Suchergebnisse für ‘Gelb’

Privatsphärenklänge

Die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” beschäftigt sich mit einer neuen Form des Sexismus, dem sich Frauen in Castingshows und ähnlichen Wettbewerben freiwillig aussetzen.

Weil so ein langer Text zur Auflockerung und Aufmachung ein Foto braucht, zeigt die “FAS” ein dpa-Foto von zwei hoffnungsvollen Teilnehmerinnen eines Castings für “Germany’s Next Topmodel”:

Angetreten zur Demütigung

Die Bildunterschrift beginnt mit den Worten “Angetreten zur Demütigung”.

Das mit der Demütigung könnte sich durchaus noch mal auf direktem Wege wiederholen, denn auf den Teilnahmebögen, die die beiden jungen Frauen in die Kamera halten, sind etliche persönliche Daten, darunter Adresse und Telefonnummer, gut lesbar zu erkennen:

Vorname: Katja, Nachname: XXX, Adresse: XXX Telefon: XXX, Geburtsdatum: XXX

Mit Dank an Theo, Falk Z. und Björn.

Schutzrechte, Karneval, Gaschke

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wenn der Leser nicht will, wie die Verlage wollen”
(carta.info, Andreas Moring)
Andreas Moring wundert sich, wie die Mitarbeiter der Printverlage mit dem Medienwandel umgehen, der sie bedroht. “Bevor sich das eigene Weltbild und Selbstverständnis ändert, soll sich die Welt den (Wert-)Vorstellungen der Journalisten und Medienmanager aus den klassischen Massenmedien anpassen. Nach dieser eigentümlichen Logik wären es also die Nutzer, die sich den Zielen der Medienmacher anzupassen hätten – und nicht umgekehrt. Das aber tun sie nicht, darum muss Zwang her, werden ‘Schutzrechte’ verlangt und der Versuch unternommen, die Nutzer zum Bezahlen zu zwingen.”

2. “Ja da geht´s humba, humba, humba, täterä…”
(blogmedien.de, Horst Müller)
Karneval wird dieses Jahr fast ausschliesslich von den öffentlich-rechtlichen Sendern übertragen – dort dafür fast achtzig Stunden lang: “In der ersten Februarhälfte bis einschließlich Rosenmontag werden allein in den abendlichen Hauptsendezeiten 33 Prunk- und Festsitzungen übertragen.”

3. “Wozu noch Verlage? Die Wirtschaft kann den Journalismus retten!”
(yuccatree.de, Jürgen Vielmeier)
Jürgen Vielmeier stellt Blogs vor, die von Hosting-Anbietern, Softwareherstellern und Internet und IT-Dienstleistern betrieben werden. “Das Prinzip kann funktionieren, wenn sich die Unternehmen an eine Selbstverpflichtung halten, nicht auf die Inhalte der Redaktion einzugreifen.”

4. “susanne gaschkes strategien gegen verdummung”
(wirres.net, Felix Schwenzel)
Felix Schwenzel rezensiert ein Buch der netzkritischen “Zeit”-Journalistin Susanne Gaschke. “ist die zeitungskrise nicht eher ein qualitätsproblem, als ein technologieproblem? warum lesen junge menschen rowling, aber nicht gaschke? ich war siebzehn, als ich neil postmans ‘wir amüsieren uns zu tode’ gelesen habe. wieso kann ich mir heute keinen siebzehnjährigen vorstellen der gaschkes ‘strategien gegen die digitale verdummung’ liest? richtig. weils kreuzöde und flach wie ein bügelbrett ist.”

5. “Die Rohwedder-Verwechslung”
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
Für Ex-“Bild”-Mitarbeiter Michael Spreng gehört die Rohwedder-Verwechslung zu den peinlichsten Geschichten, die er in seiner Zeit bei der Zeitung erlebte.

6. “Blogs in Deutschland sind nett”
(lumma.de, Nico Lumma)
Nico Lumma kennt kein deutschsprachiges Blog, auf das er nicht auch verzichten könnte.

Focus, Kriegsreporter, Merkel

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der neue FOCUS: Alter Wein in bunten Schläuchen”
(nice-bastard.blogspot.com, Dorin Popa)
Dorin Popa sieht im neuen “Focus” den verzweifelten “Versuch, ein vormals stattliches Erbe in geordneten Verhältnissen zu übergeben”. Viel Neues kann er nicht erkennen: “Die ironiefreie und jeglichen Diskurses scheinbar unwillige, wenn nicht sogar unfähige Redaktion bleibt ein Reich der Textmarker-Generation, nun auch zusätzlich in der neuen Rubrik ‘Dechiffriert’, in der einige Aussagen Guido Westerwelles FDP-gelb angemarkert und in Randnotizen erläutert werden.”

2. Interview mit Hardy Prothmann
(marian-semm.de)
Ein langes Gespräch mit Hardy Prothmann, Macher von heddesheimblog.de. “Ich verlinke nach außen – das fehlt mir bei den Lokalzeitungen. Wenn ich im Netz etwas entdecke, was lokal interessant ist, weise ich meine Leser darauf hin. Und ich lege manche Quellen über Verlinkung offen. Transparente Information ist wichtig. Auch das haben Verlage nicht verstanden.”

3. “Die Zeitungen und ihre drei Probleme”
(blog-cj.de/blog, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz stellt drei Probleme bei den Zeitungen fest: Ignoranz, Innovationsfeindlichkeit und Überalterung. “Sieht man also von den Volontären ab, die meistens nach zwei Jahren wieder gehen, wird das Blatt vielfach von Menschen gemacht, die seit 35 oder 30 Jahren im Job sind und sehr häufig auch nicht allzu viele andere Stationen außerhalb ihrer Zeitung gemacht haben. Das würde ich jemandem persönlich nie zum Vorwurf machen, aber ob das die geeignetste Klientel ist, die ein Medium in Zeiten des Totalumbruchs irgendwie steuern soll, kann man getrost bezweifeln.”

