medienlese – der Wochenrückblick

Wehrmut, Bloggen als Beicht-Instrument, Alien-Geschöpfe.

Das Schweizer Portal persoenlich.com jubelte über eine Studie, in der 75 Prozent von 1367 Befragten aus Deutschland angaben, dass sie die gedruckte Tageszeitung auch in Zukunft für unverzichtbar halten. In einer ersten Fassung hiess der Untertitel: “Trend geht zu Printmedien zurück“. Wohl etwas gar mutig, denn in der zweiten Fassung heisst es jetzt: “Tageszeitungen bleiben unverzichtbar”. Dafür musste Uli Rubner, wohl unfreiwillig, lesen, die “Eintstellung” von “Facts” bleibe ein “Wehrmutstropfen“. Wir, auch nicht fehlerlos, verweisen auf die Unterkategorie “Beliebte Fehler” von korrekturen.de.

Wie sagte ein Springer-Manager, hinter vorgehaltener Hand aber im vollen Ernst, vor 3 Jahren, dem facts.ch-Macher Christoph Lüscher? “Dieses Internet wird irgendwann wieder verschwinden, hoffe ich manchmal, wenn ich Abends nach Hause gehe”.

Read On…

“Bild” enthüllt “Auto Bild”-Bericht

Die Zeitschrift “Auto Bild” berichtet im Ratgeberteil ihrer aktuellen Ausgabe darüber, dass “unsere Autos” oft mehr Kraftstoff verbrauchen, “als irreführende Prospektangaben versprechen”. Zum Beweis ist “Auto Bild” offenbar mit verschiedenen, vollgetankten PKW “zügig, aber nicht sportlich” von Hamburg nach Lübeck und zurück gefahren und hat anschließend nachgetankt. Am Ende stellte “Auto Bild” fest, dass manche Autos ein wenig mehr, manche deutlich mehr und ein Mercedes-Geländewagen sogar 53 Prozent mehr Kraftstoff verbrauchen, als der Hersteller behauptet.

Auf der “Auto Bild”-Website gibt es sogar einen “Auto Bild TV”-Beitrag dazu. Und der erinnert in Machart und Ergebnis schon sehr an einen Bericht des ZDF-Magazins “Frontal 21” [pdf] über die “Lüge vom niedrigen Spritverbrauch” (ausgestrahlt einen Tag, bevor auch die Deutsche Umwelthilfe öffentlich kritisierte: “Im realen Leben liegen Spritverbrauch und CO2-Emissionen regelmäßig 10 bis 25 Prozent höher als von den Herstellern behauptet”).

Das war vor anderthalb Monaten.

Mit Verweis auf die aktuelle “Auto Bild” aber schreibt “Bild” heute (siehe Ausriss) Sätze wie diese:"Die Sprit-Lüge: Benzin-Verbrauch höher, als die Hersteller angeben"

Und jetzt enthüllt AutoBILD: (…)

AutoBILD-Experten testeten unsere Autos auf ihren tatsächlichen Spritverbrauch. Schock-Ergebnis: In der Spitze schlucken PKW bis zu 53 % mehr Benzin! AutoBILD enthüllt in seiner jüngsten Ausgabe die Sprit-Schummelei (…).
(Hervorhebungen von uns.)

Die von “Auto Bild” zwischen Hamburg und Lübeck zügig ermittelten und von “Bild” weiterverbreiteten Ergebnisse liegen im Schnitt knapp 15 Prozent über den Herstellerangaben, weichen aber zum Teil nicht nur von diesen stark ab, sondern auch von denen, die schon seit geraumer Zeit im ADAC-“Eco Test” ermittelt werden. Aber wen wundert’s? In einem Merkblatt des ADAC wird die von “Auto Bild” angewandte “Nachtankmethode” ohnehin als “weitgehend ungenau” bezeichnet.

Andererseits: Mit genaueren, aber lange bekannten Daten wäre die Formulierung “AutoBILD enthüllt” ja noch absurder gewesen.

Mit Dank an Bernd R. für den Hinweis.

Tote haben kein Privatleben

FAZ: Sie wollen mir weismachen, daß jemand, der sein Privatleben kategorisch für sich behalten will, ungeschoren bleibt?

Kai Diekmann: Selbstverständlich: Wer sein Privatleben privat lebt, bleibt privat.

Anfang dieser Woche ist Evelyn Hamann gestorben, und es gibt keinen Zweifel daran, dass sie ihr Privatleben privat lebte. “Bild” selbst schrieb:

Die große Schauspielerin hatte ihr Privatleben von der Öffentlichkeit abgeschottet. Ihre tödliche Krankheit genauso wie ihr großes Glück.

