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Nur 48 Stunden

Mal so ganz hypothetisch: Was würden Sie von einem Video erwarten, das derart angepriesen wird?

Chinesische Baukunst: Hochhaus in nur zwei Tagen gebaut. Chinesischen Arbeitern gelang es in nur zwei Tagen das "Ark Hotel" in Changsha zu bauen. Das Gebäude hält Erdbeben bis zur Stärke 9 stand. Zudem ist es schalldicht und thermoisoliert.

“Ein Video über ein Hochhaus, das in nur zwei Tagen gebaut wurde”, sagen Sie?

Alles klar. Bild.de liefert brav ab:

Ein Hochhaus in nur zwei Tagen — chinesischen Arbeitern gelang dieses Baukunststück. Binnen 48 Stunden haben sie das 15-geschossige “Ark Hotel” in Changsha gebaut.

Beeindruckend, was? Und dann zeigt Bild.de auch noch ein Zeitraffervideo vom Aufbau des Hotels:

Es wird dunkel …

… und wieder hell …

… und dunkel …

… und wieder hell …

… und dunkel …

… und …

Äh, was ist da eigentlich mit der Zeitanzeige los?

“Nach knapp einer Woche war das Hotel einzugsfertig”, sagt jetzt der Off-Sprecher und fügt hinzu:

Doch die chinesische Baufirma behauptet, dass sie das Kunststück auch in zwei Tagen geschafft hätte.

Aha. Der Bau des Hauses hat also nach übereinstimmenden Berichten internationaler Medien etwa sechs Tage gedauert, die Baufirma sagt, dass sie das auch in zwei Tagen geschafft hätte, und Bild.de berichtet dann: “Hochhaus in nur zwei Tagen gebaut”.

Was, wenn Bild.de plötzlich behaupten würde, auch fehlerfrei und in sich logisch berichten zu können?

Mit Dank an Wilhelm W.

Bittere Halbwahrheiten

Dass Menschen aus anderen Ländern nicht etwa in die Kulturnation, sondern in den Wohlfahrtsstaat Deutschland einwandern wollen, ist für die Klientel von “Bild” alles andere als neu. Trotzdem – oder gerade deshalb – lieferte die Boulevardzeitung am Dienstag auf der Titelseite noch einmal die “bittere Wahrheit”:

Die bittere Wahrheit über Ausländer und Hartz IV

Und nochmal in groß:

Ausländer-Statistik: 90 Prozent der Libanesen kriegen Hartz IV

In der Tat haben es die drei “Bild”-Autoren geschafft, Zahlen der Bundesagentur für Arbeit mit denen des Statistischen Bundesamtes zu kombinieren und in eine Tabelle zu gießen. Haarklein listen sie auf, wie viele Menschen verschiedener Nationalitäten ohne deutschen Pass in Deutschland “arbeiten dürften” und trotzdem Sozialleistungen beziehen:

Sogar für einen Quellennachweis hat es gereicht:

Doch warum bestreiten so viele Libanesen in Deutschland ihren Lebensunterhalt nicht selbst, wenn sie doch nach amtlicher Statistik ausdrücklich arbeiten dürfen? Allwetter-Soziologe Christian Pfeiffer hat die passende Erklärung parat:

Woher kommen die großen Unterschiede?

Soziologe Prof. Christian Pfeiffer: Viele Libanesen etwa waren zu Beginn Asylbewerber und durften nicht arbeiten. Dieser Lebensstil hat sich von Generation zu Generation durchgesetzt. Das Bildungsniveau ist extrem niedrig, Kinder gelten als Einkommensquelle, gearbeitet wird höchstens schwarz. Gerade die Libanesen haben sich oft in dieser Armutslage eingerichtet.

Scheinbar um Ausgleich bemüht, hält “Bild” fest, dass Ausländer natürlich nicht faul seien und sogar sehr selten Arbeit ablehnen, die ihnen von der Arbeitsagentur angeboten wird. Doch wie passt das mit dem speziellen libanesischen Lebensstil zusammen? Dass Libanesen Kinder als Einkommensquelle ansehen, haben sie offenbar mit der Redaktion von “Bild” gemein. Denn wie man den amtlichen Statistiken ohne weiteres entnehmen kann, sind 6.541 (oder 17,7%) der amtlich erfassten Libanesen unter 15 Jahre alt — und dürfen daher alleine schon wegen der Schulpflicht nicht ihren Lebensunterhalt verdienen. Insgesamt sind 9.200 Libanesen als “nicht erwerbsfähig” registriert: zu jung, zu krank, zu alt für den Arbeitsmarkt.

