1. Einspruch der NZZ gegen die Jury des hessischen Kulturpreis (nzz.ch, Markus Spillmann)
Markus Spillmann, Chefredaktor der NZZ, hat einen Brief an Hessens Ministerpräsident Roland Koch verfasst. Darin äussert er Besorgnis und Unverständnis über die Aberkennung des hessichen Kulturpreises an Navid Kermani. Auslöser der Aberkennung ist ein Artikel Kermanis in der NZZ und die Reaktion von Kardinal Lehmann. Die dazu passenden Fragen stellt Martin Mosebach in der FAZ.
2. Was Medien von Microsoft lernen können (blog.agoeldi.com, Andreas Goeldi)
Andreas Goeldi widerspricht der Meinung, dass Medien mit Micro-Payments erfolgreich sein werden. Goeldi schlägt vor, die User nicht für einzelne Artikel sondern für attraktive Pakete bezahlen zu lassen. Vorbild ist für ihn hierbei Microsoft mit dem Office-Paket.
3. Twitter und Facebook verringern Abhängigkeit von Google (faz-community.faz.net, Holger Schmidt)
Holger Schmidt, besser bekannt als Netzökonom, analysiert eine Studie des Marktforschungsunternehmens Hitwise. Er kommt zu der Erkenntnis, dass schon heute mehr und mehr Traffic auf Medienseiten über Twitter und vor allem Facebook generiert wird. Die führe, bei konsequenter Nutzung, vor allem zu einer sinkenden Abhängigkeit von Google.
Am Dienstag traute sich die Sportredaktion von “Bild” wirklich mal was: Während nahezu die ganze Fußball-Welt (einschließlich der Fußball-Bibel “Kicker”) davon ausging, dass der Spieler Diego von Werder Bremen zu Juventus Turin wechseln würde, vermeldete “Bild” “exklusiv”:
“BILD weiß…:
BILD weiß: Bayern und Werders Super-Star Diego (24) sind sich schon einig! Der Brasilianer soll in Kürze einen Vier-Jahres-Vertrag unterschreiben. Juventus ist aus dem Rennen. (…) Der Wechsel nach Italien scheitert an Diego! (…)
Heute wollte Juventus erneut zu Verhandlungen nach Bremen fliegen. Vermutlich hatte Bayern Angst, dass die Turiner beim Gehalt doch noch mal ordentlich drauflegen.
Den Flug im Lear-Jet nach Bremen können sich die Italiener sparen. Diegos Vater ist aus München direkt nach Brasilien geflogen. Im Gepäck den spektakulärsten Wechsel aller Bundesliga-Zeiten!
In gewohnter Unbescheidenheit hieß es dann gleich zu Beginn des Textes: “Das ist der Transferhammer des Jahres!” Der Hammer bestand in der Information von Bild.de, es habe ein “Geheimtreffen” zwischen Diegos Vater und Berater sowie den Verantwortlichen des FC Bayern gegeben. Diego sei sich mit den Bayern einig und werde den Münchnern den Vorzug gegenüber Turin geben. Die Vereine müssten nur noch letzte Modalitäten klären. Und damit es sich der Leser auch bildlich vorstellen konnte, packte ihn die “Bild”-Fotomonteure gleich mal in das Trikot des FC Bayern.
Der “Transferhammer” hatte nur einen kleinen Haken: Diego dachte nicht im Traum daran, zu den Bayern zu gehen. Der “Kicker” schrieb bereits am Mittwoch:
Von einem offiziellen Angebot der Bayern, wie es die Bild-Zeitung berichtet und bereits Vollzug über den Transfer vermeldet hatte, wollte Diego nichts wissen. “Es gibt losen Kontakt zu den Bayern, aber nur über meine Berater”, erklärte der 2006 von Porto zu Werder gekommene Spieler. Auch Manager Uli Hoeneß schlägt in die gleiche Kerbe: “Wer sagt das, dass wir uns getroffen haben? Wir haben überhaupt nicht verhandelt.”
