Archiv für Bild am Sonntag

Woher kommt der Hass?

Timo Hildebrand, der Torwart des FC Schalke 04, ist auf Facebook beleidigt worden. Ein Nutzer hatte unter anderem geschrieben, Hildebrand solle sich erschießen. Nachdem der Fußballer auf den Eintrag hingewiesen hatte, berichtete auch “Bild” in der gestrigen Ausgabe über die “fiese und feige” Attacke gegen den Torwart:

Hildebrand - Die Grenze ist überschritten. [Nächster Artikel:] Internet, Hausbesuche, Telefon! Immer mehr Spieler bedroht

Das Blatt stellt fest, dass es “immer mehr Spieler” gibt, die von den eigenen Fans bedroht werden:

Die Fan-Wut eskaliert. Im Visier immer häufiger die Spieler der eigenen Vereine. Timo Hildebrand ist nicht der erste Profi, der bei facebook attackiert wurde. (…)

Woher kommt der Hass gegen eigene Spieler?

Ja – woher nur?

Bild.de, 28.02.2012:

(…) Ob‘s die Hertha-Luschen jetzt kapiert haben?

04.03.2012:

So verspielen die Schalke-Schlaffis ALLES!
Nach dem leidenschaftslosen 1:2 in Freiburg fällt Schalke in Schock-Starre. Nur ein Sieg aus den letzten fünf Liga-Spielen, drei Auswärtspleiten in Folge.

(…) So verspielen Schalkes Schlaffis ALLES! (…) Königsblau in der Krise. Auch, weil bei den meisten die Einstellung nicht stimmt. (…) So verspielen Schalkes Schlaffis ALLES – und Heldt ist nur noch ein Ratlos-Manager! (…) Schon Donnerstag in der Europa League in Enschede MUSS Schalke wieder auf viele der Schlaffis setzen.

07.03.2012:

(…) Denn schon jetzt ist die sportliche Entwicklung [des 1. FC Köln] desaströs, ein Aufwärtstrend nicht erkennbar. Der Kader ist schwach – auch charakterlich. Die Spiele sind schlecht. Und zu viele Spieler haben die Bezeichnung PROFI nicht verdient.

17.03.2012:

(…) Die Leistung der Hamburger desaströs (sechsmal Note 6). In dieser Verfassung ist der HSV (Platz 14) der gegenwärtig größte Trümmerhaufen der Liga.

20.03.2012:

(…) Fazit: Die Hertha-Schlaffis sind ein kopfloser Haufen.

13.08.2012:

(…) Das bekamen seine Frankfurt-Versager gestern deutlich zu spüren.

13.08.2012:

Luhukay stampft seine Stars in die Mülltonne

(…) Nach nur zwei Spielen geht Hertha-Trainer Jos Luhukay auf seine Versager los.

14.08.2012:

Das tut den Fans schon beim Hinschauen weh! Und hoffentlich auch Herthas Schlaffi-Profis! (…) Hey, Hertha-Schlaffis. Relegation – kennt ihr ja schon!

(…) Gott sei Dank ist mit Alarm-Macher Luhukay ein Typ da, der es nicht so weit kommen lassen wird, dass sich Hertha nächstes Jahr mit Unterhaching, Osnabrück oder Bielefeld duellieren muss.

Aber ob er diese Schlaffi-Profis zum Aufstieg treiben kann, daran sind gerade erste Zweifel angebracht – unabhängig vom derzeitigen (Relegations-)Tabellenplatz…

15.08.2012:

Luhukay: Jetzt schleift er die Schlaffis

20.08.2012:

POKAL-AUS NACH 1:2! ABSTURZ GEHT WEITER - Wollt ihr uns verar...?Diese Mannschaft ist nur noch peinlich…

Hertha blamiert sich mal wieder im DFB-Pokal, fliegt 1:2 bei Viertligist Worms in der 1. Runde raus. Fehlstart in der Liga, Pokal-Aus beim Amateur-Klub – WOLLT IHR UNS EIGENTLICH VERARSCHEN?

(…) Die Fans haben jedenfalls die Schnauze voll, skandierten in Richtung der Spieler: “Ihr seid so lächerlich!” Typisch, dass die Versager nach Abpfiff wortlos in den Bus schlichen. (…) Zwei Tage Geheimtraining, mehrmalige Gegner-Beobachtung – wofür eigentlich? Hertha nur noch peinlich!

25.08.2012:

(…) Nach der 0:4-Schande von Berlin geht‘s für seine Pokal-Versager [TSG Hoffenheim] aber gleich um viel mehr als nur Wiedergutmachung:Gladbach wird zum Charakter-Test!

28.08.2012:

HERTHA BSC - Endlich! Luhukay räumt den Sauhaufen auf
Satte Möchtegern-Stars, lasche Einstellung, null Leidenschaft.

Diese katastrophale Mischung hat Trainer Jos Luhukay (49) seit Dienstantritt im Juni als “Hertha-Krankheit” und Grund für den sportlichen Niedergang diagnostiziert. Und er kämpft mit allen Mitteln dagegen an.

ENDLICH! Nur 15 Tage nach seiner Frankfurt-Wutrede geht der Holländer erneut gegen seine Schlaffis vor, räumt vorm Derby am Montag bei Union den Sauhaufen auf.

(…) Luhukay hat nach seiner ersten Wutrede noch lange nicht fertig. Als das Trainingsspiel beginnt, knöpft er sich Spieler um Spieler vor. Lesen Sie das Protokoll seines Rundumschlags!

30.08.2012:

Allofs warnt vor den HSV-Schlaffis

05.09.2012:

Hier quält Babbel seine Versager

15.09.2012:

Magath begnadigt zwei Versager
Spiele wie diese nennen Trainer “Abnutzungskampf”. BILD nennt sie Schlafpille! Augsburgs 0:0 gegen Wolfsburg war der bisher größte Langweiler der Saison. (…) Unterhaltsam war höchstens, wie VfL-Torwart Benaglio nach einem Rückpass seinen eigenen Abwehrchef Pogatetz aus zwei Metern kernig umschoss (4.).

17.09.2012:

WAS IST BLOSS MIT DEM HOFFENHEIM-TORWART LOS? - SCHIESSBUDE WIESE

22.09.2012:

Heldt sauer auf die Schalke-SchlaffisErst Pfiffe, dann eisiges Schweigen ihrer Fans. Höchststrafe für die Schalker Versager!

