Am vergangenen Samstag ist Jens Büchner gestorben. Büchner, auch “Malle-Jens” genannt, war durch zahlreiche Auftritte in TV-Shows (unter anderem “Goodbye Deutschland”, “Ich bin ein Star, holt mich hier raus”, “Das Sommerhaus der Stars”) bekannt geworden und hatte sich jahrelang von Kamerateams im Alltag begleiten lassen. Er hatte aus seinem Leben ein Geschäft gemacht.
“Bild” macht eins aus seinem Tod.
(Alle Unkenntlichmachungen in diesen Beitrag durch uns.)
So protokollieren “Bild” und Bild.de seit Tagen das Leben und Sterben des “Kult-Auswanderers”. Mit Sätzen wie:
[Seine Frau Daniela und ein paar Freunde] fuhren in ein Hotel in Can Pastilla, etwa acht Kilometer von Palma entfernt. Dort verbrachte Daniela einige Stunden im Hotel. Der Grund: Sie war informiert worden, dass Reporter vor ihrem Haus auf sie warteten.
“Bild” machte jedenfalls fleißig weiter.
Warum sein Tod die “Bild”-Redaktion so berührt, ist keingroßes Rätsel — das Thema gehört seit Tagen zu den meistgeklickten auf Bild.de, viele der Artikel sind kostenpflichtig. So wie dieser:
Das (offenbar heimlich gefilmte) Video gibt es nur für zahlende Kunden.
Mit trauriger Klaviermusik unterlegt, zeigt Bild.de, wie die Witwe aus dem Krematorium kommt, die Urne mit der Asche ihres Mannes fest umschlossen. Das Bild friert ein, zoomt immer näher an die weinende Frau heran, während “Bild” kommentiert: “Kaum vorstellbar, was in diesem Moment in ihr vorgehen muss.”
Zur Erinnerung: “Bild”-Chef Julian Reichelt will nicht, dass der Mediendienst “kress” sein Gehalt schätzt. Das könne nämlich seine Familie in Gefahr bringen.
Die Einschätzung Reichelts war auch Thema in einem Interview, das zwei Schüler und eine Schülerin seines ehemaligen Gymnasiums in Hamburg-Othmarschen mit ihm geführt haben. Auf die Frage …
Gestern stand auf der Website von “BILD” im Gehaltscheck, was man als Autoschrauber, Pornostar oder Elitesoldat verdient. Im letzten Jahr veröffentlichte das Magazin “Kress” eine Schätzung Ihres Gehalts. Sie hatten zuvor darum gebeten, dies nicht zu tun. Warum darf die Öffentlichkeit wissen, was ein Porno-Star verdient, nicht aber, was der Chefredakteur der “BILD” verdient?
… antwortete Reichelt:
Stand da der Name von dem Porno-Star? Dem Autoschrauber?
Also: Gehalt nennen ist laut Reichelt offenbar in Ordnung, solange der Name nicht fällt. Oder umgekehrt: Der Name zum Gehalt sollte nicht genannt werden. Sonst: Gefahr!
So sieht die heutige Titelseite der “Bild”-Zeitung aus:
Und so die letzte Seite der Ausgabe:
Auch bei Bild.de erklärt die Redaktion “Helenes finanziellen Erfolg” und nennt die Einnahmen der Schlagersängerin, die das US-Magazin “Forbes” geschätzt hat. Fischer landet im “Forbes”-Ranking hinter Katy Perry, Taylor Swift, Beyoncé, Pink, Lady Gaga, Jennifer Lopez und Rihanna auf Rang 8 der weltweit bestbezahlten Musikerinnen.
Julian Reichelt sagte im Interview mit der Schülerzeitung noch:
Die Bundeskanzlerin ist auch eine Angestellte der Menschen in diesem Staat. Deshalb ist es auch selbstverständlich, dass das [ihr Gehalt] öffentlich ist. Ihr könnt auch nachschauen, was eure Lehrer verdienen. In der Privatwirtschaft ist das eben nicht so, weil da kein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Denn die Öffentlichkeit bezahlt mein Gehalt ja nicht.
