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Auf die schiefe S-Bahn geraten

Gute Nachrichten für alle, die von Berlin nach Hamburg mit der S-Bahn pendeln! Sie dürfen sich auch weiterhin ein Bierchen gönnen, sobald sie nach der langen Überlandfahrt in den Bereich des Hamburger Verkehrverbundes (HVV) vorstoßen – zumindest laut der Online-Ausgabe des “Hamburger Abendblatts”:

HVV verzichtet auf Alkoholverbot

Wer jetzt meint, es gäbe gar keine Nahverkehrsverbindung zwischen den beiden größten Städten Deutschlands, der muss sich irren. Denn das, was hier so verschwommen, aber erkennbar gelb-rot vorbeifährt, ist ganz offensichtlich kein Hamburger Modell, sondern ein Wagen der Berliner S-Bahn.

Mit Dank an Bono.

BKA? Da könnte ja jeder bitten! (3)

Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht — es sei denn als Farce. Wie die nächste Wiederholungsstufe heißt, ist bisher noch nicht überliefert, aber mit der Bezeichnung “Bild” läge man vermutlich nicht allzu falsch.

Im August 2009 fahndete das Bundeskriminalamt mit Bildern nach einem Mann, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde und der sich bei seinen Taten selbst gefilmt hatte. Nachdem der Mann sich selbst gestellt hatte, bat das BKA die deutschen Medien, die Fahndungsfotos nicht weiter zu verwenden. Die Medien kamen dieser Bitte mit unterschiedlichem Eifer nach (BILDblog berichtete), “Bild” und Bild.de erhielten für den wiederholten Abdruck der Bilder in Tateinheit mit der Bezeichnung des mutmaßlichen Täters als “Dreckschwein” gar eine “Missbilligung” vom Deutschen Presserat (BILDblog berichtete ebenfalls).

Knapp einen Monat später fahndete das BKA erneut über die Medien nach einem Mann, dem schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie zur Last gelegt wurde. Hier kam es zur erwarteten Farce, denn wie sich kurz nach der Verhaftung des Mannes herausstellte, war der Mann für seine Taten bereits 15 Jahre zuvor verurteilt worden und hatte seine Strafe abgesessen — was die Medien freilich nicht davon abhielt, die Fahndungsfotos, deren weitere Verwendung sich das BKA verbeten hatte, weiter zu verwenden (BILDblog berichtete auch hier).

Letzte Woche nun fahndete das BKA über die Fernsehsendung “Aktenzeichen XY … ungelöst” mal wieder nach einem Mann, der des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Verbreitung kinderpornografischer Schriften “dringend verdächtig” war. Zwei Tage nach der Ausstrahlung der Sendung wurde der Mann aus Bad Oeynhausen am Freitag festgenommen und das BKA schrieb in seine Pressemitteilung die inzwischen traditionelle Bitte:

Wichtig:
Da mit der Identifizierung der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien gebeten, die veröffentlichten Fotoaufnahmen nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Was jetzt passierte, ist vielleicht am Besten mit dem Begriff “Irrsinn” zu beschreiben, denn Bild.de kam der Bitte des BKA zunächst tatsächlich nach: Der ursprüngliche Fahndungsaufruf wurde durch einen Artikel über die Festnahme des Tatverdächtigen ersetzt, in dem kein einziges Foto zu sehen war. Dann muss jemandem bei Bild.de aufgefallen sein, dass man ja Bild.de ist.

Also erschien am Samstag ein neuer Artikel, in den die zehnteilige Bildergalerie mit den Fahndungsfotos eingebunden ist, deren weitere Veröffentlichung das BKA unterbinden wollte:

Geschnappt! Der dicke Kinderschänder, der zwei Mädchen missbrauchte.

“Bild am Sonntag” wiederum verzichtete auf einen Abdruck der Fahndungsfotos — und veröffentlichte stattdessen ein anderes, besser identifizierbares Foto des Verhafteten:

Nach XY-Sendung: Kinderschänder festgenommen

Ganz andere Bilder brachte “Bild” am Montag in ihrer Regionalausgabe:

Mieser Kinderschänder aus NRW! Verhaftung nach Aktenzeichen XY

Mit Dank an Lukas S., Sven S., Kaweh und AJ.

