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Das Schweigerkartell

Wenn Til Schweiger eine Bühne braucht, dann darf er sich der Unterstützung der „Bild“-Zeitung jederzeit gewiss sein. Sie gibt ihm eine Plattform, macht Werbung für seine Projekte und verteidigt ihn gegen Kritik — dafür lässt er sich regelmäßig auf „Bild“-Events blicken, er beteiligt sich an ihren Aktionen, er wirbt für sie, schreibt für sie und versorgt sie stets mit exklusiven News aus seinem Privat- und Berufsleben.

Wie sehr die “Bild”-Medien und Til Schweiger diese Symbiose perfektioniert haben, lässt sich seit einigen Monaten an der gewaltigen PR-Kampagne erkennen, mit der sie gemeinsam für den dreiteiligen Schweiger-“Tatort” trommeln (zwei Teile wurden bereits im Fernsehen ausgestrahlt, der dritte Teil läuft ab Donnerstag im Kino).

Ihren Anfang nahm diese Offensive schon vor eineinhalb Jahren.

Es ist das erste von zahlreichen noch folgenden Win-win-Interviews: Schweiger darf hier „seine von ihm entworfene Wohn-Kollektion“ vorstellen und verrät „Bild“ im Gegenzug erste Details zu seinen „Tatort“-Plänen:

Wie viele Tatort-Folgen wird es noch mit Til Schweiger geben?

Schweiger: „Wir drehen jetzt erst mal eine Doppelfolge. Die wird nächstes Jahr ausgestrahlt. Dann ist diese Geschichte im Fernsehen abgeschlossen. Vielleicht tragen wir sie dann noch weiter ins Kino.“

Was passiert nach der großen Doppel-Folge? Ist dann Schluss?

Schweiger: „Ich habe gerade meinen Vertrag für vier weitere Folgen, also vier Jahre, verlängert.“

Ermittelt bald Helene Fischer mit?

Schweiger: „Vielleicht sage ich auch: Lassen wir uns überraschen …“

Weiter geht’s am 19. September 2014 bei Bild.de:

2. Oktober 2014, “Bild Hamburg”:

22. Oktober 2014, “Bild Hamburg”:

Am 25. Oktober 2014 darf “Bild” exklusiv verkünden:

… und fragt:

… und lässt abstimmen:

19. November 2014, Bild.de:

21. November 2014, “Bild Hamburg”:

22. November 2014, “Bild Hamburg”:

3. Dezember 2014, “Bild Hamburg”:

1. April 2015, “Bild”:

4. April 2015, Bild.de:

19. April 2015, “Bild am Sonntag”:

2. Juli 2015, Bild.de

22. Juli 2015, “Bild”:

26. Juli 2015, “Bild am Sonntag”:

5. August 2015, Bild.de:

24. August 2015, “Bild Hamburg”:

26. August 2015, “Bild Hamburg”:

Es sind die Filmarbeiten für „Tschiller, a. D.“, der erste „Tatort“-Kinofilm seit 28 Jahren (im Kino ab 25. Februar 2016).

4. September 2015, “Bild Hamburg”:

22. September 2015, “Bild”:

5. Oktober 2015, Bild.de:

12. Oktober 2015, “Bild”:

4. November 2015, Bild.de:

17. November 2015, “Bild”:

17. November 2015, Bild.de:

17. November 2015, Bild.de:

18. November 2015, “Bild”:

Dann rückt die große Stunde näher. Zwei Wochen vor der TV-Ausstrahlung besucht “Bild” die Premiere …

… auch online sind sie ganz entzückt:

Zehn Tage vorher: großes “Bams”-Interview.

Einen Tag vorher: großes “Bild”-Interview.


Am Tag der Ausstrahlung noch mal volle Online-Power:


Und noch mal:


Und noch mal:

Doch so sehr sie sich auch bemüht haben: Der erste Teil floppt. Die Kritiker sind mittelmäßig begeistert, die Quoten vergleichsweise schwach.

