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Medienversagen, Mafia, Wakaliwood

1. Die US-Wahl, die Medien und ihre Vorhersagen (Links im Text)
(diverse)
In der Wahl von Donald Trump zum künftigen Präsidenten der USA sehen viele auch ein Versagen der Journalisten und ihrer Vorhersagen. Sascha Lobo schreibt in seiner Kolumne bei “Spiegel Online” vom Scheitern der Medien und Meinungsforscher “an den Mechanismen moderner Meinungsbildung” (“Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Sonst ist Trump unser kleinstes Problem”). Bei persoenlich.com sagt Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, Trump sei der “grosse Profiteur einer veränderten Medienwelt” (“‘Trump hat von einer veränderten Medienwelt profitiert'”). Christian Jakubetz schreibt in seinem Blog von einer “bitteren Lektion” für “Journalisten, Medien und Social-Media-Enthusiasten” (“Eine Ohrfeige namens Trump”). Die Wahl von Donald Trump zeige, “wie sehr sich die Bürger von den klassischen Medien abgewandt haben — und andersherum”, so Julian Dörr bei sueddeutsche.de (“Trump und “Breitbart” triumphieren über das Establishment”). Joshua Benton analysiert bei “NiemanLab”, dass sowohl Journalisten als auch Facebook dazu beitrügen, dass sich die Gesellschaft in “two self-contained, never-overlapping sets of information” bewege (“The forces that drove this election’s media failure are likely to get worse”). Rasmus Kleis Nielsen denkt auf seiner Website darüber nach, was die Wahl für die Sozialwissenschaften bedeuten könnte (“‘A desk is a dangerous place from which to view the world.’ Social science and the 2016 elections”). Danah Boyd sagt klipp und klar “I blame the media” und kritisiert fehlende Selbstreflexion der Medien sowie ein mangelndes Verständnis der eigenen Schwächen (“Reality check: I blame the media.”). Jim Rutenberg und James Poniewozik fragen in der “New York Times”, ob sich die Medien von dieser Wahl wieder erholen können (“Can the Media Recover From This Election?”). Und Margaret Sullivan wirft den Journalisten in der “Washington Post” vor, dass sie nicht richtig hingehört und hingeschaut hätten (“The media didn’t want to believe Trump could win. So they looked the other way.”).

2. War das Volksverhetzung?
(faz.net, Michael Hanfeld)
Der Auftritt einer vollverschleierten Konvertitin in der Talkrunde von Anne Will am vergangenen Sonntag hat jetzt auch rechtliche Folgen — eine Rechtsanwältin aus Neuruppin soll Strafanzeige gestellt haben, “‘wegen aller in Frage kommenden Straftaten'”, schreibt Michael Handfeld. In einer Stellungnahme verteidigt “Anne Will”-Redaktionsleiter Andreas Schneider die Einladung der Frau: “Um das ganze Spektrum der Problematik abzubilden, die im Tatort [lief im Vorfeld der Sendung] angespielt wurde, war es Absicht der Redaktion, auch eine radikalisierte Person in die Gesprächsrunde zu laden.”

3. “Dort verkehren auch Politiker”
(taz.de, Ambros Waibel)
Gestern Abend lief beim “MDR” Ludwig Kendzias Reportage “Revier der Paten — Mafia in Mitteldeutschland” (Video, 29:45 Minuten). Im Interview mit der “taz” erklärt er, warum es schon rein rechtlich schwierig ist, über die Mafia zu berichten: “In Italien ist die nachgewiesene Zugehörigkeit zur Mafia strafbar. Das ist bei uns nicht so und macht es für Journalisten enorm schwierig, identifizierend zu berichten. Wir müssen uns aufs Allgemeine zurückziehen.”

4. O-Töne herstellen? Geht jetzt!
(radio-machen.de, Sandra Müller)
“Adobe”, die Firma, die auch Photoshop entwickelt hat, hat vor einigen Tagen Voco vorgestellt (Video, 7:20 Minuten). Damit kann man — kurz gesagt — am Computer durch die Eingabe oder das Löschen von Wörtern Sprachaufnahmen so verändern, dass ganz neue Aussagen entstehen. Sandra Müller warnt vor dieser “perfekten Audio-Manipulationsmaschine”.

5. Journalisten nicht ins Asylverfahren treiben
(reporter-ohne-grenzen.de)
Nachdem Michael Roth, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, in einem Interview mit der “Welt” verfolgten türkischen Journalisten Asyl in Deutschland in Aussicht gestellt hatte, kritisieren die “Reporter ohne Grenzen”, dass Roths Angebot an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigehe: “Die weitaus meisten der türkischen Medienschaffenden, die sich mit der Bitte um Zuflucht in Deutschland an Reporter ohne Grenzen wenden, wollen weder politisches Asyl noch dauerhaft im Ausland bleiben. Ihnen geht es vielmehr um vorübergehende Zuflucht, bis sich die politische Situation in der Türkei beruhigt hat — und vor allem darum, ihre journalistische Arbeit fortzusetzen. Würden sie politisches Asyl beantragen, könnten sie jedoch während eines Verfahrens von ungewisser Dauer nur sehr schwer eine Arbeit aufnehmen und wären in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.”

6. Wakaliwood: Actionfilme aus Ugandas Slum
(ndr.de, Bastian Berbner, Video, 12:04 Minuten)
Isaac Nabwana braucht gerade mal ein Budget von 160 Dollar, um einen ganzen Spielfilm zu drehen. Nabwana ist Kameramann, Regisseur und die zentrale Person von Wakaliwood, Ugandas Film-Hotspot in Wakaliga. Bastian Berbner war im Slum in der Nähe der Hauptstadt Kampala dabei, als mit Hilfe von Kunstblut in Kondomen und Maschinengewehren aus Abwasserrohren ein neuer Actionfilm im typischen Wakaliwood-Stil entstanden ist.