4. Interview mit Jeff Jarvis
(faz-community.faz.net/blogs, Holger Schmidt)
Jeff Jarvis zur Kartellklage der deutschen Verlegerverbände gegen Google: “Das Verhalten der deutschen Verleger ist bedauerlich. Sie möchten jemanden die Schuld an ihren eigenen Problemen geben. Google sendet ihnen Leser und sie wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Es ist doch nicht die Aufgabe von Google, mit diesen Lesern Geld zu verdienen; es ist die Aufgabe der Verlage. Dieses Verhalten wird kein Problem lösen und den Verlagen langfristig schaden.”

5. “Opfer der Objektivität”
(faz.net, Harald Staun)
Harald Staun schreibt über traumatisierte Reporter: “Man braucht kein psychiatrisches Studium, um nachzuvollziehen, dass ein Leben als Kriegsreporter seelische Probleme nach sich ziehen kann.”

6. “Angela Merkel wird mit dem ‘Deutschen Medienpreis’ ausgezeichnet”
(nachdenkseiten.de, Wolfgang Lieb)
Angela Merkel wird mit dem “Deutschen Medienpreis” ausgezeichnet. “Wenn es in der deutschen Medienlandschaft noch Journalisten und Chefredakteure gäbe, die ihre ‘Wächterrolle’ in einer demokratischen Gesellschaft wirklich wahrnähmen, dann müssten sie alles tun, um dem Marktforschungsunternehmen ‘Media Control’ das Markenzeichen ‘Deutscher Medienpreis’ zu entziehen.”

Weniger bleibt mehr

Barack Obama ist auf dem absteigenden Ast. Kein Zweifel — denn man kann es schließlich überall lesen. Und so kam man auch heute Morgen kaum an den Schlagzeilen über den neusten, schwer herben Rückschlag für den US-Präsidenten vorbei:

Bei Focus.de:
Obama erleidet schweren Rückschlag. Es läuft nicht gut für Barack Obama. Bei den Nachwahlen haben die Demokraten eine Hochburg und damit ihre Mehrheit im Senat verloren. Damit können die Republikaner große Projekte blockieren – auch die Gesundheitsreform.

Bei Bild.de:
 Schwerer Rückschlag  US-Präsident Obama verliert Mehrheit im Senat

Und bei Express.de:
Herber Rückschlag Obama verliert Mehrheit im Senat

Kenner der US-Politik reiben sich verwundert sie Augen: Gestern hatte Obama noch eine satte Mehrheit: zehn Stimmen mehr als die Häfte der Senatoren. Wie konnte der Präsident – oder besser: seine Partei – diesen Vorsprung quasi über Nacht verlieren, wo am Dienstag doch nur die Nachwahl eines einzigen Abgeordneten anstand?

Die Auflösung ist einfach: Natürlich meinten die deutschen Medien nicht etwa, dass Obama die Mehrheit verloren habe, sondern nur eine Mehrheit — nämlich die qualifizierte Mehrheit von 60 Prozent der Senatssitze. Die erlaubt es einer Partei, so genannte Filibuster zu unterbrechen, bei denen ein Abgeordneter des politischen Gegners durch lange Debattenbeiträge eine Abstimmung zu verhindern versucht.

Klingt kompliziert? Ist auch so. Was also der Verlust eines Sitzes im US-Senat bedeutet, erklärt uns der Express deshalb sogar fett gedruckt — ohne mit gesetzgeberischen Details zu langweilen:

Damit verfügt Obama ein Jahr nach seiner Amtsübernahme in der kleineren Kongresskammer nicht mehr über die nötige 60-Stimmen-Mehrheit zur Durchsetzung wichtiger Gesetzesvorhaben.

So ähnlich scheint es auch der Redakteur von Stern.de gesehen zu haben, der die Lage heute Morgen noch etwas prägnanter zusammenfasste:

Massachusetts republikanisch: Demokraten verlieren Senat

Inzwischen wurde die Überschrift geändert und bekam einen “-orenposten” angehängt.

Gewiss: Ein etwas harsches Urteil für eine Senatsmehrheit, die zum Beispiel weit oberhalb der Mehrheit der schwarz-gelben Koalition im Deutschen Bundestag liegt. Aber wenn Obama nun keine wichtigen Gesetze mehr durchbringen kann, ist das Fazit sicher gerechtfertigt. Außerdem klingt es so viel besser als die komplizierten Fakten.

Allerdings war Barack Obama im vergangenen Jahr der erste Präsident seit Jimmy Carter, der über diese super majority verfügte. Und dass weder Ronald Reagan, noch George Bush, Bill Clinton oder George W. Bush je ein wichtiges Gesetz durchgebracht hätten, ist eine Interpretation, die wohl nur wenige Menschen teilen würden.

Mit Dank auch an TM.

Nachtrag, 21. Januar: Focus.de hat inzwischen den Beitrag berichtigt und den Fehler richtig gestellt.

Paid Content, ZDFneo, Krawatten

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Doppelt missverstehen heißt trotzdem nicht verstehen”
(print-wuergt.de, Michalis Pantelouris)
Langer, aber lesenswerter Artikel über die Mühen mit dem Online-Journalismus: “Wenn man sich ansieht, wie viele Millionen der Aufbau der Online-Redaktionen und der Seiten, die sie betreuen, bis heute gekostet hat, ist es fast unerträglich zu sehen, wie wenig dabei herausgekommen ist. Einfach nur, weil es niemand gewagt hat, sich auf das zu konzentrieren, was seine Marke ausmacht.”

2. “RSS-Feeds: Eine Option für Paid Content?”
(netzwertig.com, Martin Weigert)
Martin Weigert liefert einen Paid-Content-Vorschlag: “Warum bieten führende Anbieter von journalistischen Angeboten ihren Lesern nicht an, vollständige RSS-Feeds gegen ein monatliches Entgelt zu abonnieren?”

