Suchergebnisse für ‘LINK’

Nichts ist so alt wie die falsche Burkini-Meldung von vor vier Monaten

Als der Axel-Springer-Verlag im September 2015 für viele Millionen US-Dollar die Mehrheit an “Business Insider” erwarb und gut zwei Monate später verkündete, auch eine deutsche Version der Nachrichtenseite für Wirtschaftsthemen an den Start gebracht zu haben, waren die Versprechen ziemlich vollmundig: von “innovativem digitalem Journalismus” war da die Rede, von “kompetent und unkonventionell”, vom “typischen Business-Insider-Stil mit seiner unverwechselbaren Erzählweise”.

Dieser “typische Business-Insider-Stil” kommt einem nach eingehender Prüfung vor allem wie eins vor: Clickbait (gut möglich, dass wir bald mal unsere Clickbait-Taskforce dort vorbeischicken). Drei zufällig ausgewählte Facebook-Posts der Redaktion von heute, die zeigen, wie “Business Insider Deutschland” in dem Sozialen Netzwerk auf Leserfang geht:

Der Konzern verlegte die internationale Zentrale von Luxemburg nach London.

Bremerhaven, Gelsenkirchen, Köln, Duisburg und Frankfurt am Main (gemessen wurde das Einkommen im Verhältnis zu den tatsächlichen Lebenshaltungskosten).

Vermutlich hat er in einer Bibel gelesen.

Gestern postete das “Business Insider”-Team diesen Artikel bei Facebook:

“Zum Äußersten” bedeutet in diesem Fall, dass die Polizisten die Frau gezwungen haben sollen, den Burkini auszuziehen.

Und, nein, in Frankreich liegen die Leute nicht im Dezember am Strand. “In den vergangenen Tagen” ist schlicht grob irreführend. Denn die ganze Geschichte — einige werden sich bestimmt erinnern — stammt aus dem August. Genauso der verlinkte “Business Insider”-Text:

Nun ist der Artikel aber nicht nur alt, sondern auch falsch. Die Frau trug nach eigener Aussage gar keinen Burkini, sondern eine Leggins, eine Tunika und ein Tuch um den Kopf. Aber solche Details interessieren die Clickjäger von “Business Insider” natürlich nicht.

Das ständige Neuposten von Clickbait-Artikeln hat übrigens “Focus Online” schon vor einiger Zeit perfektioniert. Wer weiß — vielleicht soll sowas ja auch fester Bestandteil des “unkonventionellen” “Business-Insider-Stils” werden.

Für Sie geklickt (13)

Kurz vor dem Wochenende haben wir unserer Clickbait-Taskforce noch einmal losgeschickt, um nachzuschauen, was hinter den vollmundigen Ankündigungen in Teasern und verlockenden Schlagzeilen steckt. Durch diesen Einsatz können Sie Lebenszeit und Gehirnzellen sparen und sind trotzdem bestens informiert.

Heute: die vergangenen Tage bei der “Huffington Post”.

***


Schafen oder Aliens.

***


Yoga.

***


Seine Freundin fing plötzlich an zu schweben. Könnte aber auch nur ein Fake sein.

***


115.

***


Hinter ihr schwamm ein Hai.

***


Auf dem Zettel lädt das Restaurant alle obdachlosen und älteren Menschen zu einem Drei-Gänge-Menü ein, damit sie an Weihnachten nicht alleine essen müssen.

***


“Industrieschnee”, der entstehe, wenn Wasserdampf aus Schornsteinen von Industrieanlagen bei niedrigen Temperaturen aufsteigt.

***


Ein Meteorit ist in die Erdatmosphäre eingedrungen und verglüht.

***


“Weightless” von “Marconi Union”.

***


Starke Führungspersönlichkeiten.

***


1. “Du durftest nicht ins Internet, wenn Deine Mutter einen wichtigen Anruf erwartet hat.”
2. “Du hast die Telefonrechnung gesprengt, weil Du zu lange in Chatrooms unterwegs warst.”
3. “Das originale ‘Tamagotchi’ war ausverkauft, deshalb hast Du nur die Billigkopie bekommen.”
4. “Du hast einen Film aus der Videothek ausgeliehen und musstest ihn erstmal zurückspulen.”
5. “Dabei hattest Du doch gar keine Zeit, denn Du musstest den Film am Samstag vor 0 Uhr zurückgeben, sonst musstest Du die Leihgebühr bis Montag zahlen.”

… ach, schenken wir uns den Rest.

***


Hat Spaß gemacht, wäre aber nichts auf die Dauer.

***


Sie müssen bis zu 119 Euro zahlen, wenn sie in einem Auto rauchen, in dem auch Kinder sitzen.

***


Auf dem Foto sitzt ein Kojote neben dem Jungen. Der war aber nur per Photoshop eingefügt.

***


Ein anderer Junge plant dort einen Amoklauf. Ist allerdings nur ein Aufklärungsvideo.

***


1. “Sie denken schneller”.
2. “Bei Entscheidungen bewerten Linkshänder Informationen auf der linken Seite positiver”.
3. “In einigen Sportarten sind Linkshänder besser als Rechtshänder”.
4. “Die Gehirne von Linkshändern ordnen Gefühle auf andere Weise”.
5. “Linkshänder sind häufig die kreativeren Denker”.

***


Verkleidete Menschen.

***


Goldbarren und Münzen im Wert von 250.000 Euro.

***


Erst beängstigend, dann gut.

***


Beten.

***


Lieber zu Hause bleiben.

***


Na, warum wohl?!

***

Bitte. Keine Ursache.

Die Fotobeschaffer von Hameln

Eigentlich wollten wir hier im BILDblog schon vor knapp zwei Wochen über den Fall berichten. Es geht um die erschreckende Tat eines Mannes, der erst auf seine Frau einstach, ihr dann ein Seil um den Hals band und sie anschließend an seinem Auto hinter sich herzog.

Damals, am 23. November, veröffentlichte “Bild” diesen großen Artikel:


(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und auch Bild.de berichtete (auf einen Link verzichten wir ganz bewusst) mit einem kostenpflichtigen “Bild plus”-Artikel:

In den Tagen zuvor hatten die “Bild”-Medien das Geschehen im niedersächsischen Hameln schon intensiv begleitet. Sie hatten unverpixelte Fotos des Opfers gezeigt (vermutlich mit Zustimmung der Familie), sie hatten unverpixelte Fotos des geständigen Täters gedruckt, sie hatten Fotos von Blutspuren veröffentlicht. Das volle Programm.