“6 vor 9”-Sonderausgabe: US-Wahl

1. “Was Sie zur Wahl wissen müssen” (Links im Text)
(diverse)
Heute schaut die ganze Welt nach Amerika und die dort stattfindende Präsidentschaftswahl. Viele Medien erklären noch einmal den genauen Ablauf, meist unter Verwendung der beliebten “Was Sie wissen müssen”-Formel:

Welt.de schreibt, “Worauf Sie in der Wahlnacht achten sollten”. Bei “Spiegel Online” steht, “Was Sie jetzt zur US-Wahl wissen müssen”. Sueddeutsche.de verrät ebenfalls, “Was Sie zur US-Wahl wissen müssen”. Bei “N24” heißt es: “Das sollten Sie über die Wahlnacht wissen”. Merkur.de variiert leicht mit “US-Wahl 2016: Das müssen Sie zum amerikanischen Wahlsystem wissen”. Und “Zeit Online” kürzer: “So läuft die US-Wahl ab”.

2. Die allerletzten Worte
(zeit.de, Rieke Havertz)
Nachdem der Wahlkampf (fast) vorüber ist, entscheiden jetzt die Wähler. Nun heißt es, keine Fehler zu machen (siehe dazu auch: “Mitarbeiter nehmen Trump Twitter-Account weg”) und in den letzten Reden auf einfache Botschaften, starke Emotionen und Symbole zu setzen, analysiert Rieke Havertz: “Die Worte passen sich den Themen der Zeit an, das Drehbuch bleibt stets gleich. Doch wohl noch nie war die wiederkehrende Phrase über das auf dem Spiel stehende Schicksal Amerikas so wahr wie in dem Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump, der nun endlich sein Ende gefunden hat.”

3. Hillary Trump gegen Amerika
(heute.de, Ulf Röller)
Ulf Röller, Leiter des ZDF-Studios in Washington, zieht eine Wahlkampfbilanz: “Was für eine Wahl? Das Wort Schlammschlacht trifft es nicht. Es ist leider mehr gewesen. Machtkämpfe sind immer hart und schmutzig, besonders in Amerika. Aber diesmal stieß das Land, das sich für außergewöhnlich hält, für eine von Gott gewählte Nation, in neue, furchteinflößende Dimensionen vor.”

4. How Foreign Journalists Here Try To Explain The U.S. Election Back Home
(npr.org, Hannah Bloch)
Das “National Public Radio” hat Auslandskorrespondenten nach ihren Eindrücken vom amerikanischen Wahlkampf gefragt: Alberto Flores d’Arcais von “La Repubblica”, Joyce Karam von “Al-Hayat”, Matthias Kolb von der “Süddeutschen Zeitung” und Tolga Tanis von “Hurriyet”. Herausgekommen sind einige interessante Wahrnehmungen und Beobachtungen von außen, die auch die jeweils anderen Kulturkreise widerspiegeln.

5. A!154 – Amerika (Staffelfinale)
(aufwachen-podcast.de, Tilo Jung, Stefan Schulz & Andreas Cichowicz, Audio, 2:51 Stunden)
Fast drei Stunden widmet das “Aufwachen”-Podcast-Team um Stefan Schulz und Tilo Jung dem “Staffelfinale” zur US-Wahlkampfberichterstattung. Im Gespräch zu Gast: “NDR”-Chefredakteur Andreas Cichowicz, der vor Ort die “ARD”-Sendungen zum Wahlabend vorbereitet.

6. LdN028 Erdoganokratie, Bundeswehr-Recruiting, Trumps Psychotricks, Brexit nur mit Parlament
(kuechenstud.io, Philip Banse & Ulf Buermeyer, Audio, 1:05 Stunden)
Hörenswert auch der Podcast “Lage der Nation”, in dem die Wissenschaftlerin Elisabeth Wehling Trumps Psychotricks (“Framing”) erklärt (ab Minute 17:26). Es handelt sich dabei um Ausschnitte ihres Vortrags “Politik, Stimmungen und Emotionen — Beobachtungen aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf”, den sie auf der “Deutschlandfunk”-Konferenz “Formate des Politischen” gehalten hat.

Warum schaffen es viele Medien nicht, Oettinger einen Rassisten zu nennen?

Selbstverständlich hätte es in dieser Ausgabe der “Politically Correct!”-Kolumne eigentlich um Carolin Emcke gehen müssen, denn wann passiert in Deutschland schon mal so was wie diese Rede? Stattdessen müssen wir uns jetzt mit ihrem in jeder denkbaren Hinsicht diametralen Gegenstück befassen. Auch weil sie, die Oettinger-Rede, anders als die von Emcke nicht einmalig ist, sondern täglich so oder ähnlich tausende Male in Deutschland gehalten wird.

All das, was Theaterautor, Blogger und Marketingexperte Johannes Kram schon so gemacht hat, würde nicht in diese Box passen. Deswegen hier unvollständig und im Schnelldurchlauf: Nicht nur, aber auch wegen seiner Medien-Kampagne ist Guildo Horn zum “Eurovision Song Contest” gekommen. Den “Waldschlösschen-Appell” gegen Homophobie in Medien hat er initiiert. Sein “Nollendorfblog” bekam eine Nominierung für den “Grimme Online Award”. Und mit “Seite Eins — Theaterstück für einen Mann und ein Smartphone” hat er Boulevard-Kritik auf die Bühne gebracht. Dafür ein herzliches Dankeschön vom BILDblog.

Natürlich hat Günther Oettinger sich nicht rassistisch, homophob oder sonst wie herablassend geäußert. Würde er so was tun, wäre er schließlich nicht EU-Kommissar. Da er das aber ist — also nicht rassistisch, sondern EU-Kommissar –, müssen viele das irgendwie falsch verstanden, aus dem Zusammenhang gerissen, den ironischen Tonfall, die lockere Zunge nicht kapiert haben.

Wäre Oettinger AfD-Mitglied, wäre die Sache anders. Die AfD ist schließlich eine rassistische Partei, deswegen muss sie ja auch bekämpft werden. Im aktuellen “Spiegel” gibt es ein Essay darüber, “wie dafür gesorgt werden kann, dass die AfD Wähler verliert”.

Deutsche Medien geben sich sehr viel Mühe, die AfD zu “entlarven”, den Menschen zu erklären, dass die AfD eine Partei ist, die sie nicht wählen sollen. Es scheint fast so, als hätten wir weniger Rassismus in Deutschland, wenn es weniger AfD gäbe, als müsse man AfD-Wähler nur davon überzeugen, etwas Anderes zu wählen, damit sie weniger rassistisch sind.

