Suchergebnisse für ‘Julian Reichelt’

Bild.de streckt historischen Stoff

Die jungen Leute gucken ja alle heutzutage Serien, und deswegen muss auch Bild.de über Serien berichten. Die neueste “NETFLIX-ERFOLGSSERIE” ist “Narcos”, in der es um den kolumbianischen Drogenhändler Pablo Escobar geht. Also schreibt auch Bild.de über “Narcos”. Und hat sich dafür einen besonderen Dreh überlegt:

Da gäbe es (Update: Bild.de hat den Artkel inzwischen entfernt*) zum Beispiel “Escobars Sohn”, “Escobars Geliebte” — oder “Escobars Geschäftspartner”, Carlos Lehder Rivas:

Carlos Lehder Rivas (66) ist Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, war Mitbegründer des Medellín-Kartells und Gefährte von Pablo Escobar.

Genau. Wie Sandro Benini bereits vor dreineinhalb Jahren im “Tagesanzeiger” geschrieben hat:

Carlos Lehder, Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Kolumbianerin, Mitbegründer des Medellín-Kartells, Gefährte des Kokainbarons Pablo Escobar

Die Bild.de-Autorin hat aber noch mehr über Lehder zu berichten:

Lehder gewann Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehungen zwischen den beiden stets von Misstrauen, sogar Antipathie geprägt war, stieg der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.

Genau. Wie Sandro Benini bereits vor dreineinhalb Jahren im “Tagesanzeiger” geschrieben hat:

Lehder gewinnt Pablo Escobar als Lieferanten, und obwohl die Beziehung zwischen den beiden stets von Misstrauen, ja sogar Antipathie geprägt ist, steigt der Deutsche zu einer der beherrschenden Figuren des Medellín-Kartells auf.

Bild.de:

Während Escobar vom Koks die Finger ließ, bekam Lehder vom weißen Pulver die Nase nicht voll genug. Das machte ihn unberechenbar und gewalttätig.

“Tagesanzeiger”:

Während Escobar vom Koksen die Finger lässt und höchstens einmal einen Joint raucht, kann Lehder von dem weissen Pulver die Nase nicht voll genug kriegen. Das macht ihn unberechenbar und gewalttätig.

Bild.de:

Am 4. Februar 1987 um 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens, wurde er von der Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) festgenommen.

“Tagesanzeiger”:

Es ist der 4. Februar 1987, 5 Uhr morgens in Guarne, einem Städtchen im Westen Kolumbiens. Eine Sondereinheit kolumbianischer Elitepolizisten und mehrere Agenten der amerikanischen Drogenpolizei DEA (Drug Enforcement Administration) umstellen ein Landgut.

Bild.de:

Die Geschichte von Carlos Lehder wurde im Film „Blow“ (2001) erzählt, mit Johnny Depp (52) in der Hauptrolle.

“Tagesanzeiger”:

Die Geschichte der Freundschaft zwischen Jung und Lehder wird im Film «Blow» aus dem Jahre 2001 erzählt, mit Johnny Depp in der Hauptrolle.

Auch beim Rest der Lehder-Passage hat sich Bild.de offensichtlich beim “Tagesanzeiger” bedient — natürlich ohne ihn zu nennen. Was wohl Bild.de-Chef Julian Reichelt zu dieser Praxis sagen würde?

Mit Dank an Jonas G.

*Nachtrag, 16. Oktober, 12:01 Uhr: Bild.de-Chef Julian Reichelt hat reagiert, den Artikel offline genommen und sich bei “Tagesanzeiger”-Autor Sandro Benini entschuldigt.

Wenn “Bild” sich einer Sache annimmt, bleibt nichts von ihr übrig

Wie im Advent 2007, als 20 Personen und ein Eisbär BILDblog übernommen haben, wollen wir von Zeit zu Zeit “BILDblogger für einen Tag” einladen. Heute: Leo Fischer.

Leo Fischer hat mit seinen 34 Jahren bereits alles erreicht: Als Chefredakteur der “Titanic” wurde er vom Papst verklagt, ein CSUler wollte ihm “die Lizenz zum Schreiben” entziehen, als Politiker holt er regelmäßig unter 0,1 Prozent der Stimmen. Aktuell schreibt Fischer für die “Titanic”, die “Jungle World”, “Neues Deutschland” und die “taz” und versucht, Martin Sonneborn, den Bundesvorsitzenden der Partei “Die Partei”, zu stürzen.
(Foto: Tom Hintner)

Von Leo Fischer

Wenn man es gut mit ihr meinen wollte, könnte man die “Bild”-Zeitung mit der freiwilligen Feuerwehr auf dem Dorf vergleichen: Die meiste Zeit sitzen die Leute ausgesprochen nichtsnutzig herum, rumpeln männerbündlerisch den Bürgermeister an, erzählen schlüpfrige Geschichten und sind vor Grob- und Doofheit wie besoffen von sich selbst. Wenn man sie dann einmal wirklich braucht, sind sie entweder unfähig. Oder eines ihrer pathologischeren Mitglieder ist selbst der Anlaß für das Feurio, das da herrscht. Dann sieht man Julian Reichelt, rußverschmiert, noch mit der Fackel in der Hand, in den Trümmern der Flüchtlingsheime stehen und „Refugees welcome!“ schreien. Dann zeigen sie voll Mitgefühl die darbenden Griechen in der Suppenküche, in die sie sie selbst gesetzt haben. Dann distanzieren sie sich von den Kreaturen Thilo Sarrazins, den sie doch selbst mit aufgebaut haben. Dann schreiben sie “Nie wieder Judenhaß” und schaffen mit ihrem Antiintellektualismus doch täglich neu seine geistigen Voraussetzungen.

Fast hat es etwas Rührendes, daß sie es in ihrem Zynismus nicht aushalten. Sie wollen nicht nur Karriere machen, nicht nur abgefuckte Medienprofis, sondern auch gute Menschen sein. Sie wollen im Kreise von Kumpeln und Sippschaft sagen, daß sie sich redlich bemühen, daß sie ein bisserl was bewegen können. Die Homos zum Beispiel, die lassen sie jetzt in Ruhe. Geschichten über Außerirdische und Wunderheiler, wie sie noch Wallraff dokumentierte, spielen keine Rolle mehr. Es hat sich doch was getan! Jetzt gibt es sogar eine Flüchtlings-“Bild” auf Arabisch, auf daß auch die Neuankömmlinge gleich wissen, wer hierzulande die Losung ausgibt. Doch selbst da, wo sie sich redlich bemühen, wählen sie stets die einzige Form, die sie wirklich beherrschen: die Kampagne. Und in der Form der Kampagne liegt die ganze Wahrheit der Zeitung, denn noch das edelste Anliegen können sie nur als Kampagne vortragen, und machen es damit gleich wieder zu etwas Vulgärem, Opportunistischem, Austauschbarem, Verächtlichem. Wenn “Bild” sich einer Sache annimmt, bleibt nichts von ihr übrig, nicht einmal von einer guten.