So muss auch die “Bild am Sonntag” auf der Titelseite zugeben:

Andererseits

Also lieber schnell abhaken, schließlich steht noch der zweite “Tatort”-Teil an. Dazu erst mal wieder ein Interview.

Auch online geht das PR-Geballer weiter.

2. Januar:

2. Januar:

2. Januar:

3. Januar:

3. Januar:

4. Januar:

4. Januar:


4. Januar:

4. Januar:

4. Januar:

Am selben Abend veröffentlicht Til Schweiger auf Facebook einen Text, in dem er seinen “Tatort” als “ein Stueck deutsche Fernsehgeschichte” und den “bahnbrechendsten seiner Art” bezeichnet und erklärt, warum alle, die ihn nicht mindestens megamegamegageil fanden, völlig dumm sind (“Weil…. ich als Filmemacher/Schauspieler/Produzent/Writer/Cutter/Composer…. viel mehr Ahnung…. ich habe viiiieel mehr Ahnung von der Craft( Materie)….KUNST…. als die meisten von diesen Trotteln, die darüber schreiben!!!!….).

Für diesen Post erntet Schweiger ziemlich viel Kritik — so viel, dass selbst “Bild” sie nicht mehr ignorieren kann und am nächsten Tag fragt:

Doch man merkt: So richtig kritisieren wollen die “Bild”-Leute ihren Schützling eigentlich nicht. Der Facebook-Eintrag, den “Bild” bei jedem anderen mindestens als “bizarres Gaga-Posting” bezeichnet hätte, bekommt nur das Prädikat “Wut-Brief”. Und online klingt auch die Überschrift schon viel versöhnlicher. Statt “Hat sich Til verballert?” fragt Bild.de:

Dann folgt die Gegenoffensive.

Und zwar?

“Wir waren beide sehr beeindruckt!”

Klar.

Auch “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner springt seinem Buddy zur Seite, schreibt:

Til Schweigers Mann ist ein metallisches Wesen. Er ist ein Mann, der nicht mehr weint. Er ist ein Mann, der rächt. Er ist ein Mann ohne Parfum.

Er ist die Rückkehr des Mannes.

Tapfer, selbstlos, großartig. Er ist ein Held wie Herkules. Sehnen wir uns nicht alle nach einem Herkules?

Am nächsten Tag darf sich Schweiger dann ausführlich verteidigen, exklusiv in “Bild” natürlich:

Und bei Bild.de:

Also lieber schnell abhaken und weiter im Text, schließlich steht noch der dritte Teil an, Schweigers Kino-“Tatort”.

8. Januar, Bild.de:

20. Januar, “Bild Hannover”:

29. Januar, Bild.de:

31. Januar, “Bild am Sonntag”:

Auch online nennt “Bild” …

Es ist der vorerst letzte von bisher über 50 Schweiger-PR-Artikeln, und das sind nur die, die sich auf den “Tatort” beziehen. In einem davon sagt Schweiger übrigens:

Ein Shitstorm kommt und geht wieder. Ich mache einfach weiter mein Ding.

Und wir ahnen auch schon, wer ihn dabei unterstützen wird.

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“BILD wird jede Chance nutzen, um mir zu schaden”

Gertjan Verbeek ist Trainer des VfL Bochum und kein allzu großer Freund der “Bild”-Zeitung (BILDblog berichtete mehrfach). In einem Interview mit dem Magazin “11 Freunde” hat er jetzt kurz über das angespannte Verhältnis gesprochen:

11 Freunde: Ist eigentlich Ihr Umgang mit Journalisten auch eine Form der Rebellion? Sie haben mehrfach deutlich vor allem die „Bild“ kritisiert und weigern sich inzwischen sogar, die Fragen des für den VfL Bochum abgestellten Reporters zu beantworten.