Das Rauschen im Hanfblätterwald

Dass die wilden 70er schon lange zurückliegen, erkennt man an einer Meldung der Deutschen Presseagentur dpa über die Pläne der Bundesregierung, verschreibungspflichtige Cannabis-Medikamente zuzulassen. Dort heißt es unter anderem:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschgift, das aus Hanfblättern gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Profikiffern dürfte angesichts dieser naiven Aussage der Kragen platzen — wenn sie nicht so lethargisch wären. Erstens ist Cannabis nämlich kein Rauschgift, sondern lediglich der wissenschaftliche Name der vielseitig einsetzbaren Pflanze Hanf. Zweitens werden Marihuana und Haschisch nicht aus Hanfblättern, sondern aus den Blüten bzw. ihrem THC-haltigen Harz gewonnen. Für Marihuana werden zwar auch die kleinen Blättchen über den Blüten der weiblichen Pflanze mitverarbeitet, doch das, was in der dpa-Meldung gemeint ist und was im Zusammenhang mit Cannabis überall abgebildet wird, hat abgesehen von einer abführenden überhaupt keine Wirkung.

Das hat sueddeutsche.de, “Zeit Online”, “Spiegel Online”, fr-online.de und viele mehr aber nicht daran gehindert, diesen Unfug weiterzuverbreiten. Wenigstens ftd.de und Bild.de haben den Joint gerochen und die betreffende Stelle einfach ausgelassen.

Mit Dank an Sara.

Nachtrag, 20.31 Uhr: Bei “Zeit Online” hat sich inzwischen das Bewusstsein erweitert und der Fehler ist korrigiert. Bei “Spiegel Online” wurden zwar wenigstens die wirkungslosen Hanfblätter geerntet, aber man hat immer noch nicht verstanden, dass Cannabis Hanf ist und nicht aus Hanf gewonnen wird:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschmittel, das aus Hanf gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Nachtrag, 19. August. dpa hat sich an einer Korrektur versucht, was allerdings nur halb gelungen ist. In einer neuen Fassung der Meldung heißt es nun:

Der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol ist eigentlich ein Rauschgift, das vor allem aus den Blättern der Hanfpflanze gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Auf die “Berichtigung” macht dpa in einem “redaktionellen Hinweis” aufmerksam:

Im letzten Satz wurde klargestellt, dass der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol das Rauschmittel darstellt und vor allem aus der Blüte gewonnen wird, nicht aus den großen Blättern.

“Wurde klargestellt” hier offenbar in der Bedeutung von “hätte klargestellt werden sollen”.

Bild  

Was Entwürdigen und Verleumden kostet

Thai-Hure boxt deutschen Sex-Touristen k.o.

Es ist ein schrecklich geschundenes Gesicht, das “Bild” am 11. August 2004 in Großaufnahme zeigt. Das linke Auge des Mannes ist fast zugeschwollen, im Mund ist getrocknetes Blut zu sehen, auf Wangen und Nase haben Schläge deutliche Spuren hinterlassen.

Das Foto des Mannes war von einer Nachrichtenagentur unter Berufung auf die thailändische Zeitung “Pattaya Mail” verbreitet worden. Die Geschichte zu dem Gesicht erzählte “Bild” so: Ein deutscher Geschäftsmann namens F. habe sich als “Sex-Tourist” im thailändischen Urlaubsort Pattaya aufgehalten.

Er engagierte ein Thai-Mädchen, versprach ihr viel Geld für ein privates Pornovideo. (…)

Für 1000 Baht (umgerechnet 20 Euro) willigte die Prostiuierte ein, ging mit ihm aufs Zimmer — und ließ sich filmen. Aber nach dem Sex wollte der Bayer plötzlich den vereinbarten Lohn nicht zahlen! Lautstarker Streit, die Hure wurde handgreiflich, sie stürzte sich auf den Deutschen, schlug ihm ins Gesicht. (…) Vergeblich versuchten andere Prostituierte und die Bordellchefin dazwischenzugehen.

