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Julian Reichelt findet Protest gegen Rassismus “dumm und unangebracht”

Die Fußballprofis von Hertha BSC haben am vergangenen Wochenende etwas geschafft, was sie mit sportlichen Leistungen vermutlich noch nie hinbekommen haben: weltweit für Schlagzeilen sorgen. Und das, obwohl sie ihr Heimspiel gegen den FC Schalke 04 0:2 verloren haben. Vor dem Anpfiff knieten Spieler, Trainer und Betreuer nieder — die Hertha schloss sich damit als erstes Profiteam in Deutschland dem Protest von US-Sportlern gegen Rassismus und Diskriminierung an.

Manche Leute finden die Geste vom Wochenende etwas pathetisch, andere sind hellauf begeistert, einige sehen darin lediglich einen PR-Schachzug. Und einer findet das alles “dumm” und “unangebracht” und “eitel” und “lächerlich” und “selbstgerecht” und “geschichtsvergessen”: “Bild”-Oberchef Julian Reichelt.

Screenshot Bild.de - Kommentar von Julian Reichelt - Knie-Fall von Berlin ist eitel und dumm

In seinem Kommentar schreibt er:

Fußballvereine sind Fußballvereine und keine Parteien oder politischen Organisationen, weil sie Fußball besser können als Politik. Hertha BSC hat das am Samstag wieder mal eindrucksvoll bewiesen.

Schon bei den US-Sportlern findet Reichelt es völlig falsch, aus “Protest gegen Rassismus (…) und gegen US-Präsident Trump” während der Nationalhymne auf die Knie zu gehen, statt die Hand aufs Herz zu legen, weil …

weil unter der US-Flagge unzählige Männer und Frauen für Gleichheit und Freiheit aller Menschen gekämpft haben. Hunderttausende von ihnen sind in einem Sarg heimgekehrt, eingehüllt in eben jene Fahne.

Und jetzt gehen auch noch die Hertha-Profis auf die Knie.

In Berlin ist diese Form des Protests nicht nur unangebracht, sondern dumm und geschichtsvergessen. Der Star Spangled Banner wehte über vier Jahrzehnte über dem freien Teil Berlins. Mit der US-Fahne auf ihren Maschinen flogen mutige Piloten während der Luftbrücke, um das eingeschlossene Berlin am Leben zu halten. Panzer mit aufgezogener US-Flagge am Checkpoint Charlie sendeten das Signal nach Moskau, dass die USA die Freiheit Berlins unter allen Umständen verteidigen würden — mit dem Leben ihrer jungen Männer.

All dies wissen die Hertha-Millionäre, die nie in ihrem Leben wirklich für etwas kämpfen mussten, vermutlich nicht. Eitel und selbstgerecht freuen sie sich über ein bisschen billigen Applaus. Die freie, vereinte Stadt, in der sie ihrem traumhaften Beruf nachgehen dürfen, gäbe es nicht ohne die Fahne, die sie mit ihrem lächerlichen Kniefall verhöhnen.

Julian Reichelt urteilt über die Protest-Symbolik von schwarzen Sportlern, die sich in den USA diskriminiert fühlen. Er bewertet eine Aktion gegen Rassismus, Diskriminierung und Intoleranz, in der sich ein deutscher Profiklub und seine Sportler endlich mal nicht als Duckmäuser zeigen, als “dumm”. Und er benutzt dabei dieselben Mittel wie Donald Trump: Reichelt deutet das Zeichen gegen Rassismus in ein Zeichen gegen die US-Flagge, US-Soldaten und/oder die ganzen USA um.

Den Trick, den Protest in einen gegen Flagge und Land umzuschreiben, wendet Trump seit Wochen an. Die Logik des “Bild”-Chefchefs findet man in Tweets und Reden des US-Präsidenten wieder. Am 24. September twitterte Trump beispielsweise:

Screenshot eines Tweets von Donald Trump - If NFL fans refuse to go to games until players stop disrespecting our Flag and Country, you will see change take place fast. Fire or suspend!

Und einen Tag später:

Screenshot eines Tweets von Donald Trump - The issue of kneeling has nothing to do with race. It is about respect for our Country, Flag and National Anthem. NFL must respect this!

Bei einem Auftritt in Alabama sagte Donald Trump:

Wouldn’t you love to see one of these NFL owners, when somebody disrespects our flag, you’d say, “Get that son of a bitch off the field right now. Out! He’s fired.”

Dabei richtete sich der Protest originär und bis heute nicht gegen die US-Flagge. Von Anfang an ging es um die Diskriminierung schwarzer US-Bürger: Colin Kaepernick, damals Quarterback der San Francisco 49ers, blieb im vergangenen Jahr bei drei Spielen während der Nationalhymne auf der Bank sitzen, weil er damit gegen die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen demonstrieren wollte. “I am not going to stand up to show pride in a flag for a country that oppresses black people and people of color”, sagte Kaepernick damals. Die Flagge spielte beim Protest also durchaus eine Rolle, dieser wendete sich aber nicht gegen sie.

Zum Knien kam es erst, als Nate Boyer sich zu Wort meldete. Boyer war Mitglied der Special Forces der US-Armee und kurzzeitig Football-Profi. In einem offenen Brief schrieb er an Kaepernick, dass er sich von dessen Sitzenbleiben verletzt fühle. Kaepernick und Boyer trafen sich und einigten sich aufs Knien:

Colin wanted to sit, I wanted him to stand, and so we found a common ground on a knee alongside his teammates.

Eric Reid, der damals gemeinsam mit Colin Kaepernick bei den San Francisco 49ers spielte, war ebenfalls bei dem Treffen mit Boyer dabei. Für die “New York Times” schrieb er:

After hours of careful consideration, and even a visit from Nate Boyer, a retired Green Beret and former N.F.L. player, we came to the conclusion that we should kneel, rather than sit, the next day during the anthem as a peaceful protest. We chose to kneel because it’s a respectful gesture. I remember thinking our posture was like a flag flown at half-mast to mark a tragedy.