Was deutsche Medien hingegen verblüffend selten zu entlarven versuchen, ist der Rassismus. Es scheint fast so, als müsse sich in Deutschland niemand einen Rassisten nennen lassen, solange er keine Asylbewerberheime anzündet, als hätte in einem Land, in dem sich nicht mal die Nazis als Nazis bezeichnen, die Aussage, “gegen Nazis” zu sein, schon irgendeinen Wert.

Als sei die Gesellschaft durch eine Mauer getrennt, die zwischen Rassisten und Nicht-Rassisten verläuft, so, als ob die einen sich alles vorwerfen lassen müssten und die anderen nichts, als ob es darum ginge, möglichst viele Menschen auf die gute Mauerseite zu ziehen, anstatt darum zu erklären, dass es diese Mauer gar nicht gibt.

So führen auch begründete Rassismusvorwürfe nicht dazu, über Rassismus zu reden. Hätte jener Tag, an dem Günther Oettinger sich per “Welt”-Interview als rassismusfrei erklärte, nicht der Tag sein müssen, an dem Medien zum Thema machen, dass das und warum das so einfach eben nicht geht?

Wäre es nicht Aufgabe deutscher Medien gewesen, den Erklärungsdruck zu erzeugen, der jetzt aus China kam und immerhin dazu geführt hat, dass Oettinger nicht weiter so tun kann, als sei in Wahrheit gar nichts passiert? Sahen nicht überraschend viele Medien Oettinger weniger als Täter, sondern als Opfer des nervigen deutschen Gutmenschentums?

An dem Tag, als Oettinger dachte, mit seinem “Welt”-Interview diese lästige Geschichte beenden zu können, sah das offensichtlich ein Großteil der Journalisten genauso. Nicht nur bei “Spiegel Online” waren die obersten Meldungen wieder irgendwas mit Trump. Eines der merkwürdigsten deutschen Medienphänomene zurzeit ist die Diskrepanz zwischen dem größtmögliche Staunen und Empören über das, was bei Trump als eindeutig rassistisch und abwertend benannt wird, und der Weigerung, ähnliche Maßstäbe bei der Betrachtung von Geschehnissen in Deutschland auch nur in Erwägung zu ziehen.

Ja, klar ist Oettinger auch ein notorischer Dummbrabbler, er hat versucht, lustig zu sein, seine Worte waren nicht für eine große Öffentlichkeit bestimmt. Ja, klar ist es gut, wenn ein Politiker auch mal “frei von der Leber” drauflosreden kann. Aber was davon relativiert seine Homophobie und seinen Rassismus?

“Wenn Sie sich rassistisch äußern, dann sind Sie verdammt noch mal ein Rassist”, sagt Dunja Hayali. Warum gilt das nicht für den EU-Kommissar?

Trauen sich viele Medien nicht, Oettinger einen Rassisten zu nennen, weil sie dann ihren Zuschauern und Lesern erklären müssten, dass sie es vielleicht auch sind? Oder sind der oettingersche Rassismus, sein Sexismus und seine Homophobie in Deutschland so alltäglich, so selbstverständlich, dass sie als solche kaum erkannt werden können?

Es stimmt einfach nicht, was in diesen Tagen so oft behauptet wird: Dass jede nicht politisch korrekte Äußerung in den Medien einen riesigen Shitstorm zur Folge hat. Es ist eher andersrum so, dass jeden Tag Erstaunliches gesendet und geschrieben wird, ohne dass jemand ernsthaft darüber staunt. Ist die Aufmerksamkeit vieler Medien so sehr darauf ausgerichtet, den Rassismus in der AfD aufzuzeigen, haben sie sich so sehr daran gewöhnt, Rassismus bei pöbelnden rechtschreibschwachen Menschen zu dokumentieren, dass sie ihn sich bei netten gebildeten Menschen ohne AfD-Hintergrund gar nicht mehr vorstellen können?

Wie zum Beispiel bei Luke Mockridge, der am letzten Sonntag in seiner “Sat.1”-Show wohl etwas Lustiges über Musicals sagen wollte, sich dann aber doch lieber auf einen altbewährten Brüller verließ:

Ich war bei “High School Musical”, hab’ ich mitgespielt, kanadische Bühnenproduktion, ich war der Schwarze, es wurde nach Penislänge gecastet, ich habe die Rolle be …

Weil das Publikum begeistert lacht, muss er seinen Satz nicht zu Ende sprechen. In dem Oettinger-Video kann man hören, wie gelacht wird, als er das Wort “Frau” benutzt.

Nach Mockridges Witz, der die Penislänge schwarzer Männer zur Pointe machte, gab es einen fünfminütigen Einspieler. Der Studiogast, der danach auftreten sollte, wird also schon hinter der Bühne gestanden haben, als er erzählt wurde, der Klassiker aller Rassistenwitze. Er durfte anhören, wie und worüber sich das Publikum beömmelte, das da wenige Meter entfernt vor der Bühne sitzt, und vor dem er sich gleich präsentieren würde. Der Gast war der Sternekoch Nelson Müller. Er ist schwarz.

Dieses Humorprinzip ist in deutschen Medien keine Ausnahme. Es findet ganz selbstverständlich in vielen Formaten statt, sogar in denen, die sich als besonders aufklärerisch empfinden. Dieter Nuhr erzählte im “Ersten” noch vor zwei Jahren sogar den uralten “Mainz bleibt Mainz”-Klopfer mit den Männern unter der Dusche, die warten, dass “einer die Seife fallen lässt”. Im Endeffekt ist die Pointe sehr verwandt mit der von Mockridge, nicht nur, weil sie das Geschlechtliche von Randgruppen ins Lächerliche zieht, sondern auch, weil sie einen Aspekt der Bedrohung insinuiert.


(Foto: Michael SchillingEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link)

Ich bin mir sicher, dass dieses Muster nicht trotz, sondern wegen dieses Zusammenhanges immer wieder so gerne benutzt wird. Die “ARD” ist sich sicher, dass das nicht so ist. “Wir bedauern es, wenn Sie die Äußerungen Dieter Nuhrs als homophob empfanden”, antwortete sie einem Zuschauer, der entsprechend nachgefragt hatte. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die “ARD” den homophoben Kern dieses Witzes erkannt hätte, wenn er von Alexander Gauland erzählt worden wäre.