So richtig zugeben, dass die Exklusiv-Meldung eine Exklusiv-Ente war, mochte man bei “Bild” allerdings dann doch nicht. Und so war man nicht unglücklich, einen Schuldigen für das Exklusiv-Debakel präsentieren zu können. Der Papa war’s, Papa Diego. Denn der ist — ganz unbrasilianisch — ein Baron:
Papa Diego ist als Lügen-Baron aufgeflogen! Weil Djair da Cunha die Bayern gelinkt hat, ist der Wechsel geplatzt. Als Berater seines Sohnes verhandelte er noch vorgestern mit den Bayern-Bossen, obwohl er sich bereits mit Juventus Turin über einen Wechsel zum Saisonende geeinigt hat.
Bayern gelinkt — und, was fast noch schlimmer ist: “Bild” gelinkt! Kein Wunder also, dass man so jemandem nur die niedersten Motive unterstellen kann, die Frage nach dem “Warum” beantwortet sich für “Bild” jedenfalls ziemlich leicht:
Die Antwort: Reine Gier! Diego und sein Vater versuchten die Ablösesumme in die Höhe zu treiben, weil sie daran mit 15 Prozent beteiligt sind…
Man kennt das ja: Spätestens dann, wenn in Ressorts von Zeitungen Begriffe wie “Sonderbeilage”, “Sonderveröffentlichungen” oder “Verlagsbeilage” drüberstehen, begibt man sich fast zwangsweise in eine journalistische Grauzone. Für viele Verlage sind diese “Sonderveröffentlichungen” gut laufende Umsatzbringer, die man insbesondere in Zeiten der Krise gut gebrauchen kann. Ziemlich heimlich hat sich dabei etwas eingeschlichen, was weder nach den Maßgaben des Deutschen Presserates noch seines Gegenstücks, des Deutschen PR-Rates, statthaft ist: die Kopplung von Anzeigenschaltungen mit der Veröffentlichung von PR-Texten. Konkret: Selbstverständlich fragen Unternehmen bzw. deren Agenturen gerne mal, was es denn im Falle einer Anzeigenschaltung noch als kleine redaktionellen Dreingabe gäbe. Manchmal läuft das Spiel auch so, dass die Kunden bei Auftragsvergabe freudig mitteilen, man habe da auch noch einen kleinen Text vorbereitet und die Redaktion freue sich doch bestimmt darüber, etwas weniger Arbeit zu haben. Natürlich stehen solche Geschäfte in keiner Anzeigenpreisliste und natürlich gibt es auf dem Papier keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Anzeigenschaltungen und redaktionellen Berichterstattung.
Wie so etwas dann in der Praxis funktioniert, sieht man ziemlich anschaulich an diesem Beispiel, bei dem einer der Akteure jemand ist, von dem man es eigentlich nicht erwartet: die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Dort gibt es seit inzwischen über 300 Folgen eine Artikelserie zum schönen Thema “Qualifikation und Erfolg”, die unter der Rubrik “Unterricht/Weiterbildung/Seminare” läuft. Am 9. Mai informierte ein Artikel dort über die Vorzüge einer Ausbildung im PR-Bereich:
Man erfuhr in dem Artikel, dass “Öffentlichkeitsarbeit immer gefragter” werde und dass die “Arbeitschancen mit staatlichen Abschlüssen steigen” würden. Zu Wort kommt auch Ingo Reichardt, Chef eines gewissen “Communication College”, das auf der gegenüberliegenden Seite inseriert hat.
Er darf in den darauf folgenden Zeilen ausführlich dalegen, warum der Bedarf an PR-Fachleuten immer weiter steigt und man diesem Trend mit dem Erwerb eines so schönen Titels wie “Certified PR-Officer” (CPRO) begegnen könne.
