Suchergebnisse für ‘LINK’

Startup-ernüchtert, Einnahmequelle Fotorecht, Automobiler Maus-Spott

1. Angriff auf den Journalismus
(spiegel.de, Bülent Mumay)
Der türkische Journalist Bülent Mumay hat bei der linksliberalen Tageszeitung “Radikal” gearbeitet und leitete die Online-Redaktion der “Hürriyet”. Bis er 2015 für fünf Tage festgenommen wurde und seinen Arbeitsplatz verlor. In einem Gastbeitrag für “Spiegel Online” erklärt er wie Erdogan und die AKP systematisch die türkische Medienlandschaft zerstören. Vor allem der Putschversuch habe sich in dieser Hinsicht als hilfreich erwiesen: “Jetzt wurden sämtliche kritischen Journalisten eingesperrt – weil sie angeblich Anhänger der Gülen-Bewegung waren. Auch Leute wie ich, Leute wie die Kollegen von “Cumhuriyet”, die immer gegen die Gülenisten waren, sind verhaftet worden.”

2. Retten Start-ups den Journalismus?
(de.ejo-online.eu, Christopher Buschow)
Der Kommunikationswissenschaftler Christopher Buschow hat das Potenzial von Medien-Startups untersucht. Mit ernüchternden Ergebnissen: “Weil sie sich mitunter an alten Traditionen orientieren, kopieren manche Neueinsteiger das Erlösmodell der Tageszeitung. So geraten sie jedoch in dieselben Probleme wie etablierte Medienhäuser: Auf Seiten der Leser besteht kaum Zahlungsbereitschaft für Online-Inhalte, Anzeigenkunden platzieren ihre Werbung nur noch zurückhaltend in journalistischen Umfeldern.” Die Gründer würden außerdem nicht selten ihre Doppelrolle von Journalist und Medienmanager und die bürokratischen Verwaltungsaufgaben unterschätzen.

3. Fotorecht – eine verborgene Einnahmequelle für Journalisten
(fachjournalist.de, Frank C. Biethahn)
Rechtsanwalt Frank C. Biethahn hat einen Übersichtsartikel zum Fotorecht für Journalisten verfasst. Oft könnten die Fotografen mehr verlangen, als ihnen bewusst sei, sowohl bei der “an sich legalen” Nutzung als auch bei der illegalen Nutzung. Viele Journalisten würden ihre Rechte allerdings kaum nutzen, oft schlicht aus Unwissenheit.
Interessante Informationen für Journalisten, die ihrer Einkommen aufbessern wollen, aber auch für diejenigen, die allzu sorglos mit fremden Fotos umgehen und teure Abmahnungen riskieren.

4. Kachelmann siegt vor Gericht gegen Staatsanwaltschaft
(dwdl.de, Alexander Krei)
Jörg Kachelmann hat einen weiteren juristischen Erfolg erzielt. Die Staatsanwaltschaft Mannheim darf die in einer Pressemitteilung geäußerten Behauptungen zu DNA-Spuren auf einem vermeintlichen Tatmesser nicht wiederholen und hat eine Unterlassungserklärung abgegeben. Die Pressemitteilung mit den nicht zutreffenden Behauptungen der Staatsanwaltschaft war seinerzeit bei “SternTV” wiedergegeben worden.

5. Ohne Distanzierung verlinken?
(taz.de, Christian Rath)
Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck will verhindern, dass “Spiegel Online” ein altes Manuskript zur Pädophilie-Debatte veröffentlicht – ohne die von ihm zwischenzeitlich vorgenommene Distanzierung. Der Fall ist juristisch verzwickt. Der BGH hat die Sache an den EuGH weitergegeben.

6. „Sendung mit der Maus“ spottet über deutsche Autobauer
(welt.de)
Die “Sendung mit der Maus” erklärt Kindern seit 1971 die Welt, zum Beispiel mit den beliebten “Lach- und Sachgeschichten”. Anlässlich der Autoskandale und Kartellabsprachen haben die Mausmacher ein Filmchen produziert, das sich ausdrücklich an die Großen wendet.

Bild.de lässt Flutwelle auf Braunschweig los

Wenn man in Braunschweig oder Umgebung lebt und den großen Fehler begeht, sich einzig und allein bei Bild.de über die aktuelle Lage in der Welt und vor der eigenen Haustür zu informieren, dürfte man heute morgen beim Blick auf die Startseite des Portals leichte Panik bekommen haben:

Ausriss Bild.de - Lagedienstführer: Wir gehen davon aus, dass Stadtteile überflutet werden - Flutwelle rollt auf Braunschweig zu

Im dazugehörigen “Live-Ticker” schrieb Bild.de um 9:39 Uhr:

Ausriss Bild.de - Flutwelle rollt auf Braunschweig zu! Mit rund hundert freiwilligen zusätzlichen Einsatzkräften bereitet sich die Feuerwehr der Stadt Braunschweig auf die Ankunft der Flutwelle aus dem Harz vor.

Im Text ist zwar immer noch von einer Überschwemmung die Rede, es klingt dort aber doch alles etwas harmloser:

Die Oker soll der Vorhersage nach am Mittag ihren Höchststand im Landkreis Wolfenbüttel erreichen. Am Nachmittag werden sehr hohe Pegelstände in Braunschweig erwartet. “Wir gehen davon aus, dass Stadtteile überschwemmt werden”, sagte der für das Hochwasser zuständige Lagedienstführer Jörg Meyer am Donnerstagmorgen.

Möglicherweise könnten einzelne Straßen etwa im Bereich Leiferde betroffen sein. Die Feuerwehr stellt sich darauf ein, dass die Oker so hoch steigen könnte wie in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr.