Am 23. November sind sie noch einen Schritt weiter gegangen: “Bild” und Bild.de (bereits einen Tag zuvor) verbreiteten eine Aufnahme des Opfers Kader K. aus dem Krankenbett auf der Intensivstation, riesengroß, wie man oben erahnen kann. Zu dieser Zeit lag sie in der Universitätsklinik in Hannover im Koma, hilflos, angeschlossen an viele Schläuche. Die “Bild”-Mitarbeiter verzichteten auf jegliche Unkenntlichmachung.

Dass die Veröffentlichung dieses Fotos eines lebensgefährlich verletzten Opfers auf Kritik stoßen könnte, dürften auch “Bild” und Bild.de geahnt haben. Jedenfalls stellten sie bereits in der Unterzeile klar, dass “der Bruder von Kader K.” “in BILD” spreche, und ihren Artikel begannen die Autoren direkt so:

“WIR WOLLEN DER WELT ZEIGEN, WAS DIESER HUND KADER ANGETAN HAT.”

Das sagt Maruf K. (35), der Bruder von Verbrechensopfer Kader K. (28).

Ein paar Absätze später schreiben sie:

Ihr Bruder fotografierte sie auf der Intensivstation, gab BILD das Foto — weil die Familie dokumentieren will, was geschehen ist.

Deswegen hatten wir das Thema erstmal nicht aufgegriffen: Wenn eine Familie sich dazu entscheidet, das Foto eines Angehörigen an “Bild” zu geben, kann die Zeitung es auch drucken. Natürlich hätte sich die Redaktion dazu entschließen können, aus Pietät auf den Abdruck zu verzichten oder das Opfer zumindest zu anonymisieren. Aber bei einer solchen Entscheidung geht es um Anstand. Und es geht um “Bild” und Bild.de.

Heute ist in der “Süddeutschen Zeitung” ein Artikel zu der “Gewalttat in Hameln” erschienen. Tim Neshitov hat die Familie von Kader K. besucht und mit ihr über den tragischen Fall gesprochen. Neshitov zitiert in seinem Text auch den Bruder, der “Bild” das Foto seiner Schwester im Krankenbett gegeben hatte:

Die Bild-Zeitung hat ihr obligatorisches Opferfoto abgedruckt, sogar mit Beatmungsschläuchen, wofür Kaders älterer Bruder auf der Intensivstation sein Handy zücken musste (“Ich war verwirrt, wie im Nebel, und die sagten noch, so ein Foto würde Kader nützen”).

Der Bruder von Kader K. bereue es inzwischen, bei dieser “Bild”-Geschichte mitgemacht zu haben, sagte uns Tim Neshitov auf Nachfrage.

Wir werden ab und zu gefragt, warum wir “Bild” und Bild.de immer noch beobachten und regelmäßig kritisieren. Dazu kommt oft der Satz: “Die Leute von ‘Bild’ sind doch gar nicht mehr so schlimm wie früher.” Vielleicht nicht alle. Einige aber schon.

Mit Dank an Rosemarie H., Thomas S., Fab und @HoechDominik für die Hinweise!

Sexualmord in Freiburg, Lynchfantasien, Fake-Fake-News

1. Krankes Geschäftsmodell
(spiegel.de, Nina Weber & Jörg Römer)
Es gibt da einen netten Begriff: “Empfehlungsmarketing”. Nina Weber und Jörg Römer fänden in vielen Fällen allerdings das Wort “Schleichwerbung” deutlich passender. Sie haben jeweils fünf Ausgaben von 13 verschiedenen Frauenzeitschriften analysiert und dort zahlreiche Erwähnungen von rezeptfreien Medikamenten entdeckt. Oft entdeckten sie nicht nur diese Nennungen im redaktionellen Teil, sondern auch Anzeigen für dasselbe Produkt. Das alles riecht stark nach einer Vermischung von journalistischer Arbeit und Werbung. Zusätzlich hat Nina Weber überprüft, ob die Gesundheitstipps denn wenigstens “medizinisch sinnvoll sind oder gar gesundheitlich bedenklich”: “Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie nicht Ihre Frauenzeitschrift”.

2. Warum die Lügenpresse-Vorwürfe gegen die „Tagesschau“ falsch sind
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Die “ARD” musste sich in den vergangenen Tagen einiges an Kritik anhören, auch von anderen Medien. Die zentrale Frage: Warum hat die “Tagesschau” nicht über die Festnahme eines Verdächtigen in einem Mordfall in Freiburg berichtet? Der zentrale Vorwurf: Weil es sich um einen Flüchtling aus Afghanistan handele. Stefan Niggemeier kommentiert, die “Tagesschau” habe eigentlich so wie immer entschieden, wenn es um Mord geht: “Es ist nicht so, dass die ‘Tagesschau’ eine Ausnahme von ihrer sonstigen Regel gemacht hat. Sondern der ‘Stern’ und all die anderen Empörten fordern, dass sie im Fall von Flüchtlingen eine Ausnahme machen soll.” Dazu auch Alexander Krei bei “DWDL”: “Morde in der ‘Tagesschau’: Eine Frage der Relevanz”.

3. Fall Maria L.: Ein Blick in die Abgründe von Facebook
(badische-zeitung.de)
Noch einmal zum Sexualmord in Freiburg: Seit Bekanntwerden der Nationalität des mutmaßlichen Täters ist auf der Facebookseite der “Badischen Zeitung” die Hölle los: Lynchfantasien, Mordaufrufe, purer Hass. Die Redaktion dokumentiert einige der von ihr gelöschten Kommentare.

4. Football Leaks — der “Fall” Özil und ein kurzer Blick auf die Rolle des Spielervermittlers
(sportsandlaw.de, Robert Golz)
“Der Spiegel” macht aktuell mit einer großen Geschichte zu den Finanztricks von Fußballstars auf. Robert Golz, der sich als Anwalt mit Urheber-, Persönlichkeits- und Presserecht im Fußball beschäftigt, hat sich die Recherche mal angeguckt. Sein Urteil: “Was als große Enthüllungsstory beginnt und mit dem reißerischen Titel ‘Das sieht richtig übel aus’ überschrieben ist, fällt im Verlauf des Studiums des Beitrags ziemlich schnell in sich zusammen und läuft letztlich darauf hinaus, dass es erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der deutschen und der spanischen Steuerberatungskanzlei von Mesut Özil gegeben haben muss”.

