Suchergebnisse für ‘Julian Reichelt’

Sprache der Flüchtlingspolitik, Kalte Liebe für Brexit, Lothars Siegtreffer

1. Monsterworte
(spiegel.de, Georg Diez)
Georg Diez schreibt über die Sprache der Flüchtlingspolitik: “Sie denken sich immer neue Monsterworte aus, diese Politiker, um ihre Verantwortung zu verschleiern, schreckliche, technokratische, sterile, bürokratische Maßnahmenworte, Umsetzungsworte, Tatenworte ohne Taten, denn es ist allein die Fiktion von Autorität, die in Worten wie “Masterplan” steckt oder “Ausschiffungsplattform” oder “Ankerzentren” — schlimmer noch, es sind Worte, die einen Rechtsbruch in abwaschbare Sprache verkleiden und so tun, als sei dieser tatsächliche Rechtsbruch die geeignete Maßnahme, um einen fiktiven Rechtsbruch zu bekämpfen.”
Weiterer Lesetipp: Bei “Flüchtlingsforschung gegen Mythen” diskutieren WissenschaftlerInnen Behauptungen aus der Flüchtlingsdebatte. Aktuell in der siebten Ausgabe.

2. Gegendarstellung
(martinsonneborn.de)
Gibt es im Europaparlament immer mehr Fraktionen und Fraktionslose, wie die “FAZ” einen CDU-Abgeordneten zitiert? Martin Sonneborn, fraktionsloses Mitglied im EU-Parlament (Die Partei), widerspricht dem in seiner “Gegendarstellung” und räumt mit aus seiner Sicht weiteren Lügen und Mythen auf.

3. Die kalte Liebe der Medien gegenüber dem Brexit
(nzz.ch, Felix Simon)
Europäische Medien zeichnen sich in Bezug auf den Brexit vor allem durch leidenschaftslose Distanz aus, schreibt Felix Simon. Laut einer neuen Studie würden Fernsehsender, Zeitungen und Online-Medien in acht europäischen Ländern neutral und faktenbasiert berichten — was sich von der Berichterstattung einiger grosser Zeitungen der Insel nicht unbedingt behaupten lasse.
Weiterer Lesetipp: Nach 26 Jahren im Amt tritt der englische Journalist Paul Dacre als Chefredakteur des konservativen Boulevardblatts “Daily Mail” zurück: Eine Pro-Brexit-Stimme wird leiser (nzz.ch, Rolf Hürzeler)

Und für Brexit-Interessierte die aktuelle Meldung: Brexit-Minister David Davis tritt zurück (spiegel.de)

4. Stichwortgeber für die rechte Blase
(taz.de, Lalon Sander)
“Bild” ist oft Stichwortgeber für die rechte Blase, übernimmt jedoch auch Meinungen von dort. Ein Beispiel dafür sei “Bild”-Boss Julian Reichelt höchstpersönlich, der mit seinen Tweets immer wieder Lautsprecher und Stichwortgeber für Deutschlands Rechte sei, so Lalon Sander in seiner “Right Trash”-Kolumne.

5. “Sie sollten Gott danken, dass es hier in Deutschland kein Fox News gibt”
(deutschlandfunkkultur.de, Mike Herbstreuth & Teresa Sickert, Audio, 15:59 Minuten)
Der US-Journalismusforscher Jay Rosen untersucht, wie sich das deutsche und das US-amerikanische Mediensystem voneinander unterscheiden. Zurzeit befindet er sich zu Studienzwecken in Deutschland. Bei “Deutschlandradio Kultur” spricht er über seine Eindrücke und Erkenntnisse: “Egal ob Sie religiös sind oder nicht, sollten Sie Gott danken, dass es hier in Deutschland kein Fox News gibt.”
Weiterer Lesetipp: Auf “Der rechte Rand” geht es aktuell um die Printversion des rechtskonservativen Onlineblogs “Tichys Einblick”. (der-rechte-rand.de, Robert Andreasch)

6. Siegtreffer
(twitter.com/LMatthaeus10, Lothar Matthäus)
“Bild” kritisiert den ehemaligen Fußballspieler Lothar Matthäus dafür, Putin die Hand geschüttelt zu haben, und der macht keine langen Worte, sondern antwortet mit einem Foto. In der Fußballsprache würde man wohl sagen: Siegtreffer!

“Bild” lässt “Tagesschau” Merkels Rücktritt fordern

Ein Kommentar eines Journalisten oder einer Journalistin, ob nun in der gedruckten Zeitung oder online, im Radio oder im Fernsehen, spiegelt immer die Meinung des Journalisten oder der Journalistin wider. Die im Kommentar geäußerten Ansichten lassen sich nicht automatisch auf eine Redaktion übertragen. Sowas lernen Kommunikationswissenschaftler bereits im ersten Semester an der Uni. Und trotzdem müssen wir es hier noch mal aufschreiben, weil die “Bild”-Zeitung heute diese Schlagzeile auf ihrer Titelseite hat:

Ausriss Bild-Titelseite - Räumen Sie das Kanzleramt - Verbrannte Erde - Tagesschau rechnet mit Merkel ab!

Bei Bild.de war die Sache bereits gestern Abend gut sichtbar auf der Startseite platziert:

Screenshot Bild.de - Offene Rücktrittsforderung - Tagesschau rechnet mit Kanzlerin ab

Grundlage für beide Artikel ist ein Kommentar des ARD-Korrespondenten Malte Pieper über Bundeskanzlerin Angela Merkel. Darin heißt es unter anderem:

Geschätzte Angela Merkel, nach fast 13 Jahren Kanzlerschaft gibt es auf europäischer Ebene für Sie, außer spürbarer Abneigung, nichts mehr zu gewinnen. Das haben alle Treffen der letzten Monate gezeigt. Helfen Sie deshalb mit, den scheinbar unabwendbaren Trend nach europäischer Spaltung statt Einigung endlich aufzuhalten! Räumen Sie das Kanzleramt für einen Nachfolger, dessen Name nicht so belastet ist, wie es der Ihre ist.

Das ist die Meinung von Malte Pieper, nicht die Meinung der “Tagesschau”. Es ist die Rücktrittsforderung von Malte Pieper, nicht die Rücktrittsforderung der “Tagesschau”.