Verbeek: Eine Autorität wie bei der „Bild“-Zeitung, die daher kommt, dass sie die Meinung im Fußball bestimmt, interessiert mich nicht. Aber ich habe auch in Holland schon Probleme mit der Presse gehabt, weil ich sehr direkt bin. Ich sage, was ich denke. Ich bin unabhängig, wie Lemmy von Motörhead. Was andere über mich denken, interessiert mich nämlich nicht. Und wenn Journalisten mich verarschen, warne ich einmal, zweimal. Beim dritten Mal ist es vorbei.

Das klingt dann so: „Ihr spielt immer zwei Parteien gegeneinander aus.“ Das haben Sie im September in einer Pressekonferenz über „Bild“ gesagt und: „Ihr seid doch Arschlöcher!“

Ich habe mich im Ton vergriffen und mich dafür entschuldigt. Aber der Inhalt war okay.

Sie überlegen gerade, ob Sie Ihren Vertrag in Bochum verlängern. Inwiefern spielt bei Ihren Überlegungen die Situation mit der Presse eine Rolle?

Wenn meine Arbeit hier unmöglich wird, weil ich zu viel Ärger habe oder der Klub nur negativ vorkommt, weiß ich: Das Kraftfeld wird negativ für mich.

Ist es schon so weit?

Nein, aber das kann passieren. Ich mach es mir natürlich nicht leichter, denn „Bild“ wird jede Chance nutzen, um mir zu schaden.

Könnten Sie sich nicht einfach etwas diplomatischer verhalten?

Sie sprechen von Diplomatie, aber man könnte auch sagen: Ich bin ehrlich. Immer! Ich habe keine zweite Agenda, und ich werde nie hinter seinem Rücken etwas über jemanden sagen.

Das komplette Interview gibt’s in der aktuellen Ausgabe der “11 Freunde”.

Linke Nummer mit Mutti

Wenn Ermittlungsbehörden neue Zahlen über politisch motivierte Straftaten herausgeben, ist die “Bild”-Zeitung immer gleich zur Stelle, was meist darauf hinausläuft, dass sie die bösen Linken wortreich verteufelt und die Rechten irgendwie aus den Augen verliert.

Auch an der Studie über linke Gewalt, die der Verfassungsschutz in Berlin jetzt veröffentlicht hat, war “Bild” natürlich sofort dran und hat dabei ein äußerst amüsantes Detail entdeckt:

Der Verfassungsschutz hat in einer Studie, die BILD exklusiv vorliegt, den linken Durchschnitts-Täter ermittelt: Er ist männlich, 21 bis 24 Jahre alt, hat trotz mittlerer Reife meist keinen Job – und 92 Prozent von ihnen wohnen noch bei Mutti.

Hihihi!

Artikel der BILD Berlin und Brandenburg, bebildert mit einem riesigen Foto, auf dem ein vermummter Mann böse in die Kamera guckt, hinter ihm brennt eine Straßenbarrikade, ein weiterer Vermummter streckt beide Fäuste nach oben und zeigt die Mittelfinger. Dazu die Schlagzeile: 92 Prozent der Berliner Linksradikalen wohnen bei Mutti - In einer neuen Studie hat der Verfassungsschutz den Durchschnitts-Extremisten analysiert

Auch die “B.Z.” gluckst:

Artikel der B.Z., bebildert mit einem risiegen Foto, auf dem ein vermummter Mann gerade ausholt, um eine Bierflasche zu werfen. Dazu die Schlagzeile: Studie über den typischen Berliner Linksradikalen - 21-24 Jahre, ohne Job, gewalttätig und wohnt noch bei Mutti

Diese Studie liegt allerdings nicht nur den Springer-Blättern vor, sondern jedem, der Internetzugang hat (PDF).