Es gibt außer Nelson Müller nicht viele Deutsche, die schwarz und erfolgreich und im Fernsehen sind. Was wäre wohl passiert, wenn Müller bei seinem Auftritt in der Mockridge-Show gesagt hätte, dass er den Witz nicht witzig findet, sondern diskriminierend? Hätte man ihn überhaupt verstanden? Und wäre er dann noch so oft im Fernsehen? Wäre Roberto Blanco auch so beliebt, wenn er nicht sagen würde, dass es ihn nicht stört, wenn ihn ein deutscher Minister einen “wunderbaren Neger” nennt?

Aber es ist nicht der vorrangige Job von Müller oder Blanco auf Rassismus hinzuweisen. Genauso wenig, wie es der “der Homosexuellen”, “der Feministinnen” oder “der Chinesen” ist zu erklären, was an Oettinger nicht geht.

Sie wollen, dass nur noch Jüdinnen und Juden sich gegen Antisemitismus wehren, dass nur noch Schwule gegen Diskriminierung protestieren, sie wollen, dass nur noch Muslime sich für Religionsfreiheit engagieren, damit sie sie dann denunzieren können als jüdische oder schwule “Lobby” oder “Parallelgesellschaft”, sie wollen, dass nur noch Schwarze gegen Rassismus aufbegehren, damit sie sie als “zornig” diffamieren können, sie wollen, dass sich nur Feministinnen gegen Machismo und Sexismus engagieren, damit sie sie als “humorlos” abwerten können.

Ganz ohne Carolin Emcke geht es dann eben doch nicht. Was von dem, was sie sagt, ist eigentlich so schwer zu verstehen?

Trolle, WELTfremdes Marketing, Genderwörterbuch

1. “Wir müssen Social Media mit Journalismus infiltrieren.”
(facebook.com, Armin Wolf)
Der bekannte österreichische Journalist und Fernsehmoderator Armin Wolf hat auf dem “Mediengipfel” der 30. Münchner Medientage gesprochen. Das vorgegebene Thema seines Vortrags: “Welche Medien wollen wir morgen in unserem Leben?” Auf seiner Facebookseite gibt es den Text zum Nachlesen. Wolf geht auf das derzeit bestehende Nachrichten-Ökosystem ein, unterteilt in E-Journalismus, U-Journalismus und K-Journalismus und macht Vorschläge, was man besser machen kann. Zum Beispiel dort hinzugehen, wo die Leser sind: “Mein Vorschlag wäre trotzdem, dass wir Social Media nützen, um in die Echokammern ihrer Abermillionen Nutzer hineinzubrüllen oder auch hineinzuflüstern, dass es da draußen auch noch was anderes gibt als ulkigen Unsinn und paranoide Propaganda.”

2. Der #Troll im Netz. Eine Besichtigung
(geschichtedergegenwart.ch, Remo Grolimund)
Der Historiker Remo Grolimund hat einen kurzen Abriss der Trollgeschichte verfasst. Ausgehend von den Chatrooms der 90er Jahre bis in die Jetzt-Zeit mit den Social-Media-Biotopen. Natürlich denkt er auch über Taktiken nach, wie man Trollen am besten begegnen sollte: “„Don’t feed the trolls“ ist bei gewissen Trollen sicher das Mittel der Wahl. Andere sollten wir vielleicht besser füttern. Bis sie platzen.”

3. Influencer Marketing, wie man es nicht betreibt am Beispiel Axel Springer Verlag
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Die “Welt” betreibt sogenanntes “Influencer Marketing” und hat Blogbetreiber angeschrieben, um über diese “Influencer” ihr kostenpflichtiges Angebot “WELTplus” zu promoten. Dies entbehrt in vielerlei Hinsicht nicht einer gewissen Tragikomik und wurde im Netz schon verschiedentlich kommentiert. (Mario Sixtus dazu auf Facebook: “Wenn der Springer-Verlag einerseits Blogger gewinnen will, auf Ihre WELT zu linken, andererseits Links via Leistungsschutzrecht zu einer gebührenpflichtigen Angelegenheit machen will, wie soll man diese Mail dann werten?”) Thomas Knüwer hat sich die Mühe gemacht und der “Welt” zurückgeschrieben. Und dabei deutliche Worte gefunden.

4. Gott, Glück und Viktor Orbán
(taz.de, Tibor Racz)
Wer sich in Ungarn zukünftig über die Politik im Lande informieren will, wird es noch schwerer haben als in der Vergangenheit. Die größte Oppositionszeitung, die “Népszabadság”, hat den Eigentümer gewechselt und gehört nun einem regierungsfreundlichen Oligarchen. Tibor Racz stellt den neuen Besitzer vor, der in allerlei zweifelhafte Geschäfte verwickelt ist.

5. Geschickt gendern: „Habt ihr da einen an der Klatsche, wisst Ihr überhaupt, was Ihr anrichtet?“
(zebrabutter.net, Johanna Müller & Philipp Müller)
Verfasser von Verwaltungsdokumenten und sonstigen offiziellen Texten werden oft dazu angehalten, gendergerecht bzw. genderneutral zu formulieren. Dies kann zu leseunfreundlichen Wendungen oder umständlichen Paarformen wie “Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter” führen. Johanna Müller hat deshalb auf “geschicktgendern.de” ein Genderwörterbuch mit Vorschlägen für gendergerechte Formulierungen eingerichtet. Sie hat darauf viel positives Feedback erhalten, sieht sich aber auch heftigen Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt.

6. Lügenmaschine Trump und die «Lugenpresse»
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Das Unwort von der “Lügenpresse” hat nun auch die USA erreicht. Dort heißt es “Lugenpresse” und wird von Trump-Anhängern in die Kameras gebrüllt. “Dass Trumps Anhänger nun den Vorwurf der «Lügenpresse» erheben, lässt tief blicken. Es zeigt eine radikale Systemkritik und ideologische Wahlverwandtschaft zwischen den Trumpisten in den USA und den Pegidisten in Deutschland, die lange Zeit beide dasselbe meinten, aber nun zum ersten Mal auch dasselbe aussprechen.”