23.09.2012:

FC Hasenfuß 04 -- Kein Mut - Keine Chance - Keine Leidenschaft
Aufgabe wegen Unterlegenheit! (…) Schalkes Schlaffis ergaben sich den Bayern bereits nach 58 Minuten und beerdigten ihre heimlichen Titel-Träume. (…) FC Hasenfuß 04! (…) FC Hasenfuß 04! (…) Schalkes Profis wollten beweisen, dass sie endlich etwas näher an die Bayern herangerückt sind. Stattdessen stolperten sie (bis auf eine starke Viertelstunde vor der Halbzeit) wie Amateure durch die Arena. (…) FC Hasenfuß 04!

01.10.2012:

GLADBACH-TRAINER FAVRE - Abrechnung mit seinen Versagern
Der Gladbach-Absturz! (…) BUHRUSSIA! (…) Borussia-Trainer Lucien Favre (54) nagelt gegen die Gladbach-Versager gnadenlos. (…) BUHRUSSIA!

01.11.2012:

(…) Zu viel Larifari, da lässt Luhukay seine Luschen laufen!

01.11.2012:

Neuhaus droht Pokal-Schlaffis mit harter Welle

24.11.2012:

(…) Note 6 für elf 96-Profis.

09.12.2012:

Werders Tor-Trottel

13.12.2012:

AM RASEN KANN'S NICHT LIEGEN... - Stevens' Schlaffis haben keine Ausreden mehr

15.12.2012:

(…) Zehnmal BamS-Note 5 oder 6 für die HSV-Versager!

02.01.2013:

(…), als die Hinrunden-Versager [TSG Hoffenheim] nach exakt zwei Stunden müde und kaputt in die Katakomben schlichen.

04.02.2013:

LAUFFAUL, ABWEHRSCHWACH, KEINE PUSTE - Heldt droht Schalke-Versagern

11.02.2013:

(…) Die grausamen Szenen aus Sandhausen kriegen Paulis Versager morgen noch mal zu sehen. Video-Analyse!

12.02.2013:

Rüttelt er damit die Schalke-Versager wach?

15.02.2013:

(…) Der Trainer verspricht einen mutigen und offensiven Auftritt seiner Auswärts-Schlaffis [Hannover 96].

17.02.2013:

Neue Pleite für Hoffnungslosheim

18.02.2013:

(…) Dann hat Müller noch einen Tipp für seine Versager [TSG Hoffenheim].

21.02.2013:

(…) Es ist das bisher wichtigste Spiel der Vereinsgeschichte!

Die Loser aus Hoffenheim, die trotz Verstärkungen für zehn Millionen Euro in der Winterpause weiter abstürzten, beim letztjährigen Aufsteiger.

24.02.2013:

Die Hoffenheimer Versager führten Zweikämpfe zerbrechlich wie Ballett-Tänzer.

24.02.2013, (BILDblog berichtete):

MÜLLHALDE HOFFENHEIM - 300 Mio Euro in die Tonne getreten
Hoffenheim nur noch mega-peinlich…

1899 Hoffenheim taumelt nach der peinlichen 1:2-Pleite in Augsburg wehrlos Richtung Zweiter Liga. Zehn Niederlagen aus den letzten zwölf Spielen – Absturz auf Abstiegsplatz 17.

Auch die neuen 1899-Trikots in grellem Müllmann-Orange brachten nicht die erhoffte Wende.

MÜLLHALDE HOFFENHEIM!

So tritt die seelenlose Söldnertruppe die 350 Millionen Euro, die Mäzen Dietmar Hopp in den letzten 20 Jahren in den Klub investiert hat, in die Tonne!

25.02.2013:

(…) Ein Spiel Bewährung für die Hannover-Versager.

10.03.2013:

10 MAL NOTE 6 - Die FÜRTHerlichen - Bundesliga sagt DANKE für Nichts!

16.03.2013:

Jetzt muss Schluss sein mit den roten Auswärts-Schlaffis [Hannover 96]!

16.03.2013:

(…) Trainer Markus Weinzierl (38) erwartet jedoch eine Trotzreaktion seiner Derby-Versager [FC Augsburg].

16.03.2013:

Jones staucht Schalke-Schlaffis zusammen
(…) Schalkes Offensive versagte krass. Obasi – Note 6! Raffael – Note 6! Bastos und Pukki – Note 5!

Am selben Tag, die “Schalke-Schlaffis” kamen gerade vom “kläglichen” 0:3 in Nürnberg zurück, erhielt Timo Hildebrand die beleidigende Nachricht auf  Facebook. Drei Tage später fragte “Bild”:

Woher kommt der Hass gegen eigene Spieler?

Plagiorious

Der Eurovision Song Contest rückt näher. Wird mal wieder Zeit für:PLAGIATSALARM!

Es ist eine seit Jahrzehnten fast schon liebevoll gepflegte ESC-Tradition. Und in diesem Jahr geben sich die “BamS”-Reporter besonders viel Mühe bei dem Versuch, den deutschen ESC-Teilnehmern ein Plagiat nachzuweisen. Es geht um die Band “Cascada”, die Deutschland beim diesjährigen ESC in Malmö mit ihrem Song “Glorious” vertreten wird, der für viele, nun ja, gewisse Ähnlichkeiten mit dem Sieger-Song aus dem letzten Jahr aufweist.

In der gestrigen Ausgabe fragte “BamS” dann:PLAGIATSALARM! - Muss Cascada vor dem Grand Prix zurücktreten?

Die letzten Takte des Siegertitels perlten noch in der Luft, da musste sich die Gewinnerin schon Plagiatsvorwürfe anhören. Klingt “Glorious”, also unser Lied für Malmö, nicht genau wie “Euphoria”, also der ESC-Siegertitel von 2012?

Um diese Frage zu beantworten, holt sich “BamS” diesmal sogar professionelle Unterstützung:

BILD am SONNTAG übergab “Euphoria” und “Glorious” als Musikdateien dem Institut für Sprachwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

Vermutlich waren alle Musikwissenschaftler Deutschlands gerade auf einem gemeinsamen Musikwissenschaftlerausflug, weshalb “BamS” auf ein sprachwissenschaftliches Institut zurückgreifen musste. Aber was soll’s – es sind ja Wissenschaftler. Und die kennen sich aus. Es klingt zumindest so:

Ein Sprachanalyse-Programm warf den ESC-Sieger von 2012 und den deutschen Beitrag von 2013 als Oszillogramm und Sonagramm in dreidimensionaler Frequenzdarstellung aus: ein akustischer Fingerabdruck, bei dem sich Laustärke, Grundfrequenz und Spektraldaten penibel genau vermessen und vergleichen lassen.

Scheinbar hat sich der ganze Aufwand gelohnt, denn:

Das Ergebnis ist eindeutig. “‘Glorious’ wirkt wie eine Kopie von ‘Euphoria’ mit kleinen, raffinierten stilistischen Änderungen”, sagt die Phonetikerin Dr. Tina John, 31.