“Nur einmal wäre es beinahe öffentlich geworden, dass die zwei sich liebten (…). (Sie) hatten 1993 gemeinsam Urlaub gemacht (…) Ein Hamburger erkannte die beiden, als sie sich sonnten. Und zückte die Videokamera. (…) wurde unfassbar wütend.”


Quelle: “Bild”, 31.10.2007

“Bild” schrieb das am Mittwoch. Am Tag zuvor schon hatte die Zeitung eben jener Öffentlichkeit exklusiv die Details über die tödliche Krankheit verraten. Und am Mittwoch lüftete sie dann auch das andere Geheimnis, das nach Ansicht von Evelyn Hamann offenbar die Öffentlichkeit ebenso wenig anging: den Namen des Mannes, der — laut “Bild” — ihr langjähriger Lebensgefährte war.

Man könnte sagen: Der laut Kai Diekmann bei “Bild” geltende Respekt vor Menschen, die ihr Privatleben privat leben wollen, erlischt automatisch im Moment ihres Todes. Richtiger ist allerdings wohl: Er gilt gar nicht.

PS: Was “Bild” über das Privatleben von Evelyn Hamann zu berichteten wusste, fand sich anschließend in einer Reihe weiterer Medien. Und zu befürchten ist, dass der zuständige Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AP nicht einmal merkte, wie sehr seine Formulierung die gemeinsame Bigotterie entlarvt:

Aus ihrem Privatleben, das Hamann stets aus der Öffentlichkeit gehalten hatte, wurde unterdessen bekannt, dass sie und […] seit vielen Jahren ein Paar waren.

Kurz korrigiert (440)

Die Geschichte des HI-Virus muss wahrscheinlich komplett umgeschrieben werden. Entgegen der landläufigen Meinung stammt der AIDS-Erreger nicht aus Afrika, sondern aus Haiti. Zu diesem Schluss kommen Mitarbeiter der deutschen Boulevardzeitung “Bild” nach der Analyse von Agenturmeldungen:

"AIDS-Virus stammt aus Haiti"

Diese Theorie ist jedoch selbst im eigenen Haus nicht unumstritten. So gibt es Hinweise, dass die “Bild”-Mitarbeiter bei der Übernahme der Meldung schlampig gearbeitet haben und Sätze wie “HIV gelangte von Afrika über Haiti in die USA” oder “Wahrscheinlich war das Aidsvirus um das Jahr 1966 herum von Afrika nach Haiti gelangt” schlichtweg übersehen haben.

Mit Dank an Mario Z. für den sachdienlichen Hinweis.

6 vor 9

Tamedia mit neuer Unternehmensleitung und Fokussierung auf geografische Märkte
(tamedia.ch, pdf)
Das Medienunternehmen Tamedia gliedert sich ab 2008 in die vier operativen Unternehmensbereiche Medien Espace Bern, Medien Zürich & Nordostschweiz, Medien Schweiz und Verlagsservices.
Das neue Organigramm, Kurzportrait der Unternehmungsleitung, mehr.

»Der Code Öffentlich/Privat erfährt einen geschichtlichen Wandel globalen Ausmaßes«
(blm.de, Sandra Eschenbach, pdf, 78kb)
Der Informationsethiker Rafael Capurro über gesellschaftliche, journalistische und politische Auswirkungen des Web 2.0 (mehr hier).

Unerbittlicher Verdrängungskampf
(nzz.ch, ii.)
Wieder wird eine neue Gratiszeitung angekündigt. Wie der Aargauer Verleger Peter Wanner vor kurzem der «Werbewoche» und am Donnerstag in der hauseigenen «Mittelland Zeitung» erklärte, planen die AZ Medien «im Gratiszeitungsmarkt aktiv» zu werden. Dies wäre das fünfte Gratisblatt, das täglich in den grössten Deutschschweizer Ballungszentren erscheinen soll. Wenn man das Wirtschafts-orientierte «Cash daily» dazu zählt, sogar das sechste. Sie alle buhlen mit Nachrichten-«Kurzfutter» um Anteile im Leser- und Werbemarkt.

Noch sind alle schimmerlos
(taz.de, Sarah Stricker)
Die Münchner “Abendzeitung” ist momentan auf Selbstfindungskurs. Offen ist noch, wer der neue Chefredakteur wird. Fest steht, dass er nicht aus dem Haus kommt.

So geht das nicht, Herr Delling!
(stern.de, Peer Schader)
Als Ersatz für Frank Plasberg darf ab sofort Sport-Moderator Gerhard Delling im WDR aktuelle Themen mit Gästen diskutieren. Die Auftaktsendung am Mittwochabend geriet jedoch zum unentschlossenen Durcheinander mit peinlichen Fehlern.

