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“Bild” schickt Bodo Ramelow in einen erfundenen “Shitstorm”

Ein “Shitstorm” ist laut Duden ein “Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht”.

Bei “Bild” haben sie hingegen eine leicht andere, eigenwillige Definition, und die geht in etwa so: Um einen “Shitstorm” handelt es sich, wenn auf einen Witz bei Twitter weit über 200 Personen mit “Gefällt mir” reagieren, mehr als 30 Personen ihn per Retweet verbreiten und zwölf Personen auf den Tweet antworten, wobei die Antworten vor allem mit einem Daumen nach oben, lachenden Gesichtern, vielen Herzchen und Aussagen wie “Sehr schön … danke dafür :-)” oder “Herrlich” versehen sein müssen. Oder anders: Wir finden Linken-Politiker und Ministerpräsident Bodo Ramelow blöd, also lasst uns ihm mal einen “Shitstorm” andichten:

Ausriss Bild-Zeitung - Was wollten Sie uns damit sagen, Herr Ramelow?

Shitstorm für MP Bodo Ramelow (Linke)!

Grund sei dieser “schräg formulierte Nachrichten-Mix des Politikers auf Twitter”:

Screenshot eines Tweets von Bodo Ramelow - Was die Woche passierte und die Welt bewegte: Betrunkener Waschbär fährt erster Klasse mit der DB bis Bremen - nur dadurch entkam er dem Erfurter Stadtjäger. Die Stadtmusikanten müssen ab sofort geändert werden und eine  Greta war die Zugbegleiterin.

Die Thüringen-Ausgabe der “Bild”-Zeitung schreibt über die Reaktionen:

Ein verärgerter User antwortete: “Bodo lass das, Witze kann nicht jeder, mach lieber ordentliche Politik!”

Andere fanden, dass sich der Beitrag wie ein Antrag auf Pensionierung lese, fragten beim MP sogar nach, ob er alkoholisiert gewesen sei.

… wobei die Sache mit der “Pensionierung” mit einem Zwinkern versehen ist. Ansonsten sehen die Antworten auf Ramelows Tweet so aus:








Das ist, neben aktuell 247 Mal “Gefällt mir” und 31 Retweets, der “Shitstorm”, den die “Bild”-Redaktion herbeifantasiert hat.

Dazu auch aus unserem Archiv:

Journalist des Jahres, Kein Recht auf Sendezeit, Datenleck der Like-Fabrik

1. Juan Moreno ist der Journalist des Jahres 2019
(mediummagazin.de)
Der vor allem durch die Causa Relotius bekannt gewordene freie Reporter Juan Moreno ist von einer rund 100-köpfigen Jury des “medium magazin” zum “Journalisten des Jahres” 2019 gewählt worden: “Moreno zeigte als Reporter die Hartnäckigkeit des gründlichen Rechercheurs und ehrlichen journalistischen Handwerkers. Zudem bewies er den Mut, für die Wahrheit persönlich viel aufs Spiel zu setzen, da ihm zunächst niemand glauben wollte. Die Folgen seiner Recherchen werden die Debatten über Qualitätsjournalismus weit über 2019 hinaus prägen.”

2. Ein Recht auf Sendezeit gibt es nicht
(deutschlandfunk.de, Arno Frank)
Zum Ende des Jahres wird gerne nachgezählt, wie oft welche Politikerinnen und Politiker bei den großen politischen Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen zu sehen waren. Begleitet von der Kritik, dass manche Parteien beziehungsweise deren Vertreterinnen und Vertreter zu kurz gekommen seien, wenn man die Sitzverteilung im Bundestag als Maßstab heranziehe. Eine Kritik, die Arno Frank nicht nachvollziehen kann: “Die Auswahl der Gäste erfolgt nicht nach demokratischem Proporz, sondern nach redaktionellen Erwägungen. Jede Sendung ist der Versuch, eine ergiebige Gesprächsrunde zu orchestrieren.”

3. “Projekt Herkules”: Springer-Chef Döpfner lockt “Bild”-Mitarbeiter mit Turbo-Prämie zum Ausscheiden
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Der Axel-Springer-Konzern will “die Kostenbasis durch strukturelle Anpassungen um insgesamt rund 50 Millionen Euro senken” und setzt vor allem beim Personal an. Möglichst viele “Bild”-Beschäftigte sollen mit Prämien dazu bewegt werden, freiwillig das Unternehmen zu verlassen. Eine Vorgehensweise, die man bei der “Welt” schon gewählt hatte.

4. Die Like-Fabrik
(sueddeutsche.de, Svea Eckert & Simon Hurtz & Sören Müller-Hansen & Vanessa Wormer)
“SZ”, NDR und WDR liegt eine Liste mit Links zu knapp 90.000 Social-Media-Präsenzen vor, die von gekauften Likes des Like-Lieferanten “Paidlikes” profitierten. Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum hatten die unzureichend geschützten Daten der Website entnommen und zugänglich gemacht. Obwohl aus ihnen nicht ersichtlich wird, wer den Likekauf beauftragt und bezahlt hat, ermöglicht die Recherche interessante Einblicke in das Geschäftsmodell mit den gekauften “Gefällt mir”-Angaben und Herzen.

5. Polizisten können zwei Tage lang nicht twittern
(netzpolitik.org, Marie Bröckling)
Auf Twitter wurden am Wochenende mehrere kleinere Polizei-Accounts zumindest zeitweise gesperrt. netzpolitik.org hat Ursachenforschung betrieben. Der Verdacht auf “Overblocking” liege nahe. Warum jedoch ausgerechnet die elf Polizei-Accounts betroffen waren, von denen die Sperrung bekannt wurde, sei unklar.

6. TikTok: Wir haben Videos von Polizeigewalt hochgeladen, dann wurden sie gelöscht
(vice.com, Sebastian Meineck)
Kritischer Journalismus ist auf TikTok anscheinend nicht erwünscht, so eine mögliche Erkenntnis aus einem Experiment der “Vice”-Redaktion. Die fünf testweise hochgeladenen Videoaufnahmen von Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Zivilbevölkerung seien entweder gelöscht oder in ihrer Reichweite gedrosselt worden.