Kurzum: Auf der linken Seite inseriert das “Communication College”, auf der rechten Seite erklärt der Geschäftsführer ebendieses Colleges, was an einem PR-Job so toll ist. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, merkwürdig ist es aber allemal.
Als Autor des Artikels firmiert Dr. Hans-Henning Kappel. Doch der räumt auf Anfrage des PR-Beraters Sascha Stoltenow ein, die Geschichte nicht selbst geschrieben zu haben — er verstehe von dem Thema so gut wie nichts. Die FAZ-Anzeigenabteilung allerdings konnte da helfen, mit einem vorgefertigten Text, den sie vom “Communication College” bekommen hatte und an den Autor weiterreichte.
So beginnt der Originaltext, der auch auf der Website des “Comunication College” zu finden ist, mit folgendem Absatz:
Sektglashalter, Hummerscherenknacker, Frühstücksdirektoren, Pressefritzen, PR-Trullas und PR-Fuzzies — PR-Profis müssen mit solchen Bezeichnungen leben — auch mit missgünstigen Bloggern.
In der FAZ heißt es:
Sektglashalter, Hummerscherenknacker, Frühstücksdirektoren, Pressefritzen, PR-Trullas und PR-Fuzzies — PR-Profis müssen mit solchen Bezeichnungen leben — auch mit missgünstigen Bloggern.
Auch der Rest der in der FAZ gedruckten Geschichte ist nahezu wortgetreu die Fassung, die das “Communication College” freundlicherweise zur Verfügung stellte.
Kappel übernahm die Texte, pappte sein Namensschildchen drauf — und fertig war der beinahe redaktionelle Beitrag der FAZ. Das räumt Kappel auch gegenüber dem “PR-Journal” ein.
Etwas Ehrenrühriges mag die FAZ hinter diesem Vorgehen nicht vermuten. Josef Krieg, Leiter der Unternehmenskommunikation, erläutert in einer offiziellen Stellungnahme:
Der Autor dieser Artikelserie Dr. Hans-Henning Kappel von der Johann-Wolfgang-Goethe Universität ist innerhalb des optisch abgegrenzten Anzeigenartikels klar und deutlich als Autor der Artikelserie erkennbar. Neben einer postalischen Anschrift sind auch Telefon, Telefax und Email-Adresse von ihm aufgeführt. Damit wird dem Leser unmissverständlich klar, dass es sich hier nicht um einen FAZ-Redakteur handelt. Auch die Optik dieser Veröffentlichungsreihe “Qualifikation & Erfolg” unterscheidet sich deutlich von Redaktionsteil hinsichtlich des Umbruches und der Typographie.
Man muss also davon ausgehen, dass ein Text, der nicht von einem FAZ-Redakteur stammt, automatisch möglicherweise ein PR-Text sein könnte? Und ein unterschiedlicher Umbruch und eine vom normalen Redaktionsstandard abweichende Typographie sind automatisch schon sichere Indikatoren dafür, dass es sich um einen PR-Beitrag handelt? Offen bleibt auch die Frage, warum ein Autor — selbst wenn er nicht FAZ-Redakteur ist — mit seinem Namen für eine Geschichte geradesteht, die eine nicht einmal schwach kaschierte 1:1-Übernahme eines Fremdtextes ist.
Und was ist eigentlich ein “Anzeigenartikel”?
Die naheliegendste Möglichkeit, den Leser nicht lange auf Rätseltour zu schicken, hat man inzwischen allerdings auch bei der FAZ erkannt:
Was bei dieser Artikelreihe “Qualifikation & Erfolg” sicherlich letztlich für die Klarheit gesorgt hätte, ist das fehlende Wort einer “Anzeigen-Sonderveröffentlichung” über der Seite. Diesen Hinweis wird es im Sinne der bei der FAZ praktizierten strikten Trennung zwischen Redaktions- und Anzeigenteil ab sofort geben.