Dort kann man dann auch nachlesen, dass es 1. nur um Tatverdächtige geht und dass 2. die erhobenen “Daten zur Wohnsituation, Schulbildung und zum Beruf” auf “freiwilligen, hier nicht nachprüfbaren Daten” beruhen – und nur sehr wenige Verdächtige überhaupt Angaben gemacht haben. Die Zahlen sind also keineswegs repräsentativ. In der Studie heißt es:

Aufgrund der geringen Fallzahl, die hier zur Verfügung stand (insgesamt lagen nur zu 65 Tatverdächtigen valide Aussagen über ihre Wohnsituation vor), sind diese Angaben jedoch in keiner Weise repräsentativ und auch nicht mit den Ergebnissen der Vorgängerstudie vergleichbar.

Im November 2014 gab es übrigens eine ähnliche Studie zu rechter Gewalt in Berlin (auch dort inkl. Bei-Mutti-Wohn-Quote). In der “Bild”-Zeitung stand darüber — nichts.

Mit Dank an Jonas!

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“Ich dachte, es gibt ethische Grenzen”

Als Vorsitzender des Vereins “Krisenintervention und Notfallseelsorge Dresden” hat Tom Gehre in den vergangenen Tagen einige Angehörige der Opfer des Anschlags in Istanbul betreut. Am Samstag hat er bei Facebook ein paar Gedanken zum Verhalten der Medien aufgeschrieben, die wir mit seinem Einverständnis auch hier veröffentlichen.

***

In der Regel äußern wir uns nicht im Detail zu unseren bisherigen Einsätzen oder lassen die Öffentlichkeit an unserer Meinung teilhaben. Doch leider wirft der Einsatz im Zusammenhang mit den Terroranschlägen in Istanbul neben seiner Tragik noch einen zusätzlichen negativen Schatten voraus. Der Umgang der Medien mit den Angehörigen der Opfer.

Wir weisen darauf hin, dass die Angehörigen über dieses Schreiben informiert wurden und ihre Zustimmung einer Veröffentlichung erteilten. Wir können auch nur über die Vorfälle hier in Dresden urteilen.

Mein Name ist Tom Gehre, ich bin Vorsitzender des Vereins Krisenintervention und Notfallseelsorge Dresden e.V.. Seit 7 Jahren bin ich in diesem Bereich tätig, habe unzählige Einsätze absolviert, auch Einsätze, die von einem scheinbar „hohen öffentlichen Interesse“ waren.

Als eine Kollegin und ich den Einsatzauftrag in der Nacht 12./13.01.2016 zum Überbringen der Todesnachricht gemeinsam mit der Polizei an die Angehörigen erhielten und durchführten, klärten wir in der Krisenintervention die Angehörigen u.a. darüber auf, wie mit der Presse umgegangen werden sollte und was auf sie zukommen könnte. Doch was die nächsten zwei Tage passierte, hatten wir in dieser Form noch nie erlebt.

Es wurde von mehreren lokalen, überregionalen und internationalen Medien versucht, mit den Angehörigen Kontakt aufzunehmen, von Telefonanrufen bis Klingeln an der Haustür, oder bei Nachbarn und deren Befragung. Es wurden Fotos von dem Haus der Betroffenen geschossen. Des Weiteren wurden Angehörige bedrängt, über den Anschlag zu sprechen und Auskunft zu geben. Es wurden Worte, die gesagt wurden, falsch dargestellt und die Hilflosigkeit der Angehörigen schamlos ausgenutzt, um über den an Sinnlosigkeit kaum zu überbietenden Terrorakt gegenüber Menschen noch mehr sinnlose Artikel zu schreiben. Meiner Meinung nach werden deutliche Grenzen überschritten, und dies hat nichts mehr mit seriösem und ethischem Journalismus zu tun. Hier besteht auch kein „öffentliches Interesse“ mehr.