Der Bestätigungsfehler: Die Erwartung macht das Ergebnis

Im zurückliegenden Jahr haben wir hier im BILDblog wieder viel über Fehler geschrieben. Aber was genau sind das eigentlich: Fehler? Wie häufig passieren sie? Wie entstehen sie? Und was können Redaktionen gegen sie tun? Unser Autor Ralf Heimann hat sich in einer achtteiligen Serie mit all dem Falschen beschäftigt. Heute Teil 3: der Bestätigungsfehler.

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Der Arzt und Naturwissenschaftler Samuel Morton vermaß Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere Tausend Schädel und zog daraus Rückschlüsse auf die Intelligenz von Menschen. Er behauptete, Belege für die Überlegenheit der “weißen Rasse” gefunden zu haben. 140 Jahre später untersuchte der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould die Ergebnisse und urteilte, sie seien ein “Mischmasch aus Pfusch und Mogelei”.

Ulrich und Johannes Frey schildern das Beispiel in ihrem Buch “Fallstricke – die häufigsten Denkfehler in Alltag und Wissenschaft”. Interessant ist es vor allem wegen der Pointe: Gould selbst fand in den Daten keinerlei Beweise für die These, dass Menschen verschiedener “Rassen” unterschiedlich intelligent sein könnten. Mortons Fehler erklärte er nicht durch Vorsatz oder Unaufmerksamkeit, sondern durch “durchgängige, einseitige Verzerrungen”. Später stellte sich allerdings heraus: Fehlerfinder Gould war genau der gleiche Fehler unterlaufen. Auch er hatte sich durchgängig verrechnet. Er selbst führte das auf seine Erwartungshaltung zurück. In einer späteren Auflage seines Buchs schrieb er, der Fehler “veranschaulicht auf meine Kosten das Kardinalprinzip des Buches”.

Und es gibt noch eine Pointe, um die wir den Text nach der Veröffentlichung ergänzt haben (hier in kursiver Schrift – Danke an Marc U. für den Hinweis), denn möglicherweise ist die Tatsache, dass dieses Beispiel sich verbreitet hat, Ergebnis des gleichen Denkfehlers.

Für eine Studie aus dem Jahr 2011, die im Buch von Ulrich und Johannes Frey (3. Auflage, 2011) noch nicht erwähnt ist, haben Wissenschaftler die Schädelsammlung von Samuel Morton neu vermessen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Daten korrekt waren. Sie stellen zwar in Frage, dass seine Erwartungen die Messungen verzerrt haben. Doch in einem Beitrag für das Magazin “New Scientist”, der im gleichen Jahr erschien, schreiben David DeGusta and Jason E. Lewis, zwei der Wissenschaftler, die an der Untersuchung beteiligt waren: “Goulds Studie und seine Ansicht, dass die Wissenschaft unweigerlich voreingenommen ist, wurde zur Konsensversion in der Wissenschaftsforschung. Goulds Behauptungen wurden selten oder nie in Frage gestellt.”

Das zeigt, wie tückisch dieses Phänomen ist: Wenn etwas gut ins Bild passt, werden wir schnell unkritisch. So schwer wäre es nicht gewesen, die Studie aus dem Jahr 2011 zu finden. Sie ist verlinkt in Samuel Mortons Wikipedia-Eintrag.

Das zugrundeliegende Prinzip nennt sich Bestätigungsfehler (Confirmation bias). Menschen bevorzugen Informationen, die zu ihren Überzeugungen passen. In einem “Geo”-Essay beschreibt Jürgen Schaefer eine Untersuchung des Neurowissenschaftlers Kevin Dunbar, der diese Verzerrung in Gehirnscans sichtbar gemacht hat: Informationen, die zu den eigenen Überzeugung passen, dürfen den frontalen Kortex passieren, alle übrigen werden abgewiesen.

Das führt dazu, dass Menschen immer neue Belege dafür finden, was sie eh schon denken — und sich dieses Wissen verfestigt. Das Phänomen ist unter Journalistinnen und Journalisten bekannt, und genau das ist Teil des Problems. Menschen, die den Bestätigungsfehler kennen, denken, sie wären vor ihm sicher (Bias blind spot). Doch das ist nicht der Fall. Er wirkt auch dann, wenn man ihn kennt. Samuel Morton ist also nicht allein mit dieser Schwäche.

Der Bestätigungsfehler ist allgegenwärtig. In den USA haben Untersuchungen zu verzerrten Darstellungen im Journalismus (Media bias) gezeigt, dass liberale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Medien tendenziell eher ein Übergewicht von konservativen Positionen ausmachen, während konservative Forscherinnen und Forscher eine Verzerrung hin zu liberalen Ansichten erkennen können.

Der deutliche Effekt der Erwartungshaltung zeigt den großen Einfluss vorgefasster Meinungen auf neutrale Daten

… schreiben Ulrich und Johannes Frey. Die Erwartung beeinflusst das Ergebnis. So funktioniert auch der Placebo-Effekt.

Menschen scheinen zudem eine Präferenz für Vertrautes zu haben. Das beschreibt der Besitztumseffekt (Endowment-Effekt). Wir schätzen den Wert von Gegenständen höher ein, wenn wir sie besitzen. Es deutet einiges darauf hin, dass das bei Informationen ähnlich ist.

Wir bevorzugen vertraute Informationen. Eine vertraute Information wird von uns als “wahre Information” behandelt

… schreiben Frey und Frey. Wenn wir eine neue Information erhalten und diese einer schon vorhandenen widerspricht, legen wir an die neue Information einen höheren Maßstab an als an die uns bekannte. Wir erinnern uns auch länger an all das, was unsere Meinungen stützt. Tests zeigen, “dass jeder Mensch bestätigende Daten bis zu drei Mal häufiger im Gedächtnis behält als falsifizierende”, so Frey und Frey.

Das begünstigt die Tendenz, bei einer Meinung zu bleiben, obwohl längst einiges gegen sie spricht. Im Journalismus verstärkt es die Neigung, an Thesen festzuhalten, wenn schon vieles darauf hindeutet, dass sie so nicht zutreffen können.