Vielleicht denkt der “Bild”-Chef ja, Helene Fischer ist auch sowas wie “eine Angestellte der Menschen in diesem Staat”. Oder er legt bei sich selbst einfach nur andere Maßstäbe an als bei anderen.
Weil es gleich erstmal etwas anders aussehen könnte, das Wichtigste vorweg: Der Afghane Mansor S. hat kein 14-jähriges Mädchen vergewaltigt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.
Am 14. August dieses Jahres ließ die “Bild”-Titelseite wenig Spielraum für Interpretationen:
Auf Seite 3 derselben Ausgabe ging es groß weiter. Über dem Text von Markus Arndt, Thomas Knoop, Thomas Röthemeier sowie deren Kollegin Nadja Aswad titelte “Bild”:
Während die “Bild”-Redaktion immerhin noch die leichte (und leicht übersehbare) Abschwächung “Polizei sicher” vor die riesige Überschrift setzte, war bei Bild.de das Urteil längst gefällt:
Als sich die 14-Jährige entfernte, folgte er ihr, verwickelte sie immer wieder in Gespräche — und zog sie dann im Bereich von “Saturn” an der Mönckebergstraße in einen Hauseingang.
Obwohl sich das Mädchen heftig wehrte, vergewaltigte der Mann es!
Keine Zweifel, keine Unschuldsvermutung. Keine weiteren Untersuchungen nötig.
Und wenn sie bei “Bild” einmal beschlossen haben, dass eine Vergewaltigung stattgefunden hat, gehen sie sehr schnell über zur nächsten Stufe, dem Fordern von politischen Konsequenzen:
Die Staatsanwaltschaft Hamburg zeigte sich von all dem “Bild”-Lärm unbeeindruckt und machte einfach ihre Arbeit: Sie befragte das vermeintliche Opfer zweimal, das sich dabei in Widersprüchen verhedderte. Das Mädchen sagte zum Beispiel, dass sie wegen ihrer High Heels nicht habe wegrennen können; auf Überwachungskameras war sie allerdings nur in Turnschuhen zu sehen. Die Staatsanwaltschaft stieß auf weitere Aufnahmen, die sich nicht mit den Vorwürfen deckten. Daher wurde Mansor S. bereits am 17. August aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Staatsanwaltschaft teilte uns damals mit, dass nur noch ein hinreichender Tatverdacht bestehe und kein dringender mehr.
Auch darüber berichtete “Bild”. Allerdings in einem etwas anderen Ausmaß: Auf der Titelseite vom 18. August war nichts zu dem Thema zu finden. Auch nicht auf Seite 3. Dafür eine kleine Meldung auf Seite 7, zwischen einem angeblichen “ARZT-MÖRDER” aus Somalia, einem angeblichen Leibwächter von Osama bin Laden und angeblichen islamistischen Gefährdern:
Nur mal zum Vergleich — oben “Bild” am 14. August über die Festnahme von Mansor S., unten “Bild” am 18. August über die Entlassung von Mansor S. aus der U-Haft:
Gestern berichtete das “Hamburger Abendblatt” (Artikel hinter der Paywall), dass die Hamburger Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen Mansor S. komplett eingestellt habe:
“Dem Beschuldigten konnte kein strafbares Handeln nachgewiesen werden”, sagt Carsten Rinio, Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft. Es bestünden vielmehr “massive und durchgreifende Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin”.
Der Anwalt von Mansor S. sagt, dass sein Mandant die Folgen der Anschuldigungen und der Berichterstattung deutlich spüre: Die Familie habe sich von ihm abgewendet, von seinen Mitbewohnern im Flüchtlingsheim sei er als “Kinderschänder” beschimpft und vertrieben worden. Mansor S. habe daraufhin als Obdachloser auf der Straße gelebt. Gegen das Mädchen, das die Vergewaltigung erfunden hat, wolle der Afghane nicht vorgehen, so dessen Anwalt. Erstens wolle sein Mandant “das Ganze nicht erneut aufrollen”, und zweitens habe die 14-Jährige, die aus schwierigen Verhältnissen stamme, “in ihrem Leben schon genug durchgemacht”.