Dieser ganze Protest, das Knien, war von Anfang an eine sehr wohl überlegte Geste. Inzwischen haben sich Footballer anderer Teams angeschlossen, Basketballer aus der NBA, Baseballer aus der MLB. Und Hertha BSC. Musiker Stevie Wonder kniete sich während eines Konzerts hin, “for America”, wie er sagte.

Eric Reid, der frühere Teamkollegen von Colin Kaepernick in San Francisco, schrieb noch:

It baffles me that our protest is still being misconstrued as disrespectful to the country, flag and military personnel. We chose it because it’s exactly the opposite. It has always been my understanding that the brave men and women who fought and died for our country did so to ensure that we could live in a fair and free society, which includes the right to speak out in protest.

Derart feine Gedanken haben in Julian Reichelts grobschlächtigen Kommentaren leider keinen Platz.

Mit Dank an Kai E., Mario, @FabianBuchheim, @Netzengel, @axw74, @pfuideifipegida und @JREich6688 für die Hinweise!

Nachtrag, 21:11 Uhr: Bei süddeutsche.de kommentiert Philipp Selldorf ebenfalls, dass er die Aktion von Hertha BSC “selbstgerecht, eitel, narzisstisch” findet. Und doch ist sein Text völlig anders als der von Julian Reichelt: Selldorfs Kritik bezieht sich auf den bereits erwähnten PR-Charakter des Berliner Kniefalls. Anders als Reichelt reproduziert er nicht die Argumentation und Rhetorik von US-Präsident Donald Trump. Außerdem sind die Ziele der Kritik bei Selldorf und Reichelt unterschiedliche: Selldorf findet den Verein “eitel”, Reichelt die Sportler.

“Bild” schickt Konrad Adenauer in den Puff

Eine Warnung vorweg: Wer sich ab heute bei “Sky” oder im kommenden Jahr im “Ersten” vollkommen unbefleckt die Serie “Babylon Berlin” angucken möchte, sollte besser nicht weiterlesen. Hier könnte stark gespoilert werden. Nur so viel: “Bild” hat mal wieder ziemlichen Unsinn verbreitet.

Für alle anderen: “Bild” hat mal wieder ziemlichen Unsinn verbreitet.

Da haben sich die Redakteurinnen und Redakteure des Boulevardblatts gerade erst vom Schock des vergangenen “Tatort” erholt, in dem das Münchner Team in der Pornoszene ermittelte (“So hat die ARD uns den ‘Tatort’ versaut”, “Verstört brutaler TV-Sex mein Kind?”) — und dann das:

Ausriss Bild-Zeitung - ARD macht Adenauer zum Sadomaso-Freier!

… schreibt “Bild” heute auf der Titelseite. Und auf Seite 2:

Ausriss Bild-Zeitung - ARD-Serie macht Polit-Legende zu Puff-Gänger - Das hat Adenauer nicht verdient!

Doch die ARD macht Konrad Adenauer gar nicht “zum Sadomaso-Freier” oder zum “Puff-Gänger”. “Babylon Berlin” macht Konrad Adenauer nicht “zum Sadomaso-Freier” oder zum “Puff-Gänger”. Das macht allein “Bild”.

Im Blatt und beim Onlineableger Bild.de steht, die Zuschauer würden Zeuge …

wie aus Konrad Adenauer, dem Vater der Bundesrepublik, ein Puffgänger gemacht wird, der u. a. auf flotte Dreier und Peitschen-Sex steht.

Die Handlung: Ein Kölner Kommissar wird 1929 nach Berlin geschickt, soll einen heimlich gedrehten Sex-Film mit Adenauer und zwei Prostituierten beschaffen. Am Ende der ersten Folge weiht Kommissar Rath seine Berliner Kollegen ein: “Der Oberbürgermeister von Köln wird erpresst — Herr Dr. Adenauer.” Dazu wird ein Negativ aus dem Sex-Film gezeigt, das einen Mann mit runtergelassenen Hosen und zwei Frauen zeigt, von denen eine eine Peitsche hält.

Was die vier (!) für diesen Text verantwortlichen “Bild”-Mitarbeiter nicht schreiben: Am Ende stellt sich raus, dass es gar nicht Adenauer ist, der in dem Sex-Film zu sehen ist. Der damalige Oberbürgermeister von Köln und spätere Bundeskanzler ist in der Serie also ausdrücklich kein Flotter-Dreier- und Peitschen-Sex-Fan. Das erfahren “Bild”- und Bild.de-Leser nirgendwo. Für sie steht fälschlicherweise nur fest: Es gibt in der Serie einen fiktiven “heimlich gedrehten Sex-Film mit Adenauer und zwei Prostituierten”, und die ARD ist schuld.

Dabei hätten die “Bild”-Mitarbeiter wohl wissen können, dass Adenauer in “Babylon Berlin” nicht zum “Puff-Gänger” gemacht wird. Bei “Spiegel Online” sagt Stefan Arndt, der mit der Firma “X Filme” zum Produzententeam der Serie gehört:

“Es ist fast schon lustig zu sehen, welche Kreise unsere Serie im Bezug auf Konrad Adenauer nun zieht. Wir hatten die ‘Bild’ darüber informiert, wie sich die Geschichte entwickelt, aber natürlich wollen wir unsere eigene Serie nicht am Starttag im Pay-TV spoilern. Dass es dennoch für eine Titelgeschichte zu reichen scheint, finden wir für die Aufmerksamkeit der Serie natürlich gut, aus journalistischer Sicht ist eine solche Vorgehensweise in Zeiten wie diesen schon sehr bedenklich.”