Sendeschluss, Medien-Honorare, Bundesliga

1. Das war’s dann
(taz.de, Jürgen Gottschlich)
Ein Besuch bei der letzten Mitarbeiterversammlung des türkischen Senders “IMC TV” brachte die traurige Gewissheit: Der unabhängige, linke Fernsehsender muss dicht machen, die mehr als 100 Mitarbeiter sind arbeitslos. Nun bleibt nur noch der Gang nach Straßburg zum Gerichtshof für Menschenrechte. Doch das kann Jahre dauern und der bisherige Finanzier befürchtet eine Enteignung, sollte er den Sender finanziell unterstützen. Damit seien im türkischen Fernsehen jetzt praktisch nur noch regierungsnahe Kanäle zu sehen.

2. “Tichys Einblick” – die konservative Alternative
(sueddeutsche.de, Johannes Boie)
Johannes Boie hat sich das Monatsmagazin “Tichys Einblick” angeschaut, hinter dem der Ex-Chef der “Wirtschaftswoche” Roland Tichy steckt. “Tichy kann es”, befindet der Autor. Das neue Heft habe eine Auflage von 70 000, erste Abos seien verkauft, Immobilienmaklern und Banken würden Inserate schalten. Unter den Autoren würden sich bekannte Konservative, aber auch “Internetkrawallos” befinden. “Tichy positioniert sich seriös, profitiert aber selbstverständlich vom Pegida-Narrativ der “Lücken- und Lügenpresse”. Es klingt nur vornehmer bei ihm: Sein Blatt, so schreibt er, sei “für Menschen, die die Nase voll haben vom bevormundenden Mainstream-Journalismus, die selber denken, die die Wahrheit vertragen”. Das stimmt. Jedenfalls solange die eigene Wahrheit ist, dass Merkel dringend abgewählt werden muss.”

3. Medien-Honorare: David gegen Goliath
(carta.info, Laurent Joachim)
Laurent Joachim fragt sich, warum Deutschlands Journalisten in fremden Angelegenheiten so mutig seien, aber innerhalb ihrer Verlage so verzagt. In kaum einer anderen Branche seien die Stundenlöhne so schlecht wie in den Medien. Und kaum irgendwo sonst würden sich die Betroffenen so selten dagegen wehren. Joachims trauriges Fazit: “Inzwischen ist Lohndumping überall so verbreitet, dass keine Krähe einer anderen ein Auge aushacken kann, ohne sich selbst in Verlegenheit zu bringen. Eigentlich ein perfektes Machtsystem samt Schweigekartell.”

4. Erdogan geht gegen Einstellung des Böhmermann-Verfahrens vor
(zeit.de)
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wehrt sich gegen die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Die Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz muss nun über die Beschwerde Erdoğans entscheiden.

5. Seniorbook heißt jetzt Wize.life
(horizont.net, Katrin Ansorge)
Das Netzwerk “Seniorbook” weicht einem Rechtsstreit mit Facebook aus und benennt sich “freiwillig” um in “wize.life”. Laut IVW hätte “Wize.life” im September dieses Jahres 5,9 Millionen Visits verzeichnen können, bei 320.000 registrierten Nutzern.

6. Wie sich das Facebook-Wachstum der Bundesliga-Klubs ins Ausland verschiebt
(andreasrickmann.de)
Der FC Bayern hat 39 Millionen Fans auf Facebook. Doch nicht einmal mehr 10 Prozent kommen aus Deutschland. Ein Trend, der auch bei anderen Bundesligisten zu sehen ist und die Vereine vor neue Herausforderungen stellt, findet Andreas Rickmann. So habe der FC Bayern seine Teamvorstellung im August via Facebook Live auf Englisch gestreamt. Dies sei im Sinne von über 90 Prozent der Facebook-Fans und konsequent am (Facebook) Publikum ausgerichtet gewesen, hätte aber für Unmut bei den heimischen Fans gesorgt. Rickmann spricht von einem Spagat, vor dem gerade Traditionsklubs im Bereich der Internationalisierung stehen würden: “Die Emotionen und Identität der wichtigen deutschen Fans respektieren, die Werte und die Seele des Klubs wahren und zugleich neue Zielgruppen erschließen.”

Heute beginnt das Kandidatinnen-Vergessen

Wenn Ralf Schuler mal nicht Witze der Flensburger Linksfraktion als ernstgemeinte Vorschläge miss­in­ter­pre­tie­rt, Burger-Interviews führt oder den Untergang des Abendlandes an Weihnachten herbeisingt, schreibt er als Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros über Politik. Zusammen mit “Bild”-Politik-Chef dem leitenden “Bild”-Politik-Redakteur Rolf Kleine hat er heute eine Prognose zur Nominierung der Kandidaten für die im kommenden Jahr anstehende Bundespräsidentenwahl geliefert:

Die zwei “Bild”-Polit-Profis haben sich schon mal festgelegt, wer nicht Kandidat werden wird: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (den wolle Angela Merkel nicht) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (der habe nicht genug Anhänger).

Aber wer dann? Schuler und Kleine haben da so ihre Infos:

Union und SPD gehen nach BILD-Informationen davon aus, dass Merkel in den nächsten Wochen einen dritten “unparteiischen” Kandidaten präsentieren wird, der für alle GroKo-Delegierten in der Bundesversammlung (setzt sich überwiegend aus Abgeordneten des Bundestages und der Landtage zusammen) wählbar ist. Denkbar wäre z. B. ein hochrangiger, anerkannter Wissenschaftler.

In der SPD heißt es zudem: Wenn Merkel “eine einigermaßen akzeptable Frau” als überhaupt erste Anwärterin fürs Schloss Bellevue präsentiere, könnten zumindest die GenossINNEN kaum Nein sagen.

Das wär’ was — die “überhaupt erste Anwärterin fürs Schloss Bellevue”. Also nach Beate Klarsfeld, die 2012 gegen den derzeitigen Bundespräsidenten Joachim Gauck angetreten ist.

Und nach Luc Jochimsen, die 2010 angetreten ist.

Und nach Gesine Schwan, die 2009 angetreten ist.

Und noch mal nach Gesine Schwan, die auch schon 2004 angetreten ist.