In den “Bild”-Medien ist von der Einstellung der Ermittlungen gegen den Mann, den die “Bild”-Medien längst verurteilt haben, bisher kein Wort zu lesen.
Wenn die “Bild”-Medien über die vermeintlich hohen Hartz-IV-Bezüge mancher Familien berichten, sammelt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den dazugehörigen Facebook-Kommentaren die Wut: “Wenn ich sowas lese! Wozu gehe ich überhaupt noch arbeiten?” oder “Da werd’ ich morgen dran denken, wenn um 5 Uhr der Wecker klingt!” ist dann häufig zu lesen. Manchmal richtet sich der Ärger gegen den Staat, manchmal gegen die Hartz-IV-Empfänger, manchmal beides.
Für Hartz IV flossen 2017 insgesamt rund 46 Milliarden Euro/Jahr, 416 Euro/Monat für einen Single plus Miete und Heizung. Eine vierköpfige Familie bezieht (je nach Miethöhe) bis zu 2500 Euro. Wer arbeitet und Steuern zahlt, muss deutlich über 3000 Euro brutto verdienen, um dasselbe zu haben.
Dass Hans-Jörg Vehlewald, Larissa Krüger, Peter Tiede und Ralf Schuler in ihrem Beispiel die zwei Worte “bis zu” verwenden, ist ausgesprochen trickreich. Möglicherweise kennt das “Bild”-Autorenteam eine vierköpfige Familie, die 2500 Euro Hartz-IV-Leistungen im Monat bezieht. Die Regel ist das ganz sicher nicht.
Jeder der zwei erwachsenen Partner bekommt aktuell 374 Euro — zusammen also 748 Euro. Dazu kommen im “Bild”-Beispiel zwei Kinder. Nehmen wir einen für “Bild” günstigen Fall: Die Kinder sind 15 und 17 Jahre alt. Dann bekommt die Familie pro Monat pro Kind 316 Euro (wären die Kinder beispielsweise beide jünger als sechs Jahre, gäbe es je Kind nur 240 Euro). Die gesamte Familie bekommt monatlich also 1380 Euro Hartz-IV-Regelleistungen. Allerdings, und das erwähnt das “Bild”-Autorenteam nicht, wird das Kindergeld von insgesamt 388 Euro pro Monat, das der Familie für die zwei Kinder zusteht, als Einnahme komplett angerechnet. Dadurch verringern sich die monatlichen Hartz-IV-Regelleistungen auf 992 Euro.
Hinzu kommen die vom Jobcenter anerkannten Wohnkosten. Für eine vierköpfige Familie betrugen diese deutschlandweit im Juli dieses Jahres im Schnitt 672,30 Euro für 76,46 Quadratmeter (Excel-Tabelle, Tabelle 2b). Natürlich gibt es in den verschiedenen Bundesländern und je nach Stadt- oder Landlage deutliche Unterschiede bei der Höhe der anerkannten Mietkosten.
Durchschnittlich erhält eine vierköpfige Familie also Leistungen in Höhe von 1664,30 Euro pro Monat. Das ist ein gutes Stück entfernt von den 2500 Euro, von denen Vehlewald, Krüger, Tiede und Schuler sprechen. Hinzu kommt bei beiden Beispiel-Familien, ob nun Hartz-IV-empfangend oder arbeitend und steuerzahlend, Kindergeld für zwei Kinder in Höhe von 388 Euro.
Mit diesem Durchschnittswert kann man nur nicht so geschmeidig einen Keil in die Gesellschaft treiben wie mit der “bis zu”-Behauptung der “Bild”-Redaktion.
