Suchergebnisse für ‘Julian Reichelt’

Mesale und Deniz, Die Methode Reichelt, Zu Gast bei der “Titanic”

1. “Sie haben versucht, die Tür einzuschlagen”
(deutschlandfunk.de, Philip Banse, Audio, 5:11 Minuten)
Die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu ist nach einem langen Gefängnisaufenthalt in der Türkei wieder zurück in Deutschland. Im “Deutschlandfunk” erzählt sie von den Umständen ihrer Verhaftung und ihrer Zeit im Frauengefängnis, wo sie mit 20 Frauen in einer Zelle leben musste. Gemeinsam mit der Organisation “Reporter Ohne Grenzen” äußert sie sich kritisch zur Sicherheitslage für Journalistinnen und Journalisten in der Türkei. Die Bundesregierung müsse bei Besuchen Druck ausüben.
Weiterer Lesehinweis: Der ebenfalls lange Zeit in der Türkei inhaftierte Deniz Yücel hat die türkische Regierung wegen “unrechtmäßiger Inhaftierung” auf Schadenersatz verklagt. In der “taz” erklärt sein Anwalt Veysel Ok die Gründe.

2. Die Absurdität von Fake-News
(taz.de, Sarah Kohler)
“Bild”-Boss Julian Reichelt veröffentlichte auf Twitter einen Screenshot, der den Sänger der Gruppe “Feine Sahne Fischfilet” zeigt und fragte scheinheilig: “Auf Twitter kursiert ein Foto von @feinesahne Sänger Gorkow, der in Chemnitz den Hitlergruß zeigen soll. Allerdings weist das Foto am Handansatz zwei auffällige Pixel auf, die auf Montage hindeuten könnten. Handelt es sich um eine Fälschung? Wer kann helfen?” Das Bild, ein aus dem Zusammenhang gerissener Screenshot eines Videos, stammte vom ehemaligen NPD-Landeschef von Berlin, der schon wegen Volksverhetzung und Körperverletzung vor Gericht stand. Darf man solche Gerüchte teilen, zumal, wenn man “Bild”-Chef ist und ein Rechercheteam hinter sich weiß? Die “taz” hat einige Reaktionen dazu zusammengestellt. Die Sammlung sei hier noch um die in eine Gegenfrage gekleidete Antwort des 6-vor-9-Kurators ergänzt.

3. Leistungsschutzrecht: Verleger fordern weiter Millionen von Google
(heise.de)
Die deutschen Presse-Verleger pokern weiter um eine millionenschwere Vergütung von Google für die sogenannten Snippets (bei einem Snippet handelt es sich um einen kurzen Textauszug aus einer Webseite, der in der Ergebnisliste einer Suchmaschine angezeigt wird). Strittig ist derzeit, wie umfangreich die Snippets auf den Google-Seiten sein dürfen, bevor Google zahlen muss. Eduard Hüffer, Geschäftsführer des Aschendorff-Verlags in Münster, besteht darauf, die entsprechende Gesetzesformulierung eng auszulegen: “Wir gehen davon aus, dass bis zu drei Wörter lizenzfrei genutzt werden können”, sagte Hüffer der dpa. Der Kölner Verleger Christian DuMont Schütte gibt sich ähnlich konfliktbereit: “Beim Rechtsstreit mit Google haben wir uns auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung eingestellt.”
Ach, und weil gerade der Name DuMont gefallen ist: Das Kartellamt hat wegen verbotener Absprachen auf dem regionalen Zeitungsmarkt Bußgelder in Höhe von 16 Millionen Euro gegen die DuMont-Gruppe verhängt.

4. Interviewreihe: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk
(journalist-magazin.de, Matthias Daniel)
Wer sich für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und damit verbundene Themen interessiert, sollte diese Übersicht in seine Bookmarks aufnehmen: Das Magazin “journalist” hat zusammen mit Studierenden der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft eine große Interviewreihe mit 17 dokumentierten Einzelgesprächen initiiert. Der Link führt zu einer Übersicht, die von “journalist”-Chefredakteur Matthias Daniel erläutert wird.

5. Prozess gegen Sigi Maurer: Livebericht
(derstandard.at, Marie-Theres Egyed)
Beim österreichischen “Standard” gibt es ein Echtzeit-Protokoll vom gestrigen Prozess gegen die Ex-Grüne Sigi Maurer. Maurer hatte obszöne und beleidigende Nachrichten veröffentlicht, die ihr ein Barbesitzer über Facebook geschrieben haben soll. Obwohl, nun ja, viele Indizien gegen den Barbesitzer sprechen (so zum Beispiel seine eigenwillige Interpunktion und die Tatsache, dass die Nachrichten von seinem PC stammen), bestreitet er den Vorgang. Und nicht nur das: Er hat das Opfer auf 60.000 Euro verklagt. Wegen “übler Nachrede” und “Kreditschädigung”. Abgesehen von der Thematik als solcher bietet die Verhandlungsmitschrift einen interessanten Einblick in die Abwicklung eines derartigen Verfahrens.

6. “Satire muss wehtun” – Drei Tage Praktikum bei der ‘Titanic’
(vice.com, Yasmina Banaszczuk)
Die “Vice”-Autorin Yasmina Banaszczuk hat beim Satire-Magazin “Titanic” ein dreitägiges Betriebspraktikum absolviert und dabei viel über Satire und noch mehr über Medien gelernt. Ein toller Einblick in das Innere der “Titanic”, begleitet von gelungenen Bildern aus dem Redaktionsalltag.

Verzerrendes von Wutbürger Reichelt

“Bild”-Chef Julian Reichelt ist wütend, und schuld ist mal wieder ein Gerichtsurteil:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Volljährig ein Kind ermorden und dann nach Jugendstrafrecht nicht einmal die mögliche Höchststrafe bekommen. Wie soll man bei so einem Urteil nicht wütend werden? Dazu ein Link zum Bild.de-Artikel Urteil im Kandel-Prozess: Mias Mörder muss für 8,5 Jahre in den Knast
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Dafür gibt’s selbstverständlich volle Populismuspunktzahl und reichlich Applaus von der Gefolgschaft: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags gab es für Reichelts Wut-Spruch 548 Retweets und 1375 “Gefällt mir”-Angaben. Einer von Reichelts erfolgreicheren Tweets.

Was kaum noch jemanden — und Julian Reichelt schon gar nicht — zu interessieren scheint: Die Aussage des “Bild”-Chefs ist mindestens verzerrend, wenn nicht falsch.