Aufbau der Beats, Gesangsdynamik und Pausensetzung stimmten in weiten Teilen überein. “Am Anfang ist der Gesang absolut identisch, der Refrain benutzt die gleiche Akzentuierung, der Schluss gipfelt in einer identischen Kombination. Die Sängerinnen benutzen sogar die gleiche Atemstylistik.”

Kurz: ein Plagiat in einem Atemzug! ESC-Experte Jan Feddersen, 55: “Wenn es sich bei ‘Glorious’ um eine Kopie von ‘Euphoria’ handelt, dürfte Cascada nicht antreten.”

Andere Medien fanden das alles offenbar schlüssig und griffen die Nachricht rasch auf. Dabei macht die “Bild am Sonntag” allein mit dem lieblos drangeklatschten Schlusssatz ziemlich deutlich, worauf sie hier hinauswill: Auch dem letzten Skeptiker soll klar werden suggeriert werden, dass es auf die in der Überschrift gestellte Frage letztlich nur eine Antwort gibt. Und die steht für “BamS” längst fest.

Jan Feddersen “bereut” es derweil, dem “BamS”-Reporter diesen “banalen, immerwahren Satz” gesagt zu haben, wie er im Eurovision-Blog des NDR zugibt. Laut seinen Angaben hatte der Reporter ihm gegenüber behauptet, die Analyse gehe auf “eine Kieler musikwissenschaftliche Abteilung” zurück.

Ich antwortete jedenfalls, ich hielte die Debatte für Unfug, schwachsinnig und doof – weil Loreen und Natalie Horler [Sängerin von “Cascada”] möglicherweise sich der gleichen überlieferten Tonfolgen bedienten, wie die meisten Musiker auch. Aber die Titel hörten sich für mich ähnlich an, allerdings einschränkend, dass ich persönlich kaum in der klassischen Musik differenzieren könne, ebenso wenig im Techno oder im Bereich der Dancegeschichten.

“Glorious” klinge “für dance-ungeübte Ohren wie alle Musik, die in Großdissen so gespielt wird” — ebenso wie sich für Menschen, “die kein Gefühl für Jazz oder Blues haben”, alle “Blues-Songs oder Jazzdinger vollständig gleich” anhörten.

Insofern: In der Frage der “Bild am Sonntag” steckt bereits eine dümmliche Unterstellung, die naiv tut und doch nur Skandal will.

Davon mal abgesehen ist die Methode, mit der “BamS” hier auf vermeintlich wissenschaftliche Weise ein Plagiat nachgewiesen haben will, natürlich mehr als fragwürdig.

Wir haben den Musikwissenschaftler Dr. Klaus Frieler gefragt, was er von der in “BamS” beschriebenen Untersuchungsmethode hält. Frieler ist seit Jahren als musikwissenschaftlicher Gutachter tätig, insbesondere wenn Plagiatsverdacht erhoben wird. Derzeit ist er für ein Forschungsprojekt an der Hochschule für Musik “Franz Liszt” in Weimar tätig. Er hat uns unter anderem beschrieben, wie er im Fall eines offiziellen Plagiatsgutachtens vorgeht. Er schreibt etwa:

Ein Sonagramm ist kein adäquates Mittel, um Musikwerke zu vergleichen, dazu sind die dort enthaltenen Informationen bei einem komplexen Musikstück mit einem Mix vieler Instrumente viel zu sehr miteinander verschränkt, als dass eine einfache Zuordnung der spektralen Anteile zu den einzelnen Instrumenten möglich wäre. (…)

Für ein Plagiatseinschätzung bedarf es viel musikwissenschaftliches Hintergund- und Fachwissen, sorgfältige Abschätzung der Werkteile im jeweiligen musikalischen und stilistischen Kontext usw. Kurz, ein seriöses Plagiatsgutachten basiert immer auf menschlichem Expertenwissen, mit manueller, maximal semiautomatischer Transkription der melodischen Anteile. Diese Arbeit kann zwar durch die Hilfe des Computers im Einzelfall erleichtert, aber bisher (und wahrscheinlich auch in Zukunft) durch diese nicht ersetzt werden.

Frieler hat sich die beiden Songs selbst mal angehört. Für eine “hieb- und stichfeste Einschätzung” müsste er zwar erst “eine genauere Analyse (vor allem der Melodien)” durchführen, doch nach einem ersten Höreindruck schreibt er:

Ich denke mittlerweile, wenn ich das noch weiter analysieren würde, käme ich wohl eher zu dem Schluss, dass es sich **nicht** um ein Plagiat handelt, sondern wahrscheinlich um ein Soundalike. Ein Soundalike ist ein Werk, das einen sehr ähnlichen Gesamteindruck wie ein Original bewirken soll, aber in den entscheidenden, geschützten musikalischen Details abweicht. Sehr üblich in der Werbung, um Lizenzgebühren zu sparen. Hier wahrscheinlich mit der (bewussten oder unbewussten) Absicht geschehen, an dem Vorjahreserfolg von Loreen anzuknüpfen.

(Die ausführliche Version dieser Einschätzung ist hier nachzulesen.)

Der NDR hat nach Aufkommen der Vorwürfe mittlerweile ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, wie ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber am Wochenende mitteilte. Er fügte hinzu:

Im Übrigen gehören Versuche, den ESC zu skandalisieren und Plagiatsvorwürfe nach den Sendungen zur Folkore des ESC: Im vergangenen Jahr wurde Loreen und ihren Produzenten vorgeworfen, dass “Euphoria” bei drei verschiedenen Titeln “geklaut” sei, unter anderem bei Rihanna und David Guetta.

Diese Anschuldigungen hätten sich aber als haltlos erwiesen. So wie im Übrigen fast alle Plagiatsvorwürfe, die bisher im Rahmen des ESC erhoben wurden. Dem Jagdfieber im Hause Springer tut das aber keinen Abbruch. Schon am Tag nach dem Vorentscheid stöhnte Bild.de:Haben wir wirklich nichts Besseres für den Grand Prix?

Und liebäugelte am selben Tag noch mit den Zweitplatzierten des Vorentscheids, mit den “verrückten Jungs” von “LaBrassBanda”, die für viele ja die “Sieger der Herzen” seien. Die Leser werden ohne große Umschweife gefragt: “Hätten Sie lieber LaBrassBanda beim ESC 2013 gesehen?” Das Ergebnis — mal wieder eindeutig:Umfrage: "Hätten Sie lieber LABrassBanda beim ESC 2013 gesehen?" - Antwort a: "Ja, die Band hat im Vorentscheid überzeugt." - 100 Prozent. Antwort b: "Nein, Cascada wird uns würdig in Schweden vertreten." - 0 Prozent.