Ein Glück, dass wir die Aufklärer der “Bild”-Zeitung haben!
Nazi-Ufos in der Antarktis, Kennedy-Attentat, Mondlandung — dazu gibt’s im Internet haufenweise Theorien, doch die meisten davon seien hanebüchener Unsinn, wie die Zeitung gestern auf einer ganzen Seite erklärte: “Sie klingen zunächst plausibel, sind aber bewusst in unwahre Zusammenhänge gesetzt.”
“Bild” selbst würde solche Spinnereien natürlich nie verbreiten!
Julian Reichelt war auch mal Schüler. Der heutige “Bild”-Chef besuchte als Jugendlicher ein Gymnasium in Hamburg-Othmarschen. Dort, am Gymnasium Othmarschen, war Reichelt bereits Chefredakteur — der Schülerzeitung. Darüber hatten Isabell Hülsen und Alexander Kühn unter anderem in ihrem Reichelt-Portrait im “Spiegel” geschrieben.
Diesen Text hat auch Johann Aschenbrenner gelesen, der in gewisser Weise Julian Reichelts Nachfolger ist, als aktueller Chefredakteur der Schülerzeitung am Gymnasium Othmarschen. Zusammen mit seiner Mitschülerin Emma Brakel und seinem Mitschüler Arvid Bachmann hat Aschenbrenner “Bild”-Chef Reichelt im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin besucht. Herausgekommen ist ein lesenswertes Interview, das meilenweit entfernt ist vom despektierlichen Prädikat “Schülerzeitungsniveau”:
Aschenbrenner, Brakel und Bachmann haben einige schöne Details in Julian Reichelts Büro und Arbeitsalltag beobachtet. Und Reichelt äußert in dem Gespräch einige bemerkenswerte Dinge.
Er sieht “Bild” beispielsweise “natürlich in einer Liga” mit der “Washington Post” und der “New York Times”:
Wir sind da, wo die “Post” oder die “New York Times” sind, oder umgekehrt: Die sind da, wo wir sind. In dieser Liga halten wir uns, auch durch strategisch kluge Entscheidungen, wie zum Beispiel die Umsetzung von Paid-Content.
Er glaubt beispielsweise nicht, dass “Bild” Stimmung mache, und meint, dass “Bild” auch nicht Stimmung machen sollte. Aschenbrenner, Brakel und Bachmann halten dagegen:
Schlagzeilen schaffen Stimmungen. Die “BILD”-Zeitung beruft sich häufig darauf, was dann auf der Seite 2 steht. Wenn man die Schlagzeile “Islam-Rabatt” liest, dann kreiert das doch eine gewisse Stimmung. Sie sind sich der Bedeutung der Eins doch sicher bewusst?
Reichelt antwortet, dass solche Schlagzeilen “eine tiefe innere Wahrheit und Berechtigung” hätten. Dieses Geschwafel nimmt Johann Aschenbrenner in einem gesonderten Text auseinander:
Mitglieder der Jungen Union (JU) haben am vergangenen Freitag in einer Berliner Kneipe das sogenannte Westerwaldlied gesungen. Eine Videoaufnahme zeigt Vertreter der CDU-Nachwuchsverbände aus Limburg und Rheingau-Taunus beim Grölen des einst bei der Wehrmacht sehr beliebten Textes. Deutsche Soldaten hatten das Westerwaldlied im Zweiten Weltkrieg unter anderem bei ihren Einmärschen in Luxemburg, Holland und Frankreich gesungen. Dass die JUler den Wehrmachtsschlager am 9. November, dem 80. Jahrestag der Reichspogromnacht, anstimmten, sorgt für zusätzliches Entsetzen, auch wenn das Singen des Liedes nicht verboten ist.
