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Der Tod ist nicht genug II

Noch am vergangenen Donnerstag hätte man tatsächlich denken können, dass Christopher Reeve doch an einem Super-Virus starb, wie “Bild” zwei Tage zuvor berichtet hatte.

Superman aufgeschnitten – Ärzte wollen jetzt den Super-Virus entschlüsseln, der Hollywood-Schauspieler Christopher Reeve getötet hat

Das war auf Seite 8 zu lesen. Und außerdem das:

Wie BILD aus Familienkreisen erfuhr, wurde die Leiche von Christopher Reeve († 52) im Northern Westchester Hospital (New York) aufgeschnitten, sein Körper obduziert – auf der Suche nach dem Supervirus.

Ob die Information über den vermeintlichen Supervirus tatsächlich von der Familie kam, lässt sich anhand der Formulierung nicht mit Sicherheit sagen. Fakt ist, dass wer wollte schon am Dienstag aus allgemein zugänglichen Quellen erfahren konnte, was vermutlich die Ursachen für Reeves Tod waren. So wurde der langjährige Arzt von Reeve, Dr. John McDonald, von der “New York Daily News” wie folgt zitiert:

We don’t know exactly why he died yet. But we know that it was the accumulation of complications (…). That immobility and lack of movement and then just repeated infections, complications – it takes its toll. (Wir wissen nicht genau, warum er starb. Aber wir wissen, dass es eine Anhäufung von Komplikationen war (…). Die Immobilität und mangelnde Bewegung und dann wiederholte Infektionen, Komplikationen – das fordert seinen Tribut)

Und was schreibt “Bild” nun, fünf Tage später, ohne den “Super-Virus” zu erwähnen?

Erst jetzt wurde bekannt, wie schlecht es wirklich um Reeve stand: Immer mehr Infektionen fraßen sich zuletzt in seinen kaputten Körper.

Der Tod ist nicht genug

Woran starb Christopher Reeve?

Nun ja, wir wissen es eigentlich nicht. Oder besser gesagt: Wir wissen nur das, was aus der Stellungnahme von Reeves Familie auf der Homepage der Christopher Reeve Paralysis Foundation hervorgeht.

Reeve fell into a coma after going into cardiac arrest while at home. Reeve was being treated for a pressure wound that he developed, a common complication for people living with paralysis. In the past week, the wound had become severely infected, resulting in a serious systemic infection.
Reeve was admitted to Northern Westchester Hospital on Saturday evening and never regained consciousness.

Übersetzt bedeutet das etwa, dass Reeve nach der Infektion eines Druckgeschwürs, wie es häufig bei Gelähmten vorkommt, einen Herzstillstand erlitt und ins Koma fiel, aus dem er nicht mehr erwachte.

In “Bild” klang das gestern auf der Titelseite allerdings etwas anders:

Und darunter heißt es,

Reeve starb mit 52 an einem Herzinfarkt, nachdem er sich mit einem Super-Virus infiziert hatte

Was für ein “teuflischer Super-Virus” das war, der Reeve “besiegt” hatte, das geht auch aus dem Artikel nicht hervor, Wundinfektionen jedenfalls werden nur in den seltensten Fällen von Viren verursacht – von Super-Viren ganz zu schweigen.

Hat “Bild” etwa Informationen, die den Lesern vorenthalten werden? Oder ist der Tod an sich “Bild” einfach zu langweilig?

(Mit Dank für die sachdienlichen Hinweise an Carsten und Alex)

Dieter Hildebrandt lebt!

Die Journalisten bei Axel Springer tragen grundsätzlich, auch im Falle besonderen Termindrucks, dafür Sorge, dass Interviews vom Gesprächspartner mündlich oder schriftlich autorisiert werden.

Das steht in den journalistischen Leitlinien, die sich der Springer-Verlag im August 2003 gegeben hat, und die damit auch für “Bild”-Mitarbeiter gelten.

Nicht dass sie sich daran halten.