Und nach Dagmar Schipanski, die 1999 angetreten ist.

Und nach Uta Ranke-Heinemann, die ebenfalls 1999 angetreten ist.

Und nach Hildegard Hamm-Brücher, die 1994 angetreten ist.

Und nach Luise Rinser, die 1984 angetreten ist.

Und nach Annemarie Renger, die 1979 angetreten ist.

Marie-Elisabeth Lüders war zwar nie offiziell angetreten, bekam bei der Bundespräsidentenwahl 1954 allerdings eine Stimme.

Aber von denen mal abgesehen, haben Ralf Schuler und Rolf Kleine mit ihrer Aussage recht.

Mit Dank an C. F. und Tobias N. für die Hinweise!

Neoliberal-Battle, Kopp-Kongress, Böhmermann-Verlautbarung

1. Oskars Rage
(taz.de, Georg Löwisch)
Oskar Lafontaine hat auf Facebook geschimpft, die “taz” gehöre zu einer „neoliberalen Kampfpresse“. Er hatte sich über einen “taz”-Artikel geärgert, in dem es um das Doppel-Interview der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” mit Sahra Wagenknecht und der AfD-Chefin Frauke Petry ging. Das kann und will Chefredakteur Georg Löwisch nicht auf sich sitzen lassen und antwortet in einem Kommentar: “Den taz-Artikel, den Lafontaine als Ergebnis neoliberaler Kampfpresse schmäht, hat ausgerechnet Ulrike Herrmann geschrieben: unsere wirtschaftspolitische Korrespondentin, die kundig wie keine andere im Land neoliberale Politik auseinandernimmt. Bizarr, ausgerechnet diese Korrespondentin greift er an. Es ist ein Detail, aber es gehört zur Tragik dieses Mannes, der einmal die Courage selbst war und dem nun nur noch die Rage geblieben ist.”

2. Nicolaus Fest zieht es zur AfD
(tagesspiegel.de, Fabian Leber)
Die Berliner AfD freut sich über einen prominenten Neuzugang. Dabei soll es sich um den Ex-Springer-Journalisten Nicolaus Fest handeln. Fest war ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der “Bild am Sonntag” und Sohn des früheren FAZ-Herausgebers Joachim Fest. Ende 2014 hatte er auf eigenen Wunsch die “Bild am Sonntag” verlassen. Dem vorausgegangen war ein islamkritischer Beitrag von Fest, der viel Kritik und eine Rüge des Presserats auslöste. “BamS”-Chefredakteurin Marion Horn und “Bild”-Chefredakteur und “BamS”-Herausgeber Kai Diekmann hatten sich danach von dem Kommentar distanziert und auf mehreren Seiten eine Entschuldigung abgedruckt.

3. Wenn die Grossen bei den Kleinen klauen
(presseverein.ch, Janosch Tröhler)
Dem Online-Magazin “Negative White” ist zum wiederholten Male ein Foto gemopst und ohne Erlaubnis veröffentlicht worden. Übeltäter soll “20min.ch” gewesen sein, das größte Newsportal der Schweiz. Entsprechend sauer und frustriert fällt die Reaktion der beklauten Seite aus: “Wir könnten theoretisch mal eine dieser Abmahn-Agenturen für Nachforschungen anfragen. Doch – wie gesagt – arbeiten alle bei Negative White auf freiwilliger Basis. Wir verdienen etwas an Werbung und Partnerschaften, aber davon gibt’s knapp ein kühles Blondes, nachdem wir alle Rechnungen bezahlt haben. Und das ist es, was mich an der Sache so wütend macht. Die Leute bei Negative White arbeiten aus Leidenschaft, opfern ihre Freizeit und nehmen sogar Ferien, um der Leserschaft etwas bieten zu können. Eine unerlaubte Verwendung ihrer Arbeit ist nicht nur illegal, sondern man spuckt ihnen geradezu vor die Füße.”

4. Der kleine Mann beim Kongress des Kopp-Verlags
(ndr.de, Jakob Leube & Tobias Döll)
Am Wochenende fand in Stuttgart der Kopp-Kongress statt. Pressevertreter waren bei der Versammlung der Lügenpresse-Ankläger und Verschwörungstheoretiker nicht zugelassen. “Extra 3” hat dennoch einen Reporter entsandt, der zumindest einige der am Einlass wartenden Besucher befragen konnte, was faul im Staate ist. Ohne zu viel spoilern zu wollen: Genannt wurden die Rothschilds, die Illuminati, Obama und Marionetten…
Wer umfangreichere Kongressberichte lesen will: Moritz Tschermak war für “Übermedien” vor Ort, Anja Rützel für den “Spiegel” (Bezahllinks). Beiden sei von dieser Stelle aus gute Genesung gewünscht!

5. Can Dündar will Medienprojekt in Deutschland starten
(persoenlich.com)
Der im Exil lebende Ex-Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung “Cumhuriyet”, Can Dündar, will in Berlin ein neues Medienprojekt starten. Er wird mit den Worten zitiert: “Ich möchte hier das tun, was wir in der Türkei mit gefesselten Händen und Füssen zu machen versucht haben.”

6. Böhmermann-Affäre: Persönliche Stellungnahme von Jan Böhmermann zur Sache.
(youtube.com, Jan Böhmermann, Video: 7:09 Min.)
Jan Böhmermann gibt eine persönliche Stellungnahme zur Einstellung des Schmähgedicht-Verfahrens ab. Böhmermann steht, wie er sagt, zu 100 Prozent zum ZDF und leitet dann zum Inhaltlichen über: “Im Vergleich zu dem, was kritische Journalisten, Satiriker oder Oppositionelle damals und auch jetzt gerade durchmachen, ist dieses ganze Theater um die “Böhmermann-Affäre” schon wieder ein guter, trauriger Witz für sich, der sich leider völlig außerhalb meiner professionellen Qualitätskontrolle befindet.”

Erdogan, Putin, Lierhaus

1. Türkische Regierung schließt Fernsehsender
(tagesschau.de)
Die türkische Regierung hat den Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert und verfolgt weiterhin ihr unbequem erscheinende kritische Medien und Journalisten. Nun stürmten Polizisten in Istanbul die Redaktion des prokurdischen Senders “İMC TV” und stoppten den Betrieb. Als Grund sei der Verdacht der Verbindung zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK genannt worden. Die Journalisten sollen vor Abschaltung des Senders noch “Ihr werdet niemals die freie Presse zum Schweigen bringen” gerufen haben.