Mir ist durchaus bewusst, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, über dieses Ereignis informiert zu werden. Das betrifft aber meiner Meinung nach das Ereignis an sich und nicht die Privatsphäre der Angehörigen. Worin besteht der Sinn, einen Eingang mit Hausnummer von Angehörigen in einer Zeitung abzulichten? Worin besteht der Sinn, die privaten familiären Umstände zu kennen?

Der Sinn ist für mich persönlich nicht erkennbar. Erkennbar ist für mich ganz deutlich, wie sehr die Angehörigen leiden, wie sie versuchen, die Tage zu überstehen und irgendwie das Unfassbare zu realisieren. Sie wollen selbst entscheiden, wie sie mit ihrer Hilflosigkeit und Trauer umgehen, und plötzlich wird ihr einziger privater Rückzugsort, ihre Wohnung, durch ständige Anrufe, Klingeln oder Fragen an der Tür öffentlich.

Ich weiß nicht, ob es wirklich sein muss, dass für diesen Preis die Rücksicht gegenüber Angehörigen nach Todesfällen so wenig Beachtung findet. Ich bin mir im Klaren darüber, dass auch Vertreter von der Presse ihren Beruf ausüben müssen, dass sie ihr Geld dadurch verdienen, aber wird hier nicht eine Grenze überschritten, wenn man anfragt und ein Nein seitens der Angehörigen nicht akzeptiert? Wenn trotz eines Neins versucht wird, die Angehörigen zu fragen und auf ein Interview gedrängt wird? Wenn trotz eines Neins einfach in die Wohnung gegangen wird, nachdem ein Angehöriger fast zusammenbricht, weil an der Haustür auf ihn eingeredet wurde?

Mich macht dies unheimlich traurig und wütend zugleich! Ich dachte, wir wären alle Menschen mit Herz und Verstand, doch scheinbar habe ich mich diesbezüglich getäuscht. Ich dachte, es gibt ethische Grenzen, die eingehalten werden. Ich will einfach nicht verstehen, dass scheinbar kaum Empathie herrscht, die Vorstellung, wie sich Angehörige wohl fühlen mögen, wenn plötzlich auf der Titelseite Bilder von ihren Verstorbenen auftauchen oder ihr privates Haus abgelichtet wurde. Es macht sie wütend, sie haben Angst, und das, obwohl sie doch schon so viel Wut für das Ereignis empfinden.

Mir ist bewusst, dass dieses Schreiben leider an der Situation nichts mehr ändert und auch in Zukunft nichts ändern wird. Aber ich persönlich sehe mich in der Pflicht, auf solche schweren Missstände hinzuweisen, darauf aufmerksam zu machen, und vielleicht erreicht es doch den ein oder anderen, der sein Verhalten überdenkt oder das nächste Mal anders handelt.

***

Siehe auch: Die Opfer der “Bild”-Zeitung

Mit Dank an flurfunk-dresden.de.

Die Opfer der “Bild”-Zeitung

Und was macht man als guter “Bild”-Reporter nach einem Terroranschlag, bei dem mehrere Deutsche gestorben sind? Richtig: Witwen schütteln.


(Unkenntlichmachung von uns.)

Dazu hat “Bild” ein Foto des Mannes abgedruckt — und eins seiner Leiche.

Auch von fünf anderen Opfern zeigt das Blatt unverpixelte Porträtfotos, nennt ihre (abgekürzten) Namen, ihre Wohnorte und viele private Details.

Davon, dass “Bild” die Erlaubnis der Angehörigen hatte, ist eher nicht auszugehen. Quellen für “die Geschichten der deutschen Opfer” sind überwiegend Nachbarn, (Ex-)Kollegen und die Facebookprofile der Verstorbenen.

Mit Dank auch an Jonas J.

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Gute Vorsätze

Kurz vorm Abflug ins Trainingslager vor einer Woche hat FC-Bayern-Fußballer Thomas Müller mit “Bild”-Reporter Kai Psotta über seine Ziele für 2016 gesprochen:

“Bild”-Reporter: Was ist denn deine persönliche Zielsetzung für 2016? Ereignisreiches Jahr: EM, gibt drei Titel noch zu gewinnen mit Bayern …

Müller: Mein Hauptziel ist, so wenig wie möglich Interviews mit der “Bild”-Zeitung zu führen.

Mit Dank an Daniel N.

Nachtrag, 15. Januar: Und wie das mit guten Vorsätzen so ist … Direkt im Anschluss hat Müller dem “Bild”-Mann dann doch ein Interview gegeben.

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Wer hat’s gemunkelt?

Vor knapp zwei Wochen ist im „Stern“ eine Reportage über ein Flüchtlingsheim in Bautzen erschienen. Autorin Frauke Hunfeld hatte fast eineinhalb Jahre lang die Entwicklung des Heims (das früher mal ein Hotel war) verfolgt. An einer Stelle schreibt sie:

Gemunkelt wird viel, im Heim und auch außerhalb des Heims. Gemunkelt wird in Bautzen zum Beispiel, dass der Notarzt nur noch mit schusssicherer Weste ins Spreehotel geht und dass die Asylbewerber ungestraft klauen dürften, jedenfalls bis 50 Euro, das habe der Kreistag so beschlossen.

Doch wenn man versucht, der Sache auf den Grund zu gehen, war es doch nicht die Tante vom Informanten, die das gesehen hat, sondern nur gehört, und zwar von einem, dessen Namen sie leider nicht weiß. Der Kreistag weiß nichts, die Polizei kennt die 50-Euro-Regel auch nicht, und was die Westen betrifft: Peter Rausch [der Betreiber des Heims] sagt, er habe noch keine Notärzte damit gesehen, und er sieht sie wirklich oft. Die Rettungsstelle sagt: durchstichsichere Westen wurden angeschafft, aber nicht fürs Spreehotel, sondern für Konfliktsituationen aller Art, Schlägereien, Fußballfans, Betrunkene. Im Supermarkt heißt es: Natürlich klauen die Flüchtlinge, aber eben auch nicht mehr als die Deutschen. Und dass Asylbewerber Hausverbot haben, da lacht der Verkäufer bloß, da wären sie ja schön blöd, “die tragen ihre 370 Euro im Monat doch zu 90 Prozent zu uns”.

Woher dieses Gemunkel kommt? Wir hätten da eine Vermutung.

Verzettelte Drohungen

Seit ein paar Tagen geistert ein gelber Zettel durch so ziemlich alle deutschsprachigen Medien:

Zwei Festnahmen in Köln! Polizei findet diesen Droh-Zettel [Dazu der gelbe Zettel mit handgeschriebenen Wörtern und Phrasen wie 'gelegenheit, Große Brüste, Fucken, Ich Will fuchen, ich will dich küssen, ich Töte sie ficken'
(Bild.de)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“Tagesschau”)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“ARD Brennpunkt”)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“ZDF heute”)

[Abbildung des gelben Zettels]
(“Spiegel TV”)

[Abbildung des gelben Zettels] dazu die Schlagzeile 'Skandalnacht von Köln: Das ist der erschreckende Drohzettel, den die Polizei fand'
(“Focus Online”)

[Abbildung des gelben Zettels] dazu die Schlagzeile ''Ich töte sie' - Polizei findet Übersetzungszettel bei Verdächtigen'
(ksta.de)

[Abbildung des gelben Zettels] dazu die Schlagzeile 'Köln-Übergriffe - 'Große Brüste': Der schlimme Übersetzungs-Zettel der Festgenommenen'
(express.de)

Köln: Drohbotschaften bei Verdächtigen entdeckt
(krone.at)

Köln: Polizei findet Droh-Zettel
(oe24.at)

'Ich will fucken': Verdächtige hatten irren Drohzettel dabei
(aargauerzeitung.ch)

Der Zettel soll bei einem der Verdächtigen aus der Silvesternacht gefunden worden sein. Viele Medien bezeichnen ihn als “Droh-Zettel”, denn er sei, wie zum Beispiel “Spiegel TV” gestern feststellte, …

voll mit Drohungen und Anleitungen zur Gewalt.