Wie die freiwillige Feuerwehr eine schattenhafte Erinnerung an Bürgerwehr und Miliz ist, so ist die “Bild”-Zeitung eine Erinnerung an den “Völkischen Beobachter”: Sie peitscht ein, verstärkt Emotionen, schweißt das Kollektiv in Wut und Angst zusammen. Sie sichert das Überleben einer faschistoiden Form des Bewußtseins inmitten der Demokratie. Sie beruft sich auf Freiheiten, die sie selbst abschaffen würde, wenn man sie ließe. Unvergessen ist mir, wie ich einmal das Springerhaus in Hamburg fotografieren wollte, woraufhin der Pförtner herauseilte, mir die Löschung der Bilder auftrug und erklärte, daß man dieses Haus grundsätzlich nicht fotografieren dürfe. Die Niedrigkeit und Infamie aus den oberen Etagen war bis in sein winziges Pförtnerhirn gesickert; insgeheim wähnte er sich als Teil einer verschworenen Gemeinschaft, so als würden ihn seine Oberen nicht in einem Wimpernschlag entfernen, wenn er ihnen zur Last fällt.

Der Wahnsinn ist, daß die Leute glauben, mit “Bild” rechnen zu können, die Zeitung als Teil des Mediensystems begreifen, mit dem vielleicht ein ironischer Umgang möglich ist. Prominentestes Beispiel für diesen Irrtum ist der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, der ebenfalls glaubte, sich auf “Bild” verlassen zu können, auf Ehrenwort und Bürgersinn zählte. Das ist falsch. “Bild” ist kein Teil des Mediensystems. “Bild” ist in einem strengen Sinn gar kein Medium. Jedenfalls ist sie es nicht im Sinne einer liberalen Öffentlichkeit. Sie ist das Gegenteil dieser Öffentlichkeit, und bereitet insgeheim ihr Ende vor. So wie aus der bierseligen Gemeinschaft freiwilliger Dorfdeppen jederzeit wieder der Zündler und der Mob hervortreten können, so kann aus “Bild” jederzeit wieder das monströse Hetzblatt werden, das sich jetzt mit Ironie und Debatte tarnt. “Bild” ist kein Umgang. Mit “Bild” haben anständige Leute nichts zu schaffen.

Das wird man ja wohl noch zeigen dürfen!

Die “Bild”-Medien trommeln heute mal wieder kräftig in eigener Sache.

“Das bringt nur BILD”, so lautet der Slogan der großen PR-Kampagne, deren ganzer Wahnsinn sich schon an diesem Video erahnen lässt:

Die Kampagne findet, wie der Axel-Springer-Verlag verkündet:

auf allen analogen und digitalen Kanälen statt. Sie beinhaltet Print- und Online-Motive, Out-of-Home-Plakate und -Kurzvideos, einen Kino- und TV-Spot sowie verschiedene Funk-Spots.

Und auf redaktioneller Ebene das hier:

Eine (nicht ganz neue) Aktion, mit der das Blatt heute viel Aufmerksamkeit erregt hat. „Bild“ schreibt:

Wir wollen damit zeigen, wie wichtig Fotos im Journalismus sind. Und dass es sich lohnt, jeden Tag um das beste Foto zu kämpfen!

Denn Fotos können beweisen, was Mächtige verstecken wollen. Sie wecken Emotionen in uns. Sie zeigen schöne Momente, aber auch grausame. Sie lassen uns mit anderen Menschen mitfühlen. (…)

Darum steht BILD immer wieder für die Veröffentlichung umstrittener Fotos ein – oft gegen harte Widerstände. Die Welt muss die Wahrheit sehen, um sich zu verändern.

So etwas sagen die Menschen von „Bild“ gern, wenn es um die „Veröffentlichung umstrittener Fotos“ geht. Man müsse die Wahrheit „ungeschönt“ zeigen, man müsse die Geschichten und Gesichter der Opfer (und Täter) abbilden, um „die Tragik“ eines Ereignisses „fassbar“ zu machen.

In den meisten Fällen geht es dann aber nicht um solche Fotos, die „Bild“ in dem Artikel als Beispiele anführt — das des Mädchens, das im Vietnamkrieg vor einer Napalm-Wolke flieht und das des ertrunkenen Flüchtlingsjungen am Strand von Bodrum, bei denen es tatsächlich nachvollziehbare Gründe für eine Veröffentlichung gibt –, sondern um Fotos, die nicht als Symbolbilder um die Welt gegangen sind. Fotos, auf denen Menschen hilflos sind oder trauern oder sterben, Fotos von Menschen, die Schlimmes getan haben oder die nur zufällig Teil eines tragischen Geschehens wurden, über das die „Bild“-Zeitung unbedingt unverpixelt berichten muss.

Solche Fotos:

Oder solche:

Oder solche:

So sieht der Umgang mit „umstrittenen Fotos“ bei der „Bild“-Zeitung tagtäglich aus: „Mutig“ und „ungeschönt“, trotz all der „harten Widerstände“ durch den politisch korrekten Verpixelungswahn dieser Gutjournalisten. Alles im Sinne der „Wahrheit“. Und letztlich im Sinne der „Schwachen“, wie „Bild“-Online-Chef Julian Reichelt erklärt:

Diese BILD-Ausgabe ohne Fotos ist eine Verneigung vor der Kraft der Fotos. Ohne Fotos wäre die Welt noch ignoranter, wären die Schwachen verloren, unsichtbar. Ohne Fotos blieben viele Verbrechen nicht nur ungesühnt – sie würden nicht einmal erinnert. Fotos sind der Aufschrei der Welt.

Und wer meint, die „Bild“-Zeitung mache die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens zum zweiten Mal zu Opfern, wenn sie irgendwo private Fotos von ihnen auftreibt oder Fotos, auf denen sie blutüberströmt auf der Straße liegen, und diese dann groß und unverpixelt und ohne Erlaubnis abdruckt, der irrt natürlich gewaltig:

Immer wieder – auch jetzt – hören wir die Forderung, Fotos gar nicht oder nur verpixelt zu zeigen, weil sie menschliches Leid zu drastisch dokumentieren, weil sie Menschen „ihre Würde nehmen“ würden.

