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Wiederholungstäter vor dem EU-Gericht

Wenn alle Journalisten bitte mal eben Papier und Bleistift zur Hand nehmen und hundert Mal schreiben könnten: “Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit der EU nichts am Hut.”

Zum HEUlen:

“Sicherheitsverwahrung: EU-Gericht verurteilt Deutschland”
(“taz”, 12.5.2010)

“Ein EU-Urteil könnte dazu führen, dass bis zu 30 als gefährlich eingestufte Straftäter in NRW aus der Sicherungsverwahrung freikommen.”
(WDR.de, 12.5.2010)

“EU-Urteil: Berlin prüft Freilassung von Straftätern Nachträgliche Sicherungsverwahrung ist rechtswidrig”
(“Die Welt”, 14.5.2010)

“EU-Urteil: Sicherungsverwahrung darf nicht unbefristet verlängert werden”
(“Berliner Morgenpost”, 14.5.2010)

“Konsequenz aus EU-Urteil: Justizministerin will Sicherungsverwahrung reformieren”
(“RP Online”, 14.05.2010)

“EU-Urteil zu Sicherheitsverwahrung: Elf Schwerkriminelle könnten bald freikommen”
(“Der Tagesspiegel”, 15.5.2010)

“Dabei habe es einen Rechtsfehler gegeben, meinen die EU-Richter.”
(“Frankfurter Neue Presse”, 12.5.2010)

“Aufgrund eines EU-Urteils müssen womöglich bald 17 rückfallgefährdete Schwerverbrecher aus baden-württembergischen Gefängnissen entlassen werden.”
(“Stuttgarter Nachrichten”, 20.5.2010)

“Schuld an der Situation ist ein EU-Urteil. Weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung untersagte, dürfen zahlreiche Schwerverbrecher auf Freiheit hoffen.”
(“Bild”, 25.5.2010)

“Nach EU-Urteil: Erster Sextäter beantragt Freilassung”
(“Stuttgarter Nachrichten”, 25.5.2010)

“Das Oberlandesgericht Celle hat die Entlassung eines 1987 verurteilten Gewaltverbrechers aus der Sicherungsverwahrung verweigert und sich damit gegen den EU-Gerichtshofs für Menschenrechte gestellt.”
(“Berliner Morgenpost” & “Die Welt”, 28.5.2010)

“OLG: EU-Urteil hebt Sicherungsverwahrung nicht auf”
(dpa, 9.6.2010)

Die Menschen an diesem Gerichtshof hatten sich so viel Mühe gegeben: Sie haben sich mit “EGMR” eine Abkürzung ausgedacht, in der – anders als Beispielsweise beim Europäischen Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) – kein “U” drin vorkommt. Sie haben in der Vergangenheit mit der Türkei, der Schweiz und Russland Länder verurteilt, die definitiv keine EU-Mitglieder sind.

Sie haben auf ihr Informationsfaltblatt (PDF) sogar einen Warnhinweis aufgedruckt:

Nicht zu verwechseln mit!

Europäischer Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
Dieser Gerichtshof, mit Sitz in Luxemburg, sichert die Wahrung des EU-Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Gründungsverträge der Europäischen Union.

Internationaler Gerichtshof
Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag.

Und damit zurück zu den Journalisten: Als der EGMR im vergangenen Jahr entschied, dass Deutschland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen habe, überforderte das bereits viele Medien (BILDblog berichtete).

Vergangene Woche hat das Bundeskabinett als Reaktion auf dieses Urteil ein “Maßnahmenbündel im Bereich Sicherungsverwahrung” beschlossen. Das Bundesjustizministerium hat dazu eine Pressemitteilung veröffentlicht, die auf die Worte “Europäische Union” oder “EU” völlig verzichtet.

Und was machen die Medien?

Hintergrund ist, dass bald aufgrund des EU-Gerichtsurteils zur Sicherungsverwahrung wahrscheinlich eine Reihe von Hochkriminellen freikommen.

(“Kölnische Rundschau”)

Nach einem kürzlich erlassenen EU-Urteil verstößt eine nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen die Menschenwürde.

(WDR.de, inzwischen entfernt)

Sicherheitsverwahrung: Regierung ist sich einig — Reaktion auf EU-Recht

(RTL.de)

Es geht aber noch ein bisschen falscher:

Die geplante Reform ist eine Reaktion auf ein EU-Verbot der Sicherungsverwahrung, die in Deutschland eine längere Inhaftierung von Wiederholungstätern ermöglicht.

(“B.Z.”)

Sicherungsverwahrung, die Haft nach der Haft, hat ein EU-Gericht gekippt.

(“Berliner Kurier”)

Denn nicht die Sicherheitsverwahrung* Sicherungsverwahrung an sich wurde “verboten” oder “gekippt”, sondern ihre rückwirkende Anwendung.

Oder – als Gipfel der Falschheit:

Ein EU-Gericht hatte das lebenslange Wegsperren verboten.

(“Der Westen”)

Mit Dank an den Hinweisgeber.

*) Nachtrag/Korrektur, 18.20 Uhr: Unser Leser Christian D. weist – völlig zu Recht – darauf hin, dass die “Sicherheitsverwahrung” in Wirklichkeit “Sicherungsverwahrung” heißt. Wir hatten uns von dem Fehler verschiedener Medien anstecken lassen.

Das bisschen Folter

Zu den Dingen, die für “Bild” absolut unverständlich sind, zählt die Tatsache, dass auch Menschen, die schlimme Verbrechen begangen haben, Menschenrechte haben.

Entsprechend groß ist das Entsetzen bei Bild.de über ein Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht hart genug gegen den früheren Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner und seine Kollegen durchgegriffen, die im Jahr 2002 dem der Kindesentführung verdächtigten Magnus Gäfgen mit “Schmerzen” gedroht hatten, wenn dieser nicht den Aufenthaltsort seines Opfers preisgebe. Gäfgen gestand wenig später, doch der entführte Junge war bereits tot.

Die Frage, ob das so erzwungene Geständnis und die daraus folgenden Beweise juristisch verwertbar seien, wurde seitdem heftig diskutiert. Gäfgen wurde zu lebenslanger Haft verurteilt — in einem Verfahren, das der EGMR auch jetzt als “fair” bewertete. Doch die Folterandrohung, so der Gerichtshof, die hätte nicht sein dürfen.

Für Bild.de ist dies unbegreiflich: Ein Kindermörder hat Menschenrechte!

Folter-Vorwurf im Verhör: Europa-Gericht gibt Kindermörder Gäfgen Recht. Ein Urteil, das uns alle sprachlos macht

Mit der Sprachlosigkeit war es dann allerdings doch nicht so weit her …

Mit Dank auch an Martin E.

Nachtrag/Korrektur 17.45 Uhr: Anders als hier anfangs behauptet hat der EGMR die Bundesrepublik nicht für die Folterandrohung an sich verurteilt, sondern für die unzureichende Bestrafung der mit Folter drohenden Polizisten.

Kurz korrigiert (491 & 492)

Bei der wörtlichen Übernahme einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP im hauseigenen “News-Ticker” hat sich Bild.de für folgende Überschrift entschieden:

"EuGH verklagt Russland"

Anders gesagt: Drei Wörter, zwei davon falsch.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sitzt in Luxemburg und wäre für das Nicht-EU-Land Russland gar nicht zuständig, wohingegen der zuständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Russland nicht “verklagt”, sondern verurteilt hat.

Und woher wissen wir das? Na, aus der Meldung selbst natürlich.

Mit Dank an Katharina.

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