3. “10 noch erwähnenswerte Flops 2009”
(fernsehkritik.tv, Video, ca. 15 Minuten)
10 TV-Flops 2009 mit “Zimmer frei!”, dem TV-Duell zwischen Merkel und Steinmeier, Til Schweiger, Johannes B. Kerner und, überraschend auf Platz 1, ZDFneo. Die Website Fernsehkritik.tv ist derzeit übrigens dazu gezwungen, Inhalte offline zu stellen, siehe dazu den Beitrag “Einfach mal den Stecker gezogen…”.

4. “Dirk Mantheys Medientrends für 2010”
(meedia.de, Dirk Manthey)
“1. Paid Content wird viele Enttäuschungen bringen, 2. Markenartikel werden auf breiter Front ins Internet gehen, 3. Der ganz große Trend heißt Mobiles Internet, 4.Das iPhone wird weltweit Smartphone Nr. 1 – trotz Google, 5. Das Print-Sterben wird auch 2010 weitergehen, 6. Verlage konzentrieren sich auf Internet-Only-Produkte, 7. Digitale Lesegeräte schaffen 2010 den Durchbruch, 8. Der Widerstand gegen Google dürfte stärker werden, 9. Echtzeitsuche wird keine große Rolle spielen, 10. Noch ein Winner für 2010: Foursquare”

5. “Jahrelange Desinformation”
(spiegelblog.net, T. Engelbrecht)
“Wie der SPIEGEL nun endlich realisiert, dass die ‘Spanische Grippe’ von 1918 nicht allein durch ein Virus verursacht worden sein kann.”

6. “Guttenberg-Krawatten-Gedächtnis-Spiel”
(extra3.blog.ndr.de, Pausenbrot)
Unter der investigativen Lupe der Satiresendung “Extra 3” sind die Krawatten von Verteidigungsminister zu Guttenberg, auf denen süße, harmlose Tiere zu finden sind. “Hoppelhäschen und Tintenfischbabys, die sich fröhlich tanzend an den Ärmchen halten, nehmen auch aus den härtesten Verhandlungen ein wenig Schärfe.” Erst kürzlich widmete sich Kurt Kister in der “Süddeutschen Zeitung” den Kleidern des Ministers.

Bild  

Schuldig bis zum Beweis des Gegenteils

Seit gestern hat die “Bild” einen Schauspieler (“erfolgreich, gut aussehend und beliebt”) in der Mangel. Genauer gesagt: Seit er unter dem Verdacht, zwei Frauen vergewaltigt zu haben, verhaftet wurde. Was bis jetzt gegen den Mann vorliegt, ist — erstmal ein Verdacht. Angeblich wurde seine DNA am Tatort gefunden, “ein Ermittler” sagte deswegen zu “Bild”: “Für uns gilt er als überführt.” Eine DNA-Spur und die Meinung eines nicht näher benannten Ermittlers, das reicht für “Bild” zu folgender Schlagzeile aus:

TV-Star vergewaltigt Mutter und Tochter
(Unkenntlichmachung von uns)

Weitere Begründung von “Bild” für diese doch gewagte Behauptung: Die Staatsanwaltschaft sei sich sicher, den Schauspieler auch der Vergewaltigung überführen zu können. Sagt zumindest “Bild”. Das offizielle Statement des zuständigen Oberstaatsanwalts liest sich schon weitaus zurückhaltender: “Wir ermitteln wegen Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung, schweren Raubes, Freiheitsberaubung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.”

Dabei war Bild.de am Tag davor noch ein wenig vorsichtiger mit dem Schauspieler umgegangen: Aufgrund ungefähr der gleichen Faktenlage formulierte man da die Überschrift wenigstens noch als Frage. Am Tag darauf wird daraus schon eine Feststellung.

Auch die von “Bild” ins Feld geführte DNA-Spur ist erst einmal nichts anderes als ein Indiz. DNA-Auswertungen dürfen bei einer Gerichtsverhandlung nie als alleiniges Beweismittel gewertet werden. Sollte also tatsächlich die DNA des Schauspielers am Tatort gefunden worden sein, rechtfertigt das noch lange nicht die Aussage, dass der Verdächtige als überführt zu gelten hat.

Indes: Wenn jemand erst einmal in der “Bild”-Redaktion irgendwie als “überführt” gilt, dann bleibt er das — solange, bis ein Gericht im das Gegenteil attestiert. Andreas Türck und eine bekannte Sängerin, eine vermeintliche “Feuer-Chaotin” und sicher nicht nur sie können davon Geschichten erzählen.

Für “Bild” gilt unter Umkehrung von Recht und Pressekodex: die Schuldsvermutung.

Mit Dank an Stephan F.,  B.W.,  Ellen L. und  Annika H.

Philipp Rösler, Augenarzt fürs Leben

Freitag nachmittag: Die Zusammensetzung des neuen Bundeskabinetts rauscht durch alle Medien. Es eilt. Damit die Kabinettsliste am Samstag auf den Titelseiten aller wichtigen Zeitungen stehen kann, müssen die Infos jetzt fließen. Schnell.

Und so meldet der Basisdienst der dpa in Hamburg um 16:51 Uhr:

Berlin (dpa) — Der niedersächsische Vize-Ministerpräsident Philipp Rösler (FDP) wird wahrscheinlich neuer Gesundheitsminister. Dies verlautete am Freitag aus Kreisen der Verhandlungsführer. Der 36-jährige Landeswirtschaftsminister aus Hannover wollte eigentlich nicht nach Berlin wechseln. Der studierte Augenarzt hat zusammen mit Ursula von der Leyen (CDU) den Gesundheitskompromiss der neuen schwarz-gelben Koalition ausgehandelt.

Um 17:50 Uhr folgt das Portrait des bundespolitischen Newcomers:

Der bisherige Landtagsfraktionschef in Hannover hatte erst im Februar das Amt des Wirtschaftsministers in einer CDU/FDP-Koalition im Land übernommen. In dem Ressort ist er der jüngste in Deutschland. Dabei machte sich der Augenarzt und Vater von Zwillingen als Krisenmanager einen Namen. Vorher war Wirtschaft nicht unbedingt sein Steckenpferd.