Dieses Argument übersieht immer wieder den wichtigsten Punkt: Nicht das Foto stellt die würdelose Situation her, sondern der Krieg oder die Ignoranz der Politik oder unsere Feigheit davor einzuschreiten. Das Foto dokumentiert bloß die Welt. Die Welt ist nicht verpixelt. Wir haben kein Recht darauf, es uns leicht zu machen, wenn Unrecht geschieht. Wir müssen uns zwingen hinzusehen. Der Schmerz, den wir beim Anblick von Leid empfinden, hat nicht das leiseste Recht, sich gleichzumachen oder auch nur zu vergleichen mit dem Schmerz der Abgebildeten.

Der Gedanke, dass auch die Abgebildeten Rechte haben, das Recht am eigenen Bild zum Beispiel, und dass eine Verletzung dieser Rechte ebenfalls Schmerz auslösen kann, ist Julian Reichelt bei seiner Argumentation wohl nicht gekommen, aber er hat ja auch schon genug damit zu tun, sich ständig um die Angehörigen der Abgebildeten zu sorgen:

Das twitterte der Bild.de-Chef vor ein paar Wochen, kurz nachdem die Leiche eines entführten und ermordeten Mädchens entdeckt worden war.

Und weil Reichelt und sein Team den Angehörigen mit einer möglichst unverpixelten Berichterstattung ja im Grunde nur helfen, dokumentieren sie seither akribisch die grausamen Details des Verbrechens, zeigen die Fotos, auf denen das Mädchen in einem Leichensack weggetragen wird, veröffentlichten ihre Todesanzeige und mehrere Fotos von ihrer Beerdigung, fotografierten ihr Grab aus verschiedenen Perspektiven und präsentieren konsequent in jedem Artikel mindestens ein Bild von ihr ohne jede Unkenntlichmachung, „mutig“ und „ungeschönt“ eben, denn es geht ja um die Wahrheit und darum, das Leid „fassbar“ zu machen.

Fotos von Verbrechensopfern, von Leichen, von Menschen, die ums Überleben kämpfen, die von Geiselnehmern oder Vergewaltigern erniedrigt werden, all das zeigt die Zeitung, aber schließlich ist sie ja auch der Chor des Lebens!

So wie es in der griechischen Tragödie des Chors bedarf, der das, was der Zuschauer sieht, beweint, braucht das Leben, braucht das Land jemanden, der es beklagt und besingt.

BILD ist dieser Chor.

… trällert Alexander von Schönburg heute in seinem Beitrag zur „Bild“-Eigen-PR-Kampagne, in dem er vor allem den „einzigartigen Erfolg“ von “Bild” besingt.

BILD zielt nicht nur auf den Verstand, sondern tiefer. Aufs Herz.

Insofern hat BILD die Kernidee seines Gründers doch bewahrt. Er schuf eine Zeitung, die unmittelbarer mit dem Leser kommuniziert.

Ein Beispiel:

Jede Zeitung der Welt druckte das Foto von Willy Brandts historischem Kniefall 1970 in Warschau. Aber nur in BILD wurde beschrieben, wie ihm Tränen in die Augen schossen.

Gut, und in der “Süddeutschen Zeitung”.

Ein Alleinstellungsmerkmal gab’s damals aber dennoch: Nur der damalige Chefredakteur von „Bild“ polterte kurz nach dem Kniefall:


Aber das erwähnt Alexander von Schönburg in seiner „Bild“-Hymne natürlich genauso wenig wie die spätere Verwendung des Kniefall-Fotos durch “Bild” – und hebt stattdessen zum großen, schleimigen Finale an:

Durch ihre Zeilen gibt BILD den Fotos emotionale Kraft. Aber ohne diese Fotos ist BILD nicht mehr BILD.

BILD ist täglich erlebte Geschichte. Weil sie Geschichte fühlbar macht.

Und weil Mitfühlen so ziemlich das Menschlichste ist, dessen wir fähig sind, ist BILD eben in allererster Linie vor allem das – menschlich.

Aus der Veröffentlichung von Leichenfotos einen Beleg für die eigene “Menschlichkeit” zu basteln — stimmt: Das bringt tatsächlich nicht jeder.

Mit Dank an alle Hinweisgeber!

Siehe auch: Die Bild zeigt keine Fotos — wie schön! (Jonas Jansen auf medium.com)

Wenn die Polizisten zweimal räumen

Heute morgen haben ungarische Polizisten den Budapester Ostbahnhof geräumt. Flüchtlinge, die zum großen Teil von dort mit der Bahn über Österreich nach Deutschland fahren wollen, sitzen momentan in der ungarischen Hauptstadt fest.

Bild.de berichtete über die Polizeiaktion im und am Bahnhof — und kündigte das Ganze heute Vormittag so auf der Startseite an:

(Klicken für größere Version.)

Ungarische Polizisten, denen Kameraobjektive aus dem Hals wachsen, Beamte ohne Gesichter oder mit Doppelgänger. Ganz offensichtlich hat Bild.de an dem Foto der Agentur “Reuters” rumgedoktort.

Diese Bildmanipulation dürfte für die Flüchtlinge keine negativen Folgen haben; wenn überhaupt wird hier das Polizeiaufgebot dramatischer dargestellt, als es in diesem Moment tatsächlich war. Vor allem die ungarische Polizei hätte also wohl Grund zur Beschwerde. Aber mal unabhängig von Vor- oder Nachteilen: Mit einer möglichst objektiven Abbildung der wirklichen Situation am Budapester Ostbahnhof hat das Vorgehen von Bild.de nichts zu tun.

Mit viel Wohlwollen könnte man diese Bildfälschung auf das extreme Querformat schieben, das die Redaktion für ihre Vorschaufotos benötigt. Das erklärt aber lange nicht, warum das Bild.de-Team auch noch an anderer Stelle Pixel verschoben hat: Vergleicht man das Originalfoto von “Reuters” (in verlinkten Fall lediglich an der oberen und der unteren Kante leicht beschnitten) mit der Version von Bild.de, sieht man, dass die Lok im Original viel weiter links steht. Eine ganze Reihe von Flüchtlingen, die oberhalb des Mannes im blauen T-Shirt stehen, der im nächsten Moment in die Hände zu klatschen scheint, wurde rausretuschiert.

Mit Dank an Christian!

Nachtrag, 2. September: Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt hat sich für den “Fehler” entschuldigt:

Auf unsere Nachfrage …

… hat er allerdings nicht mehr reagiert.

Boulevardmäuse in Klickfabriken, Windows-Mythen, Plagiate

1. Der Journalismus im Internet ist eine Enttäuschung. Denn damit Du diesen Text liest, brauchst Du so eine Schlagzeile.
(medienwoche.ch, Ronnie Grob)
Ronnie Grob ist enttäuscht vom Onlinejournalismus: “Vielleicht muss ich einigen Kritikern des Internets recht geben. Denn die großen, mit der Explosion von Möglichkeiten im Internet geschmiedeten Träume konnten bisher nicht erfüllt werden.” Trotz der grenzenlosen Möglichkeiten des Internets seien viele Online-Journalisten “kleine Boulevardmäuse geblieben, bemitleidenswerte Klickfabrik-Arbeiter”. Der “große Teil des wertvollen Journalismus” finde immer noch offline statt, “und zwar oft auf Papier”. Der Beitrag ist der Auftakt einer Serie, in der die “Medienwoche” beleuchten will, wie das Internet den Journalismus verändert hat.

2. Tagebau von Presse befreit
(taz.de, Malte Kreutzfeld)
Am Samstag demonstrierten in Garzweiler rund 1000 Menschen gegen Braunkohleabbau. Journalisten, die über die Protest-Aktion berichten wollten, wurden dabei offenbar massiv behindert und eingeschüchtert: “Eine Reporterin, die für die Tageszeitung Neues Deutschland und das Online-Magazin klimaretter.info schreibt, wurde nach eigenen Angaben im Tagebau ohne erkennbaren Grund aus nächster Nähe mit Pfefferspray besprüht und konnte ihre Arbeit nicht fortsetzen.” Auch eine Redakteurin der dänischen Tageszeitung Dagbladet Information habe stundenlang gefesselt in einem Polizeikessel ausharren müssen. Die betroffenen Medien haben sich nun beim nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger beschwert und eine Stellungnahme eingefordert.

3. Plagiarismus, getarnt als Recherche
(faz.net, Frank Fischer und Joseph Wälzholz)
Der Autor und Bachmannpreisträger Tex Rubinowitz hat sich anscheinend nicht nur für seinen Text im “SZ Magazin” vom Metafeuilleton “Der Umblätterer” inspirieren lassen, sondern auch ganze Absätze seines aktuellen Buches aus der Wikipedia abgeschrieben: “Jedenfalls könnte man ‘Irma’ streckenweise auch ‘Irmapedia’ nennen, denn was darin zum Haussperling, zu ‘Deep Space Nine’, zu Mary Hopkin, zu Bruce Dickinson, zu den Najaden und noch zu ein paar anderen Sachen steht, ist wieder satzweise und ohne Quellenangabe aus der Wikipedia rausgeklaubt.”

4. Fünf falsche Windows 10 Mythen: Wenn für Klicks die Journalistenethik mit Füßen getreten wird
(wprea.de, Albert Jelica)
Vor genau drei Wochen wurde Windows 10 veröffentlicht, und seitdem reißt die Kritik nicht ab. Verbraucherschützer warnen vor der “Datenschleuder”, Tech-Blogs und Online-Medien sind voll mit Ratgebern, “wie Sie Windows 10 am Spionieren hindern”, viele Kunden sind mittlerweile ernsthaft verunsichert und zögern das Update heraus. Doch ist Microsoft wirklich daran interessiert, seine Nutzer zu überwachen und mit den Daten Geld zu verdienen? “Manche Kritik ist sicher berechtigt”, bilanziert Albert Jelica, nachdem er fünf weit verbreitete Mythen näher beleuchtet hat. Doch bei der “Dichte an Falschmeldungen ist an Flüchtigkeitsfehler mittlerweile schwer zu glauben. Die neue Währung im Online-Journalismus heißt Click und um diese zu generieren, treten viele Journalisten ihre Berufsethik mit Füßen.”

5. Warum wir über “Nazi-Patrouillen in Dortmund” nicht berichtet haben
(deutschlandfunk.de, Marco Bertolaso)
“Es ist immer eine Gratwanderung und keine leichte Abwägung. Über wichtige Themen müssen und wollen wir berichten. Wir machen aber keine PR. Erst recht nicht für Rechtsextreme in Dortmund.”

6. Julian Reichelt, der gute Mensch von bild.de
(leogfischer.com, Leo Fischer)

Sportjournalismus, Lokalmedien, “Wahrheit” über Cannabis

1. Hetzt die “Bild”-Zeitung gegen Flüchtlinge?
(de.nachrichten.yahoo.com, Jan Rübel)
Ex-Springer-Mitarbeiter Jan Rübel hat sich einige differenzierte Gedanken zu unserer Auseinandersetzung mit Bild.de-Chef Julian Reichelt gemacht.

2. Der Sportjournalismus trägt Mitschuld an der Doping-Problematik
(andreasgriess.de, Andreas Grieß)
Auf die jüngsten Doping-Enthüllungen der ARD reagierten viele Vertreter der Leichathletik-Verbände empört. Das deute “eklatant darauf hin, dass diese Menschen kritischen Journalismus gar nicht gewohnt sind”, glaubt Andreas Grieß. Es sei kein Zufall, dass der Doping-Skandal von einem “kritischen Außenstehenden” aufgedeckt wurde, und nicht etwa von einem Leichtathletik-Journalist. Sein bitteres Fazit: “Damit passiert auch im Sport, was bereits im Lokalen geschieht: Es wird kaputt gespart. Es gibt in Deutschland Sportberichterstattung, aber kaum Sportjournalismus.”

3. Bitte, kein Kommentar!
(de.ejo-online.eu, Fabian Prochazka und Patrick Weber)
Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim wollen herausgefunden haben, dass sich das Niveau der Leserkommentare auf Nachrichtenseiten auf die wahrgenommene Qualität der Artikel auswirkt: Je mehr Trolle, desto schlechter werden auch die Texte beurteilt. Besonders erstaunlich: “Auch höfliche Kommentare und solche mit Argumenten verschlechtern die wahrgenommene Qualität eines Artikels im Vergleich zu einer Version ganz ohne Kommentare.”

4. Trennung zwischen Arm und Reich wirkt sich auf Lokalnachrichten aus
(netzpiloten.de, Laura Hazard Owen)
Wohlhabende Städte haben besseren Zugang zu Lokaljournalismus, dort werden die Bewohner häufiger und umfassender informiert, als in ärmeren Städten. Allerdings ist die Stichprobe der Rutgers-Untersuchung sehr klein, nur drei Städte im US-Bundesstaat New Jersey wurden untersucht. Trotzdem müsse man anhand dieser Ergebnisse annehmen, dass die demokratischen Werkzeuge nicht gleichmäßig verteilt sind, sagt Philip M. Napoli, Professor für Journalismus und Leiter der Studie – “was uns Sorgen machen sollte”.