Erst Polizisten konnten den Deutschen und die Hure trennen. (…)

Eine tolle Geschichte, oder wie “Bild” schrieb: “ein unglaublicher Fall”, den das Blatt natürlich trotzdem unbesehen geglaubt hatte.

Doch die Geschichte ist falsch. Das fängt schon damit an, dass der Mann, den “Bild” groß im Foto zeigt und mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen, Alter und Heimatort nennt, kein “Sex-Tourist” ist, sondern in Pattaya lebt. Und es hört nicht damit auf, dass der Mann in seiner eigenen Wohnung zusammengeschlagen wurde, nicht in einem Bordell, weshalb auch keinen anderen Prostituierten oder gar eine Bordellchefin dazwischen gingen.

F. hat die “Bild”-Zeitung damals verklagt. Nach über fünf Jahren Verhandlung hat das Landgericht Hamburg in der vergangenen Woche endlich ein Urteil gefällt: Das Blatt habe das Persönlichkeitsrecht von F. “in schwerwiegender Weise” verletzt. Der Inhalt des Artikels sei “unwahr”. Durch die Veröffentlichung des Fotos habe die Zeitung “in evidenter und krasser Weise” gegen F.s Recht am eigenen Bild verstoßen:

Es handelt sich um eine großformatige Portraitaufnahme des Klägers, die ihn entstellt zeigt, nachdem er Opfer einer Straftat geworden ist. Sie zerrt den Kläger an die massenmediale Öffentlichkeit, zeigt ihn in einem Zustand, der einer Krankheit vergleichbar ist, und macht diesen für jedermann sichtbar. Der Kläger wird entwürdigend und anprangernd dargestellt.

Und was kostet sowas? Nicht viel: Das Gericht verurteilte “Bild” zur Zahlung von 10.000 Euro Schmerzensgeld, und nicht einmal die wird der Kläger vollständig bekommen.

Ein Sieg ist das nicht.

Dass der “Bild”-Bericht in den wesentlichen Punkten falsch ist, steht außer Frage. Umstritten ist, ob er einen wahren Anlass hat.

Die “Bild”-Zeitung hatte als Teil ihrer Verteidigung einen Mann zur “Nachrecherche” nach Thailand geschickt und behauptete nun, Hintergrund des Angriffs seien mehrere Pornofilme gewesen, die F. mit einer Prostituierten gedreht habe, deren Herausgabe sie forderte und die später von der Polizei auf F.s Computer gefunden worden seien. Als F. der Forderung nicht nachkam, habe die Frau Freunde zu Hilfe gerufen, woraufhin es zu den Handgreiflichkeiten gekommen sei.

F. bestreitet einen solchen Zusammenhang und schildert die Tat als einen brutalen Raubüberfall von zwei Männern auf ihn. Die Frau, die ihn laut “Bild” mit verprügelt haben soll, sei gar nicht anwesend gewesen. Auf seinem Computer seien zwar pornografische Filme gewesen, aber keiner mit der betreffenden Frau.

Das Hamburger Gericht ließ in Thailand einen Polizeibeamten als Zeugen vernehmen, der mit dem Fall damals zu tun hatte, aber nicht vor Ort war. Das trug mit zu der erstaunlichen Verlängerung der Prozessdauer bei, brachte aber nur bedingt Klarheit. Am Ende glaubte das Gericht, dass ein Streit um die Videos, die während der Beziehung zwischen der Frau und F. “zum Hausgebrauch” entstanden seien, Hintergrund der Körperverletzung gewesen sei. Somit sei die Berichterstattung von “Bild” zwar in weiten Teilen unwahr, sei aber “auf ein reales Geschehen zurückzuführen”. Das mindere den Schadensersatzanspruch von F.