In den ersten vier Jahren bekommen geduldete Ausländer allenfalls eine Arbeitsstelle, wenn sich kein Deutscher dafür findet. Nach Auskunft von Pro Asyl kommt diese Vorrangigkeitsprüfung in vielen Regionen Deutschlands einem “faktischen Arbeitsverbot” gleich. Sie mögen sich in Armut eingerichtet haben, sie mögen laut Ausländergesetz arbeiten “dürfen”, einem großen Teil von ihnen bleiben aber schlichtweg keine Möglichkeiten.

Das hätte “Bild” auch wissen müssen: Die Bundesagentur für Arbeit hatte für das Blatt eigens eine Sonderauswertung gemacht, in der die Gesamtzahl der Ausländer noch nach Erwerbsfähigen und nicht Erwerbsfähigen aufgeschlüsselt war — doch die Zeitung rechnete einfach mit der (natürlich höheren) Gesamtzahl weiter und liefert so eine sehr einseitige Statistik. An wirklichen Erklärungen scheint die Redaktion jedenfalls bedeutend weniger Interesse als an der riesigen Schlagzeile gehabt zu haben.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Karl-Theodor I.

Bild.de liegt in einem Artikel über ein Filmporträt über die Familie Guttenberg, das gestern im Ersten lief, knapp daneben:

Gestern Abend lief die ARD-Doku-Reihe “Deutsche Dynastien” an. Teil 1: „Die Guttenbergs”.

Tatsächlich war “Deutsche Dynastien – Die Guttenbergs” nach den Thyssens (8.11.) und den Oetkers (15.11.) bereits der dritte und letzte Teil der Serie.

Aber vielleicht hat sich der Autor einfach nicht vorstellen können, dass Karl-Theodor, wenn auch nur dieses eine Mal, nicht Nummer 1 sein könnte:

Sie sind DAS Glamour-Paar der Politik-Szene in Deutschland – Karl Theodor zu Guttenberg und seine Frau Stephanie. (…)

Haltung und Verantwortungsbewusstsein  – das sind laut Vater Enoch DIE prägenden Charakterzüge der Guttenbergs. (…)

So wurde Karl-Theodor zu Guttenberg zu einem der besten Redner in der deutschen Politik. Und das politische Talent hat er wohl vom Großvater. (…)

“Trotz seines Aussehens, trotz seines finanziellen Hintergrundes erzeugt er keinen Neid. Da ist was ganz besonders in Deutschland. Wenn heute einer Geld hat und gut aussieht, erzeugt er meistens Neid bei anderen Menschen”, sagt die Adels-Expertin Stephanie von Pfuel. (…)

Guttenberg hingegen weckt Begeisterung wo immer er auftritt. (…)

Wird er womöglich Kanzler?
Wer den Film gesehen hat, bekommt den Eindruck: Hier will einer auf dem Teppich und seinen Überzeugungen treu bleiben.

Mit Dank an Jochen N.

Heute anonym XXIV

Letzte Woche konnte Bild.de vor Selbstbewusstsein kaum laufen:

BILD.de pixelt da, wo Google es versäumt hat: Das sind die Patzer bei Street View! Bild.de verpixelt

Aber das war wie gesagt letzte Woche. Diese Woche hingegen ist wieder Normalität eingekehrt:

Dieses Autohaus in Oderwitz gehört der Familie. Birgit K. ist Geschäftsführerin

Ja: Unter jeder dieser gelben Fläche stand der ausgeschriebene Name.

Mit Dank an Thomas W., Andre S. und die vielen anderen Hinweisgeber.

Keine besseren, sensibleren Menschen

Vor wenigen Tagen jährte sich der Todestag des Fußballers Robert Enke zum ersten Mal. In den Wochen nach seinem Suizid hatten Sportfunktionäre und Journalisten über den Druck in der Leistungsgesellschaft gesprochen und für mehr Menschlichkeit geworben.

Walter M. Straten ließ sich damals von der “Süddeutschen Zeitung” so zitieren:

“Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.

Die Schonfrist war bereits nach wenigen Wochen vorbei.

Es ist interessanterweise Franz Josef Wagner, der in den vergangenen Wochen mehrfach betont hat, dass sich seit Enkes Tod nichts geändert habe, und der in einem Brief an den Verstorbenen selbst schrieb:

Als Robert Enke vor einem Jahr starb, wollten wir alle, dass wir bessere, sensiblere Menschen werden. Wir wurden es nicht.

Wagner muss es wissen, denn das Medium, in dem er täglich schreibt, präsentiert sich immer mal wieder als unsensibel. Zum Beispiel, wenn es um ein nicht geschossenes Tor geht, das nicht einmal spielentscheidend gewesen wäre:

BVB-Trottel Kuba trifft das leere Tor nicht

Bild.de hat den Artikel in der Zwischenzeit entfernt

… und neu online gestellt — offenbar, weil den Redakteuren eine schönere Dachzeile samt Alliteration eingefallen ist:

Dortmund Dussel Kuba trifft das leere Tor nicht

Mit Dank an noir und bildfahnder.

Was du nicht willst, was man dir google …

Wenn ein Boulevardmedium von einer “peinlichen Bordell-Panne” schreibt, bringt man das vielleicht nicht unbedingt direkt mit dem heute in Deutschland gestarteten “Street View”-Dienst von Google in Zusammenhang. Doch genau so ist es laut Bild.de, dem Zentralorgan der StreetViewVerdammung:

Screenshot: Bild.de

Sagen Sie nicht, der Mann auf dem Street-View-Screenshot sei ja wohl unkenntlich gemacht: “BILD hat diese Fotos massiv verfremdet”.

Dieses und sechs andere Fotos, die den Weg des Street-View-Autos vorbei an dem Bordell “in einer deutschen Großstadt” dokumentieren, bis schließlich …

Eingang noch da, Mann plötzlich weg. Ob er tatsächlich ins Bordell ging, bleibt unklar

Bild.de ist deshalb ernsthaft erzürnt:

Fatal: Die Gesichter von zwei vermeintlichen Freudenmädchen sind von Google unkenntlich gemacht. Das Gesicht des Mannes ist aber teilweise deutlich von der Seite zu sehen. Bild.de hat diese Szene unkenntlich gemacht.

Es stimmt: Auf einigen der Bilder bei Street View ist der Mann unverpixelt im Halbprofil zu sehen. Eine Position, mit der sich viele Angeklagte, die “Bild” vor Gericht fotografiert hat, wohl schon zufrieden geben würden.

Aber es heizt natürlich die Street-View-Panikmache an, wenn man jetzt schon Gefahr läuft, dass der Puffbesuch öffentlich gemacht wird.

Apropos:

Der vermeintliche Puffgänger, den “Bild” vor zwei Jahren unverpixelt zeigte, war allerdings psychisch krank.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 19. November: Google hat reagiert und den Mann deutlich(er) anonymisiert.

Diskriminalreportagen

Stellen Sie sich doch bitte einmal folgende Meldung vor:

Vor den Augen seiner 16-jährigen Tochter Kirstin hat der Deutsche Harald B. (44) gestern Vormittag seine Frau Sandra (38) erschossen. (…) Auch auf die verhassten Nachbarn hatte es der selbständige Spediteur wohl abgesehen. Nach den tödlichen Schüssen trat der Christ die Wohnungstür der Familie Z. im fünften Stock ein.

Oder die hier:

In Siegburg verübte ein Mitteleuropäer am Montag einen Brandanschlag auf einen Linienbus.

Klingt komisch, oder? Sie fragen sich bestimmt, welche Relevanz es hat, ob ein mutmaßlicher Täter “Deutscher” oder “Mitteleuropäer” ist oder welche Rolle sein Glaube spielt. Die richtige Antwort lautet – außer etwa, wenn nach einem Täter gefahndet wird – so gut wie immer: Keine Relevanz, keine Rolle.

Auf Bild.de ist von Herkunft oder Glaube in der Regel keine Rede, solange die Straftat von einem Mitglied der Bevölkerungsmehrheit begangen wurde. Handelt es sich bei mutmaßlichen Straftätern jedoch um Angehörige bestimmter ethnischer oder religiöser Minderheiten, dann werden solche überflüssigen Details scheinbar plötzlich relevant.

So lauten die betreffenden Sätze der ersten Meldung auf Bild.de in Wirklichkeit:

Vor den Augen seiner 16-jährigen Tochter Melissa hat der Bosnier Bajro H. (44) gestern Vormittag seine Frau Indira (38) erschossen. (…) Auch auf die verhassten Nachbarn hatte es der selbständige Spediteur wohl abgesehen. Nach den tödlichen Schüssen trat der Moslem die Wohnungstür der Familie Z. im fünften Stock ein.
(Hervorhebungen von uns)

Und in der zweiten Meldung heißt es:

In Siegburg verübte ein Südländer am Montag einen Brandanschlag auf einen Linienbus.
(Hervorhebung von uns)

In beiden Fällen hatten Herkunft und Glaube keinerlei Bezug zu den jeweiligen Vorfällen, was man auch daran sehen kann, dass “Stuttgart Journal” und ksta.de gut ohne ihre Nennung auskamen. Bild.de hat damit also klar gegen Ziffer 12 des Pressekodex verstoßen:

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.

Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Mit Dank an die Hinweisgeber!

Kein Knast für alle Fälle

In den USA warten derzeit mehr als 3.000 Gefangene auf ihre Hinrichtung, einer von ihnen ist John David Duty. Weil dem Staat Oklahoma das Medikament Thiopental ausgegangen ist, soll bei Dutys geplanter Exekution im Dezember Pentobarbital zum Einsatz kommen, das sonst zur Betäubung von Tieren eingesetzt werden. So berichteten es ausländische Medien seit dem 9. November.

Mit etwas Verspätung kam die Geschichte vergangenen Freitag auch bei Bild.de an. Aber warum sitzt Duty überhaupt im Knast?

Duty war im Jahr 2001 wegen Mordes an seiner 22-jährigen Zellengenossin zum Tode verurteilt worden.

Er hatte die junge Frau mit Schnürsenkeln erdrosselt. Zu diesem Zeitpunkt saß Duty gerade drei lebenslange Haftstrafen ab – wegen Vergewaltigung, Raub und versuchten Mordes.

Nun ist es selbst in einem Land wie den USA, wo die Uhren manchmal etwas anders ticken, unüblich, verurteilte Straftäter mit jungen Frauen in eine Gefängniszelle zu sperren — noch dazu, wenn es sich dabei um Vergewaltiger handelt.

Auch wenn “cellmate” im Englischen sowohl männlich als auch weiblich sein kann: Der Vorname hätte – neben der offensichtlichen Tatsache, dass es keine Unisex-Gefängniszellen gibt – ein Indiz für das Geschlecht des Opfers sein können, denn amerikanische Medien schreiben:

The 58-year-old Duty was convicted of the Dec. 19, 2001, killing of 22-year-old Curtis Wise, who was Duty’s cellmate at the Oklahoma State Penitentiary in McAlester. Wise was strangled with shoelaces.

Der 58-jährige Duty wurde wegen Tötung des 22-jährigen Curtis Wise am 19. Dezember 2001 verurteilt, der Dutys Zellengenosse im Staatsgefängnis von Oklahoma in McAlester war. Wise wurde mit Schnürsenkeln erdrosselt.

Heute nun berichtet auch “Spiegel Online” über den Fall und schreibt:

Duty war 2001 wegen Mordes an seiner 22-jährigen Zellengenossin zum Tode verurteilt worden.

Weite Teile des Artikels wurden aus einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP übernommen, doch genau dieser Satz stellt die einzig nennenswerte Einzelleistung der Autorin dar. Oder die von Bild.de.

Mit Dank an Benjamin.

Nachtrag, 12.09 Uhr: “Spiegel Online” hat den Satz unauffällig zusammengekürzt:

Duty war 2001 wegen Mordes zum Tode verurteilt worden.

2. Nachtrag, 15.20 Uhr: Jetzt steht auch ein Hinweis bei “Spiegel Online”:

Anmerkung der Redaktion: In der ersten Version dieses Textes hieß es fälschlicherweise, Duty sei 2001 wegen Mordes “an seiner 22-jährigen Zellengenossin” zum Tode verurteilt worden. In Wahrheit handelte es sich um einen männlichen Mitgefangenen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

GröPaZ

Hitler geht bei “Bild” und Bild.de bekanntlich immer.

Neu ist die Kategorie, in die der Diktator seit gestern einsortiert wird: “große Persönlichkeiten”.

Neues Buch: Hitler als Kind mit Peitsche verdroschen. Hemingway musste Mädchenkleider tragen, Hitler wurde verdroschen, Balzac ignoriert – Jörg Zittlau über die Horror-Eltern großer Persönlichkeiten.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 16. November: Bild.de hat den Satz geändert:

Jörg Zittlau über Horror-Eltern und ihre KInder

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