5. Germanwings: Klage gegen “Österreich” wegen falschem Co-Piloten
(derstandard.at)
Nach dem Germanwings-Unglück hatten unter anderem die “Kronen Zeitung” und “Österreich” das unverpixelte Foto eines Mannes gedruckt, das aber nicht, wie angegeben, den Co-Piloten Andreas L. zeigte, sondern einen Unbeteiligten. Mit der “Krone” gab es eine außergerichtliche Einigung, “Österreich” steht nun vor Gericht.

6. Sagt die Bild wirklich “die Wahrheit über Cannabis”?
(vice.com, Michael Knodt)
“Zugegeben, ein wenig mehr Mühe als sonst hat die Redaktion sich im Rahmen der Recherche schon gegeben. Aber man muss nicht lange lesen, um zu verstehen, dass die Bild immer noch keine Ahnung von Weed hat.”

Wie “Bild” den Hass gegen Flüchtlinge schürt (2)

“Bild”-Online-Chef Julian Reichelt hat unseren Beitrag “Wie ‘Bild’ den Hass gegen Flüchtlinge geschürt” gelesen und bei Facebook einen langen Kommentar dazu geschrieben, der von den vielen guten Taten der “Bild”-Zeitung außerhalb der “Bild”-Zeitung handelt.

Reichelt schreibt zum Beispiel:

In der syrischen Provinz Aleppo betreiben wir mit „Ein Herz für Kinder“ mehrere Schulen, in denen nahezu ausschließlich Flüchtlingskinder betreut werden. Wir bezahlen Lehrer, Schulbücher, Zelte, Heizkosten, um das letzte bisschen Alltag aufrecht zu erhalten, das diesen Kindern geblieben ist.

Und:

Eines der letzten Krankenhäuser in Aleppo, das unter schlimmsten Umständen Patienten behandelt, darunter unzählige Flüchtlinge, arbeitet mit Geräten, die ich in dieses Krankenhaus gebracht habe. Als ich das letzte Mal dort war, wurde einer jungen Frau ein Tumor aus der Brust entfernt. Sie war aus einer Nachbarstadt nach Aleppo geflüchtet, weil die medizinische Versorgung in ihrer Heimatstadt komplett zusammengebrochen war. Beatmet wurde sie mit einem mechanischen Beatmungsgerät der Bundeswehr aus den 60er-Jahren, das wir über einen Mittelsmann beschafft und persönlich nach Aleppo geliefert hatten. Diese Geräte sind bei den Ärzten in Aleppo besonders beliebt, weil sie keinen Strom brauchen.

Und:

Letzte Woche kam ein junger Mann aus Syrien in Berlin an. Zwei wundervolle Kollegen von mir haben ihn beherbergt, die nächsten Nächte haben wir ihn im Hotel einquartiert, dann ist meine Kollegin mit ihm erst zum Anwalt und anschließend zur zuständigen Behörde gegangen. Wir haben uns darum gekümmert, dass er nicht zurück nach Ungarn muss, wo er misshandelt worden ist. Auf Kurzwahl hat er in seinem Handy eine Nummer von uns, die er rund um die Uhr anrufen kann, falls er Probleme hat – egal ob mit Behörden oder (ohne das in irgendeiner Weise gleichsetzen zu wollen) mit Fremdenfeindlichkeit.

Und:

Es gibt zahlreiche solcher Fälle, in denen wir bei BILD uns für Flüchtlinge eingesetzt haben, weit über unsere Berichterstattung hinaus. Niemand bei BILD erwartet dafür einen Dank. Wir tun es, weil es das Richtige ist. Was ich persönlich allerdings erwarte, ist, dass wir dafür nicht von Schreibtisch-Ideologen wie Mats Schönauer und Stefan Niggemeier verunglimpft und als Flüchtlingshasser verleumdet werden.

Wenn Mats Schönauer und Stefan Niggemeier auch nur einen Funken von dem Anstand hätten, den sie uns absprechen, würden sie sich für ihre üblen, völlig haltlosen Unterstellungen entschuldigen. Aber das wird nicht passieren.

Stimmt: wird es nicht. Aber nicht aus mangelndem Anstand, sondern weil Julian Reichelt unseren Text offenkundig nicht verstanden hat. Wir werfen „Bild“ und ihm ja nicht vor, „Flüchtlingshasser“ zu sein. Sondern den Hass zu schüren, indem sie bewusst Fakten verschweigen oder verdrehen, um aufregende Schlagzeilen präsentieren zu können — die dann wiederum in Sozialen Netzwerken und den Köpfen vieler Leser die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizen.

Es geht nicht um das persönliche Engagement von Reichelt und seinen Kollegen. Es geht um die publizistische Verantwortung der „Bild“-Zeitung.

Da das ja offenbar so schwer zu verstehen ist, hier nochmal ein Beispiel. Vor ein paar Monaten schrieb „Bild“, in Bautzen müssten die Sanitäter jetzt schon kugelsichere Westen tragen — „AUS ANGST VOR ATTACKEN IM ASYL-HOTEL“. Der Artikel ist (wie BILDblog-Leser wissen) in mehrerer Hinsicht falsch, zum Beispiel ist das Haus keine „Vier-Sterne-Herberge“ mehr, sondern ein ausrangiertes Hotel ohne Schnickschnack. Vor allem aber wurden die Westen laut DRK nicht aus Angst vor den Flüchtlingen angeschafft, sondern zum generellen Schutz der Sanitäter.

Flüchtlingshassern dient der Text seitdem als schlagkräftiges „Argument“. Julian Reichelt weiß das alles, und im BILDblog-Eintrag, den er jetzt kritisiert, fragen wir, warum der Artikel trotzdem seit Monaten unverändert online ist. Darauf ist er leider mit keinem Wort eingegangen.

Genauso wenig wie auf diesen Artikel, den wir im Eintrag ebenfalls kritisiert haben:

So stand es in der Hamburger “Bild”-Ausgabe und so steht es immer noch auf Reichelts Bild.de. Was beide jedoch verschweigen: Diese Kulanz-Regel gilt nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für alle anderen, die aufgrund von Sprachproblemen oder aus anderen guten Gründen versehentlich mit ungültigem Ticket unterwegs sind.

Aber davon bekamen die besorgten “Bild”-Leser nichts mit – und reagierten so:


Und was steht heute in der Hamburger “Bild”?

Flüchtlinge kontrolliert der HVV mit Augenmaß.