Die “Bild”-Überschrift “Tagesschau rechnet mit Merkel ab” ist also schon mal irreführend. Und auch beim Texteinstieg von “Bild” und Bild.de wird es nicht besser:

“Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Rücktrittsforderung! Ta-ta!-Ta-ta-ta-taaaa!”

Ausgerechnet die öffentlich-rechtliche “Tagesschau” der ARD überraschte gestern — vor allem in Ton und Schärfe — mit einer Rücktrittsforderung an die Kanzlerin.

Das ist gleich in doppelter Hinsicht falsch. Erstens, weil die Rücktrittsforderung eben nicht vom “Ersten Deutschen Fernsehen” beziehungsweise von der “Tagesschau” kommt, sondern — wir schreiben es hier gern noch einmal — von Malte Pieper. Und zweitens ist Piepers Kommentar nie im Fernsehen gelaufen, sondern im Radio und als Text bei Tagesschau.de.

Etwas weiter hinten im “Bild”-Beitrag darf dann doch noch jemand von der “Tagesschau” erklären, dass es sich nicht um einen Kommentar der gesamten Redaktion handelt, sondern um eine Meinung einer Einzelperson:

Ist DAS eine Meinung eines Korrespondenten oder die Haltung der “Tagesschau”?

Auf BILD-Anfrage teilte Chefredakteur Kai Gniffke mit: “Journalistische Kommentare werden grundsätzlich als solche gekennzeichnet und geben immer nur die Meinung des bzw. der Kommentierenden wieder.”

Die “Bild”-Redaktion weiß also, dass es sich nicht um “die Haltung der ‘Tagesschau'” handelt (natürlich wusste sie das auch schon vor Gniffkes Statement). Und trotzdem knallt sie ihre Schlagzeilen auf den “Bild”-Titel und die Bild.de-Startseite. Bei Bild.de erfahren das alles übrigens nur Abonnenten — es handelt sich schließlich um einen “Bild plus”-Text.

“Bild”-Chef Julian Reichelt verbreitete bereits gestern am Vormittag bei Twitter die falsche Behauptung zur Rücktrittsforderung durch die “Tagesschau”:

Screenshot Tweet von Julian Reichelt - Die Tagesschau fordert im Kommentar den Rücktritt von Angela Merkel und wirft ihr vor, verbrannte Erde hinterlassen zu haben.

Das ist ganz interessant: Reichelt twittert über einen Kommentar eines öffentlich-rechtlichen Journalisten, der sich mit einer Rücktrittsforderung an Angela Merkel wendet. Dazu keine Kritik durch den “Bild”-Chef, etwa wegen des belehrenden Tons. So weit, so okay. Vor nicht mal einer Woche twitterte Reichelt über Markus Grill, den Berliner Bürochef des Investigativressorts von NDR und WDR:

Screenshot Tweet von Julian Reichelt - Ich persönlich finde, dass Tweets von öffentlich-rechtlichen Kollegen sich nicht in dieser belehrenden und parteiischen Weise an Parteien wenden sollten. Die Öffentlich-Rechtlichen haben keinen Weltbild-Umerziehungsauftrag.

Für Julian Reichelt ist bei der Frage, wie sich ein “öffentlich-rechtlicher Kollege” äußern sollte, am Ende doch wohl nicht entscheidend, gegen wen dieser schießt?

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Offene Grenzen oder Sozialstaat? Was Milton Friedman wirklich meinte

“Bild”-Chef Julian Reichelt hat sich am Dienstag in einer Art Leitartikel an eine große Frage gewagt:

Ausriss Bild-Zeitung - Autos, Fußball, Politik - Was ist in diesem Sommer nur mit Deutschland los?

Die “drei Säulen Deutschlands” seien: Autos, Fußball und Stabilität. Und nun das: Autobosse landen im Knast. Die deutsche Fußballnationalmannschaft wirke bei der Weltmeisterschaft in Russland “zu satt zum Gewinnen”. Und unsere Regierung …

Und unsere Regierung steht am Rande des Zusammenbruchs, weil man sich nicht einigen kann, wie wir die Grenzen sichern, die unseren weltweit einzigartigen Sozialstaat umgeben und beschützen sollen. Man könne nur eines haben, offene Grenzen oder Sozialstaat, hat der legendäre Ökonom Milton Friedman dazu gesagt. Beides zusammen sei auf Dauer unmöglich.

Ein Wirtschaftsnobelpreisträger (also: Friedman, nicht Reichelt), der uns vor die Wahl stellt: offene Grenzen oder Sozialstaat? Wer würde sich da schon für offene Grenzen und gegen “unseren weltweit einzigartigen Sozialstaat” entscheiden? Julian Reichelt wohl nicht. Ein anderer vermutlich aber schon: Milton Friedman.

Der Ökonom hat bei verschiedenen Gelegenheit über die angebliche Unvereinbarkeit von Sozialstaat und offenen Grenzen gesprochen; immer in leicht anderer Form (mal: “It’s just obviuos that you can’t have free immigration and a welfare state”, mal: “It is one thing to have free immigration to jobs. It is another thing to have free immigration to welfare. And you cannot have both.”), im Kern aber stets mit derselben Aussage. Das Zitat wird gern als Argument gegen offene Grenzen und gegen illegale Migration angeführt. Dabei war Friedman vor allem gegen eins: den Sozialstaat. In seinem Werk “Chancen, die ich meine” schrieb er, dass der “welfare state” einer der größten Feinde der Wirtschaft sei.

Illegale Migration hingegen könnte unter bestimmten Voraussetzungen für alle etwas Gutes haben, so Friedman. In einem Vortrag vor Studenten sagte er:

Why is it that free immigration was a good thing before 1914 and free immigration is a bad thing today? […] There’s a sense in which free immigration, in the same sense as we had it before 1914 is not possible today. Why not?

Because it is one thing to have free immigration to jobs. It is another thing to have free immigration to welfare. And you cannot have both. If you have a welfare state, if you have a state in which every resident is promised a certain minimal level of income, or a minimum level of subsistence, regardless of whether he works or not, produces it or not, then it really is an impossible thing. […]

Nobody would come unless he or his family thought he would do better here than he would elsewhere. And, the new immigrants provided additional resources, provided additional possibilities for the people already here. So everybody can mutually benefit. […]

Look, for example, at the obvious, immediate, practical case of illegal Mexican immigration. Now, that Mexican immigration over the border is a good thing. It’s a good thing for the illegal immigrants. It’s a good thing for the United States. It’s a good thing for the citizens of the country. But it’s only good so long as it’s illegal.

