Archiv für Moralisches

Reicht das?

Die britische Modemarke Lonsdale macht “Trikotwerbung für die NRW-Fußballelf ‘African United’, die aus farbigen Spielern besteht”, um sich dagegen zu wehren, dass sie wegen der Buchstaben “NSDA” im Markennamen als “Lieblingskleidung deutscher Neonazis” gilt.

Am Freitag war Lonsdale deswegen nicht etwa “Gewinner”, sondern “Verlierer des Tages”.

Und zwar, weil “Bild” kurzerhand dazu dichtete:

Reicht das, um dumme Glatzen abzuschrecken?”

Vermutlich nicht, nein.

Deshalb wirbt die Marke ja außerdem “mit farbigen Models oder etwa dem Sponsoring des Christopher Street Days in Köln” und “sponsert (…) antirassistische Organisationen wie das ‘Netzwerk Sachsen’ oder ‘Augen auf!’. Auch der in Berlin geborene ghanesische Medienstar Detlef ‘D!’ Soost grinst für Lonsdale”.

So steht’s jedenfalls im “Fluter” über die Kampagne “Lonsdale loves all Colours”. Reicht das?

Bittere Rache

Am Donnerstag berichtete “Bild” erstmals, dass Roberto Blancos Ehefrau Mireille die Scheidung eingereicht hat, weil er ihr des öfteren untreu war. Heute schlagzeilt “Bild”:

Drunter steht:

Und im Text? Da ist zu lesen, dass Mireille Blanco vom Familiengericht vorläufig einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 7100 Euro zugesprochen bekommen hat, den ihr Mann zahlen soll, weil sie selbst mittellos ist, und dass ursprünglich eine Unterhaltsforderung von 15.000 Euro eingereicht wurde, die nun im weiteren Scheidungsverfahren geprüft wird.

Vor Gericht wurde Roberto Blanco nicht “gezerrt”. Im Gegenteil:

“Die festgelegte Summe hat Herr Blanco (…) bisher nicht gezahlt. Dabei wollten und wollen wir eine einvernehmliche Lösung. Wir haben ihn schon vor Monaten dezent angeschrieben und eine großzügige Frist gesetzt. Doch er teilte uns nur mit, dass er in der Klinik sei. Dabei war er lediglich in Marbella zum Abspecken”,

zitiert “Bild” Mireille Blancos Anwältin.

Und was ist mit den Grausamkeiten, die “enthüllt” wurden? Ganz einfach: nichts. Mireille Blanco hat schlicht und einfach ihrer Anwältin anvertraut, welche Gründe sie zu der Scheidung bewogen haben. Von einer “Enthüllung” kann keine Rede sein. Und “bittere Rache” sieht womöglich auch anders aus.

Die korrektere Schlagzeile “Roberto Blanco: Ehefrau will einvernehmliche Lösung” stand bei “Bild” vermutlich trotzdem nicht zur Diskussion.

Entschuldigung!

Steht da wirklich “Entschuldigung” über dieser “Bild”-Nachricht? Ja, tatsächlich!

Und natürlich wird so was nie wieder vorkommen. Nicht wahr?

Rein gar nichts damit zu tun hat freilich diese Schlagzeile:

Nun ja, Fakt ist : Bei einer Oldtimer-Veteranenfahrt in der Nähe von Darmstadt hat ein 70-jähriger Motorradfahrer versucht, einen abbremsenden Oldtimer vor ihm zu überholen und dabei übersehen, dass dieser links abbiegen wollte. Der Motorradfahrer ist ausgewichen und hat sich daraufhin mit seinem Fahrzeug überschlagen. Sein 10-jähriger Beifahrer hat das nicht überlebt.

Von Rasen aber ist in der Polizeimeldung nicht die Rede, von einer “Rallye” schon gar nicht.

Und “Bild”? Zeigt nicht nur das Motorrad, das im Straßengraben liegt, und neben dran die abgedeckte Leiche des Jungen. Sondern auch die “geschockte Unfallfahrerin” (die das Unglück zwar mit verursacht, aber eigentlich keine Schuld daran hat), wie sie in ihrem Wagen von einem Psychologen betreut wird.

Ihre Augen hat “Bild” mit einem winzigen Balken geschwärzt. Das Nummernschild ihres Wagens allerdings, ja, das ist – Entschuldigung! – gut und deutlich lesbar.