Die zufällig anwesende jüdische Künstlerin Mia Linda Alvizuri Sommerfeld war eine der ersten, die ihr Handy zückte, um das bittere Treiben aufzuzeichnen. Ihre Aktion sorgte nach Angaben des “Tagesspiegels” dafür, dass die Gruppe das “Westerwaldlied” (mit den für sich genommen harmlosen Zeilen: “Heute wollen wir marschier’n/einen neuen Marsch probier’n/in dem schönen Westerwald/ja da pfeift der Wind so kalt”) intonierte.
2012, da war die Wehrmachtstradition des Westerwaldliedes lange bekannt, brachte “Bild am Sonntag” einen Sampler mit den “größten Oktoberfest-Hits” auf den Markt. Auf CD 2, zwischen “Ich War Noch Niemals In New York”, gesungen von Willi Herren, und “Das geht ab” von den Atzen, findet man das Lied “Oh — du schöner Westerwald (Eukalyptusbonbon)”:
Das Volksmusik-Trio Heidis Erben singt dort unter anderem:
Heute wollen wir marschier’n
einen neuen Marsch probier’n
in dem schönen Westerwald
ja da pfeift der Wind so kalt
Und auch sonst ist der Text des Songs auf dem “BamS”-Sampler deckungsgleich mit dem des beliebten Wehrmachtsliedes. Einzige Ausnahme: Ballermann-Größe Mickie Krause ruft zwischendurch immer mal wieder “Eukalyptusbonbon”.
Wie schreibt Bild.de gleich noch mal? Was für ein “bitteres Treiben”.
Im bayerischen Waldkraiburg hat eine fünfköpfige Familie eine Kündigung für ihre Wohnung erhalten, bis zum 20. November soll sie raus. Das allein ist noch nicht unbedingt der Stoff, der bei der Bild.de-Redaktion für Interesse sorgt. Nimmt man aber den Beruf der beiden Eltern dazu, sieht das schon ganz anders aus:
Die Dreifach-Eltern, die ihre Brötchen als “Vika Viktoria” und “Bayernsepp” mit Pornos verdienen, haben die fristlose Kündigung für ihre Vier-Zimmer-Wohnung (100 qm) bekommen!
Die Vorwürfe des Vermieters: Ruhestörung und gewerbliche Nutzung. “Wir haben nicht lauter Sex als andere Mieter im Haus auch”, rechtfertigt sich Christian L. (37, gelernter Koch). “Und wenn das Hochladen von Clips schon als gewerbliche Nutzung gilt, dürfte ja auch kein YouTuber in seiner Wohnung arbeiten.”
Nun kann man von dem Vorgehen des Vermieters halten, was man will. Dass “Vika Viktoria” und “Bayernsepp” ihre Videos, mit denen sie ihr Geld verdienen, in der privaten Wohnung drehen, könnte aber tatsächlich ein Problem sein, erklärt bei Bild.de Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund:
Grundsätzlich habe der Vermieter aber nicht ganz unrecht: “Jede Tätigkeit, mit der Geld verdient wird, kann als gewerbliche Nutzung ausgelegt werden, die eine Kündigung dann rechtfertigt, wenn es hierdurch zu Beeinträchtigungen für die Nachbarn kommt.”
Bleibt noch die Frage, wie der Vermieter überhaupt rausfinden konnte, was seine Mieter hinter der Wohnungstür so treiben.
Das Paar aus dem oberbayerischen Waldkraiburg (23 000 Einwohner) lernte sich vor 17 Jahren kennen — und begann 2017, zusammen erotische Clips zu drehen und sie im Internet zu teilen. Inzwischen lebt die Familie davon: SIE bekam als “Vika Viktoria” kürzlich den Venus-Award für die beste Newcomerin. ER spielt als “Bayernsepp” vorzugsweise den Klempner oder den Hausmeister. (…)
Dann werden die Rolladen wieder heruntergelassen — die 4-Zimmer-Wohnung (100 qm) verwandelt sich in ein Porno-Set
Das ist wirklich praktisch: Bei Bild.de schaffen sie mit dem einen “Bild plus”-Artikel die Grundlage für den nächsten.