Dass der nun verurteilte Abdul D. bei seiner Tat “volljährig” war, ist nicht so sicher, wie Reichelt tut. Die für den Fall zuständige Staatsanwaltschaft hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, mit dem D.s Alter festgestellt werden sollte. Nach Untersuchungen von Schlüsselbein, Handwurzel und Gebiss kamen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass D. vermutlich etwa 20 Jahre alt ist, auf jeden Fall aber mindestens 17,5. Aufgrund der Unsicherheit entschied das Landgericht Landau, nach dem Grundsatz “Im Zweifel für den Angeklagten”, beim Prozess das Jugendstrafrecht anzuwenden.

Dass Abdul D. “ein Kind ermordet” habe, wie Julian Reichelt schreibt, ist mindestens für diejenigen, die sich mit dem Fall nicht so gut auskennen, ebenfalls verwirrend. Das Opfer war eine 15-jährige Jugendliche, was den Tod des Mädchens natürlich nicht weniger schlimm werden lässt. Mit der Verwendung des Wortes “Kind” verleiht Reichelt seinem Tweet aber noch mehr Wut-Potential.

“Die mögliche Höchststrafe”, die Julian Reichelt mindestens indirekt fordert, liegt im Jugendstrafrecht bei zehn Jahren Haft. Abdul D. hatte zu Prozessbeginn ein Geständnis abgelegt. Das könnte ein Grund fürs Gericht gewesen sein, nicht die Höchststrafe zu verhängen, sondern 8,5 Jahre Gefängnis.

Die Antwort auf Julian Reichelts Frage “Wie soll man bei so einem Urteil nicht wütend werden?” wäre, all das zumindest verstehen zu wollen.

Bild  

Reichelts Schmutz-Dossier über ein mögliches Vergewaltigungsopfer

Im ihrem sehr lesenswerten Text über “Bild”-Chef Julian Reichelt (hier für den Preis eines Kinder-Schokoriegels abrufbar) erzählen “Spiegel”-Redakteurin Isabell Hülsen und ihr Kollege Alexander Kühn von einem bemerkenswerten “Bild”-internen Vorgang:

Diekmann wohnt in Potsdam in einer Villa am Jungfernsee. Nach einer Klausurtagung in einem nahe gelegenen Hotel grillten die “Bild”-Leute bei ihm. Man trank und badete im See, Diekmann auch nackt. Am Ende dieser Nacht stand ein ungeheurer Vorwurf im Raum: Diekmann wurde von einer Mitarbeiterin beschuldigt, sie im See vergewaltigt zu haben.

Einige Wochen später zog Diekmann Reichelt ins Vertrauen, fast verzweifelt. Der war zwar beim Baden im See nicht dabei gewesen, aber auf der Party. Und Reichelt wusste offenbar, was zu tun war.

Reichelt fertigte ein Gedächtnisprotokoll über seine Erfahrungen mit der Kollegin an, das einer charakterlichen Vernichtung gleichkommt: Sie habe etwa während der Recherche über den Absturz einer Germanwings-Maschine damit geprahlt, einen Pilotenschein zu besitzen, um später davon wieder abzurücken. Er sei schon vorher zu dem Schluss gekommen, sie sei eine “unfassbare, gefährliche Hochstaplerin”.

Ein Mitarbeiter Reichelts schrieb auf dessen Bitte hin zusammen, welche Erfahrungen er bei der Zusammenarbeit mit der Kollegin im Haus gemacht habe. Ein weiterer “Bild”-Mitarbeiter erkundigte sich an ihrer Universität nach ihrer Dissertation. Die Recherche lief wie eine “Bild”-Kampagne im eigenen Haus.

Reichelt schickte Diekmann zudem ein Foto. Er hatte es in jener Nacht um kurz vor vier Uhr gemacht, im Hotel, wo die Belegschaft einquartiert war. Zu sehen ist darauf besagte Mitarbeiterin, die nach der Party mit Kollegen auf der Terrasse noch etwas trinkt, vermeintlich gut gelaunt.

Springer schaltete einen externen Anwalt ein, der Zeugen und Kollegen befragte. Das Prozedere gipfelte in einer absurden Szene, die wohl in keinem anderen Konzern vorstellbar wäre: Die Mitarbeiterin und Diekmann wurden, nacheinander, vor dem Vorstand und Verlegerin Friede Springer befragt. Döpfner persönlich stellte Fragen. Er kannte dabei augenscheinlich auch die Informationen aus Reichelts Niederschrift.

Erst danach gab der Konzern den Fall an die Staatsanwaltschaft ab.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat das Verfahren gegen Diekmann bereits vor Monaten eingestellt, man habe keinen hinreichenden Tatverdacht ermitteln können.

Das Vorgehen von Julian Reichelt und seiner zwei Helfer — das Zusammenstellen einer Art Dossier, um die Reputation eines vermeintlichen oder tatsächlichen Opfers einer Vergewaltigung zu zerstören, noch bevor die zuständigen Strafverfolgungsbehörden ihre Arbeit aufnehmen — ist aber erschreckend: Was hat eine etwaige Lüge zu einem Pilotenschein mit einer möglichen Vergewaltigung zu tun? Was hat eine Dissertation mit einer möglichen Vergewaltigung zu tun? Können Frauen, die schon mal gelogen haben, nicht vergewaltigt werden? Reichelt und seine zwei Minions mögen von Beginn an davon überzeugt gewesen sein, dass die heftigen Vorwürfe gegen Kai Diekmann nicht haltbar sind. Falsche Vergewaltigungsvorwürfe können schreckliche Folgen haben und ganze Leben zerstören. Und natürlich gilt auch für Diekmann die Unschuldsvermutung. Aber gilt nicht genauso, dass man einen Vorwurf eines möglichen Vergewaltigungsopfers ernst nehmen sollte? Ist das Vorgehen von Julian Reichelt nicht das exakte Gegenteil? Und was ist das für ein merkwürdiges Verständnis einer ordentlichen Ermittlungsarbeit, wenn man noch vor Start dieser Ermittlung ein mögliches Opfer mit Schmutz überschüttet?

Was für einen (berechtigten) Skandal würde “Bild” wohl daraus machen, wenn bei den aktuellen Belästigungs-Vorwürfen beim WDR rauskommen würde, dass beispielsweise WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn noch vor jeder Aufklärung erstmal Schmutz-Dossiers über die Frauen angefertigt hat, die sich beim Sender beschwert haben?