Studien zeigen, dass es nicht einmal hilft, Menschen darauf hinzuweisen, dass eine Information falsch ist (Conservatism bias). Unbewusst halten sie trotzdem an ihr fest. Die Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai-Thi Nguyen-Kim beschreibt in einem Video ein Experiment, in dem Probandinnen und Probanden Abschiedsbriefe vorgelegt werden. Sie sollen einschätzen, ob die Briefe echt oder gefälscht sind. Unabhängig davon, ob sie wirklich richtig liegen, bekommen einige von ihnen die Rückmeldung, dass sie ein sehr gutes Gespür haben, während man anderen signalisiert, dass sie so gut wie immer falsch lagen. Im Anschluss klären die Versuchsleiter die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber auf, dass alles nur inszeniert war, und bitten sie, einzuschätzen, wie gut sie wirklich waren. Das Ergebnis ist: Die Probandinnen und Probanden mit den positiven Rückmeldungen halten ihre wirkliche Leistung für überdurchschnittlich gut, die übrigen glauben, sie hätten eher unterdurchschnittlich abgeschnitten.

Das lässt Rückschlüsse auf die journalistische Arbeit zu. Es ist zum Beispiel ein Hinweis darauf, dass falsche Informationen nicht vollkommen dadurch aus der Welt geschafft werden können, dass man sie richtigstellt. Menschen korrigieren ihr Denken nur sehr langsam.

Der Bestätigungsfehler wirkt im Journalismus an vielen Stellen. Es fängt schon mit der Google-Recherche an. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erzählt in seinem Buch “Die große Gereiztheit – Wege aus der kollektiven Erregung” von einer Untersuchung mit dem sperrigen Namen “Personal Web Search in the Age of Semantic Capitalism – Diagnosing the Mechanisms of Personalisation”. Forscher wollten herausfinden, wie der Google-Algorithmus die Recherche-Ergebnisse beeinflusst. Dazu legten sie Profile der Philosophen Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche und Michel Foucault an und trainierten Google jeweils mit Begriffen aus deren Büchern. Das Ergebnis:

Google personalisiert schon nach kurzer Zeit ziemlich radikal, vor allem jedoch im Feld der ersten zehn Suchergebnisse, die einem Nutzer angezeigt und aller Wahrscheinlichkeit nach geklickt werden. Im Durchschnitt waren 64 Prozent der Suchergebnisse spezifisch (…).

Personalisierte Suchergebnisse sind allerdings noch nicht einmal nötig, um Menschen zu den Ergebnissen zu führen, die sie suchen. Wer schon mal versucht hat, mithilfe von Google eine bestimmte Krankheit zu diagnostizieren, weiß: Mit so gut wie jedem Symptom lässt sich so gut wie jede Krankheit nachweisen. Und ungefähr so ist es bei der Recherche auch.

Das zeigt sich mitunter auch im Ergebnis. Die Medienwissenschafter Hans Mathias Kepplinger und Richard Lemke haben untersucht, wie Medien die Reaktorkatastrophe von Fukushima dargestellt haben (PDF). Eines ihrer Ergebnisse ist:

Je negativer sich Journalisten in den Meinungsformen äußerten, (…) desto eher kamen dort Politiker und Experten zu Wort, die die Kernenergie ablehnten und einen Ausstieg aus der Kernenergie verlangten.

Der Bestätigungsfehler wirkt natürlich auch beim Publikum, und das verstärkt den Effekt. Menschen sind zugänglicher für Nachrichten, die ihren Erwartungen entsprechen. Der Fehler ist eine Erklärung für den Erfolg von “Fake News”, Falschmeldungen oder falsch verstandenen Meldungen.

Das war zum Beispiel im April dieses Jahres zu beobachten, als die Nachricht “Die meisten Messerangreifer heißen Michael” aufgrund eines Missverständnisses die Runde machte. Die AfD hatte im saarländischen Landtag eine Anfrage gestellt, um zu erfahren, ob es auffällige Häufungen von bestimmten Vornamen bei Verdächtigen im Zusammenhang mit Messerattacken gibt. Es sah so aus, als hätte die Partei sich bei dem Versuch, ein rassistisches Vorurteil zu belegen, selbst entlarvt: Auf Platz 1 der Liste stand kein arabischer Name, sondern “Michael”. Viele teilten die Nachricht, weil sie wiederum AfD-Gegnern sehr gut ins Bild passte.

Später wies Stefan Niggemeier bei “Übermedien” darauf hin, dass es in der Liste nur um die Namen der deutschen Verdächtigen ging. Das stand zwar mitunter in den Meldungen. Aber viele hatten nur die Überschrift gelesen oder die Information ignoriert. Der Wunsch, die eigene Überzeugung bestätigt zu sehen, war stärker als der Zweifel.

Die Frage ist: Was kann man gegen den Bestätigungsfehler machen?

Zuallererst: sich bewusst machen, dass man ihm ausgeliefert ist. Sich zwingen, Dinge zu überprüfen, auch wenn sie offensichtlich erscheinen. Zweifeln. Der Philosoph und Publizist Daniel-Pascal Zorn schlägt vor:

Um der “Confirmation Bias” zu entgehen, muss man darauf achten, die eigene Vorannahme als Annahme und nicht schon als Tatsache zugrunde zu legen. Eine Annahme kann sich immer noch als falsch erweisen — eine Tatsache nicht mehr.

Für Journalistinnen und Journalisten bedeutet das: Sie sollten sich auch während ihrer Recherche immer wieder die Frage stellen: Stimmt meine These überhaupt? Kann es nicht auch anders sein? Und sie sollten bewusst auch nach Argumenten suchen, die gegen die Vermutung sprechen.

Immer wieder das eigene Handeln zu hinterfragen, schaltet den Bestätigungsfehler zwar nicht vollkommen aus, aber in vielen Fällen kann es Fehlschlüsse verhindern. Und für den Fall, dass der Bestätigungsfehler sich trotzdem durchsetzt, können Journalistinnen und Journalisten noch etwas anderes machen: offenlegen, was zu einer Verzerrung führen könnte. Kritische Verbindungen verraten. Dafür sorgen, dass Transparenz besteht.

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Teil 1 unserer “Kleinen Wissenschaft des Fehlers” gibt es hier. Und Teil 2 hier.