1. Faule, fette Journalisten (blogbar.de, Don Alphonso)
Don Alphonso knöpft sich Journalisten vor, die sich “freuen, wenn es das ein oder andere Blog derbröselt”. Die “Strukturprobleme der Blogs” würden nicht die “Strukturprobleme der Journalisten lösen”. Generell seien Journalisten “zu wenig meinungsfreudig (und) innovativ”, dafür aber risikoscheu, faul und fett.
2. Blogs und Stiftungen retten Journalismus nicht (faz.net, Miriam Meckel)
Miriam Meckel, Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, wirft Bloggern und Social Networks vor, nicht selber Inhalte zu erstellen. Neues sei lediglich eine “innovative Verlinkung von Altbekanntem”. Es reiche nicht aus, sich auf Bürgerjournalismus und wohlmeinde Stiftungen zu verlassen (wie Arianna Huffington vorschlägt), um Qualitätsjournalismus aufrechtzuerhalten.
3. Eigenwerbung der Privatsender nimmt zu (taz.de, Wilfried Urbe)
Wem geht sie nicht auf die Nerven? Die Eigen-PR der TV-Sender mit ihrer “We love to entertain you” und “Mein RTL”-Rhetorik. RTL bestreitet mittlerweile eine Stunde pro Tag mit diesen Clips. Doch diese Clips seien “Schlüsselerfolgsfaktoren der Kommunikation und der Werbung”.
1. Gratwanderung bei der Tagesschau (blog.tagesschau.de, Dr. Kai Gniffke)
Dr. Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, berichtet von der Schwierigkeit abzuwägen, “wie viel man den Zuschauern (…) einerseits zumuten kann, und andererseits zeigen muss“. Beispiel für diese “Gratwanderung” sei ein Beitrag in der Tagesschau von 20 Uhr, in der ein schwer verbranntes Kind gezeigt wurde.
2. Die UBS und “die magische Kraft der drei Buchstaben” (medienspiegel.ch, Fred David)
Fred David berichtet über eine “Schweigespirale” in den Schweizer Medien, die insbesondere im aktuellen Umgang mit der UBS zu erkennen sei. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der UBS führe zu einem vorauseilendem Gehorsam gegenüber einem der grössten Anzeigenkunden.
3. Zeitungsgründung trotz Krise (taz.de, Daniel Bouhs)
Mitten in der Zeitungskrise startet in Portugal eine neue politische Tageszeitung namens “I”. Daniel Bouhs findet besonders bemerkenswert, dass dort eine Einteilung in gewohnte Ressorts nicht mehr stattfindet. Die Nachrichten würden zu “Meldungshäppchen”, der Fokus liege auf Meinungen und Dossiers.
Neulich sind die Kandidaten von “Deutschland sucht den Superstar” zusammen mit Fans in Köln mit einem Ausflugsdampfer gefahren. Sie trafen dabei auf Mark Medlock, der die RTL-Show vor zwei Jahren gewonnen hatte, sie darüber informierte, dass es nicht reiche, eine gute Stimme zu haben, und ihre öffentlichen Auseinandersetzungen mit den Worten “Das ist total die Kiddy-Scheiße” verurteilte.
Das Online-Angebot des “Stern” informiert seine Leser über diese bewegenden Ereignisse im Rahmen seiner aktuellen Berichterstattung über die Show in einem Filmbericht. Bemerkenswert daran ist, dass dieser Beitrag erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Filmbericht hat, den das RTL-Magazin “Punkt 12” zu dem Thema angefertigt hatte:
Genau genommen unterscheidet sich die stern.de-Version (links oben) von der RTL-Version (rechts oben) nur durch das “Stern”-Logo, die Einblendungen und den Schluss:
Das ist schon ein erstaunliches Vorgehen: Man nimmt ein Eigen-PR-Filmchen von RTL, entfernt den Absender, bappt den eigenen Namen drauf und gibt es als Journalismus aus?