Wobei die Umfrage doch ein wenig an Überzeugungskraft verliert, wenn man sieht, wie viele Leute sich an ihr beteiligt haben:
Beendet am: 16.02.2013 - Stimmen: 1

Mit Dank an Dennis, Holger K. und Monika G.

Nachtrag, 26. Februar: Inzwischen ist auch der vom NDR beauftragte Gutachter zu einem Ergebnis gekommen. Auf der deutschen ESC-Seite heißt es:

Cascadas ESC-Song “Glorious” ist kein Plagiat von Loreens Vorjahres-Siegertitel “Euphoria” – das hat ein vom NDR in Auftrag gegebenes Gutachten ergeben. “Es lässt sich zusammenfassen, dass ‘Glorious’ und ‘Euphoria’ keine urheberrechtlich bedeutsamen Übereinstimmungen aufweisen. Sie sind lediglich stilistisch ähnlich und zeigen nur im Arrangement eine oberflächliche Berührung ohne urheberrechtlichen Belang”, so das Fazit von Matthias Pogoda, der seit 1992 als Musikgutachter und Sachverständiger für Plagiatsfragen tätig ist und unter anderem Musikverlage und Urheberrechtskammern als Gerichtsgutachter berät.

(…)  In seiner Bewertung schreibt der Musikexperte abschließend: “Für einen begründeten Plagiatsvorwurf müssten meines Erachtens detaillierte Übereinstimmungen einer längeren Begleitpassage vorliegen und weitere Arrangementbestandteile passgenau übereinstimmen. Dies ist hier nicht der Fall.”

So schnell wird man zum Kinderschänder

Stellen Sie sich vor, Sie fahren morgens mit Ihrem Auto durch die Stadt. Plötzlich läuft ein kleines Mädchen auf die Straße, weil es abgelenkt ist und nicht auf die Straße schaut. Sie schaffen es noch rechtzeitig zu bremsen und ermahnen das Mädchen, es solle doch besser auf den Verkehr achten. Dann fahren sie weiter.

Und jetzt stellen Sie sich vor, vier Tage später sehen Sie dasselbe Mädchen noch mal. Und zwar in der “Bild am Sonntag”. Unter dieser Überschrift:
So entkam meine Tochter einem Kinderschänder

Dort lesen Sie dann:

Es ist der Albtraum jeder Mutter: das Kind, entführt auf dem Schulweg. Der 10-jährigen [X] aus Essen (NRW) ist es beinahe passiert. […]

Als [X] an der Fußgängerampel steht, wird sie von einem Mann in einem schwarzen VW-Bus angesprochen. “Er wollte, dass ich zu ihm komme”, sagt [X]. Sie reagiert nicht, wie es ihr ihre Mutter [Y] beigebracht hat – nicht mit Fremden sprechen.

Aber der unheimliche Mann (lange Haare, Sonnenbrille) gibt nicht auf. Vor der Schule hält er ganz dicht neben [X]. Plötzlich greift er zu, hält das Mädchen fest. [X]: “Ich wollte mich losreißen, aber er hielt mich zu fest.” Offenbar will der Mann die Schülerin in den Bus zerren. Da beißt sie ihm mit aller Kraft in den Arm. [X]: “Dann hat er losgelassen.”

All das lesen Sie also in der “Bild am Sonntag”. Und dieses Mädchen ist nicht nur dasselbe, das Ihnen vier Tage zuvor begegnet ist, auch der Ort und der Zeitpunkt der Begegnung sind identisch. Das heißt: Der “Entführer”, der “unheimliche Mann”, der “Kinderschänder” — das sind Sie.

Was an jenem Tag auf dem Schulweg des Mädchens tatsächlich vorgefallen ist, lässt sich nicht ganz eindeutig rekonstruieren. Zumindest nicht so eindeutig, wie die “Bild am Sonntag” es gerne hätte.

Sicher ist nur: So, wie das Blatt die Geschichte schildert, kann die Polizei sie nicht bestätigen. Denn die hält, wie sie gestern in einer Pressemitteilung klargestellt hat, eine ganz andere Version für die Wahrscheinlichste:

Nach der Medienberichterstattung einer Boulevardzeitung vom 23. September über den Fall einer versuchten Kindesentführung […], können die Ermittler heute Entwarnung geben.

Nach der Anhörung der 10-Jährigen und einer Befragung des 38-jährigen vermeintlichen Tatverdächtigen ließ sich deren Kontakt wie folgt erklären:

Der Autofahrer schilderte, dass er die 10-Jährige aus seinem Auto heraus ermahnt habe, weil sie im Straßenverkehr nicht aufgepasst habe. […]

Der von dem Mädchen geschilderten Tatablauf, dass sie von dem Autofahrer darüber hinaus angefasst worden sei, ist von ihrer Schilderung her für die Ermittler nicht nachvollziehbar.

Es ist möglich, dass sie sich so erschreckt hat, dass ihr die Phantasie einen Streich gespielt hat.

Ganz abgesehen davon, dass es für die Leute von “BamS” nur die logische Konsequenz zu sein scheint, den mutmaßlichen Täter einer angeblich versuchten Entführung sofort als “Kinderschänder” zu bezeichnen, hat die Polizei also starke Zweifel an der Version des Mädchens.

Zweifel sind den Leuten von der “Bild am Sonntag” aber offenbar keine gekommen. Dabei hätte ein Anruf bei der Polizei genügt, um zu erkennen, dass die Schilderungen des Mädchens dort als “nicht nachvollziehbar” gelten. Doch dieser Anruf blieb aus. Die “BamS” habe zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit der Polizei aufgenommen, teilte uns die Polizeisprecherin Tanja Hagelüken auf Anfrage mit.

Sorgfältiger recherchiert haben hingegen die Journalisten von RTL — genützt hat es trotzdem nichts. Im Gegenteil: Obwohl die Polizei den RTL-Leuten nach eigenen Angaben am Sonntag mitgeteilt hatte, die Version des Mädchens könne so nicht bestätigt werden, berichtete das Magazin “Punkt 9” am Montag ebenfalls ausführlich über den Fall aus Essen — ohne die Zweifel der Polizei auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen.

Aber immerhin war RTL im Gegensatz zur “BamS” so gnädig, vor den “Kinderschänder” noch ein “mutmaßlich” zu setzen.

Mit Dank an Melanie N., Stefan und Micha.

Volks-Wagen

Vor ein paar Tagen wurde in Berlin der neue VW Golf vorgestellt. Zu Gast auf der pompösen Premierenfeier waren – neben einigen “Stars” – vor allem jede Menge Journalisten. Ungewöhnlich ist das nicht, immerhin ist der Golf eines der meistverkauften Autos der Welt.