Als entscheidend für die Höhe der zu zahlenden Summe wertete das Gericht auch, inwieweit die “Bild”-Berichterstattung Folgen für F. hatte. Ungefähr die einzige Aussage des Opfers, die die “Bild”-Anwälte ihm glaubten, war die, dass er kein “Sex-Tourist” ist, sondern seinen Wohnsitz in Thailand hat. In Thailand, so die Argumentation der “Bild”-Anwälte, würden aber nicht einmal 400 Exemplare des Blattes täglich verkauft. Dass die Familie von F. in Oberstdorf lebe, dass er regelmäßig dorthin zu Besuch fahre, dass die Mutter von F. vielfach auf den “Bild”-Artikel über ihren Sohn angesprochen worden sei, all das bestritten die Anwälte pauschal.

Das Gericht urteilte, dass F. von der falschen und seine Persönlichkeitsrechte verletzenden Berichterstattung “weniger intensiv betroffen” sei, weil er seinen Lebensmittelpunkt in Thailand habe.

Anstelle der Forderung von 30.000 Euro, für die das Gericht dem Kläger ursprünglich Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, sprach die Zivilkammer 24 dem “Bild”-Opfer nur 10.000 Euro Schmerzensgeld zu. Ursprünglich hatte F. auch versucht, “Bild” zu einem Widerruf zu zwingen — eine Forderung, die F.s Anwalt zurückziehen musste, weil es sich als unmöglich erwies, Zeugen des Tatverlaufs in Thailand aufzutreiben. Den Streitwert eines solchen Widerrufs hatte das Gericht mit 50.000 Euro angegeben. Die 10.000 Euro entsprechen somit nur einem Achtel der Forderungen des Klägers, der deshalb sieben Achtel der Kosten tragen muss.

Die Kosten des Gerichtes und seines eigenen Anwaltes trägt die Staatskasse. Von den 10.000 Euro Schmerzensgeld zuzüglich Zinsen, die “Bild” F. zahlen muss, kann das Blatt rund 3000 Euro eigene Anwaltskosten gleich abziehen.

F. ist außerordentlich frustriert. Er beschwert sich über die massive Verzögerungstaktik des Richters Andreas Buske und meint, dass schon die Veröffentlichung des “schrecklichen Fotos” von ihm eindeutig unzulässig gewesen sei. Er muss sich nun entscheiden, ob er Berufung gegen das Urteil einlegt.

Für “Bild” sind die paar Euro für die Entwürdigung und Verleumdung eines Menschen sicher leicht zu verschmerzen.

Mit Dank an Rolf Schälike, der auf seiner Seite Buskeismus auch über den Fall berichtet.

Cafedakteure, Herdentrieb, Waagen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Rettung für den physischen Journalismus”
(notes.computernotizen.de, Torsten Kleinz)
Konservative Führungskräfte verhindern die Erneuerung der Print-Branche, ist in einer Studie einer Beratungsgesellschaft zu lesen. Torsten Kleinz schlägt vor, dass die Printverlage Lese-Cafés gründen, in denen Cafedakteure als Rückkanäle in Stellung gebracht werden. “Brauereien haben über Jahrzehnte in Kneipen investiert, warum sollten Verlage nicht in Cafes investieren?”

2. “‘Fernsehgarten’ macht Werbung für Modelabel”
(journalist.de, Peer Schader)
Der ZDF-“Fernsehgarten” sieht den Einsatz von mehreren Kooperationspartnern durch den Rundfunkänderungsstaatsvertrag gedeckt. “Bei einem gemeinsamen Auftritt mit der Chefdesignerin der Firma Betty Barclay lobte Kiewel die Kleider ‘in der tollen Betty-Barclay-Modenschau’, ließ ihren Gast für Schmuck-Accessoires werben und verabschiedete sich mit den Worten: ‘Danke, Betty Barclay!'”

3. “Journalisten schreiben über ‘mutmaßliche Täter'”
(mainpost.de, Anton Sahlender)
“Leseranwalt” Anton Sahlender erklärt, warum und wie man von mutmaßlichen Tätern spricht. “Bei Unsicherheit über eine Täterschaft darf ‘mutmaßlich’ nicht verwendet werden. Meist ist dann nur vom Angeklagten und von den Vorwürfen gegen ihn die Rede.”