In dieses bunte Potpourri an Funktionen hat sich leider ein faules Ei eingeschlichten: Rösler ist kein Augenarzt. Der Irrtum ist so verbreitet, dass der Jung-Politiker auf seiner Webseite sogar einen eigenen Abschnitt zu seinem Lebenslauf hinzugefügt hat:

ACHTUNG, wichtiger Hinweis: Entgegen vielerlei Presseartikeln und Berichten bin ich NICHT Facharzt für Augenheilkunde, sondern von Beruf einfach Arzt.

Bald entdeckt man bei dpa den Fehler und schickt um 18:27 Uhr eine Berichtigung hinterher:

(Berichtigung: Arzt statt Augenarzt im dritten Absatz)

Doch zu spät. Die Information hat sich bereits im Medienkreislauf festgefressen:

Bei Bild.de, …

Der studierte Augenarzt hat zusammen mit Ursula von der Leyen (CDU) den Gesundheitskompromiss der neuen schwarz-gelben Koalition ausgehandelt.

… der “Rheinischen Post”, …

Ein 36-jähriger Augenarzt, geboren in Vietnam, ist die Überraschung im Kabinett der schwarz-gelben Bundesregierung.

… dem “Hamburger Abendblatt”

Philipp Rösler, Augenarzt und niedersächsischer Wirtschaftsminister, soll an diesem Sonnabend unerwartet als Gesundheitsminister vorgestellt werden. Exklusiv im Abendblatt präsentiert der 36-jährige FDP-Politiker seine Pläne.

… und in vielen weiteren Medien findet man den falschen Beruf. “Spiegel Online” hat sich eine besondere Variante einfallen lassen — man bezieht Teile des Lebenslaufs über Twitter:

Am frühen Abend dann twitterte der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr: Ein Augenarzt mit Durch- und Weitblick wird Gesundheitsminister. Ich freue mich für Philipp Rösler und die FDP und werde ihn unterstützen!

Hm?

Landwirtschaftsminister ist Rösler übrigens auch nicht, obwohl zahlreiche Online-Medien das dank dpa in einem Bildtext verbreiten. Gemeint ist: Landeswirtschaftsminister. Komisches Wort aber auch.

Um 21:35 Uhr kehrt die Information überraschend auch wieder zu dpa zurück, wo man Röslers Heimatzeitung, die “Hannoversche Allgemeine Zeitung”, zitiert, die es erstaunlicherweise auch nicht besser weiß:

Man tritt ihm nicht zu nahe, wenn man festhält, dass die Herkunft aus Niedersachsen ihm geholfen hat. Zuvor hatte die FDP für Justiz eine Frau aus Bayern und für Wirtschaft einen Mann aus Rheinland-Pfalz nominiert. Immerhin: Rösler ist gelernter Augenarzt. Als er noch im Facharztzentrum der Bundeswehr in Hannover arbeitete, ließ er sich freilich nicht träumen, mal Bundesgesundheitsminister zu werden.

Ein einmaliger Ausrutscher? Mitnichten. Schon vor vier Tagen hatte die dpa ein kurzes Portrait der niedersächsischen Wirtschaftsministers gebracht:

In dem Ressort ist er der jüngste in Deutschland. Dabei machte sich der Augenarzt und Vater von Zwillingen als Krisenmanager einen Namen. Vorher war Wirtschaftskompetenz nicht unbedingt sein Steckenpferd. Rösler, Lakritz-Liebhaber und Hobby-Bauchredner, gilt als scharfzüngiger Schnellredner, der charmant aber auch verbindlich im Ton auftritt.

Und drei Wochen zuvor stellte die “Welt” Rösler als künftigen Wirtschaftsminister vor:

Geht das Wirtschaftsressort an die FDP, könnten die Liberalen eines ihrer größten Talente zum Zuge kommen lassen: Philipp Rösler (36), der seit Anfang 2009 dieses Ressort in Niedersachsen führt. Das von deutschen Eltern adoptierte Waisenkind aus Vietnam ist gelernter Augenarzt.

Die Reihe ließe sich noch lange weiter fortsetzen — mehr als sechs Jahre lang. Am 15. Februar 2003 meldete der Berliner “Tagesspiegel” anscheinend als erster den falschen Beruf des damaligen Fraktionsvorsitzenden:

McAllister kommt aus Bad Bederkesa im Landkreis Cuxhaven, ist in seiner Heimatstadt verwurzelt, war dort Bürgermeister und Schützenkönig. (…) Hinzu kommt der neue Fraktionschef der FDP, der erst 29 Jahre alte Augenarzt Philipp Rösler.

Am 23. Februar desselben Jahres legte die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” noch eins drauf:

Philipp Rösler tritt leise auf. Er führt die Fraktion der FDP in Niedersachsen, die es nach neun Jahren wieder in den Landtag schaffte. 29 Jahre ist er alt, verheiratet mit einer jungliberalen Ärztin. Rösler ist promovierter Augenarzt und nach zehn Jahren als Zeitsoldat im Rang eines Stabsarztes. Nie der beste, aber immer der fröhlichste Mediziner sei er gewesen, sagt Rösler.

Gesundheitsminister bleibt man vier — mit viel Glück sogar acht Jahre lang. Eines jedoch wird Philipp Rösler wohl immer bleiben: Augenarzt.

Mit Dank an Patti!

Nachtrag 26. Oktober, 11:20 Uhr: Während Redaktionen wie “Spiegel Online” und “Zeit.de” ihre Artikel von dem Fehler bereinigen, beharrt “Bild.de” am Sonntag abend immer noch auf der Bezeichnung “promovierter Augenarzt”.

Wie es zu dem weit verbreiteten Irrtum kommen konnte, erklärt das “Ärzteblatt”:

Tatsächlich hat Rösler über ein Thema aus der Herzchirurgie promoviert und bis 2003 als Sanitätsoffizier der Bundeswehr gearbeitet. Parallel verlief die Politikerkarriere und dabei verlief sich die begonnene Weiterbildung zum Augenarzt. Soviel zum Biografischen. Jeder wird in den nächsten Tagen allüberall nahezu alles über Rösler lesen können, seine ungewöhnliche Biografie reizt schließlich jeden Journalisten zu einer Story.

Von Dreckschweinen und Wiederholungstätern

Vor etwa zwei Monaten hatte das Bundeskriminalamt in einer bis dato einzigartigen Aktion in verschiedenen Medien nach einem Mann gefahndet, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde. Als sich der mutmaßliche Täter aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit nach einem Tag stellte, bat das BKA, die zur Fahndung veröffentlichten Fotos nicht weiter zu verwenden und aus dem Internet zu entfernen. Dieser Bitte kamen die deutschen Medien mit unterschiedlichem Eifer nach (BILDblog berichtete).

Heute nun hat die Staatsanwaltschaft Trier Anklage gegen den Tatverdächtigen erhoben — eine Nachricht, die Bild.de natürlich gerne aufgreift.

Zum Beispiel so:

Die jeweils amtierenden “schlimmsten Kinderschänder Deutschlands” von “Bild” und “BamS”:

“Schlimmster Kinderschänder frei!”
(Gestand Missbrauch von 150 Mädchen)
(16.11.1997)

“Der Ehrendoktor der Universität […] ist Deutschlands schlimmster Kinderschänder.”
(Vergewaltigte mehrere Mädchen auf den Philippinen.)
(12.12.1999)

“Das Rekord-Schwein: Deutschlands schlimmster Kinderschänder.”
(Missbrauchte seine Stieftochter in 3586 Fällen.)
(7.5.2004)

“Deutschlands schlimmster Kinderschänder sitzt im Knast und jammert!”
(Hatte eine 13-Jährige 36 Tage lang eingesperrt und 100 Mal vergewaltigt und missbraucht.)
(7.8.2007)

“Grinst hier Deutschlands schlimmster Kinderschänder?”
(Soll in 20 Jahren 28 Jungen und Mädchen missbraucht haben.)
(3.3.2008)

“Mittwochabend zeigte ‘Aktenzeichen XY”‘ (ZDF) die Bilder des schlimmsten Kinderschänder Deutschlands.”
(Der aktuelle Fall.)
(7.8.2009)

Anklage erhoben: Schlimmster Kinderschänder vor Gericht

(Wie genau Bild.de auf den Superlativ “Deutschlands schlimmster Kinderschänder” kommt, ist nicht ganz klar — von der Staatsanwaltschaft Trier stammt er jedenfalls nicht.)

Im Artikel selbst werden munter alte und neue Bildergalerien verlinkt, in denen der Mann, den Bild.de konsequent als “Kinderschänder” bezeichnet — ganz so, als sei er schon verurteilt worden –, immer gut zu erkennen ist. Ganz zu oberst: Ein Clip, in dem die Videosequenzen zu sehen sind, deren weitere Veröffentlichung das BKA sich ebenfalls verbeten hatte.

Video auf Bild.de

Aber selbst für den (eher unwahrscheinlichen) Fall, dass das BKA die Bild.de-Redakteure mit vorgehaltenen Waffen zur Löschung der ehemaligen Fahndungsfotos zwingt, hätte die Seite noch was in petto: zum Beispiel ein Foto, das die “Sex-Bestie” bei einem Turnfest “mit seinen jungen Schützlingen” zeigt. Die Kinder auf dem Bild sind anonymisiert, der Angeklagte natürlich nicht. Darunter steht der Hinweis “Foto: Alexander Blum”, was zumindest einige Mutmaßungen darüber zulässt, wie “Bild” diesmal an das Foto gekommen sein könnte.

Aber all das ist wie gesagt nichts Neues für Bild.de. Auch die Bildunterschrift “Mit diesem Bild fahndete das BKA nach dem Dreckschwein” (“Dreckschwein” ist in diesem Fall keine vom BKA verwendete Formulierung) gab es in ähnlicher Form schon in der gedruckten “Bild”. Es ist nur erstaunlich, mit welcher Vehemenz die Redaktion Bitten des Bundeskriminalamts und Missbilligungen des Deutschen Presserats ignorieren zu können meint.

Nachtrag, 14. Oktober: Und so behandelt die gedruckte “Bild” heute das Thema (alle gelben Flächen von uns):

Deutschlands schlimmster Kinderschänder: Die Anklage

Bei der Quellenangabe der Fotos war “Bild” übrigens besonders zynisch dreist genau: “Fotos: BKA” steht dort.

Von Monstern und anderem Irren

2008 war, wenn man so will, ein gutes Jahr für “Bild”. Der Deutsche Presserat sprach nur in zwei Fällen Rügen gegen “Bild” aus:

  • Das Gremium beanstandete — aufgrund einer Beschwerde von BILDblog — die teils frei erfundene Berichterstattung über zwei Mädchen, die angeblich von ihrer Mutter nach Afrika gebracht und dort beschnitten werden sollten (BILDblog berichtete).
  • Und der Presserat rügte die “unangemessen sensationelle” Art, wie “Bild” über einen Flugzeugabsturz berichtetete, verkohlte Leichen auf der Titelseite zeigte und die Opfer im Inneren identifizierte — und so “die Gefühle der trauernden Angehörigen verletzt” habe. (Die “Bild”-Zeitung fand die Beanstandung, wie berichtet, “rätselhaft” und führte ihre Leser beim Abdruck der Rüge in die Irre, was dem Presserat aber egal ist.)

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung oder eine Zeitschrift gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, tun sie es nicht.

Trotzdem hatte der Presserat auch im vergangenen Jahr reichlich mit “Bild” zu tun und sprach eine Reihe von “Missbilligungen” und “Hinweisen” aus. Und wie in jedem Jahr gibt das vor kurzem erschienene “Jahrbuch” des Presserates seltene Einblicke in die Argumentationsmuster innerhalb der notorisch öffentlichkeitsscheuen Axel-Springer-AG, wenn die Rechtsabteilung gegenüber dem Presserat ausgeruht die fragwürdigen Ad-Hoc-Entscheidungen der “Bild”-Zeitung zu rechtfertigen versucht.