That’s an interesting paradox to think about. Make it legal and it’s no good. Why? Because as long as it’s illegal the people who come in do not qualify for welfare, they don’t qualify for social security, they don’t qualify for all the other myriads of benefits we pour out from our left pocket to our right pocket. So long as they don’t qualify they migrate to jobs. They take jobs that most residents of this country are unwilling to take. They provide employers with workers of a kind that they cannot get. They’re hard workers, they’re good workers, and they are clearly better off.

Für diesen ganzen Kontext war in “Bild” leider kein Platz.

Der Stuss von der “Grenzöffnung”, Staat als Influencer, Organversagen

1. Hat Merkel 2015 die Grenze geöffnet?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing & Konstantin Kumpfmüller)
Immer wieder bedienen sich Politiker der Legende von Angela Merkels angeblicher „Grenzöffnung“. Warum diese Formulierung „grundfalsch“ ist, erklärt der ARD-“Faktenfinder” und bezieht sich dabei unter anderem auf einen Juristen aus der Rechtsredaktion: „grundfalsch, weil es schon seit Jahren keine geschlossenen Grenzen mehr gibt innerhalb des so genannten Schengen-Raums. Es konnten also im Jahr 2015 auch keine Grenzen geöffnet werden.”

2. Organversagen
(kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Der „Zeit“-Redakteur Martin Machowecz hat mit einem kritischen Tweet über Journalisten, die privat an Anti-AfD-Demos teilnehmen, eine breite Debatte ausgelöst („Ich finde das problematisch. Kann man denn dann am nächsten Tag wirklich wieder glaubwürdig über die #AfD schreiben?“) Nun greift er die von ihm angestoßene Diskussion in der Printausgabe auf, lässt dort aber viele Argumente der Gegenseite unbeachtet, wie Juliane Streich ausführt.

3. Wenn der Staat zum Influencer wird
(motherboard.vice.com, Anna Biselli & Sebastian Meineck)
Deutsche Behörden und Ministerien haben in den vergangenen Jahren einiges Geld für Social-Media-Werbung und Influencer-Kampagnen ausgegeben. Anna Biselli und Sebastian Meineck haben sich näher angeschaut, wohin die Gelder geflossen sind. Die zwei teuersten Influencer-Kampagnen waren eine des Entwicklungsministeriums (84.600 Euro) sowie die Nachwuchswerbung der Bundespolizei (71.400 Euro). Interessanter Nebenaspekt: Nach derzeitiger Rechtslage sei unklar, ob staatliche Influencer-Kampagnen auf den Kanälen der Influencer überhaupt zulässig seien.

4. Welche Studie darf’s denn heute sein?
(meta-magazin.org, Markus Lehmkuhl)
Markus Lehmkuhl, Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien, hat sich mit der Auswahl von Studienergebnissen durch Wissenschaftsjournalisten beschäftigt. Seine Ergebnisse sind überraschend und nicht überraschend zugleich.

5. Wird der „Strassenfeger“ von der Straße gefegt?
(bz-berlin.de, Björn Trautwein)
Seit 24 Jahren gibt es in Berlin die Obdachlosenzeitung “Strassenfeger”, doch damit ist nun Schluss: Der “Straßenfeger” soll eingestellt werden. Das Entsetzen bei Berlins Obdachlosen sei groß: “Einige Verkäufer hatten Tränen in den Augen, als sie vom drohenden Aus erfahren haben. Für viele ist es die einzige Einnahmequelle.”

6. 40 Jahre Cat Content
(spiegel.de, Danny Kringiel)
Der Zeitungskater Garfield wird 40. Das orangefarbene Katzentier mit der Vorliebe für Lasagne, Kaffee und Zynismus wurde zunächst in 41 amerikanischen Zeitungen abgedruckt, heutzutage sind es 2400 Zeitungen mit 200 Millionen Lesern in 80 Ländern. Das Erfolgsrezept: „Garfield wurde zum Welterfolg, weil er so mittelmäßig war.“

7. “Verwechseln Kritik mit Zensur”: Trump-Tweet sorgt für Twitter-Zoff zwischen Reichelt, Reschke und Bildblog
(meedia.de, Nils Jacobsen)
Außerhalb der üblichen „6 vor 9“, weil es uns BILDblogger direkt betrifft: Angeblich haben wir mit unserem „totalitären Geist“ (und einem Tweet) Julian Reichelts „Faszination für Twitter zerstört“. Darüber beschwert sich jedenfalls der „Bild“-Chef auf Twitter: „Ob @AnjaReschke1 oder @BILDblog –Twitter befindet sich zunehmend in Händen jener, die bestimmen wollen, was zitiert, berichtet werden darf und was unterdrückt werden sollte, weil es gesellschaftlich schädlich ist.“ Wir haben Julian Reichelt erklärt, dass er Kritik mit Zensur verwechselt und hoffen, dass er schon bald wieder zu seiner Faszination für Twitter zurückfindet.

Bild  

Wie “Bild” Brücken für die AfD baut

Bevor die Leute in der “Bild”-Redaktion sich nach der nächsten Landtags- oder Wasauchimmerwahl wieder über den “Rechts-Rumms” in Deutschland wundern und irgendwie versuchen, die hohen Prozentzahlen der AfD zu erklären: Ihr mischt da kräftig mit. Und zwar mit Titelseiten wie dieser von heute:

Ausriss Bild-Zeitung - Haftbefehl nach entsetzlichem Mord - Wenn er abgeschoben worden wäre, würde sie noch leben
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Es geht um den grausamen Tod eines 14-jährigen Mädchens, die vermutlich von einem Flüchtling aus dem Irak erdrosselt wurde. Und um es bereits an dieser Stelle klar zu sagen: Ja, natürlich können und sollen Medien über einen solchen Fall berichten. Gern auf Seite 1. Gern als große Titelgeschichte. Sie sollen ihn auf keinen Fall verschweigen. Die entscheidende Frage ist nur, wie sie berichten. Wie sie die jeweilige Geschichte drehen. Wie sie zuspitzen. Ob und wie sie mit ihren Schlagzeilen zündeln.

