Archiv für Politisches

Serkan A., “Bild” und der Rechtsstaat

Vermutlich weiß die “Bild”-Zeitung genau, warum sie Meldungen wie diese am vergangenen Freitag als Riesenschlagzeile auf die Seite 1 setzt:

Sie tut es vermutlich, weil sie weiß, dass sie damit bei vielen Lesern eine Reaktion erreicht wie die von Norbert S., dessen Leserbrief sie am folgenden Tag veröffentlichte:

Das klingt nach einer legitimen Meinungsäußerung — so wie auch die Frage von “Bild” legitim scheint, ob der “U-Bahn-Prügler Serkan A. (21)” seine langjährige Freundin, mit der er ein gemeinsames Kind hat, nur heiratet, “um die drohende Abschiebung zu verhindern”.

Nach Ansicht von “Bild” wäre das ein “Trick”. Ein treffenderer Begriff wäre in diesem Fall “sein gutes Recht”. Das ist keine Lappalie. Man nennt die Bundesrepublik Deutschland einen “Rechtsstaat”, weil zu seinen Grundsätzen gehört, dass das Recht für alle gilt. Auch für Menschen wie Serkan A.

Tatsächlich ist es so, wie “Bild” schreibt, dass durch die Heirat eine (von “Bild” dringend herbeigewünschte) Abschiebung von Serkan A. schwieriger würde. Dabei würden, wie uns der Strafverteidiger und Lawblogger Udo Vetter auf Nachfrage erklärte, die verschiedenen Interessen gegeneinander abgewogen werden. “In der Regel wird darauf abgestellt, ob die Ehegatten vorher zusammengelebt haben oder ob zu erwarten ist, dass sie zusammenleben werden. Bei einem gemeinsamen Kind hat der Betroffene gute Karten.” Dass Serkan A. aber eine Beziehung nur vortäuscht, beide gar nicht verlobt sind oder das Kind nicht von ihm ist, behauptet nicht einmal “Bild”.

Vetter kommentiert die Aufregung der “Bild”-Zeitung so:

Ich glaube, die Empörung ist mehr darin begründet, dass Serkan von seinen Rechten Gebrauch macht und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten wehrt. Wenn man allerdings anfängt, Rechtsschutz zu kritisieren, sollte daran denken, dass man ihn vielleicht mal selbst braucht. Die Zeitungen sind voll davon, wie Deutsche mitunter im Ausland behandelt werden. Da regt man sich regelmäßig auf, wenn sie ohne fairen Prozess auf Jahre weggesperrt werden. Hier bei uns hätte man dann aber keine Probleme mit etwas mehr Bananenrepublik. Bemerkenswert!

Das ist ein Motiv, das immer wieder in der Berichterstattung der “Bild”-Zeitung durchschimmert: Dass sie es empörend findet, dass auch Kriminelle Rechte haben — und es sogar wagen, sie in Anspruch zu nehmen. (Manchmal findet “Bild” das sogar nicht nur bei Tätern, sondern auch bei Opfern empörend.)

Mit jedem solchen Artikel, in dem die “Bild”-Zeitung den Volkszorn schürt und Leser wie Norbert S. in ihrem Gefühl bestätigt, dass ausländische Straftäter ihr Recht auf das Recht verwirkt haben, nimmt sie in Kauf, den Rechtsstaat zu unterminieren.

Der E.on-Chef im “Bild”-Nichtverhör

Oliver Santen, Leiter des Wirtschaftsressorts der “Bild”-Zeitung, hat mal wieder eines seiner bei führenden Vertretern der Industrie so beliebten Interviews geführt. Heute mit E.on-Vorstandschef Wulf Bernotat:

"Erster Stromboss warnt vor Energie-Krise in Deutschland: Ohne neue Kraftwerke wird Strom knapp!"

Da ist der “Stromboss” offenbar ganz einer Meinung mit Wirtschaftsminister Michael Glos, der vor gut drei Wochen in “Bild” vor einer “Strom-Knappheit” warnte – und, beinahe möchte man sagen: natürlich, mit “Bild”-Mann Oliver Santen. Denn schon seine Eingangsfrage lautet:

Deutschland steigt als einzige Industrienation aus der Atomkraft aus. Wie kann die Versorgungslücke geschlossen werden?

Und so geht es munter weiter:

BILD: Drohen Deutschland Engpässe bei der Stromversorgung?

Bernotat: Eindeutig ja! (…)

BILD: Ohne Kraftwerksneubauten gibt es keine sichere Stromversorgung?

Bernotat: Richtig. (…)

BILD: Hat Deutschland ein bezahlbares und sicheres Energiekonzept für die Zukunft?