5. Trump telefoniert mit Tsai — Medien machen Panik
(intaiwan.de, Klaus Bardenhagen)
Ein Telefonat mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen — und schon habe Donald Trump laut Medienberichten beinahe die erste diplomatische Krise ausgelöst. Klaus Bardenhagen findet, dass die Redaktionen mit ihren Beiträgen Chinas Propaganda gleich mit erledigt hätten: “Für die Machthaber in Peking muss es ein Fest gewesen sein, diese Reaktionen zu beobachten. Bevor sie überhaupt eine Chance hatten, sich zu äußern (Zeitverschiebung), hatten Journalisten und Trump-kritische Experten ihnen schon die Entscheidung abgenommen, wie sie sich zu verhalten haben.”

6. Der Mosel Kurier — eine Fake Fake News Seite für mehr Medienkompetenz
(schleckysilberstein.com, Christian Brandes)
Das Team von “Schlecky Silberstein” hat eine eigene Onlinezeitung gegründet: den “Mosel Kurier”. Also zumindest fast. Der “Mosel Kurier” verbreitet vor allem Fake-Nachrichten à la “Grünen-Politiker setzt Kinderheim in Brand” oder “Bei Kreisliga-Spiel: Großfamilie bedroht Schiedsrichter mit Säbel” — alles ausgedacht. Der Trick dabei: Teilen Leute nun diese wahnwitzigen Geschichten bei Facebook, und folgt ein “bestätigungswütiger Wutbürger” dem Link, bekommt dieser nur einen Warnhinweis angezeigt: “REINGEFALLEN!!!!!!”

Charlie Hebdo, Mario Barth, Vera Lengsfeld

1. Bienvenue, Charlie!
(zeit.de, Wenke Husmann)
Das französische Satiremagazin “Charlie Hebdo” hat den Sprung nach Deutschland gewagt und liegt nun in einer Auflage von 200.000 Stück an den Kiosken. Rezensentin Wenke Husmann ist besonders von der großen Deutschland-Reportage und dem Leitartikel angetan. Insgesamt wünscht sie sich jedoch mehr Provokation: “Charlie Hebdo wird wohl auch in Deutschland nicht so leicht verdaulich bleiben wie in dieser ersten Ausgabe. Hoffentlich nicht. Denn Meinungsfreiheit bedeutet schließlich nicht, dass Inhalte verbreitet werden dürfen, die uns passen, sondern eben auch und vor allem, dass Meinungen verbreitet werden können, die uns gewaltig gegen den Strich gehen. Bienvenue, Charlie!”

2. Ganz tief nach unten getreten
(taz.de, Peter Weissenburger)
Peter Weissenburger greift in einem Kommentar den „Almanach“ des Bundespresseballs mit dem satirisch gemeinten Stück über Schwimmkurse für Flüchtlinge auf und begründet, warum es sich bei dem Stück aus seiner Sicht um wenig Satire und viel schlechten Geschmack handelt.

3. Mario Barth mit versteckter Kamera im Opernhaus
(haz.de, Stefan Arndt)
TV-Comedian Mario Barth deckt in seiner RTL-Show angeblich “die krassesten und absurdesten Fälle von Steuerverschwendung” auf. Nun ist ihm und seinem Autorenteam aufgefallen, dass es Geld kostet, Theater und Opernhäuser zu betreiben: Am Beispiel der Staatsoper Hannover prangerte er in der jüngsten Sendung die Kulturförderung an. Samt Holzhammer-Ironie, Populismus-Keule und Barthscher Kennste-Kennste-Attitüde.
Nachtrag: Von einigen Lesern kam die Rückmeldung, dass sich der Artikel hinter einer Paywall versteckt, andere können den Text ohne Probleme lesen. Die Ursache fürs Erscheinen der Bezahlschranke könnten nicht zugelassene Cookies sein oder aber der Unterschied zwischen Verlinkungen in Social-Media-Kanälen und Verlinkungen auf Websites, den haz.de macht.

4. Deutsches Fernsehen Die TV-Show ist tot, es lebe ding ding dong!
(berliner-zeitung.de, Marcus Bäcker)
In der Fernsehstadt Köln haben sich jüngst einige TV-Macher getroffen, um beim „Großen Ufa-Show-Gipfel“ über die Zukunft der Unterhaltung zu sprechen. Marcus Bäcker war für die “Berliner Zeitung” dabei und berichtet über die Pläne der Bewegtbild-Branche. Es wird viel über Änderungen und neue Plänen geredet, doch mit der Umsetzung könnte es schwierig werden. Auch wegen der festgefahrenen Strukturen: “Spätestens, als die Diskussionsrunde an die zumindest theoretische Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender von Quoten und Marktanteile erinnerte, fühlte man sich tatsächlich um folgenlos verstrichene Jahre zurückversetzt. Das ARD-Adventsfest wird es wohl noch lange geben.”

5. Die ARD vs. Das Erste
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
Sollen aus neun ARD-Anstalten in Zukunft tatsächlich vier werden, wie es bei “Bild” und anderen Medien zu lesen war? Nein, bei dieser Meldung handele es sich um “blanken Unsinn” wie Kolumnistin Ulrike Simon den ARD-Sprecher zitiert. “Freilich knallt ein schlichtes „Aus-neun-mach-vier“ besser als der ernsthafte Versuch zu analysieren, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk Geld sparen könnte ohne die regionale Identität und programmliche Vielfalt aufs Spiel zu setzen.”, schreibt Simon weiter und verlinkt auf ein ihr zugespieltes Projektpapier.

6. Die Unwahrheiten der Vera Lengsfeld
(stern.de)
Bei “Maischberger” (ARD) wurde gefragt: “Vorwurf ‘Lügenpresse’ – Kann man Journalisten noch trauen?” Die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld war als Medienkritikerin eingeladen. Sie griff besonders den “Stern” an und nannte dafür drei Beispiele. Dabei handele es sich um nachweislich unwahre Behauptungen, so der “Stern”. Darauf habe man die Maischberger-Redaktion bereits während der Live-Sendung per Telefon und Twitter hingewiesen. Eine Reaktion sei jedoch nicht erfolgt. Nun prüfe man rechtliche Schritte gegen Vera Lengsfeld.