Der “DSDS”-Beitrag ist nicht der einzige RTL-Film auf stern.de. Das Internetangebot des “Stern” ist Kunde bei ContentFirst, einer Abteilung der RTL-Mediengruppe, die sich darauf spezialisiert hat, Beiträge der RTL-Sender weiterzuverkaufen. Zur Dienstleistung von ContentFirst gehört es, die Inhalte auf die Wünsche der Kunden zuzuschneidern. Für stern.de werden so zum Beispiel die RTL-Logos entfernt und durch “Stern”-Logos ersetzt.
Der Satz “im Auftrag von stern.de Digital TV” bedeutet also nicht, dass die Inhalte im Auftrag von stern.de produziert wurden, sondern nur, dass sie im Auftrag von stern.de so neu verpackt wurden, dass sie aussehen, als seien sie im Auftrag von stern.de produziert worden.
Digital-TV-Leiter Ralf Klassen sieht in dieser Umetikettierung von Bewegtbildern grundsätzlich kein Problem. Die Verwendung dieses “DSDS”-Beitrags aber sei ein “Versehen” gewesen, sagt er auf Nachfrage — der Produzent sei zu eng mit dem Inhalt verbunden: “Das war eine nicht gute Verwendung von RTL-Material.”
Das “DSDS”-Dampfer-Video hat stern.de jetzt entfernt.
Der freie Autor Walter van Rossum übt massive Kritik an Politik und Medien in Deutschland. Er stellt einen “95 Prozent des Spektrums” abdeckenden “Konformismus mit der parlamentarischen Mitte” fest. Bei der Berichterstattung über die Ereignisse in Lhasa im März 2008 entsetzte ihn “die fast lückenlose Gleichschaltung”: “Da hat man so getan, als hätten barbarische chinesische Kommunisten friedlich demonstrierende Mönche niederkartätscht. Das war flächendeckend krasse Fehlinformation.”
Der chinesische Journalist Shi Ming glaubt, dass sich China vermehrt um die Lenkung der allgemeinen Meinung kümmern wird: “Es gibt nicht mehr den einen Mainstream. Die Lenkung der Meinungen ist also eine weitaus wichtigere Seite.” Die Zahl der Netzpolizisten wird auf 50.000 geschätzt.
Ein Gespräch mit dem Käufer von basicthinking.de: “Robert hat Basic Thinking natürlich sehr geprägt, aber unsere aktuellen Zugriffszahlen zeigen auch, dass es möglich ist, die Zahlen von damals sogar noch zu steigern.”
Josef Hackforth, Inhaber des Lehrstuhls an der TU München, fragt anlässlich eines Vortrags, ob der Journalismus beliebig geworden sei und ob Journalisten nicht auch bestraft werden müssten, wenn sie Fehler machen, durch die andere zu Schaden kommen: “Ärzte und Juristen werden belangt, wenn sie Fehler machen, Journalisten nicht”.
Der abtretende Chefredaktor des Tages-Anzeigers geht mit unzufriedenen Lesern um wie ein Hotelier: “Ich schickte Leuten, die sich durch unsere Zeitung verletzt fühlten, einen von Hand geschriebenen Brief und einen Blumenstrauss – selbst dann wenn wir im Recht waren.”
Klaus-Peter Klingelschmitt schafft das Kunststück der perfekten Anti-Internetaktivisten-Kolumne. Wer auch immer in Zukunft noch so eine schreiben will – hier ist alles drin und bis ins Detail ausgeführt: “Was wirklich zählt, ist das REALE Leben. Wir Älteren wissen das längst. Stellen wir uns doch einmal vor, die ganze Chat- und Bloggerei würde umgehend abgeschafft. Die Welt würde NICHTS vermissen.”