2. „What’s the story?“ – NPR-Moderatorin Kelly McEvers über einen guten Podcast
(blogs.deutschlandradio.de, Boris Bittner)
Beim “MIZ Radio Innovation Day 2016” in Potsdam gab es prominenten Besuch: Die mehrfach ausgezeichnete Journalistin Kelly McEvers erzählte, was eine gute Sendung ausmacht. Boris Bittner vom Deutschlandradio hat die wichtigsten Erkenntnisse ihres Vortrags zusammengefasst.

3. Moskau muss ukrainischen Journalisten freilassen
(reporter-ohne-grenzen.de)
Der Frankreich-Korrespondent der ukrainischen Nachrichtenagentur “Ukrinform” Roman Suschtschenko ist während eines privaten Aufenthalts in Russland festgenommen worden. Er wurde im Schnellverfahren wegen angeblicher Spionage zu zwei Monaten Untersuchungshaft im Moskauer Lefortowo-Gefängnis verurteilt. Der Journalist durfte bisher nicht mit seinem Anwalt sprechen. “Reporter ohne Grenzen” fordert die russischen Behörden auf, Suschtschenko unverzüglich freizulassen.

4. “Frontal21”-Doku Dienstag um 21 Uhr zu “Putins geheimes Netzwerk”: Wie Russland den Westen spalten will
(kress.de, Bülend Ürük)
Gestern lief im “ZDF” die “Frontal21”-Doku “Putins geheimes Netzwerk – Wie Russland den Westen spaltet”. Im Gespräch mit “kress.de” erklärt einer der Doku-Autoren, wie russische Internet-Trolle in Deutschland und Europa Meinung machen und Angst schüren. Hintergrund der Sendung ist ein Leak von 10.000 Nachrichten aus dem E-Mail-Account der Informationsministerin in Donezk: “Bei der Auswertung der E-Mails ist klar erkennbar geworden, dass die Administration der Separatisten weisungsabhängig von den russischen Beratern ist. Aus dem Kommunikationsverlauf lässt sich entnehmen, dass sie gemeinsame Projekte von Geheimdienst, Rebellenarmee und lokalen Medien organisieren.”

5. Ethik-Untersuchung und neuer Kodex für die PR-Branche in Österreich
(netzwerk-medienethik.de, Alexander Filipovic)
Der österreichische PR-Ethik-Rat hat in einer Studie die ethischen Probleme der Kommunikationsbranche herausgearbeitet. Dazu hat man 16 PR-PraktikerInnen in sogenannten Tiefeninterviews befragt sowie im Vorfeld Gespräche mit ExpertInnen aus Medienethik und Branche geführt. Die Studie „Ethik im Alltag. Qualitative Befragung und Analyse über ethische Herausforderungen, Dilemmata und Probleme österreichischer PR PraktikerInnen“ (Gabriele Faber-Wiener, Sabine Einwiller) sowie der „Kodex des Österreichischen Ethik-Rats für Public Relations ‚Ethik in der Digitalen Kommunikation‘“ sind verlinkt und herunterladbar.

6. RTL führt Monica Lierhaus als bloßes Opfer vor
(welt.de, Antje Hildebrandt)
Sieben Jahre ist es her, dass bei Sportmoderatorin Monica Lierhaus während eines Routineeingriffs ein Aneurysma im Gehirn platzte. Nach vier Monaten im Koma erwachte Lierhaus als Pflegefall und musste alles wieder neu lernen. Nun hat RTL eine Doku über Lierhaus gedreht, in der sie regelrecht vorgeführt wurde, wie Antje Hildebrandt in der “Welt” schreibt: “Man kann Monica Lierhaus nur wünschen, dass dies der letzte Rückschlag auf ihrem Weg zurück ins Leben war. RTL „Exclusiv“ ist zwar ein Starmagazin und nicht das Magazin der Aktion Mensch. Und Frauke Ludowig ist eine abgebrühte Quotenjägerin und nicht Mutter Teresa. Aber gibt das dem Fernsehen das Recht, eine schwerbehinderte Heldin als Opfer zu verkaufen?”

Transparenzwahn, Nichtstun, Seriendesaster

1. «Als Journalist muss ich sagen: Das ist faszinierend!»
(schweizamsonntag.ch, Yannick Nock & Christof Moser)
Alan Rusbridger war von 1995 bis 2015 Chefredakteur der renommierten britischen Tageszeitung “The Guardian”. Im Interview wird er mit unangenehmen Fragen zu Gegenwart und Zukunft konfrontiert: Der “Guardian” habe heute weltweit 100 Millionen Online-Nutzer und trotzdem kein funktionierendes Geschäftsmodell. Im vergangenen Jahr seien 60 Millionen Euro Verlust aufgelaufen, mehr als 200 Stellen sollen gestrichen werden. In den Antworten schimmert viel Rat- und Hilflosigkeit durch. Eine Chance auf Monetarisierung sieht er im Mix: “Zum Beispiel auf ein Publikum setzen, das sich als Mitglied einer Community zahlungsbereit zeigt. Oder Native Advertising als Einnahmequelle. Vielleicht setzt sich auch stiftungsfinanzierter Journalismus durch. Oder Live-Events, um Erlöse zu generieren. Wahrscheinlich ist, dass eine Vielzahl von Einnahmequellen den Journalismus finanzieren muss.”

2. Transparenz ohne Wert
(medienwoche.ch, Lothar Struck)
Recherche als Selbstzweck und ohne Erkenntnisgewinn, nennt Lothar Struck die Offenlegung des Pseudonyms der italienischen Bestsellerautorin Elena Ferrante. Der betreffende Journalist hätte das Pseudonym und die dahinterstehende Person respektieren müssen. Alles andere seien Ausreden: “In Wirklichkeit dürfte es ihm weder um die Literatur Ferrantes noch um das Informationsbedürfnis eines Publikums gegangen sein. Die Aktion dient einzig dazu, seinen Ruhm zu steigern. Das Recht auf Anonymität, auf Privatsphäre, das ansonsten jedem Verbrecher zugestanden wird, wird eigenmächtig und nonchalant eines pervertierten Transparenzwahns wegen außer Kraft gesetzt.”