Ein Einschub voller Verachtung

Heute hat Gabor Steingart noch einmal nachgelegt, und er hat es tatsächlich geschafft, inhaltliche Argumente zu bringen. Der “Handelsblatt”-Herausgeber hat sich in seinem morgendlichen Newsletter “Morning Briefing” noch einmal den möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz vorgenommen. Steingart erklärt, was ihm an Schulz nicht passt: Der Präsident des Europäischen Parlaments sei “ein parteipolitisches Schlitzohr, aber kein Staatsmann”, er liebe die Ränkespiele des Parteienstaates mehr als die Sachpolitik, er habe in Brüssel deutsche Interessen hintangestellt und plädiere stets für zusätzliche Schulden und weniger Sparsamkeit. Schulz sei “ein Umverteilungspolitiker alter Schule” sowie ein “Europäer des Brüsseler Establishments”.

Diese Einschätzungen und Beurteilungen kann man richtig oder falsch finden. Sie orientieren sich aber immerhin an der Sache. Das sah am vergangenen Freitag noch ganz anders aus. Da hatte Gabor Steingart — ebenfalls im “Morning Briefing” — Martin Schulz auf persönlicher Ebene angegriffen:

Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,

auf vielen Titelseiten wird EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der von Brüssel nach Berlin umziehen will, heute wie ein Erlöser gefeiert. Dass viele Medien diesem im Volk weithin unbekannten Mann — der die Zulassung zum Abitur nicht schaffte, wenig später zum Trinker wurde, bevor er als grantelnder Abstinenzler für 22 Jahre im Brüsseler Europaparlament verschwand — plötzlich die Befähigung zur Kanzlerschaft zutrauen, ist nur mit journalistischer Telepathie zu erklären.

Ein kleiner Einschub, drei Stichpunkte, um einen Politiker, einen Menschen schnellstmöglich zu diskreditieren, niederzumachen. Natürlich könnte man die Punkte auch umdrehen, wenn man wollte: “Beeindruckend, dass Martin Schulz, der aus seiner früheren Trinkerei kein Geheimnis macht, es trotz einer schwierigen Biographie bis zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gebracht hat.” Steingarts Worte sind stattdessen voller Häme und Menschenverachtung.

Nach “Handelsblatt”-Angaben haben mehr als 500.000 Personen das “Morning Briefing” abonniert:

All diesen Leuten schickt Steingart einen Text, der exakt in die Kerbe haut, in die sonst Politikverdrossene, Stimmungsmacher, die AfD schlagen. Unsachlich und persönlich gegen Politiker und das politische Establishment.

Heute morgen haben wir bei “6 vor 9” einen Text verlinkt, der sich ebenfalls mit den Äußerungen von Gabor Steingart beschäftigt. Peter Ruhenstroth-Bauer schreibt dort:

Da wird in kurzem Staccato einer niedergemacht. Ein Politiker, also einer, bei dessen Kritik man sich des Beifalls des Publikums schnell sicher sein kann.

Nun fand Gabor Steingart seine Einfälle zu Martin Schulz wohl so bemerkenswert, dass er sie gleich zweimal bei Facebook gepostet hat:


Und unter beiden Beiträgen zeigt sich erfreulicherweise, dass Peter Ruhenstroth-Bauer mit seiner Beifall-Prognose danebenlag. Vereinzelt gibt es zwar Zustimmung für Steingarts Worte. Zum größten Teil aber klingen die Kommentare so:

Sehr geehrter Herr Steingart, Ihr Kommentar ist leider ein gutes Beispiel, weshalb heute kaum noch gute Leute in die Politik gehen wollen. Da schafft man es trotz mangelndem Abi bis nach Brüssel, vertritt dort die europäische Idee in schwierigsten Zeiten gegen Separatisten, Nationalisten und Populisten und muss sich dann von Journalisten wegen einer traurigen und für den Betroffenen übrigens ohnehin schon quälenden und zehrenden Erkrankung ans Bein pinkeln lassen. Ich finde das unfair, unwürdig und mies. So eine Beschimpfung hat ein Mensch nicht verdient, der sich so für die Gesellschaft einsetzt!

Fangen jetzt auch noch Journalisten an mit diesem billigen Politikerbashing, das jeden Respekt vermissen lässt? Unglaublich.

Das ist unterste Schublade und hat mit Journalismus nichts mehr zu tun.

das ist niveaulos!!

Seit wann benötigt man Abitur um Kanzler zu werden?
Und nur weil ein Mann mit jungen Jahren einen Fehler gemacht hat soll ihn das ein Leben lang verfolgen?
Dann hätte Herbert Wehner, einer der populärsten Politiker der Nachkriegszeit, niemals etwas werden können.
Ihr Text liest sich mit viel Verachtung die ihnen nicht steht und die Herr Schulz nicht verdient hat.

Lieber Herr Steingart, Ihr Teasing auf den Artikel ist reißerisch — auf Schulz Biografie geht der Text nicht ein. Das Alkoholthema nur auszupacken, um Stimmung zu machen, ist billig.

Das muss dieser Qualitätsjournalismus sein, den wir vor Trump beschützen müssen.

Ich verstehe nicht, weshalb man gleich so persönlich werden muss? Es ist doch hoch anzuerkennen, was für eine Karriere Schulz, trotz seiner Probleme in frühen Jahren, gemacht hat. Ein bisschen mehr Respekt im
Umgang mit anderen Menschen tut immer gut!

Mensch, Herr Steingart. Das zeugt wirklich von journalistischer Größe und inhaltlicher Auseinandersetzung, wie sie hier dem grantelnden Trinker einen mitgeben. Genau der Journalismus, auf den Deutschland gewartet hat. Stark. Weiter so.

Und Sie nennen sich Journalist? Einfach nur billig! Sie widern mich an, Herr Steingart!

…das nicht vorhandene Abitur und seine überwundene Alkoholkrankheit als Argumente für eine fehlende Eignung zum Kanzler zu machen, ist wirklich sehr unangebracht.