Bernotat: Ganz klar: Nein. (…)

BILD: Laut einem Gutachten dreier Forschungsinstitute sind zukünftig jedoch keine Erzeugungsengpässe zu erwarten. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch zu ihren eben gemachten Ausführungen?

Das Gutachten (pdf):

“Insgesamt sind zukünftig jedoch keine Erzeugungsengpässe (…) zu erwarten. (…) Auch bei einer expansiveren Entwicklung des Stromverbrauchs als hier unterstellt, wird es aus Sicht der Gutachter marktgetrieben nicht zu physischen Kapazitätsengpässen der Stromversorgung kommen. (…) Wegen des niedrigen Beitrags der Windenergie zur gesicherten Leistung ist hier eine zeitlich differenzierte Betrachtung wichtig: (…) Auch hier sehen wir heute und absehbar keine Angpässe.”

Nein, stopp! Die letzte Frage hat Santen dem “Stromboss” überhaupt nicht gestellt. Stattdessen wollte er lieber wissen: “Was ist zu tun?”, “Was schlagen Sie vor?” oder “Was tun Sie, um beim Stromsparen zu helfen?”

Dabei sollte Santen das Gutachten, das zu einem anderen Ergebnis kommt als Bernotat (siehe Kasten), eigentlich kennen. Darauf hatte sich nämlich Glos bereits in der “Bild”-Meldung von vor gut drei Wochen bezogen. Der Klima-Lügendetektor und zeit.de waren damals beispielsweise der Auffassung, dass Glos’ These von der “Strom-Knappheit” durch das Gutachten nicht gedeckt sei. Entsprechend erwartet auch die Bundesregierung keine Stromlücke.

Aber wenn Santen auch nur irgendeine kritische Nachfrage gestellt hätte, könnte man seine Stichwortgeberei ja womöglich mit Journalismus verwechseln.

Steuerzahlerblut für Münchner Moschee

“Bild” berichtet in ihrer Münchner Ausgabe über einen neuen “Krach um die Sendlinger Moschee”:

MÜNCHENS STEUERZAHLER MUSSTEN FÜR DAS BAUGELÄNDE ZAHLEN

(…) Jetzt kam raus: Für den türkischen Trägerverein, dem offensichtlich das Geld ausgeht, musste der Steuerzahler bluten!

Das ist im Grunde korrekt. Der Trägerverein Ditim e.V. war offenbar nicht in der Lage, die für den Erwerb des Baugrundstücks anfallende Grunderwerbssteuer vollständig zu bezahlen. Deshalb musste die Stadt München als Verkäufer des Grundstücks einspringen. “Das ist gesetzlich so geregelt”, schreibt “Bild” zutreffend. Und lässt wenig später dennoch den “CSU-Fraktionsvize Hans Podiuk” folgendermaßen zu Wort kommen:

“Ist die Stadt bereit, gegebenenfalls auch anderen Partnern bei Grundstückgeschäften solche Sonderkonditionen auf Wunsch einzuräumen?”

Wer jetzt aber den Untergang des Abendlandes befürchtet und schon überlegt, wie er gegen die vermeintliche Sonderbehandlung des Islams auf Kosten des deutschen Steuerzahlers protestieren soll, der sollte vielleicht noch mal schnell einen Blick in den (ebenfalls konservativen) “Münchner Merkur” werfen. Dort gibt es nämlich einige genauere Infos zu einem Aspekt, der in “Bild” lediglich im letzten Satz anklingt:

Scheitert das [Moschee]-Projekt, will sich [Münchens OB] Ude auch die vorausbezahlte Grunderwerbs-Steuer zurückholen.

Im “Merkur” (und ähnlich in der Münchner “Abendzeitung”) heißt es dazu wesentlich deutlicher:

OB Ude, größter Befürworter der Moschee, (…) betonte, dass für die Stadt kein Nachteil entstehe. Sollte das Projekt scheitern, werde das Finanzamt die Steuern zurückerstatten. Falls die Moschee gebaut wird, müsse Ditim der Stadt das Geld zurückzahlen.

Mit Dank an Hendric S. und politischkorrekt.

“Bild” fällt Vorurteil über Michelle Obama

Als Michelle Obama am Montagabend in Denver, Colorado als Hauptrednerin den Nominierungsparteitag der demokratischen Partei eröffnete, war der Redaktionsschluss für die Dienstagsausgabe der “Bild”-Zeitung schon längst vorbei. Laut “Welt” betrat Michelle Obama nämlich um 20.36 Uhr Ortszeit (4.36 Uhr MESZ) die Bühne.