Und zwar?

Auf dem Droh-Zettel steht u.a. “Ich töte sie“

(oe24.at)

„Ich töte sie“

(“Focus Online”)

“Ich töte Sie”

(ksta.de)

“Ich töte sie”

(“Kopp”)

“Ich töte sie”

(krone.at)

“Ich töte Sie”

(abendzeitung-muenchen.de)

“Ich töte dich”

(Bild.de)

“Ich töte Sie”

(fr-online.de)

Auch der Satz „Ich töte Sie“ ist zu lesen.

(weser-kurier.de)

Doch das stimmt nicht. Tatsächlich ist auf dem Zettel “Ich töte sie ficken” zu lesen — und das ist (wie uns zwei Übersetzer bestätigt haben) wörtlich aus dem Arabischen übersetzt und bedeutet sinngemäß: “Ich werd’s dir richtig besorgen”.

Zu lesen war das bisher aber nur bei einem einzigen Medium:

Nicht alles, was hitler ist, ist verboten (3)

Sie haben es vermutlich mitbekommen:

70 Jahre lang war Adolf Hitlers “Mein Kampf” verboten. Jetzt ist die widerliche Kampfschrift des Judenhassers wieder da, in neuer kommentierter Auflage.

Auch andere Medien nahmen den Jahreswechsel zum Anlass, sich mit “Mein Kampf” und vor allem mit dem “Verbot des Buches” zu beschäftigen. “Spiegel Online”-Autor Georg Diez zum Beispiel erklärte vergangene Woche in seiner Kolumne, “wie falsch es war, dieses Buch zu verbieten”:

Bücher sollten nie verboten werden, denn diese Art von Verboten sind Zeichen von Angst und Schwäche. Demokratien verbieten keine Bücher und keine Gedanken. Diktaturen tun das.

Doch auch wenn sie es bei “Spiegel Online” und “Bild” (und bei vielen anderen Medien) einfach nicht glauben wollen: “Mein Kampf” war in Deutschland nie verboten.

Es durften bis zum 31. Dezember 2015 lediglich keine Neuauflagen gedruckt und herausgegeben werden, weil man damit gegen die Urheberrechte Adolf Hitlers verstoßen hätte, die 1946 1948 an das bayerische Finanzministerium gefallen sind. Seit Anfang dieses Jahres gilt der Urheberschutz nicht mehr, weil Hitlers Tod nun 70 Jahre zurückliegt. Theoretisch darf es jetzt also jeder nachdrucken.

Im Sommer 2014 haben zwar die Justizminister der Bundesländer beschlossen (PDF), “dass eine unkommentierte Verbreitung von Hitlers ‘Mein Kampf’ auch nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist zum 31. Dezember 2015 verhindert werden soll”, außerdem wurden die Generalbundesanwälte um Einschätzung gebeten (PDF, S. 10), doch konkrete Ergebnisse zum weiteren Vorgehen gibt es noch nicht.

Wie auch immer: Was jetzt “wieder da” ist, war eigentlich nie weg. Wer das Buch haben wollte, konnte es sich in den vergangenen 70 Jahren ganz legal besorgen:

Der bloße Besitz von “Mein Kampf” war bisher nicht verboten. So kursieren nach wie vor Originalausgaben von “Mein Kampf”, etwa in Antiquariaten. Sie dürfen dort verkauft und gekauft werden. Auch der Verleih in Bibliotheken ist legal.

So zu lesen etwa vor zwei Wochen — bei “Spiegel Online” und bei “Bild”.

Mit Dank an Nold.

Bild, Bild.de  etc.

Terror-Alarm ohne Gewehr

Da sind wir wieder!