Unrealistische Schönheitsideale

Bild.de hat dann doch noch eine passende Anzeige gefunden, um seine moralische Entrüstung über die Live-Übertragung einer Brust-OP angemessen zu illustrieren:

Der Klick auf die Anzeige führt zu einem (kostenpflichtigen) “erotischen Riesenangebot” von Beate Uhse, inklusive “kultige, große Möpsegalerien” und “100 % pralle Milch- und Teeniebrüste”.

Das letztere Tabu

Na, das hat ja nicht lange gedauert. Am Freitag hatten wir vermutet, dass mit der Ausstrahlung eines Brustwarzen-Piercings womöglich doch nicht “das letzte Tabu” im Fernsehen gebrochen sei, wie “Bild” sich erregte. Und siehe da, keine halbe Woche später fällt laut “Bild” schon wieder was im Fernsehen? “Das letzte Tabu”. Diesmal in Form einer von RTL live übertragenen Brustvergrößerung.

Sowas ist natürlich höchst bedenklich und muss dringend mit vielen Fotos angeprangert werden (“Bilder wie dieses will RTL morgen zeigen”). Und diesen Chirurgen, der sich dafür hergibt, nimmt “Bild” im Interview hart ran:

BILD: Meinen Sie nicht, dass Sie junge Menschen zu ähnlichen Eingriffen ermuntern?
Dr. Hecker: “Nein! Die so genannten Vorher-/Nachher-Bilder oder Kurzausschnitte in den Medien animieren viel eher dazu.”

Ts, Vorher-/Nachher-Bilder! Wer macht denn auch sowas Unverantwortliches?

Jegliches Ethos abgegeben

Auf Homestories von Politikern will “Bild” zukünftig angeblich verzichten; von Artikeln aus dem Privatleben von anderen Prominenten, um die es im “Caroline-Urteil” im Kern geht, ist nicht die Rede. Schade eigentlich — denkt man, wenn man einen Artikel im heutigen “Tagesspiegel”* gelesen hat, der sich die Arbeit des “Bild”-Unterhaltungsressorts unter seinem Chef Martin Heidemanns genauer ansieht.

Zu lesen ist in der ausführlichen Geschichte unter anderem:

… wie die Methoden von Martin Heidemanns in der Branche beschrieben werden: Anschreien, Drohen, Erpressen.

… wie “Bild” versucht haben soll, Prominente wie Charlotte Roche, Ursula Karven und Esther Schweins in persönlichen Notsituationen zu Interviews zu erpressen.

…wie “Bild am Sonntag” falsche Fotos von Andreas Türck (wie er angeblich nach den Vergewaltigungsvorwürfen zu seiner “Mama” flieht) und Oliver Kahn (wie er angeblich wieder seine Ehefrau betrügt) zeigte.

Die Chefin der Agentur Barbarella, die viele Prominente vertritt, zitiert der “Tagesspiegel” mit dem Fazit:

Journalisten der ,Bild’-Zeitung scheinen darauf trainiert zu werden, jeglichen Ethos abzugeben.

Weder Heidemanns noch sein Chef Kai Diekmann wollten mit dem “Tagesspiegel” reden. Ein Sprecher des Verlages sagte:

Die Unterstellungen des Tagesspiegels gegenüber “Bild” sind so haarsträubend, dass sich darauf eine Antwort verbietet. Genauso wie beim Tagesspiegel sind dies auch für “Bild” keine üblichen Arbeitsmethoden.

Ach ja. Oder wie Kai Diekmann der Zeitschrift “Cover” sagte: “Nur Moralisten können gute Journalisten sein.”

(Verspäteter) Nachtrag, 29. Dezember 2005:
Von Martin Heidemanns erschien am 14. November 2004 eine Gegendarstellung zu dem Artikel im “Tagesspiegel”. Darin heißt es unter anderem:

Durch die Formulierung: “Spricht man mit Prominenten und ihren Managern, mit ehemaligen und aktuellen Kollegen über jenen Mann, der bei BILD für das Unterhaltungsressort verantwortlich ist, fallen drei Worte immer wieder: Anschreien, Drohen, Erpressen”, erwecken Sie den Eindruck, dass ich bei meiner Berufsausübung schreie, drohe, erpresse.

Das ist falsch. Ich schreie nicht, ich drohe nicht, und ich erpresse auch nicht.

*) Nachtrag, 25.1.2006:
Der strittige Artikel ist im Online-Archiv des “Tagesspiegel” nicht mehr (oder nicht mehr frei) verfügbar, aber im Wortlaut hier nachzulesen. Zwei weitere Gegendarstellungen dazu finden sich hier und hier.

Symbolfoto III

Hatte “Bild” nicht kürzlich die “Zeit” zum “Verlierer” des Tages gemacht, weil die “Zeit” künftig den Einsatz von Symbolfotos deutlicher kennzeichen will?