Aber die “Bild”-Zeitung nimmt keine Rücksicht auf die Zeitverschiebung – schließlich nimmt die Zeitverschiebung ja auch keine Rücksicht auf die “Bild”-Zeitung. Und so konnten “Bild”-Leser trotzdem (unter einem Foto, das offenbar einige Stunden vor der Rede aufgenommen wurde) bereits aus der Dienstagsausgabe erfahren:

"Hielt eine mitreißende Rede: Obamas Frau Michelle"

Das war nicht schlecht geraten, wie man im Nachhinein sagen kann. Allerdings fragt man sich schon, ob das die Art von “Informationsvorsprung” ist, die “Bild” ihren Lesern verspricht.

Mit Dank an Michael H., der’s im ZDF-Morgenmagazin gesehen hat.

Bild.de-Leser fordern, was Bild.de fordert

Der Vergleich hinkt, aber stellen Sie sich vor, es ist Bundestagswahl —
und der Wahlzettel sähe ungefähr so aus:

Entscheidungshilfe:

Deutschlands schnellste Meinung; democracy“Gratis in der 1. Klasse war Ver.di-Chef Frank Bsirske Anfang Juli mit seiner Frau in den Südsee-Urlaub geflogen.
Und das ausgerechnet mit der Fluglinie, die seine Gewerkschaft massiv bestreikte. Während die Ver.di-Mitglieder für höhere Löhne kämpften, nutzte Bsirske als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Lufthansa Gratis-Flüge des Unternehmens.
Politiker sind empört. (…)”

Denn als Bild.de am Samstag die “Bild”-Kampagne gegen Ver.di-Chef Frank Bsirske mit einem Bericht über die “Riesen-Wut über Gratis-Flug” fortsetzte (siehe Kasten), fand sich am Ende folgende Abstimmung:

Gratis 1. Klasse in die Südsee – muss Gewerkschaftsboss Bsirske zurücktreten?

  • Ja, das ist eine Frechheit
  • Nein, an dem Urlaubsflug ist nichts zu beanstanden

Und Sie kommen nicht drauf, wie die Bild.de-Leser (die sich nicht zu doof für sowas sind) abgestimmt haben! Brauchen Sie aber auch gar nicht. Bild.de fand das in keiner Weise repräsentative Resultat der 15.921 Stimmabgaben selbst bemerkenswert genug, um es als eigene Nachricht zu verbreiten:

"BILD.de-Leser fordern: Bsirske muss zurücktreten"
Unverständnis in Deutschland! Bei BILD.de forderten 83 Prozent der Leser Bsirskes Rücktritt. Nur 17 Prozent fanden in unserer Abstimmung, dass es an dem Gratis-Flug nichts zu beanstanden gebe.

Mehr über die politischen Hintergründe der “Bild”-Kampagne bei der “taz” und in einem NDRinfo-Kommentar.

Kurz korrigiert (479)

Wenn irgendwas kompliziert ist in der jüngeren Geschichte Europas, dann sicherlich die Geschichte (Ex-)Jugoslawiens. Aber man muss sich nicht sonderlich gut auskennen, um festzustellen, wie schlecht sich einer auskennen muss, der behauptet, der ehemalige Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, sei in Belgrad durch “jugoslawische Richter” verhört worden.

“Bild”-Redakteur Hans-Jörg Vehlewald behauptet das heute in einer Titelgeschichte über Radovan Karadzic trotzdem – bislang offenbar auch weltexklusiv. (Aber Vehlewald behauptet im selben Artikel ja auch, es handele sich bei Karadzic um den “ehemaligen Präsidenten der Serben”.)

Und wo wir schon dabei sind: Dass “Bild” heute auf der Titelseite über ein Foto Karadzics das Wort “Exklusiv” geschrieben hat, deutet übrigens nicht etwa auf eine besondere Rechercheleistung o.ä. hin. Wie man dem Fotonachweis entnehmen kann, hat “Bild” von der serbischen Zeitung “Blic” wohl nur irgendwelche Exklusiv-Rechte erworben.

Mit Dank auch an Simon S.

“Bild” verliert gegen Ex-Terroristin

Nach Informationen aus Justizkreisen plant eine ehemalige RAF-Terroristin, sich einen neuen Namen zuzulegen. Darüber berichtete eine große deutsche Tageszeitung – rein sachlich, ohne Nennung des neuen Namens. Schon das verstieß nach Ansicht des Landgerichts Hamburg gegen ihr Recht auf Privatsphäre. (…) Genau deshalb darf auch in diesem Artikel der Name der Terroristin nicht genannt werden – da eine Nennung klar machen würde, um wen es sich handelt.