Eine Auswahl:

Tote Kinder ohne Rechte?

“Die toten Kinder von Darry — Von der Mutter erstickt, vom Vater wieder ausgegraben”. Unter dieser Überschrift berichtet “Bild” am 26. Juni 2008, wie drei tote Kinder von einem Berliner Friedhof nach Schleswig-Holstein umgebettet werden. Sie und zwei weitere waren von ihrer Mutter getötet worden. “Bild” zeigt ein Familienfoto, auf dem die Gesichter der Erwachsenen unkenntlich gemacht wurden, sowie Nahaufnahmen der Särge und der Gruft — und ein Notfallseelsorger aus Schleswig-Holstein, der beruflich mit dem Fall zu tun hat, beschwert sich beim Presserat, der seine Position so wiedergibt:

Die Umbettung habe unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollen. Mit allen Firmen und den Friedhöfen sei Stillschweigen und absolute Vertraulichkeit vereinbart worden. Zu Beginn der Exhumierung in Berlin hätten mehrere Journalisten fotografieren und filmen wollen. Die Friedhofsverwaltung habe vergeblich versucht, sie davon abzuhalten. Im Gegensatz zu anderen Medien habe das Boulevardblatt Nahaufnahmen der Särge, der Gruft und des gesamten Vorgangs veröffentlicht. Zudem sei in der Online-Ausgabe ein “abscheuliches Video” mit Nahaufnahmen abrufbar gewesen. Der Geistliche sieht einen Missbrauch der Pressefreiheit und eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der verstorbenen Kinder und des trauernden Vaters.

Die Antwort von “Bild” ist vor allem eine juristische: Die Vorwürfe seien unbegründet, weil das Persönlichkeitsrecht nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes mit dem Tod erlösche. Es müsse dann nur noch allgemein die Menschenwürde geachtet werden. “Bild” habe die Kinder aber nicht herabgewürdigt oder erniedrigt. Das (nicht mehr abrufbare) Video auf Bild.de habe allerdings religiöse Gefühle verletzen können — das habe der Chefredakteur in einem Brief an den Seelsorger bedauert. Die Reporter hätten versichert, dass sie während der Exhumierung nicht am Fotografieren gehindert worden seien.

Der Presserat sieht in der Veröffentlichung der Fotos einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex, der eine Identifizierung der Opfer von Unglücksfällen und Straftaten untersagt. Der “engeren juristischen Wertung” des Verlages wollte er sich nicht anschließen. Aus ethischer Sicht hätte die Redaktion auf die Persönlichkeitsrechte der verstorbenen Kinder sowie des trauernden Vaters größeres Gewicht legen müssen. Der Presserat sah darin allerdings keinen rügenswerten Verstoß, sondern “missbilligte” die Berichterstattung nur — warum auch immer.

Lea-Sophie, nackt und verhungert auf dem OP-Tisch

Am 6. April 2008 veröffentlichten “Bild am Sonntag” und Bild.de zwei Fotos der fünfjährigen Lea-Sophie, die ihre Eltern verhungern ließen. Eines zeigte das Mädchen zu Lebzeiten, eines den Leichnam, nackt auf dem Obduktionstisch. Das zweite Foto, das die Zeitung auf unbekannte Weise bekommen hatte, war, wie die “BamS” damals schrieb, ein “schreckliches” Foto. Die Redaktion, behauptete die Redaktion, habe lange diskutiert, ob sie es zeigen solle. Dass sie sich dafür entschieden habe, das tote Kind auf diese Weise vor einem Millionenpublikum auszustellen, begründete sie mit dem Satz: “Denn wir wollen, dass so etwas nie wieder in Deutschland passiert!” (BILDblog berichtete.)

Ein Leser beschwerte sich beim Presserat, weil er in der Veröffentlichung des Bildes Sensationsmache und eine Verletzung der Menschenwürde der Verstorbenen sieht. Die Rechtsabteilung der “BamS” hält ihm entgegen, er habe sich mit den Überlegungen der Redaktion nicht auseinandergesetzt: Darin seien die Beweggründe, das Foto zu veröffentlichen, ausführlich dargelegt worden. Sie erinnerte an das “vermutlich eindringlichste Foto der Pressegeschichte”: fliehende, weinende, teilweise nackte und vom Napalm verletzte Kinder im Vietnam-Krieg. Wenn die Eltern von Lea-Sophie und ihr Anwalt ein falsches Bild der Ereignisse zeichneten, so die “BamS” laut Presserat, müsse dies ausnahmsweise durch ein Fotodokument korrigiert werden können.

Der Beschwerdeausschuss widersprach: Das Foto sei für eine wahrhaftige Berichterstattung über die Grausamkeit der Todesumstände nicht erforderlich gewesen — eine Beschreibung der Vorgänge hätte ausgereicht. Die “BamS” habe “unangemessen sensationell” berichtet und die Würde des Opfers verletzt — und somit gegen die Ziffern 1 und 11 des Pressekodex verstoßen. Der Presserat fand das aber offenbar lässlich genug, keine “Rüge”, sondern nur eine “Missbilligung” auszusprechen.

Ein “Kinderschänder” und sein Opfer im Bild

Zu den für “Bild” nachhaltig unbegreiflichen Realitäten gehört es, dass auch (mutmaßliche) Täter Rechte haben, sogar Persönlichkeitsrechte. Und dass die Richtlinie 8.1 des Pressekodex vorsieht, dass die Presse bei Straftaten in der Regel keine Informationen veröffentlicht, die die Beteiligten erkennbar machen. Es ist vermutlich die Richtlinie, gegen die “Bild” am häufigsten verstößt, so auch am 5. Juni 2008. Das Blatt titelte “Kinderschänder lockt 13-Jährige in Sex-Falle” und berichtete über ein Ermittlungsverfahren gegen einen Mann, der ein Mädchen, das er im Internet kennen lernte, zu sich nach Hause gelockt, dort vier Wochen lang versteckt und mit ihm einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt haben soll. “Bild” zeigt beide auf einem Foto. Der Anwalt des Beschuldigten sieht in der Bezeichnung “Kinderschänder” eine unzulässige Vorverurteilung und weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft bereits nach einer Woche die Aufhebung des Haftbefehls beantragt habe. Das Foto, auf dem der Mann mit dem Mädchen zu sehen ist, sei auf unlautere Weise aus den Privaträumen des Beschwerdeführers beschafft worden. Und sowohl die Bildunterschrift “In diesem Gartenhäuschen auf dem Hotelgrundstück fanden die Ermittler Kinderpornos” als auch die Behauptung “Der Mann fiel der Polizei schon früher auf: Als 17-Jähriger soll er erstmals zwei Mädchen in einen Schuppen gelockt und gefesselt haben” seien frei erfunden.

Die Rechtsabteilung von “Bild” hingegen meint, dass die Wertung als “Kinderschänder” und der Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern durch die Beschreibung der beiden Betroffenen erfüllt sei. Und an der Veröffentlichung der Fotos gebe es ein öffentliches Interesse. “Wenn jemand eine 13-jährige Schülerin vier Wochen lang vor deren Eltern versteckt halte, sei das so außergewöhnlich, dass die Fotoveröffentlichung auch gegen den Willen des Abgebildeten gerechtfertigt sei”, erklärt “Bild” laut Presserat. “Die Mutter des Beschwerdeführers habe das strittige Foto zur Verfügung gestellt. Sie habe damit zeigen wollen, dass es sich um eine einvernehmliche Beziehung zwischen ihrem Sohn und dem Mädchen gehandelt habe.” Somit habe “Bild” nicht gegen Ziffer 4 des Pressekodex verstoßen, die unlautere Recherchemethoden untersagt. Schließlich beruhten die angeblich “frei erfundenen Behauptungen” auf Informationen der Ermittlungsbehörden und Aussagen der Mutter des Beschwerdeführers, die man “nicht als Tatsachen, sondern in der Soll-Form wiedergegeben” habe.

Der Presserat “missbilligte” die Berichterstattung von “Bild”. Er sah zwar keine Verletzung der Unschuldsvermutung und konnte, wie fast immer, nicht klären, ob “Bild” unlautere Methoden bei der Recherche angewandt hat. Aber “Bild” habe den mutmaßlichen Täter nicht einmal teilweise unkenntlich gemacht. Sowohl er als auch die 13-Jährige seien erkennbar. “Der Fall ist sicher von großem öffentlichem Interesse, doch ist es auch dann nicht gerechtfertigt, die Beteiligten erkennbar zu machen”, urteilte der Beschwerdeausschuss. “Diese hätten anonymisiert werden müssen.”

Ein Irak-Soldat “frisst” einen kleinen Hund

Man kann sicher darüber streiten, ob es wirklich, wie ein Beschwerdeführer meint, “abartig” ist, dass die “Bild”-Zeitung am 11. Januar 2008 auf ihrer letzten Seite zwei AFP-Fotos zeigt, auf denen ein irakischer Soldat einen Hund erst mit seinem Messer tötet und dann isst, um den Jahrestag der Übernahme der Stadt Nadschaf zu feiern. Aber die Argumente, mit denen die “Bild”-Justiziare die Veröffentlichung der drastischen Aufnahmen rechtfertigen, sind atemberaubend. Der Presserat gibt sie so wieder:

Die Rechtsabteilung der Zeitung hält das Foto mit dem irakischen Soldaten für ein über den Tag hinaus wirkendes zeitgeschichtliches Dokument. Es zeige die Verrohung des Menschen im Krieg. Das Foto dokumentiere zudem den Hass, der einen Moslem dazu bringe, genau das Tier zu verspeisen, das in seiner Religion neben dem Schwein als besonders unrein gelte. Das Foto sei aktueller Informationsträger und erfülle eine nachrichtliche Funktion. Das blutige Ritual zeige, zu welchen Taten Soldaten im Krieg — namentlich, wenn er von Glaubensgegensätzen begleitet werde — fähig seien. Dies dürfe die Berichterstattung aufgreifen. Sie solle weder verschleiern, noch verharmlosen, sondern die Wirklichkeit so abbilden, wie sie sei.

Der Hass eines Moslems? Ein Krieg, der von Glaubensgegensätzen begleitet wird? Und all diese Informationen und Hintergründe entdecken erfahrene “Bild”-Leser zwischen den gerade einmal 20 Zeilen eines Artikels, in dem von Glauben und Religion nicht einmal die Rede ist?

Der Presserat sieht in den Fotos kein “zeitgeschichtliches Dokument”: “Es scheint sich hier um einen sehr speziellen Einzelfall zu handeln.” Das Veröffentlichen brutaler Bilder sei zwar ausnahmsweise zulässig, wenn sie zu einer politischen Debatte beitragen. Ein solches öffentliches Interesse sei aber nicht zu erkennen; die Darstellung sei unangemessen sensationell. Der Presserat sprach einen “Hinweis” aus.

Franz Josef Wagner und die “Monster” in der Psychiatrie

Und dann hatten die Mitglieder des ersten Beschwerdeausschusses des Presserates noch eine Aufgabe, um die man sie wirklich nicht beneiden kann: Sie mussten versuchen herauszufinden, was Franz Josef Wagner in einer seiner “Bild”-Kolumnen eigentlich sagen wollte. Am 26. März 2008 schrieb er an den damals noch unbekannten Täter, der einen schweren Holzklotz von einer Autobahnbrücke bei Oldenburg geworfen und damit eine Frau getötet hatte. Unter der zu seinem Markenzeichen gewordenen Umgehung von grammatischen und logischen Regeln formulierte Wagner:

Mehrere Menschen, darunter Vertreter sozialpsychiatrischer Einrichtungen und Verbände, beschwerten sich beim Presserat darüber, dass Wagner psychisch kranke Menschen als “Monster” bezeichne. Einer fühlte sich an die Nazi-Zeit erinnert, zumal schon am Beginn des Beitrages von einer Art Sippenhaft gesprochen werde; ein anderer sah in Wagners Text eine menschenverachtende Diffamierung von Personen, die psychisch krank sind und Hilfe in psychiatrischen Einrichtungen suchen.