Bilanz der Pressefreiheit, China-Nähe der “Weltwoche”, Gelbkehlchen

1. Jahresbilanz der Pressefreiheit
(reporter-ohne-grenzen.de)
Zum Jahresende veröffentlicht Reporter ohne Grenzen die “Jahresbilanz der Pressefreiheit” (PDF). 2019 seien mindestens 49 Medienschaffende im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet worden. Die gefährlichsten Länder für sie seien Syrien, Mexiko, Afghanistan, Pakistan und Somalia gewesen. 389 Medienschaffende hätten zum Stichtag 1. Dezember im Gefängnis gesessen, fast die Hälfte von ihnen in nur drei Ländern: China, Ägypten und Saudi-Arabien.

2. Ausufernde Jugendgewalt?
(community.beck.de, Henning Ernst Müller)
Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller berichtet über eine gerade veröffentlichte kriminalstatistische Studie zur Jugendkriminalität. Sein Resümee: “Die Jugend ist in der vergangenen Dekade nicht gewalttätiger geworden, sondern Jugendgewalt ist — im Gegenteil — deutlich zurückgegangen. Derzeit spricht viel dafür, dass dieser Trend anhält, auch wenn die Utopie einer gewaltfreien Gesellschaft wohl eine bleiben wird.”

3. Ein koksender Koch im TV, ein Joke in einem Nebensatz, eine Abmahnung der Kanzlei Höcker – und warum ich vielleicht ein bisschen Unterstützung gebrauchen könnte
(kraftfuttermischwerk.de, Ronny Kraak)
Blogger Ronny Kraak (“Kraftfuttermischwerk”) hat unangenehme Anwaltspost bekommen: Die in vielerlei Hinsicht bekannte Anwaltskanzlei Höcker hat ihm eine Abmahnung zukommen lassen, die er nicht unwidersprochen lassen will. Wenn da nicht die Sache mit dem Geld wäre: “Mein Problem: der Bums könnte mich am Ende um die 5000 Euro kosten, wenn ein Gericht dann halt für die Rechtsauffassung der Kanzlei Höcker entscheidet, was nicht sicher ist, denn mit dieser greifen auch die hin und wieder mal ins Klo. Auch mit anderen Dingen, aber um die soll es gerade nicht gehen.”

4. Unterwegs im Ausland: die Arbeit als Korrespondent/in
(anchor.fm, Levin Kubeth, Audio: 1:15:40 Stunden)
Levin Kubeth unterhält sich im Medienpodcast “Unter Zwei” mit Fabian Reinbold, Washington-Korrespondent von t-online.de, und mit Karoline Meta Beisel, EU-Korrespondentin der “Süddeutschen Zeitung” in Brüssel. Es geht unter anderem um die Schwierigkeiten und Besonderheiten derartiger Auslandseinsätze, ihre Arbeitsabläufe und die Frage, wie es ist, in einem kleinen Team über ein ganzes Land zu berichten.

5. Roger Köppels seltsame Nähe zu den chinesischen Kommunisten
(nzz.ch, Simon Hehli & Daniel Gerny)
Die “NZZ” berichtet über eine “bemerkenswerte Kooperation” der rechtslastigen Schweizer Wochenzeitung “Weltwoche” mit der chinesischen Botschaft. Der “NZZ” lägen Kopien von Mails vor, die darauf hindeuten würden, dass die “Weltwoche” für ihre chinafreundliche Berichterstattung mit Gegenleistungen belohnt werde: Die chinesische Botschaft habe chinesischen Firmen, die in der Schweiz tätig sind, die Übernahme der Kosten für Werbung in dem Blatt angeboten. Dabei gehe es um ganzseitige Anzeigen im Wert von jeweils über 10.000 Franken.

6. Gelbkehlchen
(sueddeutsche.de, Maresa Sedlmeir)
Maresa Sedlmeir erzählt von einem Synchronauftrag für die “Simpsons”. Bei dem interessanten Blick hinter die Kulissen geht es auch um Kulturunterschiede hinsichtlich Wertschätzung und Bezahlung: Während in den USA die “Simpsons”-Sprecher und -Sprecherinnen gefeierte und hoch bezahlte Stars seien, könne in Deutschland keine der “Simpsons”-Stimmen ausschließlich von dieser Arbeit leben.

7. Fehlerforschung: Jeder zweite Artikel hat Mängel
(bildblog.de, Ralf Heimann)
Ausnahmsweise ein (zusätzlicher) Link in eigener Sache: Im zurückliegenden Jahr haben wir hier im BILDblog viel über Fehler geschrieben. Aber was genau sind das eigentlich: Fehler? Wie häufig passieren sie? Wie entstehen sie? Und was können Redaktionen gegen sie tun? Unser Autor Ralf Heimann hat sich in einer achtteiligen Serie mit all dem Falschen beschäftigt. Hier Teil 1: die Fehlerforschung.



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Unfallursache: Frau

Im baden-württembergischen Gerlingen ist, hehe, in der Nacht zu Mittwoch ein Auto, prust, in eine Hauswand gekracht, und, gleich kommt die Pointe, am Steuer saß, zwinkerzwinker, eine Frau!

Oder wie “Bild” schlagzeilt:

Ausriss Bild-Zeitung - Morgens um 4 Uhr und eine Frau am Steuer - dazu ein Foto des zerstörten Unfallwagens

Ja, doch, die “Bild”-Redaktion bewegt sich noch immer auf dem Niveau von eigentlich längst eingemotteten Stammtischkloppern wie “Frau am Steuer, das wird teuer”: Es sei “keine Bombe” gewesen, die dort am Unfallort eingeschlagen ist, …

sondern ein BMW. Mit einer Frau (26) am Steuer, morgens um 4 Uhr.