Zwischen einer “Flutwelle”, die auf eine Stadt zurollt, und “einzelnen Straßen”, die überschwemmt werden, dürften noch ein paar Abstufungen liegen. Wohl auch deswegen hat die Stadt Braunschweig der Startseiten-Panikmache von Bild.de bei Twitter widersprochen:

Und auch die Feuerwehr in Braunschweig, auf die sich Bild.de unter anderem beruft, versuchte bei Facebook, das Flutwellen-Gerücht wieder einzufangen:

Ausriss Facebook-Post der Feuerwehr Braunschweig +++WICHTIG+++ Es rollt keine Flutwelle auf Braunschweig zu. Die Pegel steigen langsam. Der Höchststand des Hochwassers wird gegen Abend erwartet. Es wird zu Überflutungen kommen in den ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten. Es werden keine Stadtteile überflutet. Wir sind aktuell an fünf Einsatzstellen tätig. Und die weiteren Einsatzkräfte sind einsatzbereit.

Sowohl die Stadt Braunschweig als auch die dortige Feuerwehr verlinken zu einer extra für das Hochwasser eingerichteten Seite, auf der noch einmal in Ruhe erklärt wird:

+++WICHTIG+++ Es rollt keine Flutwelle auf Braunschweig zu. Diese Fehlinformation kursiert aktuell im Internet und ist falsch. Richtig ist, dass die Pegel langsam steigen.

Dass keine Flutwelle in Richtung Braunschweig unterwegs ist, hat dann auch die Bild.de-Redaktion irgendwann mitbekommen. In ihrem “Live-Ticker” schreibt sie:

Nur in ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten werde es Überflutungen geben, teilte die Feuerwehr auf Facebook mit.

Kein Wort davon, dass dieser Facebook-Post nur nötig war, weil Bild.de zuvor Panik gemacht hat.

Mit Dank an Joshua R., Sebastian D., @dokurechts, @eks1bs, @weltbekannt, @felix12370, @abiturensohn und @lukasneuss für die Hinweise!

Gefakte Angela, Saure G20-Gegner, Verabschiedeter Spicer

1. 7 der 10 erfolgreichsten Artikel über Angela Merkel auf Facebook sind Fake News
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Haben Sie auf Facebook schon mal einen geteilten Artikel über Angela Merkel gelesen? Dann kommt es unter anderem auf die Ausgestaltung ihrer persönlichen Filterblase an, ob sie dort mit seriösen Nachrichten oder Falschinformationen beliefert wurden. Nach einer Datenanalyse von BuzzFeedNews sind sieben der zehn erfolgreichsten Artikel über Angela Merkel auf Facebook Fake News oder falsch verstandene Satire.

2. Die Wut der linksradikalen Szene
(fnp.de, Christian Scheh)
Nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg hat die “Frankfurter Neue Presse” über ein öffentlich beworbenes “Auswertungstreffen” der linksradikalen Szene berichtet. Den Gastgebern der Zusammenkunft im Frankfurter Café Exzess habe das nicht gepasst, berichtet die Zeitung. In einem anonymen Schreiben an die Redaktion hätten sie die Löschung des Artikels gefordert. Der Chefredakteur: “Ein solches Verhalten waren wir bisher lediglich von der AfD und ähnlichen Gruppierungen gewohnt, die die freie Presse gerne von ihren Veranstaltungen ausschließen möchten. Dass G 20-Gegner, beziehungsweise die Linken die gleiche verfassungsfeindliche Haltung an den Tag legen, verwundert uns doch sehr – oder vielleicht auch nicht.”

3. Kamelmarkt 2017
(sueddeutsche.de, Silke Burmester)
Silke Burmester beschäftigt sich mit der Fleischbeschau im Fernsehen, der Deutungshoheit von Frauenbildern und unterschiedlichen Gehältern von Männern und Frauen in der Medienbranche. “In den Medien hat der Kampf um die Deutungshoheit von Frauenbildern begonnen. Dass er hier stattfindet und nicht wie früher dort, wo ihn keiner sieht, hat die Ursache darin, dass Männer, die in den Medien institutionelles Manspreading betrieben haben (sich breitmachen, damit neben ihnen keiner Platz hat) merken, dass sie ihr Refugium verteidigen müssen. Dazu passt zum Beispiel auch, dass sie sich gerne über Frauenfußball lustig machen, der quotenmäßig etwa die Curvy Supermodels aber dann doch weit hinter sich lässt.”

4. Warum viele Türken plötzlich ihre Telekom-Verträge kündigen wollen
(joca.me, Jörgen Camrath)
Ein T-Online-Werbe-Leuchtkasten in Düsseldorf sorgte für einen Empörungssturm im Netz. In den Magenta-Farben der Telekom und mit dem bekannten T-Logo stand dort „T-Online Trend: Würden Sie noch Urlaub in der Türkei machen? Über 100.000 Nutzer von t-online.de sagen: Nein“. Türkische Blogger und Aktivisten posteten das Bild und riefen zur Kündigung von Telekom-Verträgen auf. Der Mobilfunkkonzern hat die T-Online-Sparte jedoch bereits vor zwei Jahren verkauft und sieht sich zu Unrecht im Zentrum des Shitstorms. T-Online hat die Anzeige nun zurückgezogen, die Sache jedoch nicht wirklich besser gemacht hat: Nun hagelt es Kritik von anderer Seite.

5. Spiegel Daily: Sehr nettes Total-Desaster
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Man hört wenig über das täglich um 17.00 Uhr erscheinende “Spiegel Daily”. Vor einigen Wochen war in den Medien von etwa 3.000 Abonnenten die Rede, doch wie sieht es jetzt aus? Nicht viel besser findet Christian Jakubetz und zieht als ein Indiz die ernüchternden Social-Media-Zahlen hinzu. Dazu käme die grundsätzliche Frage: “Wenn es schon SPON und den Spiegel gibt, warum dann noch „Spiegel Daily“? Warum ab 17 Uhr für etwas bezahlen, was es gefühlt den ganzen Tag kostenlos gibt? Dem Angebot ist ein Fehler unterlaufen, der normalerweise tödlich und nicht mehr korrigierbar ist: Es hat keinen USP definiert, es kann die Frage nach dem „Warum?“ nicht wirklich beantworten.”