Im Artikel schildert “Bild”-Redakteur Ralf Pörner, dass er neulich eine seiner Wohnungen aufgegeben habe und sie dann auch vom Rundfunkbeitrag abmelden wollte. Womit der “Kampf” begann.
Das Einwohnermeldeamt sagte mir, dass der Beitragsservice automatisch informiert wird. DOCH DER DRACHE FAUCHTE LEIDER IMMER NOCH! Vier Wochen später buchte der Beitragsservice erneut ab.
Was auch keine Überraschung ist. Für die Abmeldung ist nämlich nicht das Einwohnermeldeamt zuständig, man muss es selbst machen. Das hätte auch Ralf Pörner wissen können, wenn er einfach mal ein bisschen recherchiert hätte. Im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag steht ziemlich unmissverständlich:
Das Ende des Innehabens einer Wohnung (…) ist der zuständigen Landesrundfunkanstalt unverzüglich schriftlich anzuzeigen (Abmeldung).
Für diesen Vorgang stellt der Beitragsservice auf seiner Website ein Kontaktformular bereit. Auch über den Postweg ist die Abmeldung möglich.
Nur über die Telefon-Hotline kann man sich nicht abmelden. Und was macht “Bild”-Mann Pörner?
Nun wurde der Ritter in mir geweckt, die Telefon-Hotline zu meinem Kampfplatz.
Es wäre ungerecht, die Dame am anderen Ende als Drachen zu bezeichnen. Aber sie war auf jeden Fall unbezwingbar.
Sie: “Benutzen Sie bitte unser Kontaktformular.”
Ich: “Ich würde Sie nicht anrufen, wenn das funktionieren würde.”
Sie: “Wir brauchen Ihre Kündigung aber schriftlich!”
Ich: “Das Einwohnermeldeamt hat Sie informiert!”
Sie: “Das reicht nicht.”
Ich: “Dann buche ich die Beiträge zurück.”
Sie: “Dann kommen noch Mahngebühren und der Gerichtsvollzieher dazu.”
Ich: “Ich schlage vor, Sie informieren Ihren Vorgesetzten, dass Ihr System offenbar nicht funktioniert.”
Sie: “Glauben Sie wirklich, dass das meinen Vorgesetzten interessiert?”
Touché! Dass sich irgendwer vom Beitragsservice für die Zahler von acht Milliarden Euro Zwangsgebühren interessiert, glaube ich tatsächlich nicht.
Ich legte auf, öffnete das Kontaktformular. Es stürzte ab. Ich war geschlagen.
Womit wir bei Pörners zentralem Kritikpunkt wären: Dass das Kontaktformular immer wieder abgestürzt sei. Eine Abmeldung sei also “unmöglich”. Zum Beleg zeigt er (im Online-Artikel) auch die Fehlermeldung:
Und siehe da: “Ihre Sitzung wurde aus Sicherheitsgründen automatisch beendet, da die Seite längere Zeit nicht genutzt wurde.”
Es war offenbar also gar kein technischer Fehler. Der “Bild”-Redakteur hat beim Ausfüllen wohl einfach zu lange gebraucht. (Wenn es ein technischer Fehler gewesen wäre, der auch andere Nutzer betroffen hätte, wäre dazu höchstwahrscheinlich auch ein Hinweis veröffentlicht worden.)
Anders gesagt: Es war nicht die Schuld der bösen “GEZ”, sondern Pörners eigene. So wie es an jeder Stelle dieser Prozedur seine eigene Schuld war.
Das Ende vom Lied: Der “Bild”-Mann macht bei der Pressestelle Druck (“Werden Kunden hier etwa systematisch bei der Kündigung behindert?”), und die akzeptiert seine Anfrage dann als Kündigung.
Halleluja! Ich habe den Drachen bezwungen.