Vermutlich stimmt die Aussage auf der “Bild”-Titelseite, dass das Mädchen noch leben würde, wenn der wahrscheinliche Täter zuvor abgeschoben worden wäre (was freilich nicht heißt, dass die Schuld bei einem Mord bei den für die Abschiebung zuständigen Behörden zu suchen ist, sondern immer noch beim Mörder). Es ist die Erzählung, die die “Bild”-Redaktion gewählt hat, die so vergiftet ist: Der Tod des Mädchens rückt in den Hintergrund — die Abschiebung des vermutlichen Täters ist der Hauptaspekt. Man könnte diese Titelzeile eins zu eins in einen AfD-Tweet oder Beatrix-von-Storch-Post bei Facebook verwandeln. Und man könnte der Partei dann völlig zu Recht vorwerfen, dass sie versucht, aus einem Tod Kapital zu schlagen.

Und so hilft die “Bild”-Redaktion der AfD enorm mit derartigen Schlagzeilen. Sie gibt die Schwerpunkte, die Sprache, die Aufregung bei Asyl- und Flüchtlingsthemen morgens am Kiosk vor. Und die Partei muss sie am Mittag in ihren plumpen Parolen nur noch aufgreifen. “Bild” baut noch immer jeden Tag den inhaltlichen Rahmen für Tausende Büro- und Baustellengespräche. Und tut das in einer Form, die es der AfD sehr leicht macht, daran anzudocken.

Wir haben uns mal alle “Bild”-Titelseiten seit dem 1. März angeschaut, also dem Tag, an dem Julian Reichelt auch “Bild”-Print-Chef wurde. 23 Artikel haben wir gefunden, die mit den Themen Asyl und Flüchtlinge zu tun haben. Wobei die Verteilung interessant ist: Bis zum 20. April, also in über eineinhalb Monaten, sind gerade mal eine kleine und ein große Titelgeschichte erschienen:

Ausriss Bild-Zeitung - Die Asyl-Tricks der Einbrecher-Banden
Ausriss Bild-Zeitung - CDU-Politikerin kassiert mit Flüchtlings-Hotel ab

Ab dem 21. April dann 21 große beziehungsweise kleine Artikel. Der 21. April war der Tag, an dem “Bild” mit dem “ASYL-SKANDAL” beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufmachte:

Ausriss Bild-Zeitung - Asyl-Skandal - Bestochen? Amts-Chefin genehmigt 2000 Anträge einfach so

Danach ging es so richtig los:

Ausriss Bild-Zeitung - Bin-Laden-Leibwächter kassiert 1100 Euro Stütze
Ausriss Bild-Zeitung - Schiebt den Bin-Laden-Leibwächter endlich ab
Ausriss Bild-Zeitung - Polizisten-Mörder darf nicht abgeschoben werden
Ausriss Bild-Zeitung - 150 Asylbewerber jagen Polizei davon
Ausriss Bild-Zeitung - Sollte Flüchtlings-Randale vertuscht werden?
Ausriss Bild-Zeitung - Lagerfeld rechnet mit Flüchtlings-Politik ab! Ich hasse Madame Merkel
Ausriss Bild-Zeitung - Arzt erklärt, warum er Asylbewerber nicht mehr behandelt
Ausriss Bild-Zeitung - Ex-BAMF-Chef will Asyl-Skandal klären lassen
Ausriss Bild-Zeitung - Das hat die Flüchtlings-Krise bisher gekostet
Ausriss Bild-Zeitung - Asyl-Behörde ließ wirklich jeden rein
Ausriss Bild-Zeitung - Staatsanwaltschaft ermittelt gegen deutsche Asyl-Chefin
Ausriss Bild-Zeitung - Sechs Tote klagen an - Ihre Mörder hätten gar nicht hier sein dürfen
Ausriss Bild-Zeitung - 50 Flüchtlinge gehen auf Polizisten los
Ausriss Bild-Zeitung - So dreist missbrauchen Klaubanden unser Asyl
Ausriss Bild-Zeitung - Tausende falsche Asyl-Bescheide - Bild sprach mit der Chefin der Skandal-Behörde
Ausriss Bild-Zeitung - 55 Millionen Euro im Asyl-Chaos versenkt
Ausriss Bild-Zeitung - Messer-Angriff im Intercity - Junge Polzistin erschießt Flüchtling
Ausriss Bild-Zeitung - Seit 2000 - Asyl-Behörde ließ 46 Islamisten ins Land
Ausriss Bild-Zeitung - Nach Bin Ladens Leibwächter der nächste Abschiebe-Skandal um einen Terroristen - Und wir werden sie einfach nicht los
Ausriss Bild-Zeitung - Leiche gefunden - Flüchtling unter Mordverdacht flieht aus Deutschland

Und heute dann eben:

Ausriss Bild-Zeitung - Haftbefehl nach entsetzlichem Mord - Wenn er abgeschoben worden wäre, würde sie noch leben

Seit dem 21. April im Schnitt etwa alle zwei Tage eine große oder kleine Titelstory über Asyl/Flüchtlinge. Als hätte die Redaktion erkannt, dass der Skandal beim BAMF der richtige Zeitpunkt ist, um die Streichhölzer wegzupacken und das Sturmfeuerzeug zum weiteren Zündeln rauszuholen.

Und natürlich hat diese Fokussierung und Verdichtung immense Auswirkungen darauf, wie “Bild”-Leserinnen und -Leser das Geschehen in Deutschland wahrnehmen. Man muss nur mal kurz auf die “Bild”-Facebookseite schauen und dort in die Kommentare unter Artikeln, die mit dem Thema Asyl zu tun haben. Eine der am häufigsten verwendeten Wörter: “Bananenrepublik”. “In was für einer Bananenrepublik leben wir eigentlich?” “Deutschland ist auch nur noch eine Banenrepublik!” “In dieser Bananenrepublik macht doch schon lange jeder, was er will.” Vorausgesetzt, sie informieren sich vornehmlich oder ausschließlich in “Bild” und bei Bild.de, kann man den Verfassern dieser Sätze nicht mal eine richtigen Vorwurf machen. Denn wenn man nur “Bild” liest, muss man aktuell wirklich den Eindruck haben, dass Deutschland eine “Bananenrepublik” ist, in der überall “vertuscht” und gemodert wird, in der niemand mehr sicher ist, in der es einen “SKANDAL” nach dem anderen gibt, und in der die Behörden gar nichts mehr hinbekommen.

Welcher Partei hilft das Bild, dass es unter Angela Merkel und der großen Koalition drunter und drüber geht, wohl besonders?