Die Rechtsabteilung der “Bild”-Zeitung hatte für die insgesamt vier Beschwerdeführer eine überraschende Antwort: Wagner habe gerade nicht psychisch kranke Menschen, sondern Kriminelle als “Monster” bezeichnet. Die Justiziare verstiegen sich sogar zu der — vermutlich auch für Wagner selbst überraschenden — These, seine Kolumne habe einen gedanklichen “roten Faden”: Der Autor beklage, dass selbst Straftäter, die gröbste Verbrechen begehen, immer irgendwie durch “mildernde Umstände” exkulpiert würden. Erwachsene Täter, die man aufgrund ihrer Verbrechen nur noch als “Monster” bezeichnen könne, schicke man nicht ins Gefängnis, sondern zur Behandlung in die Psychiatrie. Wagners Fazit laute: Verbrechen wie die des “Holzklotzwerfers” würden nicht wirksam bekämpft; ein nächster Fall sei zu befürchten. Dass einige der Beschwerdeführer die räumliche Nähe der Begriffe “Monster” und “Psychiatrie” in dem Kommentar als Erinnerung an die Nazi-Zeit “hochschraubten”, betrachte man als polemische Übertreibung im Rahmen ihrer politischen Agitation, erklärte die Rechtsabteilung des Verlages, den man ja in Sachen “politischer Agitation” getrost als Experten betrachten darf.

Und der Presserat? Er hält den Nazi-Vorwurf für überzogen und stellt sicherheitshalber fest, dass Wagners Text mehrere Deutungsmöglichkeiten habe und man deshalb nicht zwingend davon ausgehen könne, dass Wagner alle Patienten einer Psychiatrie als “Monster” bezeichnet habe:

Eine weitere Deutungsmöglichkeit ist jedoch, dass hier nur Menschen als “Monster” bezeichnet werden, die monströse Taten begehen. Ein so monströses Verbrechen wie der Holzklotzanschlag auf eine Familie kann umgangssprachlich durchaus einem “Monster” zugeordnet werden. Die Feststellung des Autoren, “Monster werden an Händen und Füßen festgeschnallt”, ist anders zu beurteilen. Dies ist eine falsche Tatsachenbehauptung. Die Feststellung, dass Kranke in der Psychiatrie gefesselt würden, ist in dieser pauschalen Form falsch und verletzt Ziffer 2 des Pressekodex (Journalistische Sorgfaltspflicht). Sie kommt einer Schmähung der Institution Psychiatrie gleich und zieht einen Hinweis nach sich.

Der Presserat erklärt also Wagners Satz “Monster werden an Händen und Füßen festgeschnallt” für sachlich falsch und diffamierend, indem er das Wort “Monster” als Synonym für “psychisch Kranke” interpretiert, glaubt aber nicht, dass Wagner “Monster” als Synonym für “psychisch Kranke” gebraucht habe. Irre.

BKA? Da könnte ja jeder bitten!

Es war vielleicht die “erste Multimedia-Verbrecherjagd” und “eine der spektakulärsten Fahndungen in der Kriminalgeschichte”, wie “Bild” heute schreibt: Am Mittwoch hatte das BKA in der ZDF-Sendung “Aktenzeichen XY … ungelöst” und im Internet nach einem Mann gefahndet, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wird.

Da sich der Mann bei seinen Taten selbst gefilmt hatte und alle bisherigen Fahndungsmaßnahmen erfolglos waren, entschied man sich zur Veröffentlichung von Videos und Fotos.

Nach dem großen Medien-Echo hat sich der mutmaßliche Täter gestern gestellt, wie das BKA sofort vermeldete. Die Pressemitteilung enthielt einen weiteren Hinweis:

Wichtig:

Da mit der Identifizierung der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien gebeten, die veröffentlichten Videos, Bilder und Stimmproben nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Und so kamen die Medien dieser Bitte heute nach (alle gelben Flächen sind von uns):

Schlimmster Kinderschänder stellt sich: So zeigte sich das Dreckschwein im Internet
(“Bild”)

Dieses Bild stammt aus einem Film, den der Täter gedreht hat
(“Tagesspiegel”)

Der Täter filmt sich selbst
(“Süddeutsche Zeitung”)

Aber selbst Menschen, die der widerlichsten Verbrechen beschuldigt sind, haben Rechte. Der Rechtsanwalt Markus Kompa schreibt in seinem Blog:

Für eine Anprangerung in den Medien eines nicht verurteilten Täters gibt es keine Rechtsgrundlage. Die Regeln über die Art und Weise entsprechender Berichterstattung sind im Kodex des Deutschen Presserates hinreichend ersichtlich. Strafe ist Sache des Strafrichters.

(…) Was mich (…) stört, ist die unprofessionelle Gleichgültigkeit, die manche angeblich seriösen Medien an den Tag legen. Wenn es sich um ein sozial besonders geächtetes Delikt handelt, dann scheint man mit zweierlei Maß messen zu dürfen.

Zahlreiche Onlinemedien haben die Fahndungsfotos nach wie vor in ihren Archiven. Dass es durchaus möglich wäre, der Bitte des BKA nachzukommen und die Rechte des Beschuldigten zu respektieren, beweist u.a. “Spiegel Online”.

Für das “Dreckschwein” (aus dem online eine “Sex-Bestie” wurde) kann sich “Bild” wahrscheinlich schon mal auf Post vom Presserat einstellen, was die Zeitung sicher gelassen zur Kenntnis nehmen ignorieren wird.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 23:55 Uhr: Und so illustrierte “RTL Aktuell” den Fall heute um 18:45 Uhr, mehr als 24 Stunden nach der Mitteilung des BKA:

Alle haben ihm vertraut

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