Was bedeutet, er lässt sie laufen, wenn sie ohne gültigen Fahrausweis sind, an den komplizierten Automaten und dem undurchsichtigen Tarifsystem scheiterten.

Mit so viel Nachsicht kann der nur sporadisch und deshalb ebenso kenntnisarme einheimische HVV-Nutzer nicht rechnen. Der hat zwar keine Sprachschwierigkeiten, steht aber oft verständnislos vor den unbemannten Bahnhöfen.

Ich würde wirklich gerne glauben, dass es dem Bild.de-Chef und seinen Kollegen ein Anliegen ist, die Situation der Flüchtlinge in Deutschland zu verbessern. Aber mit solchen Geschichten bewirken sie genau das Gegenteil. Auch wenn Julian Reichelt diesen Zusammenhang einfach nicht erkennen will.

Von “Meedia” auf die “unterschiedlichen Tonalitäten in der Bild-Berichterstattung” angesprochen, sagte Reichelt übrigens:

Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, Sachverhalte zu verschweigen oder gar aus dem Internet zu tilgen. Wir berichten über das, was ist.

Eben nicht. Wenn es sich verkaufen lässt, weil es die Ressentiments der Leute bedient, berichtet “Bild” über das, was nicht ist. Und genau das ist das Problem.

Wie “Bild” den Hass gegen Flüchtlinge schürt

Es sind ungewohnte Töne von Julian Reichelt. In letzter Zeit macht sich der „Bild“-Online-Chef immer wieder für Flüchtlinge stark, er erklärt:

Oder:

Auch sonst geben sich „Bild“-Medien sichtlich Mühe, dem lauter werdenden Fremdenhass im Land etwas entgegenzustellen; sie wettern gegen die „Pegida-Idioten“, versuchen sich an entlarvenden Faktenchecks, erzählen rührende Positiv-Geschichten, machen auf das Leid der Geflüchteten aufmerksam und kritisieren das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“.

Dagegen ist auch erstmal nichts zu sagen. Bloß wäre dieses Engagement viel glaubwürdiger und vor allem: wirksamer, wenn „Bild“ nicht gleichzeitig an vielen Stellen genau diesen Hass, die Feindbilder und die Ressentiments gegen Flüchtlinge befeuern würde.

Sie erinnern sich vielleicht an den Artikel, den die Dresdner „Bild“-Ausgabe vor gut einem Jahr veröffentlicht hat:

Obwohl schnell klar war, dass die Schutzwesten nicht aus Angst vor den Flüchtlingen angeschafft wurden, sondern zum generellen Schutz der Rettungskräfte, und obwohl auch „Bild“ weiß, dass es in Wahrheit keine Vier-Sterne-Luxusbude mehr ist, sondern ein ausrangiertes Hotel ohne jeden Schnickschnack, und obwohl der Artikel mit diesen falschen Behauptungen nachweislich die Stimmung gegen Flüchtlinge anheizt, ist er immer noch online.

Wenn den „Bild“-Leuten und vor allem ihrem Online-Chef so viel daran gelegen ist, den Flüchtlingen zu helfen, warum korrigieren oder löschen sie den Artikel nicht einfach?

Und generell die ganzen Geschichten, die von den „Bild“-Medien in die Welt gelogen wurden und heute genau jenen als Argumentationshilfe dienen, die gegen die „Überfremdung“ unseres Landes zu Felde ziehen.

Also wenn es in diesem Land jemanden gibt, der das „geschmacklose Spiel mit Angst und Vorurteilen“ beherrscht, dann ist das die “Bild”-Zeitung.

Ein anderes Beispiel. Anfang vergangener Woche erschien in „Bild“ Hamburg und bei Bild.de ein Artikel über den Hamburger Verkehrsbund (HVV):

Aus Angst vor „schlechter Presse“ hat der HVV hat seine Fahrkartenkontrolleure angewiesen, bei Flüchtlingen, die ohne Ticket angetroffen werden, ein Auge zuzudrücken.

Das geht aus einem internen Schreiben des Unternehmens hervor, das BILD vorliegt. Wörtlich heißt es darin: Bei „Asylsuchenden“ müsse man „viel „Augenmaß walten lassen“, da viele von Ihnen „Opfer von professionellen Fahrkartenfälschern“ würden oder „nachvollziehbar kaum Kenntnisse“ von der HVV-Tarifstruktur hätten.

Dann, wie üblich, ein schockierter Politiker:

Das will CDU-Verkehrsexperte Dennis Thering (31) so nicht stehen lassen: „Die ,Augen-zu-Anweisung‘ muss zurückgenommen werden. Es gibt in Hamburg die Möglichkeit, eine vergünstigte HVV-Zeitkarte zu erwerben, explizit auch für Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.“

Und der Artikel schließt mit der Bemerkung:

In der Tat erhält jeder neu ankommende Flüchtling 149 Euro Taschengeld pro Monat. Davon sind nach Angaben der Sozialbehörde 25,15 Euro für Fahrkarten im Nahverkehr vorgesehen.

Die haben also — in der Tat — genug Geld, die Flüchtlinge. Und dann kommt der HVV auf die Idee, sie alle schwarzfahren zu lassen, damit es keine negativen Artikel gibt? Und der arme Deutsche muss wieder blechen?

Soweit — und so verzerrt — die Version der „Bild“-Zeitung.

Was das Blatt nämlich nicht erwähnt: Es sind nicht nur Flüchtlinge, bei denen der HVV „ein Auge zudrückt“, sondern alle Leute, die aufgrund von Sprachproblemen oder aus anderen guten Gründen versehentlich ein ungültiges Ticket dabeihaben.

„Egal ob Hamburger oder Flüchtling oder Tourist“, erklärte uns der HVV-Sprecher auf Nachfrage, “da machen wir keinerlei Unterschied”. Wer zum Beispiel glaubhaft versichern könne, dass er Opfer von Fälschern wurde oder sich beim Fahrkartenkauf vertan hat, dürfe mit der Kulanz der Kontrolleure rechnen, das gelte für alle und sei schon immer so gewesen.

Mit dem internen Schreiben (hier im Wortlaut) habe der HVV lediglich der aktuell hohen Zahl von Flüchtlingen Rechnung tragen und die Mitarbeiter daran erinnern wollen, dass bei den Kontrollen Fingerspitzengefühl gefragt sei. Es sei auch nicht aus Angst vor schlechter Presse verschickt worden, sondern „aus Überzeugung“. Der HVV-Sprecher:

Ich kenne den Kollegen, der das Schreiben verschickt hat. Der hat vor Kurzem miterlebt, wie verängstigt einige Flüchtlinge waren, als sie, umringt von Uniformierten, am Bahnsteig kontrolliert wurden, da dachte er sich einfach: „Da muss man was tun“ und hat dann das Schreiben verschickt, um die Kollegen für die spezielle Situation zu sensibilisieren.