6. Ein großer Entertainer verlässt die Bühne
(faz.net, Nina Rehfeld)
Was bedeutet der Rücktritt des Trump-Pressesprechers Sean Spicer für die amerikanische Comedyszene? Nina Rehfeld lässt nochmal einige unvergessliche Spicer-Momente aufleben und Satiregrößen wie Stephen Colbert zu Wort kommen.

Waffengleichheit, Junge Fake Union, Finis Bestsellerlistia

1. Waffengleichheit geschützt
(taz.de, Christian Rath)
Wenn es um Klagen gegen Medien geht, spielt das Landgericht Hamburg eine zentrale Rolle: Hier werden Persönlichkeitsrechte in der Abwägung mit der Pressefreiheit besonders hoch gewichtet. Da bei bundesweit erscheinenden Medien der Gerichtsstand frei gewählt werden kann, bemühen Kläger daher oft das klägerfreundliche Hamburger Gericht und seine Pressekammer. Wie sich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf diese Praxis ausüben kann, erklärt Christian Rath in der “taz”.

2. Gericht verbietet gefälschtes Schulz-Zitat
(faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Die “Junge Union Bayern” musste nach einer einstweiligen Verfügung des Hamburger Landgerichts einen Facebookbeitrag löschen. Die Jugendorganisation von CDU/CSU hatte dem Kanzlerkandidaten der SPD Martin Schulz ein gefälschtes Zitat untergeschoben, über einen extra dafür angelegten Fakeaccount. CSU und Junge Union Bayern wurden durch den Gerichtsbeschluss verpflichtet, den fragwürdigen Tweet sofort zu löschen.

3. Stellungnahme: Neue deutsche Medienmacher kritisieren besorgten Wissenschaftler (mit Reaktion)
(neuemedienmacher.de)
Das Netzwerk “Neue deutsche Medienmacher” versteht sich als “Interessenvertretung für Medienschaffende mit Migrationsgeschichte und tritt für eine ausgewogene Berichterstattung ein, die das Einwanderungsland Deutschland adäquat wiedergibt”. In einer Stellungnahme macht die Vereinigung ihrem Unmut über die Studie “Die “Flüchtlingskrise” in den Medien” Luft. Die Antwort des Studienleiters ist dem Beitrag angehängt.

4. Neues Gender-Wikipedia „Agent*In“ will auf eigenartige Weise Klischees bekämpfen
(ze.tt, Milena Zwerenz)
Die Heinrich-Böll-Stiftung, die politische Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen, hat gemeinsam mit der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung die Broschüre “”Gender raus!” Zwölf Richtigstellungen zu Antifeminismus und Gender-Kritik” veröffentlicht. Als Hilfestellung, wie man antifeministische Kommentare und Gender-Kritik abwehren kann. Eine gute Idee, findet Milena Zwerenz, doch das Ganze habe einen merkwürdigen Beigeschmack.

5. Fakten gegen Fakes: fünf Verifizierungs-Initiativen made in Germany
(get.torial.com, Bernd Oswald)
Faktencheckerseiten haben gerade Hochkonjunktur. Bernd Oswald stellt fünf Verifizierungs-Initiativen vor: den “Faktenfinder” der “Tagesschau”, die BR-Verifikation, das sich noch im Betastadium befindliche Projekt “Truly Media”, den “ZDFcheck17” und “Correctivs” “Echtjetzt” (auf das neu hinzugekommene “Stimmtdas” haben wir in den letzten Tagen in den 6vor9 verwiesen).

6. “Finis Germania” und die SPIEGEL-Bestsellerliste
(spiegel.de, Susanne Beyer)
Nach einem veritablen Shitstorm um das heimlich von der “Spiegel”-Bestsellerliste entfernte Buch “Finis Germania” sieht sich die stellvertretende Chefredakteurin des “Spiegel” nun genötigt, eine Stellungnahme abzugeben. Es ist ein Dokument, das auch der PR-Maschinerie eines Konzerns entsprungen sein könnte und weit entfernt vom Slogan des Nachrichtenmagazins “Keine Angst vor der Wahrheit”.

“Bild” probt den Aufstand gegen die Rote Flora

“Bild” will gern eine richtige Zeitung sein. Also eine mit Journalisten, die recherchieren und besondere Dinge rausfinden und diese dann exklusiv veröffentlichen. Nicht mehr nur dieses ekelige Revolverblatt, das einfach mal Geschichten erfindet oder Leute fertigmacht. Und wenn man sich schon kampagnenhaft auf Leute einschießt, dann soll auch das wenigstens “EXKLUSIV” sein. So zum Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Bild exklusiv - Millionen-Gläubiger packt aus - Boris Becker verpfändete auch das Haus seiner Mutter!

Die Hamburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung brachte am Freitag auch eine Geschichte ganz exklusiv, nirgendwo anders war sie so zu finden:

Ausriss Bild-Zeitung - Händler und Wirte haben genug vom Links-Terror - Aufstand der Nachbarn gegen Rote Flora

Nach den Krawallen rund um den G20-Gipfel in Hamburg, durch die es auch an und in vielen Läden, Restaurants, Cafés Schäden gab, organisierte die Handelskammer ein Treffen direkt neben der Roten Flora. “Bild” war da, Mitarbeiter anderer Redaktionen kamen ebenfalls. Aber so genau wie “Bild”-Autor Jörg Köhnemann hat sonst niemand hingehört und -geschaut:

Die Rote Flora als Rückzugsort für Chaoten und Brutstätte linker Gewalt — nach den verheerenden G20-Krawallen haben die Geschäftsleute aus dem Schanzen- und Karoviertel genug.