Julian Reichelt hat mal gesagt:

Nichts hat uns ganz nachweislich wirtschaftlich in der Reichweite so sehr geschadet wie unsere klare, menschliche, empathische Haltung in der Flüchtlingskrise

Es deutet alles darauf hin, dass die Wirtschaftlichkeit wieder den Kurs vorgibt.

Gauland in der Badehose: Springer-Medien entdecken die Menschenwürde

Es gibt jetzt also dieses Foto von Alexander Gauland in Badehose. Der AfD-Parteichef war vergangene Woche beim Baden im Potsdamer Heiligen See beklaut worden, der Dieb soll “Kein Badespaß für Nazis” gerufen haben und mit Gaulands Klamotten davongerannt sein.

Verschiedene Medien berichten seit gestern über den Vorfall und manche von ihnen zeigen eben auch jenes Foto, auf dem Alexander Gauland von hinten zu sehen ist, nackter Oberkörper, braun-karierte Badeshorts, neben ihm eine Polizistin. Die “Märkische Allgemeine” hat die Aufnahme zum Beispiel veröffentlicht, die “taz”, die “Neue Westfälisch”, “Tag24”, der “Express”.

Die “Welt” und Welt.de haben das Foto hingegen nicht gezeigt. Und “Welt”-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb bei Twitter:

Tweet von Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt - Wir zeige das entwürdigende Foto von Gauland in Badehosen nicht.

Nun kann man erstmal anderer Meinung sein und finden, dass ein nicht ganz scharfes Handyfoto, das einen Mann in einer eher schlabbrigen Badehose zeigt und auf dem die abgebildete Person nur von hinten und nicht wahnsinnig groß zu sehen ist, nicht direkt “entwürdigend” ist. Sicher steckte Alexander Gauland in diesem Moment in einer Situation, in der man nicht auch noch jemanden gebrauchen kann, der sein Smartphone zückt. Aber “entwürdigend”? Ist das nicht erstmal nur die Interpretation von Poschardt?

Es ist eine große Errungenschaft, dass jeder Mensch eine Menschenwürde hat, auch jene, die sie anderen Menschen absprechen, und damit auch Alexander Gauland. Und es muss klar sein, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur für auserwählte Personen gilt, sondern grundsätzlich erstmal für alle, auch für jene, die den Nationalsozialismus, das Hitler-Regime und die Ermordung von Millionen Juden als “Vogelschiss” bagatellisieren.

Insofern können wir es nachvollziehen, wenn sich eine Redaktion gegen die Veröffentlichung des Gauland-Fotos entscheidet. Doch die Entscheidung der “Welt”-Redaktion und der Tweet von Ulf Poschardt zeigen vor allem eines: die Bigotterie des “Welt”-Chefs und seines Teams.

Welt.de hatte nämlich vor einiger Zeit noch gar kein Problem damit, eine Fotogalerie zusammenzustellen, in der Politiker in Badehosen zu sehen sind:

Screenshot Welt.de - Halnackte Politiker - immer ein Hingucker? Wladimir Putin, Barack Obama oder Joschka Fischer - viele Politiker zeigen sich vor der Kamera oben ohne. Ein Blick auf die Männer in Badehosen
Screenshot Welt.de - Nicolas Sarkozy in Badehosen
Screenshot Welt.de - Barack Obama mit nacktem Oberkörper
Screenshot Welt.de - Bill Clinton in Badehosen

Welt.de hatte auch kein Problem damit, Joachim Sauer, den Ehemann von Angela Merkel, in Badehose zu zeigen:

Screenshot Welt.de - Joachim Sauer in Badehosen

Von den Skrupeln, die Poschardt und die “Welt”-Medien vom Veröffentlichen des “entwürdigenden” Gauland-Fotos abhalten, keine Spur. Und die hat die Redaktion auch nicht bei Menschen, die mehr Klamotten tragen. Sie hat zum Beispiel eine Fotogalerie mit Nippel- und Höschen-Blitzern veröffentlicht:

Screenshot Welt.de - Gewollte und ungewollte Rausrutscher
Screenshot Welt.de - Foto mit hochgerutschtem Kleid, sodass man den Slip sehen kann
Screenshot Welt.de - Foto mit runtergerutschtem Kleid, sodass man eine Brust sehen kann
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Und sie zeigt Brüste von Frauen, die möglicherweise nicht wollen, dass ihre Brüste gezeigt werden:

Screenshot Welt.de - Slavia Ecclestone zeigt Brust

Ob die nackten Tatsachen bei dem durchsichtigen, schwarzen Kleid von Slavica Ecclestone (54) beabsichtigt waren? Wer weiß

Poschardts Springer-Kollegen von “Bild” und Bild.de haben das Foto, das Alexander Gauland zeigt, ebenfalls nicht veröffentlicht. Sie sollen allerdings versucht haben, es zu bekommen. Die Fotografin soll die Anfrage abgelehnt haben, weil sie “mit der ‘Bild’ nichts zu tun haben” wolle.

Die Veröffentlichung des Gauland-Fotos ist bei “Bild” jedenfalls bestimmt nicht daran gescheitert, dass die Mitarbeiter in der Redaktion es auf einmal auch verwerflich finden, derartige Aufnahmen zu zeigen. Sie zeigen sonst jede noch so prominente Frau im Bikini am Strand. Sie fotografieren ihnen zwischen die Beine:

Screenshot Bild.de - Topmodel schlägt Wellen - Na, Kontaktlinse verloren? Dazu ein Foto, das den Schritt der Frau zeigt
Screenshot Bild.de - Zwei Kisten heiß in Weiß - Dazu zwei Fotos, das die Hintern von zwei Frauen zeigt
Screenshot Bild.de - Models zeigen Knack-Po - Dazu zwei Fotos, das die Hintern von zwei Frauen zeigt

Heute erst haben sie dieses “Slip-Blitzer”-Foto veröffentlicht:

Screenshot Bild.de - Holla, die Waldfee! Helene Fischer mit Mega-Schlitz und Slip-Blitzer beim Bambi 2017

Sie zeigen Frauen, denen die Brüste aus den Abendkleider gerutscht sind:

Screenshot Bild.de - Die Taxi-Total-Ausfälle der Stars - Dazu Fotos von Frauen, denen Brüste aus dem Kleid gerutscht sind