Das alles hätte der „Bild“-Reporter auch erfahren, wenn er beim HVV nachgefragt hätte. Aber das hat er laut HVV nicht.

So reißt “Bild” das Dokument aus dem Zusammenhang und erweckt den Eindruck, die Flüchtlinge bekämen eine ungerechtfertigte Extrawurst.

Die Reaktionen auf den Artikel sehen übrigens so aus:















Das ist nur eine winzige Auswahl. Auf der Facebookseite der Hamburger “Bild” stehen noch über 900 weitere Kommentare, viele davon gehen in die gleiche Richtung. In den Sozialen Medien, in Foren und in analogen Diskussionen ist die “Nachricht”, dass “die Flüchtlinge jetzt sogar offiziell schwarzfahren dürfen”, zu einem weiteren Scheinargument geworden, mit dem der Hass genährt wird.

Auch der HVV habe aufgrund der Berichterstattung Dutzende Hassbriefe und -mails bekommen, sagte uns sein Sprecher, die meisten davon seien „offen rassistisch“.

Die Hütte brennt, “Bild” schüttet Benzin nach, und Julian Reichelt steht davor und tut so, als wolle er löschen.

Mit Dank an Lars W.

Siehe auch: Schlechte Presse, Lügenpresse und der HVV (“Eimsbütteler Nachrichten”)

Nachtrag, 17. August: Julian Reichelt hat auf unsere Kritik reagiert. Nur verstanden hat er sie nicht.

“Bild” pfeift aufs Gericht – und zeigt das Gesicht

Heute hat vor dem Oberlandesgericht in Celle der Prozess gegen zwei mutmaßliche „IS“-Rückkehrer begonnen. „Mitgliedschaft in terroristischer Vereinigung und Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat“ lautet der Vorwurf, entsprechend groß ist das Interesse der Medien.

In einer Anordnung hatte das Gericht zuvor festgelegt, dass die Angeklagten nur verpixelt gezeigt werden dürfen. Die dpa hat sich daran gehalten und die Fotos nur mit Unkenntlichmachung veröffentlicht.

„Bild“ — n a t ü r l i c h — nicht.

Inzwischen hat Bild.de das Foto ausgetauscht — und zeigt jetzt eins, auf dem der Mann noch besser zu erkennen ist.

(Der Vollständigkeit halber: Unkenntlichmachungen von uns.)

Nun könnte man argumentieren, dass sich der Angeklagte vor etwas mehr als zwei Wochen ja auch von der “Süddeutschen Zeitung” und dem NDR hat fotografieren und filmen lassen. Die Leute von “Bild” aber begründen die Missachtung der gerichtlichen Anordnung so:

Die blutigen Bilder seiner Kämpfer präsentiert ISIS regelmäßig im Internet, prahlt damit, rekrutiert neue Mitglieder. Doch stehen zwei dieser Kämpfer in Deutschland vor Gericht, sollen sie plötzlich unkenntlich gemacht werden? Da macht BILD nicht mit.

Mit Dank auch an Wolfram S., @RamisOrlu, Sebastian R., Bernhard W., Heinz B., Christian M. und Daniel!

Nachtrag, 16.55 Uhr: Inzwischen haben wir auch die sitzungspolizeiliche Anordnung des Gerichts gefunden (PDF). Darin steht:

Bei den Filmaufnahmen ist sicherzustellen, dass das Gesicht der Angeklagten vor der Veröffentlichung und vor einer Weitergabe der Aufzeichnungen an Fernsehveranstalter oder andere Medien durch ein technisches Verfahren anonymisiert wird und nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich ist.

Das habe der Senat aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes entschieden, erklärte uns die Gerichtssprecherin, und dabei sei ihm durchaus bewusst gewesen, dass einer der Angeklagten bereits im Fernsehen zu sehen gewesen sei.

Und was hält das Gericht von der Veröffentlichung? Die Gerichtssprecherin: “Die Anordnung ist seit Wochen für jeden zugänglich. Mit der Veröffentlichung wurden die Auflagen nicht eingehalten.”

Auf die Frage, ob “Bild” nun mit Konsequenzen rechnen muss, verwies die Sprecherin auf einen weiteren Punkt in der Anordnung, in der es heißt:

Kommen akkreditierte Pressemitarbeiter den Aufforderungen nicht nach, so können ihre Presse- und Medienunternehmen die Akkreditierung verlieren. Darüber entscheidet der Vorsitzende.

Nachtrag, 18:40 Uhr. “Bild” ist nun tatsächlich vom Prozess ausgeschlossen worden. Das hat der Vorsitzende Richter entschieden, wie uns die Gerichtssprecherin bestätigte.

Nachtrag, 4. August: In der heutigen Ausgabe nennt “Bild” die Sache einen “Eklat vor Gericht”, und Bild.de-Chef Julian Reichelt beklagt sich erwartungsgemäß über den …

Nun will das Gericht die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten schützen. Die Medien sollen diese Männer, die sich der schlimmsten Terrororganisation der Welt angeschlossen haben, nur gepixelt zeigen.

BILD hat sich dieser Anordnung widersetzt – und wurde deswegen vom Prozess ausgeschlossen. Mit Verlaub, Herr Richter Meier, damit schützen Sie die Falschen.

Wenn ISIS seine blutrünstigen Taten verübt, posieren die Täter mit abgeschlagenen Köpfen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Wenn die Terroristen sich aber vor einem deutschen Gericht für ihre Taten verantworten sollen, dürfen sie plötzlich nicht mehr erkannt werden? Das ist absurd!

BILD wird sich gegen diese Entscheidung wehren. Sie ist ein Angriff auf die Pressefreiheit!

“Bild” am Grab von Andreas L.

Am vergangenen Samstag ist Andreas L., der Co-Pilot der Germanwings-Maschine 4U9525, auf dem Friedhof seiner Heimatstadt beerdigt worden.

Die „Rhein-Zeitung“ wusste schon ein paar Tage zuvor davon, hat es aber für sich behalten, „damit seine Familie und seine Freunde in Ruhe Abschied von ihm nehmen konnten“, wie Chefredakteur Christian Lindner erklärte. Gestern hat die Zeitung lediglich einen kurzen Satz über die Beerdigung geschrieben, der im Grunde nur die Information enthielt, dass sie stattgefunden hat.