In den 43 Zeilen, die der Artikel aus der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung umfasst, war zwar Platz für eine Beschreibung der “großen Steinbrocken”, die nun “auf dem schönen, weißem Ledersofa liegen”, und für den Hinweis, dass die Fahrerin “in einer Linkskurve (…) die Kontrolle über ihren Wagen” verlor; die wahrscheinlichen Unfallursachen passten aber leider nicht mehr hinein. Neben zu hoher Geschwindigkeit dürfte das vor allem Alkohol gewesen sein. Das zuständige Polizeipräsidium Ludwigsburg schreibt in seiner Pressemitteilung jedenfalls:

Vermutlich infolge von Alkoholeinwirkung und nicht angepasster Geschwindigkeit ist die 26-jährige Fahrerin (…) von der Fahrbahn abgekommen (…)

Bei der Autofahrerin stellten Polizeibeamte Anzeichen von Alkoholeinwirkung fest und veranlassten die Entnahme einer Blutprobe.

Bei “Bild” machen sie daraus lieber: Unfallursache: Frau.

Mit Dank an @Medienfestival für den Hinweis!

Apokalyptische Writer, TikToks Obergrenze, Taub für falsche Töne

1. Apokalyptische Writer
(uebermedien.de, Samira El Ouassil)
Samira El Ouassil kommentiert auf “Übermedien” den Weltuntergangs-Alarmismus vieler Medien angesichts des SPD-Mitgliederentscheids: “Der seltsam passiv-aggressive Sound der Stücke ist um keinen defätistischen Superlativ verlegen und klingt stellenweise, als sei man eingeschnappt darüber, dass die Wahl anders ausging, als vorhergesagt; kompensatorisch musste sie ins Katastropheske hinabgeschrieben werden.” (Dass der Text nicht, wie vorgesehen, hinter die Paywall gepackt wurde, ist übrigens der Vergesslichkeit eines der “Übermedien”-Verantwortlichen zu verdanken.)

2. TikToks Obergrenze für Behinderungen
(netzpolitik.org, Chris Köver & Markus Reuter)
netzpolitik.org hat die Moderationsregeln des aus China stammenden Sozialen Videonetzwerks TikTok eingesehen und dabei allerlei besorgniserregende Besonderheiten festgestellt (Teil 1, Teil 2). Im aktuellen Beitrag geht es um den Umgang mit “Bildern von Subjekten, die hochgradig verwundbar für Cyberbullying sind” wegen ihrer “physischen oder mentalen Verfassung”. Der Versuch, Mobbing zu bekämpfen, habe bei TikTok bedeutet, dass man Videos von Menschen mit Behinderungen, aber auch Videos von queeren und dicken Nutzern und Nutzerinnen weniger oft angezeigt beziehungsweise sie “versteckt” habe.

3. “Wilde Kerle”, zahme Zahlen: Warum Sparer Kai Diekmanns “Zukunftsfonds” links liegen lassen
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Mehr als 20 Milliarden Euro wollten Ex-“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann und sein Geschäftspartner für ihren “Zukunftsfonds” einsammeln. Nach zwei Jahren sind es gerade mal 12 Millionen geworden. Eines von Diekmanns weiteren Projekten ist das Online-Finanzmagazin “Zaster”, das unabhängig vom “Zukunftsfonds” sein soll, es aber irgendwie doch nicht so ganz zu sein scheint.

4. Reporter entlassen
(buzzfeed.com/de, Pascale Müller)
Wie “BuzzFeed News” berichtet, habe der Berliner “Tagesspiegel” einem Reporter gekündigt, dem mehrere Frauen vorgeworfen hatten, sie bedrängt, gestalkt und sexuell belästigt zu haben. Der Reporter soll über Jahre hinweg seine Stellung gegenüber Praktikantinnen, Volontärinnen und freien Journalistinnen ausgenutzt haben. Zum Hintergrund siehe auch: Ein Reporter des “Tagesspiegel” soll Kolleginnen bedrängt, gestalkt und sexuell belästigt haben (buzzfeed.com, Pascale Müller).

5. Wir fragen die Parteimitgliedschaft nicht ab.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre von “Planet Interview” hat sich am Rand der ARD-Pressekonferenz mit dem ARD-Rundfunkratsvorsitzenden Lorenz Wolf unterhalten und ihn in bewährter Hartnäckigkeit dazu befragt, was es mit den Parteibüchern in den Rundfunkräten auf sich hat. Buhre hat dazu auch eine Liste erstellt (PDF), die zeigt, von welchen Mitgliedern des Rundfunkrats die Sender NDR und BR die Parteimitgliedschaft transparent machen und von welchen nicht.

6. Taub für die falschen Töne
(faz.net, Harald Staun)
“FAZ”-Redakteur Harald Staun hat sich die für den Reporterpreis nominierten Arbeiten angesehen, den ersten Reporterpreis der Post-Relotius-Ära. Staun will gar nicht glauben, “wie taub die Jury immer noch für die falschen Töne ist, die sich schon von Ferne anhören wie das Detailgeklingel, welches Claas Relotius so perfekt beherrschte, bis in die Satzmelodie hinein”. Mittlerweile wurde der Reporterpreis vergeben, unter anderem an den “lautesten Text dieses Jahres”.

Bestechungsvorwürfe, Job-Angst bei Springer, Kunst des Interviews

1. Bestechung beim Rundfunk Berlin-Brandenburg?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber & Kurt Sagatz)
Nach einem von “Bild” thematisierten Bericht des Brandenburger Landesrechnungshofs soll es bei der Fernsehproduktionsgesellschaft Dokfilm Unregelmäßigkeiten gegeben haben. Das Unternehmen, im Besitz von RBB und NDR, soll regelmäßig Redakteure öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Restaurants bewirtet und mit Geschenken bedacht haben. Der RBB habe Korruptionsvorwürfe gegen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgewiesen. Es handele sich zwar um teilweise erhebliche Abrechnungsmängel, die aus diesen Mängeln konstruierten Korruptionsvorwürfe seien jedoch abwegig.

2. Die Kunst des Interviews
(faz.net, Timo Frasch)
Die “FAZ” veröffentlicht eine gekürzte Fassung der Einleitung zu Timo Fraschs Interviewband “Sie stellen mir Fragen, die ich mir nie gestellt habe”. Die Lektüre lohnt sich schon deshalb, weil einem unter Umständen der naive Glaube genommen wird, ein veröffentlichtes Interview entspräche stets dem tatsächlichen Gesprächsverlauf: “Die Dramaturgie eines Gesprächs kann man nachträglich noch ganz gut gestalten — bestimmte Kniffe sollte man sich sogar für die Bearbeitungsphase aufheben. Eine provokante Frage zum Auftakt mag sich im gedruckten Interview gut machen, es empfiehlt sich aber nicht, im tatsächlichen Gespräch damit einzusteigen. Man will die Leute ja nicht gleich vor den Kopf stoßen.”