In der jüngsten “Bild am Sonntag” stand dieses:

Fleck auf der Lunge
Große Sorge um Dieter Hildebrandt

Dieter Hildebrandt, der vor zehn Jahren schon einmal an der Lunge erkrankt war, erlitt einen schlimmen Rückfall. … die erschreckende Diagnose: ein Fleck auf der Lunge! Hildebrandt … sagt: “Ich muß jetzt jeden Tag Kortisonbomben in Tablettenform nehmen. Dreimal am Tag, damit ich abends zwei Stunden bei den Auftritten durchstehe. Ob ich dann geheilt bin, ist fraglich. Danach muß ich wahrscheinlich ins Krankenhaus. Die schadhafte Stelle auf dem Lungenlappen muß gelasert werden.”

Nach dem Lesen des “BamS”-Artikels musste man den Eindruck haben, dass Hildebrandt mit dem Leben schon abgeschlossen hat — und ähnlich formulierten es viele andere Zeitungen, die die “Bild”-Geschichte ungeprüft übernahmen, “Spiegel Online” zum Beispiel unter der Überschrift “Warte jetzt auf mein Schicksal”.

Die gute Nachricht: Dieter Hildebrandt lebt. Und womöglich hat er nur eine Bronchitis. Im ZDF-Morgenmagazin sagte er, die “Bild”-Reporterin habe das Gespräch falsch wiedergegeben: “Aus dem Husten war ein Lungenkrebs geworden.” Er fügte hinzu: “So etwas nennt man also ein ‘Bild’-Zeitungs-Interview.” (Video hier.)

Aber vielleicht ist das unfair. Möglicherweise ist “BamS”-Autorin Martina Tabak auch nur durch die jahrelangen Anschuldigungen (“Tabak schuld an Lungenkrebs”) mental etwas angeschlagen.

Rote Karte

1. Der Holländer Marco van Hoogdalem ist seit Januar 1997 bei Schalke 04 unter Vertrag.
2. Im Mai 1997 gewann Schalke 04 sensationell im Endspiel gegen Inter Mailand den UEFA-Pokal.
3. Und Bild.de schreibt über van Hoogdalem, er sei “der letzte der legendären Eurofighter, die 1997 sensationell im Endspiel gegen Inter Mailand den UEFA-Pokal gewannen.”

Klingt einleuchtend, zumal der dazugehörigen Bericht eigentlich nicht vom UEFA-Pokal ’97 handelt, sondern vor allem vom “Krankheits-Drama um Marco van Hoogdalem”: “Heute, 7 Jahre nach der größten Stunde in seiner Fußballer-Karriere, kennt Marco van Hoogdalem nur noch einen Gegner: den Tod!” heißt es irgendwo zwischen Wörtern wie “Todesangst”, “erschüttert”, “brutales Schicksal”, “unheilbare Krankheit”, “Lebensgefahr”, “Todes-Gefahr” und “Sport-Bild”, wo die Geschichte eigentlich herkommt. Und, ja, auch in “Europas größter Sport-Zeitschrift” steht geschrieben:

“Er gewann 1997 den Uefa-Cup”

Und wir sehen: den ehemals sensationellen Gewinner, den Letzten seiner Art, totkrank, wie er (laut Bild.de) “das Ende seiner Karriere … nicht akzeptieren” kann. Schlimm!

Nur, die Sportexperten irren sich (und leider nicht bei van Hoogdalems Krankheit): Die Sache mit dem UEFA-Endspiel stimmt nicht. Da nämlich war van Hoogdalem gar nicht dabei, wie sich nicht nur auf der offiziellen Schalke-Website nachlesen lässt, sondern z.B. auch im Springer-Schwesterblatt “Berliner Morgenpost”.

Und mag sein, das alles wäre nur eine Lapalie, ein Versehen, nicht so schlimm, wenn die (falsche) Info nicht so verdammt überflüssig wäre für den Rest der Story – und gleichzeitig eine Professionalität vorgaukelt, die man von so sensationellen Nachrichtenlieferanten wie Bild.de oder “Sport-Bild” gefälligst auch erwarten kann!

