Archiv für 6 vor 9

Wahrheit und Lüge, Augenzeugen, USB-Infokrieg

1. Presse und Strafrecht
(zeit.de, Thomas Fischer)
Der Bundesrichter Thomas Fischer setzt seine Kolumne zum Teil “Recht und Medien” fort. Diesmal dreht sich alles um Wahrheit und Lüge. Und Fischer breitet seine Gedanken in der Art aus, die so typisch für ihn ist: In einer Mischung von juristischer Fachkenntnis, philosophischen Überlegungen und Ironie. Sein wie immer lesenswerter Beitrag endet mit den Worten: “”Wahrheit” entsteht nicht da draußen in der Kälte, wie Banane, Fruchtsorbet oder Ergebnisse von Bundesligaspielen, und hat uns gefälligst geliefert zu werden. Wahrheit und Lüge sind vielmehr ein Teil von uns selbst. Nachrichten an sich sind wie Keime in der Luft: Erst in einer Petrischale formt sich der Bakterienteppich.”

2. Die Angst der Öffentlich-Rechtlichen vor einer Klage
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
“Möchte man als politischer Journalist wirklich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten?” Diese Frage stellt sich Ulrike Simon, als sie das „Redaktionelle Gesamtkonzept“ des MDR zur Landtagswahl am 13. März in Sachsen-Anhalt liest. Alles, aber auch wirklich alles sei auf diesen 41 Seiten geregelt. Die Furcht vor möglichen Klagen hätte dazu geführt, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen juristisch hieb- und stichfest gegen alles nur Erdenkliche wappnen würden. Der MDR sei nun der erste Sender, der das öffentlich mache.

3. Im Aufwind des Shitstorms
(freitag.de, Konstantin Nowotny)
Ein Mann ruft zu einem internationalen Treffen der Vergewaltigungsbefürworter auf. Natürlich sorgt der Aufruf für netzübergreifende Empörung und breiten Widerstand. Die Aktion beschert dem Mann Gewalt- und Todesdrohungen, aber auch PR. Schließlich gibt er eine Pressekonferenz und sagt die Veranstaltung ab. Der Shitstorm hätte sich für den Mann gerechnet, er sei mit Aufmerksamkeit und Klicks belohnt worden, so der Autor des Artikels. Fraglich sei deshalb, ob man auf jede Provokation reagieren müsse: “Erinnern wir uns daran, dass sich eine Haltung auch ausdrücken lässt, indem man etwas ignoriert.”

4. Warum ich dieses Bild erst jetzt veröffentliche
(wuv.de, Petra Schwegler)
Ein 17-Jähriger übersteht das Zugunglück von Bad Aibling nahezu unverletzt. Seine Mutter ist erfahrene Medienjournalistin, und weil sie die Mechanismen der Branche seit Jahren kennt, befürchtet sie das Schlimmste. Und erlebt tatsächlich, wie eine aggressive Pressemeute den Überlebenden bereits wenige Stunden nach dem Unfall Interviews abpresst. Und auch der Sohn sei in seiner Rolle als “traumatisierter Augenzeuge” ein gesuchter Gesprächspartner der seriösen Medien. Mittlerweile hätte ein großer Sender für ein Gespräch angefragt. Über das ob und wie würde man nun nachdenken.

5. Folgen einer Pressekonferenz
(welt.de)
Anlässlich des Türkei-Besuchs von Angela Merkel besucht Deniz Yücel, der zuständige Korrespondent der “Welt”, die gemeinsame Pressekonferenz von Bundeskanzlerin und türkischen Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Dort stellt er unangenehme Fragen, zum Beispiel zur Pressefreiheit in der Türkei (lt. “Reporter ohne Grenzen” im internationalen Ranking auf Platz 149). Daraufhin muss er sich von Regierung und türkischen Medien tagelang als “Religionfeind”, “PKK-Anwalt”, “Agent Provocateur” und “anti-türkisch” beschimpfen lassen.

6. Menschenrechtler wollen Kim Jong-un mit USB-Sticks
stürzen

(wired.de)
Eine Menschenrechtsorganisation und eine Non-Profit-Organisation aus dem Silicon Valley haben sich für eine ungewöhnliche Aktion zusammengetan: Unter dem Namen “Flash Drives for Freedom” will man für diesen Zweck gespendete USB-Sticks und Speicherkarten ins abgeschottete Nordkorea schmuggeln. Die Datenträger sollen als Informationsvermittler dienen und das Tor zur sonst sorgsam abgeschotteten Welt öffnen. Deshalb wolle man sie mit südkoreanischen Fernsehsendungen, westlichen Medien und der koreanischen Version der Wikipedia bespielen.

Drehbuchautoren, Gefallsucht, Unglücksvideos

1. Eine Branche in Angststarre
(faz.net, Dominik Graf)
In der “FAZ” schreibt sich Filmregisseur Dominik Graf den Frust von der Seele. Drehbuchautoren würden wie Werkzeuge behandelt, die von den Entscheidern ausgetauscht werden würden, wenn sie nicht funktionieren. “Die Debatten-Wütigkeit über Stoffe, Dramaturgien, Hauptfiguren, über einzelne Sätze nimmt überhand. Finale Ablehnungen von Drehbüchern und Projekten werden gar nicht mehr bekanntgegeben, es ruft den Autor einfach keiner mehr an. Und wenn er nachfragt, so bekommt er gequälte Auskünfte.” Jedes Fiction-Projekt (mit Ausnahme von “Tatort” und “Polizeiruf”) sei bedroht, weil das Geld in die Bürokratie wandere. Die gesamte Branche befände sich in einer Angststarre.

2. Versteckte Furcht – Russische Medien und der Islam
(de.ejo-online.eu, Edith Luschmann & Henrike Wiemker)
Die Autorinnen beschäftigen sich mit dem Umgang russischer Medien mit dem Islam. Obwohl dieser schon immer zu Russland gehört hätte, gäbe es in der Bevölkerung zunehmend Spannungen, über die russische Medien jedoch kaum berichten würden. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hätte es eine verstärkt islamfeindliche Berichterstattung gegeben, vor allem in Zusammenhang mit Migrationsthemen. Die Autorinnen wünschen sich zur Verständnisförderung eine bessere mediale Sichtbarkeit des Islam in Russland.