3. Ein Gespräch mit dem Medienforscher und Filmemacher Lutz Hachmeister
(medienkorrespondenz.de, René Martens)
René Martens hat sich mit dem Medienforscher und Filmemacher Lutz Hachmeister zu einem längeren Gespräch zusammengesetzt. Es geht unter anderem um die Krise des öffentlich-rechtlichen Politikjournalismus. Hachmeisters ernüchterndes Fazit: “Was fehlt, sind Fachwissen, Souveränität, handwerkliche Fähigkeiten im Interview — wobei die Schwächen bei der ARD noch etwas stärker ausgeprägt sind als beim ZDF. Man würde sich da lieber irgendwelche Live-Kanäle ohne Kommentar anschauen, wo die Politiker direkt etwas in die Kamera sagen, als diesen Statisten, die Pseudo-Fragen stellen, noch irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken. Man hat das Gefühl, die Berichterstattung besteht zum einen aus Zahlensalat und zum anderen aus hilflosen Interviewern. An solchen Wahlabenden wird deutlich: Dem öffentlich-rechtlichen Politikjournalismus würde nur ein härtestes Weiterbildungsprogramm weiterhelfen. Doch ich fürchte, im real existierenden System ist es dafür wohl zu spät.”

4. Axel Springer: Die “Bild” vom Betriebsrat
(clap-club.de, Daniel Häuser)
“Clap” (“Das People-Magazin der Kommunikationsbranche”) veröffentlicht Fotos einer offenbar vom Axel-Springer-Betriebsrat initiierten Sonderausgabe der “Bild”-Zeitung, in der es um die “Job-Angst bei Springer” und die bevorstehenden Umstrukturierungen geht. Der Betriebsrat wird darin mit den Worten zitiert: “Die Stimmung bei Springer war noch nie so schlecht.”

5. “Ey, Ihr verarscht uns” – Interview mit Rezo aus dem Film “Die Notregierung”
(youtube.com, dbate, Video: 11:04 Minuten)
Heute Abend strahlt das Erste die Doku “Die Notregierung – Ungeliebte Koalition” (SWR, NDR, RBB) von Autor Stephan Lamby aus. Auf Youtube gibt es bereits Auszüge daraus zu sehen, wie zum Beispiel das hier verlinkte Interview mit Rezo, der sich unter anderem zur oft unverständlichen Sprache von Politikerinnen und Politikern sowie deren Umgang mit den Medien äußert.

6. Sehnsucht nach Nähe
(taz.de, Martin Krauss)
Mit der Tennisspielerin Andrea Petkovic wechselt eine weitere Berufssportlerin in den Sportjournalismus: Petkovic führte am Sonntag erstmals als Moderatorin durch die “Sportreportage” des ZDF. Martin Krauss kommentiert: “Es fällt bei den Sendeanstalten gar nicht mehr auf, dass große Kenntnis von einem Gegenstand, egal ob Sport oder Wirtschaft, nicht einhergehen muss (und im Journalismus nicht einhergehen darf) mit Abhängigkeit davon. Dass Andrea Petkovic viel vom Sport im Allgemeinen und noch mehr vom Tennis im Besonderen versteht, ist ja unstrittig. Aber ist jemand, dessen Karriere gerade ausklingt und der folglich noch Gegenstand der Berichterstattung ist, automatisch qualifiziert, die Seite zu wechseln?”

7. Mario Barth und die Heiligen Drei Burger-Könige
(uebermedien.de, Lorenz Meyer)
Als zusätzlicher Link, weil unter Mitwirkung des “6 vor 9”-Kurators: Auf “Übermedien” gibt es einen Adventskalender mit 24 neuen Versionen der Weihnachtsgeschichte! Tag für Tag aus der wechselnden Sicht von bekannten Medienpersönlichkeiten. Gestern gab es einen fiktiven Auftritt von Mario Barth (“Pass uff! Waaahre Jeschichte! Waaaahre Jeschichte!!! Kennste Kaiser Aujustus? Kennste??”). Heute twittert uns “heute Journal”-Moderator Claus Kleber die Weihnachtsgeschichte, bei der er live zugegen war. Für Kleber eine “Lifetime-Experience” mit “goosebumps”.

Troll vom Tegernsee, Dichtes Sportressort, Politkrimi um Assange

1. NDR erstattet Strafanzeige
(tagesschau.de, John Goetz & Antonius Kempmann & Elena Kuch & Reiko Pinkert & Martin Kaul)
Wie sich herausstellt, wurde der WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London umfangreich und systematisch ausgespäht und abgehört. Mit im Visier: Alle seine Kontakte, Besucherinnen und Besucher, zu denen auch deutsche Journalisten gehörten. Unter den mutmaßlich betroffenen Journalisten sollen sich auch drei Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks befinden. Der NDR hat deshalb Strafanzeige erstattet. Nach Lektüre des Beitrags fühlt man sich an einen Politkrimi erinnert.

2. So links ist das Publikum von “Tagesschau” und “heute” wirklich
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Bedient der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland tatsächlich bevorzugt ein linkes Publikum, wie in zahlreichen Medien unter Bezug auf eine Studie zu lesen war? Nein, sagt Medienjournalist Stefan Niggemeier. Es handele sich um eine Fehlannahme, die wahrscheinlich auf die Fehlinterpretation einer Grafik zurück zu führen sei.