Trotz der Informationen von der Produktionsfirma hat “Bild” für die eigene Geschichte einige Leute aufgescheucht, die mal sagen sollen, was sie davon halten, dass die ARD angeblich was ganz Schlimmes mit Konrad Adenauer angestellt hat. Zum Beispiel Tobias Bott von der “Konrad-Adenauer-Stiftung”:

Bei der angesehenen Konrad Adenauer Stiftung ist man sprachlos. Sprecher Tobias Bott: “Das ist Fiktion und hat mit der Wahrheit nichts zu tun. Die Geschichte ist für einen Kommentar zu absurd.”

Und auch beim 72-jährigen Enkelsohn von Konrad Adenauer, der ebenfalls Konrad Adenauer heißt, hat “Bild” nachgefragt:

Enkel Konrad Adenauer (72) zu BILD: “Von einer Erpressung irgendeiner Art ist mir überhaupt nichts bekannt, aber mit so einer romanhaften Geschichte kann man natürlich viel Aufmerksamkeit erzeugen. In der Tat war Konrad Adenauer als Präsident des preußischen Staatsrates häufig in Berlin. Er pflegte eine intensive Nichtliebe zu Berlin. Das Leichtlebige, das Vulgäre dieser Stadt liebte er überhaupt nicht. Das kann man prüde oder spießig nennen, aber es hat ihn auch vor solchen Geschichten wie in ‘Babylon Berlin’ bewahrt.”

Zum Abschluss ihres Artikels fragen die vier “Bild”-Autoren:

Muss man den Vater der Bundesrepublik wirklich zu einem Sadomaso-Freier machen?

Die Frage würden wir gern zurückgeben.

Dazu auch:

Franz Josef Wagner macht Jamaikaner zu Analphabeten

Wenn “Bild”-Briefchenschreiber Franz Josef Wagner einen Text so beginnt …

ein bisschen Völkerkunde in diesem Brief muss sein

… dann kann es danach nur bemerkenswert werden.

Der Text, aus dem dieser Einleitungssatz stammt, ist zwar schon ein paar Tage alt — er erschien am 27. September in “Bild” und am späten Vorabend bei Bild.de. Wir wollen ihn hier aber doch noch aufgreifen. Also dann, Herr Wagner:

Ausriss Bild-Zeitung - Liebes Jamaika, ein bisschen Völkerkunde in diesem Brief muss sein. Jamaika geht es schlecht. 80 Tonnen Kokain werden pro Jahr von Südamerika nach Nordamerika durchgeschleust. Mafiöse Banden beherrschen die Insel. Es gibt Feuergefechte zwischen den Dealern und der Polizei.

Wagner kommt anschließend auf “die Koalitionsverhandler” in der deutschen Bundespolitik, die nicht wüssten, “was Jamaika bedeutet.” Danach eine mehr oder weniger zusammenhängende Gedankenkette: Sklaven-Händler, spanische Kolonialisten, britische Kolonialisten, Tanz und Gesang, Bob Marley, Dreadlocks, “I Shot the Sheriff” und “No Woman, No Cry”*. Was einem eben so einfällt, wenn man fünfeinhalb Minuten vor Abgabe merkt, dass man ja noch gar nichts aufgeschrieben hat.

Und dann dieser Satz:

80 Prozent der Jamaikaner sind Analphabeten.

Nach einem kurzen Ausflug zum seit 20 Jahren entkriminalisierten Kiffen endet Wagner mit:

Ich machte einmal Urlaub auf Jamaika. Weißer Strand, Luxushotel. Als Tourist erfährt man nichts über Jamaika. Herzlichst, F. J. Wagner

Und auch später als “Bild”-Kolumnist hat man offenbar nich genug über Jamaika erfahren.

80 Prozent Analphabeten? Im Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, gibt es rund 80 Prozent Analphabeten. Aber selbst in Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan oder Mali können mehr als 30 Prozent der Menschen lesen und schreiben. Auf Jamaika liegt die Alphabetisierungsrate bei 88,7 Prozent. 11,3 Prozent der Bevölkerung sind also Analphabeten. Das ist immer noch ein hoher Wert. Sieht aber ganz anders aus als die “Völkerkunde” eines Franz Josef Wagner.

Mit Dank an Lothar Z. für den Hinweis!

*Nachtrag, 12. Oktober: In einer ersten Version hatten wir den vermeintlichen Namen des Marley-Songs von Wagner übernommen: “No Women No Cry” hatte der “Bild”-Kolumnist geschrieben. Das ist gleich doppelt falsch. Erstens muss es die Singular-Form “Woman” sein. Und zweitens ist das Komma zwischen “No Woman” und “No Cry” inhaltlich bedeutend.

Mit Dank an @isoglosse für den Hinweis!

Kurz korrigiert (509)

Es gibt einiges zu korrigieren seit der vergangenen Ausgabe. Fangen wir also am besten direkt an …

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… und zwar mit “Björn Böhning”, der gar nicht Björn Böhning ist. Heute in der Berlin/Brandenburg-Ausgabe der “Bild”-Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Björn Böhning (39), Chef der Senatskanzlei, steht am Kofferband und wartet

Die Person, die “am Kofferband” steht und “wartet”, ist nicht Böhning, sondern “Tagesspiegel”-Redakteur Sidney Gennies. Beide hatten Berlins Bürgermeister Michael Müller in die Partnerstadt Los Angeles begleitet — Böhning in seiner Rolle als Chef der Berliner Senatskanzlei, Gennies als Journalist.

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Auch mit USA-Bezug, allerdings ein etwas anderes Metier:

Screenshot Bild.de - Vor den Augen seiner Kinder - Wrestling-Irrer springt wieder vom Zehn-Meter-Käfig

Über den Ausdruck “Wrestling-Irrer” lässt sich sicher streiten, schließlich handelt es sich um Shane McMahon, der nicht nur professioneller Wrestler ist, sondern auch der Sohn des “WWE”-Eigentümers Vince McMahon, und dem einigermaßen klar sein dürfte, was er da so macht. Eindeutiger ist die Sache beim angeblichen “10-Meter-Käfig”, der beim sogenannten “Hell in a Cell”-Match traditionell 20 Fuß hoch ist, was umgerechnet etwas mehr als sechs Meter sind. Deswegen sprechen die meisten Redaktionen auch von “20 feet” beziehungsweise einer “Sechs-Meter-Bruchlandung”. Nur bei Bild.de kommen noch mal vier Meter obendrauf.

