar keine Quelle für diese Nachricht an, aber was dort steht, unterscheidet sich kaum von dem, was gestern in der britischen Boulevardzeitung “The Sun” stand. Und der “Top-Sicherheitsexperte” Dobson kommt offenbar ausschließlich in der “Sun” zu Wort.

Allerdings fehlt bei Bild.de etwas, das selbst die “Sun”, ein Blatt, das kaum für seine Seriosität bekannt ist, nicht verschweigt:

Doch führende Quellen aus Sicherheitskreisen sagen, man sei “so sicher, wie das zu diesem Zeitpunkt möglich ist”, dass Mr Allan nicht das Ziel eines Angriffs von Bin Ladens Handlangern geworden ist. Und sie behaupten, bislang sei “nichts Verdächtiges” gefunden worden.

Was Bild.de den Lesern unterschlägt, kann man noch deutlicher freilich auch in anderen Medien nachlesen. Und sogar auf deutsch.

Mit Dank an Jadawin für den sachdienlichen Hinweis.

Aguilerahnungslosigkeit

Bei Bild.de ist man fassungslos:

" So schamlos flirtet Christina Aguilera fremd"

Pop-Mieze Christina Aguilera (…) flirtet fremd. Aber wie! (…)

Das Unglaubliche: Nur einen Platz weiter sitzt Jordan Bratman (30), Ehemann der feierfreudigen Schönheit.

Doch anstatt dem Nebenbuhler zu zeigen, wo der Hammer hängt, guckt Bratman nur betröpfelt aus der Wäsche, schlürft teilnahmslos seinen Schampus (…).

Die beschriebene Szene spielte sich, wie Bild.de richtig von viply.de übernommen hat, im LAX Nightclub in Las Vegas ab. Ebenfalls übernommen hat Bild.de die Ahnungslosigkeit von viply.de und fragt:

Um die erste Bild.de-Frage zu beantworten: Der “Unbekannte” ist der Schmuckdesigner Stephen Webster. Der soll nicht nur ein langjähriger Freund von Christina Aguilera sein, er ist auch ihr Geschäftspartner. Aguilera macht Werbung für Webster und hat am Tag, als die Fotos entstanden, auf einer Präsentation von Websters Schmuckkollektion gesungen.

Womit wohl auch die zweite Frage beantwortet sein dürfte.

Mit Dank an Thomas W. für den sachdienlichen Hinweis.

Allgemein  

Das Ende der Welt

Wow.

Von allen übergeigten “Bild”-Überschriften der letzten Jahre ist dies vermutlich die übergeigteste:
Nasa: Weltuntergang in 96 Jahren

In der gedruckten Ausgabe steht am Ende der Überschrift wenigstens noch ein Fragezeichen:
Nasa hat errechnet: Weltuntergang in 96 Jahren?

Und bevor wir ins Detail gehen, sollten wir vielleicht zur Beruhigung schnell sagen: Die Nasa geht keineswegs davon aus, dass am 4. Mai 2102 die Welt untergeht. Sie geht sogar ausdrücklich davon aus, dass am 4. Mai 2102 die Welt nicht untergeht.

Mit erstaunlichem Mut zur Lüge erzählt der Londoner “Bild”-Korrespondent Peter Michalski ein apokalyptisches Märchen und schafft es dabei, den Sinn fast sämtlicher Tatsachen und Zitate ins Gegenteil zu verkehren. Sein Artikel beginnt mit den Worten:

Seine Sprengkraft entspricht allen Kernwaffen, die es auf der Erde gibt. Sein Ziel scheint eindeutig: Ein riesiger Asteroid ist unterwegs zu unserem Planeten. Am 4. Mai 2102, befürchtet die Nasa, schlägt er ein. So ihre Berechnungen.

Nein. Sein Ziel ist alles andere als eindeutig. Und die Berechnungen der Nasa sagen, dass der keineswegs “riesige” Asteroid “2004 VD17” die Erde mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,93 Prozent nicht treffen wird.

“Bild” schreibt:

Die Kollisionsgefahr hat sich verdreifacht. Die Nasa ordnete ihn als bisher einzigen Himmelskörper der Gefahrenstufe Gelb zu!

Falsch. Im Dezember 2004 wurde der Asteroid Apophis ebenfalls dieser Gefahrenstufe zugeordnet. Ein halbes Jahr später konstruierte “Bild” daraus ein höchst irreführendes Stück mit der Schlagzeile: “Geht am Freitag den 13. April 2029 die Welt unter?”

“Bild” hält sich auch diesmal nicht damit auf, zu erklären, was die “Gefahrenstufe Gelb” bedeutet. Die entsprechende Torino-Skala geht von 0 bis 10. “Apophis” erreichte Ende 2004 vorübergehend Stufe 4. Der Asteroid, um den es jetzt geht, steht nun nicht mehr auf 1, sondern auf 2. Stufe 2 bedeutet:

(…) there is no cause for public attention or public concern as an actual collision is very unlikely. New telescopic observations very likely will lead to re-assignment to Level 0.

(Es gibt keinen Anlass für öffentliche Aufmerksamkeit oder öffentliche Beunruhigung, denn eine tatsächliche Kollision ist sehr unwahrscheinlich. Neue Beobachtungen mit Teleskopen werden sehr wahrscheinlich zu einer Rückstufung auf Stufe 0 führen.)

Kein Anlass für öffentliche Aufmerksamkeit? Das weiß “Bild” aber besser:

Ein Einschlag hätte die Gewalt eines Erdbebens mit Stärke 7,4. Würde er in Berlin aufschlagen, gäbe es einen riesigen Krater: Zehn Kilometer breit, 530 Meter tief. Der Feuerball würde Bäume im Umkreis von 100 Kilometern in Brand setzen, unzählige Menschen töten.