Und auch abseits von nackten Brüsten und Hintern und Oberkörpern jucken sie die Persönlichkeitsrechte und die Würde der Personen, über die sie berichten, kein bisschen. Sie zeigen andauernd unverpixelte Fotos von verstorbenen Menschen, egal ob voll- oder minderjährig, die sie in Sozialen Medien zusammengeklaubt haben:

Ausriss Bild-Zeitung - Dieses Paar buchte um - dazu drei Fotos von bei einem Flugzeugabsturz gestorbenen Menschen, darunter ein Zwölfjähriger
Ausriss Bild-Zeitung - 71 Tote bei Absturz vor Moskau - dazu ein Foto einer bei dem Absturz gestorbenen Frau
Stromschlag beim Handy-Aufladen tötet Luiza (17) - dazu ein Foto der Verstorbenen

Sie verfolgen einen offenbar alkoholkranken Hartz-IV-Empfänger durch den Supermarkt und zeigen Fotos von ihm, weil er Wasser wegkippt, um sich vom Pfandgeld Bier kaufen zu können:

Ausriss Bild-Zeitung - Hier wird aus Wasser Bier - und der Staat bezahlt es - dazu Fotos des Mannes, der das Wasser wegkippt und Bier kauft

Sie zeigen einen psychisch kranken Mann, der nackt durch Berlin kriecht und machen sich lustig über ihn:

Ausriss Bild-Zeitung - Nackter krabbelt durch Neukölln - Was es ein Puffgänger, der zu viel Schampus intus hatte?

Oder kurz gesagt: Die Menschenwürde war den Leuten bei “Bild” und Bild.de nun wirklich schon immer egal. Und natürlich soll das hier alles nicht heißen: Wenn die “Bild”-Leute schon all die anderen Personen so würdelos zeigen, dann sollen sie auch den Gauland so zeigen. Sondern andersrum: In den anderen Fällen sollten sie besser auf würdelose Fotos verzichten.

Bleibt nur noch die Frage: Was hätten die “Bild”- und “Welt”-Medien wohl gemacht, wenn das Foto nicht Alexander Gauland in Badekleidung gezeigt hätte, sondern beispielsweise Sahra Wagenknecht? Oder Schauspieler und Sänger Johnny Depp, der gerade erst in Berlin war? Oder Sängerin Katy Perry, die heute in der Hauptstadt aufgetreten ist? Julian Reichelt und Ulf Poschardt hätten auf ein Foto einer beklauten Katy Perry im Bikini verzichtet, weil sie die Aufnahme “entwürdigend” finden?

Mehr zum Thema:

Wikipedias Sachsen-Sperre, “Bild” vs. Gack, Bär “nicht ausgebootet”

1. Wikipedia sperrt 62.000 sächsische Rechner aus
(t-online.de, Lars Wienand)
An der freien Enzyklopädie Wikipedia kann prinzipiell jeder mitschreiben. Dies machen sich auch im politischen Umfeld arbeitende Menschen zunutze, indem sie für sie unvorteilhafte Passagen umschreiben oder einfach löschen. Ein Wikipedia-Administrator wusste sich in einem aktuellen Fall (Rassismus in Sachsen/Bewertung von Pegida) nicht anders zu helfen, als anonyme sächsische Landesbedienstete und Mitarbeiter des sächsischen Landtags vom Editieren der Wikipedia auszuschließen.

2. Wehe dem, der gegen den Strom schwimmt!
(nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Die ZDF-Sendung „heute“ ging der Frage nach, ob in der syrischen Stadt Duma geächtete Chemiewaffen eingesetzt wurden und befragte dazu in einer Zwei-Minuten-Schalte ihren Korrespondent Uli Gack. Dieser berichtete über Augenzeugenaussagen aus einem Flüchtlingslager, nach denen es sich um eine Inszenierung der Islamisten gehandelt haben könne, wies aber ausdrücklich daraufhin, dass es sich um keine gesicherten Erkenntnisse handeln würde. Daraufhin ergoss sich der geballte Twitterhass der „Bild“-Autoren Björn Stritzel, Julian Röpcke sowie ihres Chefs Julian Reichelt über ihm.
Jens Berger hat den Vorgang unter Zuhilfenahme der jeweiligen Tweets aufgearbeitet und erklärt, was er an der Vorgehensweise der „Premium-Trolle“ besonders verwerflich findet.

3. „Cumhuriyet“-Journalisten verurteilt
(taz.de, Wolf Wittenfeld)
Im Prozess gegen Mitarbeiter der linksliberalen türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ sind hohe Haftstrafen ergangen. Von den 17 Angeklagten wurden 14 wegen angeblicher Unterstützung von wahlweise gleich drei „Terrororganisationen“ zu Haftstrafen bis zu acht Jahren verurteilt, darunter der Herausgeber, der Chefredakteur und der bekannteste Reporter des Blatts.
Weiterer Lesetipp: Meşale Tolu darf die Türkei weiterhin nicht verlassen (sz.de)

4. Verhandlungen unterbrochen
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger konnten sich bislang nicht über einen neuen Gehaltstarifvertrag für die rund 13.000 Zeitungsjournalisten einigen. Die Verleger hätten ein Angebot vorgelegt, das unter der Teuerungsrate liegen würde, was von Journalistenseite als nicht hinnehmbar abgelehnt wurde. Nun haben die Journalistenvertreter die Verhandlungen unterbrochen und wollen das weitere Vorgehen in ihren Gremien besprechen. Damit droht eine Fortsetzung bzw. Ausweitung der Streiks.
Weiterer Lesetipp: DJV-Chef Frank Überall: “In so einem Laden würde ich nicht arbeiten wollen” (kress.de, Bülend Ürük) über die Reaktion der Condé-Nast-Deutschland-Geschäftsführung auf ein anonymes Schreiben an alle Mitarbeiter, einen Betriebsrat zu gründen.

5. Ein wirklich mysteriöser Todesfall
(faz.de, Nikolai Klimeniouk)
Der russische Investigativjournalist Maxim Borodin recherchierte, bevor er unter ungeklärten Umständen vom Balkon seiner Wohnung stürzte, über russische Söldner in Syrien. Die Behörden würden von Selbstmord oder Unfall reden, dabei jedoch so oft lügen, dass man selbst den plausibelsten Auskünften nicht trauen könne.