Für dieses Vorgehen hat die Redaktion viel Lob bekommen. Auch wir wurden mehrfach darauf hingewiesen, da könnten wir doch ruhig mal über ein positives Beispiel berichten. Machen wir ja auch gerade, aber gezögert haben wir schon, und so ganz können wir die Begeisterung immer noch nicht teilen.

Erst einmal: So sah das Ganze gestern aus:

Die Meldung steht rechts oben, über der weißen Fläche:

Co-Pilot ist in seiner Heimat beerdigt worden
Montabaur. Der Germanwings-Co-Pilot Andreas L. (29), der im März 149 Menschen mit Absicht in den Tod geflogen hat, ist am Samstag in aller Stille in seiner Heimatstadt Montabaur beerdigt worden.*

Unter der weißen Fläche steht:

*Die Redaktion dieser Zeitung wusste vorab von dem Begräbnis. Wir haben uns dafür entschieden, darüber nur mit einem Satz zu berichten. Mehr zu unserer Entscheidung auf Rheinland-Pfalz

Im Innenteil schreibt Chefredakteur Lindner dann „in eigener Sache“ (online kostenpflichtig):

Ein Satz.
Das genügt.

Verantwortungsvolle Journalisten zeichnen sich auch durch Haltung aus. Gute Redaktionen reagieren auch im Internetzeitalter überlegt statt übereilt. Seriöse Zeitungen und Webseiten machen bewusst nicht alles, was möglich wäre.

Ganz in diesem Sinne hat die Redaktion dieser Zeitung nachgedacht, abgewogen, entschieden und gehandelt, als wir schon vor einigen Tagen erfuhren, dass der Co-Pilot Andreas L. (…) in seiner Heimatstadt Montabaur beerdigt wird. Wir haben diese Information bis zwei Tage nach der Beerdigung für uns behalten. Damit seine Familie und seine Freunde in Ruhe Abschied von ihm nehmen konnten. Damit die Weltpresse bei diesem Begräbnis nicht erneut über Montabaur herfällt. Damit Privates privat bleibt und nicht ohne Not und ohne Sinn öffentlich wird.

Ja, wir hätten aus der Ferne Fotos von der Beerdigung machen können. Ja, wir hätten die Beerdigung als einziges Medium beschreiben können. Ja, wir hätten die Bilder weltweit verkaufen, hätten unseren exklusiven Text deutschlandweit und auch international vermarkten können.

Auf all das haben wir bewusst verzichtet.

Das klingt alles sehr reflektiert, es klingt aber auch so, als solle man der „Rhein-Zeitung“ jetzt ganz doll dankbar sein. Aber wofür? Dafür, dass sie die Weltpresse doch nicht auf die Trauernden gehetzt hat? Dass sie sich dagegen entschieden hat, Kapital aus dem Leid der Angehörigen zu schlagen?

Auf all das haben wir bewusst verzichtet. Stattdessen setzen wir in der knappestmöglichen Form einen Schlusspunkt in diesem Drama um Flug 4U 9525 – indem wir in gerade mal in einem Satz melden, dass Andreas L. nun seine letzte Ruhe gefunden hat. Und wir machen unseren bewussten Verzicht auf jede weitere Zeile – auch stellvertretend für die vielen respektvollen Publikationen der Medienbranche – mit einem weißen Raum auf der Titelseite unserer Zeitung deutlich. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung 1946 überhaupt.

Nun ja. Kann man natürlich machen. Kann man aber auch lassen.

Wenn sich ein Koch abends ins Restaurant stellt und sich damit brüstet, dass er heute niemandem ins Essen gespuckt hat, dann ist das sein gutes Recht. Aber isst man nicht doch lieber dort, wo man das Gefühl hat, dass es keine Besonderheit ist, nicht ins Essen zu spucken, sondern der Normalzustand?

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Es ist toll, dass die „Rhein-Zeitung“ darauf verzichtet hat, etwas Schlimmes zu tun. Aber wir fänden es noch toller, wenn sie das als Selbstverständlichkeit betrachten würde. Das ist der Grund, warum wir uns etwas schwer damit tun, die „Rhein-Zeitung“ für diese Sache so zu feiern, wie sie es selbst tut. Aber das sind natürlich alles Maßstäbe für den Bereich des verantwortungsvollen Journalismus.

Nicht für die „Bild“-Zeitung.

Die hat das mit der Beerdigung gestern auch mitbekommen. Und sieht heute so aus:

Innen zeigt „Bild“ das Grab nochmal groß aus einer anderen Perspektive, der letzte Gruß der Eltern an ihren toten Sohn prangt als riesige Überschrift über dem Artikel.

Auch Bild.de zeigt das Grab groß auf der Startseite …

… den Rest gibt es aber nur gegen Bezahlung:

Wer alles zur Beerdigung kam, wie sich Verwandte und Freunde von dem Amok-Flieger verabschiedeten und was die Angehörige eines Friedhofsnachbarn sagt, lesen Sie mit BILDplus!

Die Fotos kommen übrigens von „Bild“-Fotograf Jürgen Mahnke — bisheriges Schaffen (Auszug): „Die schlimmsten Schießereien im Rhein-Main-Gebiet“, „Die spektakulärsten Unfälle im Rhein-Main-Gebiet“, „Die schlimmsten Bus-Unglücke im Rhein-Main-Gebiet“, „Die spektakulärsten Sportwagen-Unglücke im Rhein-Main-Gebiet“, „Die schlimmsten Tankzug-Unglücke im Rhein-Main-Gebiet“, „Die wildesten Verfolgungsjagden im Rhein-Main-Gebiet“, „Die gefährlichsten SEK-Einsätze im Rhein-Main-Gebiet“, „Die blutigsten Messerstechereien im Rhein-Main-Gebiet“.

Mahnke hat das Grab des Co-Piloten aus mehreren Perspektiven fotografiert, die Kränze und Blumen der Angehörigen, auch den Zettel, mit dem die Friedhofsverwaltung darauf hingewiesen hat, dass der Friedhof am Samstag gesperrt sei, und beim Grabschmuck der Freundin ist der Fotograf extra nah rangegangen, damit man ihre Abschiedsworte auch schön nachlesen kann (immerhin: die Namen der Angehörigen hat Bild.de verpixelt).





Wenn man das so sieht, lässt sich erahnen, was los gewesen wäre, wenn die Weltpresse doch vorher Wind von der Sache bekommen hätte, und irgendwie sind wir der “Rhein-Zeitung” dann doch dankbar.

Mit Dank auch an Christian P., Geesej R. und Markus G.!

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