O-Ton Nicolaus Fest:

“(…) Gesetzt den Fall, daß auch Hitler oder Himmler den Krieg überlebt hätten und vor deutsche Strafgerichte gestellt worden wären – hätten auch sie eine „zweite Chance“ erhalten, sich bei guter Führung erneut in die Gemeinschaft der deutschen Volksgenossen einzufinden?

(…) Möchte man wirklich mit den Mördern seines Vaters oder seines Ehemannes ein paar freundliche Worte an der Kasse wechseln? Möchte man sich von ihnen die Haare schneiden, anfassen, bequatschen lassen? (…) Nicht wenigen ekelt es bei dieser Vorstellung.

Abhilfe könnte eine Regelung schaffen, die zumindest die vorzeitige Aussetzung der Strafverbüßung an die Zustimmung der Hinterbliebenen knüpft. (…) Zudem sollte die Möglichkeit der Namensänderung aus Gründen der Resozialisierung deutlich eingeschränkt oder abgeschafft werden. (…)”

Wenn man sich anschaut, was für Gedanken Nicolaus Fest in seiner aktuellen “Hieb- und stichfest”-Kolumne sonst noch so verbreitet (siehe Kasten), ist es geradezu erstaunlich, wie sachlich* er den Anlass dafür zusammenfasst.

Wir wüssten allerdings nicht, dass das Gericht auch untersagt hätte, den Namen der “großen deutschen Tageszeitung” zu nennen, die am 10. August 2007 über die Ex-Terroristin berichtet hatte. Und dass Nicolaus Fest nicht wüsste, um welche Zeitung es sich handelt, halten wir für ausgeschlossen. Er könnte den Zeitungsnamen nicht nur in den Meldungen verschiedener Nachrichtenagenturen und anderen Medien nachlesen (deren Berichte über den angeblichen Namenswechsel der Ex-Terroristin mit Quellenangabe bis heute leicht zu finden sind); der Zeitungsname steht, weiß auf Rot, auch unmittelbar über der Kolumne, die ihn verschweigt.

Was aber ist dann die Argumentation eines leitenden “Bild”-Mitarbeiters wert, wenn er sich in eigener Sache über einen verlorenen Gerichtsprozess empört, aber die eigene Involviertheit verleugnet?

*) “Bild” berichtete übrigens nicht nur über die angebliche Namensänderung, sondern nannte u.a. auch den Namen der Bewährungshilfeorganisation und machte Andeutungen über den mutmaßlichen Arbeitsplatz der Ex-Terroristin.

Das Santenmännchen ist wieder da

Was bedeutet es eigentlich, wenn “RWI-Experte Manuel Frondel” in “Bild” sagt:

"Durch eine Verschiebung des Atomausstiegs um 20 Jahre könnten uns Kosten von 50 Milliarden Euro und mehr erspart bleiben."

Bedeutet das wirklich, dass mit einer “Milliarden-Ersparnis für Wirtschaft und Verbraucher” zu rechnen sei, wie “Bild” behauptet (und “Focus Online” weiterverbreitet)?

Nicht unbedingt. Wie der “Klima-Lügendetektor” berichtet, räume sogar “RWI-Experte” Frondel auf Nachfrage ein, dass “die Erzeugungskosten erstmal nichts mit dem Endpreis des Stroms zu tun” hätten. Die errechnete Ersparnis falle vielmehr bei den Stromkonzernen an und müsse von denen natürlich nicht an die Verbraucher weitergegeben werden – was Frondel “so auch nie gesagt” haben will, offenbar nicht mal zu “Bild”.

Die 7 “Bild”-Wahrheiten über unsere Kernkraft:

1. “Kernkraft ist sicher”

2. “Kernenergie gehört zum Energiemix der Zukunft”

3. “Kernkraft dämpft den Preisanstieg beim Strom”

4. “Der Ausstieg schadet dem Standort Deutschland”

5. “Kernkraft ist gut für den Klimaschutz”

6. “Das Problem mit dem Atomabfall ist ungelöst”

7. “Die Zustimmung zur Kernenergie wächst”

Der “Klima-Lügendetektor” schließt aber nicht mal aus, dass Frondel in seinem “Bild”-O-Ton mit “uns” ohnehin nicht “Wirtschaft und Verbraucher” (also uns) gemeint hat, sondern bloß seine unsere Energiewirtschaft.

Und die dürfte sich dann nicht nur über die via “Bild” in Aussicht gestellte “Milliarden-Ersparnis” freuen, sondern auch über den “Bild”-Artikel drumherum mit der Überschrift: “7 Wahrheiten über Kernkraft”. Immerhin sechs der sieben “Wahrheiten” fallen da für die Kernkraft überraschend positiv aus (siehe Kasten) – und achtens steht oben drüber als Autor: “Oliver Santen”.
 