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Zehn Jahre obendrauf gab’s für France Gall, von der “WAZ”:

Ausriss WAZ - Heute vor 80 Jahren (1947) wurde France Gall geboren.

Wir haben mehrmals nachgerechnet und kommen zu dem Schluss: Entweder handelt es sich um eine Meldung vom 9. Oktober 2027, oder die “WAZ”-Redaktion hat Schwierigkeiten mit Zahlen. Die französische Sängerin France Gall wurde gestern jedenfalls 70 Jahre alt.

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Apropos “WAZ”: Die heißt laut sportbild.de nicht mehr “Westdeutsche Allgemeine Zeitung”, sondern “Westfälische Allgemeine Zeit”:

Screenshot sportbild.de - Wer wird neuer Trainer bei den Bayern? Seit dem Rauswurf von Carlo Ancelotti brodelt die Gerüchteküche. Jetzt kommt ein neuer Name ins Spiel: Laut der WAZ (Westfälische Allgemeine Zeit) wird auch Louis van Gaal (66) als neuer Coach im Umfeld des Rekordmeisters diskutiert.

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Aber zurück zum Jahreszahlen-Durcheinander. So eines hat auch Bild.de hinbekommen — bei dieser Geschichte:

Screenshot Bild.de - Nur null zu null gegen Peru - Messi und Argentinien vor WM-Aus

Heute Nacht entscheidet sich, ob die argentinische Nationalmannschaft und Lionel Messi bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland dabei sind. Bild.de schreibt dazu:

Dennoch ist die Quali aus argentinischer Sicht bisher eine einzige Enttäuschung!

Und es droht ein doppeltes Drama: Argentinien wäre zum ersten Mal seit 47 Jahren nicht bei einer WM-Endrunde dabei.

Da die Fußball-WM nicht alle 3,917 Jahre stattfindet, sondern alle vier Jahre, wäre Argentinien zum ersten Mal seit 48 Jahren “nicht bei einer WM-Endrunde dabei.”

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Ebenfalls Fußball, ebenfalls ein einfacher Rechenvorgang, den Bild.de nicht hinbekommt. Nachdem FC-Bayern-Stürmer Thomas Müller gegen den FSV Mainz 05 getroffen hatte, schrieb die Redaktion:

Überragend: Es ist der 200. Scorer-Punkt in Müllers Bundesliga-Karriere (87 Tore, 103 Vorlagen) — und das in nur 261 Spielen!

Tatsächlich hat Müller bisher 97 Bundesliga-Tore geschossen. Die 200 Scorer-Punkte stimmen also — vorausgesetzt die 103 Vorlagen, die Bild.de nennt, sind korrekt. Andere Statistiken sagen allerdings, dass Müller seltener Vorlagengeber in der Bundesliga war.

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Und zum Abschluss noch eine falsche Bild.de-Rechnung. Zu den Gehältern in der ARD schreibt das Portal:

Angeführt wird die Liste von WDR-Intendant Tom Buhrow. Sein Verdienst: 399 000 Euro im 2016 — umgerechnet auf 12 Monate wären das 33 333 Euro!

Nein.

Mit Dank an Peter H., Peter S., Daniel P., Marco F., Lothar Z., Pippo, @BoehningB und @JuergenKuehner, für die Hinweise!

Bitte nicht weiter klauen!

In der “Bild”-Zeitung gibt es seit einigen Wochen eine neue Klatsch-Kategorie mit dem Namen “GEHEIM — Bitte nicht weitersagen!”, und man erfährt dort Dinge, die man auf keinen Fall weitersagen will, nicht im Freundeskreis, nicht bei der Arbeit, nirgends, weil man sonst direkt als deppert gilt. Der Titel der neuen Klatsch-Spalte soll wohl lustig sein. Und der Inhalt ist noch dünner als bei anderen “Bild”-Texten auf der letzten Seite. Da steht dann zum Beispiel, dass das Gepäck von Veronica Ferres bei einem Flug verloren gegangen ist. Oder dass Sandra Maischberger bei einer TV-Premiere zu Marietta Slomka gesagt haben soll, dass es keinen Wein mehr gebe. Oder dass ein “Bild”-Mitarbeiter neulich Didi Hallervorden auf der Toilette getroff …

Pardon, wir sind kurz eingenickt.

In der heutigen Ausgabe geht es gewohnt ungesprächsstoffig weiter (bei Bild.de sind all diese Knaller-Geschichten übrigens nur mit einem “Bild plus”-Abo lesbar). Meldung Nummer eins lautet beispielsweise, dass “Bild”-Promi-Experte Norbert Körzdörfer irgendwann mal 17 Biere in einer Bar bezahlt hat. Schau an.

Und dann wird es auf einmal doch etwas interessanter, dank dieser Meldung:

Ausriss Bild-Zeitung - Zur Seite, Justin Trudeau! Der neue Polit-Star Kanadas ist Jagmeet Singh, der Chef der New Democratic Party, ein Sikh. Als ihn neulich ein Schreihals beschuldigte, er wolle die Scharia einführen, hätte er ihn von der Security abführen lassen oder ihn (er ist Star-Anwalt) mit Wortwitz über den Unterschied zwischen den aus Indien stammenden Sikhs und Muslimen belehren können. Stattdessen versicherte er dem Störer, auch er sei liebenswert, worauf der verblüfft den Saal verließ. Premierminister Trudeau boxt in seiner Freizeit, aber auch da liegt Trudeau auf der Coolness-Skala hinter Hipster und Social-Media-Darling Singh, der brasilianisches Jiu-Jitsu betreibt.