3. «Ich weiss nicht, was ich wäre, wenn ich nicht Geschichte studiert hätte.»
(etue.ch, Valentin Rubin & Lisa Gnirss)
Monika Bolliger arbeitet von Beirut aus als Nahostkorrespondentin für die “NZZ”. Im Interview mit der HistorikerInnen-Zeitschrift “etü” erzählte sie vom Umgang mit Gefahr in Gaza und Syrien, von Journalismus mit schwieriger Quellenlage und von ihrem Geschichtsstudium an der Universität Zürich.

4. Die Tagesschau ist nicht das Problem
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz spöttelt über die mittlerweile vorliegende Entscheidung zum Streit um die Tagesschau-App: “Man könnte auch darüber sinnieren, wie lebensecht ein Urteil über ein Digital-Angebot ist, das ein Gericht auf der Basis seiner ausgedruckten (!) Version erlässt. Ebenso könnte man sich lange darüber auslassen, wie realitätsnah ein Urteil ist, das ernsthaft definieren will, was im hypermedialen Netz als „Presse“ zu bezeichnen wäre.” Doch der Streit um die Tagesschau-App lenke nur von den eigentlichen Problemen ab. Und die liegen nach Jakubetz unter anderem darin, dass die analoge Generation nicht loslasse und es der Branche alles in allem immer noch zu gut ginge. (Für einen Kommentar zum Urteil siehe auch Hans Hoffs Beitrag Wie sich die Tagesschau-App verändern muss in der “SZ”)

5. Die Hassmaschine
(spiegel.de, Jan Fleischhauer)
Für Jan Fleischhauer ist ein Besuch bei Facebook wie ein Gang durchs Strafgesetzbuch. Beleidigung, Nötigung, Verherrlichung des Nationalsozialismus, Leugnung des Holocaust, Volksverhetzung. Alles sei möglich! Fleischhauer geht in seiner Kolumne der Frage nach, warum Facebook nicht stärker eingreife und kommt zum Schluss: “Es tut nicht mehr, weil sich das Nichtstun auszahlt. Kompetente Leute einzustellen, kostet Geld. Die Beamten, mit denen ich im Justizministerium in Berlin gesprochen habe, gehen davon aus, dass in der Europazentrale des Unternehmens in Dublin nicht mehr als eine Handvoll Mitarbeiter so gut deutsch sprechen, dass sie eine Verleumdung von einem Witz unterscheiden können. Außerdem hält die Leute nichts so verlässlich bei der Stange wie Wut. Für einen Konzern, der davon lebt, dass die Menschen möglichst viel Zeit auf seinen Seiten verbringen, kann es nichts Besseres geben.”

6. Amazon kann alles – sogar große Flops
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath hat sich die seit Freitag verfügbare Amazon-Produktion „Crisis in Six Scenes“ angeschaut und ist einigermaßen entsetzt. Die Episodenreihe würde wie ein gestreckter, zerstückelter und noch dazu schlechter Woody-Allen-Film wirken. Doch Lückerath kann dem Seriendesaster auch Gutes abgewinnen: “Ein so prominenter Flop für Amazon tut gut – selbst Amazon. Es ist das Ventil für den ins Unermessliche gestiegenen Erwartungsdruck. Gut ist dieser Flop aber auch für jene, die den neuen SVoD-Anbietern eine grundsätzliche Überlegenheit bescheinigen sowie denen, die der Meinung waren: Wer Film für die große Leinwand kann, schafft Fernsehen doch mal eben mit links. Woody Allen weiß nun, dass dem nicht so ist. In so vielerlei Hinsicht ist „Crisis in Six Scenes“ also gar nicht so schlecht. Nur gucken braucht man es deshalb noch lange nicht.”

Was für eine Katastrophe

Puh, noch mal Glück gehabt:

Drohnen kommen Flugzeugen immer häufiger gefährlich nahe. Nun ist es beinahe zu einer Kollision über der Nürnberger Burg gekommen.

Bei Facebook und Twitter klang das alles noch etwas dramatischer — dort schrieben die “Nürnberger Nachrichten” gestern von einer “Katastrophe”, die es am 3. September “fast” gegeben hätte:


Im verlinkten Text steht:

Am 3. September kam ein ferngesteuertes Flugobjekt in 1300 Metern Höhe gleich bei der Nürnberger Kaiserburg einem Kleinflugzeug bedrohlich nahe. Der Fall endete glimpflich: Der Pilot konnte abdrehen und meldete den Vorfall der Deutschen Flugsicherung. Die Polizei leitete Ermittlungen ein, konnte den Betreiber aber nicht identifizieren.

Passiert ist diesmal nichts, doch schon öfter wäre es beinahe zu Katastrophen gekommen.

Also mal bei der “Deutschen Flugsicherung” nachgefragt. Ja, die Meldung aus Nürnberg habe es gegeben. Das müsse aber nichts bedeuten, schließlich ermittle man nach einer solchen Meldung nicht, welche Gefahr von einer Situation ausgeht.

Anruf beim Polizeipräsidium Mittelfranken. Ja, am 3. September sei eine Meldung über eine Drohne eigegangen. Der Pilot einer kleinen Maschine, vermutlich eines Sportflugzeugs, sei am Nürnberger Flughafen gestartet und habe eine Drohne westlich der Burg in ungewöhnlicher Höhe gesehen. Das habe er sicherheitshalber dem Tower gemeldet, als ungewöhnliche Beobachtung. Zwischen Flughafen und Burg lägen etwas über vier Kilometer, “bedrohlich nahe” seien sich Drohne und Flugzeug also wahrlich nicht gekommen. Zu keinem Zeitpunkt habe es irgendeine Gefährdung gegeben. Von einer möglichen Katastrophe könne man nun wirklich nicht sprechen. Das habe man vor einigen Tagen so auch einem Journalisten der “Nürnberger Nachrichten” auf dessen Nachfrage mitgeteilt.

Mit Dank an Roland B. für den Hinweis!

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