Mit Dank an Michael K. für den sachdienlichen Hinweis.

Hofberichterstattung

Es ist noch keinen Monat her, da sagte Chefredakteur Kai Diekmann, “Bild” werde Konsequenzen aus dem sogenannten “Caroline-Urteil” ziehen und bis auf weiteres auf Homestories über Politiker verzichten. Wenn man nicht mehr kritisch über das Privatleben von Politikern berichten dürfe, sagte er dem “Focus”, wolle man es lieber gar nicht tun: “Wir müssen … beim Leser jetzt von vornherein jeden Anschein vermeiden, wir würden mit eingebauter Schere im Kopf nur noch Hofberichterstattung betreiben.” Laut “Bild” hätten die Straßburger Richter nämlich entschieden, “dass die Berichterstattung (z. B. Fotos) über Prominente nur noch mit deren Erlaubnis zulässig” sei.

Am Samstag hatte Gerhard Schröder einen Termin in Paderborn. Seine Mutter liegt dort im Krankenhaus. Sie konnte ihren Geburtstag nicht zuhause feiern, deshalb besuchte der Kanzler sie am Krankenbett, ohne Frau, Stief- und Adoptivtochter, dafür aber mit einem “prächtigen Herbststrauß”. Er trug ein “lässiges Polohemd, sportliches Jackett und eine Sporthose” und blieb eine Stunde.

Woher wir das alles wissen? Stand heute groß auf Seite 2 der “Bild”. Mit Foto vom Kanzler mit Herbstblumenstrauß. Ach, und er nennt seine Mutter “nur zärtlich ‘Löwe'” und liebt, wie sie, Pflaumenkuchen.

“Wir können gar nicht anders”, hatte der “Bild”-Chefredakteur noch gesagt, “als ab sofort zum Beispiel auf jedwede Art von HomeStorys über Politiker zu verzichten.” Aber der Kanzler ist ja auch in Hannover zuhause. Nicht in Paderborn.

Laune nicht vermiesen

Noch mal zur Erinnerung: So reagierte “Bild”, als die freche Tochter von Roberto Blanco “trotz der bitterbösen Scheidungs-Affäre ihrer Eltern” auf dem Münchner Oktoberfest auftrat:

Und so reagiert “Bild”, nachdem sich Roberto Blanco trotz seiner bitterbösen Scheidungs-Affäre ein paar Tage später die gleiche Unverschämtheit erlaubt hat:

Feiern verboten, singen erst recht

So was tut man doch nicht!

Sie lacht, sie feiert, sie tanzt. So, als ob alle Sorgen dieser Welt ganz weit weg wären. Patricia Blanco (32), Tochter des untreuen ‘Ein-bisschen-Spaß-muss-sein’-Sängers Roberto Blanco (67), trat trotz der bitterbösen Scheidungs-Affäre ihrer Eltern auf dem Münchner Oktoberfest auf, sang ganz wie Papa im Festzelt von Unternehmerin Regine Sixt.”

Frech, oder?

Aber: Apropos Papa – wo ist der überhaupt derzeit? “Wir wissen nicht, wo er ist”, hat “Bild” Patricia Blanco entlockt und berichtet hinterher stolz: “BILD fand Roberto Blanco (…)”.

Vermutlich war er bereits auf dem Weg nach Frankfurt, wo er am Donnerstag – wie gestern in einer halbseitigen Anzeige in der “Bild”-Lokalausgabe zu lesen war – ein Einkaufszentrum eröffnen wird (17 Uhr) – sicher ohne dabei zu lachen, zu feiern und zu tanzen, sondern mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Bittere Rache

Am Donnerstag berichtete “Bild” erstmals, dass Roberto Blancos Ehefrau Mireille die Scheidung eingereicht hat, weil er ihr des öfteren untreu war. Heute schlagzeilt “Bild”:

Drunter steht:

Und im Text? Da ist zu lesen, dass Mireille Blanco vom Familiengericht vorläufig einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 7100 Euro zugesprochen bekommen hat, den ihr Mann zahlen soll, weil sie selbst mittellos ist, und dass ursprünglich eine Unterhaltsforderung von 15.000 Euro eingereicht wurde, die nun im weiteren Scheidungsverfahren geprüft wird.