In der Tat spannender als “Körzis” Bier-Rechnung. Nur: An diesem Text ist so gut wie alles geklaut. Die Formulierungen. Die Pointen. Selbst die Klammer mit der Anwalt-Info. Alles. Es ist fast eine wortwörtliche Übersetzung eines “Economist”-Artikels, der vor zwei Tagen erschienen ist.

Nur eine Sache hat die “Bild”-Redaktion selbst hinbekommen: Beim Übersetzen ihrer Beute hat sie die weibliche Zwischenruferin in einen männlichen Schreihals vermurkst.

Beim “Economist” heißt es:

JAGMEET SINGH could have done many things when a heckler accused him at a rally last month of plotting to subject Canada to sharia law. The turbaned politician could have pointed out that he is a Sikh, not a Muslim. He could have skewered her with lawyerly wit (he is a criminal lawyer) or asked security guards to remove her. Instead he told the heckler that everyone loved her and led a chant of “Love and courage”. She eventually walked out. (…)

A “hipster Sikh”, with a penchant for striking turbans, Mr Singh embodies the diversity that Mr Trudeau constantly celebrates. Like the prime minister, he is adept at social media and single-combat sports. (He practises Brazilian ju-jitsu; Mr Trudeau is a boxer.)

Während die “heckler”-Anekdote bei der britischen Wochenzeitschrift Teil eines kurzen Portraits über Jagmeet Singh ist, ist sie bei “Bild” die Nachricht. Allerdings spielte sich die Szene nicht “neulich” ab, wie das Boulevardblatt schreibt, sondern vor über einem Monat. Bei “Bild” kann man heute das falsch lesen, was vor Wochen bei anderen richtig stand.

Bild.de lässt Psychiater auf Fünfjährigen los

Noah Green ist fünf Jahre alt und hat das große Pech, dass die “Bild”-Medien ihn für so interessant halten, dass sie über ihn berichten. Noah ist der Sohn von Schauspielerin, Verzeihung, “von Schauspiel-Sexbombe” Megan Fox und Schauspieler Brian Austin Green. Und Noah findet Elsa aus “Disneys” Animationsfilm “Frozen” offenbar so klasse, dass er neulich in einem Elsa-Kleid durch die kalifornische Stadt Calabasas gelaufen ist.

Das ist eigentlich auch schon alles: ein fünfjähriges Kind, das eine Figur aus einem Animationsfilm gut findet und sich ab und zu so kleidet wie diese Figur.

“Bild” und Bild.de (die es nicht mal hinbekommen, das korrekte Alter von Noah nachzugucken) machen daraus allerdings deutlich mehr. Online schrieb die Redaktion gestern am späten Abend:

Screenshot Bild.de - Megan Fox - Warum ihr Sohn Mädchen-Kleider trägt
(Unkenntlichmachung durch uns.)

In den Familien der Hollywoodstars ist vieles erlaubt. Vor allem, wenn es um den Nachwuchs geht. Warum? Weil die Kurzen machen (dürfen), was sie wollen.

Neue Fotos zeigen Noah (4), den Sohn von Schauspiel-Sexbombe Megan Fox und Brian Austin Green (“David” aus “Beverly Hills 90210”) im Prinzessinnen-Kleidchen von “Frozen”.

Ist es ein seltsamer Trend oder einfach freie Entfaltung? Den Kindern der VIPs ist ihr Geschlecht offenbar nicht recht.

Bild.de nennt und zeigt noch zwei weitere Kinder — Charlize Therons fünfjährigen Sohn Jackson und Angelina Jolies elfjährige Tochter Shilo –, die immer mal wieder Klamotten tragen, die nicht ins Jungen-Mädchen-Koordinatensystem von “Bild” passen. Auch bei ihnen stellt sich also die Bild.de-Frage: “seltsam” oder “freie Entfaltung”?

Im Artikel gibt ein “Experte” so etwas wie eine Antwort:

Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff (62) zu BILD: “Es ist ein zunehmendes Phänomen in unserer Gesellschaft, dass sich Kinder in ihrem Auftreten schon früh an Erwachsenen orientieren. Zudem werden Kinder in unserer Gesellschaft zunehmend alleingelassen und in ihrem Verhalten auch nicht mehr korrigiert. Das gilt besonders für Konventionen und Kleidung. “Die Kinder wollen das eben so”, ist eine be­queme Ausrede. Wenn ein Mädchen Jungenkleider trägt oder umgekehrt, hat das aber nichts mit der künftigen sexuellen Orientierung oder Ausrichtung zu tun.”

Da drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Was soll da “korrigiert” werden? Und in welche Richtung? Kinder so sein zu lassen, wie sie sein wollen, ist eine “bequeme Ausrede”? Inwiefern lässt Megan Fox, die auf dem Foto direkt neben ihrem Sohn zu sehen ist und seine Hand hält, ihr Kind allein? Und warum lässt Bild.de einen Kinder- und Jugendpsychiater aus der Ferne auf einen Fünfjährigen los?

Schiebt man mal das ganze Promi-Geschreibsel dieses Bild.de-Artikels beiseite, bleibt die fatale Aussage für alle Kinder und Jugendlichen: Wenn ihr, aus welchem Grund auch immer, gerne mal Klamotten tragt, die nicht zu dem passen, was die “Bild”-Medien eigentlich für Mädchen beziehungsweise für Jungen vorgesehen haben, dann seid ihr mindestens so merkwürdig, dass ihr einen “Bild”-Artikel wert seid.

Mit Dank an @b_obermayer für den Hinweis!

Opferfotos lässt “Bild” sich nicht verrügen

Vor vier Monaten, einen Tag nach dem Terroranschlag bei einem Konzert in Manchester, titelte Bild.de:

Saffie (8) und Georgina (18) hatten sich so auf das Konzert gefreut - Zu jung zum Sterben! [Dazu zwei große Porträtaufnahmen der beiden Opfer]
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und wenig später:

TERROR IN MANCHESTER - Ihre Mutter weiß noch nicht, dass Saffie (8) tot ist [ebenfalls mit großem Porträtfoto des Mädchens]
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Zu diesem Zeitpunkt lag die Mutter, ebenfalls ein Opfer des Anschlags, noch auf der Intensivstation.