Herr Steingart, nach dem abwertenden Kommentar über Frau Merkel jetzt ein sehr abwertender Kommentar zu Herrn Schulz. Man muss Herrn Schulz nicht mögen, aber diese Art der Berichterstattung ist weit unter Ihrem Niveau und Ihrer Zeitung unpassend. Diese polemische Art zu schreiben vergiftet auch die politische Kultur.

Wow, hämisch auf einer Krankheit herumhacken — echtes Format! Hut ab!

Ojee, ein Versager … Unglaublich, dass das Handelsblatt zum Ramschblatt verkommt.

Klasse finden ich die vielen kritischen Kommentare zu Steingarts beleidigenden und voll daneben liegenden Eingangskommentar zu Schulz!!!

Für ein solches Geschreibsel hat FB leider keinen Button.
Herr Steingart, ihren Text kann man nur mit unterirdisch bezeichen.

Beleidigender Kommentar

Ähm, ich bin ja wirklich sehr oft Ihrer Meinung, Herr Steingart, aber das ist unwürdiges Bashing. Martin Schulz hat es auch ohne Abitur, aber mit vielen Fremdsprachen, geschafft, Karriere zu machen. Ein Alkoholproblem haben weitaus mehr “Führungskräfte” als ein Herr Schulz und er hat es wohl im Unterschied zu vielen anderen überwunden, oder

Mein Gott, ist das billig.

Lieber Herr Steigart, egal welche Meinung Sie über Herrn Schulz haben verbreiten Sie diese bitte ohne Beleidigungen. Ich weiß, gutes Benehmen ist aus der Mode gekommen, aber als Journalist sollten Sie eigentlich den Ehrgeiz haben in Ihren Texten ohne Beschimpfungen auszukommen.

Immerhin das hat Gabor Steingarts Martin-Schulz-Bashing gebracht: Die Erkenntnis, dass die Kommentar-Kultur im Internet doch noch nicht völlig hinüber ist.

Schlecht, schlechter, Geschlechtertrennung

Gestern Abend lief im WDR ein interessanter Reisebericht: “Eberl entdeckt den Iran — Reform unter Beobachtung”. TV-Journalist Jens Eberl ist mit seiner Kollegin Zoya Ghoraishi durch den Iran gereist, rausgekommen ist eine knapp 30-minütige “Weltweit”-Reportage.

Darin auch dieser Dialog an einer Bushaltestelle (ab Minute 6:14):

Ghoraishi: Na, fällt Dir bei den Bussen was auf?

Eberl: Haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel, würde ich sagen.

Ghoraishi: Aber was anderes meine ich jetzt.

Eberl: Was denn?

Ghoraishi: Guck mal, wo die Frauen sitzen und wo die Männer sitzen. Wenn der Fahrer ein Fahrer und nicht eine Fahrerin ist, dann sitzen Männer vorne und Frauen hinten. Wenn der Bus aber von einer Frau gefahren wird, dann sitzen Frauen vorne und Männer hinten.

Schnitt. Ab in die U-Bahn in Teheran …

… dazu sagt ein Sprecher:

Strikte Trennung auch in der U-Bahn: Frauen links, Männer rechts.

Das Social-Media-Team der “Tagesschau” hat diese kurze Passage aus Eberls Iran-Beitrag genommen und bei Facebook gepostet. Dazu eine deutliche Ansage, wie es mit der Geschlechtertrennung im öffentlichen Nahverkehr im Iran aussieht:

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. In Stadtbussen gilt in der Tat eine klare Trennung nach Geschlechtern. Bei Nacht- und Reisebussen scheinen die Iraner diese Trennung nicht ganz so genau zu nehmen — jedenfalls berichten einige Touristinnen, dass sie bei Fahrten neben Männern saßen.

In der U-Bahn in Teheran wird, anders als vom WDR im TV und von der “Tagesschau” bei Facebook behauptet, nicht “strikt getrennt”. Es gibt im Iran zwar — wie in anderen Ländern — “women only”-Abteile, Frauen dürfen sich aber auch in alle anderen Waggons setzen oder stellen. So steht es in Reiseblogs, bei “Wikipedia”, im “Guardian” und so ist es in Videos zu sehen.

Es gibt sicher einiges, was man an der rechtlichen Situation der Frauen im Iran kritisieren kann. U-Bahn-Fahrten gehören aber nicht dazu. Die “women only”-Waggons könnte man sogar als Zusatzangebot für Frauen interpretieren, die in überfüllten Zügen nicht zwischen Männern eingeklemmt sein wollen.

Der Videoclip im Facebook-Post der “Tagesschau” hat inzwischen mehr als 250.000 Aufrufe. Im Kommentarbereich darunter regen sich zahlreiche User auf:

Das stimmt einfach mal nicht!

Im Iran ist bei Leibe nicht alles Friede Freude Eierkuchen und mit Frauenrechten ist es nicht weit her aber dieser Bericht ist schlicht falsch!

Das stimmt doch gar nicht, ich war in Teheran, bin mit der U Bahn gefahren und stand zwischen Männern und Frauen.

Diese Art der Berichterstattung ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit. Dass selbst die Tagesschau sich auf dieses Niveau herab lässt ist wirklich traurig und armselig.

Ach du meine Güte! Ich bin leider gerade etwas schockiert über die Berichterstattung der tagesschau.

Wow… Wieder einmal verlogene hetze von den öffentlich Recht-lichen???

LügenMedien halt!

Andere User glaubten dem Beitrag, fanden den Inhalt aber trotzdem blöd und kommentierten im “Danke Merkel”-Stil:

Die bringen so ein Post weil se uns das Schmackhaft machen wollen… bald wird es hier auch so sein #wirschaffendas

Na das werden wir auch bald einführen müssen. Besonders für Frauen die allein unterwegs sind, wird das wohl interessant. Andererseits würde es bei uns aber eigentlich nichts bringen, da es keine Strafen geben würde wenn sich jemand nicht dran hält. Es sei denn wir führen die Scharia Polizei ein. Allerdings müssten wir vorher erstmal alle zum Islam konvertieren. Genau, das ist doch die Idee. Nicht die Migranten passen sich an, sondern die Deutschen müssen sich anpassen, oder?

Kommt bei uns auch bald. Deutschland soll sich ja under dieser Regierung gefälligst an den Islam besser anpassen.