4. “Herdentrieb der Journaille”
(tagesspiegel.de, Robert Leicht)
Robert Leicht stellt fest, dass mit der Herde gehende Journalisten ihre Maßstäbe bei der Bundespräsidentenwahl und bei der Debatte um die Rücktritte von Ministerpräsidenten “von einer Sekunde auf die andere” total ausgewechselt haben.

5. “Eine Aufsichtsbehörde für die Presse”
(telemedicus.info, Adrian Schneider)
Adrian Schneider spielt mit dem Gedanken einer Presse-Aufsichtsbehörde. “Auch wenn der Gedanke manchmal wirklich verlockend erscheint, komme ich zu dem Schluss: Eine Aufsichtsbehörde wäre zu gefährlich für die freie Presse in Deutschland, das Missbrauchspotential zu hoch.”

6. “Waage Marisa oder: Sie wurden bedient…”
(gelb.net/gelblog, horatiorama)
Horatiorama wagt den Offline-Einkauf und ersteht im Kaufhaus eine Personenwaage.

Brennendes Papier ist geduldig — auch online

Heute machen wir mal ein Bilderrätsel: Was stimmt an folgendem Screenshot aus dem Düsseldorfer Regionalressort von Bild.de nicht? Sehen Sie ganz genau hin:

Feuer-Alarm: Großbrand in Neuss – Asche fliegt bis Düsseldorf!

Na? Wer hat’s bemerkt? Richtig: Die “Berge von Altpapier”, die uns Bild.de hier präsentiert, wären deutlich mickriger, wenn die Aufnahme nicht ungefähr ab der Mitte künstlich in die Länge gezogen worden wäre. Zu diesem Zweck wurde dieser schmale Bereich zwischen rotem Gabelstabler und Bildmitte mehrfach nach rechts gespiegelt:

Gespiegelter Ausschnitt

Ob der Brand dadurch imposanter wirken sollte oder ob aufgrund von Formatvorgaben manipuliert wurde, darüber lässt sich spekulieren. Besonders honorieren muss man jedoch die Energie, die in der Nachbearbeitung dieses Fotos steckt. Zugeben, das mit dem Spiegeln war nicht so geschickt, aber:

1. Auf der durch die Spiegelung entstandenen “Säule” in der Mitte wurde das Feuer nicht einfach gespiegelt, sondern nachbearbeitet.

2. Auf der rechten “Säule” wurde das Feuer gänzlich entfernt.

3. Die Kräne im Hintergrund wurden nur einmal gespiegelt und weiter rechts retuschiert.

4. Die “riesige gelb-graue Rauchwolke” am Himmel müsste ebenfalls bearbeitet sein, da sich hier außer bei der ersten Spiegelung keine Muster wiederholen.

Hut ab! Hier wurde mit Liebe gefälscht.

Mit Dank an Thomas K.

Boateng trat, “Bild” tritt nach

Mit seinem heftigen Foul an Michael Ballack am 15. Mai im Finale des englischen Fußball-Pokals machte sich Kevin-Prince Boateng nicht gerade beliebt in Deutschland. Immerhin verletzte er den Kapitän der deutschen Nationalmannschaft dabei so schwer, dass er nicht an der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika teilnehmen konnte. Schnell war angesichts dieser Verletzung auch vergessen, dass Ballack selbst zuvor in der 32. Spielminute bereits wegen einer Tätlichkeit gegen Boateng mit Rot vom Platz hätte gehen müssen.

Und so verwundert es auch nicht, dass die “Bild”-Leute — und auch andere Medien (BILDblog berichtete) — in den folgenden Tagen nicht gerade zimperlich mit dem 23-jährigen Deutsch-Ghanaer umsprangen. Statt von Kevin-Prince war nur noch die Rede vom “Kaputt-Treter”, “Ballack-Treter”, “Brutalo-Treter” oder “Übel-Treter” Boateng. Folgende Worte geben die Stimmung treffend wieder:

ER ist seit acht Tagen der meistgehasste Mann im deutschen Fußball. Die Szene hat sich eingebrannt.