3. Weil ihnen die Darstellung nicht gefiel – Bundesbeamte änderten 5500 Wikipedia-Artikel
(aargauerzeitung.ch, Sven Altermatt)
In der Schweiz sollen Bundesbeamte Wikipedia-Artikel so oft zu ihren Gunsten abgeändert haben, dass die Online-Enzyklopädie die Bundesserver zeitweise blockierte. So habe ein Beamter beispielsweise Informationen zur Vorratsdatenspeicherung gelöscht und durch einen Allgemeinplatz ersetzt. Dies fiel den Wikipedia-Administratoren auf, und die Änderung konnte rückgängig gemacht werden. Seit 2003 sollen Bundesangestellte an mehr als 5.500 Artikeln Änderungen vorgenommen haben. Viele der Bearbeitungen seien profaner Natur, aber bei einigen Artikeln handele es sich um gezielte Schönfärberei. Ein Wikipedia-Administrator hat mittlerweile jedoch eine Gegendarstellung veröffentlicht, in der er das Geschehen relativiert.

4. «Fatale Allianz zwischen Medien und Politik»
(medienwoche.ch, Lothar Struck)
Die Medienwoche beschäftigt sich ausführlich mit dem neuen Buch des TV-Journalisten Wolfgang Herles. “Die Gefallsüchtigen: Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik ” heißt die “längst fällige Medienkritik” (Verlagsangabe) des Autors, der noch vor wenigen Tagen selbst mit gefallsüchtigen und unzutreffenden Behauptungen über eine angeblich gelenkte Presse auffiel. Der Rezensent attestiert dem Werk trotz einiger Schwächen “trotz allem eine interessante, wenn auch emotionale Sichtweise eines Status quo des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland.”

5. Washington Post’s ‘Bandito’ Tool Optimizes Content For Clicks
(wsj.com, Jack Marshall)
Die berühmte “Washington Post” (Auflage werktags: 400.000, sonntags: 600.000) befindet sich seit 2013 im Besitz von Amazon-Gründer Jeff Bezos. Seit der Übernahme hat die Zeitung einiges in ihren digitalen Auftritt investiert. Nun hat man ein Tool installiert, das die Überschriften der Artikel optimiert. Die Redakteure verpassen ihren Artikeln unterschiedliche Überschriften, Teasertexte und Bilder. Die Software “Bandito” wertet nach der Veröffentlichung aus, welche Versionen von den Lesern bevorzugt angeklickt werden und zeigt diese dann verstärkt allen anderen Lesern an.

6. Das Augenzeugenvideo aus dem Zug
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Am praktischsten wären ja Beichtstühle mit nur einem Platz, am besten einem Drehhocker. Dort könnte man wichtigtuerisch seine moralisch-ethischen Gedankengänge und inneren Konflikte ausbreiten. Anschließend würde man dem Hocker einen Schubs in die andere Richtung geben und sich, je nach Laune, selbst applaudieren oder mit salbungsvollen Worten die Absolution erteilen. Und am tollsten wäre es, wenn das alle sehen und miterleben könnten. Der Chefredakteur der “Tagesschau” hat sich einen solchen Platz installieren lassen. Er nennt ihn “Blog”. Dort gniffkelt er über die Fragestellung, ob man private Youtube-Videos von Unglücken für Nachrichtensendungen ausschlachten darf. Um es vorwegzunehmen: Man darf es natürlich, und es ist zutiefst menschlich, wenn man als Tagesschau-Chef von sich selbst und seinen hehren Absichten (“Informationsauftrag”, “Respekt vor den Opfern” etc.) etwas gerührt ist. Und zum Schluss bedeutungsvoll und geradezu von geistlicher Gnade erfüllt, nicht über jene Person urteilen will, die das “kaum zu ertragende” Ursprungs-Unfallvideo samt erwähnter wehklagender Opfer aufgezeichnet und auf Youtube hochgeladen hat. PS: Veröffentlicht hat die “Tageschau” dann übrigens folgendes Gaga-Video mit dem Informationsgehalt einer… Ach, sehen Sie selbst.

Wildwechsel, Hoaxmap, Paygate am Rhein

1. Großer Wildwechsel
(faz.net, Michael Hanfeld)
Was sich zunächst wie eine Provinzposse liest, hat möglicherweise Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Deutschland. Da soll ein Jäger wenig waidmänisch gehandelt haben, als er ein totes Reh ein paar hundert Meter weit hinter seinem fahrenden Auto über die Landstraße geschleift hat. In der Presse wird er daraufhin als “Rabauken-Jäger” bezeichnet. Der sich gekränkt fühlende Jägersmann zeigt den Journalisten wegen Beleidigung an und bekommt nun in zweiter Instanz überraschend Recht: Der Journalist wird zu einer Geldstrafe von tausend Euro verurteilt! Die in Mecklenburg-Vorpommern spielende Geschichte erinnert mit ihren Nebenhandlungen und politischen Verwicklungen an derbes Bauerntheater. Und sie ist noch lange nicht zu Ende: Die Zeitung geht in Revision, das Verfahren wird fortgesetzt.

2. Hoaxmap
(hoaxmap.org)
Bei Hoaxmap werden auf einer Deutschlandkarte Falschmeldungen und Gerüchte über Flüchtlinge regional zugeordnet und dokumentiert. Der Grund: Seit spätestens Mitte des vergangenen Jahres sei zu beobachten, dass zunehmend Gerüchte über Asylsuchende in die Welt gesetzt und viral verbreitet würden. Diese würden von gewilderten Schwänen bis zu geschändeten Gräbern reichen. In der “SZ” gibt es ein Gespräch mit der anonym bleiben wollenden Initiatorin über Hintergrund und Beweggründe der Aktion.

3. Das Bayerische Fernsehen feierte erstmal weiter
(blogmedien.de, Horst Müller)
Horst Müller beschäftigt sich auf seinem Medienblog mit der Berichterstattung über das Zugunglück bei Bad Aibling. Nach dem schweren Unfall hätte das Bayerische Fernsehen am Dienstagmorgen und am Vormittag knapp vier Stunden lang sein Programm planmäßig fortgesetzt. Besonders makaber sei, dass das öffentlich-rechtliche TV-Programm, in dessen Kernsendegebiet sich zweieinhalb Stunden zuvor ein schweres Zugunglück ereignet hätte, die Faschingssendung “Närrische Weinprobe” ausgestrahlt hätte.