Vor Gericht wurde Roberto Blanco nicht “gezerrt”. Im Gegenteil:

“Die festgelegte Summe hat Herr Blanco (…) bisher nicht gezahlt. Dabei wollten und wollen wir eine einvernehmliche Lösung. Wir haben ihn schon vor Monaten dezent angeschrieben und eine großzügige Frist gesetzt. Doch er teilte uns nur mit, dass er in der Klinik sei. Dabei war er lediglich in Marbella zum Abspecken”,

zitiert “Bild” Mireille Blancos Anwältin.

Und was ist mit den Grausamkeiten, die “enthüllt” wurden? Ganz einfach: nichts. Mireille Blanco hat schlicht und einfach ihrer Anwältin anvertraut, welche Gründe sie zu der Scheidung bewogen haben. Von einer “Enthüllung” kann keine Rede sein. Und “bittere Rache” sieht womöglich auch anders aus.

Die korrektere Schlagzeile “Roberto Blanco: Ehefrau will einvernehmliche Lösung” stand bei “Bild” vermutlich trotzdem nicht zur Diskussion.

Die letzten Geheimnisse

Seit Beginn der Woche berichtet “Bild” Frankfurt täglich über “die letzten Geheimnisse des Mörders” Magnus Gäfgen, der vor zwei Jahren den 11-jährigen Jakob von Metzler entführte und umbrachte. “Bild” druckt Auszüge aus dem Buch “Sie werden dich nicht finden”, für das die Journalistin Adrienne Lochte die Hintergründe des Falls recherchiert hat, und reichert diese mit Bemerkungen wie “Es sollte noch schlimmer kommen” an.

Heute nun die Schockschlagzeile: “So grausam quälte der nette Jugendleiter kleine Kinder.”

Gäfgen leitete “jahrelang (…) Kinderfreizeiten für seine Kirchengemeinde”! Um Gottes Willen, mit welch grausamen Methoden hat er die Kinder denn gequält?

Na ja: Auf einer Nachtwanderung erschreckte er gemeinsam mit einer Gruppe von Größeren die Kleinen, “die vor Grausen und Entzücken” “quietschten” (Lochte). Und in der Gruppenstunde spielten Kinder, die zu spät kamen, die “sterbende Kakerlake”, indem sie sich auf den Boden legten und mit Armen und Beinen strampelten.

Das mag zwar nicht gerade dem entsprechen, was man von einem Gruppenleiter in einer Kirchengemeinde erwartet. Ob es allerdings dazu reicht, Gäfgen in seiner Jugendgruppenzeit eine “dunkle, sadistische Seite” zu unterstellen, sei mal dahin gestellt.

Hof ohne Berichterstatter

“Bild” will als Konsequenz auf das “Caroline-Urteil” bis auf weiteres auf Homestories über Politiker verzichten. Nach dem “Straßburger Maulkorburteil” sei rechtlich unklar geworden, was an kritischer Berichterstattung über Prominente, vor allem über Politiker, noch erlaubt sei, sagte Chefredakteur Kai Diekmann dem “Focus”. “Deshalb müssen wir umgekehrt beim Leser jetzt von vornherein jeden Anschein vermeiden, wir würden mit eingebauter Schere im Kopf nur noch Hofberichterstattung betreiben.”

“Homestories” ist natürlich ein Begriff, der Fragen offen lässt: Würden wir in Zukunft nicht mehr aus “Bild” erfahren, dass die dreijährige Adoptivtochter der Schröders schon “Papa” zum Kanzler sagt? Oder wie das aussah, als er das Grab seines Vaters besuchte? Dass Guido Westerwelle einen Freund hat?

Ist das das Ende von allem?

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