Das haben wir auch Julian Reichelt gefragt. Er hat darauf nicht geantwortet. Er hat auch nicht auf die Frage geantwortet, ob die vom “Spiegel” geschilderten Vorgänge stimmen. Und auch nicht darauf, ob er es für einen angemessenen Vorgang hält, ein mögliches Opfer eines sexuellen Missbrauchs erstmal zu diskreditieren und erst dann den Fall aufklären zu lassen. Bei Kai Diekmann haben wir nachgefragt, ob Reichelts Dossier in seinem Auftrag erstellt wurde. Es kam keine Antwort. Auch nicht auf unsere Frage an Diekmann, ob das Ganze so abgelaufen ist, wie vom “Spiegel” behauptet. Springer-Chef Mathias Döpfner haben wir all das auch gefragt und dazu noch, ob die von Julian Reichelt zusammengetragenen Informationen bei der Befragung durch ihn eine Rolle spielten. Verlagssprecherin Edda Fels antwortete, dass man zum “Spiegel”-Bericht keine Stellung nehme und der Fall mittlerweile für alle Beteiligten abgeschlossen sei. Springer habe den Vorwurf und die eigene Aufklärungspflicht sehr ernst genommen, ebenso die Fürsorgepflicht beiden Personen gegenüber. Die Betroffenen hätten absolut freiwillig an der internen Aufklärung mitgewirkt und seien von eigenen Anwälten beraten und begleitet worden. Es sei niemand diskreditiert worden.

Verschleierungskünstler Reichelt, BR-Fremdkörper, Gut-genug-Magazin

1. Julian Reichelts abwegige Verteidigung
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
„Bild“ veröffentlichte einen ganz offensichtlich gefälschten Mailwechsel, der den Juso-Chef Kevin Kühnert inkriminieren sollte (#miomiogate), was infam und reichlich absurd war. Dieser Vorgang wird nur noch getoppt von den zweifelhaften Rechtfertigungsversuchen des „Bild“-Chefs Julian Reichelts. Dessen abwegige Ein- und Auslassungen haben Stefan Niggemeier keine Ruhe gelassen und so hat er sich auf „Übermedien“ nochmal des Falls angenommen.

2. Gastronom scheitert mit Klage gegen MDR
(thueringer-allgemeine.de, Martin Debes)
Ein Gastronom sah sich in einem 2015 ausgestrahlten Film des MDR über die organisierte Kriminalität in Erfurt zu Unrecht in die Nähe der Mafia-Organisation ’Ndrangheta gerückt. Nachdem er erfolgreich auf Unterlassung geklagt hatte, verklagte er Sender und Autoren des Berichts auf 50.000 Euro Schmerzensgeld. Dies wurde nun vom Thüringer Oberlandesgericht zurückgewiesen.

3. Warum sich Frauen online viel seltener in Debatten einmischen als Männer
(nzz.ch, Corinne Plaga)
In den Kommentarspalten der Medien dominieren meist männliche Namen, so auch bei der „NZZ“. Warum melden sich Frauen so selten zu Wort? Warum geht es in den Kommentarspalten oft zu wie an einem virtuellen Männerstammtisch? Corinne Plaga und das „NZZ“-Community-Team haben zu dieser Thematik Leser und Experten befragt. Die Gründe sind vielfältig und reichen von Zeitmangel bis zur kritisierten Oberflächlichkeit des Austauschs und der Sorge, im männerdominierten aggressiven Diskurs unter die Räder zu geraten.

4. “Ein Fremdkörper mitten im BR-Programm”
(sueddeutsche.de, Rudolf Neumaier)
Die bayerische Polit-Sendung „Quer“ mit Christoph Süß feiert dieses Jahr ihren zwanzigsten Geburtstag. Die „SZ“ zeichnet die Entstehungsgeschichte des Erfolgsformats nach, das zuletzt über eine Million Zuschauer hatte. PS: Die nächste Sendung gibt es am Donnerstag um 20.15 Uhr und danach auf der „Quer“-Seite des Bayrischen Fernsehens.

5. Facebook durchleuchtet die geistige Gesundheit seiner Nutzer
(netzpolitik.org, Alexander Fanta)
Facebook setzt außerhalb von Europa verschiedene KI-Techniken ein, um ein Frühwarnsystem für suizidgefährdete Nutzer zu schaffen. Ein neuronales Netzwerk analysiere die Statusmeldungen und die Reaktionen anderer Nutzer, etwa Fragen wie „Kann ich helfen“ oder „Geht es dir gut?“, erstelle einen Gefahrenwert und löse ggf. einen Notfalleinsatz aus. Was sich zunächst hilfreich und verantwortungsvoll anhört, sorgt für Bedenken wegen mangelnder Transparenz und möglichem Missbrauch des Systems.

6. Folge 137, Radioserie der Zentralen Intelligenz Agentur im Deutschlandradio Kultur, 2008
(folge137.de, Audio, 54:45 Minuten)
Vor zehn Jahren startete bei „Deutschlandradio Kultur“ eine sechsteilige Serie fiktiver und subversiver Radiomagazine. Nun will man nach und nach die Folgen als Podcast veröffentlichen. Den Anfang macht die einstündige Sendung “Gut Genug – Magazin von Mittelmäßigen für Mittelmäßige“, bei der es fast wie im normalen Kultur-Hörfunk zugeht: Ein Reisereporter berichtet aus dem beschaulichen Molpe, der “matten Perle im Moor”, der Haus-Lyriker lobt das lauwarme Wasser und der Wissenschaftskorrespondent beklagt die Erkenntnis, dass durchschnittliche Gesichter nun doch nicht die schönsten seien.

Reichelts Lavieren, Dauerklauer “Focus”, Berlinale-Kleiderfragen

1. Schwache Verteidigung
(taz.de, Jürn Kruse)
Jürn Kruse schwankt hin und her, ob er die Einlassungen und Rechtfertigungsversuche des „Bild“-Chefs Julian Reichelt zum #miomiogate blöd oder bigott finden soll. Dieser hatte zuletzt seine Strategie geändert und sich auf den Auftritt von „Titanic“-Redakteur Moritz Hürtgen bei „RT“ eingeschossen. Reichelt hatte u.a. getwittert: „Wer professionell gezielte Desinformation betreibt und damit RT bedient, kann sich nicht auf Freiheit der Satire berufen.“
Kruse nötigt das ein trockenes „Doch, Herr Reichelt, kann er.“ ab. „So wie Sie sich auf die Freiheit der Presse berufen dürfen, wenn Sie einen Hund in die SPD einschleusen.“

Weiterer Lesetipp: Julians Einmaleins (daily.spiegel.de, Ulrike Simon)
.