Ungewöhnlich ist vielleicht eher, in welchem Ausmaß “Bild” und Bild.de seit einer Woche über den neuen Golf berichten:

4. September 2012:
Wie gut kennen Sie den VW Golf?

4. September 2012:
So wurde der Golf zum Bestseller

4./5. September 2012:
Hier steht der neue VW Golf 7

5. September 2012:
Das steckt im neuen VW Golf 7!

Im Live-Ticker von der Premierenfeier (“So ein netter Empfang…”) fasst Bild.de übrigens “die wichtigsten Neuerungen zusammen”: “FEINER” (…), “LEICHTER” (…), “SICHERER” (…), “WENDIGER” (…), “SPARSAMER” (…), “GRÖSSER” (…), “VERNETZTER” (…).

5. September 2012:
Der neue VW Golf 7 bremst automatisch

5. September 2012:
So feiert VW den neuen Golf 7!

“Bild”, 5. September 2012:
Das kann der NEUE GOLF VII

Wie gut ist der neue Golf?

5. September 2012:
Geheimwaffe Golf!

6. September 2012:
Golf, wat haste dir verändert!

6. September 2012:
"Dirty Harry" guckt dem neuen Golf unter die Haube

6. September 2012:
Diesen Golf versteckt VW

“Bild am Sonntag”, gestern:
Hier baut BamS den neuen Golf

Fotogalerie 1:
Fotogalerie: Das ist der neue Golf VII

Fotogalerie 2:
Fotogalerie: Das ist der neue Golf VII

Fotogalerie 3:
Fotogalerie: Das ist der neue Golf VII

Fotogalerie 4:
Fotogalerie: VW-Bestseller seit 1974

Fotogalerie 5:
Fotogalerie: Premiere des neuen Golf

Fotogalerie 6:
Fotogalerie: Das ist die große Golf-Familie

Mit Dank auch an Axel S.

Der BKA-Nazi-Lösch-Skandal, der keiner war

Es sei ein “beispielloser Vorgang”, da war sich die “Bild am Sonntag” sicher: Ein Beamter der Bundespolizei, der bei den Ermittlungen gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU für das BKA Handydaten ausgelesen hatte, soll diese “am 8. Dezember vergangenen Jahres nach Dienstschluss” “heimlich” und “systematisch” vernichtet haben.

So stand es am 12. Februar in der Zeitung:

Bundespolizist Jens B. sollte nach der Auswertung der Handys die Daten ans BKA übergeben und dann auf seinem Computer umgehend löschen. “Bitte löschen, wenn ich dir zurück melde, dass ich die DVD lesen kann”, schrieb BKA-Mitarbeiterin Alexandra-Maria F. am 7. Dezember an Jens B.

Was auf den ersten Blick wie Routine wirkt, ist in Wahrheit ein beispielloser Vorgang: Die BKA-Ermittlerin F. forderte den Polizeibeamten Jens B. zu Vernichtung von Beweismitteln und damit zu einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Dienstpflicht auf. Denn die Bundespolizei muss sämtliche Ermittlungsergebnisse mindestens bis zum Abschluss des jeweiligen Gerichtsverfahrens aufbewahren, weil die Beamten wichtige Zeugen werden könnten. Dann müssen sie genau belegen, woher die von ihnen beschafften Daten stammen.

“Bild am Sonntag” war so besorgt über den Vorgang, dass sie sogar einen echten Sicherheitsexperten zu dem Thema befragt haben:

“Für die zielgerichtete Vernichtung von Beweismitteln durch eine Polizeibehörde in einem laufenden Ermittlungsverfahren, noch dazu auf Wunsch des BKA, kann es keine harmlose Erklärung geben”, betont ein Sicherheitsexperte gegenüber BILD am SONNTAG. Der dubiose Vorgang “riecht nach Beweisunterdrückung durch das BKA”.

Derlei “Experten” waren es dann auch, die “Bild am Sonntag” dazu bewogen, das ganz große Fass der Verschwörungstheorie aufzumachen:

Doch welches Geheimnis bergen die Handydaten? Polizeiexperten halten eine mögliche Erklärung, dass das BKA Informanten im Umfeld der Neonazi-Bande schützen will. Führen die Spuren der auf den Handys gespeicherten Telefonnummern, Text- und Bildnachrichten direkt ins BKA?

Immerhin: Auch beim BKA hatte “Bild am Sonntag” nachgefragt — und dann doch eine eher harmlose Erklärung erhalten:

Und was sagt das BKA zur Datenlöschung? Dazu erklärt ein BKA-Sprecher etwas umständlich: “Um in diesem sensiblen Verfahren eine Dislozierung der vorhandenen Asservate in verschiedenen Behörden zu vermeiden, wurde seitens BKA die Bundespolizei gebeten, als Kopie vorhandene Handydaten zu vernichten.” Unter Dislozierung versteht man eine Verteilung an unterschiedlichen Orten.

“Bild am Sonntag” hielt die Erklärung offenbar für wenig plausibel.

In seinem Kommentar ging Michael Backhaus, stellvertretender Chefredakteur der “Bild am Sonntag” dann auch vom Schlimmsten aus:

Der Bundespolizeibeamte B. mag gedacht haben, er tue den Kollegen vom BKA nur einen kleinen Gefallen, als er die Daten aus dem Handy eines mutmaßlichen Helfers der Zwickauer Terroristen in einer Datenbank löschte.

In Wahrheit war das möglicherweise ein Schlag gegen Prinzipien unserer Verfassung. Als Lehre aus der Nazizeit wurde in der Bundesrepublik ein Rechtsstaat etabliert wie nur in wenigen Staaten weltweit. Rechtsstaatlichkeit ist so etwas wie die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland.

Mit den Prinzipien des Rechtsstaats aber ist es in keiner Weise zu vereinbaren, dass Polizisten Beweismittel manipulieren oder gar zerstören, wie hier offenkundig geschehen. Denn solche Daten erhalten möglicherweise Hinweise auf oder Beweise für bislang nicht aufgeklärte Verbrechen.

Zweifel an der Version seiner Zeitung äußerte er eher pro forma:

Sollte das BKA tatsächlich in manipulativer Absicht die Löschung der Daten bei der Bundespolizei veranlasst haben, dann haben wir es mit einem neuen Skandal in den mit Pannen und Fehlern reich gesegneten Ermittlungen gegen die Zwickauer Terrorzelle zu tun.

Andere Medien berichteten noch am gleichen Tag darüber, dass das BKA “offenbar” Ermittlungsdaten habe löschen lassen.