4. Keine Flucht ins Privatrecht
(lto.de)
Wie ein neues, jedoch noch nicht rechtskräftiges Urteil des OLG Hamm bestätigt, haben Journalisten auch gegenüber privatrechtlich organisierten Unternehmen ein Auskunftsrecht. Im vorliegenden Fall musste ein zum Großteil in öffentlicher Hand befindliches Unternehmen Auskunft über den Abschluss und die Abwicklung von Verträgen geben und konnte sich nicht hinter dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen verstecken.

5. Was Leser wirklich wollen
(blog.tagesanzeiger.ch, Michael Marti & Marc Fehr)
Das Schweizer Medienunternehmen “Tamedia” bietet eine App an, die jeden Tag um 12 Uhr mittags 12 ausgesuchte Geschichten aus Publikationen des Konzerns aufs Handydisplay sendet. In der App werden die Leser aufgefordert, den jeweiligen Beitrag zu bewerten, was rund 20 Prozent der Leser machen würden. Von der Auswertung des Feedbacks zeigt man sich teilweise überrascht: Die Leser wollten “lange Texte, relevante Themen, kaum Unterhaltung”. Generell würden klassische journalistische Tugenden wie Relevanz, Erzähltechnik, Ausgewogenheit und sprachliche Sorgfalt zu einer hohen Wertung führen. Die Datenlage lässt jedoch verschiedene Interpretationen zu und wird in den Kommentaren kontrovers diskutiert.

6. Ein Jahr scharfes Paygate bei Rhein-Zeitung.de: weniger Visits, größerer Umsatz
(blog.rhein-zeitung.de, Marcus Schwarze)
Die “Rhein-Zeitung” betreibt seit einem Jahr ein, wie sie es selbst nennt, “scharfes Paygate”. Wie sich das auf die Anzahl der Digital-Abos auswirkt, legt die Zeitung nun in ihrem Blog offen. Man muss den zuständigen Redakteur fast dafür bewundern, wie tapfer er den Schmerz über die ernüchternden Zahlen wegatmet und zwischendurch sogar lobende Worte für das Digital-Desaster findet. So hat die Zeitung im Januar pro Tag lediglich 23 Tageszugänge (“Tagespässe”) verkauft und gerade mal 56 Leser gönnten sich einen Monatspass. Noch trauriger wird es bei den Jahrespässen; auf jeden der 140 Redakteure kommen etwa vier Jahres-Abos. Das Tröstliche dabei: Wenn jeder Redakteur nur ein Abonnement auf den Namen seiner Tante abschließt, entsteht ein fettes Wachstum, und die “Rhein-Zeitung” kann nächstes Jahr neue Erfolgszahlen melden.

Drehbuchwunder, Sportastrologie, Roger Willemsen

1. Jürgen Werner – die Schreibmaschine
(sueddeutsche.de, Katharina Riehl)
Wir kennen die Namen vieler TV-Serien, doch welche Autoren hinter den Geschichten stecken, ist den wenigsten bekannt. Die “SZ” hat sich mit einem dieser TV-Autoren getroffen: Jürgen Werner, dem “Mann aus dem Maschinenraum des deutschen Fernsehwahnsinns”, der u.a. für die Nonnen-Soap “Um Himmels Willen” schreibt und hinter diversen Traumschiff-Episoden und unzähligen Geschichten des Halali-Epos “Forsthaus Falkenau” steckt. Doch damit nicht genug: Werner hat für “Schloss Einstein”, den “Bergdoktor” und “Schimanski” Stoffe entwickelt, in manchen Jahren verließen 20 bis 30 Drehbücher seinen Schreibtisch. Zur Zeit ist der umtriebige Autor mit dem PR-trächtigen Schwarzwald-Tatort (Hauptrolle: Harald Schmidt) beschäftigt.

2. Leute, benehmt euch wie die Deutschen!
(sueddeutsche.de, Viola Schenz)
Der WDR zeigt am Mittwoch, den 10.02.2016 um 22.55 Uhr eine Dokumentation über Flüchtlings-Schicksale. Das Besondere: Das Videomaterial kommt von den Flüchtligen selbst. “Wir sind in Flüchtlingsheime gegangen und haben die Menschen dort gefragt, ob sie Videomaterial zu ihrer Flucht haben”, so die verantwortliche WDR-Redakteurin. Die Flüchtlinge hätten bereitwillig Videomaterial beigesteuert. Die 90-minütige Doku soll Aufnahmen vom Alltagsleben in der alten Heimat, aber auch dramatische Szenen von der Flucht in überfüllten Transportern oder Schlauchbooten zeigen.

3. Die undurchsichtigen Verbindungen zwischen einem „Welt“-Redakteur und der AfD
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Die Geschichte hat das Zeug zu einem Politik-Krimi: Ein hochrangiger AfD-Politiker behauptet, ein zweifelhaftes Angebot eines “Welt”-Redakteurs erhalten zu haben. Dieser hätte sich als Berater angedient. Für ein monatliches Salär von 4.000 Euro und über Umwege zahlbar… Boris Rosenkranz hat versucht, Licht ins Dunkel zu bekommen und die Konfliktparteien um Auskunft gebeten. Die beteiligten Parteien reagierten jedoch merkwürdig schweigsam. Deshalb hat er weiter recherchiert und sich das privat betriebene Portal des Redakteurs bzw. das der Ehefrau näher angeschaut, über das es einige Merkwürdigkeiten zu berichten gibt. (teilw. Bezahlinhalt)

4. Landesverweis wegen investigativer Recherche
(medienwoche.ch, Dominique Strebel)
In der Schweiz sind neue Regelungen im Gespräch, die zu erheblichen Einschränkungen der Pressefreiheit führen und eine Gefahr für den Journalismus darstellen. Wird Ende Februar die sogenannte “Durchsetzungsinitiative” der rechtskonservativen SVP angenommen, können Journalisten ohne Schweizer Pass des Landes verwiesen werden. Als Strafe für Delikte, die sie als Teil ihrer Arbeit und des Berufsrisikos in Kauf nehmen müssen wie z.B. investigativen Recherchen. Würde die Neuregelung realisiert, würden ausländische Ressortleiter und Chefredakteure zudem für Rechtsbrüche von Untergebenen (egal, ob Schweizer oder Ausländer) haften und könnten ebenfalls ausgewiesen werden.