Deutschlands schnellste Meinungsmache

Seit gestern kann man im Online-Angebot der “Bild”-Zeitung darüber abstimmen, ob man die “Urteile gegen die U-Bahn-Schläger für gerecht” halte.

Wem diese Frage zu kompliziert ist, oder wer beispielsweise mit Begriffen wie Gerechtigkeit nicht so viel anfangen kann, dem bietet “Deutschlands schnellste Meinung” die Möglichkeit, die Frage gar nicht zu beantworten und sich für die Option “D” zu entscheiden. Eine Mehrheit der Leser (derzeit 47 Prozent) hat das getan:

"Halten Sie die Urteil gegen die U-Bahn-Schläger für gerecht? Ausländische Straftäter immer ausweisen!"

Passend dazu fragt “Bild” heute:

"Wann werden die Schläger abgeschoben?"

Gut möglich, dass das genau die Frage ist, die “Bild”-Leser heute bewegt. Aber sie ist falsch gestellt – und die Antwort, die “Bild” gibt, auch deshalb wenig hilfreich:

Die Täter müssen einen Teil der Strafe in Deutschland absitzen, erklärt die zuständige Behörde. Mindestens die Hälfte, möglicherweise aber auch drei Viertel der Haft. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte erneut an, an der Abschiebung nach der Haft festzuhalten.

Das hatte Herrmann schon gestern gefordert – in “Bild”. Doch was “Bild” offenbar nicht wahrhaben will: Herrmann kann das überhaupt nicht entscheiden, sondern die “zuständige” Ausländerbehörde (gegen deren Entscheidung wiederum vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden kann). Und die müsste erstmal klären, ob die “Schläger” überhaupt ausgewiesen werden dürfen. Anders als “Bild” offenbar meint, ist das keineswegs sicher.

Zwar steht in Paragraph 53 Aufenthaltsgesetz, ein Ausländer “wird ausgewiesen”, wenn er zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Aber EU-Bürger genießen einen erhöhten Ausweisungsschutz (einer der Verurteilten ist Grieche). Und der Paragraph 56 schränkt die “zwingende Ausweisung” aus Paragraph 53 unter bestimmten Voraussetzungen ein. So zum Beispiel für Leute, die längere Zeit rechtmäßig in Deutschland leben oder “mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft” leben (der andere Verurteilte wurde in Deutschland geboren, ist mit einer Deutschen verlobt und hat ein Kind mit ihr). Gemäß Paragraph 56 Aufenthaltsgesetz genießt ein Ausländer in diesen Fällen einen “besonderen Ausweisungsschutz”:

Er wird nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen.

Bei Verurteilungen zu Haftstrafen von über drei Jahren liegen diese Gründe zwar “in der Regel” vor – aber eben nur “in der Regel”. Und das Bundesverfassungsgericht entschied im August 2007, dass es bei sogenannten “faktischen Inländern” (Ausländer, die seit vielen Jahren rechtmäßig in Deutschland leben) immer auf deren “individuelle Lebensumstände” ankommt.

Auch wenn die “Bild”-Zeitung und ihre Leser es offenbar gerne anders hätten, müsste die korrekte Frage auch nach der Verurteilung der beiden “U-Bahn-Schläger” noch immer lauten:

"Werden die Schläger abgeschoben?"

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Selbst Justiz

Ein Foto von Serkan A., einem der beiden sogenannten “U-Bahn-Schläger”, die gestern zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, ist heute in vielen Zeitungen zu sehen. Es zeigt ihn, wie auch “Bild” schreibt, wie er aus dem schmalen Fensterschlitz eines Gefangenen-Transporters den Fotografen den Mittelfinger zeigt. Die Fotografen hatten bei der Gerichtsverhandlung u.a. auch (teilweise gegen deren offenkundigen Willen) Aufnahmen von seiner Mutter, seiner Schwester, seiner Verlobten und seiner sieben Monate alten Tochter gemacht.

Die “Bild”-Zeitung wertet diese Geste so:

So zeigt der U-Bahn-Schläger, was er von unserer Justiz hält

Und online schreibt “Bild” sogar, was die Geste angeblich zu bedeuten hat:

U-Bahn-Schläger verhöhnen deutsche Justiz

Vielleicht kann man viele Grenzüberschreitungen, die die “Bild”-Zeitung und ihre Reporter und Fotografen begehen, damit erklären: Dass sie sich ernsthaft für einen Teil unserer Justiz halten.

Mit Dank an Torsten K.!

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