Mehr als 50 Unternehmer kamen zum Gipfel-Forum der Handelskammer. Unterstützt von Präses Tobias Bergmann (46) machten sie im Haus 73 neben dem autonomen Zentrum ihrer Empörung Luft.

Der Aufstand der Flora-Nachbarn!

► Gegen die G20-Gewalttäter, die von der Roten Flora eingeladen, koordiniert und toleriert wurden.

► Gegen den Vandalismus, der besonders verängstigte Anwohner und Ladenbetreiber im Schulterblatt traf.

Zwei Belege hat Köhnemann für die “Empörung” über die Rote Flora und den Vandalismus:

Katharina Roedelius (36), Möbelladen “Lokaldesign” am Schulterblatt: “Schon im Vorfeld von G20 blieben Kunden weg. Und seit einer Woche habe ich gar keinen Umsatz mehr, musste meine acht Mitarbeiter in bezahlten Urlaub schicken. Der Gipfel bedroht meine Existenz!”

Und:

Hotel-Direktorin Julia Knieschewski (27), Hotel “St. Annen”: “Der Sachschaden liegt im fünfstelligen Bereich. Aber schlimmer ist der Imageverlust.”

Joar, klingt nun nicht zwingend nur nach großer Wut auf “die G20-Gewalttäter”, sondern eher auf den G20-Gipfel im Allgemeinen und auch auf die Krawalle, aus denen die Schäden resultierten. Und auf die Rote Flora?

Schauen wir doch mal, was die anderen Redaktionen, die die Handelskammer-Veranstaltung besuchten, so zu diesem “Aufstand der Flora-Nachbarn” schreiben:

Abendblatt.de: nichts.

Welt.de: nichts.

shz.de: nichts.

mopo.de: nichts.

Und bei mopo.de steht nicht nur nichts dazu. Dort, wo ebenfalls Katharina Roedelius von “LokalDesign” und Julia Knieschewski vom Hotel “St. Annen” zitiert werden, steht auch:

Dass es in Schanze, Karoviertel und St. Pauli Nord “wild, alternativ und anders als in Steilshoop” sei, so Falk Hocquél von der Schmidt & Schmidtchen GmbH, das soll unbedingt so bleiben. Aber Julia Knieschewski wünscht sich genauso, “dass hier der Polizist den Kindern erklärt, wie sie über den Zebrastreifen gehen”. Und so ein positives Bild könne man nur gemeinsam vermitteln, so die Einzelhändler.

Auch mit der Flora? Ja, die gehört unbedingt zum Viertel dazu, da sind sich die Gewerbetreibenden einig. Allerdings müsse sie sich dann auch klar zu den Ereignissen positionieren und weiterhin auf Anwohner und Einzelhändler zugehen.

Diese durchaus positive Einstellung gegenüber der Roten Flora deckt sich mit einem lesenswerten, bis heute mehr als 15.500 Mal geteilten Facebook-Post der am Schulterblatt ansässigen “Cantina Popular”. Dort steht unter anderem:

Wir leben seit vielen Jahren in friedlicher, oft auch freundschaftlich-solidarischer Nachbarschaft mit allen Formen des Protestes, die hier im Viertel beheimatet sind, wozu für uns selbstverständlich und nicht-verhandelbar auch die Rote Flora gehört.

Unterschrieben haben den Beitrag “einige Geschäftstreibende aus dem Schanzenviertel”:

BISTRO CARMAGNOLE
CANTINA POPULAR
DIE DRUCKEREI – SPIELZEUGLADEN SCHANZENVIERTEL
ZARDOZ SCHALLPLATTEN
EIS SCHMIDT
JIM BURRITO’S
TIP TOP KIOSK
JEWELBERRY
SPIELPLATZ BASCHU e.V.
MONO CONCEPT STORE
BLUME 1000 & EINE ART
JUNGBLUTH PIERCING & TATTOO
SCHMITT FOXY FOOD
BUCHHANDLUNG IM SCHANZENVIERTEL
WEIN & BOULES

Den “Aufstand der Nachbarn gegen (die) Rote Flora” hat die “Bild”-Zeitung ganz exklusiv. Sie bleibt damit das alte ekelige Revolverblatt.

Mit Dank an Martin T. für den Hinweis!

Leipziger Lauschangriff, Klebers Antifeminismus, Fake-egal der AfD

1. Großer Lauschangriff in Leipzig: Gespräche mit Journalisten abgehört
(lvz.de)
Drei Jahre ließ die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft in Leipzig nach einer kriminellen Vereinigung in der linken Szene und beim Fußballklub “Chemie Leipzig” suchen. Bei dem “großen Lauschangriff” wurden annähernd 60.000 Gespräche und SMS von den Ermittlern registriert und ausgewertet. Die 24.000 Seiten mit Gesprächsprotokollen füllen 41 Aktenordner. Bei der letztlich erfolglosen Aktion sei auch auch die Pressefreiheit auf der Strecke geblieben: Wie die Generalstaatsanwaltschaft jetzt schriftlich bestätigt habe, hätten die Beamten auch monatelang Gespräche mit einem Journalisten der “Leipziger Volkszeitung” abgehört.

2. Fake? Egal! “Es geht um die Message”
(faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Auf Twitter wird ein angebliches Bild der Antifa verbreitet. Darauf eine junge Frau mit einem Stein in der gehobenen Hand. Im Hintergrund ein mit Graffiti und Plakaten versehenes Gebäude. Dazu der Spruch “Flora bleibt! Besetzte Häuser erkämpfen und verteidigen!” und ein Logo mit der Aufschrift “Antifaschistische Aktion”. Der Tweet samt Bild wird von vielen geteilt, darunter auch von der “AfD”. Das Bild ist jedoch ein Fake. Bei der als angebliche Antifa-Kämpferin abgebildeten Person handelt es sich um die Vorsitzende der Jungen Union Hamburgs. Doch die “AfD” sieht es nicht so eng mit der Wahrheit: “Wenn die Message stimmt, ist uns eigentlich egal, woher das Ganze kommt oder wie es erstellt wurde. Dann ist es auch nicht so tragisch, dass es Fake ist.”