Mehrere Menschen reichten dazu Beschwerden beim Presserat ein. Sie verwiesen auf Ziffer 8 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern — insbesondere wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt — besonders zu schützen ist. Und auf Ziffer 11, nach der die Berichterstattung in solchen Fällen ihre Grenzen „im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen“ findet. Kritisiert wurde von den Beschwerdeführern außerdem, dass Fotos eines Opfers veröffentlicht wurden, ohne dass dessen Mutter wisse, dass ihr Kind tot ist.

Presserats-“Maßnahmen”:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
 
1) einen Hinweis,
2) eine Missbilligung,
3) eine Rüge.
 
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

„Bild“-Oberchef Julian Reichelt aber hat für solche Einwände kein Verständnis. Die Beschwerden seien „nicht nachzuvollziehen“, teilte er dem Presserat in einer Stellungnahme mit. Die Fotos seien weder reißerisch noch moralisch verwerflich — das sei nur der Terroranschlag selbst. Ganz ähnlich sah es auch “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz Ende Mai.

Außerdem hätten ja, so Reichelt, auch viele ausländische Medien die Fotos gezeigt. Dies werfe die Frage auf, ob etwas nach deutschem Verständnis unethisch sein könne, wenn es doch weltweit selbstverständlich sei? Sei Presseethik nicht vielmehr universell?

Reichelts Logik: Wenn Medien im Ausland irgendwas machen, darf man das hierzulande automatisch auch. (Wobei “Bild” natürlich auch unabhängig davon immer das Recht hat, Fotos von Opfern zu zeigen, weil man der Tragödie doch ein Gesicht geben müsse!)

Der Presserat jedoch sah das — wie schon die vielen, vielen, vielen Male zuvor — anders:

Nach Auffassung des Presserats [bestand] kein öffentliches Interesse an der identifizierbaren Darstellung der Opfer. […] Die verwendeten Fotos stammten aus sozialen Netzwerken. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Verwendung der Bilder in der Presse lag jedoch nicht vor, wäre aber erforderlich gewesen, so der Presserat. Es handelte sich nicht um Personen des öffentlichen Lebens.

In seiner jüngsten Sitzung wertete er die Berichterstattung darum als schweren Verstoß gegen den Pressekodex und sprach zwei öffentliche Rügen gegen Bild.de aus, die härteste “Sanktion”, die ihm zur Verfügung steht.

Gestern erschienen bei Bild.de übrigens diese Artikel:

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Die Opfer - 32 Jahre verheiratet, ein letztes Selfie, sie starb in seinen Armen [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Mutter von vier Kindern, Lehrerin, Cheerleader - So viele Leben einfach ausgelöscht [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und in der Print-Ausgabe heute:

Ausriss Bild-Zeitung mit Fotos von 29 Opfern - Mindestens 59 Konzert-Besucher starben im Kugelhagel - Beim Feiern aus dem Leben gerissen
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Ebenfalls zum Anschlag in Manchester:

Mit Dank an Oliver M.!

Exklusiv-geklaut-Foto SPORT BILD

Am späten Freitagabend schien Henning Feindt, der stellvertretende “Sport Bild”-Chefredakteur, mächtig stolz zu sein:

Thomas Tuchel, bis zur vergangenen Bundesligasaison noch Trainer bei Borussia Dortmund, wurde am Düsseldorfer Flughafen fotografiert, unterwegs nach München. Der FC Bayern München hat gerade erst seinen Trainer Carlo Ancelotti entlassen und sucht derzeit nach einem Nachfolger — was Tuchels München-Trip zumindest für den Sport-Boulevard interessant macht (wobei man auch erwähnen muss, dass Thomas Tuchel schon seit längerer Zeit eine Wohnung in München hat). Die “exklusiv-fotos”, die Henning Feindt in seinem Tweet — retweetet von “Bild”-Sportchef Walter M. Straten, geliket von “Sport Bild”-Chefredakteur Alfred Draxler sowie von “Sport Bild”-Fußballchef Chrisitan Falk — beklatscht und die er seinem “Sport Bild”-Kollegen Sven Westerschulze zuschreibt, sind aber alles andere als ein “Great Job”. Sie sind geklaut.

Simon Schlenke war am Freitag gerade auf dem Weg nach Prag, als er und sein Bruder am Flughafen in Düsseldorf Thomas Tuchel sahen. Schlenke machte ein Foto und postete es um 14:28 Uhr bei Twitter:

Nach eigener Aussage schickte er das Bild auch per WhatsApp an Freunde.

Am Freitagabend tauchte ein Ausschnitt von Schlenkes Foto bei Bild.de auf:

Screenshot Bild.de - Exklusiv-Fotos von Sport Bild - Hier fliegt Tuchel nach München - Verhandlungen mit Bayern laufen - Welcher Trainer Plan B ist

Einer der drei Autoren des dazugehörigen Textes: Sven Westerschulze. Am Samstag erschien “Fußball Bild” mit diesem Titelfoto …

Ausriss der Titelseite von Fußball Bild - Tuchel schon in München

… und mit dieser Aufmachung auf den Seiten 2 und 3:

Ausriss Doppelseite von Fußball Bild - Hier fliegt Tuchel nach München

Am selben Tag sah die erste der Sportseiten in der “Bild”-Bundesausgabe so aus:

Ausriss Bild-Zeitung - Hier fliegt Tuchel nach München

Und sportbild.de veröffentlichte Samstagmittag auch noch einen Artikel zum Thema.

Überall war das Foto zu sehen, das Simon Schlenke gemacht hatte (und in “Fußball Bild” und “Bild” auch noch ein Foto, das laut Schlenke sein Bruder aufgenommen hatte). Und überall stand als Fotocredit “Exklusiv-Foto SPORT BILD”. Eine Erlaubnis, das Foto zu benutzen, hatten offenbar weder Bild.de noch sportbild.de noch “Fußball Bild” noch “Bild”. Auf Nachfrage erklärte Schlenke bei Twitter:

Mit Dank an @GNetzer und @Phisoloph für die Hinweise!