Nach etwa 400 Kommentaren, von denen geschätzt 70 Prozent den Inhalt des Videos als falsch bezeichnen, reagierte das Social-Media-Team der “Tagesschau”:

Nach der “Konkretisierung” des “Teasertextes” heißt es nun nicht mehr “Im Iran gilt eine strikte Geschlechtertrennung in Bussen und U-Bahnen”, sondern:

Mit Dank an Helena und Kai für die Hinweise!

“Compact” begeht Asylbetrug

Asylthemen haben eigentlich einen Stammplatz auf dem Cover des “Compact”-Magazins. Im Oktober verkündete das Rechtsaußen-Blatt auf seiner Titelseite beispielsweise eine “Invasion aus Afrika”. In der aktuellen November-Ausgabe kommt Asyl im Vergleich zu den Vormonaten hingegen nur am Rande vor. Vorne auf dem Titel geht es um einen angeblichen “Angriff auf deutsche Sparer”, den Kampf der “Presstituierten (sic) gegen Trump” und Andreas Gabalier (“Alpen-Elvis” — “Der Heimat-Rocker”). Erst im Heftinnern findet man die übliche Hetze gegen Flüchtlinge. Ein genauerer Blick auf Martin Müller-Mertens’ Artikel zur “heimlichen Kolonisierung” lohnt sich aber.

Die amtliche Asylstatistik sei falsch, so Müller-Mertens’ These, weil sie den Familiennachzug verschweige. “Unter diesem Schwindeletikett werden in den nächsten Jahren Millionen Muslime zu uns geholt — auch auf Druck der EU”, heißt es im Teaser. Ob damit zwei Millionen Muslime in den nächsten zehn Jahren oder zehn Millionen in zwei Jahren gemeint sind, verrät Müller-Mertens nicht. Stattdessen peitscht er sein Publikum mit Schlagworten der extremen Rechten auf:

Rund zwei Jahre nach Beginn der Siedlerinvasion staut sich die nächste Welle von Fremden gerade auf. Nach Abschluss ihrer Aufnahmeverfahren dürfen sogenannte Flüchtlinge Teile ihrer Familien legal nach Deutschland holen — und zwar auf direktem Weg. Quasi unbemerkt, vorbei an jeder Asylstatistik, führt sie ihr Weg in Angela Merkels gelobtes Land.

Er stütz seine Argumentation auf eine Kleine Anfrage der Grünen an die Bundesregierung (PDF). Den politischen Hintergrund der Anfrage nennt der “Compact”-Autor nicht: Die Grünen fragten nach der Datengrundlage für die Behauptung von Teilen der Bundesregierung, es würden demnächst besonders viele Flüchtlinge über den Familiennachzug nach Deutschland kommen.

Zu Teilaspekten der Anfrage lieferte die Bundesregierung keine Daten, “da für § 29 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) kein separater Speichersachverhalt zur Verfügung steht” — die einzige Passage des langen, 20-seitigen Antwortschreibens, die “Compact” zitiert. Übersetzt heißt das: Beamte können im Datensatz des Ausländerzentralregisters kein Häkchen für einen Aufenthaltstitel nach diesem speziellen Paragraphen 29 setzen, er wird statistisch also nicht erfasst.

Martin Müller-Mertens fragt: “Kennen die Behörden tatsächlich keine Zahlen — oder sollen diese vor der Öffentlichkeit verschleiert werden?” Eine Antwort auf die Frage spart sich der Autor, suggeriert doch allein die Überschrift des Artikels (“Die heimliche Kolonisierung”), dass Letzteres stimme.

Wer unsere Serie “Mut zur Wirrheit” kennt, kann ahnen, was jetzt kommt. Die Antwort auf die Frage von “Compact” lautet: Natürlich kennen die Behörden entsprechende Zahlen. Sie machen sie auch regelmäßig öffentlich.

Was stimmt: Fälle nach Paragraph 29 des Aufenthaltsgesetztes sind im Ausländerzentralregister tatsächlich nicht eigens aufgeführt. Der Paragraph regelt die allgemeinen Grundsätze des “Familiennachzugs zu Ausländern”. Die Beamten der Ausländerbehörden haben trotzdem einige Felder, bei denen sie Häkchen zum Familiennachzug im Sinne des Aufenthaltsgesetzes setzen können: der Ehegattennachzug nach Paragraph 30, der Kindesnachzug nach Paragraph 32 sowie der Nachzug der Eltern und sonstiger Familienangehöriger nach Paragraph 36 wird im Ausländerzentralregister einzeln erfasst (PDF, ab Seite 33).

“Compact” ist das nicht aufgefallen oder egal, weil es nicht zur Linie des Blattes passt. Dabei nennt Autor Martin Müller-Mertens sogar selbst Zahlen, die es laut ihm ja eigentlich gar nicht geben dürfte:

Stellten deutsche Botschaften im Jahre 2005 insgesamt noch 80.000 Visa für Familienangehörige aus, waren es von Januar bis Oktober 2015 nur 49.000.

Sein Artikel basiert zu großer Wahrscheinlichkeit auf dem “Wikipedia”-Eintrag zur Familienzusammenführung. Dort findet man jedenfalls die von ihm genannten Zahlen, mit Verweis auf zwei Texte der “Zeit” beziehungsweise von “Zeit Online”. Die erste Zahl, die “Wikipedia” als Fakt präsentiert, ist eine vorläufige Schätzung aus dem Jahr 2006 — und somit nicht, wie von “Compact” behauptet, die Zahl der tatsächlich ausgestellten Visa.

Diese findet man im Migrationsbericht von 2014 (PDF, Seite 37): Für 2005 sind dort genau 53.213 Visa zum Zweck des Ehegatten- und Familiennachzugs ausgewiesen. Auch die 49.000 Visa für die ersten neun Monate des Jahres 2015 findet man im Migrationsbericht (Seite 10). Und noch mehr:

Auch das Ausländerzentralregister (AZR) bestätigt einen Anstieg des Familiennachzugs für das erste Halbjahr 2015 um 22% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Es gibt also sehr wohl Zahlen zum Familiennachzug, sogar im Ausländerzentralregister. Mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das das Zentralregister betreibt, und dem Auswärtigen Amt, das die Visastatistik erstellt, gibt es somit zwei Institutionen, die jeweils eigene Zahlen zum Familiennachzug kennen — zwei mehr, als “Compact” seinen Lesern nennt.