3. Zeigt nicht auf den dicken Mann!
(causa.tagesspiegel.de, Heinrich Schmitz)
Seit Tagen trifft man in den sozialen Netzwerken auf das Foto eines Mannes mit beachtlicher Körperfülle, dessen schwarzes T-Shirt die Worte „Nationalstolz kann man nicht zerbrechen“ zeigt, aufgenommen beim Neonazi-Konzert in Themar. Spott und Häme ergießen sich über den Mann, der so gar nicht dem Idealbild der Herrenrasse entspricht. Rechtsanwalt und Kolumnist Heinrich Schmitz hält das Verbreiten des Bilds nicht nur für rechtlich bedenklich, sondern sieht darin auch eine “eklige Tendenz”.

4. Antifeminismus im heute-journal: Claus Kleber interviewt Maria Furtwängler
(filmloewin.de)
Das feministische Frauenmagazin “Filmlöwin” beschäftigt sich mit dem Interview von “heute-journal”-Moderator Claus Kleber mit Maria Furtwängler. Thema des Gesprächs war das Geschlechterungleichgewicht bei Film und Fernsehen. Nachdem es bei “Spiegel Online” bereits einen kritischen Beitrag gab, analysiert die “Filmlöwin” Wortlaut und Sprache des Interviews und kommt zum Schluss: “In meinen Augen gibt es nämlich keinen besseren Beweis für den drängenden Handlungsbedarf als den Verlauf dieses Gesprächs, die polemische Rhetorik, die antifeministischen Scheinargumente und die Respektlosigkeit des Interviewers.”

5. Springer-Verlag macht Werbung für Yücels Gefängnis
(deutschlandfunk.de, Silke Burmester)
Silke Burmester nimmt sich im “Deutschlandfunk” das Medium “Zeitungsbeilage” vor (speziell die türkische “Jubelbeilage” in “Zeit” und “FAZ” sowie das türkische “Reise-Extra” in der “Welt”). Sie hält diese Art von Beilagen für doppelt problematisch: “Zum einen weichen sie für uns Journalisten die Trennlinie zwischen Journalismus und PR auf, denn es sind oft dieselben Personen, die einerseits über die Themen berichten, andererseits die Jubeltexte schreiben. Zum anderen führen sie die von den Zeitungen angestrebte Haltung ad absurdum, wenn sie ihren Leserinnen und Lesern völlig frei von jeglicher Kritik etwa die Diktatoren-Staaten in den schönsten Farben darlegen.”

6. Nina George: (M)ein Brief an die Branche – und an Lufthansa und Amazon-Audible
(buchmarkt.de, Nina George)
Versetzen Sie sich kurz in die Lage einer Schriftstellerin, die von der Lufthansa und dem Hörbuchanbieter “Audible” (einer hundertprozentigen “Amazon”-Tochter) angeschrieben wird: Über einen Zeitraum von einem halben Jahr will man den etwa 35 Millionen Flugpassagieren Ihr Hörbuch im Bord-Entertainment-System anbieten! Jubelnd wollen sie schon zum Sekt greifen, doch da sehen Sie, dass man Ihnen dafür eine Komplettpauschale von gerade mal Euro 150 anbietet. Genau das hat gerade die international bekannte Schriftstellerin Nina George erlebt. Pech für “Lufthansa” und “Audible”, dass Nina George nicht nur Präsidiumsmitglied des PEN-Zentrums Deutschland, VS-Bundesvorstandsmitglied, Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt und VG-Wort-Verwaltungsrätin ist, sondern eine im besten Sinne des Wortes streitlustige Person ist, die ein paar passende Worte dafür bereithält.

“Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD!”

Gestern hat der Bundestagswahlkampf richtig begonnen. Denn seit gestern steht auch das Wahlprogramm der “Bild”-Zeitung. Ja, doch, richtig gelesen: Die “Bild”-Zeitung hat jetzt auch ein Wahlprogramm:

Ausriss Bild - Das große BILD-Wahlrpgramm - Was sich endlich ändern muss - Rente! Steuern! Sicherheit!

Die Redaktion schreibt zu ihrer Aktion:

In zehn Wochen hat Deutschland die Wahl. CDU-Merkel oder SPD-Schulz? Kommen AfD und FDP in den Bundestag? Was wird aus Grünen und Linkspartei? Die Parteien bitten die Bürger um Vertrauen. Werben für ihre politischen Pläne. Aber die Programme bleiben seltsam blass. Darum erscheint heute das BILD-Wahlprogramm: mit Punkten, die besonders wichtig für Deutschland sind — und mit vielem, das die Parteien sich nicht trauen zu fordern oder erst gar nicht ansprechen. BILD ist keine Partei — aber das BILD-Wahlprogramm soll zeigen, worum es gehen muss bei der Bundestagswahl am 24. September.

Fast auf einer kompletten Doppelseite präsentiert “Bild” die Punkte, “die besonders wichtig für Deutschland” sein sollen:

Ausriss Bild - Übersicht zur Doppelseite mit verschiedenen Wahlprogrammpunkten

Die einzelnen Themenschwerpunkt sind immer gleich aufgebaut: Das empörte “ES KANN DOCH NICHT SEIN …” leitet alles ein. Dann folgt eine These, die “Bild” als Tatsache verkauft. Und ein Satz, der mit “Darum” anfängt, erklärt, wie alles besser werden kann.

So sieht das dann zum Beispiel aus:

Ausriss Bild - Sicherheit - ... dass Täter in Deutschland ungeschoren bleiben. Darum gilt: Existiert von einer Straftat Videomaterial aus Überwachungskameras, wird es sofort zu Fahndungszwecken veröffentlicht. Gefasste Schläger und Diebe kommen binnen sieben Tagen vor Gericht. Die dazu nötigen Richter und Ermittler werden eingestellt.

Schaut man sich die 25 Wahlprogrammpunkte an, stellen sich einem gleich mehrere Fragen. Etwa: Warum fordert “Bild” etwas, das längst beschlossen ist?

Ausriss Bild - Wirtschaft und Verbraucher - ... dass Internet-Riesen wie Facebook und Google uns nicht sagen müssen, was sie über uns wissen. Darum wird den Bürger ein umfassender Anspruch auf Auskunft eingeräumt.

In Paragraph 34 des Bundesdatenschutzgesetzes ist die “Auskunft an den Betroffenen” geregelt. Außerdem gilt ab dem 25. Mai 2018 die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union, in der die Auskunftsrechte auch noch einmal geregelt werden.

Man fragt sich auch — vorausgesetzt, es handelt sich um ein ansatzweise ernst gemeintes Gesamtpaket von “Bild”: Hat irgendjemand an eine mögliche Finanzierung gedacht? Oder sind das alles nur platte populistische Parolen? Die “Bild”-Redaktion ist sonst immer vorne mit dabei, wenn Politiker und Parteien für realitätsferne Wahlversprechen kritisiert werden. Erst heute bezeichnete sie Martin Schulz’ “Chancen-Konto” als “heiße Luft”, auch weil es “schlicht unbezahlbar” sein könnte. Wenn sie aber selbst mal ein Wahlprogramm aufstellt, scheint alles auf einmal möglich: “Bild” fordert eine staatliche Entschädigung für jeden, bei dem mehr als einmal eingebrochen wurde. “Bild” fordert kostenlose Klassenfahrten für alle Schüler in Deutschland. “Bild” fordert deutschlandweite Vollversorgung mit Breitband-Internet. “Bild” fordert eine kostenlose Nachbesserung für jedes Euro-5-Diesel-Auto. “Bild” fordert mehr Richter und Ermittler. “Bild” fordert einen Rechtsanspruch auf Ganztags-Betreuung für Grundschüler. “Bild” fordert einen staatlich finanzierten Aufschlag auf die Rente, wenn Rentner sich freiwillig engagieren. “Bild” fordert Erklär-Sprechstunden im Finanzamt. “Bild” fordert mehr Material für die Bundeswehr. “Bild” fordert mindestens 20.000 zusätzliche Polizisten. “Bild” fordert aber auch Steuer-Rückerstattungen.

Vor allem aber fragt man sich: Haben an dem “Bild”-Wahlprogramm Vertreter der AfD mitgeschrieben? Nur ein paar Beispiele: Asylsuchende und Zuwanderer sollen sich “nach unseren Regeln richten”. Burka-Verbot für hier lebende Menschen. Ausreisepflicht für Touristinnen in Burka. Flüchtlingsströme aus Afrika stoppen. “GEZ-Gebühren” kürzen. Ein dreimonatiger “Dienst am Gemeinwesen”, um “dem eigenen Land zu dienen”.

Und die AfD? Die jubelt angesichts dieser gestern millionenfach gedruckten Steilvorlage durch “Bild”. Die Bundespartei twittert:

Tweet der AfD Bund - Hallo Bild, nahezu alles hier findet sich im AfD-Wahlprogramm

Auch der Berliner Landesverband findet die “Bild”-Aktion ganz toll:

Tweet der AfD Berlin - So schnell kann es gehen: Das Bild-Wahlprogramm liest wie das der AfD. Gut gemacht

Und Uwe Junge, Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz, scheint ganz erleichtert zu sein, nachdem er schon so lange auf die Schützenhilfe durch “Bild” gewartet hat:

Tweet von Uwe Junge - Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!

Rosarote Olympiabrille, Rechte Twitterkrieger, Kampf ums Vong

1. Tageszeitung „Kieler Nachrichten“ wirft Polizei Bespitzelung vor
(netzpolitik.org, Simon Rebiger)
Wurden wirklich mehrere Journalisten der “Kieler Nachrichten” von der Polizei Schleswig Holsteins abgehört und überwacht? Diesen Verdacht äußert zumindest die Zeitung unter Verweis auf Polizei-Quellen. An einem Fahrzeug eines der Reporter hätte es zudem Hinweise auf einen Peilsender gegeben, ein E-Mail-Konto eines Kollegen sei gehackt worden. Hintergrund ist die sogenannte Rocker-Affäre, bei der es um Ungereimtheiten in einem Ermittlungsverfahren gegen die Rockerbande „Bandidos geht. Opposition und Journalistenverbände würden nun Aufklärung verlangen. Der neue Innenminister (CDU) weist die Vorwürfe zurück.

2. Wer redet hier von Doping?
(sueddeutsche.de, Jürgen Schmieder)
Am Wochenende wurde der amerikanische Kabelkanal “Olympic Channel: Home of Team USA” für 35 Millionen US-Haushalte freigeschaltet. Die NBC-Gruppe zahlt dem IOC für die Übertragungsrechte der Olympischen Spiele von 2014 bis 2032 mehr als 12 Milliarden US-Dollar. Den neuen Kanal betreibt NBC gemeinsam mit dem IOC. Kritische Themen wie Doping, Bestechung, Vergabe der Olympischen Spiele an autoritäre Staaten etc. bleiben ausgeklammert. Eine Tatsache, für die ein NBC-Manager eine Erklärung von George-Orwellschen Dimensionen gefunden hat: “Diskussionen bringen häufig das Schlechteste im Menschen hervor, uns dagegen geht es um das Beste: um inspirierende Geschichten, die alle zwei Jahre für zwei Wochen die Leute zu begeistern scheinen.”

3. Russland kopiert Gesetz gegen Hassbotschaften
(reporter-ohne-grenzen.de)
Das russische Parlament diskutiert derzeit ein Gesetz, das sich am umstrittenen deutschen NetzDG orientiert (“Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken”). “Reporter ohne Grenzen” ist entsetzt: „Unsere schlimmsten Befürchtungen werden wahr: Das deutsche Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet dient undemokratischen Staaten nun als Vorlage, um gesellschaftliche Debatten im Internet einzuschränken. Auch in Russland sollen in Zukunft Mitarbeiter sozialer Netzwerke unter hohem Zeitdruck darüber entscheiden, welche Informationen gelöscht werden. In einem Land ohne unabhängige Gerichte, die den Schutz der Meinungsfreiheit durchsetzen könnten, ist das eine verheerende Entwicklung.”

4. Reichweitenschnorrer, Replysurfer, Sockenpuppen?
(volkerkoenig.de)
Volker König schreibt über ein Phänomen, das ihm auf Twitter aufgefallen ist. Immer wieder würden sich Accounts in Diskussionen unter Tweets von Medien und Tageszeitungen oder auch von linken Aktivisten einmischen, die nur 50 oder deutlich weniger Follower haben. Auch nach den G20-Krawallen in Hamburg sei eine hohe Anzahl von “danke @PolizeiHamburg”-Twitterern dieser Gruppe zuzuzordnen. “Ich sehe hier eine Tendenz. Entweder sind “rechte Stammtischkrieger” auf Twitter gekommen und randalieren mit ihren Meinungen nun hier herum statt nach ein paar Bier in der Stammkneipe, oder es ist möglicherweise eine Reihe von meist AfD-nahen Personen, die mit Sockenpuppen nicht nur ihre Reichweite erhöhen, sondern durch die scheinbar große Zahl an zustimmenden Meinungen auch die Relevanz.”

5. Ein Geschenk an alle kritischen Geister
(taz.de, Ebru Tasdemir)
Am Jahrestag des türkischen Putschversuchs druckte die “Süddeutsche Zeitung” eine Erdogan-Propaganda-Anzeige und erntete heftige Kritik dafür. Zu Unrecht wie Ebru Tasdemir in der “taz” findet: Die Anzeige sei in sich schon so entlarvend, dass sich eigentlich niemand aufzuregen bräuchte. “Es ist doch ein Geschenk an alle kritischen Geister, das diese Lobbyarbeit so deutlich und plump daherkommt.” Außerdem könnten von den 86.000 Euro, die die Anzeige in etwa gekostet haben dürfte, Journalisten bezahlt werden, die weiter unabhängig über die Türkei berichten.

6. Vongolisch für Fortgeschrittene
(sueddeutsche.de, Jan Stremmel)
Wem gehört das Vong von der Urheberschaft her? Jan Stremmel hat sich auf Spurensuche begeben und mit den Vongolisch-Größen des Internets Kontakt aufgenommen: “Aus einer wunderbar albernen Idee, die deutsche Sprache gemeinschaftlich kreativ zu verhunzen, ist ein kleinlicher und ziemlich deutscher Streit um Deutungshoheit und Urheberschaft geworden. Es wird beleidigt, beschimpft, bedroht. Und ein paar der ironischsten Witzbolde des Internets keifen plötzlich wie die Hausmeister.”

“… der ja in so einer Debatte auch nicht ganz irrelevant ist”

Bei seiner Suche nach Personen, die den am Montag erschienenen G20-“Verbrecher”-Fahndungsaufruf von “Bild” und Bild.de toll finden, ist “Bild”-Oberchef Julian Reichelt auf Bayerns Justizminister Winfried Bausback gestoßen. Der hatte bei Facebook etwas zu der Aktion des Boulevardblatts gepostet, und diese Aussage zitierte Reichelt später in einem Interview mit “radioeins”.

Er sagte dort:

Der bayerische Justizminister zum Beispiel, der ja in so einer Debatte auch nicht ganz irrelevant ist, sieht das anders und schreibt auf Facebook (…)

Reichelt las dann zwei Passagen aus diesem Posting von Bausback vor:

Der Fahndungsaufruf von Bild ist meiner Meinung nach zu begrüßen und nicht zu kritisieren! Es besteht ein hohes Interesse der Gesellschaft die linksradikalen Extremisten zu finden. Laserpointer gegen Polizeihubschrauber, Stahlkugeln, Molotowcoctails: Wer das Leben seiner Mitmenschen so gering achtet, hat kein Recht auf Annonymität. Und warum soll die Freie Presse hier nicht zur Aufklärung beitragen?
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Winfried Bausback hat dann offenbar noch einmal darüber nachgedacht, ob es wirklich so toll ist, wenn Zeitungsredaktionen oder Privatpersonen oder sonst wer, der nicht zur Exekutiven des Landes zählt, öffentliche Fahndungsaufrufe in Umlauf bringt. Knapp zwei Tage nach seinem ersten Posting zum Thema schreibt er:

Mit meinem persönlichen Post vom 11.7.2017, 12:27 h bin ich über das Ziel hinausgeschossen. Deshalb hier nochmals zur Klarstellung: Es war und ist für mich überhaupt keine Frage: Die Verfolgung und Ahndung von Straftaten sind alleinige Aufgaben des Staates. Ich habe in der Vergangenheit immer betont und betone auch hier: Effektive Strafverfolgung durch unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften gehört zum Markenkern unseres Rechtsstaates. Das war so, das ist so und das wird auch so bleiben. Ich hoffe, dass Polizei und Staatsanwaltschaft möglichst schnell und möglichst viele der Hamburger Kriminellen ermitteln, damit sie auch entsprechend bestraft werden können. Der Rechtsstaat muss hier eine ganz klare Kante zeigen! Und ein Zweites: Es ist sehr wichtig, dass die Gesellschaft als Ganzes ein starkes Signal setzt: In Deutschland ist kein Platz für Extremisten, egal ob links, rechts oder islamistisch geprägt. Darum geht es mir! Wie die meisten Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland war und bin auch ich persönlich empört darüber, dass vermummte Chaoten und Linksextremisten aus ganz Europa eine Großveranstaltung wie den G20-Gipfel dazu missbrauchen, um aus ideologischer Verblendung ganze Stadtteile einer deutschen Großstadt zu verwüsten. Das Recht der freien Meinungsäußerung und die Demonstrationsfreiheit sind für unsere Demokratie unerlässlich. Aber niemand hat das Recht, unter dem Deckmantel dieser Freiheiten Straftaten zu begehen. So etwas darf nicht sein. Wenn man die Bilder der Krawalle live im Fernsehen sieht, die beispiellose Brutalität, die Zahl der verletzen Polizisten, die Schäden für Unbeteiligte, dann macht dies einfach wütend und traurig. Aus dieser persönlichen Empörung heraus habe ich meinen Post verfasst.

Die Aussage eines bayerischen Justizministers soll “in so einer Debatte” laut Julian Reichelt ja “auch nicht ganz irrelevant” sein.

Mit Dank an Jona C. S. für den Hinweis!

“Bild” fahndet nicht nach den G20-“Verbrechern”, “Bild” fahndet nur

Manchmal gibt es ja Versuche, mit “Bild”-Chef-Chef Julian Reichelt zu diskutieren. Der US-Journalist Glenn Greenwald hat das zum Beispiel mal probiert. Genauso Rafael Buschmann vom “Spiegel”. Die Erkenntnisse aus diesen Diskussionen halten sich in der Regel in Grenzen, und häufig scheint das Ganze auch daran zu scheitern, dass Julian Reichelt sich in Logiken bewegt, die für andere Personen schlicht nicht zugänglich sind.

Heute, bei einem Interview von Reichelt mit “radioeins” (Audio, 4:49 Minuten), konnte man das mal wieder ganz gut beobachten.

Es ging um die von “Bild” initiierte G20-“Verbrecher”-Fahndung. Moderator Volker Wieprecht sagt zu Reichelt, dass es ja Kritik gebe, dass seine Redaktion sich “zur Polizei, zum Staatsanwalt und zum Richter in einer Person” mache und damit illegal handele.

Der “Bild”-Oberchef antwortet:

Ja, das ist natürlich völliger Quatsch. Also weder zur Polizei noch zum Staatsanwalt noch zum Richter, weil wir ja nicht fahnden, das können wir nicht, weil wir nicht anklagen, das wollen wir nicht und das können wir nicht, wie es ein Staatsanwalt tun würde, und weil wir nicht urteilen, wie es ein Richter tun würde.

Bleiben wir erstmal bei Reichelts Wahrnehmung, dass “Bild” nicht fahnde. Seine Antwort auf die Vorwürfe, die Wieprecht nennt, geht noch weiter:

(…) und weil wir nicht urteilen, wie es ein Richter tun würde. Der bayerische Justizminister zum Beispiel, der ja in so einer Debatte auch nicht ganz irrelevant ist, sieht das anders und schreibt auf Facebook: “Der Fahndungsaufruf von ‘Bild’ ist meiner Meinung nach zu begrüßen und nicht zu kritisieren. Es besteht ein hohes Interesse der Gesellschaft, die linksradikalen Extremisten zu finden.” Und: “Warum soll die freie Presse hier nicht zur Aufklärung beitragen?”

Reichelt schmückt sich mit einem Lob des bayerischen Justizministers für eine Fahndungsaktion, die es gar nicht gibt, weil “Bild” ja überhaupt nicht fahndet. Urgh.

Die Aussage, dass “Bild” nicht urteile, ist mindestens genauso überraschend. Nur zur Erinnerung: Die Titelseite des Blatts sah am Montag so aus:


(Unkenntlichmachungen durch uns.)

“Wer kennt diese G20-Verbrecher?” steht dort. Es steht dort nicht: “Wer kennt diese Menschen, bei denen wir die Vermutung haben, dass sie eine Straftat begangen haben?” Oder, noch etwas zurückhaltender: “Wer kenn diese Menschen auf den Fotos?” Die “Bild”-Medien haben beim Verfassen der Titelzeile bereits geurteilt: Hier handelt es sich um “Verbrecher”. Sie haben auf Gerichtsentscheidungen gepfiffen. Sie haben auf die Unschuldsvermutung gepfiffen. Sie haben auf Rechtsstaatlichkeit gepfiffen.

Julian Reichelt hat sowieso, auch das zeigt sein Interview mit “radioeins”, eine mitunter sehr eigenartige Rechtsauffassung. Als Moderator Volker Wieprecht sagt, dass es “ja das Recht am eigenen Bild” gebe, “das da offensichtlich verletzt wurde”, entgegnet Reichelt:

Naja, das Recht am eigenen Bild ist dann verletzt, wenn der Betroffene sich in seinem Recht verletzt fühlt und das zur Anzeige bringt. Alle Betroffenen, die wir gezeigt haben, habe ich öffentlich auf Twitter eingeladen, dieses Recht geltend zu machen und sich an uns, an “Bild” zu wenden, gerne an mich persönlich, und zu sagen: “Hier ist mein Recht am eigenen Bild verletzt. Mein Name ist soundso. Und ich möchte dieses Recht am eigenen Bild gerne einfordern.” Wir werden das dann hier prüfen und wir werden Daten, die uns dann übermittelt werden an die Polizei weiterreichen, und dann kann entschieden werden.

Julian Reichelt wird nicht ernsthaft selber glauben, dass eine Rechtsverletzung erst dann eine Rechtsverletzung ist, wenn derjenige, dessen Recht verletzt wurde, sich dagegen wehrt. Mit so viel Doofheit wäre er nicht in die Position gekommen, in der er sich aktuell befindet.

Seine Aussage verdeutlicht aber das ekelige Kalkül hinter der ganzen “Bild”-Aktion: Wo kein Kläger, da kein Richter. Es geht nicht darum, sauber zu arbeiten. Es geht darum, sauber aus der Sache rauszukommen.

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