Web 0.0 bei Ringier schrieben wir am 16. September 2007. Daran hat sich noch nichts geändert, denn der “nach eigenen Aussagen web-affine Verleger” Michael Ringier glaubt, wie alle, die sich vom Internet bedroht fühlen, an die Aussagen des Web-2.0-Kritikers Andrew Keen (der selbst übrigens fleissig bloggt und twittert). Ringier hält einen Grossteil der Inhalte im Internet für “primitiv und äffisch”, der Kleinreport notierte sich die Ausdrücke “Gewäsch von Dumpfbeuteln”, “Schwachsinn” und “Schrott”.
“Die Debatte um Internet und Urheberrecht zeigt vor allem eines: den Unwillen weiter Teile des Führungspersonals hierzulande, sich auf die neue Wissensökonomie des Internets einzulassen. Statt zu gestalten wird gezetert.”
Stefan Niggemeier analysiert die ZDF-Jahre von Johannes B. Kerner und stellt nach seinem Abgang zu Sat.1 eine Aufbruchsstimmung fest: “Plötzlich scheint alles möglich: dass das ZDF am späten Abend etwas für sein öffentlich-rechtliches Profil tut, dass Sat.1 ein richtiger Fernsehsender wird, dass Harald Schmidt wieder gut ist.”
Marco Boselli, Chefredakteur der Gratiszeitung 20 Minuten, nennt die Gründe für den erstaunlichen Erfolg des Blatts: “Weil wir ein sehr gutes Produkt machen, nicht nur von Agenturen abschreiben, sondern eigene Geschichten recherchieren. Es ist eine andere Form von Journalismus: schnell und unterhaltsam. Gedrucktes Internet.”
Lukas Hadorn testet chinesisches Eis am Stiel und macht davon schöne Fotos. Leider haben gleich mehrere Testobjekte den hierzulande eher unbekannten Geschmack “Bohnen”: “Ein intensiver Tee-Geschmack macht sich in meinem Mund breit, seifig, penetrant.”
Es gehört eine gewisse Kunstfertigkeit dazu, über den Bericht des Bundesinnenministeriums über die Zunahme politisch motivierter Straftaten zu berichten, ohne rechte Gewalt zu erwähnen — aber Bild.de hat es geschafft. Die schlechten Zahlen, die Wolfgang Schäuble gestern vorstellte, rückt das Online-Angebot der “Bild”-Zeitung vollständig in den Zusammenhang mit der Serie von (womöglich linksextrem motivierten) Brandstiftungen in Berlin und der bevorstehenden Demonstrationen zum 1. Mai, von denen Bild.de jetzt schon weiß, dass sie den “Höhepunkt der Gewalt” darstellen werden.
Liest man den Bericht von Bild.de, scheint politisch motivierte Gewalt in Deutschland vor allem ein Problem mit linken Chaoten und Kriminellen zu sein. Bild.de erwähnt nicht, dass sowohl rechte Kriminalität insgesamt, als auch rechte Gewalttaten im vergangenen Jahr am stärksten zugenommen haben. Und Bild.de erwähnt nicht, dass die Polizei dreimal so viele rechte wie linke Straftaten zählte.
Warum Bild.de sich ausschließlich auf die Gewalt von links konzentriert, darüber darf man spekulieren. Tatsache ist, dass “Bild” nicht zum ersten Mal ein Problem damit hat, die Zunahme rechter Gewalt zur Kenntnis zu nehmen. 2006 behauptete das Blatt exklusiv und vorab, die Zahl der Gewalttaten mit einem rechtsextremen bzw. fremdenfeindlichen Hintergrund sei im Vorjahr “offenbar zurückgegangen”. Tatsächlich hatte sie deutlich zugenommen.
“Zu schön, um nicht wahr zu sein”, sagt der Journalist — und verzichtet gerade bei den unwahrscheinlichen Geschichten gerne auf Skepsis und Recherche.