Glückwunsch, Herr Pörner. Und kleiner Vorschlag zur Güte: Wenn Sie in Zukunft weniger imaginäre Drachen bekämpfen und stattdessen Ihre eigene Unfähigkeit, dann bleiben Ihnen solche sagenhaften Dramen auch erspart.
Um den Zustand der Dauererregung in “Bild” und bei Bild.de aufrechtzuerhalten, müssen die Redaktionen auch mal auf kleinere Aufreger und Skandale zurückgreifen. Was bei den kleinen Aufregern aber genauso gilt wie bei den großen: Die Mitarbeiter der “Bild”-Medien arbeiten ausgesprochen schlampig, lassen entscheidende Infos weg und biegen sich die Sache so, dass es zum Skandal/Skandälchen reicht.
“DAS BÖSE AUGE” war gestern auch großes Thema in der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung:
Die Stadt Stuttgart hat im Stadtbezirk Sillenbuch ein neues Fernrohr aufgestellt. Es steht an einem neu gestalteten Platz, der nach einem ehemaligen Ortsvorsteher, benannt ist. Der Mann war auch Winzer. Daher wollte das Stuttgarter Gartenamt durch das Fernrohr den Blick auf die umliegenden Weinberge ermöglichen.
Soweit die Idee. Laut “Bild”-Medien aber werde das Rohr von Spannern missbraucht. Denn der Johann-Heinrich-Strauß-Platz befindet sich in einem Wohngebiet. In einer Bildunterschrift schreiben “Bild” und Bild.de zum Beispiel:
Das neue Fernrohr steht mitten in einem Wohngebiet in Stuttgart-Sillenbuch, wo sich die Anwohner jetzt vor neugierigen Blicken fürchten
Im Artikel heißt es:
Aber was sucht dieses Teleskop mitten in einem Stuttgarter Wohngebiet? Das böse Auge von Sillenbuch — es zieht Spanner an!
Spanner, Angst und Furcht in Sillenbuch!
Der Haken: Rund ums Rohr gibt’s fast nur Wohngebäude zu sehen. Hinter Gardinen huschen die Menschen in Deckung, haben Angst vor den neugierigen Blicken aus dem Teleskop.
Die “Bild”-Medien haben sogar eine Anwohnerin gefunden, die erzählt:
“Ständig sehe ich Leute am Rohr, die in Richtung Häuser blicken. Meine Fenster sind zum Glück hinter Büschen.”
Das klingt ja alles so, als würden aktuell reichlich Spanner ihr Unwesen treiben und in die umliegenden Häuser glotzen können.
Wir haben bei der Stadt Stuttgart und beim Stuttgarter Gartenamt nachgefragt. Es kann durchaus sein, dass Leute an dem Fernrohr standen. Dass sie aktuell in die Häuser gucken können, sei hingegen ausgeschlossen. Und das auch schon seit gut eineinhalb Wochen. Die Linse sei seitdem nämlich durch Mitarbeiter der Stadt absichtlich unscharf gestellt worden. Man habe das Fernrohr Anfang September installiert, allerdings komplett verpackt, da es noch nicht verwendet werden sollte, solange es nicht so fixiert wurde, dass man ausschließlich auf die Weinberge schauen kann. Diese Verpackung sei unerlaubterweise von irgendjemandem entfernt worden — woraufhin das Gartenamt das Fernrohr unscharf gestellt habe. Gestern sei es dann komplett abgebaut worden. Nächste Woche sollen die Bauteile eintreffen, die für die Fixierung notwendig seien. Dann werde das Fernrohr wie geplant aufgebaut und fixiert werden.
“DAS BÖSE AUGE VON STUTTGART” ist also vor allem ein extrem blindes und inzwischen abmontiertes Auge, das sich für Spanner schon länger überhaupt nicht lohnt. Deutlich ergiebiger als ein Blick durch das Fernrohr in Sillenbuch wäre da schon ein Besuch bei Bild.de. So sah die Startseite gestern rund um die Fernrohr-Geschichte aus: