1. Studie kritisiert Sondersendungen von ARD und ZDF (deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:42 Minuten)
Wissenschaftler der Universität Passau haben über 90 Corona-Nachrichtensondersendungen von ARD und ZDF ausgewertet und in ihrem Fazit die Sender deutlich kritisiert. Hauptkritikpunkte: In der Berichterstattung sei ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt worden, außerdem seien die Regierungsmaßnahmen zu wenig hinterfragt worden. ARD und ZDF weisen die Kritik zurück.
Weiterer Lesehinweis: Haben ARD und ZDF die Corona-Angst geschürt? Sender wehren sich gegen Medienstudie (rnd.de, Imre Grimm).
2. “Für junge Kollegen ist Corona eine Katastrophe” (fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Der 68-jährige Helge Timmerberg gilt als einer der schillerndsten Reiseschriftsteller Deutschlands. Der Journalist und Autor zahlreicher Bücher ist für seine subjektiven Reisereportagen in Ich-Form bekannt (“Gonzo-Journalismus”). Welche Eigenschaften sollte man als Reisejournalist mitbringen? Was sollte man vermeiden? Wie wirkt sich Corona auf den Reisejournalismus aus? Im Magazin “Fachjournalist” gibt Timmerberg Antworten auf all diese Fragen und beklagt die zunehmende Konkurrenz: “Im Prinzip fühlt sich jeder zum Reisejournalisten berufen, alle möglichen Leute schreiben von unterwegs, jeder kann reisen, Fotos und Texte fabrizieren. Das ist eine Riesen-Konkurrenz für uns ausgebildete Journalisten. Social Media ist ein Grab für den Journalismus.”
Weitere Guckempfehlung: Noch mehr Helge Timmerberg gibt es zum Beispiel in diesem Videointerview von “Weltwach TV” aus dem Jahr 2018 (Erik Lorenz, 1:39 Stunden).
3. Wer wir sind und was wir wollen (medieninsider.com, Marvin Schade & Matthias Bannert)
Mit “Medieninsider” startet heute ein neues, unabhängiges Informationsangebot für Medienschaffende. Hauptaufmacher (aber hinter der Paywall): ein Bericht über die Dreharbeiten einer Amazon-Doku über “Bild”. Hinter dem “Medieninsider” stehen mit Marvin Schade (früher unter anderem bei “Meedia”) und Matthias Bannert (früher unter anderem bei “Bild”) zwei Kenner der Branche.
4. Boom für die Gaming-Branche in der Pandemie (spiegel.de)
Es gibt nicht nur Corona-Verlierer: Die Pandemie hat der Gaming-Branche einen wahren Boom beschert. Immer mehr Deutsche verbrächten seit Beginn der Corona-Krise mehr Zeit mit Videospielen und gäben dafür auch mehr Geld aus. Das habe jedenfalls eine Umfrage des Digital-Branchenverbandes Bitkom ergeben. Demnach hätten mehr als 55 Prozent der Befragten erklärt, mehr zu spielen als zu Vor-Corona-Zeiten. Die deutsche Spielewirtschaft profitiere davon jedoch nur wenig. Lediglich fünf Prozent des Umsatzes stamme von deutschen Spieleherstellern.
5. Erste Nominierungen für den Deutschen Radiopreis stehen fest (meedia.de)
Am 10. September wird in Hamburg der Deutsche Radiopreis 2020 verliehen. Die Veranstaltung werde von mehr als 50 deutschen Radiosendern übertragen, komme jedoch coronabedingt ohne Gala und ohne Gäste aus. Die unabhängige Jury des Grimme-Instituts hat bereits die ersten Nominierungen bekanntgegeben in den Kategorien “Beste*r Newcomer*in”, “Beste Innovation am Morgen”, “Beste Programmaktion”, “Beste Reportage” sowie “Bestes Nachrichten- und Informationsformat”.
6. Die kleine Welt des Populismus (de.ejo-online.eu, Gerret von Nordheim)
Gerret von Nordheim und Jonas Rieger haben untersucht, zu welchen Themen Bundestagsabgeordnete auf Twitter Links teilen, und das ist recht spannend, insbesondere, was das Social-Media-Verhalten von AfD-Zugehörigen betrifft. Bei ihnen gehe es vor allem um die vier Kernthemen Migration, Kriminalität, Rechtsextremismus und Minderheiten. Viele andere Themenbereiche wie Daten-, Klima- und Umweltschutz oder Fragen des Mietmarktes spielen in AfD-Tweets, die auf Medieninhalte verweisen, keine Rolle.
1. Polizisten als Mörder: Wie “Bild” aus einer Satire einen ARD/ZDF-Skandal macht (rnd.de, Imre Grimm)
Ein rund zweieinhalbminütiges Satire-Video beim öffentlich-rechtlichen Jugendportal Funk zum Thema Rassismus bei der Polizei lässt die Emotionen hochkochen. Imre Grimm hält das Filmchen nicht für besonders gelungen, aber daraus ein Generalversagen von ARD und ZDF abzuleiten, sei falsch: “Der Clip ist blöd und beleidigend. Ihn aber – wie mancher Zeuge der Anklage – als weiteren Baustein einer linksgrünmedialen Diffamierungskampagne gegen die Polizei zu brandmarken, schießt weit über das Ziel hinaus.”
2. RBB schafft Sommerinterview-Reihe ab (sueddeutsche.de)
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) kassierte wegen seines weitgehend unkritischen Sommerinterviews mit Brandenburgs früherem AfD-Chef Andreas Kalbitz viel Kritik. Nun stellt der Sender seine Sommerinterview-Reihe mit brandenburgischen Spitzenpolitikern ein.
Weiterer Lesehinweis: “Das Sommerinterview des RBB mit Andreas Kalbitz sorgte für einen Skandal. Nun hat der MDR den nächsten AfD-Rechtsaußen eingeladen: Björn Höcke. Und will alles besser machen.” Anne Hähnig und Martin Machowecz fragen in der “Zeit”: “Gehört er ins Fernsehen?”
3. Mit Verlaub: Ich kotze im Strahl. (twitter.com, Kevin Kühnert)
Der SPD-Politiker Kevin Kühnert hat der Newsseite “Watson” ein Interview gegeben, aus dem sich die “Welt”-Redaktion einen Teilaspekt herausgepickt und zugespitzt hat (genauer: eine dpa-Überschrift weitergedreht hat). Entsprechend frustriert reagiert Kühnert auf Twitter: “Wenn der Versuch, differenzierte Antworten zu geben, in solch bewusstem Missverstehen mündet, dann braucht sich niemand wundern, dass Politiker*innen in Interviews nur Blabla von sich geben.” Kühnert weiter: “Diese ‘Zuspitzung’ ist leider auch ein erneutes Beispiel für das verbreitete Desinteresse an politischen Inhalten. Wer mit wem? Wer gegen wen? Welche Koalition hätten’s denn gern? Welches Ministerium wollen Sie führen? Das alles klickt sich leider besser als Steuern/Rente/Klima.”
4. So geht die tagesschau mit der Nennung von Namen in Gerichtsprozessen um (blog.tagesschau.de, Marcus Bornheim & Helge Fuhst & Juliane Leopold)
“Tagesschau” und “Tagesthemen” gelten als “Dokumente der Zeitgeschichte”, wodurch den Sendungen eine besondere Verantwortung in der Berichterstattung zukommt: Sie dürfen unbegrenzt online gestellt werden und bleiben unter Umständen Jahrzehnte sichtbar. Ein besonders sensibler Bereich ist die Nennung von Namen in Berichten über Gerichtsprozesse. Für den Verzicht auf Namensnennung kann der Schutz des Persönlichkeitsrechts sprechen, aber auch das Bestreben, sich von einem Angeklagten nicht instrumentalisieren zu lassen, wie ein aktueller Fall zeige. Die Chefredaktion von ARD-aktuell schreibt über das Spannungsfeld dieses Teilbereichs ihrer Arbeit.
5. Aktivisten wollen Facebooks Falschmeldungs-Spreader “bändigen” (spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Die Online-Bewegung Avaaz hat zahlreiche Facebook- und Webseiten untersucht, die falsche oder irreführende Informationen zu medizinischen Themen verbreiten. Avaaz fordert Facebook auf, nicht nur Warnhinweise, sondern auch Richtigstellungen zu veröffentlichen. Studienautor Christoph Schott dazu: “Facebook hat bis heute jenen Nutzerinnen und Nutzern keine spezifischen Korrekturen angezeigt, die die Falschinformation gesehen hatten, dass es als Covid-19-Test ausreiche, zehn Sekunden die Luft anzuhalten. Das ist schon grob fahrlässig aus unserer Sicht.”
6. Vom Newsroom zum Newszoom (deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 3:44 Minuten)
Coronabedingt sind derzeit viele Newsrooms verwaist. Wie kann unter diesen Bedingungen Journalismus gelingen? Können virtuelle Treffen das persönliche Gespräch ersetzen? Samira El Ouassil hat eine einfache Antwort: “Journalismus wird nicht an Orten gemacht, sondern von Menschen”. Außerdem erzählt sie die hübsche Anekdote, wie sie einmal in einem vollbesetzten Newsroom einen O-Ton vom Konsul von Georgien einholen wollte, aber jemanden aus den USA an der Strippe hatte …
Im Libanon soll eine Untersuchungskommission der Frage nachgehen, wie es zu den verheerenden Explosionen im Beiruter Hafen kommen konnte, bei denen nach aktuellem Stand mindestens 220 Menschen getötet, mehr als 6000 verletzt und Hunderttausende obdachlos wurden. Doch eigentlich können sich die Libanesen die Ermittlungsarbeit schenken, denn die “Bild”-Redaktion weiß das alles längst:
… titelte Bild.de am Donnerstag, keine 48 Stunden nach den Explosionen.
Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die “Bild”-Berichterstattung zum Thema zu werfen, denn sie zeigt, wie unjournalistisch die Redaktion arbeitet. Statt erst offen zu recherchieren und sich so einer mit Fakten unterfütterten These zu nähern, läuft es bei “Bild” andersrum: Am Anfang steht eine These, die selbstverständlich ins simple Freund-Feind-Schema des Blatts passt, und anschließend werden angebliche Fakten zusammengesucht, die die Erzählung stützen könnten. In diesem Fall noch schlimmer: Manche Fakten verbiegen die beiden Autoren Julian Röpcke und Mohammad Rabie kräftig, sie wählen sie einseitig aus oder geben sie gleich komplett falsch wieder, damit ihre Texte irgendwie zur bereits bestehenden These passen.
Um es gleich zu Beginn einmal klar zu sagen: Der Hisbollah, die große (finanzielle) Unterstützung aus dem Iran bekommt, einen gewissen Rückhalt in Teilen der libanesischen Bevölkerung genießt, über eine Miliz verfügt, deren Kampfkraft stärker sein soll als die der Armee des Landes, und die mit ihrem politischen Arm auch politisch ausgesprochen mächtig im Libanon ist, ist durchaus zuzutrauen, dass sie etwas mit dem Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen zu tun hat. Sie hätte die Mittel dafür und ein mögliches Interesse. Es handelt sich immerhin um eine islamistische Gruppierung, die in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt als Terrororganisation eingestuft wird. Die Hisbollah trägt eine beachtliche Mitschuld an der desaströsen Lage, in der sich der Libanon, auch unabhängig von dem Unglück am Dienstag, aktuell befindet. Allerdings sollte man für eine Schlagzeile wie “SO BRACHTE DIE HISBOLLAH DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT” etwas mehr in der Hand haben als Vermutungen und Vorurteile. Doch mehr haben Röpcke und Rabie nicht. Ihre Texte sind letztlich nicht viel mehr als ein “ist das nicht merkwürdig?”-Geraune plus falsche Recherche.
Bereits am Mittwoch schrieb das “Bild”-Duo über das “SCHIFF”, das “DEN TOD NACH BEIRUT” “BRACHTE”, ohne dabei die Hisbollah zu vergessen:
Die Rhosus, um die es in dem “Bild”-Beitrag geht, gilt als Quelle für das Ammoniumnitrat, das wiederum als Ursache für die große Explosion am Dienstag in Beirut gilt. 2013 war das Schiff nach offiziellen Angaben von Georgien nach Mosambik unterwegs, beladen mit 2750 Tonnen Ammoniumnitrat (und nicht mit dem “TOD”, wie “Bild” schreibt – der soll erst durch viele spätere Versäumnisse die Folge gewesen sein). Es lief allerdings ungeplant den Hafen von Beirut an. Warum die Crew diesen Umweg einlegte, dafür gibt es unterschiedliche Angaben: An manchen Stellen heißt es, technische Probleme seien der Grund gewesen (PDF); andernorts ist davon die Rede, dass zusätzliche Ladung aufgenommen werden sollte (die allerdings gar nicht auf das Schiff passte), um die Fahrt rentabler zu machen oder sich überhaupt erst die Passage durch den Suez-Kanal leisten zu können. Den Beiruter Hafen verließ die Rhosus jedenfalls nicht mehr. Bei einer Hafenstaatkontrolle seien Mängel festgestellt und ein Auslaufverbot verhängt worden. Der Besitzer der Rhosus (“Bild” nennt ihn gewohnt sachlich “windigen Russen”) habe Hafengebühren nicht zahlen wollen und das Schiff letztlich aufgegeben. Die Ladung, das Ammoniumnitrat, wurde konfisziert und in Lagerhalle 12 des Beiruter Hafens geschafft. Inzwischen sind Briefe aufgetaucht, die belegen sollen, dass Vertreter des Zolls wiederholt an die Justiz geschrieben haben sollen, in denen sie darauf drängen, das Ammoniumnitrat wegen Sicherheitsbedenken aus der Halle schaffen zu lassen. Eine Reaktion auf diese Briefe soll es nie gegeben haben.
Wie sich dabei nun die Hisbollah eingemischt haben soll? So, laut Röpcke und Rabie:
Ein Grund dafür, dass keine Entscheidung [durch die Justiz] getroffen wurde, könnte sein, dass sich möglicherweise die Terrororganisation Hisbollah bereits damals in die Bemühungen um die hochexplosive Fracht im Hafen von Beirut eingeschaltet hatte.
In dem Zoll-Schreiben des Jahres 2016 erklärt der damalige Zolldirektor: Sollte ein Export der Ladung nicht möglich sein, könne “die Fracht auch, wie von der Armee empfohlen, an das libanesische Sprengstoff-Unternehmen ‘Majdal Shams’ verkauft werden”.
Und jetzt kommt’s:
Alarmierend: Majdal Shams ist der Name einer Stadt im 1981 von Israel annektierten Golan, die von den Vereinten Nationen bis heute als Teil Syriens geführt wird. Ihr gegenüber liegt nur vier Kilometer entfernt das syrische Dorf Khadar, in dem die Hisbollah massive Terrorstrukturen und einigen Berichten zufolge auch Tunnel errichtet hat, um Majdal Shams anzugreifen.
Der Verdacht, den auch der zuständige Richter gehabt haben könnte: Die Terroristen wollten das Ammoniumnitrat kaufen, um einen nie da gewesenen Terroranschlag auf Israel zu verüben.
Darum die verweigerte Antwort auf die Bitten des Zolls mit Unterstützung womöglich Hisbollah-freundlicher Elemente in der libanesischen Armee
(Link im Original)
Das ist nicht nur eine bemerkenswerte Häufung von “möglicherweise”s, “womöglich”s und Konjunktiven, sondern auch eine ziemlich kühne Herleitung: Die Hisbollah soll hinter dieser Firma stecken, weil diese einen Namen trägt, den auch eine von Israel annektierte Stadt in den Golanhöhen trägt, von der “nur vier Kilometer entfernt” ein Dorf liegt, in dem die Hisbollah Strukturen entwickelt hat? Allein schon zeitlich wäre das ein überraschender Vorgang: Der im “Bild”-Artikel beim Satzteil “in dem die Hisbollah massive Terrorstrukturen” gesetzte Link führt zu einem Beitrag aus dem Juli dieses Jahres, in dem es um eine aktuell möglicherweise bevorstehende Vergeltung durch die Hisbollah geht. Die Hisbollah hätte also schon bei der Namensgebung der Firma, mit der sie sich einem Brief von 2016 zufolge um das Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen bemüht haben soll, wissen müssen, dass sie vier Jahre später, als Vergeltung für einen israelischen Angriff, eine Stadt namens Majdal Shams angreifen wird. Das wären bedeutende seherische Fähigkeiten.
Und es wird noch peinlicher für Röpcke und Rabie. Denn sie geben den Brief des Zollbeamten, in dem es um Majdal Shams gehen soll, schlicht falsch wieder: Darin ist nicht die Rede von “Majdal Shams”, sondern von “Majid Shammas”. “Majid” ist ein gängiger Vorname. Und “Shammas” der Name der Familie, der die Firma gehört, die sich um das Ammoniumnitrat bemüht haben soll: Lebanese Explosives Co. SARL (Majid Shammas & Co.).
Einen Tag nach diesem fehlerhaften Artikel, am Donnerstag, war laut “Bild” die Hisbollah dann nicht nur beteiligt am Versuch, das konfiszierte Ammoniumnitrat zu kaufen, sondern gleich gänzlich dafür verantwortlich, dass es überhaupt nach Beirut kam. Zur Erinnerung:
Vielleicht erstmal zum Begriff “Sprengstoff”, der nicht nur in der “Bild”-Überschrift, sondern auch im Artikel mehrmals auftaucht: Ammoniumnitrat ist kein Sprengstoff, sondern ein Salz aus Ammoniak und Salpetersäure. Dieses kann zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden. Es ist dadurch aber nicht automatisch ein Sprengstoff. Denn sonst würden sich Landwirte weltweit Sprengstoff auf ihre Felder kippen – Ammoniumnitrat kann schließlich auch zur Herstellung von Düngemittel verwendet werden. Wie kommen Röpcke und Rabie also darauf, von “Sprengstoff” zu sprechen? Sie schreiben, das Schiff Rhosus habe 2750 Tonnen “einer billigen Kopie des australischen Minen-Sprengstoffs ‘Nitropril’ an Bord gehabt”, und berufen sich bei dieser Einschätzung auf einen “Waffenexperten”. Grundlage dafür ist ein Foto, das den Eingang einer Lagerhalle im Beiruter Hafen zeigen soll, in der Säcke mit dem Aufdruck “NITROPRILL” (also mit doppeltem L) stehen. Es gibt allerdings noch weitere Aufnahmen, die diese Säcke mit dem “NITROPRILL”-Aufdruck zeigen sollen. Und auf denen steht auch: “AMMONIUM NITRATE”. “NITROPRILL” scheint dabei nur eine gewählte Marken- oder Typbezeichnung zu sein.
Doch zurück zur von “Bild” längst festgeschriebenen Rolle der Hisbollah. Röpcke und Rabie schreiben über die Explosionen in Beirut:
BILD-Recherchen zeigen: Die Terrororganisation Hisbollah trägt zumindest eine Mitverantwortung, wenn nicht gar die alleinige Schuld an der Tragödie.
Leider liefern sie dafür dann keine Belege. Aber einen “Verdacht”, den haben sie: Die Ladung der Rhosus sollte nie nach Mosambik:
Der Verdacht: Die angebliche Lieferung nach Afrika war nur ein Vorwand, um den Sprengstoff in Hisbollah-Reichweite zu bringen.
Auch hier: kein Beweis, kein Hinweisgeber, nichts. Dafür aber wieder die Zollschreiben und der versuchte Kauf des Ammoniumnitrats – diesmal immerhin mit dem korrekten Firmennamen:
Es wird noch irrer: Die libanesische Firma “Majid Shammas & CO.”, fast gleichnamig mit der 1967 von Israel eroberten Stadt “Majdal Shams” im Golan, bietet Anfang 2014 an, die knapp 3000 Tonnen Sprengstoff zu kaufen. Die Firma hatte bereits 2013 heimlich Sprengstoff an Syrien-Diktator Assad verkauft – einen der engsten Verbündeten der Hisbollah.
Weil eine Firma mal Sprengstoff an den syrischen Diktator Baschar al-Assad verkauft hat, und die Hisbollah Assad nahesteht, muss die Firma nach “Bild”-Logik eine Verbindung zur Hisbollah haben. Fall gelöst.
Viel einfacher kann man es sich nicht machen. Vor allem, wenn es um den Libanon geht, wo das Verhältnis zu Syrien ein sehr komplexes ist. Man kann die politische Landschaft im Libanon unter verschiedensten Gesichtspunkten unterteilen. Einer davon: Ist eine Partei pro- oder anti-syrisch? Die “March 14 Alliance”, angeführt vom ehemaligen Premierminister Saad Hariri, ist anti-syrisch. Die “March 8 Alliance”, angeführt vom aktuellen libanesischen Präsidenten Michel Aoun, ist hingegen pro-syrisch. Zu dieser “Allianz des 8. März” zählt auch die Hisbollah. Aber nicht nur. Andere Parteien, wie das Amal Movement oder Aouns Free Patriotic Movement, gehören ebenfalls dazu. Michel Aoun ist maronitischer Christ. Wendet man die “Bild”-Logik an, könnte man also auch sagen: Weil eine Firma mal Sprengstoff an den syrischen Diktator Baschar al-Assad verkauft hat, und das Free Patriotic Movement Syrien nahesteht, muss die Firma Verbindung zu Michel Aoun haben. Oder als “Bild”-Überschrift: “SO BRACHTEN DIE CHRISTEN DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT”. Das wäre genauso wackelig wie Röpckes und Rabies Argumentation.
Auch die am Mittwoch bereits thematisierten Schreiben des Zolls thematisieren Röpcke und Rabie am Donnerstag noch einmal:
Unterlagen des Zolls, die BILD vorliegen, enthüllen: Zwei Zolldirektoren drängen im August 2016 und Juni 2017 ein libanesisches Gericht, dem Kauf durch die offenbar der Hisbollah nahe Firma zuzustimmen. Erstens handele es sich um “gefährliche Materialien”, die “unter unangemessenen Außenbedingungen im Lager aufbewahrt” würden. Zweitens könne “die Fracht auch, wie von der Armee empfohlen, an das libanesische Sprengstoff-Unternehmen ‘Majid Shammas’ verkauft werden”.
Das ist eine stark einseitige Darstellung. Denn der Verkauf “an das libanesische Sprengstoff-Unternehmen ‘Majid Shammas'” war nur einer von drei Vorschlägen der Zollbehörde. Die zwei anderen: die Wiederausfuhr des Ammoniumnitrats ins Ausland sowie eine Übergabe an das libanesische Militär. Die Zolldirektoren nannten drei Optionen – sie “drängten” nicht auf eine davon.
Wenn Julian Röpcke und Mohammad Rabie über die Stellung der Hisbollah im Libanon schreiben, sind ihre Beschreibungen und Einschätzungen merkwürdig inkonsistent. Auf der einen Seite stellen sie die Gruppierung als sehr mächtig dar, auch in Bezug auf den Hafen in Beirut und das Ammoniumnitrat: Die Hisbollah habe gewusst, “dass man jederzeit auf die 2750 Tonnen zugreifen konnte und hielt sich deshalb mit weiteren Aneignungsversuchen zurück.” Auch diese Behauptung ist reine Spekulation, die “Bild”-Autoren liefern keine Belege. Es stimmt allerdings, dass die Hisbollah als heimlicher Herrscher zumindest mancher Teile des Beiruter Hafens gilt. Auf der anderen Seite schreiben Röpcke und Rabie im selben Artikel ein paar Absätze später:
Reagierten die Hafenbehörden auf ein erneutes Interesse der Terrorgruppe an dem Sprengstoff im Hafen? Dafür spricht: Der Brand in der Lagerhalle soll bei Schweißarbeiten an einem Tor des Gebäudes ausgebrochen sein. Zollbeamte hätten versucht, den Sprengstoff gegen Diebstahl zu sichern, berichteten lokale Medien.
Ein einfaches Tor sollte also die Gruppe, die sich laut “Bild” alles im Libanon erlauben kann und “jederzeit auf die 2750 Tonnen zugreifen konnte”, davon abhalten, auf die 2750 Tonnen zuzugreifen. Ganz nebenbei suggeriert der Absatz: Es musste geschweißt werden, weil man das Ammoniumnitrat vor der Hisbollah schützen musste, und die Schweißarbeiten sollen den Brand in der Lagerhalle ausgelöst haben – also: Die Hisbollah ist indirekt schuld an den Explosionen in Beirut.
Dazu kommt: Die Behauptung, dass die Hisbollah sich “mit weiteren Aneignungsversuchen” zurückgehalten habe, nur weil sie gewusst hätte, dass sie auf das Ammoniumnitrat “jederzeit (…) zugreifen konnte”, ist eine schwache Antwort auf die Frage, die sich beim Lesen der “Bild”-Artikel automatisch stellt: Warum sollte die Hisbollah so großen Aufwand betreiben und eine vermeintliche Lieferung nach Mosambik inszenieren, die Lieferung dann aber jahrelang nicht anrühren? Durch ihre Verwicklungen in den Bürgerkrieg in Syrien und ihre Aggressionen gegen Israel hätte sie definitiv Bedarf gehabt. Und es stellen sich weitere Fragen: Warum sollte die Hisbollah so eine Geheimoperation daraus machen, dann aber auf den “Bill of Loading” (wobei wir diesen nicht endgültig verifizieren können) schreiben, dass es sich um Ammoniumnitrat handelt? Warum sollte die Hisbollah überhaupt so eine Anstrengung unternehmen für einen Stoff, der nicht so schwer zu bekommen ist? Warum sollte die Hisbollah dafür den Hafen von Beirut nutzen, in dem auch andere Gruppen mitmischen, wenn sie im Süden des Libanons, wo sich Hisbollah-Hochburgen befinden, in einem kleineren Hafen viel unkomplizierter und unbeobachteter Ladung an Land schaffen kann? Oder warum nicht gleich in Syrien in den größeren Häfen von Latakia oder Tartus, wo das Assad-Regime der befreundeten Hisbollah ganz sicher nicht im Weg stehen würde? Und warum fragen Röpcke und Rabie nicht einfach mal in Mosambik bei der Fábrica de Explosivos de Moçambique nach, die als der eigentliche Empfänger für das Ammoniumnitrat gilt, oder bei der Banco Internacional de Moçambique, die den Handel finanziell abgewickelt haben soll, ob dort das Ammoniumnitrat erwartet wurde? Dann bestünde natürlich die Gefahr, dass die “Bild”-Geschichte, die Ladung sollte von Anfang an an die Hisbollah gehen, überhaupt nicht mehr passt.
Dass die einstige Schlagzeile “SO BRACHTE DIE HISBOLLAH DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT” so gut wie gar nicht vom dünnen Artikel gedeckt ist, merkte offenbar auch die “Bild”-Redaktion im Laufe des Donnerstags. Sie änderte sie klammheimlich in eine Frage:
Nachtrag, 22. August: In den vergangenen Tagen haben mehrere Redaktionen (weiter)recherchiert, wie das Ammoniumnitrat nach Beirut kam, und ob die Hisbollah damit etwas zu tun hat. Das hat zu neuen Erkenntnissen geführt, die wir hier ergänzen möchten. Wir beziehen uns dabei auf zwei Artikel: einen von Welt.de und einen vom “Spiegel” (nur mit Abo lesbar, als englische Übersetzung auch ohne Abo lesbar).
Der Grund, warum wir gerade diese zwei Artikel wählen: “Bild”-Redakteur Julian Röpcke stellt es bei Twitter so dar, als würden sie belegen, dass wir mit unserer Kritik an seiner Berichterstattung (siehe oben) völlig danebengelegen hätten. Wir hätten es “#VollVergeigt”, so Röpcke.
Entweder hat er die zwei Artikel nicht gelesen oder er hat sie gelesen und reißt weiter fröhlich Dinge aus dem Zusammenhang. Denn: Die Recherchen von Welt.de und “Spiegel” lassen die “Bild”-Behauptungen, die wir kritisiert haben, aus unserer Sicht nicht weniger kritikwürdig erscheinen. Sie stützen nicht das, was Röpcke und dessen Co-Autor Mohammad Rabie geschrieben haben. Ihre falsche Übersetzung bleibt falsch, ihr unbelegtes Geraune bleibt unbelegtes Geraune. Manch ein Recherche-Ergebnis widerspricht sogar ihren Spekulationen.
Erstmal zum Welt.de-Artikel: Die Überschrift “Die explosive Spur führt zur Hisbollah” könnte einen glauben lassen, dass Autor Daniel-Dylan Böhmer die entscheidende Verbindung von Hisbollah zu den Explosionen in Beirut gefunden hat. Allerdings geht es in Böhmers Text erstmal nur um ganz andere Lieferungen von Ammoniumnitrat an die Hisbollah. Es gebe lediglich einen “engen zeitlichen Zusammenhang mit dem in Beirut detonierten Material”, was heißen soll: Etwa zu der Zeit, als die Rhosus, also das Schiff, das mit den 2750 Tonnen Ammoniumnitrat beladen war, im Beiruter Hafen angelegt hat, hat die Hisbollah “große Lieferungen von Ammoniumnitrat” erhalten. Allerdings von ganz woanders (von der Kuds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarden), teils über ganz andere Wege (per Flugzeug und per Landweg über die syrische Grenze) und ganz andere Mengen (vermutlich 630 bis 670 Tonnen).
Daniel-Dylan Böhmer schreibt:
Ob die Lieferungen aus den Unterlagen, die WELT einsehen konnte, in direktem Zusammenhang mit der Explosion in Beirut standen, ist ungewiss. Das Ammoniumnitrat, das am 4. August detonierte, soll nach heutigem Kenntnisstand ein Frachter unter moldawischer Flagge Ende 2013 in Beirut abgeladen haben, nachdem er auf seiner Fahrt von Georgien nach Mosambik wegen technischer und finanzieller Probleme einen Zwischenstopp in Beirut einlegen musste. Unklar ist bislang, warum die Chemikalien im Hafen gelagert und weder weitertransportiert noch vernichtet wurden.
Diese Faktenlage weist nicht direkt auf die Hisbollah als Empfänger dieses Stoffes hin.
Der letzte Satz widerspricht der “Bild”-Überschrift “SO BRACHTE DIE HISBOLLAH DEN SPRENGSTOFF NACH BEIRUT”, die die Redaktion später in die Frage “Brachte die Hisbollah den Sprengstoff nach Beirut?” geändert hat, auf die man dem Welt.de-Artikel zufolge mit “Nach aktuellem Kenntnisstand: nein” antworten müsste.
Im “Spiegel”-Artikel geht es um eine andere Verbindung zur Hisbollah, allerdings auch nur über Bande. Die Überschrift lautet: “Was die Hisbollah mit dem mysteriösen Fall der ‘Rhosus’ verbindet”. Im Teaser gibt es darauf einen ersten Hinweis: “Es gab Verbindungen des Reeders zur Bank der Hisbollah”.
Der Besitzer der Rhosus, so hat es der “Spiegel” herausgefunden, ist gar nicht Igor Gretschuschkin (den “Bild” den “windigen Russen” nennt), sondern ein Mann aus Zypern, der Reeder Charalambos Manoli. Gretschuschkin hatte die Rhosus nur gechartert. Manoli soll sich bereits 2011 etwa vier Millionen Dollar bei der tansanischen FBME-Bank geliehen habe. Die FBME-Bank wiederum sei die “Hausbank der Hisbollah”, so der “Spiegel”. Sie soll der Terrororganisation unter anderem bei der Geldwäsche geholfen haben. Dokumenten zufolge konnte Manoli den Kredit nicht komplett zurückzahlen. Er soll zwischenzeitlich die Rhosus als Sicherheit angeboten haben, was die Bank allerdings ablehnte. Die Frage, die der “Spiegel” aufwirft: Gibt es eine Verbindung zwischen den Schulden Manolis und dem Stopp des mit Ammoniumnitrat beladenen Frachters in Beirut? Der Reeder dementiere “jeden Zusammenhang”, so der “Spiegel”:
Ein Ermittler hingegen sagt, die FBME-Bank sei berüchtigt dafür gewesen, säumige Schuldner zu Gefälligkeiten gegenüber zwielichtigen Kunden wie der Hisbollah zu drängen.
Einen eindeutigen Beleg, der es schafft, eine direkte Verbindung von Hisbollah zum Frachter oder zum im Beiruter Hafen explodierten Ammoniumnitrat herzustellen, gibt es im “Spiegel”-Artikel nicht.
Beweise, die die Spekulationen der “Bild”-Autoren Julian Röpcke und Mohammad Rabie stützen, findet man dort ebenfalls nicht. Es geht im “Spiegel”-Artikel auch gar nicht um die Aspekte aus der “Bild”-Berichterstattung, die wir weiter oben kritisiert haben: Es geht nicht um eine Firma namens “Majdal Shams” (die falsche Übersetzung von Röpcke und Rabie, die die “Bild”-Redaktion inzwischen transparent korrigiert hat). Es geht nicht um eine Firma namens “Majid Shammas”, die Röpcke und Rabie in die Nähe der Hisbollah rücken. Es geht nicht darum, dass der libanesische Zoll ein Gericht “gedrängt” habe, das Ammoniumnitrat an diese angeblich Hisbollah-nahe Firma zu verkaufen, wie Röpcke und Rabie es einseitig darstellen.
Dafür gibt es auch im “Spiegel”-Artikel eine neue Erkenntnis, die Röpckes und Rabies Spekulation widerspricht. Die “Bild”-Autoren mutmaßen zu den ausgebliebenen Antworten der Justiz auf die Anfragen des Zolls, das Ammoniumnitrat aus dem Hafen zu schaffen:
Der Verdacht, den auch der zuständige Richter gehabt haben könnte: Die Terroristen [der Hisbollah] wollten das Ammoniumnitrat kaufen, um einen nie da gewesenen Terroranschlag auf Israel zu verüben. Darum die verweigerte Antwort auf die Bitten des Zolls mit Unterstützung womöglich Hisbollah-freundlicher Elemente in der libanesischen Armee
Der “Spiegel” hat hingegen herausgefunden, dass der Grund für die ausgebliebenen Antworten ein ganz anderer sein könnte: Die Schreiben seien “beharrlich an das falsche Gericht geschickt” worden:
Immer wieder warnten Behörden, vor allem der Zoll, das Ammoniumnitrat müsse aus dem Hafen weggebracht werden. Doch die Schriftsätze wurden so beharrlich an das falsche Gericht geschickt, dass es beteiligten Juristen schwerfällt, an bloße Inkompetenz zu glauben.
Eine Sache wollen wir bei dieser Gelegenheit noch einmal wiederholen: Wir haben nie ausgeschlossen, dass die Hisbollah etwas mit dem Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen zu tun haben könnte. Im Gegenteil: Wir haben extra “gleich zu Beginn einmal klar” geschrieben:
Der Hisbollah […] ist durchaus zuzutrauen, dass sie etwas mit dem Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen zu tun hat. Sie hätte die Mittel dafür und ein mögliches Interesse.
Unsere Kritik an den “Bild”-Artikeln war eine Kritik an der “Bild”-Artikeln und keine Verteidigung für die Hisbollah. Wir finden, dass bei einem so heiklen Thema und bei einem Ereignis, bei dem viele Menschen gestorben sind und viele verletzt wurden, wilde Spekulationen nicht in die Berichterstattung gehören – unabhängig davon, ob es um eine schweinische Terrororganisation geht oder nicht.
1. Dunja Hayali bricht ZDF-Dreh bei Demo gegen Corona-Regeln ab (tagesspiegel.de)
Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali hat sich für einen Dreh unter die Demonstrierenden gegen die Corona-Maßnahmen gemischt, brach die Dreharbeiten jedoch wegen Sicherheitsbedenken vorzeitig ab (die gesamten 37 Minuten des Drehs gibt es bei Instagram). Der Deutsche Presserat kritisiert den Vorfall auf Twitter: “Es ist absolut unakzeptabel, wenn Journalisten ihre Arbeit nicht machen können, weil sie beschimpft und bedroht werden. Der Schutz von Journalisten muss dringend verbessert werden!” Es gibt jedoch auch andere Sichtweisen auf den Vorfall. Autor und Journalist Franz Sommerfeld kritisiert Hayalis Vorgehen: “Sie versteht sich als journalistische Aktivistin. Sie will einzelne Demonstranten überzeugen, wenn das nicht gelingt, sie zumindest wegen der Absurdität ihrer Vorstellungen bloss stellen. Sie meint es gut. Aber das misslingt natürlich. Und nun zeigt sich Dunja Hayali in ihrem Schlusskommentar beleidigt und gekränkt, weil jeder ihr etwas anderes vorhält, und freut sich noch einmal auf ihren ‘schmutzigen’ Hund. Das wäre zu vermeiden gewesen, wenn die Journalistin professionelle Distanz gewahrt hätte. Damit hätte sie ihrem Anliegen mehr gedient.”
2. Kanzel Culture (hellojed.de, Moritz Hoffmann)
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wirbt zu ihrem 100-jährigen Bestehen für die Wissenschaft und setzt dazu verschiedene prominente Fürsprecherinnen und Fürsprecher ein. Eines der Testimonials stammt von Komiker Dieter Nuhr, dem Kritiker ein gebrochenes Verhältnis zur Wissenschaft vorwerfen – sie lehnen ihn als Werbegesicht für die Kampagne ab. Moritz Hoffmann kommentiert: “Das eigentliche Thema muss die DFG sein. Sie hat Nuhr angefragt, sie hat Nuhr abgenommen, sie hat Nuhr veröffentlicht, sie hat Nuhr auf den sozialen Netzwerken beworben und sie hat nach ein paar Stunden kritischem Gegenwind beschlossen, ohne weitere Erklärungen eine Kehrtwende zu vollziehen. Das alles spricht nicht für besonders viel Denkaufwand, es spricht für wenig Souveränität und für einen bemerkenswerten Mangel an Einfühlungsvermögen in die verschiedenen Arten, auf denen im Jahr 2020 in Deutschland Sachverhalte ausverhandelt werden.”
Weiterer Lesehinweis: Auch von anderer Seite wird Kritik an die DFG herangetragen. Diesmal jedoch nicht wegen des Testimonials von Dieter Nuhr, sondern wegen des vermeintlichen “Einknickens” der Forschungsgemeinschaft: “Damit gibt die DFG auf erbärmliche Weise ihre Prinzipien preis. Sie leistet als Wissenschaftsorganisation einen Offenbarungseid.” (faz.net, Michael Hanfeld)
3. Bewusst exponiert (taz.de, Peter Weissenburger)
Die österreichische Journalistin Natascha Strobl schreibt bevorzugt über Rechtsextremismus und gerät damit immer wieder in den Fokus eines rechtsradikalen Mobs, der sie beschimpft und bedroht. Nach einem Beitrag eines “Welt”-Kolumnisten mit dem Namen “Don Alphonso” erlebt sie eine besonders stark ausgeprägte Hasswelle.
Weiterer Lesehinweis: In der “Frankfurter Rundschau” spricht Strobl über die massiven Drohungen, die ihr gegenüber ausgesprochen werden, und über ihren Widersacher “Don Alphonso”: “Ich bin da nicht die erste und werde nicht die letzte Frau sein, die er so angeht. Und das zweite ist, dass er ein sehr großes Problem mit eher links stehenden Menschen hat. Da geht es nicht um Meinungsaustausch, er will sie einfach persönlich zerstören. Das ist alles ganz offensichtlich durch persönliche Motivation getrieben, aber es ist auch ein Geschäftsmodell.”
4. Lässt sich TikTok überhaupt verbieten? (zeit.de, Anna-Lena Schlitt)
US-Präsident Donald Trump will die chinesische Videoplattform TikTok – zumindest in den USA – verbieten. Als Grund dafür wird die Befürchtung genannt, die App könne heimlich die Daten der Nutzerinnen und Nutzer an China weitergeben. Ist ein derartiges Verbot überhaupt möglich? Und wie könnte es umgesetzt werden? Gibt es bereits TikTok-Verbote? Und könnte TikTok verkauft werden? Anna-Lena Schlitt gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
5. Die perfekte Welle (journalist.de, Jennifer Garic & Olaf Wittrock)
Wie leicht nachzuvollziehen ist, bestimmt die Corona-Pandemie seit Monaten die Berichterstattung, doch die Nachrichtenflut ebbe langsam ab. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennten darin ein wellenförmiges Muster: Nach spätestens drei Monaten träten Gewöhnungs- und Ermüdungseffekte ein, das mediale Interesse lasse nach. Jennifer Garic und Olaf Wittrock von der Wirtschaftsredaktion “Wortwert” haben sich die Wellenbildung anhand der bisherigen Corona-Berichterstattung angeschaut.
6. Wie es einmal fast zwei Frauen aufs Cover des “Rolling Stone” schafften (uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In der Musik-Zeitschrift “Rolling Stone” ist ein längeres Interview erschienen, in dem die Soulsängerin Joy Denalane und die Rockmusikerin Ilgen-Nur über Rassismus, Sexismus und Homophobie in der Musikindustrie sprechen. Beide Künstlerinnen gingen davon aus, dass ihr Gespräch die Cover-Geschichte des Heftes werden würde, es habe auch ein entsprechendes Cover-Shooting gegeben. Schlussendlich sei das Magazin jedoch den vermeintlich sicheren Weg gegangen und habe Altrocker Bruce Springsteen aufs Cover gehoben. Stefan Niggemeier kommentiert: “Während das amerikanische Schwesterblatt politischer und diverser geworden ist, will der deutsche Ableger lieber nicht riskieren, seine Stammleser mit nicht-weißen Frauen auf dem Cover zu verschrecken, nicht einmal, wenn der Sexismus und Rassismus der Branche Thema im Heft ist. Es hätte ein kleines Statement werden können in Zeiten, in denen einiges in Bewegung gerät, dass man sich mitbewegt.”
1. Gefährliche Wendung (taz.de, Levent Tezcan)
Die Debatte über Rassismus nimmt laut Levent Tezcan, Professor am Institut für Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, eine gefährliche Wendung: “Mit einem quasireligiösen Furor will eine neue Generation People of Color jede auch noch so verborgene rassistische Regung in der Seele ausrotten. Selbst die Liberalen, gar die Linken, die immer schon ein sicherer Hafen für die Fremden im Lande waren, sind nicht mehr davor gefeit, als Rassisten gebrandmarkt zu werden.”
2. Prinzenfonds hilft Journalisten (deutschlandfunk.de, Christian Orth, Audio: 7:41 Minuten)
Wer über die Forderungen der Hohenzollern an den Bund und den Umgang der Familie mit journalistischer Berichterstattung schreibt, sollte sich darauf einrichten, eventuell am nächsten Tag Anwaltspost im Briefkasten zu haben. Arne Semsrott (“FragDenStaat”) kommentiert im Deutschlandfunk: “Aus meiner Sicht ist dieser Versuch, gegen alle möglichen Medien mit Abmahnungen, vielleicht dann auch mit einstweiligen Verfügungen, vorzugehen, der Versuch, die öffentliche Meinungsbildung stark zu beeinflussen. Und ich glaube, das ist teilweise tatsächlich auch erfolgreich aus Sicht von Herrn von Preußen. Denn ich sehe es ja an mir selbst und wie ich meine Worte wähle, und viele andere Journalistinnen, mit denen ich rede, auch – es wird dann doch schon zwei Mal überlegt, ob man tatsächlich einen Beitrag machen soll mit Herrn von Preußen”. “FragDenStaat” habe deshalb einen Rechtshilfefonds für Abmahnopfer eingerichtet, der sich aus Spenden der Community speist: den “Prinzenfonds”.
3. Google News ab sofort mit neuem Layout und einer Quelle pro Nachricht (t3n.de, Patrick Büttgen)
Vor einem Jahr habe Google optische Änderungen für seine News-Suchergebnisse angekündigt, nun wurden sie offensichtlich umgesetzt. Technikjournalist Patrick Büttgen hat sich das neue Layout angeschaut, das aufgeräumter wirke, jedoch nicht nur Gutes mit sich bringe: Google zeige fortan nur eine Quelle pro Nachricht an, was zu Trafficverlusten der anderen Quellen führe.
4. Techkonzerne gehen gegen von Trump geteilte Videos vor (spiegel.de, Max Hoppenstedt)
Facebook, Twitter und Youtube gehen gegen Videos vor, in denen Falschinformationen zum Maskentragen und zum angeblichen Corona-Heilmittel Hydroxychloroquin verbreitet werden. Ein Präparat, das US-Präsident Donald Trump zum Entsetzen von Fachleuten als mögliches “Geschenk des Himmels” bezeichnet. Die Löschaktion wirkte sich auch auf Trumps Twitter-Account aus: Er hatte das Videomaterial öffentlich geteilt.
Weiterer Lesehinweis, weil damit in Zusammenhang stehend: Trump zweifelt an seiner Persönlichkeit: “Niemand mag mich” (fr.de, Anna-Katharina Ahnefeld).
5. Immer Ärger mit dem Rechtsstaat | Fahrradstraßen | Stadt duldet Gehwegparken (rums.ms, Ralf Heimann)
Wer sich anschauen will, wie Lokaljournalismus der Zukunft aussehen könnte, sollte einen Blick auf “Rums” werfen. Dort findet Regionalberichterstattung rund um Münster statt, jenseits der verstaubten Klischees und auf eine frische und zeitgemäße Art. Ergänzt wird das Angebot durch Kolumnen von prominenten Stadtkindern wie Marina Weisband, Ruprecht Polenz und Klaus Brinkbäumer. Ein Projekt, das durchaus Vorbild für andere Regionen sein könnte.
Transparenzhinweis: Ralf Heimann schreibt auch für BILDblog. Zum Beispiel in seiner viel beachteten Serie über Fehlerkultur im Journalismus: Kleine Wissenschaft des Fehlers.
6. So leicht war es, Promis auf Twitter zu hacken (zeit.de, Meike Laaff)
Am 15. Juli sorgte ein Hack für Verwirrung in der Twitter-Gemeinde: Promis wie Barack Obama, Joe Biden, Elon Musk, Jeff Bezos und Kim Kardashian schienen ein vermeintlich lohnendes Bitcoin-Investment zu versprechen – ihre Accounts waren zuvor gehackt worden. Wie konnte das geschehen? Wer steckt hinter den Angriffen? Und was befürchten Experten angesichts dieses Hacks? Meike Laaff ordnet den Fall ein, der auch mit Blick auf die bevorstehenden US-Wahlen besorgniserregend erscheint.
Weiterer Lesetipp: Michael Nöhrig macht in seinem Blog auf einen Fall von Bitcoin-Abzocke aufmerksam, bei dem man nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll: “Da berichtet ein STANDARD-Artikel darüber, wie betrügerische Bitcoin-Werbung mit Prominenten getrieben wird, und die via AdSense zugeschaltete betrügerische Clickbait-Werbung bewirbt, akkurat!, eine ‘Sonderbericht’-Fakeseite, auf der betrügerische Bitcoin-Werbung mit Prominenten getrieben wird”.
1. Google darf wahre Berichte zeigen (taz.de, Christian Rath)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine wichtige Entscheidung zum sogenannten “Recht auf Vergessenwerden” gefällt, das auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2014 zurückgeht. Demnach können Privatpersonen von Google verlangen, bestimmte Resultate des Suchergebnisses zu ihrer Person entfernen zu lassen. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn laut der aktuellen BGH-Entscheidung müssen die Grundrechte der Beteiligten gegeneinander abgewogen werden: “Auf der einen Seite steht das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers, auf der anderen Seite die unternehmerische Freiheit von Google, die Pressefreiheit des verlinkten Mediums sowie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit.” Damit sei es jedes Mal als Einzelfallentscheidung zu betrachten.
2. Weiß ist nicht gleich objektiv (projekte.sueddeutsche.de, Theresa Hein & Hadija Haruna-Oelker)
Die “Süddeutsche” lässt in einer neuen Artikelreihe Medienschaffende zu Wort kommen, die darüber schreiben, wie Journalismus diverser werden kann. Den Anfang macht die Politologin und Journalistin Hadija Haruna-Oelker, die sich zur Wirkung von Sprache, Gewohnheitslösungen in Redaktionen und dem Konzept des sogenannten “Allys” (Unterstützer) äußert.
3. Wegen Datenabfrage: Facebook klagt gegen EU-Wettbewerbsaufsicht (derstandard.at)
Es klingt zunächst ein wenig lustig, wenn sich ausgerechnet die Datensammler von Facebook darüber beschweren, man habe ihnen zu viele Daten abverlangt. Doch es ist tatsächlich so: Der Netzwerkriese gehe gerichtlich gegen die europäische Wettbewerbsaufsicht wegen deren Datenabfrage vor. Die Kommission habe laut Facebook Informationen angefordert, die “über das Nötigste hinausgingen”.
4. Aus für “Aufwachen”-Podcast (radioeins.de, Jörg Wagner, Audio: 1:14:10 Stunden)
Im aktuellen radioeins-“Medienmagazin” von Jörg Wagner geht es unter anderem um das Ende des medienkritischen “Aufwachen”-Podcasts. Wagner hat dafür Tilo Jung, einen der beiden Podcast-Macher, sowie den “Aufwachen”-Dauergast Hans Jessen ins Studio eingeladen und sie zu den Gründen befragt (ab Minute 22:52). Die Folge ist natürlich auch im Podcastplayer zu hören – dazu nach “radioeins” und “Medienmagazin” suchen, die Folge herunterladen oder gegebenenfalls den Podcast komplett abonnieren.
5. Keine Reisen, keine Reiseberichte (deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:11 Minuten)
Der professionelle Reisejournalismus hat es in der Vergangenheit wahrlich nicht leicht gehabt. Die Welt ist zusammengerückt, auf diversen Plattformen gibt es Videos und Berichte aus fernen Ländern in schier endloser Zahl und zur freien Verfügung. Die aktuelle Pandemie stellt die Tourismus-Branche vor große Herausforderungen und sorgt für zusätzliche Schwierigkeiten. Annika Schneider berichtet vom Reisejournalismus unter Corona.
6. Geschäfte mit dem Weltuntergang: Der tiefe Fall der Eva Herman (rnd.de, Matthias Schwarzer)
Wie konnte es nur dazu kommen, dass eine einst respektierte ARD-Moderatorin wie Eva Herman in die Verschwörungswelt abtauchte und von Kanada aus eine sechsstellige Anzahl von Fans mit Telegram-Statements und Videos versorgt? Matthias Schwarzer zeichnet die vergangenen 17 Jahre in der Karriere der ehemaligen “Tagesschau”-Sprecherin nach.
1. Schluss mit Peter Lustig (sueddeutsche.de, Johannes Nebe)
“Princess of Science”, so lautet der Name des neuen Kika-Wissensmagazins. In insgesamt acht Folgen geht es darum, wie sich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik im Alltag von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Wer sind die drei Moderatorinnen des Wissensmagazins, die allesamt aus der Wissenschaft kommen? Und sind Sendungstitel und Aufmachung tatsächlich zu kritisieren, wie es vor allem auf Twitter der Fall gewesen sei?
2. Buch: Leiser Abschied vom Journalismus (medienwoche.ch, Lothar Struck)
Birk Meinhardt war lange Zeit ein etablierter und preisgekrönter Reporter der “Süddeutschen Zeitung”, doch irgendwann “entfremdeten” sich Medium und Journalist. Über eben jene Entfremdung hat Meinhardt ein Buch geschrieben (“Wie ich meine Zeitung verlor”). Rezensent Lothar Struck kann die Ansichten des Autors an vielen Stellen nicht teilen: “Meinhardt dokumentiert einen leisen Abschied von einem Ideal, das es vielleicht so nie gegeben hat.”
3. Er will’s wirklich wissen (taz.de, Peter Unfried)
Der Chefreporter der “taz”, Peter Unfried, hat eine Art Liebeserklärung an den ZDF-Moderator Markus Lanz verfasst. Er geht dabei auch auf die vielfach geäußerte Kritik an Lanz ein (wie zum Beispiel am Gespräch mit Sahra Wagenknecht ) beziehungsweise versucht, sie zu entkräften. Es ist einer dieser Texte, bei denen es sich lohnt, auch andere Stimmen zu hören (oder diesen immer noch aktuellen Text von Stefan Niggemeier aus dem Jahr 2012 zu lesen).
Weiterer Lesehinweis aus der Feder des “6 vor 9”-Kurators (Archiv): Die Moderationskarten von Markus Lanz für die Gottesmutter (Teil des satirischen Adventskalenders auf “Übermedien”).
4. Warum Rechtschreibung in der Kultur der Digitalität an Bedeutung verliert (schulesocialmedia.com, Philippe Wampfler)
Die Digitalisierung und die damit verbundenen Einsparmaßnahmen wirken sich gelegentlich an überraschenden Stellen aus, wie man gerade in der Schweiz sehen kann. Dort hätten Schweizer Medienkonzerne damit begonnen, Korrektorate zuerst ins Ausland auszulagern, dann ganz abzuschaffen. Mit fatalen Folgen hinsichtlich der Orthografie, wie die Korrektoratsleiterin der “Schaffhauser Nachrichten” Jaqueline Preisig auf Twitter an einem Beispiel festgemacht hat. Philippe Wampfler kommentiert: “Korrekturabteilungen einzusparen ist eine (falsche) Antwort auf die Frage, [wie] mit dem (vermeintlichen) Produktionsgewinn umgegangen werden soll.”
Weiterer Lesehinweis: “Bei grossen Schweizer Medienkonzernen, allen voran bei der TX Group, werden Korrektorinnen zur bedrohten Spezies. Wie lange kann beim Korrektorat gespart und abgebaut werden, ohne dass die Qualität leidet?” Daniel Meyer schreibt in der “Republik” über “Die Lücke, die uns ersetzt”.
5. Panama Papers: Anonyme Suchmaschine für Journalisten (heise.de, Stefan Krempl)
Das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten hat eine Schweizer Universität mit der Entwicklung eines “Datashare Networks” beauftragt, eines nach eigenen Angaben “vollständig anonymen dezentralen Forschungs- und Informationsaustauschsystems”. Damit solle es den mehr als 200 Mitgliedern in 70 Ländern leichter gemacht werden, über das Internet zusammenzuarbeiten und umfangreiche Datenpakete mit Data-Mining-Techniken zu analysieren. Stefan Krempl erklärt, wie das innovative System funktioniert.
6. Spotify reagiert auf Kundenkritik und löscht rechtsextreme Musik von Plattform (rnd.de)
Nach zahlreichen Protesten hat der Musikstreamingdienst Spotify die Songs des als Rechtsextremist eingestuften Musikers Chris Ares von der Plattform entfernt. Bei Amazon Music und Deezer seien die Ares-Lieder gar nicht erst abrufbar gewesen. Doch beim, im Vergleich zu Spotify wesentlich kleineren, Anbieter Apple Music stünden die Titel noch immer zum Download bereit.
1. Warum die ARD “Wuhan – Chronik eines Ausbruchs” kurzfristig abgesetzt hat (spiegel.de, Klaus Raab)
Gestern Abend sollte im Ersten die SWR-Doku “Wuhan – Chronik eines Ausbruchs” ausgestrahlt werden. Die Produktion war im Vorfeld stark kritisiert worden, vor allem wegen der Verwendung von Filmmaterial einer chinesischen Propagandastelle. Nun kam es zu einer kurzfristigen Absetzung des Films, bei der vor allem die Begründung überraschte: Es gebe “Probleme bei der Rechteklärung”. Klaus Raab erklärt, was es damit auf sich hat.
2. Verunglimpfung von Frauen kann Volksverhetzung sein (lto.de)
Ein Mann hatte auf seiner Internetseite Frauen in zahlreichen Beiträgen als “Menschen zweiter Klasse”, “minderwertige Menschen” und “den Tieren näherstehend” bezeichnet und war dafür zunächst wegen Volksverhetzung verurteilt, danach jedoch freigesprochen worden. Nun hat das Oberlandesgericht Köln den Freispruch aufgehoben. Hauptanwendungsbereich der Volksverhetzung sei zwar immer noch rechtsradikale Hetze gegen Minderheiten, diskriminierende Äußerungen gegen Frauen seien jedoch auch vom Tatbestand erfasst.
3. RTL startet neuen Sender für Kinder (deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 4:47 Minuten)
In Deutschland existieren zahlreiche Radiosender, doch das Hörfunkangebot für Kinder ist relativ begrenzt. Nun will Super RTL mit seinem neuen Sender Toggo die Lücke schließen. Doch wie groß ist der Markt eigentlich? Zumindest bei den Öffentlich-Rechtlichen habe man das Angebot reduziert: Der Kinderradiokanal KiRaKa sei vergangenes Jahr eingestellt worden, das bekannte Kindermagazin “Kakadu” gebe es nur noch digital auf Abruf. Michael Borgers hat bei einem Experten für Kinderradio nachgefragt.
4. Nichtrassistische Sprache: Abschied von Blacklist und Whitelist (heise.de, Matthias Parbel)
In der Softwareentwickler-Szene gebe es derzeit Diskussionen, wie man sich im Sinne einer diskriminierungsfreien Sprache von althergebrachten Fachtermini wie “Master” und “Slave” oder “Blacklist” und “Whitelist” lösen kann. Ganz neu seien die Vorstöße jedoch nicht. Beispielsweise habe das Drupal-Projekt bereits 2014 entsprechende Neudefinitionen vorgenommen, denen sich andere Entwicklerinnen, Entwickler und Teams angeschlossen hätten.
5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 186, 15.06.2020 (netzwerkrecherche.org, Daniel Drepper & Albrecht Ude)
Das Netzwerk Recherche widmet sich vornehmlich der “Förderung der Bildung durch Vermittlung von Recherchetechniken, Vermittlung von Wissen über professionelle Recherche zur Qualitätssteigerung der Medienberichterstattung, Erfahrungsaustausch über investigativen Journalismus”. Der Verein wird in der Branche für seine Jahreskonferenz geschätzt, eine Art Pflichtveranstaltung für Journalisten und Journalistinnen mit und ohne Rechercheambitionen. Und gelegentlich gibt es einen Newsletter, der eine wahre Fundgrube an weiterführenden Links und spannenden Beiträgen ist und allen Medieninteressierten ausdrücklich empfohlen werden kann.
6. Burda erweckt Fake-Tochter von Prinzessin Diana zum Leben (uebermedien.de, Mats Schönauer)
Regenbogenpresse-Experte Mats Schönauer macht auf einen besonders beschämenden Fall von Betrug an Leserinnen und Lesern aufmerksam: Die Burda-Zeitschrift “Freizeit Spaß” präsentiert die angebliche Tochter von Prinzessin Diana (“Lady Di”) und spricht dabei von einer “sensationellen Enthüllung”. Sensationell ist dabei jedoch höchstens, wie scham- und gewissenlos die Geschichte zusammengebaut und zusammengelogen wurde.
1. Härter, härter, härter (diekolumnisten.de, Heinrich Schmitz)
Der Jurist Heinrich Schmitz kommentiert die neue “Bild”-Kampagne für höhere Strafen bei Kindesmissbrauch und “Kinderpornographie”: “Wer den Missbrauch von Kindern verhindern will, muss früher ansetzen. Strafgesetze greifen immer erst, sobald eine Tat begangen wurde. Dann ist es zu spät. Aber – und das macht den großen Reiz von Gesetzesverschärfungen für Politiker aus – verschärfte Gesetze kosten nichts und lassen sich im Wahlkampf gut vermarkten. Das ist wohl der Hauptgrund, warum so gerne lautstark nach ihnen gerufen wird. Wirksame Maßnahmen hingegen sind teuer und unpopulär.”
2. Gesetz gegen Hasskriminalität im Netz soll verabschiedet werden (spiegel.de, Frank Patalong)
Diese Woche stimmt der Bundestag über das “Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität” ab. Es gehe darum, die Identifizierung von Netz-Hetzern und -Hetzerinnen zu ermöglichen oder zu erleichtern sowie die Durchsetzbarkeit von Klagen zu verbessern. Der Gesetzesentwurf werde wahrscheinlich eine Mehrheit finden, doch es gebe auch Kritik an den neuen Bestimmungen, wie Frank Patalong erklärt.
3. Die ARD zeigt Chinas Kampf gegen Corona – wie China ihn sehen will (uebermedien.de, Hinnerk Feldwisch-Drentrup)
Heute Abend um 22:45 Uhr strahlt das Erste die SWR-Doku “Die Story im Ersten: Wuhan – Chronik eines Ausbruchs” aus, zu der es bereits vor wenigen Tagen Kritik in der “SZ” gab. Bemängelt wurde zum Beispiel, dass die Filmproduktionsfirma nicht in China gewesen sei und stattdessen Material des chinesischen Propagandaapparats verarbeitet habe. Hinnerk Feldwisch-Drentrup hat den Fall für “Übermedien” nochmal gründlich aufgearbeitet: “Auch wenn der Sender sich ‘von Anfang an der nicht unheiklen Materiallage bewusst’ gewesen sei, wie ein Sprecher betont, übernimmt die Doku in weiten Strecken die Inszenierung der KP: Nach dieser kam in der Coronakrise die Wende, als die Zentralregierung in Peking ‘die Zügel’ in die Hand nahm. Dabei war Xi schon Anfang Januar über den Ausbruch informiert und damit befasst. Das lässt der Film aber ebenso unerwähnt wie viele andere Probleme aus der Frühphase der Pandemie.”
4. Markus Lanz im ZDF: Ein Moderator verblüfft mit gewaltiger Ignoranz (fr.de, Daland Segler)
Daland Segler kritisiert den ZDF-Moderator Markus Lanz, den er für politisch voreingenommen hält: “Drei Dinge sollte mitbringen, wer als Gast zu einer Talkshow geht: Selbstbewusstsein, Kompetenz beim Thema und eine gewisse Dickfelligkeit. Wer sich von Markus Lanz einladen lässt, braucht allerdings noch etwas mehr: Ein gerüttelt Maß an Masochismus. Wobei: Das gilt vor allem für Menschen, die der Moderator (der keiner ist), verdächtigt, links zu sein.”
5. Verschwörungstheorien: Was gegen den Irrglauben hilft (aerzteblatt.de, Alina Reichardt)
Alina Reichardt wendet sich mit ihrem Beitrag über Verschwörungserzählungen vornehmlich an Ärztinnen und Ärzte. Im medizinischen Alltag gebe es immer wieder Patientinnen und Patienten, die dem klassischen Gesundheitssystem und “der Schulmedizin” misstrauisch gegenüberständen, weil sie allerlei Mythen, Spekulationen und Verschwörungsideen aufsäßen. Der Artikel ist auch für medizinische Laien geeignet und kann dazu beitragen, die Gründe für derartige Verhaltens- und Denkmuster besser zu verstehen.
6. “Immer die gleiche Polizeiarbeit” (taz.de, Erica Zingher)
Die “taz” hat sich mit der Kulturwissenschaftlerin und Literaturexpertin Sandra Beck über Krimis unterhalten. Wie wirken sich TV-Polizeiserien auf unser Verständnis von Wahrheit und Gerechtigkeit aus? Warum sind Polizeigewalt und Rassismus in Polizeiserien eher selten ein Thema? Und wie könnte eine neue Ethik des Erzählens im Krimi aussehen?
1. Die Zerstörung der Presse (netzpolitik.org, Markus Reuter)
“Die Zerstörung der Presse” nennt Rezo sein neues Video, in dem er sich fast eine Stunde nicht nur mit den Auswüchsen des Boulevardjournalismus und den Methoden der Regenbogenpresse, sondern auch mit den Unzulänglichkeiten der seriösen Medien beschäftigt. Markus Reuter hat das Video gesehen und zieht folgendes Fazit: “Regelmäßigen Leser:innen von Bildblog oder Übermedien wird Rezos Video nicht allzuviel Neues bringen. Aber das ist egal: Es ist eine unterhaltsame, solide und vor allem konstruktive Medienkritik, die Rezo da auf seine Weise für ein großes Publikum produziert. Und das kann nun wirklich kein Fehler sein.” Dieser Einschätzung schließt sich der “6 vor 9”-Kurator an, empfiehlt das Video jedoch ausdrücklich auch den BILDblog-Leserinnen und -Lesern.
Weiterer Lesehinweis: Youtuber Rezo übt schonungslose Medienkritik (rbb24.de, Daniel Bouhs).
2. Brutale Gewalt gegen Journalisten bei Protesten (reporter-ohne-grenzen.de)
In den USA kam es im Zusammenhang mit dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt zu zahlreichen Protesten. Dabei habe es mindestens 68 Übergriffe auf Medienschaffende gegeben. Journalistinnen und Journalisten seien mit Gummigeschossen, Pfefferspray und Tränengas angegriffen und vertrieben worden. “Es war vorauszusehen, dass die Art von Präsident Trump, die Medien zu dämonisieren und ein klares Feindbild aufzubauen, tatsächlich zu Gewalt führen würde. Die beispiellose Brutalität, mit der sowohl die Polizei als auch Protestierende in den vergangenen Tagen auf Reporterinnen und Reporter losgegangen sind, ist das Ergebnis dieser feindseligen Rhetorik”, so Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.
Weiterer Gucktipp: Auf Twitter kann man sehen, wie ein Reporter und ein Team der Deutschen Welle wiederholt von der Polizei beschossen und bedroht werden: Video 1 und Video 2.
Weiterer Lesehinweis: Police targeted journalists covering the George Floyd protests (vox.com, Katelyn Burns, in englischer Sprache).
3. Corona und wir – Die Tagesthemen-Moderatorin (spotify.com, Imre Grimm, Audio: 36:31 Minuten)
Imre Grimm leitet beim “Redaktionsnetzwerk Deutschland” das Gesellschaftsressort und veröffentlicht regelmäßig den Podcast “Corona und wir”. In der aktuellen Folge spricht er mit der “Tagesthemen”-Moderatorin Caren Miosga über die Berichterstattung zur Corona-Pandemie, die Abläufe im Sender sowie die Vor- und Anwürfe von verschwörungsgläubigen Zuschauern und Zuschauerinnen.
Wer Spotify nicht nutzen will oder kann, kann den Podcast bei radio.de anhören (allerdings können wir dort nicht direkt zur aktuellen Folge verlinken).
4. Das letzte “Hoff zum Sonntag”: The Last Time – Der Abgesang (dwdl.de, Hans Hoff)
Der Medienkolumnist Hans Hoff verabschiedet sich in den Ruhestand und packt in seiner letzten Kolumne nochmal die schönsten Anekdoten seiner Karriere aus. Dabei sind einige herrliche Begegnungen mit Promis und Fehleinschätzungen zu internationalen Popstars. Hoff hat es sogar mal zu einer Erwähnung im BILDblog gebracht, die wir jedoch für längst verjährt erachten. Viel öfter haben wir ihn hier in den “6 vor 9” zur Lektüre empfohlen. Lieber Hans Hoff, falls Sie hier mitlesen: Wir werden Sie vermissen und wünschen Ihnen alles Gute für den neuen Lebensabschnitt!
Weiterer Lesehinweis: WDR-Intendant Tom Buhrow wünscht Hoff in einem Gastbeitrag zum Abschied in den Ruhestand alles Gute: “Ich war oft Zielscheibe seiner Kritik. Dennoch: Die Artikel von Hans Hoff werden mir fehlen, wenn er demnächst in den Ruhestand geht.” (dwdl.de).
5. Polizeiwillkür muss Folgen haben (taz.de, Malte Kreutzfeldt)
Ein bedenklicher Angriff auf die Pressefreiheit sei derzeit in Nordrhein-Westfalen zu beobachten, so Malte Kreutzfeldt in der “taz”. Die Polizei Recklinghausen habe mehreren Journalisten und Journalistinnen Aufenthaltsverbote für die Straßen rund um das Gelände des Kohlekraftwerks Datteln IV erteilt. In einem Schreiben habe die Polizei mitgeteilt, dass die betroffenen Reporter und Reporterinnen sich ihre Informationen bei der Pressestelle der Polizei einholen könnten. Damit gäbe es keinen Grund, sich dem Kraftwerk zu nähern.
6. Was wurde aus… Sex-Werbung im Videotext? (spiegel.de, Markus Böhm)
Videotext wird 40 Jahre alt. Ein Großteil der Infotafeln war von Anbeginn an mit Kurznachrichten, Klatsch, Wetterbericht, Fernsehprogramm und Aktienkursen gefüllt. Es gab aber auch die Schmuddelecke, in der teure 0190-Hotlines mit “scharfen Hausfrauen” und “gierigen Schülerinnen” beworben wurden, versehen mit Nacktbildern in Klötzchengrafik. Zum Videotext-Jubiläum hat sich Markus Böhm noch einmal durch die Teletext-Erotikwelten von Sendern wie RTL II, Sat.1 und Sport1 geklickt beziehungsweise geschaltet.