2. Das Gift der asozialen Medien
(wiwo.de, Dieter Schnaas)
Dieter Schnaas entwickelt in der „Wirtschaftswoche“ interessante Gedanken über „das Gift der asozialen Medien“. Die eigentliche Gefahr liege im stillen Bündnis von Politik und sozialen Medien: „Donald Trump und Mark Zuckerberg kommt es eben nicht auf Virilität und Mobilisierung an, auf die Kraft von Worten, Kriterien und Argumenten, sondern auf Zerstreuung und Entpolitisierung – auf die Entkräftung der Gesellschaft durch die Bewirtschaftung von Emotionen. Man muss Zuckerberg bei seinem Weltfriedensprojekt schon beim Wort nehmen, um es wirklich fürchten zu lernen: Er und Trump bringen die Menschen durch die systematische Trivialisierung der Welt einander näher – indem sie Nutzern und Wählern die Denk- und Diskursfähigkeit abtrainieren. Für beide, Zuckerberg wie Trump, zählt der Trend, nicht die Bedeutsamkeit. Das „Gefällt mir“, nicht dessen Grund. Der Präsenzerfolg, nicht die Arbeit an einem Ziel.“

3. „Textaufbau, Einstieg, teilweise ganze Passagen kopiert“: Focus Online löscht Artikel und entschuldigt sich für Inhalte-Klau bei Welt
(meedia.de, Marvin Schade)
Zwischen den Unternehmen Axel Springer und Hubert Burda Media gibt es immer mal wieder Zoff. Axel Springer hatte dem Focus zum Beispiel„systematischen Inhalte-Klau“ vorgeworfen und war deswegen sogar vor Gericht gezogen. Es kam jedoch nicht zur Eskalation: In einer gemeinsamen Presseerklärung teilten beide Medienunternehmen damals mit, man habe sich geeinigt. Nun gibt es einen neuen Fall des Inhalte-Diebstahls: Die „Welt“ beklagt sich darüber, dass „Focus Online“ sich bei ihr allzu großzügig bedient habe („Textaufbau, Einstieg, teilweise ganze Passagen vom WELT-Original kopiert“).
Mittlerweile ist der Focus-Artikel verschwunden und die stellvertretende Chefredakteurin hat sich auf Twitter entschuldigt. Die lapidare Einleitung „Fehler passieren.“, lässt ahnen, wie Ernst es ihr damit ist.
Weiterer Lesetipp: „Eindruck einer Satire-Session“: Focus Online bemüht sich jetzt um konstruktiven Journalismus (meedia.de, Marvin Schade).

4. Wozu Rundfunk-Gebühren? Frequently Asked Questions
(arminwolf.at)
In der Schweiz findet in wenigen Tagen eine erbittert umkämpfte Volksabstimmung über die Erhebung von Rundfunkgebühren statt. Da die österreichische FPÖ ebenfalls die Abschaffung der „Zwangsgebühren“ fordert, hat Armin Wolf die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema zusammengestellt. In vollem Bewusstsein, dass man ihm Parteinahme vorwerfen könnte: „Jetzt können Sie natürlich sagen: Eh klar, dass er das schreibt, er kriegt ja sein Gehalt dort. Stimmt, ich bekomme mein Gehalt im ORF – großteils aus Ihren Gebühren (vielen Dank!), aber ich wäre auch für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wenn ich ganz was anderes arbeiten würde. Einfach als Staatsbürger. 80 Cent am Tag ist mir das wert.“
Lesetipp zur Abstimmung über die Abschaffung der Rundfunk- und Fernsehgebühren in der Schweiz: Bastion der Demokratie (zeit.de, Thomas Beschorner & Caspar Hirschi)

.

5. Steingart kritisiert zum Abschied Dieter von Holtzbrinck
(dwdl.de, Timo Neumeier)
Gabor Steingart hat zu Beginn des Monats seinen Posten als Herausgeber und Geschäftsführer der Handelsblatt Media Group verloren. Nun hat er sich in einer Abschiedsmail an seine Mitarbeiter gewandt und noch einmal Verleger Dieter von Holtzbrinck kritisiert. Dessen “Handhabung der Presse- und Meinungsfreiheit in Sachen Martin Schulz” habe letztendlich zur Entfremdung geführt.
Weiterer Lesetipp: Gabor Steingarts Abschiedsbrief im Original (kress.de, Bülend Ürük).

6. Die Reaktionen auf Lena Meyer-Landruts Kleid zeigen, wie sexistisch deutsche Medien sind
(vice.com, Rebecca Baden)
Eine „n-tv“-Journalistin fühlte sich durch die sexistische Berichterstattung über Lena Meyer-Landruts Auftritt bei der Berlinale gestört und schrieb einen offenen Beschwerdebrief. Diesen richtete sie jedoch nicht, wie zu vermuten, an die „Bild“, sondern an Meyer-Landrut. Ihr freundlich eingeleiteter “Liebe Lena”-Brief lese sich dabei wie „die auf Diddl-Blättern verfassten Hassbotschaften, in denen Grundschülerinnen sich die Freundschaft kündigen“, so Rebecca Baden in ihrer Erwiderung.

Reichelts Worte, Traurige Sex-Hetze, Panikmache und Scharfmacherei

1. Nach SPD-Posse der Titanic: Reichelt entschuldigt sich beim Bild-Team
(wuv.de, Lisa Priller-Gebhardt)
Während es im Netz in der Sache #miomiogate Hohn und Spott für “Bild”-Chef Julian Reichelt gibt, versucht dieser wenigstens seinem Team per Rundbrief weiszumachen, man habe alles richtig gemacht.
Ganz zum Schluss beschwört der ehemalige Kriegsreporter und Militarismusfan nochmal seine virtuellen Truppen: “(…) zusammenzustehen, wenn wir Anfeindungen ausgesetzt sind, geht auf uns alle” — und man sieht ihn dabei förmlich im Büro auf dem Feldbett sitzen. Wenn er nicht längst einen Architekten damit beauftragt hat, im Axel-Springer-Hochhaus Schützengräben auszuheben.

2. Die Lüge von der „Sex-Broschüre für Kita-Kinder“
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Sobald es um Themen wie Intersexualität und Transsexualität geht, scheinen bei Boulevardmedien die Sicherungen durchzubrennen. So auch bei einer von “Bild” und “BZ” zum Skandal hochgejazzten Broschüre für pädagogische Fachkräfte. Stefan Niggemeier kommentiert den traurigen Vorgang: “(…) was hier passiert, ist keine Diskussion über die Inhalte der Broschüre. Es ist eine Schmutz- und Desinformationskampagne. Sie verbreitet erneut die Mär von der “Frühsexualisierung” und vielen damit verbundenen Unterstellungen wie der, dass linke Pädagoginnen und Pädagogen heimlich daran arbeiten, die ganze Welt transsexuell oder wenigstens schwul zu machen, und „normale“ Kinder verachten und vernachlässigen.”

3. Änderungen in der Google-Bildsuche – Probleme bleiben
(djv.de, Michael Hirschler)
Die Fotobranche hat schon seit Längerem Probleme mit Google und dabei wird es wohl auch bleiben. Mittlerweile hat der Suchmaschinengigant zwar die sogenannte Einzelbildpräsentation abgeschafft. Dies erfolgte jedoch nicht aus Einsicht oder Wohlwollen, sondern ist auf einen Deal mit der Firma Getty Images zurückzuführen. Michael Hirschler kommentiert: “Ein kritischer Beobachter könnte auch meinen: der Firma Getty Images wurde ihre Beschwerde wohl eher abgekauft. Das erinnert an die Praxis der Firma Microsoft, als die EU-Kommission wegen Wettbewerbsverletzungen gegen sie vorging. Firmen, die eine Beschwerde eingelegt hatten, wurden von Microsoft einfach aufgekauft. Auch wenn Getty Images jetzt (noch) nicht direkt von Google aufgekauft wurde, sieht es ziemlich ähnlich aus.”

4. Kenntnisfreie „Fakten-Checker“ bei „Hart aber fair“: Plasberg und Bild strapazieren das „gesunde Volksempfinden“
(meedia.de, Thomas Fischer)
Die vergangene “Hart aber Fair”-Sendung mit Frank Plasberg wurde in den Medien vielfach kritisiert. Hans Hütt fand in der “FAZ”, dass die Sendung ihren Informationsauftrag verfehlt hätte und macht dafür auch die Fragen von Gastgeber Plasberg verantwortlich. Christoph Kammenhuber sah es in der „taz“ ähnlich: Dem Moderator habe es an juristischem Fingerspitzengefühl gefühlt und er habe als Vertreter des „gesunden Volksempfindens“ Stimmung gegen die Justiz gemacht.
 Nun nimmt sich mit Bundesrichter a.D. Thomas Fischer jemand vom Fach der Sendung an. Sein Befund: “Fünf Viertelstunden kenntnisfreier Panikmache und rechtspolitischer Scharfmacherei auf sehr niedrigem Niveau“.

5. Hass-Reden gegen Menschenrechte
(taz.de)
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat ihren Jahresbericht vorgestellt. „Das Schreckgespenst von Angst und Hass macht sich in der Weltpolitik breit und es gibt wenige Regierungen, die sich in diesen unruhigen Zeiten für Menschenrechte einsetzen“, beklagt der Vorsitzende Salil Shetty. Negativ hervorgehoben hätten sich die Staatschefs von Ägypten, Venezuela und der Philippinen, aber auch der russischen Präsidenten Wladimir Putin, der chinesischen Staatschef Xi Jinping und US-Präsident Donald Trump.

6. “Wer hat Julian Reichelt erlaubt, die Demokratie so in den Dreck zu ziehen?”
(tagesspiegel.de, Christopher Lauer)
Christopher Lauer wendet sich in seiner Video-Kolumne an den „Bild“-Chef: „Lieber Julian Reichelt, wer hat Dir erlaubt, die Demokratie so in den Dreck zu ziehen, wie es Deine Zeitung gerade macht?“

Kommissar Reichelt und die “Bild”-Sheriffs üben Titelseiten-Selbstjustiz

Auch für Idioten gilt die Unschuldsvermutung. Auch Idioten müssen sich keine Vorverurteilung gefallen lassen. Auch Idioten sind nicht gleich “Verbrecher”, nur weil jemand ein Foto von ihnen gefunden hat, aus dem man ableiten könnte, dass sie eine Straftat begangen haben. Auch Idioten haben Persönlichkeitsrechte. Auch Idioten haben ein Recht am eigenen Bild.

Wir schreiben das so deutlich, weil die “Bild”-Redaktion das alles anders zu sehen scheint:


(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns. Bei “Bild” und Bild.de waren die Gesichter aller Personen zu erkennen.)

So sah gestern die Titelseite der “Bild”-Zeitung aus. Die Fahndung nach den “G20-Verbrechern” erstreckte sich auch aufs Internet, prominent platziert bei Bild.de:

Insgesamt 18 Personen, die am vergangenen Wochenende irgendwas in Hamburg gemacht haben sollen, haben die “Bild”-Medien an den Pranger gestellt, mit vergrößerten Gesichtern und der Beschreibung von besonderen Merkmalen. Manche von ihnen sind beim Werfen eines Steins zu sehen, manche beim Tragen eines Steins. Eine Frau ist kurz davor, eine leere Cola-Flasche wegzuschleudern. Eine andere hat zwei volle Flaschen Kindersekt unter den Arm geklemmt. Was die Leute davor gemacht haben oder danach, wohin die Steine und Flaschen fliegen, die sie in den Händen halten, ob sie bei manchen überhaupt fliegen oder nicht doch wieder fallen gelassen werden — nichts davon ist bekannt, und nichts davon lösen “Bild” oder Bild.de auf.

Das alles ist gleich aus mehreren Gründen mindestens problematisch, teilweise wohl auch rechtswidrig. Es fängt an mit der Vorverurteilung durch die “Bild”-Medien. Bereits in der Titelzeile steht fest, dass es sich um “Verbrecher” handele (wobei schon das Wort “Verbrecher” falsch ist, weil es sich erst dann um ein Verbrechen handelt, wenn die Mindestfreiheitsstrafe ein Jahr beträgt, etwa bei Mord oder schwerer Körperverletzung, nicht aber bei schwerem Landfriedensbruch — dort spricht man von einem Vergehen). Die Unschuldsvermutung, die für jeden Menschen gilt, gilt nicht bei “Bild”. Während man normalerweise erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung ein Straftäter ist, reicht für die Redaktion schon eine Momentaufnahme, um ein Urteil zu sprechen. Ein möglicher Kontext ist dabei völlig egal.

Und das ist dann auch schon das nächste Problem: Die “Bild”-Medien nehmen Rollen ein, die nichts mehr mit der normaler Berichterstatter zu tun haben. In guten Momenten werden Medien zur vierten Gewalt, weil sie die drei anderen Gewalten — Legislative, Exekutive und Judikative — überwachen. “Bild” reicht das offenbar nicht mehr. Stefan Niggemeier schreibt bei “Übermedien” dazu:

Die Zeitung übernimmt die Rolle des Fahnders, und sie maßt sich dabei gleichzeitig die Rolle des Richters an. Ihr Urteil über die Menschen, nach denen sie öffentlich fahnden lässt, ist schon gefällt, und ein Teil der Strafe in Form des öffentlichen Prangers schon vollstreckt.

Dass “Bild” überhaupt öffentlich nach Personen fahndet, sei “klar rechtswidrig”, sagt Dr. Marcel Leeser, Medienanwalt bei der Kölner Kanzlei “Höcker Rechtsanwälte”:

Öffentliche Fahndungsaufrufe müssen immer durch einen Richter angeordnet werden. Sie sind nur zulässig bei Straftaten von erheblicher Bedeutung. Nur in Notfällen dürfen auch Staatsanwaltschaft und Polizei die öffentliche Fahndung anordnen. Keinesfalls dürfen Private oder Medien im Alleingang Menschen zur Fahndung ausrufen.

Und dann gibt es noch das Recht am eigenen Bild. “Fotos von Demonstrationen oder der Begehung von Straftaten können zwar in vielen Fällen veröffentlicht werden”, sagt Leeser. Die Art und Weise, wie der “Bild”-Medien die Fotos präsentieren, mit Zoom auf die Gesichter, verletzte “aber eindeutig deren Recht am eigenen Bild.”

“Bild” und Bild.de tun den abgebildeten Personen Unrecht. Ohne dass je ermittelt wurde, was diese tatsächlich getan haben, stellen sie sie an den Pranger. Gerade erst am vergangenen Wochenende, ebenfalls aufgrund von Berichten über die Geschehnisse rund um den G20-Gipfel, konnte man sehen, wie das Missachten der Unschuldsvermutung nach hinten losgehen kann. Bild.de schrieb am Freitag über einen Böller, der vor einem Polizisten explodiert ist. Dazu veröffentlichte die Redaktion dieses im Original unverpixelte Foto:

Im Artikel steht dazu:

Auf einem der zahlreichen Randale-Bilder vom Freitag ist zu sehen, wie einer der Tausenden G20-Chaoten vor einem Beamten steht, der schwer verletzt in die Knie geht – der Mann hat dem Polizisten kurz zuvor einen Böller direkt ins Gesicht geworfen!

Das stimmt allerdings gar nicht. Der Mann, der auf dem Foto zu sehen ist, hat mit dem Böllerwurf nichts zu tun. Die Hamburger Polizei griff — auch wegen des Bild.de-Berichts — bei Twitter ein, weil man “einen Unschuldigen vor einer ‘Online-Hetzjagd’ schützen” wolle:

Bild.de fügte der Bildunterschrift später die Information hinzu, dass der Böller-Werfer nicht auf dem Foto zu sehen sei. Gelernt haben die “Bild”-Medien aus diesem Fall aber offenbar nichts, wie die Titelseiten von Montag eindrucksvoll zeigt.

Die “GESUCHT!”-Aktion hat bereits konkrete Folgen. Heute meldete “Bild” — sicher nicht ohne Stolz — auf der Titelseite: “GESTELLT!”, nachdem sich einer der Abgebildeten bei der Polizei gemeldet hat:

Max Hoppenstedt schreibt bei “Vice”, dass es auch erste Kopfgelder gibt, die von rechten Internetseiten ausgelobt wurden, auf Grundlage der bei der “Bild”-Fahndung gedruckten Fotos.

Stefan Koldehoff sieht beim “Deutschlandfunk” “die Unabhängigkeit der Presse” durch die “Bild”-Zeitung “massiv beschädigt”:

Ohne damit die Hamburger Gewalttäter auch nur ansatzweise verstehen und verteidigen zu wollen: Wer sich so verhält, wie es die “BILD-Zeitung” heute tut, bestärkt all jene, die in Medien ohnehin nur den verlängerten Arm des Staates – die angebliche “Staatspresse” — sehen. Und das kann ernsthaft niemand wollen. Die Unabhängigkeit der Presse hat “BILD” heute massiv beschädigt.

Und Medienanwalt Ralf Höcker weist im Interview mit “Meedia” darauf hin, dass die Vorverurteilung durch “Bild” und der mediale Pranger sich bei einem möglichen Strafverfahren gegen die abgebildeten Personen auf das Strafmaß auswirken könnte:

Mit ihrer journalistischen Amtsanmaßung machen die Chefredakteure Julian Reichelt und Tanit Koch es am Ende alles nur noch schlimmer. Sie tun möglicherweise Unschuldigen unrecht und sorgen gleichzeitig dafür, dass tatsächliche Täter mit einer geringeren Strafe davonkommen.

Trotz all dieser Bedenken findet “Bild”-Chefredakteurin Tanit Koch die Aktion ihrer Zeitung völlig in Ordnung. Sie beruft sich bei ihrem Urteil auf die “Vedachtsberichterstattung”:

Nun bedeutet “Verdachtsberichterstattung” eigentlich, dass man besonders zurückhaltend berichtet und extra kenntlich macht, dass es sich lediglich um einen Verdacht handelt. “Bild” macht das exakte Gegenteil und spricht von “Verbrechern”. Entweder weiß Tanit Koch nicht, was “Verdachtsberichterstattung” bedeutet. Oder sie stellt sich extra blöd. Egal wie — es wäre recht traurig.

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an Martin, Jan, Christian M., Daniel W., Viktor F., Jens A. L., Kenneth W., Ion L., @r_ebener, @rainerzufall_le, @DJ_anzen und @gamgeaDavid für die Hinweise!

Gottes Werk und Reichelts Foto


(Screenshot: BILDblog, Rahmen: Theen Moy)

“‘Bild’ ist ein Gesamtkunstwerk”, sagte der Medienwissenschaftler Norbert Bolz vor Jahren. Doch während “Bild”-Texte und -Überschriften schon einige literarkritische Behandlung erfahren haben, steckt die kunstwissenschaftliche Würdigung der “Bild”-Bilder noch in den Kinderschuhen. Die Kolumne “Bildbetrachtung” soll hier nachbessern.

Katastrophen sind nicht schön. Die “Bild”-Berichterstattung darüber auch nicht. Viele ethische Grundsätze müssen im Kopfe von “Bild-plus”-Chef Julian Reichelt hin- und hergerollt werden: Wie leuchtet man eine Leiche richtig aus? Wo kriegen wir am schnellsten Klassenfotos der toten Kinder her? Wo wohnen die Eltern, haben wir exklusive Heulbilder?

Leo Fischer hat mit seinen 35 Jahren bereits alles erreicht: Als Chefredakteur der “Titanic” wurde er vom Papst verklagt, ein CSUler wollte ihm “die Lizenz zum Schreiben” entziehen, als Politiker holt er regelmäßig unter 0,1 Prozent der Stimmen. Aktuell schreibt Fischer für die “Titanic”, die “Jungle World”, “Neues Deutschland” und die “taz”. Fürs BILDblog untersucht er die Bildsprache der “Bild”-Zeitung.
(Foto: Tom Hintner)

Angesichts dieser komplizierten Ethik-Lage überrascht es nicht, daß “Bild” im Fall des kaputtgerummsten Städtchens Amortadella schnell handeln mußte — und statt toter Kinder ausnahmsweise eine quietschfidele Nonne vor die Kamera gebracht hat: “Ich war mir sicher, dass ich sterben würde”, sagt Schwester Mariana zu “Bild”. “Aber in dem Moment, als eigentlich schon alles vorbei war, kam eine Stimme und rief meinen Namen. Da war ich mir sicher: Gott ist da.”

Wer mag dieser Gott sein, wer hat Mariana erhört? Eventuell hält Bild.de sich selber dafür. Gottgleiche Ausmaße hat jedenfalls der angenehm fleischige Mikrofon-Dödel, der sich da von linksunten ins Nonnen-Face schraubt. Mikro-Glieder gehören bekanntlich zur Grundausstattung von “Bild”-Mitarbeitern, bei “Bild plus” dürfen es dann gerne ein paar Zentimeter mehr sein. Eine notdürftig abgeklebte Kopfwunde weckt Assoziationen an die Stigmata des Heilands bzw. eine kurz zuvor erfolgte persönlichkeitsoptimierende Schläfenlappen-Op (Lobotomie).

Im Hauptbild hingegen sehen wir die geschwätzige Gottesdienerin attraktiv auf eine Leiter hindrapiert — als wäre sie gerade frisch vom Kreuz herabgestiegen. Den Blick hochkonzentriert aufs Handy gerichtet, den Podex auf einem Stück Sackleinen kühlend, bringt das nackte Füßlein sogar etwas zarte Erotik in dieses pietà-hafte Tableau. Auf welcher App ihre glaubensstarken Augen wohl ruhen? Auf Twitter, Snapchat oder Xhamster? Oder nicht doch besser auf der “Bild”-App? Schauen, welche Mitschwestern es zwischenzeitlich zerbrezelt hat?

Das BILDblog begrüßt jedenfalls den Trend, nur mehr leichtverletzte Opfer von Katastrophen zu zeigen und die wirklich guten Splatter-Effekte schön hinter der Paywall zu verstecken. Dann wird uns beim Besuch von Bild.de auch nicht mehr ganz so schlecht.

KW 15/25: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Wochenendausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. Daniel Drepper bei “Freiheit Deluxe”
(hr2.de, Jagoda Marinić, Audio: 1:24:11 Stunden)
Bei “Freiheit Deluxe” spricht Jagoda Marinić mit dem Investigativjournalisten Daniel Drepper über dessen Recherchen zu Machtmissbrauch, unter anderem zum Fall von Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt und der Band Rammstein, und über deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Medien. Die beiden diskutieren außerdem darüber, wie journalistische Arbeit durch politische und mediale Gegenstrategien unter Druck gerät, etwa durch Angriffe auf das Informationsfreiheitsgesetz.

2. Warum berichtet die “Zeit” so ausführlich über einen Sorgerechtsstreit?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 19:56 Minuten)
Holger Klein unterhält sich im “Übermedien”-Podcast mit der “Zeit”-Kriminalreporterin Anne Kunze über deren Artikel (nur mit Abo lesbar) zu einem prominenten Sorgerechtsfall: “Wie geht man als Journalistin mit einem derart gewaltigen Aktenberg um? Gehört so ein Streit überhaupt in die Öffentlichkeit? Und wie schwer ist es, journalistisch neutral zu bleiben, wenn eine Seite der Geschichte deutlich kooperativer ist als die andere?”
Ergänzender Lesetipp aus dem Januar 2024: Die Medienschlacht um die Block-Kinder: “Ein privater Sorgerechtsstreit wird seit Monaten auch in Medien ausgetragen. Für die ist die Sache verlockend, weil es um eine Hamburger Millionärsfamilie geht, um einen ehemaligen Sportmoderator und um Entführung. Doch wäre es nicht geboten, die Kinder vor Öffentlichkeit zu schützen?” (übermedien.de, Boris Rosenkranz)

3. Im Osten nichts Neues? Ostdeutschland in den Medien
(youtube.com, Nadine Lindner, Video: 1:02:21 Stunden)
Im Rahmen der Medientage Mitteldeutschland beschäftigte sich ein Panel mit der Berichterstattung deutscher Medien über Ostdeutschland: “Wie kann die vielschichtige Gesellschaft in den ostdeutschen Ländern differenzierter dargestellt werden? Wie lassen sich Klischees vermeiden? Und wie können ostdeutsche Stimmen sichtbarer werden?” Es diskutierten Reiner Haseloff (Ministerpräsident Sachsen-Anhalt), Christin Bohmann (Chefredakteurin MDR), Heiko Paluschka (Leiter des ProSiebenSat.1-Hauptstadtbüros), Maria Fiedler (stellvertretende Leiterin des “Spiegel”-Hauptstadtbüros) und Dirk Oschmann (Literaturprofessor und Publizist).

Bildblog unterstuetzen

4. “Godcode” & “Avignon: Der Prozess Pelicot” – Das “Ich” im Podcast
(ohrensessel.podigee.io, Sandro Schroeder & Carina Schroeder, Audio: 1:59:57 Stunden)
In der aktuellen Folge des Podcasts “Ohrensessel” sprechen Carina und Sandro Schroeder über die Podcasts “Godcode – Macht. KI. Drama.” von funk und die “Spiegel”-Produktion “Avignon: Der Prozess Pelicot”. Sie analysieren die unterschiedlichen Moderationsstile der Hosts und diskutieren darüber, was einen guten Podcast-Host ausmacht. Außerdem geht es um gängige Erzählmuster, überladene Einstiege und abgenutzte Stilmittel in der Podcast-Produktion.

5. F.A.Z.: Warum habt ihr ein neues Abo gelauncht?
(spotify.com, Lennart Schneider, Audio: 1:06:01 Stunden)
In der neuen Folge von “Subscribe Now” geht es um die überarbeitete Nachrichten-App “Der Tag” der “FAZ”, die täglich zehn ausgewählte Artikel, KI-Zusammenfassungen, eine Vorlesefunktion und ein News-Quiz biete. Marina Sorg, “Deputy Chief Product Officer” der “FAZ”, erklärt, warum die App zehn Jahre nach ihrem Start einem Relaunch unterzogen wurde, und wie die Redaktion damit gezielt neue Abonnentinnen und Abonnenten ansprechen will. Außerdem geht es um die Rolle der App als Experimentierfeld für neue Funktionen und die Integration von Künstlicher Intelligenz.

6. Die Geschichte eines Medienskandals: Die gefälschten “Hitler-Tagebücher”
(spotify.com, Christian Jakubetz, Audio: 32:51 Minuten)
Christian Jakubetz spricht in seinem Podcast “Satzzeichen” mit dem Journalisten und Autor Malte Herwig über den Medienskandal rund um die gefälschten Hitler-Tagebücher, die der “Stern” 1983 veröffentlichte. Im Mittelpunkt steht die Rolle des Reporters Gerd Heidemann, dessen Tonbandaufnahmen Herwig später entdeckte und als Grundlage seines Podcasts “Faking Hitler” nutzte. Jakubetz und Herwig sprechen darüber, was der Skandal über den Journalismus aussagt und ob sich so etwas heute wiederholen könnte.

Unhaltbare Vorwürfe, Stereotype Stockbilder, Zitieren bleibt verboten

1. Wie »Bild« und »Nius« eine kriminelle trans Polizistin erfanden
(spiegel.de, Vicky Bargel)
“Im November vergangenen Jahres verbreiteten mehrere Medien Berichte über eine trans Polizeibeamte namens Judy S., die zwei Männer sexuell missbraucht haben soll. Doch an der Geschichte stimmte fast nichts.” Vicky Bargel schreibt über einen Fall, in dem die “Bild”-Redaktion sowie das Portal “Nius” von Ex-“Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt eine zentrale Rolle spielen und der selbst “hartgesottene Medienbeobachter” verblüffe. Zuerst hatte der “Tagesspiegel” darüber berichtet: Unhaltbare Vorwürfe und ein erfundener Penis (tagesspiegel.de, Ann-Kathrin Hipp & Alexander Fröhlich, nur mit Abo lesbar).

2. Zitieren bleibt verboten
(taz.de, Robert Matthies)
Der Journalist Carsten Janz sei vom Landgericht Hamburg zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er wörtlich aus einem unveröffentlichten Gerichtsbeschluss zitiert habe, was laut Paragraf 353d StGB verboten sei. Janz habe argumentiert, dass dies ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Pressefreiheit sei und eine grundsätzliche rechtliche Abwägung verlangt. Das Gericht habe dies jedoch mit Verweis auf ältere Entscheidungen abgelehnt. Nun würden Janz und dessen Anwälte die Revision gegen das Urteil vorbereiten.

3. Wie verklickert man Lesern ein Thema wie die “Schuldenbremse”?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 27:21 Minuten)
Im “Übermedien”-Podcast spricht Holger Klein mit “Zeit”-Redakteur Kolja Rudzio darüber, wie Redaktionen komplexe Themen wie die Schuldenbremse verständlich für Laien erklären können. Rudzio sagt, dass Leserinnen und Leser sich gerade bei akuten Themen wie Haushaltsdebatten durchaus für detaillierte und anspruchsvolle Artikel interessieren. Außerdem geht es in dem Gespräch um die Frage, wie viel Einordnung nötig ist und was von Begriffen wie “Sondervermögen” zu halten ist.

Bildblog unterstuetzen

4. Von der Stange: Wenn in Medien Bilder fehlen, kommen die Klischees
(kobuk.at, Eva Sappl)
Eva Sappl beobachtet, dass österreichische Medien häufig stereotype Stockbilder von Frauen verwenden, die jung, weiß, hübsch und schlank sind. Diese Bilder würden unrealistische Schönheitsideale und traditionelle Geschlechterrollen vermitteln, weil Frauen oft in passiven, fürsorglichen oder hilfsbedürftigen Rollen gezeigt würden. Als positive Ausnahme hebt Sappl den “Standard” hervor, der bewusst versuche, diversere und weniger klischeehafte Darstellungen zu wählen.

5. “Rückblickend sind wir seit Corona keine Unterhaltungssendung mehr”
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
“DWDL”-Chefredakteur Thomas Lückerath spricht mit Markus Heidemanns, dem Produzenten der ZDF-Sendung “Markus Lanz”. Heidemanns erzählt, wie die Corona-Pandemie die Talkshow nachhaltig verändert habe – insbesondere durch den Verzicht auf Publikum im Studio und durch den Wandel von einer Unterhaltungs- hin zu einer ernsthaften politischen Gesprächssendung.

6. Der Murdoch-Clan: Familienstreit um das Medien-Imperium
(acast.com, Macht und Millionen, Audio: 55:33 Minuten)
Kayhan Özgenç, Chefredakteur von “Business Insider”, unterhält sich im Podcast “Macht und Millionen” mit Wirtschaftsredakteur Klemens Handke über den mächtigen Medienunternehmer Rupert Murdoch. Die beiden diskutieren über Murdochs globales Medienimperium, seinen politischen Einfluss und seine Rolle als gefürchteter Patriarch. Aktuell befinde sich Murdoch in einem heftigen Streit mit seinen Kindern, die um sein Milliarden-Vermögen kämpfen.

Blättern:  1 ... 10 11 12 ... 43