Am darauffolgenden Tag war die Geschichte in “Bild” schon deutlich kleiner. Die Überschrift lautete auch nicht mehr “Warum ließ das BKA wichtige Nazi-Ermittlungsdaten heimlich löschen?” sondern “Löschte BKA Ermittlungsdaten?”:

Berlin -Das BKA hat im Fall des Zwickauer Neonazi-Trios bei der Bundespolizei Ermittlungsdaten, u. a. Handydaten des mutmaßlichen Terror-Unterstützers Andre E., löschen lassen, berichtet die BILD am SONNTAG. Das BKA hat den Bericht bereits zurückgewiesen.

Die “taz” schrieb dazu einen Tag nach der “BamS”:

Das BKA hat ungewöhnlich heftig auf den Bericht reagiert. Der Vorwurf, man habe Beweismittel vernichtet und unterdrückt sei “absurd”, teilte die Behörde mit. “Alle in der Berichterstattung der Bild am Sonntag vorgenommenen Mutmaßungen und getroffenen Schlussfolgerungen sind unzutreffend.”

Die Version des Bundeskriminalamts geht so: Die Bundespolizei habe im Rahmen einer Amtshilfe die Daten auf dem Handy des mutmaßlichen Terrorunterstützers André E. ausgelesen. Eine anwesende BKA-Mitarbeiterin habe diese anschließend samt Telefon mitgenommen. Schließlich sei die Bundespolizei dann gebeten worden, ihre Kopie der Daten zu löschen: um die Daten “an einer Stelle zu konzentrieren”.

Die Daten seien auch nach wie vor “vollständig und unverändert” vorhanden und stünden der Bundesanwaltschaft für die Ermittlungen zur Verfügung. “Das BKA schützt weder Neonazis noch Informanten aus der rechten Szene”, teilte BKA-Chef Jörg Ziercke mit.

Immerhin soll aber das Bundesinnenministerium eine umfassende Erklärung von der BKA-Amtsleitung zu dem Vorgang angefordert haben.

Es wäre allerdings auch nicht das erste Mal, dass die Springer-Presse im Zusammenhang mit der rechtsextremen Terrorzelle “Nationalsozialistischer Untergrund” etwas hochzieht, das sich beim Genaueren hinschauen als halbwahr oder ganz falsch herausstellte.

Und so war es dann wohl auch diesmal wieder: Der beschuldigte Bundespolizeibeamte ging gegen die Berichterstattung vor und erwirkte eine Einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer AG. Im April veröffentlichte “Bild am Sonntag” zwei Gegendarstellungen des Mannes.

Am 7. August entschied dann das Landgericht Berlin, dass “Bild am Sonntag” und Bild.de nicht weiter behaupten dürfen:

  • dass die BKA-Beamtin den Bundespolizisten zur Vernichtung von Beweismitteln und damit zu einem schwerwiegenden Verstoß gegen die Dienstpflicht aufgefordert habe,
  • dass der Bundespolizist Handydaten gelöscht habe (ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass diese Daten auch nach der Löschung noch bei der Bundespolizei vorhanden waren),
  • dass der Bundespolizist nach Dienstschluss heimlich Handydaten gelöscht habe,
  • dass der Bundespolizist Beweismittel manipuliert oder gar zerstört habe.

Die beanstandeten Artikel sind bei Bild.de und aus dem Zeitungsarchiv verschwunden.

Die Geschichte dieses “beispiellosen Vorgangs” taucht diese Woche als Randepisode in einem “Focus”-Artikel über die Zustände bei der Bundespolizei auf und geht dort so:

Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen Innenministerium und Bundespolizei ist, wurde Anfang 2012 deutlich, im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur Terrorzelle NSU: Heinz-Dieter M., Abteilungsleiter im Potsdamer Präsidium, hatte gegenüber einem ranghohen Beamten des Ministeriums offiziell den Verdacht geäußert, das Bundeskriminalamt (BKA) könne einen Informanten “im Umfeld des Trios” geführt haben – ein schwerer Vorwurf.

Hintergrund der wüsten Spekulation, die später auch in der Öffentlichkeit kursierte: Jens B. von der Bundespolizei hatte auf Bitten des BKA Handy-Daten eines NSU-Verdächtigen gelöscht. Weil M. in die Aktion nicht eingebunden war, witterte er eine Verschwörung. Die Bundesanwaltschaft vernahm ihn als Zeugen.

Am Ende stellte sich heraus, dass die Bundespolizei lediglich eine Kopie der sensiblen Daten gelöscht hatte, das Original lag beim BKA. So war es nur den wilden Fantasien eines hohen Polizisten zu verdanken, dass das BKA zu Unrecht in den Verdacht geriet, Neonazis zu schützen.

“Wilde Fantasien” — genau das richtige für “Bild am Sonntag”.

Mit Dank an Frank und Martin.

Der frühe Vogel

Martin Eisenlauer ist der Mann, den sie in “Bild am Sonntag” den “Tech-Freak” nennen, was vermutlich so etwas bedeuten soll wie “der nette Nerd von nebenan”. Gestern schrieb er über “die spannendsten Neuheiten in Google und Bing Maps”, was vermutlich so etwas bedeuten soll wie “verrückte Sachen, die ich jetzt erst entdeckt habe”.

Über den Kartendienst von Microsofts Suchmaschine Bing schreibt er:

Besonders eindrucksvoll ist die neue 
Vogelperspektive.

Sie ersetzt die klassische “Satelliten”- Ansicht und zeigt statt Dächern die Seitenwände von Gebäuden. Dazu wurden rund 215 Terabyte neuer Bilder hochgeladen, das ist eine Menge, wenn man weiß, dass 1 Terabyte 1024 Gigabyte sind.

Nun ja: Die halbhohe Vogelperspektive “ersetzt” nicht das Luftbild von oben, sie ist zusätzlich verfügbar.

Und sie ist auch nicht “neu”: Die ersten “Bird’s Eye View”-Bilder von deutschen Städten gingen vor fünfeinhalb Jahren online.

Neu sind in der Tat die 215 Terabyte Bilder, die das bisherige Angebot ergänzen und aktualisieren sollen, wie es im Bing-Blog heißt.

Entsprechend alt ist dann auch das, was “Bild am Sonntag” unter “Neuheiten von Google Maps und Bing” beschreibt:

Dank der “Vogelperspektive” kann man sich viel besser anhand von Luftbildern orientieren. Jeder Kartenabschnitt ist in vier verschiedenen Perspektiven verfügbar, man kann Gebäude also von allen Seiten betrachten. Aufgerufen wird diese Funktion unter maps.bing.de durch einen Klick auf “Vogelperspektive” oben links in der Kartenansicht.

Mit Dank an Knut W.