Und was ist nun mit der “Compact”-Prognose, nach der “in den nächsten Jahren Millionen Muslime zu uns geholt” würden? An dieser Stelle bietet sich ein Rückblick an: Addiert man die Zahlen des Migrationsberichts zum Familiennachzug von 2005 bis 2014, kommt man nicht mal auf eine halbe Million Menschen in den vergangenen zehn Jahren. Wohlgemerkt: Menschen insgesamt, also nicht nur die Familien von muslimischen Flüchtlingen, sondern etwa auch die ausländischen Familien deutscher Staatsbürger, Menschen aus vielen Ursprungsländern und aller Religionen.

Wenn, wie “Compact” behauptet, demnächst tatsächlich “Millionen Muslime” so nach Deutschland kommen sollten, müsste sich also die Zahl der Familiennachzügler vervielfachen und nicht nur um 22 Prozent steigen. Martin Müller-Mertens glaubt auch schon zu wissen, wie es zu so einem Anstieg kommen werde:

Dank einer weitgehend unbekannten Neuregelung vom August 2015 können Asylanten “einen Antrag auf Familiennachzug stellen, auch wenn sie nicht ausreichend Wohnraum und einen gesicherten Lebensunterhalt vorweisen können”, freute sich seinerzeit der Flüchtlingsrat Bayern in einem Merkblatt.

Die Regelung ist so “unbekannt”, dass sie nur im gleichen “Wikipedia”-Artikel zu finden ist, aus dem der Autor vermutlich seine Zahlen zieht. Als Quelle dient dort das von ihm genannte Merkblatt des Bayerischen Flüchtlingsrats (PDF). Dass sich dieser darin freue, ist Müller-Mertens Interpretation einer nüchternen Erklärung in Form einer kurzen FAQ.

Anders als von “Compact” behauptet, bestand die Neuregelung auch nicht darin, dass alle “Asylanten” ohne gesicherten Lebensunterhalt den Antrag auf Familiennachzug stellen können. Anerkannte Flüchtlinge konnten das beispielsweise auch schon vorher. Die genannte Neuerung bezog sich nur auf die sogenannten “subsidiär Schutzberechtigten”, die nicht als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt werden, aber auch nicht abgeschoben werden, weil ihnen in ihren Heimatländern Schaden droht. Sie konnten den Antrag auf Familiennachzug zudem nur für kurze Zeit stellen: Zum 1. August 2015 wurde der Familiennachzug für sie erleichtert, bis er im Januar 2016 für zwei Jahre ausgesetzt wurde.

“Compact”-Autor Müller-Mertens meint wohl diese Verschärfung des Asylrechts Anfang des Jahres, wenn er in seinem Artikel von einer “nur für eine Minderheit relevanten Zwei-Jahres-Sperre” schreibt. “Minderheit” trifft es nun auch nicht mehr ganz, denn im Juli 2016 wurde bei fast jedem dritten Asylantrag nur noch der subsidiäre Schutz bewilligt, berichtet etwa “Spiegel Online”.

Die Redaktion von “Compact” stellt nicht nur falsche Behauptungen auf, sondern berichtet treffsicher das genaue Gegenteil der Faktenlage. Dahinter dürften keine Fehler oder einfach nur schlampige Recherche stecken. Die “Lügenpresse”-Rufer von “Compact” treiben so ihre politische Agenda voran, sie machen Propaganda.

Allein die Synonyme, die das Magazin für geflohene Menschen verwendet, zeigen, wo es politisch zu verorten ist. Es nannte Flüchtlinge in den letzten Ausgaben etwa “Asylforderer”, “Invasoren”, “Siedler”, “Vaterlandsverräter” oder “Rapefugees”. Es finde eine “Islamisierung” statt, eine “Siedlerinvasion”, es herrsche “Kolonialismus”, bei dem Deutschland die Kolonie sei, es gebe eine “schwarze Flut” oder gleich einen “Asyl-Tsunami”. Es fällt auch das alte NPD-Schlagwort der “Völkervermischung”. Wer nicht in diesem Stil gegen Flüchtlinge hetzt, ist laut “Compact” Teil eines “Gutmenschenclubs”, der “Multikulti-Religion”, der “Vielfaltlobby” oder gleich der “Refugee-welcome-Sturmtruppen” und betreibe wahlweise “linksgrünen Tugendterror” oder “Gesinnungsterror”.

Bei der Bebilderung des Magazins gehört die Agitation ebenfalls zum festen Programm. Nur ein besonders dreistes Beispiel aus der April-Ausgabe, das neben einem Artikel zu finden ist, der sexuelle Übergriffe von Asylbewerbern auf junge Mädchen zum “Alltag in Deutschland” erklärt:

Die Illustration ist natürlich keine Anleitung zur Vergewaltigung. Sie stammt aus einer internationalen Kampagne zur sexuellen Aufklärung, die sich an alle richtet, die diese nötig haben, und die sich auch gegen jegliche Form des sexuellen Missbrauchs ausspricht.

“Compact” behauptet von sich selbst, weder rechtsradikal noch ausländerfeindlich zu sein. Die Redaktion sieht sich als Opfer von Verleumdungskampagnen und Zensurbemühungen. Ihre Zeitschrift befindet sich weiterhin deutschlandweit im Vertrieb und verkauft — nach eigenen Angaben — monatlich 41.000 Exemplare.

Hassliebe, Jammerverein, Showgipfel

1. Trump und die Medien: Sie lieben mich, sie lieben mich nicht
(sueddeutsche.de, Sacha Batthyany)
Der designierte US-Präsident lässt eine Aussprache mit der “New York Times” platzen, sagt wenige Stunden später aber wieder zu. “SZ”-Autor Sacha Batthyany: “Trumps Lieblingsmedium ist nicht das Fernsehen und schon gar nicht die Zeitung. Er hält sich bevorzugt auf Twitter auf, wo er ungehindert seine Botschaften verkünden kann. Twitter stellt eben keine ungemütlichen Fragen.”