Eingebrannt hat sich diese Szene vor allem bei den Sportredakteuren von “Bild”. Denn während man die Wortwahl der ersten Meldungen vielleicht noch als Revanchefoul auffassen kann, hat die ständige Nachtreterei in der WM-Berichterstattung von “Bild” und “Bild.de” schon penetrante Züge angenommen — zumal Boateng auch in 345 WM-Minuten für die ghanaische Nationalmannschaft noch keine einzige gelbe Karte erhalten hat.

Nach dem Vorrundenspiel gegen Serbien hieß es:

Ausgerechnet Ballack-Treter Kevin-Prince Boateng (23) feierte seinen ersten WM-Sieg. Der Mann, der unseren Kapitän Michael Ballack im englischen Cup-Finale kaputtgetreten hatte, war einer der großen Sieger beim Duell unserer Gruppengegner. (“Serbien – Ghana 0:1 – Ballack-Treter feiert ersten Sieg”)

Vor dem Spiel gegen Australien:

Mittelfeld-Stratege und Ballack-Treter Kevin-Prince Boateng kann mit Ghana die Tabellenführung in der Gruppe D übernehmen. (“Ghana mit Treter Boateng auf Platz 1?”)

Vor dem Spiel gegen Deutschland:

Erst hat Kevin-Prince Boateng (23) mit einem üblen Foul Michael Ballack (33) um die WM gebracht, dann tönt er auch noch in Südafrika gegen Deutschland. (“Boateng lacht Deutschland aus!”)

Selbst nachdem sich Boateng im Spiel gegen die USA selbst am Oberschenkel verletzt hat, konnte man sich bei “Bild” nicht zurückhalten:

Jetzt droht dem Mann, der Michael Ballack (33) aus der WM getreten hat, das Aus fürs Viertelfinale gegen Uruguay. (“Treter Boateng betet für seinen Oberschenkel”)

In einem weiteren Artikel über Boatengs Verletzung steht bezeichnenderweise:

Für die deutschen Fans wird er für immer der Spieler sein, der Michael Ballack (33) aus der WM getreten hat. (“Ballack-Treter Boateng droht das WM-Aus”)

Und “Bild” sorgt dafür, dass das auch so bleibt.

Mit Dank an Eric R.

Ein zweites Mal zum Opfer werden

Pressekodex, Richtline 8.1:

(1) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (s. auch Ziffer 13 des Pressekodex) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. […]

(2) Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens. […]

Pressekodex, Richtlinie 11.3:

Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

*** Wurde sie tagelang eingesperrt und missbraucht? *** aus *** ist vermutlich eine Woche lang gefangen gehalten und sexuell missbraucht worden.Aber das ist graue Theorie. Bunt hingegen sind die Fotos, mit dem die Angehörigen einer verschwundenen jungen Frau aus Norddeutschland in der vergangenen Woche nach ihr gesucht hatten. Inzwischen ist die Frau wieder aufgetaucht, aber das hält die “Hamburger Morgenpost” natürlich nicht davon ab, die Fotos weiterhin auf ihrer Internetseite zu zeigen.

Und wenn die Polizei den Verdacht äußert, dass es sich um einen Fall von Freiheitsberaubung und ein Sexualdelikt handeln könnte, dann nennt die “MoPo” natürlich weiterhin den vollen Namen und Wohnort der jungen Frau und reichert diese Meldung mit mehreren Bildergalerien an, auf deren Fotos sie gut zu erkennen ist.

Mit Dank an Magnus K.

Kopfschmerz garantiert

Es ist ein etwas verstörendes Video, das Bild.de da zeigt — und das liegt nur zu einem Teil an dem klischeebeladenen Off-Kommentar:

Engländer sind bekanntlich fußballverrückt und flippen schon mal aus, wenn es auf dem Platz nicht läuft. Dieser frustrierte Brite hier aber zeigt nach dem Unentschieden gegen Algerien: Wenn es um die Weltmeisterschaft geht, dann wollen sie sogar mit dem Kopf durch die Wand — oder durch das Glas.