3. Der Troll vom Tegernsee
(taz.de, Juri Sternburg)
Juri Sternburg beschäftigt sich mit der Vorgehensweise des “Welt”-Kolumnisten und “barocken Landschaftsgärtners der rechten Ideologien” Don Alphonso. Aufschlussreich sei auch das Verhalten des “Welt”-Chefs Ulf Poschardt, der bei Deutschlandfunk Kultur die Alphonso-Kritiker in einem Atemzug mit Despoten und faschistoiden Hetzern genannt habe. Sternburg kommentiert: “Deutschland und Springer 2019 bedeutet eben immer noch: Wer Hetzer kritisiert, wird selbst zu einem gemacht. Wer rechte Menschenfeinde bekämpfen möchte, dem werden die angeblich gleichen Methoden vorgeworfen. Und wer sich in seinem Blatt einen Rainer Meyer leistet, um vermeintlich die Meinungsfreiheit zu schützen, der ist mitverantwortlich für die für viele offenbar immer noch unvorstellbaren Auswüchse dieser Politik.”

4. Sportressort dicht, Textkorrektur automatisiert: Wie Springer die “Welt”-Gruppe weiter umbaut
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Der Axel-Springer-Konzern steht vor einer gewaltigen Schrumpfungskur, zumindest im Bereich “News Media National”. Dort sollen 50 Millionen Euro eingespart werden. Allein der “Welt”-Gruppe werden voraussichtlich rund fünf Millionen Euro entzogen, was erhebliche Auswirkungen für Blatt und Onlineauftritt haben dürfte: Manche Ressorts werden zur Kostensenkung zusammengelegt, manche, wie das Sportressort, ganz dichtgemacht. Und bei der Textkorrektur soll zukünftig nur noch auf Maschinenintelligenz gesetzt werden.

5. Nach Kritik: Twitter ändert Pläne, Accounts zu löschen
(heise.de, Eva-Maria Weiß)
Als Twitter unlängst ankündigte, inaktive Konten löschen und anderweitig vergeben zu wollen, regte sich vielfältiger Protest. Eine besonders häufig geäußerte Kritik betraf das damit einhergehende Verschwinden der Konten von Verstorbenen. Nun wolle Twitter seine Pläne ändern.

6. [aus rechtlichen Gründen gelöscht]

Juristische Keule gegen “Kontext”, Merkwürdiger Satz, NPD-Bedrohung

1. Wir schweigen nicht
(kontextwochenzeitung.de)
Als die “Kontext”-Redaktion aus Facebook-Chats eines Mitarbeiters von zwei AfD-Abgeordneten zitierte, wurde dies vielfach gelobt, weil die Zitate den Rassismus, den Antisemitismus und die Demokratieverachtung dieser Kreise offenlegten. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe habe “Kontext” in dieser Sache vollumfänglich Recht gegeben. Doch nun wird die Redaktion erneut juristisch bedroht, mit einer 60.000-Euro-Schmerzensgeld-Forderung und einem sehr hohen Streitwert: “Wer den Streitwert in einem Presserechtsverfahren gegen eine spendenfinanzierte Zeitung auf 260 000 Euro veranschlagt, hat ein klares Ziel: eine kritische Stimme zum Schweigen zu bringen.” “Kontext” bittet daher um finanzielle Unterstützung durch Spenden: “Lassen Sie uns gemeinsam stark und laut sein gegen den Rechtsruck und dessen juristische Keule. Diesmal zielt sie auf uns. Gemeint sind wir alle.”

2. Kommentar: der wirklich ziemlich merkwürdige Satz des Holger Friedrich
(meedia.de, Matthias Oden)
Nach ihrem langen Aufsatz in der “Berliner Zeitung” haben die Verleger Silke und Holger Friedrich nun der dpa ein Interview gegeben. Darin liefert Holger Friedrich auch eine Erklärung für seinen umstrittenen Dank an den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR Egon Krenz. Eine Erklärung, die “Meedia”-Chefredakteur Matthias Oden erschreckt aufhorchen lässt: “Man hätte man also auch dieses Thema irgendwie beiseite legen können, wenn nicht Holger Friedrich in diesem Zusammenhang einen anderen Satz hätte fallen lassen: “Ich kann es aber nicht nachvollziehen, wenn jemand, der danach geboren wurde, sich zu einem kräftigen moralischen Urteil aufschwingt, weil er zu der Zeit nicht dabei war.” Und weil die Friedrichs wichtige Themen gerne in Fragen angehen, soll an dieser Stelle auch mit einer geantwortet werden: Meint er das ernst? Wirklich jetzt?”

3. Reflexe der Redaktionen
(journalist-magazin.de, Josef Zens)
Kalkulierte Tabu-Brüche, inszenierte Skandalisierungen, “False Balance”, mangelnde Fehlerkultur, unzureichende Recherchen … In der neuen Folge von “Mein Blick auf den Journalismus” hat sich Josef Zens die Wut über aktuelle Missstände des Journalismus von der Seele geschrieben. Zum Schluss gibt es aber auch Lob, und zwar für neue (und hier auch gelegentlich verlinkte) Journalismusmodelle wie die “RiffReporter” und das deutsche “Science Media Center”.

4. “YouTubers Union” sucht den Streit mit Google
(heise.de, Torsten Kleinz)
Zwischen Youtube und den vom Netzwerk lebenden Videoproduzentinnen und -produzenten besteht ein großes Machtgefälle: Die Youtuber sind dem Netzwerk mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert und müssen sich an das halten, was ihnen Youtube vorschreibt. Der Youtuber Jörg Sprave wollte sich mit diesem Ungleichgewicht nicht abfinden und gründete die Initiative “YouTubers Union”. Mittlerweile hat er einen mächtigen Bündnispartner gewonnen, die IG Metall. Torsten Kleinz erklärt in seinem Beitrag die Streitpunkte der beiden Parteien und sagt, welche Aktionen die Youtube-Gewerkschafter planen.