Abwärts

Die “Bild”-Zeitung, größte deutsche Tageszeitung, hat ihren Auflagenrückgang gestoppt. (…) Ulrike Fröhling von der “Bild”-Verlagsgeschäftsführung führte die aktuelle Entwicklung am Dienstag auf die Veränderungen bei dem Blatt seit dem Wechsel in der Chefredaktion zurück. Neuer Chefredakteur von “Bild” ist seit Anfang des Jahres Kai Diekmann (…).

dpa, 17. April 2001

Der Jubel hielt nicht lange an. Und als es mit der Auflage der “Bild”-Zeitung kurz danach wieder bergab ging, sollte es nicht mehr am Chefredakteur liegen.

Im April 2002 hatte Kai Diekmann noch eine originelle Erklärung dafür, warum deutlich weniger Leute die “Bild”-Zeitung kauften. Der “Tagesspiegel” gab sie damals so wieder:

Seien früher die Leute morgens zum Kiosk gegangen, hätten eine Mark für “Bild” hingelegt und automatisch vom Verkäufer den vorbereiteten Groschen rübergeschoben bekommen, würden sie nun auf der Suche nach Münzen im Portmonee fummeln. An der Kasse bilden sich Schlangen, der Kaufvorgang sei im Gegensatz zu früher kein unbewusster mehr.

Schuld seien außerdem das Gefühl der Verbraucher, dass alles teurer geworden sei, die hohe Arbeitslosigkeit und die sinkende Zahl von Verkaufsstellen.

Das war vor knapp zehn Jahren.

Und so haben sich die Auflagen von “Bild” und “Bild am Sonntag” weiter entwickelt, nachdem die Menschen sich an das neue Geld gewöhnt hatten und die Arbeitslosigkeit gesunken war:

Als sich Anfang 2011 abzeichnete, dass das Blatt bald keine drei Millionen Exemplare mehr verkaufen würde, sagte er dem “Focus” wie zur Erklärung:

Schauen Sie mal raus. Es ist kalt, es schneit, da gehen weniger Menschen zum Kiosk.

Es hörte auf zu schneien, es wurde Sommer, die Auflage der “Bild”-Zeitung sank weiter.

Diekmann hat aber noch eine andere Ausrede, auf die er seit Jahren zurückgreift: Sein Blatt verliere zwar Käufer, aber nicht so viel wie die anderen Blätter. Im Verhältnis zum schrumpfenden Markt gewinne “Bild” also sogar an Auflage.

Im Gespräch mit dpa, 2012:

dpa: “Wenn wir die Verkaufskurve weiterziehen, gibt es in 15, 20 Jahren keine “Bild” mehr…”

Diekmann: “Da wir kontinuierlich Marktanteile gewinnen, würden vorher sehr viele andere Zeitungen und Zeitschriften vom Markt verschwinden. Im Ernst, diese Rechnung ist Quatsch.”

Gegenüber dem “Focus” 2011:

“Wir haben in Deutschland einen insgesamt rückläufigen Markt. Das Mediennutzungsverhalten ändert sich. Die junge Generation bezieht ihre Informationen nicht mehr automatisch auf Papier, sondern etwa über digitale Kanäle. In diesem Markt ist “Bild” stabiler als andere. Deshalb haben wir unseren Marktanteil bei den Boulevardzeitungen weiter ausgebaut.”

Gegenüber der “Süddeutschen Zeitung” 2010:

“Der Tageszeitungsmarkt ist insgesamt rückläufig, die Auflage fast aller Zeitungen geht zurück. In diesem Umfeld verdienen wir mit Bild so viel wie noch nie. Wir haben mit mehr als zwölf Millionen Lesern die höchste Reichweite und im Einzelverkauf den größten Marktanteil unserer Geschichte.”

Im “Tagesspiegel” 2002:

“In einem Marktumfeld, in dem unseren Wettbewerbern die Hände und Füße abfrieren, niesen wir gerade mal. Das macht mich nicht glücklich. Aber immerhin trotzten wir im letzten Jahr dem rückläufigen Markttrend, gewannen sogar Auflage hinzu. Doch jetzt konnten wir uns dem Markttrend zumindest nicht völlig entziehen.”

Spiegelt die sinkende Auflage von “Bild” (und “Bild am Sonntag”) also wirklich nur den Abwärtstrend bei Zeitungen insgesamt wider? Und schlagen sich die Blätter, wie Diekmann seit vielen Jahren in leicht wechselnden Formulierungen behauptet, innerhalb dieses Trends besser als die Konkurrenz?

Nun. Dies ist die relative Entwicklung der Boulevardzeitungen in Deutschland seit 1998:

Alle haben Auflage verloren, aber “Bild” ragt dabei keineswegs positiv heraus. Sie verliert mit erstaunlicher Konstanz dramatisch Käufer. Wenn man als Bezugspunkt 2001 nimmt, das Jahr des Dienstantritts von Kai Diekmann, hat keine Boulevardzeitung in diesem Zeitraum einen so hohen Anteil an Auflage verloren wie “Bild” (38 Prozent) und “Bild am Sonntag” (44 Prozent). Auch bezogen auf die vergangenen beiden Jahre stehen “Bild” und “Bild am Sonntag” schlechter da als die regionale Konkurrenz mit Ausnahme ihres Berliner Schwesterblattes “B.Z.”

Falls nicht die kleinen regionalen Boulevardzeitungen der richtige Bezugspunkt für “Bild” sind, sondern die anderen überregionalen Blätter:

Und, der Vollständigkeit halber: So gut hat “Bild am Sonntag” im Vergleich zu anderen Sonntags- und Wochenzeitungen ihre Auflage in den vergangenen zehn Jahren gehalten:

Die “Bild”-Zeitung hat es unter anderem dank Preiserhöhungen um insgesamt 100 Prozent seit dem Amtsantritt Diekmanns geschafft, ihre Gewinne trotz sinkender Auflagen zu erhöhen. Misst man den publizistischen Erfolg des Blattes aber an der Zahl seiner Käufer — wie Kai Diekmann es tat, solange die Auflage stieg — ist die Bilanz vernichtend. Und das liegt nicht am Wetter und nicht am Euro.

Opfer eines Autounfalls instrumentalisiert

Das Foto zeigt einen Vater, der weinend auf der Straße hockt und Abschied nimmt von seinem Sohn, der an dieser Stelle gerade bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.

Die “Bild am Sonntag” stellte diesen intimen Moment groß aus; die “Bild”-Zeitung zeigte das Foto am nächsten Tag noch einmal (BILDblog berichtete). Sie taten das angeblich nicht, um die Schaulust zu befriedigen, sondern um die Zahl der Opfer von alkoholisierten Autofahrern zu reduzieren.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Der Presserat missbilligte ihre Berichterstattung trotzdem.