5. Stirb und Werde, auf und nieder, Astro-Blödsinn immer wieder – in den Nürnberger Nachrichten
(blog.gwup.net, Bernd Harder)
In der “Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.” (oder abgekürzt: “GWUP”) engagieren sich etwa 1.400 Mitglieder für Wissenschaft und kritisches Denken. Pressesprecher Bernd Harder betreut den Blog der Skeptiker-Organisation und berichtet dort über einen Fall von unkritischer Übernahme von Astro-Mumpitz: Die “Nürnberger Nachrichten” räumen einem “Sportastrologen” eine ganze Seite für seine Humbug-Analyse über die sportliche Zukunft des “Clubs” ein. Darunter befinden sich Weissagungs-Perlen im Der-Ball-ist-rund-Stil wie: “Ich würde schon sagen, dass der FCN gewinnt, es könnte aber auch ein Unentschieden werden. Das ist jetzt kein total eindeutiges Spiel. Aber das Wochenende darauf, da müsste es mit einem Sieg klappen.”

6. Roger Willemsen.

Der Autor, Publizist und Fernseh-Moderator Roger Willemsen war nicht nur ein gebildeter und charmanter Universalgelehrter, sondern auch ein wegen seiner Schlagfertigkeit und geistreichen Art geschätzer Interviewer. Anlässlich seines Tods sind viele sehr persönlich gehaltene Nachrufe von Wegbegleitern und Kollegen erschienen, die deutlich machen, welch hohes Maß an Anerkennung er genoss. Eine kleine und höchst unvollständige Auswahl sei hier vorgestellt. Auf “Spiegel Online” schreibt mit Nils Minkmar ein ehemaliges Mitglied von Willemsens-TV-Sendung derart anschaulich und zugewandt über Roger Willemsen, dass man sich ein ganzes Buch davon wünschte. Im “Zeit Magazin” erschien Willemsens “Jahreszeitenkolumne”. Sein langjähriger Redakteur Matthias Kalle erinnert sich an die Zusammenarbeit mit dem Kolumnisten, der es verstand, “mit dem Ernsten zu unterhalten und das Unterhaltende ernst zu nehmen”. Die “SZ” publiziert noch einmal seinen Artikel zum Dschungelcamp aus dem vorletzten Jahr, in dem er über die Protagonisten und Wirkmechanismen der Sendung philosophiert. Die Zeitschrift “Konkret” erinnert ihm zu Ehren an seinen ersten journalistischen Beitrag, der sich um die Sprache des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker dreht. Der “Tagesspiegel” veröffentlicht erneut ein langes Interview über den “Zustand der deutschen Politiker”. (Willemsen hatte sich gerade ein Jahr lang Parlamentsdebatten in Berlin angehört und darüber ein Buch geschrieben.) Im “Deutschlandradio” gibt es ein Interview mit dem Leiter des Hamburger Literaturhauses Rainer Moritz, in dem dieser sich an die Zusammenarbeit mit Willemsen erinnert. Der Blogger und Journalist Lukas Heinser erzählt, wie die Sendung “Willemsens Woche” dazu beigetragen hat, auch “was mit Medien” machen zu wollen. Der Aktivist Raul Krauthausen (sozialhelden.de, wheelmap.org, leidmedien.de) erinnert an Willemsen, der ihm Mentor und Ideengeber war und der sein Interesse an gesellschaftskritischen Themen geweckt hat. Und “SPON”-Kolumnist Sascha Lobo findet auf seinem privaten Facebook-Account berührende Worte über den Mann, der ihm ein Vorbild an Bildung und Herzensbildung war.

Gegenlesen, Autorisierung, VR-Reportagen

1. Gegenlesen? Nein danke!
(meta-magazin.org, Alexander Mäder)
Der Wissenschaftsjournalist Alexander Mäder (“Stuttgarter Zeitung”) schreibt in einem längeren Fachbeitrag über das “Gegenlesen”. Ist es ein Verstoß gegen die Berufsehre, oder dient es der Qualitätssicherung, wenn man als Journalist seinen Artikel der Gegenseite zur Kontrolle vorlegt? Zu diesem Thema hat Mäder eine nicht-repräsentative Umfrage unter Wissenschaftlern, Pressesprechern und Journalisten gestartet und berichtet von den Ergebnissen. Am Ende spricht er sich für die Errichtung von “Rechercheclubs” aus, die eine neue Form von gesellschaftlich relevantem Wissen hervorbringen könnten.

2. “Im Zweifel nicht drucken”
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der “Deutsche Journalisten-Verband” hat einen aktuellen Fall (Konflikt zwischen Frauke Petry, AfD und dem “Mannheimer Morgen”) zum Anlass genommen, auf die von ihm beschlossenen Leitlinien zur Autorisierung von Interviews hinzuweisen. Nachträgliche Änderungen des Interviewten seien nur in beschränktem Rahmen möglich. Änderungen, die die Authentizität des Interviews oder einen wesentlichen Aussagengehalt konterkarieren würden, könnten von der Redaktion abgelehnt werden. Der DJV rät den Journalistinnen und Journalisten, standhaft zu bleiben und im Zweifelsfall auf die Veröffentlichung eines Interviews zu verzichten.

3. Als Zuschauer mittendrin: Der 360-Grad-Journalismus
(boris-haenssler.de)
Hinter “StoryUp” verbirgt sich ein Team von Virtual-Reality-Reportern, die beeindruckende Videoreportagen in 360-Grad-Technik erstellen. Gründerin Sarah Hill erzählt im Interview von ihren Reportage-Ausflügen in die virtuelle Realität und spricht über den technischen Wandel und die Besonderheiten und Risiken (zum Beispiel drohende Übelkeit bei empfindlichen Zuschauern). Im Beitrag verlinkt sind faszinierende Beispiele, in denen man sich bei laufendem Video via Maus um die eigene Achse drehen kann, und das gesamte Umfeld zu Gesicht bekommt.

4. Funkturm: „Soll jetzt Lutz Bachmann ein Praktikum bei uns machen?“
(flurfunk-dresden.de, Nicole Kirchner & Peter Stawowy)
Langfassung eines Gesprächs, in dem drei Medien-Fachleute aus Sachsen nach Lösungen ringen, wie man das Bild der Presse in der Bevölkerung verbessern kann und mit der Wut auf die Medien umgehen soll. Man merkt den Gesprächspartnern das Bemühen an, die “Lügenpresse”-Rufer zu erreichen. Andererseits wird die komplizierte und verfahrene gesellschaftspolitische Gemengelage deutlich, und an manchen Stellen schimmern Hilf- und Ratlosigkeit durch. Ein Gespräch, das auch außerhalb von Sachsen seine Bedeutung hat.

5. Die Journalisten-Rausbilder
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz kennt den Medienbetrieb aus vielen Blickwinkeln. Er bekleidete führende Positionen bei Presse und Fernsehen, ist Autor verschiedener Fachpublikationen und war lange Zeit an der privatwirtschaftlichen und universitären Ausbildung von Journalisten beteiligt. Im Sommer geht nun sein Lehrauftrag in Passau zu Ende; ein Anlass, ein paar deutliche Worte über die Journalistenausbildung an den deutschen Hochschulen zu verlieren. Interessant für alle, die etwas über den Beruf als solches erfahren oder gar selbst Journalismus studieren wollen.

6. Man darf grundsätzlich alle Fragen stellen.
(planet-interview.de, Kaspar Heinrich)
Katrin Müller-Hohenstein moderiert seit zehn Jahren “Das aktuelle Sportstudio” (ZDF). Im Interview erzählt sie von ihren Anfängen als “Quotenfrau” und was sich im Lauf der letzten zehn Jahre alles geändert hat. Zum Beispiel das Verhalten der Gesprächspartner, die im Verlauf der Zeit vorsichtiger geworden seien: “Den Profi-Fußballern, die heute ja einen unglaublichen Kultstatus genießen, fliegt ein falscher Nebensatz innerhalb kürzester Zeit so dermaßen um die Ohren, dass sie gut beraten sind, sich zurückzuhalten.” Auf die Einbindung von Social Media in ihrer Sendung angesprochen, äußert sie sich eher lakonisch. Und: Sie selbst “mache da nicht mit”.

Bestsellerlisten, Tichyosaurus Rex, angezogene Nackte

1. So werden Bestsellerlisten wirklich gemacht
(welt.de, Felix Zwinzscher)
Jedes Jahr erscheint eine hohe fünfstellige Anzahl von neuen Büchern. Wer will da noch durchsteigen? Unter anderem an diesem Punkt setzen die Bestsellerlisten an, die uns die Auswahl einfacher machen wollen und suggerieren: Wer ein Buch dieser Liste kauft, kann quasi nichts falsch machen! Doch die am meisten vertretenen Listen von “Börsenblatt” und “Spiegel” unterscheiden sich erheblich. Wie es dazu kommt, und wer hinter all den Zahlen steckt, verrät der Artikel.

2. “Mediensysteme im Wandel, Fokus Naher Osten”
(de.ejo-online.eu, Nadia Leihs)
Die Autorin Nadia Leihs promoviert über “den Einfluss institutioneller Strukturen auf journalistische Inhalte und die Rolle von Medien in sozialen und politischen Transformationsprozessen am Beispiel Ägypten”. Wer sich für die spannende arabische Medienlandschaft interessiert, wird sich über ihre Buchvorstellungen von “Arabische Medien”, “Arab Media Moguls” und den Sammelband “Medienfreiheit in Ägypten” freuen.

3. Sperrfeuer aus dem Schützengraben der Nachdenklichkeit
(uebermedien.de, Michalis Pantelouris)
Die nach ihrem Gründer, dem umtriebigen Wirtschaftsjournalisten Roland Tichy, benannte Seite “Tichys Einblicke” bezeichnet sich im Header als eine “liberal-konservative Meinungsseite”. Rezensent Pantelouris drückt es etwas anderes aus: “Eine dieser Parallelgesellschaften tanzt hier schonmal klar erkennbar den Apocalypso. Es ist nicht die dumpf-rassistische Gesellschaft der rechtsextremen Blubber-Blogger von “Politically Incorrect”, auch wenn die Ziele – weniger Migration, mehr Homogenität, mehr 1000-Jähriges, Kampf gegen die linksgrünen angeblichen Kinderschänderfreunde – sich oft geradezu schmerzhaft ähneln.”

4. Deutschland: Off Duty
(youtube.com, Neo Magazin Royale, Video, 2:34 Minuten)
Jan Böhmermann hat zur Vertiefung und Intensivierung seiner Männerfeindschaft mit Til Schweiger diesen, im wahrsten Sinne des Wortes, krachenden Action-Trailer im Nick-Tschiller-Style gedreht (“Deutschland, Du Fotze!”). Mit dabei: Flüchtlinge, die AfD, Nazis, unzählige Tote, der (natürlich) völlig versehentlich vom Himmel geholte Weltraumhopser Felix Baumgartner und eine Kanzlerin, die ihren Vize zum Abschuss freigibt. Fünf BILDblog-Movie-Stars für großes, lispelfreies Unterhaltungskino!

5. Facebook: freundlich aber verschlossen
(ndr.de, Aimen Abdulaziz & Daniel Bouhs, Video, 5:25 Minuten)
Facebook verlangt von seinen Nutzern größtmögliche Offenheit, gibt sich selbst aber mehr als verschlossen. Die Informationspolitik nimmt groteske Züge an, wenn eine Managerin um den heißen Brei herumredet und partout keine Zahlen nennen will. Simon Hurtz (“Süddeutsche Zeitung”) sollte bei Facebook in Dublin Einblicke hinter die Kulissen bekommen, doch auch hier mauerte der Konzern. “Wir konnten überhaupt nicht in den Bereich, wo die Leute normalerweise arbeiten.” Zahlen nannte man natürlich auch nicht. Jeder deutsche Mittelständler sei auskunftsfreudiger als die Facebook-Presseabteilung, so der “SZ”-Journalist.

6. Erste Ausgabe ohne Nackte
(tagesanzeiger.ch)
Dank Internet können testosterongeplagte Männer zur manuellen Triebabfuhr auf unzähliges Bewegtbildmaterial unbekleideter Frauen zurückgreifen oder sich den Objekten der Begierde per Video bis auf Gebärmutterhalshöhe nähern. Ausgerechnet der amerikanische Playboy steuert jetzt in die Gegenrichtung und will nur noch bekleidete Frauen zeigen. Normalerweise wäre dies ein guter Zeitpunkt für die “ADAC-Motorwelt” dem Trend zu folgen und auf Tests von E-Bikes umzuschwenken. Aber dort konzentriert man sich ja, zumindest im hinteren Teil, auf die Zielgruppe der Geronten und deren Fortbewegungsmittel (Treppenlifte).

Propaganda, Logokrieg, Jugendunterforderung

1. Verheddert im Gestrüpp der Propaganda
(nzz.ch, Ivo Mijnssen)
Das ZDF strahlte Mitte Dezember einen Dokumentarfilm über den “Machtmensch Putin” aus, in dem ein russischer Freiwilliger auftrat, der im Donbass (Donezbecken) gekämpft haben soll. Um diese Szene kam es im Anschluss zum Streit. Der Augenzeuge nahm seine Äußerungen zurück, er habe nur das erzählt, was ihm die Produzenten vorgegeben hätten. Später erklärte der Mann, vom russischen Geheimdienst zum Widerruf gezwungen worden zu sein. “Wie so häufig, wenn es um Russland geht, vermischen sich Wahrheit und Lügen zu einem Gestrüpp der Propaganda. Das ZDF ist in diesem Fall daran nicht unschuldig”, so der Schluss der “NZZ”.

2. Tiroler Tageszeitung bekämpft mit dem Urheberrecht lästiges Kündigungsportal
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch)
Will man eine Zeitung abonnieren oder einen Vertrag abschließen, ist dies mit wenigen Mausklicks erledigt. Das Abo wieder loszuwerden, ist oft erheblich schwieriger. Infos zur Kündigung werden versteckt, die entsprechenden Seiten fies verschachtelt, oder die online so abschlussfreudigen Anbieter bestehen auf einmal auf Schriftform. Dem Nutzer die Mühen leichter machende Kündigungsportale sind da natürlich unbequem und werden auch schon mal auf fragwürdige Weise bekämpft. Und wenn´s mit dem schmutzigen Trick über das Urheberrecht wegen eines abgebildeten Logos ist.

3. “Ich finde nicht, dass unsere Themen unterfordernd sind”
(140z.de, Till Daldrup)
Die großen Zeitungen kämpfen derzeit massiv um junge Leser und haben dazu eigene Jugendportale aus dem Boden gestampft. Beim “Spiegel” heißt das Portal “Bento”, “Bild” versucht sich mit “Byou” ans junge Publikum ranzuwanzen, das “Handelsblatt” hat seit Neuestem “Orange” im Angebot und die “Zeit” ist mit “Ze.tt” am Start. Ein junger Journalistenschüler spricht mit Redaktionsleiter Sebastian Horn von “Ze.tt” und stellt ihm die kecke Frage, ob die oft banalen Themen die Leser nicht unterfordern würden.

4. Wer unbequem ist, wird vor laufender Kamera gedemütigt
(tagesanzeiger.ch, Kai Strittmatter)
An die Schreckenszeit von Maos “Kulturrevolution” (1966-1976) erinnere das derzeitige Vorgehen der chinesischen Regierung gegen Blogger und Journalisten. Doch die Methoden hätten sich verfeinert: Heutzutage würden unbequeme Menschen nicht nur mit Haftstrafen mundtot gemacht, sondern im chinesischen Staatsfernsehen CCTV an den Pranger gestellt und gedemütigt. Die brutale Einschüchterung wirke. Immer mehr kritische Stimmen verstummten und die gesellschaftliche Debatte im Land sterbe.

5. Warum sich Radio jetzt auf den Weg in die Zukunft machen muss!
(marckrueger.tumblr.com)
Der “Rundfunkfritze” Marc Krüger macht sich Sorgen um das Radio. Das Medium müsse sich jetzt Gedanken machen und sich auf die Zeit vorbereiten, in der mobiles Internet unbegrenzt auch in Autos, Bussen und Bahnen verfügbar sei. In seiner Analyse geht er auf die aus seiner Sicht fünf Hauptproblemfelder ein. Danach ist eins klar: Das Radio wird sich verändern müssen, will es nicht endgültig vom omnipräsenten Internet abgehängt werden.

6. Jetzt bleiben wir mal schön bei der Sache
(faz.net, Nina Rehfeld)
Der rechtskonservative Stammtischsender “Fox News” ist in Amerika berühmt-berüchtigt. Dort sorgt nun eine Moderatorin für Furore, vor deren kühler Schärfe selbst Leute des eigenen Lagers Angst haben. So stellte die stets gut vorbereitete Megyn Kelly ihrem Interviewgast Donald Trump die Frage: “Sie haben Frauen, die Sie nicht mögen, ,fette Schweine‘, ,Schlampen‘ und ,widerliche Tiere‘ genannt. Klingt das in Ihren Ohren nach dem Temperament eines Mannes, den wir zum Präsidenten wählen sollten?” Meist nehme sie sich jedoch Vertreter der Linken vor, so der Artikel über Amerikas derzeitige News-Autorität.

Die Wahrheit, Ai Weiwei, Karla Kolumna

1. Die Lügenpresse
(zeit.de, Thomas Fischer)
Prof. Dr. Thomas Fischer ist Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof und Autor des bekannten Kommentars zum Strafgesetzbuch, dem über 2.700-seitigen Referenzwerk für alle Beteiligten eines Strafprozesses. Darüber hinaus verfasst Fischer für die “Zeit” vielbeachtete und lesenswerte Kolumnen, die jedoch wegen der zuweilen machtvollen Sprache, vielen Metaphern und miteinander verzahnten Gedanken und Schlüssen gelegentlich Schwindelgefühle verursachen können. In seinem neuesten Beitrag geht es nicht nur um “die Lügenpresse”, sondern auch um die Frage nach der privaten und der öffentlichen Wahrheit.

2. Wir sehen nicht das Bild eines toten Kindes, wir sehen ein Bild von Ai Weiwei
(zebrabutter.net, Mareike Döring)
Wenn es Bilder gibt, die sich in das sogenannte “kollektive Gedächtnis” der Menschen eingebrannt haben, dann gehört es mit Sicherheit dazu: Das Bild des dreijährigen‎ Jungen, der auf der Flucht aus Syrien ertrank und an den Strand gespült wurde. Nun hat der chinesische Künstler Ai Weiwei für ein Foto als ertrunkenes Flüchtlingskind posiert. Die Kulturwissenschaftlerin Mareike Döring betrachtet die Aktion von verschiedenen Seiten, beschreibt ihre Störgefühle und kommt letztendlich zum Schluss: “Wir sehen etwas, das aussieht wie Inhalt, aber verlassen die Debatte umgehend, bloß mit einem Erinnerungsfoto in der Hand.”

3. RTL verdient immer mehr am Dschungelcamp
(wuv.de, Petra Schwegler)
War früher “Wetten, dass ..?” unser kuscheliges TV-Lagerfeuer, ist es jetzt das “Dschungelcamp” (“Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!”). Fast jeder schaut es, fast jeder redet davon, fast alle berichten darüber. Für RTL ist es eine Gelddruckmaschine, die nach Schätzungen der Marketing-Analytiker von Ebiquity diese Staffel Rekordeinnahmen eingefahren hat. Der Artikel verrät, wie viel Euros sich Werbekunden wie Trivago, Vodafone und McDonald’s den Spaß in der Urwaldkulisse haben kosten lassen. Und auch zur Twitterresonanz gibt’s Zahlen: Wenn´s nach der Anzahl der Erwähnungen ginge, säße jetzt die “Kämpferin aus Leidenschaft” und “Anwältin der Armen” (so die Titel ihrer RTL-Wegschalt-Impulsauslöser) Helena Fürst auf dem Dschungelthron.

4. Rückrufpflicht für Veröffentlichungen und Äußerungen im Internet?
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Der BGH hat sich mit der Frage befasst, ob und inwieweit eine Haftung für Folgeveröffentlichungen Dritter besteht und welche Maßnahmen derjenige ergreifen muss, der für die Erstveröffentlichung verantwortlich ist. RA Thomas Stadler fasst das Urteil wie folgt zusammen: “Was der BGH also hier postuliert, ist im Ergebnis eine Art Rückrufpflicht für rechtswidrige Äußerungen im Internet. Wer im Internet falsche Tatsachen behauptet oder sich ehrverletzend äußert, muss zumindest den ernsthaften Versuch unternehmen, auch Folgeveröffentlichungen wieder aus dem Netz zu bekommen, indem er auf diejenigen einwirkt, die seine Erstveröffentlichung weiterverbreitet haben.”

5. Im Netz der Salafisten – ein Selbstversuch
(tagesschau.de, A. Schneider)
“Wieso werden junge Menschen radikal? Wieso wenden sie sich dem Salafismus zu? Wieso ziehen sie in den Krieg des IS nach Syrien?” Im Auftrag von “Panorama 3” (NDR) hat ein Reporter im Netz nach Antworten gesucht und ist für zwei Wochen in die Social-Media-Welt der Salafisten eingetaucht. Im Bericht werden unter anderem die Missionierungsstrategien der Anwerber beschrieben und mit Chatauszügen dokumentiert.

6. Karla Kolumna, die rasend machende Reporterin
(journalistenfilme.de, Patrick Torma)
“Wie viele Journalistinnen verweisen wohl auf Karla Kolumna, wenn sie auf ihre fiktiven Vorbilder aus Kindheitstagen zu sprechen kommen?”, fragt uns der Autor gleich zu Beginn. Schließlich gelte die rasende Reporterin aus “Benjamin Blümchen” und “Bibi Blocksberg” hierzulande als Sinnbild aufopferungsvoller und ehrlicher Berichterstattung. Doch taugt die anstrengende Zeichentrick- und Hörspielfigur als Beispiel für engagierten Lokaljournalismus? Nur mit Einschränkungen, wie der Autor findet.

Russland, Dialektik des Negativen, Herzschmerz-Kurator

1. Warten auf den Exodus?
(de.ejo-online.eu, Jannis Carmesin & Kai Steinecke)
Ausländische Verlage mit russischen Verlagsbeteiligungen sehen sich durch ein neues Mediengesetz gezwungen, ihre Anteile abzustoßen. Die Autoren erklären, welche Verwerfungen dies für die russische Medienlandschaft bedeutet. Eine Gesetzgebung, die auch deutsche Unternehmen wie den Axel-Springer-Verlag (Engagement bereits gelöst) und Burda beträfe (noch Herausgeber von rund 60 Titeln).

2. „Ihr könnt das? Dann liefert jetzt mal“
(taz.de, Jens Mayer)
Ein “Novum” sei es, dass ARD-Verantwortliche und TV-Produzenten erstmals ein gemeinsames Papier vorgelegt hätten, das die künftige Ausgestaltung der Beauftragung von TV-Auftragsproduktionen regele. Zwei Jahre hätten die Produzenten mit der ARD gerungen, und nun liege eine Vereinbarung vor, die einen Paradigmenwechsel in der deutschen Fernsehlandschaft einläute, indem sie das Risiko für Produzenten senke und die Innovationsfreude anheize.

3. Positiver Journalismus: “Eine Ausgewogenheit in der Berichterstattung herstellen”
(fachjournalist.de, Felix Fischaleck)
Einer der Hauptvorwürfe an Nachrichten (neben denen, dass sie falsch, ungenau oder tendenziös seien) ist: “Es wird immer nur über Negatives berichtet!” Hier setzt der sogenannte “positive Journalismus” an, der sich als “eine Art Gegenbewegung zum vorherrschenden Negativitätsbias in der Berichterstattung” sieht. Kommunikationswissenschaftler Dr. Oliver Bidlo spricht im Interview über die “Dialektik des Negativen” und wie man die, aus seiner Sicht notwendige, Ausgewogenheit in der Berichterstattung herstellen könne.

4. Rechtsstreit: Facebook will Nutzerprofile nicht vererben lassen
(spiegel.de)
Ein sowohl juristisches wie auch ethisch schwieriges Problem beschäftigt derzeit die Gerichte: Wem gehört das Facebook-Konto eines verstorbenen Kindes, den Erben oder dem Diensteanbieter? Das Landgericht Berlin hat das Konto den Eltern zugesprochen, die sich darin Aufklärung über den Tod ihrer Tochter erhoffen. Dagegen wehrt sich Facebook nun mit einer Berufung. Der Grund: Die Eltern könnten Einblick in private Nachrichten anderer Nutzer erhalten, die einen Anspruch auf Privatsphäre hätten.

5. Unter dem Radar
(faz.net, Fridtjof Küchemann)
Die amerikanischen Netzanbieter können Daten ihrer Nutzer relativ unkontrolliert wirtschaftlich nutzen beziehungsweise ausbeuten. Dagegen haben nun 60 Daten- und Verbraucherschutzorganisationen Protest eingelegt. Die Organisationen hätten die amerikanische Kommunikationsbehörde aufgefordert, schnellstmöglich Regeln aufzustellen, die nur bei Einwilligung der Nutzer die Sammlung und Vermarktung ihrer Daten zulassen. Die deutsche Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff weist in diesem Zusammenhang tapfer darauf hin, dass Datenschutz keineswegs wirtschaftsfeindlich sei und sogar ein Wettbewerbsvorteil sein könne.

6. Meet the guy who makes sure your ex shows up in your Facebook feed.
(facebook.com/mashable.socialmedia, Video, 2:35 Minuten)
Eine Trennung geht wohl nie leicht vonstatten. Und wenn dann die Fotos des oder der Ex im Facebook-Feed auftauchen, verheilen die seelischen Narben noch schwerer oder reißen wieder auf. Die Investigativreporter von “Mashable Humor” konnten erstmals mit einem Verantwortlichen sprechen, der die herzschmerzerzeugenden Bilder der abgelegten Liebschaften in unsere Accounts einspeist: dem “Facebook Heartbreak Curator”.

MacGyver, Kriminalitätstemperatur, Regierungsjournalismus

1. Das ABC der unseriösen Quellen — eine Übersicht
(medium.com)
Das Team von FPÖ-Watch hat eine Liste suspekt erscheinender Webseiten zusammengestellt. Auf diesen “Nachrichten”-Seiten werde oft gehetzt, übertrieben oder falsch berichtet. Die Meldungen würden sich in den Netzwerken oft wie ein Lauffeuer verbreiten, was auch daher rühre, dass sich die Seiten untereinander als Quelle verlinken. Gute Auflistung mit bekannten und weniger bekannten Desinformationskandidaten.

2. „Den Podcast aus der Nische holen“
(buchreport.de)
“Den Podcast aus der Nische holen” ist das erklärte Ziel von Nicolas Semak, der zu den Gründern von “Viertausendhertz” gehört, Deutschlands erstem Podcast-Label. Das ehrgeizige Projekt, das ohne Investor auskommt, bietet ausschließlich Eigenproduktionen an. Für die Refinanzierung des kostenlosen Angebots setzt man voll und ganz auf Sponsoren. Und woher kommt der Name? “Töne mit einer Frequenz von 4000 Hertz nimmt das menschliche Ohr besonders intensiv wahr.”

3. „Wir haben die sicherste Republik in Deutschland seit dem Jahr 2000″
(deutschlandfunk.de, Peter Kapern)
Der Kriminologe Christian Pfeiffer weist im Interview mit dem “Deutschlandfunk” u.a. auf die Absurdität von Bürgerwehren hin. Demnach leben wir in der “sichersten Republik seit 2000”. Pfeiffer sieht einen Grund für die Ängste der Bürger im Privatfernsehen: “Je mehr die Menschen privates Fernsehen gucken, umso mehr ist ihre Kriminalitätstemperatur von der Wirklichkeit entfernt, weil im Privatfernsehen das Verbrechen noch mehr dramatisiert wird”.

4. Lügen in Zeiten des Internets
(welt.de, Torsten Krauel)
Der Autor setzt sich mit den im Netz grassierenden Falsch- und Lügenmeldungen auseinander und setzt zur Korrektur nicht auf staatliche Eingriffe, sondern auf das Eigeninteresse von Diensteanbietern. “Wenn Dienste wie Twitter oder Facebook in den Ruf geraten, wiederholt Unsinn zu verbreiten, kollabiert irgendwann ihre Geschäftsgrundlage.” Hier sei die Gegenfrage erlaubt: Ist die trafficerzeugende “Unsinnsverbreitung” nicht gerade Teil der Geschäftsgrundlage der genannten Dienste?

5. Frauen werden in vielen Filmen klischeehaft dargestellt – Männer auch. Das zeigt der MacGyver-Test
(fluter.de, Sara Geisler)
Viele kennen den Bechdel-Test zur Beurteilung von Frauenstereotypen in Filmen. (Gibt es mindestens zwei Frauenrollen, sprechen sie miteinander und unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?) Der Artikel behandelt das Gegenstück, den sogenannten “MacGyver-Test” zur Entlarvung von Männerstereotypen. Die Liste der Filme, die den Test bestehen, soll sehr klein sein. Die Testerfinder kommen laut der Autorin zum Schluss, “dass Männer in Filmen überwiegend als Nieten dargestellt werden, die sich zum Deppen machen, ihre Familien im Stich lassen und außer Gewalt keine Lösung finden.”

6. Enthüllt: Die schriftlichen Anweisungen „von oben“ im ZDF!
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In der Sendung “Medienquartett” des “Deutschlandfunks” (Thema “Bundespressekonferenz”) gab es einen sich zunächst verstörend anhörenden Wortbeitrag (ab Min. 28) des ehem. Leiters des ZDF-Studios Bonn, Dr. Wolfgang Herles. Danach soll es Anweisungen von oben gegeben haben, wie zu berichten sei. Nämlich “wie es der Frau Merkel gefällt”. Und, so Herles weiter: “Wir durften damals nichts Negatives über die neuen Bundesländer sagen. Heute darf man nichts Negatives über die Flüchtlinge sagen. Das ist Regierungsjournalismus. Und das führt dazu, dass die Leute Vertrauen in uns verlieren. Das ist der Skandal!” Was es wirklich damit auf sich hat, kann man auf “Übermedien” nachlesen.

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