2. #FakeNews jetzt auch im Feuilleton?
(wolfgangmichal.de)
Glaubt man dem Börsenverein des deutschen Buchhandels, stehen 20 bis 25 Prozent aller Verlage vor dem Ruin. Nicht digitaler Wandel und sich abwendende Leser sollen der Grund sein, sondern die Rückzahlungsverpflichtung von zu Unrecht erhaltenen VG-Wort-Geldern. Entsprechend gebe man nun alarmistische Meldungen heraus, die ungeprüft von Zeitungen und Rundfunksendern übernommen würden. Wolfgang Michal hat wenig Verständnis für die angeblichen Nöte der Verlage: “Es war den Verlagen also seit Jahren klar, dass das Geld, das sie bekommen haben, unter Rückforderungsvorbehalt stand. Es wäre vernünftig gewesen, dieses Geld nicht in die laufenden Geschäfte zu stecken; wer es dennoch tat, ging bewusst ein Risiko ein.”

3. Dann noch viel Spaß beim Rübenziehen mit Jörg Pilawa
(faz.net, Oliver Jungen)
In Köln haben sich Fernsehschaffende zum „Großen Showgipfel“ zusammengefunden, dem renommierten Branchentreff der Unterhaltungsbranche. Es wurde Tacheles geredet: Medienjournalisten und Medienschaffende seien sich einig gewesen, dass die derzeitige Fernsehunterhaltung ein Desaster sei, so “FAZ”-Autor Oliver Jungen. Der Wille etwas daran zu ändern, sei jedoch begrenzt: “Dass führende Fernsehmacher die eigenen Shows inzwischen als das perfekt inszenierte Nichts bezeichnen, darf aber nicht so verstanden werden, als würde sich hier bald etwas ändern. Dafür ist das System viel zu schwerfällig geworden. Und dafür sind die Quoten selbst der miesesten Unterhaltungssendungen noch viel zu gut.”

4. Er erfindet Lügen für Trump
(tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
In den USA sind zwei arbeitslose Restaurantangestellten quasi über Nacht zu Betreibern einer boomenden Nachrichtenfabrik geworden und streichen fette Gewinne ein. Die Geschäftsidee: Zusammenfantasierte Politstorys für die rechte Klientel. Constantin Seibt stellt im “Tagesanzeiger” die beiden bekennenden Lügenbolde und ihr Geschäftsmodell vor. Als Vorlage dürfte ein deutlich längerer Artikel der “Washington Post” (englisch) gedient haben.

5. Drei Herren in leeren Hallen
(taz.de, Anne Fromm)
Die Dumont Verlagsgruppe will Personal abbauen und führt daher die Redaktionen von “Berliner Zeitung” und “Berliner Kurier” zusammen. Entsprechend gedrückt ist die Stimmung. Zurzeit sei unklar, was mit den Mitarbeitern passiert, die kein Übernahmeangebot bekommen. Viel Unruhe durch Gerüchte und ein hoher Krankenstand seien die Folge. Auch die Gewerkschaft Verdi kritisiere die Informationspolitik von DuMont.

6. Update: Deutsche Podcast-Serien – gute Produktionen, schlechte Vermarktung
(marckrueger.tumblr.com)
Es muss nicht immer Netflix und Co. sein, es gibt auch spannende Hörspielproduktionen und Podcasts. “Rundfunkfritze” Marc Krüger stellt einige gelungene Podcast-Serien vor. Samt Inhaltsangabe und Link zum Download.

Spannerfotos von Kindern? Das wird man ja wohl noch andeuten dürfen

Gestern, auf der Facebookseite von “Bild München”:

Linus Förster sitzt für die SPD im Bayerischen Landtag. Er ist dort jugendpolitischer Sprecher seiner Fraktion, stellvertretender Vorsitzender des Europaausschusses, außerdem ist Förster Vorsitzender der SPD im Bezirk Schwaben. Und jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg gegen ihn, wegen des “Verdachts der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und der vorsätzlichen Körperverletzung” — klar, dass so gut wie alle Medien berichten.

Bild.de auch. Und das gestern auf die ganz eigene Art und Weise:

Bei den Ermittlungen geht es laut Staatsanwaltschaft um den Verdacht der vorsätzlichen Körperverletzung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen.

Der Strafrechtsparagraf zum letztgenannten Vorwurf bezieht sich auch auf voyeuristische Spannerfotos und insbesondere Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen.

Im Artikel hat die Redaktion — es sollen schließlich “Erinnerungen an den Fall Edathy” wach geworden sein — auch noch einige Links zu Beiträgen über Sebastian Edathy eingeblockt:

Um schon mal jetzt aufzulösen: Die Vorwürfe gegen Linus Förster haben rein gar nichts mit “Spannerfotos von Kindern” oder Kinderpornographie oder irgendetwas Vergleichbarem zu tun, auch wenn Bild.de an verschiedenen Stellen versucht, es so wirken zu lassen. Das hat Försters Anwalt dem Reporter offenbar auch so gesagt. Im Artikel steht:

Derartige Spekulationen [Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen] wies Anwalt Schmid jedoch klar zurück: “Dies ist falsch!”

Und dennoch bringt Bild.de das Thema mal eben so fröhlich ins Spiel.

Heute dann die Auflösung bei Bild.de und in der München-Ausgabe der “Bild”-Zeitung:


Sex-Skandal um den Augsburger Landtagsabgeordneten Linus Förster (51, SPD). Er soll Anfang September im Bett einer Hure heimlich die Handy-Kamera mitlaufen lassen haben. Danach flogen offenbar die Fetzen …

Das sind natürlich immer noch heftige Vorwürfe. Sie haben aber eben nichts Kinderpornographie zu tun. Dass Bild.de das Thema überhaupt ins Spiel bringt, könnte an dem Paragraphen liegen, um den es bei den Ermittlungen gegen Linus Förster geht: 201a Strafgesetzbuch, die “Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen”. In Absatz 3 heißt es dort:

Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter achtzehn Jahren zum Gegenstand hat, herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen

In den zwei Absätzen davor geht es um das, womit die “Bild”-Medien sonst eigentlich zu tun haben: unbefugte Bildaufnahmen einer Person in dessen Wohnung, die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs, unbefugt Bildaufnahmen von hilflosen Personen, das Zurschaustellen von Personen.

Mit Dank an Marcus D. für den Hinweis!

Blättern:  1 ... 69 70 71 ... 287