Sie liebt keinen DJ, und er hatte keinen Suff-Unfall

Manchmal versieht die “Bild”-Redaktion ihre Artikel mit Warnhinweisen. Da steht dann im Text zum Beispiel “nach BILD-Recherchen” oder “nach BILD-Informationen”, und dann müsste eigentlich jedem klar sein, dass da was nicht stimmen kann.

Ein solcher Text, der “nach BILD-Recherchen” entstanden ist, erschien am 3. August. Es ging um Diskuswerfer Christoph Harting, “SUFF-UNFALL” schrieb “Bild” damals auf der Titelseite und im Blatt: “SUFF! CRASH! AUSRASTER!”

Heute muss die Redaktion zwei Gegendarstellungen von Harting abdrucken. Eine auf der Titelseite …

Ausriss von der Bild-Titelseite - Gegendarstellung - Auf der Titelseite der BILD vom 03.08.2017 haben Sie geschrieben: Olympia-Held Christoph Harting Suff-Unfall - Hierzu stelle ich fest: Ich hatte keinen Suff-Unfall. Anmerkung der Redaktion: Herr Harting hat recht. Wir bitten Herrn Harting um Entschuldigung.

… und eine auf Seite 5:

Ausriss Bild-Zeitung - Gegendarstellung - Auf Seite 4 der BILD vom 03.08.2017 haben Sie unter der Überschrift: Olympia-Harting Suff! Crash! Ausraster! geschrieben: 1. Weil Harting sich außerdem gegenüber den Polizeibeamten aggressiv verhalten haben soll, brachten ihn seine Kollegen auf die Wache. Dort wurde eine Blutentnahme angeordnet. Hierzu stelle ich fest: Ich habe mich gegenüber Polizeibeamten nicht aggressiv verhalten. Ich wurde auch nicht auf eine Wache gebracht. Eine Blutentnahme wurde bei mir nicht angeordnet. 2. Völlig aufgebracht soll der Olympiasieger danach auf den anderen Fahrer losgegangen sein. Selbst die inzwischen alarmierten Polizisten hätten den kräftigen Diskuswerfer nur schwer bändigen können. Hierzu stelle ich fest: Ich bin nicht auf einen anderen Fahrer losgegangen. Ich musste auch nicht durch Polizisten gebändigt werden. Berlin, den 18.08.2017 Christoph Harting

Und wo wir schon bei Gegendarstellungen sind — diese hier von Sabia Boulahrouz, die Bild.de neulich veröffentlichen musste, beinhaltet eine wunderschöne Feststellung:

Screenshot Bild.de - Gegendarstellung - Am 14.08.2017 berichtete bild.de in der Such-Vorschau eines Artikels über mich: Sie liebt den DJ! Hierzu stelle ich fest: ich liebe keinen DJ. Hamburg, den 23.08.2017, Sabia Boulahrouz

Mit Dank an @MSchroeren für den Hinweis!

Die AfD-Gärtner der “Bild”-Zeitung wundern sich über die Frucht-Ernte

Liest man heute den Kommentar von Tanit Koch zur Bundestagswahl und den 12,6 Prozent, die die AfD bekommen hat, könnte man fast meinen, dass die “Bild”-Chefredakteurin in den vergangenen Monaten durchgehend im Urlaub war und nichts davon mitbekommen hat, was in ihrem Blatt so passiert ist.

Ausriss Bild-Zeitung - Überschrift des Koch-Kommentars - Die Früchte der Angst

Koch schreibt:

Für Anstand steht das A in AfD nicht. Dennoch wurde sie gewählt — weil die regierenden Parteien, weil die Kanzlerin Vertrauen verspielt haben. (…)

Angela Merkel ist es nicht gelungen, einer verunsicherten Bevölkerung die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung zu nehmen.

Die Angst davor gab es lange vor der Flüchtlingskrise. Doch man war sich zu fein dafür, sie zu adressieren. Nun hat die AfD die Früchte dieser Angst geerntet.

Es mag stimmen, dass ein Grund für die AfD-Stärke die Schwäche der “regierenden Parteien” ist. Es mag stimmen, dass Angela Merkel Sorgen nicht schmälern konnte. Was aber auch stimmt, und was Tanit Koch nicht mit einer Silbe erwähnt: Die “Bild”-Zeitung hat “die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung” stetig bedient. Um im Bilde zu bleiben: Die fauligen Bäume und dornigen Sträucher, von denen die AfD “die Früchte der Angst” ernten konnte, haben unter anderem Tanit Koch und ihr Team ausgesät, sie haben sie immer wieder gegossen und gepflegt.

Da war zum Beispiel das “Bild”-Wahlprogramm:

Ausriss Bild-Titelseite - Das große BILD-Wahlprogramm - Was sich endlich ändern muss - Rente! Steuern! Sicherheit!

Am 17. Juli, also gut zwei Monate vor der Bundestagswahl, veröffentlichte die Redaktion fast auf einer kompletten Doppelseite eine Sammlung aus 25 “ES KANN DOCH NICHT SEIN”-Punkten:

Ausriss Bild - Übersicht zur Doppelseite mit verschiedenen Wahlprogrammpunkten

Nur ein Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Forderung der Bild zu Asyl/Integration - Es kann doch nicht sein, dass Asylsuchende und Zuwanderer sich nicht nach unseren Regeln richten. Darum gilt in Deutschland ein Burka-Verbot. Frauen und deren Ehemänner, die sich dem Widersetzen, werden mit Bußgeld belegt. Handelt es sich um Touristen, müssen sie umgehend ausreisen. Ein umfassendes Ausweisungsgesetz regelt zudem, welche Straftaten zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen. Fortgesetzter Sozialbetrug führt zur Beendigung eines Asylverfahrens.