Diese Geschichte, die man u.a. bei “Focus Online” findet, ist angesichts des gegenwärtigen Hypes um Online-Angebote wie Facebook oder Twitter aus Sicht der Journalisten eine schöne Geschichte:
Vor allem junge Menschen sollen durch zu viel Kommunikation über Portale wie Twitter oder Facebook auf die Dauer Schaden nehmen, wie nun Gehirnforscher der University of Southern California herausgefunden haben. Um körperlichen Schmerz anderer zu erkennen, benötigt das menschliche Gehirn nur Sekundenbruchteile. Doch um soziale Gefühle wie Mitleid oder Bewunderung zu entwickeln, ist wesentlich mehr Zeit notwendig, wie das britische Portal “Mail Online” die Erkenntnisse der Wissenschaftler zitiert. Da das Gehirn von Jugendlichen noch nicht voll ausgebildet ist, könnte zu viel “Twittern” die Entwicklung beeinflussen. (…)
Die Kommunikation über das World Wide Web laufe zu schnell für den “moralischen Kompass” des Gehirns ab, so dass Jugendliche mit der Zeit dem Leid anderer gegenüber gleichgültig würden. Behaupten Wissenschaftler. Behauptet “Mail Online”. Behauptet “Focus Online”.
Der britische Arzt, Medienkritiker und “Guardian”-Kolumnist Ben Goldacre hingegen hatte die originelle Idee, die Meldung mittels etwas, das man früher “Recherche” nannte, zu überprüfen. Er besorgte sich die Studie, auf die sich die “Daily Mail” bezieht und stellte fest, dass sie zwar herausfand, dass das menschliche Gehirn länger braucht, um auf emotionalen Schmerz zu reagieren als auf körperlichen Schmerz — von Twitter, Facebook oder irgendwelchen anderen Internet-Angeboten darin aber keine Rede war.
Goldacre fragte sicherheitshalber bei einem der Autoren der Studie nach, und Professor Antonio Damasio antwortete ihm:
“Wir haben keine irgendwie geartete Verbindung zu Twitter hergestellt. (…) In unserer Untersuchung werden weder Twitter noch irgendein soziales Netzwerk erwähnt. Wir haben nicht über sie zu berichten. (…) Die Verbindung zu Twitter und anderen sozialen Netzwerken ergibt, soweit ich es überblicken kann, keinen Sinn.”
Und wie kommt dann der Online-Auftritt der vermeintlich seriösen Schweizer Zeitung “Tagesanzeiger” zu einem Zitat, in dem Mary Helen Immordino-Yang, eine der Autorinnen der Studie, Facebook und Twitter ausdrücklich erwähnt?
Ganz einfach: Der Autor hat die Wörter “Facebook” und “Twitter” und überhaupt den Zusammenhang zu Online-Angeboten offenbar nachträglich in ein wörtliches Zitat der Wissenschaftlerin aus der Pressemitteilung der Universität eingefügt:
“If things are happening too fast, you may not ever fully experience emotions about other people’s psychological states and that would have implications for your morality,” Immordino-Yang said.
“Wenn rund um die Uhr Nachrichten über Twitter und Facebook einprasseln, kann man sich nicht voll auf die Gefühle anderer Menschen konzentrieren, und das wirkt sich negativ auf die Moral aus”, fasst die Forscherin Mary Helen Immordino-Yang von der Universität Süd-Kalifornien die Forschungsergebnisse zusammen.
Nachtrag, 21. April. “Focus Online” hat seinen Artikel um einen Nachtrag ergänzt und benutzt darin als originellen Euphemismus für “falsch” den Ausdruck “in die Kritik geraten”.
Beim Online-Angebot des “Tagesanzeiger” wurden die Wörter “über Twitter und Facebook” aus dem wörtlichen Zitat entfernt, der ganze andere Unsinn aber stehen gelassen. Auf E-Mail-Anfragen von BILDblog haben weder Autor Reto Knobel noch Redaktionsleiter Peter Wälty geantwortet.