6. »Die Bundeskanzlerin hat mich nicht ausgebootet«
(zeit.de, Marc Brost, Video, 1:33 Minuten)
Seit kurzem ist Dorothee Bär (CSU) Staatsministerin für Digitalisierung. Doch nun wird bekannt, dass Bundeskanzlerin Merkel parallel ihre wichtigste Vertraute Eva Christiansen zur Digitalbeauftragten ernannt hat. Marc Brost von der „Zeit“ hat der Ministerin die alles entscheidende Frage gestellt, wie es zusammenpasst, dass man Digitalisierung erst in eine Hand geben wollte und es jetzt immer mehr Hände werden.

7. Exclusive Interview: President Trump on Fox & Friends
(youtube.com, Fox News)
Als Bonus fürs Wochenende noch eine letzte Empfehlung: Donald Trump hat bei seinem Lieblingssender „Fox News“ angerufen und „plaudert“ dort mit drei Moderatoren über Politik. Es ist eine Art dreißigminütiger Monolog, in dem er schreit und tobt und wütet, und für den ein Youtube-Kommentierer folgende Zusammenfassung gefunden hat: „When you talk policies with your crazy Uncle.“

Der Troll-Journalismus übernimmt

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Der Journalist Jens Jessen war bisher wohl vor allem Kollegen und “Zeit”-Lesern ein Begriff. Seit dieser Woche kennt ihn zumindest das netzaffine Deutschland zur Genüge: Seine provokative Titelgeschichte über das Ende des Mannes …

Ausriss der Zeit-Titelseite - Schäm dich Mann

… trifft zielgenau sowohl den Nerv der Zeit als auch einen Ton, der Aufmerksamkeit garantiert. Jessen schreibt vom “Triumph des totalitären Feminismus”, vom “Schema des bolschewistischen Schauprozesses”, dem “das System der feministischen Rhetorik” folge, vom “feministischen Volkssturm”, “diesem Zusammentreiben und Einsperren aller Männer ins Lager der moralisch Minderwertigen”. Es folgten Kritik und Entsetzen in sozialen Netzwerken und Online-Artikeln.

Im Journalismus sind die Troll-Mechanismen der Kommentarspalten nun sogar in Leitartikeln von seriösen Medien zu finden. Trolle sind sattsam bekannt, weil sie jede noch so respektvolle Diskussion im Netz durch hanebüchene Beiträge in ihr genaues Gegenteil umkehren. Aussagen, Behauptungen und Meinungen, die im Grunde nur stören und zerstören wollen, machen eine sinnvolle Lösungssuche vollkommen unmöglich. Was man früher an den “Klowänden des Internets” bewundern durfte, blickt einem heute von der Titelseite einer journalistischen Institution entgegen.

Genau dies hat Jens Jessen gemacht: Provoziert und verzerrt, um nach Aufmerksamkeit zu heischen. Und er ist damit beileibe nicht allein. Schon vor drei Jahren hatte sich die damalige “Welt”-Journalistin Ronja von Rönne vor dem Feminismus nach eigener Aussage geekelt. Das Thema taugt sowieso hervorragend für Troll-Journalismus, weil man damit zumindest den Nerv vieler Männer treffen kann, die sich benachteiligt fühlen. Das Genre ist gar nicht dafür da, ernstgemeinte Beiträge abzuliefern, sondern soll nur die Aufmerksamkeitsökonomie bedienen. Gut ist, was Klicks, Auflage und Reichweite bringt. Es geht nicht um die Qualität des Debattenbeitrags, sondern um Quantität. Ob radikale Positionen wie “Ekel” oder der weinerliche Abgesang auf den Mann eine wichtige gesellschaftliche Diskussion weiterbringen, ist komplett egal. Hauptsache, man ist im Gespräch — nicht mit Menschen mit anderen Meinungen, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung. Das macht den Troll-Journalismus so banal wie gefährlich.

Der Godfather of Troll-Journalismus ist und bleibt natürlich Julian Reichelt. Der “Bild”-Chef hat das System perfektioniert und in Serienreife gebracht. An ernsthafter Diskussion ist “Bild” nicht interessiert, es geht nur darum, gesellschaftliche Reizpunkte zu setzen. Alarmismus, wohin man blickt. Aktuell nutzt Reichelt dazu gern Gesundheitsminister Jens Spahn, der im Grunde ein Troll der Politik ist: Spahn hat die (Internet-)Mechanismen genauso verinnerlicht wie viele Medienvertreter. Er setzt mit kurzen harten Statements (“Hartz IV bedeutet nicht Armut”) sogenannte Diskussionen in Gang, die zu nichts führen. Das Duo Reichelt/Spahn arbeitet Hand in Hand, erst vor zwei Tagen wieder auf der “Bild”-Titelseite:

Ausriss der Bild-Titelseite - Groko-Minister tritt Debatte los - Sorge um Recht und Ordnung in Deutschland

Sie zeichnen das Bild eines Deutschlands, in denen kriminelle Clans die Städte übernommen haben, der Islam unsere christliche Kultur zerstört oder niemand mehr Diesel fahren darf. Alles Unsinn oder so nicht wahr. Aber es geht ja nicht um die Sache, sondern darum, den Ton zu setzen und die Agenda zu bestimmen.

Was man bei “Bild” getrost als moderne Erweiterung des Geschäftsmodells verstehen kann, sorgt für Nachdenklichkeit, wenn auch Medien wie “Welt” oder “Zeit” Troll-Journalismus nutzen. Zwar hat schon Maxim Biller in “Tempo” in seinen “100 Zeilen Hass” mehr polarisiert als abgewägt, doch “Tempo” war halt “Tempo” und Billers Kolumne mehr Kunstform als Debattenbeitrag. Wir können uns darauf einstellen, dass wir nun öfter Artikel wie jene von Jessen oder von Rönne sehen werden. Aber was bringt es? Oft nicht mal den Schreibern selbst etwas. Oder kann sich jemand an irgendeinen relevanten Artikel von Ronja von Rönne aus den vergangenen drei Jahren erinnern? Genau.

BILD wird BreitBILD

Ein Gastbeitrag von Alf Frommer

Mal Hand aufs Herz: Hätte man sich jemals vorstellen können, dass man sich Kai Diekmann als BILD-Chefredakteur zurückwünscht? Der Kai Diekmann, der meinte, er könnte einen Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg zum Kanzler hochschreiben, und der selbst zahllose BILD-Kampagnen gegen Minderheiten fuhr. Doch bei Diekmann hatte man noch das Gefühl, der macht dies als professioneller und abgewichster Boulevard-Journalist. Der schreibt heute “Hü” und morgen “Hott”, weil er wusste, dass sich schweigende Mehrheiten durchaus mal ändern, und das gesunde Volksempfinden eine launische Diva sein kann. Ihm war das Produkt im Zweifel näher als seine persönliche Meinung.