Schon die Entscheidung für diesen Wahlkampfpunkt hat nichts mit Aufklärung zu tun, nichts mit dem Nehmen von Sorgen, sondern ist das reine Bedienen von Sorgen durch ein Scheinproblem. Abgesehen von dem Detail, dass es in der Regel nicht um Burkas, sondern um Niqabs geht, betrifft dies wohl wie viele Menschen in Deutschland? Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln sicher ein paar mehr. In der Fußgängerzone in Görlitz vermutlich deutlich weniger. Sind es insgesamt im ganzen Land überhaupt mehr als 1000 Niqab-Trägerinnen? Dank “Bild” sieht es für mehrere Millionen Menschen wenige Wochen vor der Wahl so aus, als gehöre das Thema Burka/Niqab zu den 25 dringendsten der Bundesrepublik.

Dass ein Teil dieser Leute dann an den Laternen AfD-Plakate hängen sieht, auf denen steht “‘Burkas?’ Wir steh’n auf Bikinis.”, und sich denkt “Och, joar, könnte man vielleicht wählen” — völlig abwegig ist das nicht.

Diese Burka-Forderung, dieses ganze “Bild”-Wahlprogramm voller AfD-Positionen war komplett unnötig. Ja, man kann das machen, wenn man ganz rechten Positionen eine Plattform geben, Ressentiment schüren und ein bisschen zündeln will. Aber man muss es nicht. Und vor allem muss man sich dann nicht einen Tag nach der Wahl verblüfft zeigen über 12,6 Prozent. Bei der AfD waren sie im Juli jedenfalls hellauf begeistert von der kostenlosen Wahlwerbung in der immer noch auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands:

Tweet der AfD Bund - Hallo Bild, nahezu alles hier findet sich im AfD-Wahlprogramm
Tweet der AfD Berlin - So schnell kann es gehen: Das Bild-Wahlprogramm liest wie das der AfD. Gut gemacht
Tweet von Uwe Junge - Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!

Das “Bild”-Wahlprogramm war nur ein kleiner Baustein der Berichterstattung, die Uwe Junge, Alexander Gauland, Alice Weidel und all den anderen in die Hände gespielt hat. Seit Jahren — auch schon lange vor Gründung der AfD — trägt die Redaktion dazu bei, dass Positionen wie die der rechtesten Partei im kommenden Bundestag millionenfach an Kiosken liegen. Und häufig basieren die empörten und empörenden Schlagzeilen auch noch auf falschen Fakten. Da war beispielsweise der von einem AfD-Sympathisanten erfundene falsche Flüchtlings-“Sex-Mob”, den “Bild” willfährig aufgriff. Die sechsfach falsche Meldung, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die falsche Geschichte, dass Politiker forderten, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen. Die falsche Information, dass Flüchtlinge in Hamburg problemlos schwarzfahren dürften. Oder das falsche Gerücht, dass Sanitäter des Roten Kreuzes wegen Asylbewerbern nun Schutzwesten anhätten. “Bild” schreibt gegen Muslime, gegen Roma, gegen Griechen, gegen Ausländer, noch mal gegen Muslime, ein weiteres Mal gegen Muslime, gegen Migranten, gegen Muslime. Es sei auch noch mal an den hasserfüllten Kommentar von Nicolaus Fest erinnert, der einst Kulturchef bei “Bild” und bis September 2014 stellvertretender Chefredakteur beim Schwesternblatt “Bild am Sonntag” war und der gestern als Direktkandidat der AfD im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nicht den Einzug in den Bundestag schaffte.

Am 17. Juli dann also das “Bild”-Wahlprogramm. Und auch danach ging es weiter mit der AfD-Förderung durch das Boulevardblatt. Mats Schönauer hat sich bei “Übermedien” durch die vergangenen zwei “Bild”-Monate gewühlt. So sahen die Titelseiten und Überschriften aus:

Collage mit Bild-Schlagzeilen - Mitten in Deutschland Burka-Frau verprügelt Dessous-Verkäuferin - Krankenkassen machen Minus Flüchtlinge kosten 20 Millionen im Monat - Asylbetrug So leicht ist es in Deutschland abzukassieren - Die große Abschiebe-Lüge - 387 Abschiebungen in letzter Minute gestoppt - Das hat der Islam mit Terror zu tun - So viele Flüchtlinge haben keinen Schulabschluss - Und wieder ein Frauenmörder der längst abgeschoben sein müsste - Joggerin vergewaltigt Warum wurde der Täter nicht abgeschoben? - Die Strafakte der abgeschobenen Afghanen - So spaltet die Flüchtlingskrise unser Land

Ich glaube nicht, dass die “Bild”-Redaktion ein Haufen von AfD-Wählern ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Julian Reichelt und Tanit Koch und die meisten anderen “Bild”-Mitarbeiter in ihren Kommentaren öffentlich gegen diese Partei anschreiben und in der Wahlkabine heimlich Kreuze bei ihr machen. Und trotzdem ist die “Bild”-Zeitung ein AfD-Blatt. Mit ihren gewählten Schwerpunkten, mit den Zuspitzungen auf den Titelseiten, mit den verwendeten Begriffen in Überschriften haben Reichelt und Koch und viele ihrer Kollegen die Gesprächsthemen in Büromittagspausen, in Bauwägen und an analogen wie digitalen Stammtischen geprägt. Über die “Burka-Frau” wurde dort diskutiert. Man regte sich über die Bedrohung der Rot-Kreuz-Sanitäter auf. War wütend über schwarzfahrende Flüchtlinge. “Bild” hat nicht direkt für die AfD geworben. “Bild” hat aber den öffentlichen Diskurs im Sinne der AfD vorgegeben.

Tanit Koch und ihre Redaktion titeln heute:

Titelseite der Bild-Zeitung - Der Rechts-Rumms

“Bild” hat kräftig mitgerummst.

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