Eigentlich ja.

Andere Frage: Wie zur Hölle soll man bloß diese “Bild”-Serie “Hitlers letzte Tage” bebildern? Etwa mit Fotos aus der Hitler-Zeit? Gibt es da zu der Vorlage für die “Bild”-Serie (“Der Untergang”) nicht auch gerade einen gleichnamigen Film? Und gibt’s zum Film nicht auch ein Buch? Und sehen die Bilder aus dem Filmbuch nicht viel, viel besser aus als die ollen Originalfotos? Ach ja, und wenn man die “Hitler”-Serie dann tatsächlich mit Fotos aus dem Film bebildert, sollte man das dann nicht klipp und klar dazuzuschreiben?

Ja, eigentlich ja.

Wenn aber “Bild” nun so ein Filmbild gedruckt hat, das (siehe Ausriss aus der Montags-“Bild”) einfach nur eine Straßenszene zeigt (Trümmer, eine Explosion und vorn ein Mann in Uniform mit Stahlhelm, wie tot), langt es dann nicht, wenn man einfach nur “Straßenkampf in Berlin. Die Gefallenen werden nicht mehr bestattet” dazuschreibt und sonst nix? Ist es nicht eigentlich egal, ob da nun Statisten in Kulissen liegen oder echte Leichen?

Definitiv nein.

(Wird fortgesetzt…)

Symbolfoto II

Wie bereits erwähnt, machte “Bild” ja kürzlich die “Zeit” zum “Verlierer” des Tages, weil sie ihre Leser “kleinlaut” (so “Bild”) darauf hinwies, zur Bebilderung eines Textes ein Symbolfoto abgedruckt zu haben. “Nanu?” schrieb “Bild” und empfahl: “Zeitig aufklären!” Und wenn “Bild” nun, einen Tag später, in ihrer Berlin-Ausgabe über “sechs angehende Krankenschwestern” berichtet, die gegen ihren Willen “nackt beim Duschen” gefilmt wurden, und “Bild” die Meldung u.a. mit dem Foto einer nackten Frau beim Duschen bebildert (siehe Ausriss), bei der es sich natürlich mitnichten um eine der betroffenen Krankenschwestern, sondern bloß – wie “Bild” offenbar zu erwähnen vergaß – um ein Symbolfoto handelt, dann hoffen wir mal, dass wir das hiermit zeitig genug aufklären konnten!

(Wird fortgesetzt…)

“Bild” klärt auf

Einer der Unterschiede zwischen der Boulevardzeitung “Bild” und der Wochenzeitung “Die Zeit” besteht darin, dass sich die “Zeit” offenbar verpflichtet fühlt, ihren Leser in der aktuellen Ausgabe mitzuteilen, dass sie in der vergangenen Woche einen Artikel über illegale Einwanderinnen mit einem nachgestellten “Symbolfoto” bebildert hatte (O-Ton “Die Zeit”: “Um ihre Anonymität zu schützen, haben wir für die Illustration (…) Fotomodels engagiert”), und darüber hinaus ankündigt, “künftig Illustrationen dieser Art präzise kennzeichnen” zu wollen, wohingegen “Bild” die “Zeit” ob dieser Ankündigung – und mit dem wohlmeinenden Hinweis “Zeitig aufklären!” – kurzerhand zum “Verlierer” des Tages macht.

Mehr zu Thema? Klicken Sie hier. Oder schauen Sie sich doch zum Beispiel bloß mal die barbusige, blonde Frau an, die auf der “Bild”-Titelseite (siehe Ausriss) quasi direkt neben der “Verlierer”-Meldung abgebildet ist und laut “Bild” behauptet, sie heiße “Eurynome”.

Information und (Ver-)Dichtung

Im Medienmagazin “Cover” (ab September erstmals auch am Kiosk zu kaufen) sagt “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann auf die Frage, welche Bilder von “Leid und Grauen” als Folge des internationalen Terrorismus im Boulevard-Journalismus “prinzipiell gezeigt” werden dürfen und welche nicht:

“Grundsätzlich ist nach dem Pressecodex auf ‘unangemessen sensationelle’ Gewaltdarstellungen zu verzichten. (…) Entscheidend ist immer der Informations- und Verdichtungsgehalt eines Fotos. Deshalb haben wir vor kurzem auch kein Foto der toten Lady Di im Unfallwagen veröffentlicht, weil es weder Informations- noch Verdichtungsgehalt besaß.”

So? Na, dann ist ja wohl alles in Ordnung.

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