Dies hat sich unter Julian Reichelt komplett geändert. Der jetzige BILD-Chef ist erst ein Überzeugungstäter und dann ein Boulevard-Journalist. Wahrscheinlich ist Julian Reichelt der gefährlichste Medienmacher, den die wiedervereinigte Bundesrepublik je erleben durfte. Denn er macht aus BILD ein Weltuntergangs-Angebot im Stile der neurechten Medien wie “Breitbart”, “Tichys Einblick” oder “Compact”. Nur eben mit der Reichweite und dem Einfluss von BILD. In den neurechten Medien wird spätestens seit der “Flüchtlingswelle” 2015 der Untergang unseres schönen Deutschlands beschworen — mehr noch: fast herbeigesehnt. Da ging es früher um “Massenvergewaltigungen” (natürlich vornehmlich durch Ausländer) und heute um “massenhafte Messerangriffe” (natürlich auch vornehmlich durch Ausländer). Unter einer Epidemie machen es die Untergangspropheten nämlich nicht mehr. Sonst wäre es ja kein gesellschaftliches Problem.

Was früher ausschließlich in den Echokammern der Neurechten für Aufregung sorgte, findet heute Gehör bei einem der mächtigsten Medienmenschen des Landes. Dessen Filterblase ist so durchlässig, dass dort bekannte Hetz-Accounts als Teil einer ernsthaften Investigativ-Recherche wahrgenommen werden. Mehr noch: Julian Reichelt retweetet oder zitiert diese Accounts, die unter anderem die “Tagesschau” als “staatliche Lügenfabrik” bezeichnen. Sind das wirklich nur Mausrutscher oder hat das nicht vielmehr System? BILD reiht sich nun ein und beschwört das Bild eines Deutschlands herauf, welches islamisiert wird, überall Messerangriffe von Flüchtlingen, an jeder Ecke importierter arabischer Antisemitismus. Im Grunde unterscheidet BILD bei dieser Endzeit-Berichterstattung nichts mehr von “Breitbart” und Co. Die Redaktion macht nun ein Blatt für die 13 Prozent der Gesellschaft, die AfD gewählt haben.

Eine der verbleibenden positiven Aspekte bei BILD ist das klare Bekenntnis gegen Antisemitismus in jeder Form. Nun jedoch wird der Kampf genau dagegen missbraucht, um den Religionshass gegen Muslime zu schüren. Da wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Natürlich ist der Kampf gegen Antisemitismus zu begrüßen. Aber selbst da darf nicht jedes Mittel recht sein. Vor allem, wenn man dafür eine andere Religion als per se rückständig, frauenfeindlich, antidemokratisch, gefährlich hinstellt (übrigens auch befeuert von der Seehofer-CSU). Diese Entwicklung ist mehr als bedenklich — insbesondere, weil Julian Reichelt immer vollkommen überrascht ist, wenn man ihm oder seiner Zeitung Nähe zur AfD unterstellt. Tja, manchmal sieht man den Blätterwald vor lauter braunen Bäumen nicht mehr. Das kann selbst einem Julian Reichelt passieren.

Bild  

“Bild” lässt Wladimir Putin “Atom-Rakete auf Europa” richten

Bitte nicht erschrecken!

Ausriss Bild-Zeitung - Angst vor Satan 2 - Putin richtet neue Atom-Rakete auf Europa

Nein, nein — keine Sorge. Russlands Präsident Wladimir Putin hat nicht wirklich eine “neue Atom-Rakete auf Europa” gerichtet. Er hat auch keinem europäischen Staat konkret mit dem Abfeuern einer “Atom-Rakete” gedroht. Die “Bild”-Redaktion schreibt das nur einfach so auf ihrer heutigen Titelseite:

Ausriss Bild-Titelseite mit der Atom-Raketen-Schlagzeile

Wladimir Putin hat gestern in seiner jährlichen “Rede zur Lage der Nation” auch neue Waffensysteme vorgestellt. Darunter ein atombetriebener Marschflugkörper, eine Hyperschallrakete, mit Kernwaffen bestückte Unterwasserdrohnen und die Interkontinentalrakete “RS-28 Sarmat”, die von der NATO “Satan 2” genannt werden soll. Es gibt Zweifel daran, dass Russland all diese Waffen wirklich entwickelt oder bereits entwickelt hat. Und dennoch: Diese atomare Aufrüstung ist schon bedrohlich genug. Es braucht keine “Bild”-Redaktion, die mit ihrer Schlagzeile nicht nur “Angst” abbilden, sondern vor allem “Angst” machen will. Man sollte Putins Rede und seine Drohgebärden nicht herunterspielen. Man sollte sie aber auch nicht noch gefährlicher wirken lassen als sie ohnehin schon sind.

Denn im Waffen-Part der Rede des russischen Präsidenten ging es gestern kaum um Europa, sondern größtenteils um die USA. Putin sagte:

Es geht um neue strategische Raketensysteme Russlands, die wir entwickelt haben als Reaktion auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Vertrag über Raketenabwehr und die De-facto-Stationierung solcher Systeme auf dem Gebiet der USA und außerhalb der US-Grenzen.

Eine Animation zeigte, wie eine Rakete Abwehrsysteme vor der US-Küste umfliegt, eine Kurve um Südamerika dreht und dann auf das US-Festland zusteuert, bevor die Animation stoppt. Um das Ausrichten einer “neuen Atom-Rakete auf Europa” ging es dabei nicht. Das weiß natürlich auch die “Bild”-Redaktion. Im, am Seite-1-Alarmismus gemessen, sehr kleinen Artikel auf Seite 2 kommt das Wort “Europa” nicht mal vor.

Diese Geschichte zeigt einmal mehr, wie sich die “Bild”-Zeitung unter Julian Reichelt schon geändert hat: Sie ist noch knalliger, noch zugespitzter. Es gibt weiterhin eine abstoßende Freude am Angstverbreiten. Nur steckt hinter den dazugehörigen Schlagzeilen auf der Titelseite nun noch weniger als bisher.

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