Fußball-Frust: England–Fan zertrümmert sein Auto

Ob der Mann Brite, Engländer, fußballverrückt oder frustriert ist, können wir nicht sagen. Wohl aber, dass er ganz, ganz sicher nicht “nach dem Unentschieden gegen Algerien” mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe eingeschlagen hat:

Das Video steht nämlich seit Juli 2009 auf break.com und auf YouTube. Da war noch nicht mal klar, dass England bei der WM gegen Algerien spielen würde.

Head Vs Windshield

Mit Dank an Felix P.

Nachtrag, 22.40 Uhr: Bild.de hat den Off-Kommentar gegen ein vage zeitloses Gedicht (sic!) über englische Fußballfans ausgetauscht und die Dachzeile in ein mehrdeutiges “Das hat nichts mit Fußball zu tun” geändert.

2. Nachtrag, 21. Juni: Unser Leser Oliver H. hat ein paar Indizien zusammengetragen, die nahelegen, dass das Video in Australien entstanden sein könnte:

Ein AutokennzeichenErstens: Das KFZ-Kennzeichen des blauen Fahrzeugs links ähnelt den in Victoria und früher in South Australia verwendeten. Die britischen Kennzeichen verwenden seit Jahrzehnten andere Formate und sind auf der Heckseite ohnehin gelb.

Zweitens ist das Fahrzeug in der Mitte mit Sicherheit ein Ford Falcon XF, wie er nur für Australien von 1984 bis 1987 produziert worden ist.

Medienjunta, Segeln, Bildergalerie

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Nach der Machtergreifung der Medien erläutern Pressegeneräle ihr Programm”
(magda.de, Tom Schimmeck)
Tom Schimmeck malt sich aus, wie eine Medienjunta aus den Journalisten Kai Diekmann, Dirk Kurbjuweit, Gabor Steingart, Rainer Hank und Josef Joffe die Verantwortung übernimmt. “Wir hatten Rot-grün, Schwarz-rot und Schwarz-gelb heruntergeschrieben. Jetzt mussten wir selbst ran.”

2. “Wegsehen kann auch richtig sein…vor allem bei solchen Klickstrecken”
(medialdigital.de, Ulrike Langer)
“Wegsehen kann auch richtig sein” schreibt Julia Hohenadel in einem Kommentar zu einem Busunglück in Lohmar auf ksta.de. Dazu serviert wird eine Bildergalerie mit 17 Fotos vom Unglück – geknipst von Julia Hohenadel.

3. “Bild Bams Glotze”
(heise.de/tp, Peter Mühlbauer)
Für Peter Mühlbauer sind die privaten Sender nicht schlechter als die öffentlich-rechtlichen. Qualitätsunterschiede gebe es “zwar bei einzelnen Sendungen, aber keineswegs mehr grundsätzlich”.

4. “Expertenwissen”
(seefieber.de, Uwe Röttgering)
Uwe Röttgering entdeckt Fehler in der Segelberichterstattung von “Spiegel Online” und “Welt Online”: “Nun geht von diesen Fehlern nicht die Welt unter. Schwamm drüber, es geht ja nur ums Segeln. Was mir aber zu denken gibt, ist, dass uns diese Leute auch die Wirtschaftskrise und die große Politik erklären wollen. Es ist zu befürchten, dass sie davon genau so wenig Ahnung wie vom Segelsport haben.”

5. “Anleitung: So werden Sie beim nächsten Mal Chef”
(blog.persoenlich.com, Roger Schawinski)
Roger Schawinski erklärt, wie man es “in der Schweizer Medienlandschaft aufs höchste Treppchen” schafft.

6. “WM-Übertragung in England”
(faz.net, Gina Thomas)
Der britische TV-Sender ITV erhält mehr als fünftausend Beschwerden, nachdem die “1,5 Millionen HD-Zuschauer statt des Führungstors von Gerrard eine Werbung für Hyundai zu sehen bekamen”.

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