… und müssen gleich mal einen Blick zurückwerfen. Denn am 27. November, zwei Wochen nach den Anschlägen in Paris, behauptete “Bild” exklusiv:

Dort hieß es:

Die ISIS-Terroristen von Paris haben bei ihrem Anschlag in der französischen Hauptstadt am 13. November Waffen verwendet, die von einem Waffenhändler aus Deutschland stammen sollen! Das legen Unterlagen der Staatsanwaltschaft und deutscher Ermittlungsbehörden nahe, die BILD vorliegen.

Danach sollen Anfang November vier Kalaschnikows (…) über das Internet bei einem Waffenhändler in Deutschland bestellt worden sein. Die vier Waffen sollen am 7. November, sechs Tage vor den Anschlägen in Paris, verkauft worden sein. DER KÄUFER WAR MUTMASSLICH ARABISCHER HERKUNFT.

Kurzum:

So sicher klang die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die noch am selben Tag eine Pressemitteilung herausgab, allerdings nicht:

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, in mehreren Fällen Schreckschusswaffen ungenehmigt zu illegalen Schusswaffen umgebaut und diese über das Internet verkauft zu haben. Im Rahmen einer am 23. November 2015 erfolgten Durchsuchung seiner Wohnung konnten weitere Schusswaffen aufgefunden werden. Nach den bisherigen Ermittlungen bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte im November 2015 vier Sturmgewehre an einen Abnehmer in Paris verkauft haben könnte. Mögliche Bezüge zu den Anschlägen in Paris werden geprüft.

Dennoch ließen auch andere Medien wenig Zweifel an der Verbindung nach Paris:


(“Focus Online”)


(oe24.at)


(“Huffington Post”)

Unterdessen waren die „Bild“-Reporter schon auf „Spurensuche“ im Leben des Verdächtigen unterwegs, verhörten seine Mutter, druckten ein großes, halbherzig verpixeltes Foto und veröffentlichten persönliche Details über ihn, von seinem Geburtsort bis zu seiner Schuhgröße:


(Zusätzliche Verpixelung von uns.)

Doch inzwischen hat sich herausgestellt: Der Mann hat die Waffen nicht nach Paris verkauft. Und verschickt wurden sie erst am 16. November — drei Tage nach den Anschlägen in Paris.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart teilte am 10. Dezember mit:

Nach den aktuellen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Stuttgart und des Landeskriminalamts Baden-Württemberg im Fall des 24-jährigen Waffenhändlers aus Magstadt kann inzwischen ausgeschlossen werden, dass die bei den Terroranschlägen in Paris eingesetzten Schusswaffen vom Beschuldigten stammen.

Der anfängliche Verdacht eines Zusammenhangs mit den Pariser Terroranschlägen hatte sich im Rahmen der Auswertung der beim Beschuldigten sichergestellten Datenträger ergeben. Diese erbrachte einen E-Mail-Verkehr, der zunächst den Verkauf von 4 Sturmgewehren an eine Pariser Lieferanschrift nahelegte. Die weiteren Ermittlungen ergaben jedoch, dass die in der fraglichen E-Mail angesprochene Lieferung erst am 16.11.2015 und nicht nach Paris versandt wurde.

Bei Bild.de steht mittlerweile eine Korrektur unter dem “Mord-Waffen kamen aus Deutschland!”-Artikel:

In einer vorherigen Version des Artikel war das Alter von [S.] mit 34 Jahren angegeben. Diese Altersangabe war nicht korrekt.

Dass auch der Rest nicht korrekt war, verschweigt das Portal bis heute. Auch andere Medien behaupten nach wie vor (die Mitteilung der Staatsanwaltschaft ist jetzt seit einem Monat öffentlich), die Waffen stammten aus Deutschland.

In der Print-“Bild” wurde immerhin ein kleines Update versteckt:


Jaja, die doofe Staatsanwaltschaft.

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