Mehrere Menschen hatten sich über “Bild am Sonntag” und “Bild” beschwert. Sie hätten die Betroffenen ein zweites Mal zu Opfern gemacht und ihre Gefühle der Angehörigen nicht respektiert.

Das Justiziariat der Axel Springer AG erwiderte, die ausschließliche Motivation der Berichterstattung sei es gewesen, auf die schrecklichen Folgen von Alkoholmissbrauch am Steuer hinzuweisen. Es sei unstreitig, dass weniger Unfälle passieren würden, wenn Verkehrsteilnehmern diese Folgen deutlich gemacht würden — auch die Deutsche Verkehrswacht nutze Plakate mit drastischen Darstellungen.

Außerdem sei die Leiche abgedeckt und keiner der Beteiligten identifizierbar.

Der Presserat sah in den Veröffentlichungen zwar keinen Verstoß gegen die Menschenwürde (Ziffer 1 des Pressekodex) und auch keine unangemessen sensationelle Darstellung von Leid (Ziffer 11). “Bild am Sonntag” habe aber die Privatheit der Opfer missachtet (Ziffer 8). In Richtlinie 8.3 heißt es:

Bei Familienangehörigen und sonstigen durch die Veröffentlichung mittelbar Betroffenen, die mit dem Unglücksfall oder der Straftat nichts zu tun haben, sind Namensnennung und Abbildung grundsätzlich unzulässig.

Die Familie sei aufgrund vieler Details identifizierbar. Ihre private Trauer werde einer großen Öffentlichkeit gezeigt. Wenn die Zeitung auf die Gefahren von Alkohol am Steuer hinweisen wollte, hätte sie über den Unfall auch in anderer Form berichten können. “Bild am Sonntag” habe die Betroffenen “instrumentalisiert”.

Alles auf Zucker

Pünktlich zum Beginn des Sommerlochs der Sommerferien titelte die jüngste Ausgabe der “Bild am Sonntag”:
Die Zucker-Falle

Er ist eine süße, versteckte Droge, die wir jeden Tag mit unserer Nahrung aufnehmen: Zucker! Inzwischen verzehrt jeder Deutsche rund 35 Kilo im Jahr. Denn in vielen Getränken und Lebensmitteln ist weit mehr Zucker, als wir vermuten.

Gut, so was erzählen Zahnärzte und Mütter seit Jahrzehnten. Jetzt sind es also die Enthüllungsjournalisten von der “BamS”, die dieser Zucker-Sache mal auf den Grund gehen:

Bild am Sonntag enthüllt, wie viel Zucker wirklich in unseren Lebensmitteln steckt.

Das hat allenfalls mittelgut geklappt.

Denn bei “Bild am Sonntag” haben sie gewürfelt:

BILD am SONNTAG hat 55 Lebensmittel auf ihren Zuckergehalt untersucht und in Zuckerwürfel umgerechnet.

Mit “untersucht” ist offenbar nichts anderes gemeint, als dass die Leute von “Bild am Sonntag” die Nährwert-Angaben von den Verpackungen abgelesen haben. Dabei haben sie festgestellt:

Die Ergebnisse (…) machen mitunter fassungslos.

In der Tat.

So sieht nach “Bild”-Umrechnung zum Beispiel der Zuckergehalt von Marmelade aus:

Über 60 Würfel! Im Gegensatz dazu wirkt das Nutella, das mit weniger als drei kleinen Würfelchen irgendwo zwischen Bauerntopf und Müsli auftaucht, geradezu gesund:

Allerdings liegt das nicht an der guten Milch und den Nüssen. Es liegt daran, dass die “Bild am Sonntag” völlig unterschiedliche Bezugsgrößen verwendet hat: Während sich der Zuckergehalt bei der Marmelade auf das ganze Glas bezieht, wird er bei Nutella nur für einen einzigen Esslöffel angegeben. Auf die gleiche Menge wie die Marmelade (350 Gramm) hochgerechnet, enthielte Nutella 65,3 Würfel Zucker, auf ein normales Nutella-Glas (450 Gramm) bezogen stolze 84. Damit wäre der bei “Bild” sonst so populäre Brotaufstrich mit Abstand das Produkt mit dem höchsten Zuckergehalt.

Überhaupt hat sich “Bild am Sonntag” große Mühe gegeben, die verschiedenen Produkte für den Leser möglichst schlecht vergleichbar zu gestalten: Da trifft “ein Glas Fanta” (0,25 Liter, 8 Würfel Zucker) auf eine “halbe Flasche Coca-Cola” (0,5 Liter, 17,7 Würfel) und “eine Flasche BioZisch von Voelkela Zitrone” (0,33 Liter, 9,3 Würfel), “ein Riegel Yogurette” (12,5 Gramm, 2,3 Würfel Zucker) auf “eine halbe Tüte Haribo Goldbären” (keine genauere Mengenangabe, 15,2 Würfel) und “ein Glas Apfelkompott von Spreewaldhof” (360 Gramm, 20,52 Würfel) und bei den Frühstücksflocken werden mal Portionen von 30, mal von 40 Gramm herangezogen.

Wenn Sie demnächst also im Freibad sitzen und eine Mutter beobachten, die ihrem Kind die Wassermelone (“133 Würfel Zucker”) aus der Hand schlägt und stattdessen ein Glas Nutella reicht, wissen Sie, woran das liegen könnte.

Mit Dank an Dennis K.

Was sich Leute alles einfallen lassen

“Bild am Sonntag” verbrachte neulich einen Nachmittag mit Heidi Klum. Im “exKLUMsiv”- Interview ereignet sich auch folgender Dialog:

Laufen Sie eigentlich, um abzunehmen?

Nein. Aber um fit zu bleiben. Nebenbei, so dünn bin ich nicht. Viele Zeitungen verkündeten sogar, ich sei schwanger, nur weil ich in einem engen Kleid ein Bäuchlein hatte. Und dann wird gerätselt, ob ich ein Höschen trage, nur weil ein Foto im Umlauf ist, das 100-prozentig retuschiert ist. Es ist schon seltsam, was sich Leute alles einfallen lassen, um Schlagzeilen zu haben!

Aus dem Gespräch geht leider nicht hervor, ob diese Passage als eine Art Gegendarstellung gedacht ist, oder ob die Leute bei “Bild am Sonntag” tatsächlich nicht gemerkt haben, was das für Leute waren, die sich für ihre Schlagzeilen was hatten einfallen lassen.

Die Unten-ohne-Debatte

Zur Erinnerung: Es waren die Leute von “Bild”!

Mit Dank an Dennis und Katharina Sch.

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