5. “Ein sehr starker Versuch der Einschüchterung”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 7:42 Minuten)
Die NPD will in Hannover anscheinend eine Demonstration gegen drei Journalisten durchführen, die im rechtsextremen Milieu recherchieren. Antje Allroggen hat sich im Deutschlandfunk mit dem Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit unterhalten, der das Vorgehen für bundesweit einmalig und für einen Teil einer neuen Einschüchterungsstrategie hält. Speit fürchte, “dass manches Mal Kolleginnen und Kollegen dann doch so ein wenig überlegen: ‘Ja, Mensch, muss ich mir das antun, wenn ich über die berichte, wenn das solche Folgen haben könnte?'”
Weiterer Lesehinweis: Die andere Pressefreiheit oder: Wie ich mit der AfD Bekanntschaft machte: “Nach der Abwahl des Rechtsausschuss-Vorsitzenden Stephan Brandner wegen Antisemitismus stellte ich nahe liegende Fragen und bekam unverschämte Antworten. Mir ist das eine Lehre. Sollte die AfD mal regieren, bleibt von der von ihr reklamierten Meinungsfreiheit vermutlich nicht viel übrig.” (rnd.de, Markus Decker).
Und noch ein Lesehinweis: Gericht untersagt NPD Falschbehauptungen gegen NDR Mitarbeiter.

6. Rezo hat ein kleines Meisterwerk geschaffen
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Die Deutsche Umwelthilfe hat den Youtuber Rezo mit dem UmweltMedienpreis in der Kategorie Online ausgezeichnet. In seiner Laudatio betont netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl, wie wichtig Rezos Video für das Entstehen einer gesellschaftlichen Klimadebatte war: “In Kombination mit den aufkommenden Protesten der Fridays-for-Future-Bewegung wurde “Die Zerstörung der CDU” ein weiteres bedeutendes Puzzlestück in der Sensibilisierung und Mobilisierung vieler, vor allem junger Menschen gegen die Klimakrise. Klimafragen waren auf einmal cool, was auch an der Darreichungsform von Rezos Video und seiner Vermittlung lag.”

Seevetaler Sockenpuppen, Melange des Grauens, Verpushtes vom ZDF

1. Er wäre gern Karl May
(faz.net, Andrea Diener)
Der Schweizer “Tagesanzeiger” hat herausgefunden, dass sich jemand mit mehreren Fake-Accounts über die Wikipedia-Seite des “Spiegel”-Fälschers Claas Relotius hergemacht hat. Das durchsichtige Ziel des “Sockenpuppen-Kartells”: Die Taten des Fälschers zu relativieren, gar zu glorifizieren. Einiges deute darauf hin, dass der Wikipedia-Fälscher mit seinen Fake-Accounts vom norddeutschen Seevetal aus operierte, nur wenige Kilometer entfernt von Tötensen, dem Heimatort von Claas Relotius.

2. Was wir wollen
(berliner-zeitung.de, Silke und Holger Friedrich)
Mit dieser Leseempfehlung tue ich mich etwas schwer: Einerseits ist es spannend zu erfahren, was das Verlegerpaar Silke und Holger Friedrich mit seiner Neuerwerbung “Berliner Zeitung” vorhat. Andererseits ist der Text eine krude Mischung aus Schüleraufsatz, Regierungserklärung und naivem bis zweifelhaften Politmanifest, dem ein straffes Redigat gutgetan hätte. Die “Salonkolumnisten” bezeichnen den Text gar als “ostdeutsche Melange des Grauens aus Mahnmalstolz, Rammsteinpromo, Diktatorendank und Politikerbeleidigung”: “Die fünf dämlichsten Sätze aus dem komplett bekloppten Manifest von Holger und Silke Friedrich”.

3. “Meinungsfreiheit muss man benutzen”
(sueddeutsche.de, Theresa Hein)
Im Interview mit dem ZDF-Journalisten Claus Kleber geht es um das angeblich bedrohte Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freude an Dialog, Widerspruch und Streit. Und es geht um die Debatte um Begriffe, die Kleber für partiell unnötig hält: “Wir streiten, ob man Studierende sagt oder noch besser Studentinnen und Studenten, anstatt zum Beispiel tatsächlich etwas gegen die Benachteiligung vor allem von weiblichen Studierenden im Universitätsalltag zu tun. Man streitet sich gerne über die Worte, wo man sich eigentlich um die Sache kümmern sollte.” Man möchte Claus Kleber entgegnen, dass es durchaus möglich ist, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen.

4. Keynote: Ingrid Brodnig . Wie wir die Macht im Netz zurückerobern
(zuendfunk-netzkongress.de, Ingrid Brodnig, Video: 45:24 Minuten)
Wie ist es dazu gekommen, dass der Facebook-Algorithmus das mächtigste journalistische Medium der Welt wurde? Ein Algorithmus, der entscheidet, was 1,5 Milliarden Menschen jeden Tag zu sehen bekommen. In dem Vortrag von Ingrid Brodnig geht es um “Walled Gardens”, Herden- und Netzwerk-Effekte, die Sicherung von Marktdominanz durch Firmenübernahmen und die Frage, mit welchen Tricks die marktbeherrschenden Unternehmen sonst noch arbeiten. 45 Minuten, die sich lohnen.

5. “Dann wird Ihre linkisideologische Propaganda ein Ende finden”
(bliq-journal.de, Fabian Goldmann)
Es gibt bestimmte Themen, bei denen Journalistinnen und Journalisten besonders viel Ablehnung entgegenschlägt. Eines dieser Themen ist die Berichterstattung rund um den Islam. Als das Online-Medium “Thüringen 24” beispielsweise über den Moscheebau in einem Erfurter Gewerbegebiet berichtete, füllten sich die Kommentarspalten augenblicklich mit Hass und Hetze. In Thüringen habe sich eine islamfeindliche Gruppe gebildet, die von “Diffamierungen der Lügen- und Lückenpresse” spricht und ihre Mitglieder gegen die Medien aufhetze.

6. Liebes @ZDFheute, macht sowas bitte nie wieder
(twitter.com, Helge Braun)
Kanzleramtsminister Helge Braun bekam den Schreck des Jahres: Das ZDF meldete ihm (und vielen anderen) per Push-Nachricht, dass Kanzlerin Angela Merkel ihr neues Kabinett vorstellt: “Blöd, wenn man Kanzleramtsminister ist und davon nix weiß.” Was war passiert? Das ZDF hatte versehentlich die alte Meldung “Merkel stellt Kabinett-Kandidaten vor” auf die Handys der “ZDFheute”-Nutzer gepusht. Für den Minister war es ein heftiger, aber kurzer Schreck: Das ZDF schickte schnell eine weitere Meldung hinterher und stellte den Fehler auf seiner Korrekturseite richtig.

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