Nein heißt Ja

Als Franz Josef Wagner so alt war wie der in der Türkei wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs inhaftierte Marco W., schrieben wir das Jahr 1960.

In §175 StGB beispielsweise hieß es: “Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.”* Connie Francis sang: “Die Liebe ist ein seltsames Spiel”, Rocco Granata besang seine “Marina” (“Doch eines Tages traf ich sie im Mondschein / ich lud sie ein zu einem Glase Rotwein / und Liebling wie ich frage willst du mein sein / gab sie mir einen Kuss und das hieß ja”), und die Antibabypille kam gerade erst auf den Markt.

So war das 1960, als Franz Josef Wagner 17 Jahre alt war. Heute ist Wagner 63 und schreibt seine tägliche “Bild”-Kolumne an “Marco, zzt. in türkischer Haft”.

“Was hast du getan,” fragt Wagner, “das Dich zum U-Häftling macht?” Und Wagner hat auch eine Antwort. Sie sieht ein bisschen anders aus, als etwa die fundierte Zusammenfassung auf lawblog.de, ist dafür aber kürzer:

Du hast ein Mädchen geküsst, das Du unter der Sonne von Antalya, Türkei, kennen gelernt hast. (…) An einem Kuss ist nichts Abscheuliches — abscheulich sind die 5, 10 Sekunden danach, wo Du als Junge deinen Verstand verlierst, dem Mädchen etwas antust, was sie will und nicht will. Das ist Dein Verbrechen.

Tausende und Abertausende junge Menschen begehen diese Verbrechen jede Nacht. (…) Du bist der erste Junge, der im Gefängnis sitzt, weil er die Frauen nicht versteht.

Wenn sie ja sagen, meinen sie nein. Und wenn sie nein sagen, meinen sie ja. Das, mein Lieber, kannst Du mit 17 nicht wissen – das kannst Du erst wissen, wenn Du so alt bist wie ich.

Vermutlich darf man den letzten Satz nicht wörtlich nehmen. Denn es gibt ja Menschen, die auch schon 63 sind und trotzdem noch nicht so alt, dass die all das vergessen haben, was man zivilisatorischen Fortschritt nennen könnte oder auch nur gesunden Menschenverstand. Denen der sogenannte “Ewanchuk-Case” noch etwas sagt, und bei denen noch nicht jede Erinnerung an die zahllosen “No means No”– oder “Nein heißt Nein”Kampagnen ausgelöscht wurde.

Darauf muss man erst einmal kommen: Dass der Verdacht, dass eine 13-jährige sexuell missbraucht wurde, irgendetwas damit zu tun hat, dass die Frauen so schwer zu verstehen sind und immer das Gegenteil von dem sagen, was sie meinen. Dafür muss man auch nicht das Alter von Franz Josef Wagner erreichen. Dafür muss man schon Franz Josef Wagner sein.

Danke für die vielen Hinweise!

*) Versehentlich hatten wir an dieser Stelle zunächst §175 StGB zitiert, wie er 1960 in der DDR galt. Wir bitten das zu entschuldigen.

“Bild” lässt Ferrari fallen

Es ist ja nicht so, als könnte Ferrari mit dem Verlauf der diesjährigen Formel-1-Saison übermäßig zufrieden sein. Aber ganz so schlecht, wie die “Bild”-Sport-Redaktion den Lesern heute Glauben machen will, ist sie nun auch nicht gelaufen:

Italiens Edel-Rennstall im freien Fall. Das erste Rennen in Australien gewann Kimi Räikkönen noch — das war’s!

Das war’s vielleicht für Kimi Räikkönen, für “Italiens Edel-Rennstall” aber war’s das noch nicht. Dessen anderer Fahrer, Felipe Massa, war beim dritten und vierten Rennen in Bahrain und Spanien schnellster in der Qualifikation, fuhr jeweils die schnellste Rennrunde und gewann auch beide Rennen.

Mit Dank an Benjamin K. für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

Wie man einen Dschungel pflanzt
(jungle-world.com, Ivo Bozic)
1997 entstand die Jungle World als Ergebnis eines politischen Streiks bei der Tageszeitung junge Welt. Eine Chronik des Streiks und der ersten Schritte in den Dschungel von ivo bozic.

Die Zitronenhändler
(tagesspiegel.de, Colin Porlezza und Stephan Russ-Mohl)
Große Unruhe auf dem Schweizer Printmarkt: “Spiegel? mit Beilage, Springer kauft TV-Programmies und ein Gratisblatt hat die meisten Leser.

Kulturjournalismus zwischen Masse und Klasse
(art-tv.ch, Video)
Auf Einladung der Mediengewerkschaft haben am 21. Juni vier Vertreter des Deutschschweizer Kulturjournalismus über die Tendenz der Boulevardisierung diskutiert.

Vom Blog zum Job
(medien-mittweida.de, David Hofmann, Sabine Flegel)
Blogs erfreuen sich unaufhörlich großer Beliebtheit. Dabei sind sie längst mehr als frei zugängliche Tagebücher. Richtig eingesetzt bieten sie nicht nur in der Medienbranche Aufstiegschancen.

?Jedes neue Blog hat eine Chance”
(politik-digital.de)
Am 26. Juni 2007 war Jens Schröder von blogcensus.de in der Blogsprechstunde von politik-digital.de und den Blogpiloten. Er sprach über erste Ergebnisse bei der Vermessung der Blogosphäre, erklärte die Zählmethode der Deutschen Blogcharts und schwärmte von US-amerikanischen Blogs.

Wie ich mal im ?Nachtmagazin? war
(stefan-niggemeier.de)
Fernsehen ist merkwürdig. Ungefähr alles am Fernsehen ist merkwürdig. Stefan Niggemeier war zu Besuch im ARD-Nachtmagazin.

Kurz korrigiert (427-429)

Wir wissen nicht, welches Spezialgebiet der Bild.de-Praktikant hat, der heute über den Fußballtrainer Stephan Beckenbauer schreiben durfte, den “Sohn der Lichtgestalt Franz Beckenbauer”. Fußball ist es eher nicht.

In der Bayern-Jugend trickst unter anderem Diego Pizarro, Sohn von Ex-Stürmer Claudio Pizarro.

Sagen wir so: An dieser Stelle wären die bei “Bild” üblichen Altersangaben in Klammern wirklich sinnvoll gewesen. Wenn Diego Pizarro (16) der Sohn von Claudio Pizarro (28) wäre, hätte Claudio Pizarro mit elf Jahren Vater werden müssen. (Die beiden sind Brüder.)

Wie einst Vater Franz. 1990 führte uns der Kaiser in Italien zum WM-Titel. 1994 schenkte er den Bayern den Uefa-Cup-Sieg, 1996 noch einmal die Deutsche Meisterschaft.

1994 wurde der FC Bayern nicht Uefa-Cup-Sieger, sondern Deutscher Meister. Und 1996 nicht Deutscher Meister, sondern Uefa-Cup-Sieger.

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Nachtrag, 27. Juni. Der Lichtgestalt-Beauftragte von Bild.de hat inzwischen seinen Dienst angetreten, die FC-Bayern-Titel korrekt zugeordnet und den Satz über Pizarro sicherheitshalber ersatzlos gestrichen.

Unverbesserlich II

Der Presserat hat die Berichterstattung der “Bild”-Zeitung über eine junge Frau missbilligt, die ihr neugeborenes Kind in einer Plastiktüte im Gebüsch vor einem Krankenhaus abgelegt haben soll, wo es kurz darauf verstarb. Nach der Mutter war gefahndet worden; “Bild” zeigte jedoch auch noch, nachdem sie sich gestellt hatte, mehrmals Fotos von ihr, auf denen sie trotz eines winzigen Augenbalkens leicht zu identifizieren war (wir berichteten).

Auf unsere Beschwerde beim Presserat erwiderte die Rechtsabteilung der Axel-Springer-AG, es handele sich bei der Frau um eine “relative Person der Zeitgeschichte”, daher sei eine identifizierende Berichterstattung möglich gewesen. Die Erkennbarkeit habe sich nicht aus der Berichterstattung der Zeitung, sondern “bereits aus dem Fahndungsaufruf der Polizei” ergeben, erklärte Springer laut Presserat. Außerdem sei der Sachverhalt im Ort Stadtgespräch gewesen.

Der Beschwerdeausschuss widersprach:

Der Ausschuss erkennt kein öffentliches Interesse, das die Persönlichkeitsrechte der Frau überlagert hätte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass nach der Betroffenen mit Hilfe einer Kameraaufnahme gefahndet wurde. Mit dem Auffinden der jungen Frau erlosch jedenfalls das Fahndungsinteresse der Polizei (…). Danach hätte die Zeitung auf eine erkennbare Darstellung der Betroffenen verzichten müssen.

Die Artikel in “Bild” (Rhein-Neckar) vom 2., 3. und 5. März verstießen gegen Ziffer 8 und Richtlinie 8.1 des Pressekodex, befand der Presserat und sprach eine Missbilligung* aus. Auch den Einwand der Axel-Springer-AG, unsere Beschwerde sei “gewerblich motiviert” und “rechtsmissbräuchlich”, wies er zurück.

*) Es besteht nach der Beschwerdeordnung des Presserates “zwar keine Pflicht, Missbilligungen in den betroffenen Publikationsorganen abzudrucken. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet in der Regel auf diesen Ausdruck fairer Berichterstattung.

Kurz korrigiert (426)

Gestern berichtete “Bild” in ihrer Bundesausgabe über ein Projekt namens “discovering hands“, bei dem blinde Frauen zu “Medizinischen Tast-Untersucherinnen” ausgebildet werden. Ein schönes Projekt. Schön auch, dass “Bild” darüber in so großer Aufmachung berichtet. Noch schöner wäre es allerdings, wenn das große Foto, mit dem “Bild” die Geschichte illustriert, auch wirklich wie behauptet (siehe Ausriss) die mehrfach im Text vorkommende Jeannette Wölpper zeigen würde. Und nicht deren Kollegin Miroslawa Gräßer.

P.S.: In ihrer NRW-Ausgabe, wo der Artikel mit ähnlicher Bebilderung schon vergangenen Samstag erschien, hat “Bild” es übrigens richtig gemacht.

Mit Dank an Frank T. für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

Auf Nimmerwiedersehen
(debatte.welt.de, Don Dahlmann)
Jetzt ist sie also weg, die Christiansen. Ich würde ja sagen, dass ich wirklich sehr froh bin, wüsste ich nicht schon, dass mit Anne Will jemand in den Startlöchern steht, deren Moderationskonzept sich vom bisherigen nicht allzu weit unterscheidet. Aber die Hoffnung stirbt ja zuletzt, denn das was Sabine Christiansen die letzte Jahre in der ARD aufgeführt hat, war alles, aber sicher keine Polit-Talkshow.

Werd! Mein! Freund!
(wiwo.de, Jochen Mai und Sebastian Matthes)
Das Internet wird zum Schauplatz permanenter Aufmerksamkeitssuche und Selbstentblößung. Wissenschaftler prophezeien dramatische Veränderungen für die Kommunikation, für Beziehungen – und unser Denken.

Häme statt Aufklärung
(cr.blog.sf.tv, Ueli Haldimann)
Die SonntagsZeitung berichtete gestern auf der Frontseite Beunruhigendes: “SVP diktiert Fernseh-Inhalte” (siehe auch hier). SF sei bei der Sendung ?classe politique? auf Forderungen der SVP eingegangen, weil die Blocher-Mitarbeiter gedroht hättten, ?die Sendung platzen zu lassen?. Tönt empörend, wenn man das so liest. Nur stimmt es nicht.

So schnell wird Hans S. zum Kokser
(peterwalt.ch)
?Fans in Sorge: Hans, hör auf zu koksen!? titelte letzte Woche der ?Blick?. Anlass war ein offenbar verwirrender Auftritt des ehemaligen ?Lüthi & Blanc?-Stars im ?Talk Täglich? von ?Tele Züri?.

Internet: Die Revolution, die keine war
(dasmagazin.ch, Guido Mingels)
15 Jahre Internet: Hat es die Welt verändert? Nein: umgekehrt. Die digitale Revolution ist im Alltag angekommen. Eine Zwischenbilanz. (aus Magazin Nr. 41/2005).

jon stewart on crossfire
(youtube.com, Video, 14:13 Minuten. Added: January 16, 2006)

Allgemein  

Heiße-Luft-Alarm in der “Bild”-Zeitung

“Bild” ruft heute “Tornado-Alarm über Deutschland” aus. “Immer häufiger, immer heftiger: Das neue Wetter-Phänomen Wirbelsturm”, heißt es in der Unterzeile zu einer “Bild”-Geschichte über einen Tornado, der vergangenen Samstag in Frankfurt/Main schwere Schäden angerichtet hat.

Ohne allzusehr ins Detail zu gehen: Ob in Deutschland tatsächlich “immer häufiger” Tornados auftreten und diese “immer heftiger” werden, wie “Bild” schreibt, ist mindestens umstritten. Zwar rechnen viele Klimaforscher mit einer Zunahme extremer Wetterphänomene. Aber belastbare Daten, die belegen, dass die Zahl der Tornados in den letzten Jahren zugenommen hätte, gibt es derzeit offenbar nicht.

Und wenn “Bild” schreibt, den “bisher schwersten Tornado” hätte es im März 2006 in Hamburg gegeben, so ist das nachweislich falsch. Es handelte sich dabei um einen Tornado der Kategorie F2 auf der Fujita-Skala, mit Windgeschwindigkeiten von maximal 252 km/h. Das klingt zwar viel, ist im Vergleich zu dem Tornado, der im Jahr 1968 Pforzheim heimsuchte jedoch eher wenig. Der erreichte Windgeschwindigkeiten von 400 km/h (Kategorie F4) und aus den Jahren 1764 und 1800 sind sogar zwei Wirbelstürme dokumentiert, die aufgrund von Schadensberichten als F5-Tornados eingeschätzt werden. Womit klar sein dürfte, dass Wirbelstürme, anders als “Bild” behauptet, kein “neues Wetter-Phänomen” sind.

Kommen wir zu dem tollen großen Foto, mit dem die “Bild”-Geschichte, die ja auch das “BILD-Leser-Reporter”-Logo trägt, illustriert ist:

"Tornado-Alarm über Deutschland -- Immer häufiger, immer heftiger: Das neue Wetter-Phänomen Wirbelsturm"

Wahnsinn! Oder? In einem kleinen Text rechts auf der Seite heißt es:

Eine bedrohliche Unwetterfront schiebt sich über Hessen, gewaltige Luftwirbel reichen bis zur Erde. Fotografiert hat’s Leser-Reporter Andreas M.* (20)
*) Abkürzung von uns

Damit keine Verwirrung entsteht: der zitierte Text, der rechts neben der mächtigen Windhose und unter diesem kleinen unspektakulären Foto steht, bezieht sich nur auf das kleine unspektakuläre Bild, auf dem weit und breit kein Tornado zu erkennen ist. Das große Windhosen-Foto unter den Worten “Tornado-Alarm über Deutschland” hingegen zeigt nicht den Frankfurter Tornado vom Wochenende. Es wurde in Elie in Manitoba, Kanada aufgenommen, wie man uns bei der Nachrichtenagentur AP sagt, von der das Foto stammt.

P.S.: Manche Klimaforscher gehen übrigens davon aus, dass die Zunahme von Tornado-Meldungen in den letzten Jahren darauf zurückzuführen ist, dass die Öffentlichkeit “sensibler für das Thema” würde, wie die “FAZ” im September letzten Jahres Thomas Sävert (der übrigens auch schon einschlägige Erfahrungen mit “Bild” gemacht hat) zitierte. Außerdem schrieb die “FAZ”: “Internet und Fotohandys tragen ihren Teil bei” (sic).

Mit Dank an Jan K. und Frank A. für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

Die Zivilisation des Spektakels
(sueddeutsche.de, Mario Vargas Llosa)
Alles ist erlaubt: Die Unterhaltung kontaminiert den seriösen Journalismus. Der peruanische Bestsellerautor Mario Vargas Llosa schreibt über den Kloakenjournalismus, der gekommen ist, um zu bleiben.

taz-blog ohne “Schröder erzählt”
(t3reporter.blogspot.com)
Jörg Schröder und Barbara Kalender haben sich entschieden, alle Folgen von “Schröder erzählt” aus ihrem taz-blog zu löschen. Hintergrund sind diverse Abmahnungen und Unterlassungsbegehren, die wohl in schöner Regelmäßigkeit nach jeder neuen Folge von “Schröder erzählt” bei den Autoren eintrudelten.

Gerangel ums Rampenlicht
(sonntagszeitung.ch, Christoph Lauener)
Bundesräte und Parteien setzen das Schweizer Fernsehen unter Druck.

Vom Blogger zum Volksverhetzer?
(taz.de, Reinhard Wolff)
Außenminister Carl Bildt duldet rassistische Kommentare in seinem Blog. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft – wegen Volksverhetzung.

Bloggen für eine Handvoll Dollar
(spiegel.de, Andrew Welsh-Huggins, AP, und Jochen Leffers)
Auf den Webseiten amerikanischer Hochschulen können Blogger weitgehend ungefiltert das Campus-Leben beschreiben. Manche Unis bezahlen Studenten sogar dafür. Deutsche Unis sind noch längst nicht so weit – sie starten gerade erste Gehversuche im Web 2.0.

wie funktioniert der Technorati Linkcount?
(basicthinking.de, Robert Basic)

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