Die Druckwelle wäre so stark, daß sie bis nach Hamburg (250 Kilometer entfernt) reichen und dort große Gebäude einstürzen lassen würde. Die Langzeitfolge wäre nuklearer Winter: Dunkelheit und Kälte durch aufgewirbelten Staub.

Die Kratergröße und der Erdbebenvergleich finden sich auch in seriösen Quellen. Aber wie kommt “Bild” darauf, dass dem Einschlag ein “nuklearer Winter” folgen würde? Die Wirkungen von Asteroiden-Einschlägen sind schwer vorherzusagen, aber Journalisten, die sich damit beschäftigt haben, sagen im Gegenteil: “2004 VD17” sei “nicht groß genug, um weltweite Verwüstungen anzurichten”, sondern könne höchstens erhebliche regionale Schäden verursachen.

Die einzige andere Quelle, die wir gefunden haben, die nach dem (sehr, sehr unwahrscheinlichen) Einschlag dieses Asteroiden einen “nuklearen Winter” heraufziehen sieht, ist die britische Boulevardzeitung “The Sun”. Die hatte schon am Freitag das bevorstehende “Ende der Welt” vorhergesagt. Der “Bild”-Artikel liest sich über weite Strecken, als ob ihr Autor, der wie gesagt in London sitzt, die “Sun”-Geschichte fast wörtlich übersetzt und auf deutsche Verhältnisse übertragen hätte.

Ahnung vom Thema scheint er nicht zu haben, denn er schreibt weiter:

Jüngste Schätzung des Treffer-Risikos: 1600 zu 1.

Nein, umgekehrt: 1 zu 1600. Oder 0,06 Prozent.

Und am Ende verleiht die “Bild”-Zeitung ihrem Märchen noch die nötige Schein-Glaubwürdigkeit und zitiert zwei Wissenschaftler:

Andrea Milani Comparetti von der Uni Pisa: “Ein echtes Problem – aber nicht für unsere Generation.” Nasa-Experte Dr. David Morrison setzt auf Hoffnung: “Zum Glück bleiben uns noch fast 100 Jahre.”

“Bild” hat Morrisons Zitat gekürzt. Im Original sagt er noch:

“This should provide ample time to refine the orbit and, most probably, determine that the asteroid will miss the Earth.”

(Das sollte uns genügend Zeit geben, die Umlaufbahn genauer zu bestimmen und, höchstwahrscheinlich, festzustellen, dass der Asteroid die Erde verpassen wird.)

Gegenüber dem “New Scientist” fügte der Wissenschaftler hinzu:

“We’re more likely to be hit between now and then by an object that we don’t know about.”

(Es ist wahrscheinlicher, dass wir bis dahin von einem Objekt getroffen werden, das wir noch gar nicht kennen.)

Oh je. Auf der Grundlage dieses Zitates könnte sich die “Bild”-Zeitung versucht fühlen, morgen zu titeln: Weltuntergang nicht einmal mehr 96 Jahre entfernt!

PS: Es gab schon vor zweieinhalb Jahren ähnliche Weltuntergangs-Szenarien aufgrund eines Asteroiden, weltweit und natürlich in “Bild”. Die Wissenschaftler waren danach so entsetzt über die absurde Panikmache der Medien, dass sie über eine völlige Abschaffung der Torino-Skala nachdachten.

Danke auch an Martin W., Michael E. und Axel B.!

Nachtrag, 13.10 Uhr. Auch Bild.de hat jetzt immerhin ein Fragezeichen hinter die Worte “Nasa: Weltuntergang in 96 Jahren” gesetzt. Sämtliche Fehler und irreführenden Behauptungen sind aber natürlich im Text geblieben.

Nachtrag, 18.25 Uhr. Die Schweizer Boulevardzeitung “Blick” hielt es für klug, die Falschmeldung von “Bild” zu übernehmen — nicht ohne sie um ein paar besonders abwegige Formulierungen ergänzt zu haben (“rast … exakt auf unsere Erde zu: ein riesiger Asteroid”).

Mozart-Bingo

Natürlich kann man Journalismus auch als eine Art Fakten-Bingo betreiben: Man behauptet etwas, das man gar nicht richtig weiß, und hofft, dass es sich im Nachhinein als wahr herausstellt. Wenn man Glück gehabt hat und richtig lag, erweckt man den Eindruck, eine ganz besonders tolle Zeitung zu sein, die Dinge früher weiß und berichtet als andere.

Aber, wie das mit Glücksspielen so ist: Meistens verliert man.

Die “Bild”-Zeitung wusste vor ihrem Redaktionsschluss noch nicht, was die DNA-Analyse mehrerer Skelette ergeben hatte, mit der Forscher die Echtheit des angeblichen Schädels von Wolfgang Amadeus Mozart überprüfen wollten. Trotzdem schrieb sie:

Das österreichische Fernsehen ORF hielt das Ergebnis bis gestern spätabends zurück. Doch es sickerte bereits durch: Der Schädel soll echt sein.

Diese Nachricht hat “Bild” heute exklusiv. In Wahrheit ergab die Analyse der Skelette, die von Mozart, einer Nichte und seiner Großmutter stammen sollen, dass alle drei Leichen nicht miteinander verwandt waren. Ob der Schädel echt ist oder nicht, lässt sich deshalb nicht sagen.

Zeitungen in aller Welt schreiben deshalb heute: “Rätsel ungelöst”, “Weiter Rätselraten”, “Totale Verwirrung”, “Rätsel über Rätsel”, “Mystery unsolved” und “No end to mystery”.

Bei “Bild” und Bild.de aber heißt es:

Nach 250 Jahren: Das letzte Geheimnis von Mozart gelüftet

Danke an Boris P. für den Hinweis.

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