So spricht man mit Nazis (Teil 2)
(vanityfair.de, Michel Friedman)
“Deutschlands Chef-Nazi” Horst Mahler im ungekürzten Gespräch mit “VANITY FAIR-Autor” Michel Friedman.

Eagles-Reunion exklusiv auf Bild.de

Na, wenn das mal kein Scoop ist: Die neue CD der Eagles zum Reinhören — exklusiv bei BILD.de!

Was daran “exklusiv” sein soll, erschließt sich uns zwar nicht so ganz: Nicht nur “zum Reinhören”, sondern in voller Länge anzuhören ist die komplette CD bereits seit letzter Woche exklusiv bei lite98.com.

Noch exklusiver aber ist, was Bild.de über die CD zu berichten hat:

Jetzt haben Glenn Frey (Gesang, Gitarre), Don Henley (Schlagzeug, Gesang), Randy Meisner (Bass, Gesang) und Bernie Leadon (Gitarre, Gesang) wieder viel Zeit zusammen im Studio verbracht und melden sich nach 28 Jahren mit einem neuen Album zurück!

Also die Eagles in Urbesetzung quasi?! Das wäre ja’n Ding! Ist es aber nicht: Sowohl Randy Meisner als auch Bernie Leadon sind bereits vor ungefähr 30 Jahren bei den Eagles ausgestiegen und gehören, anders als Bild.de behauptet, auch bei der neuen CD nicht zur Besetzung.

Mit Dank an Rainer Z. für den Hinweis.

Nachtrag, 14.15 Uhr: Inzwischen hat man auch bei Bild.de gemerkt, dass Meisner und Leadon nicht mehr zu den Eagles gehören, und sie durch Timothy B. Schmit und Joe Walsh ersetzt.

6 vor 9

Jeder spielt Verleger
(werbewoche.ch, Karin Müller)
Schleichend werden die Grossen an ausländische Verlage verscherbelt. Und die kleineren Häuser rotten sich zu Verbünden zusammen. Die Konsequenz: ein Jekami-Effekt in der Verlagsbranche und langweiliger Agenturjournalismus.

Heimarbeit mit digitalem Stücklohn
(woz.ch, Matthias Martin Becker)
Immer mehr Unternehmen setzen auf «Crowdsourcing». Sie binden InternetnutzerInnen in ihre Produktion ein, senken so die Kosten und schlagen die Konkurrenz.

Neue reformierte Zeitung für die Deutschschweiz
(tagesanzeiger.ch, Michael Meier)
Mit einer Auflage von 710 000 Exemplaren will die Zeitung «Reformiert» zu einer gewichtigen Stimme der Deutschschweizer Protestanten werden.

SF-Verantwortliche wegen “Kassensturz”-Beitrag angeklagt
(persoenlich.com, David Vonplon)
Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat aufgrund von drei Strafanträgen Anklage gegen das Schweizer Fernsehen eingereicht. Für den Einsatz mit versteckter Kamera fordert sie für vier SF-Mitarbeiter — darunter Chefredaktor Ueli Haldimann — happige Strafen, wie Recherchen von “persoenlich.com” ergeben. Auch die Ex-Miss Argovia kommt vor Gericht. Bitter: Das Schweizer Fernsehen hatte sie kaum über die möglichen juristischen Folgen ihres Einsatzes als Lockvogel aufgeklärt.

Idee zur Schäublone kam von einem Freund
(politik-digital.de)
Am Dienstag, den 30 Oktober, waren Dirk und Mac vom Weblog dataloo zu Gast in der Blogsprechstunde, dem Chat von politik-digital.de und den Blogpiloten. Sie sprachen über den Ursprung der “Schäublone”, die Anti-Überwachungsaktion “Überwach” und über das Bloggen zu zweit.

Wat ham wir gewatet!
(taz.de, Steffen Grimberg)
“Denn wie schreibt die Chefin vons Ganze, Katharina Borchert, selba auffe vollautomattisch eingebaute Kummuniti-Seite: ‘Wir sind Menschen und keine Textroboter, und egal wie sehr wir uns bemühen, wir werden Fehler in der Berichterstattung machen. Vermutlich sogar reichlich.’ Und dann schreibt se noch, dasse aber immer richtichstellen wolln, wat se vasemmeln.”

Fliehen, floh, geflogen

“The Great Escape” dauert satte 172 Minuten, “Papillon” immerhin 150 Minuten, “Cool Hand Luke” 126 Minuten, “Escape from Alcatraz” 112 Minuten, “Down by Law” 107 Minuten und “The Defiant Ones” gut anderthalb Stunden. Die “Bild”-Meldung über die spektakuläre Flucht des “Ausbrecherkönigs” Nordin Benallal aus einem belgischen Gefängnis hingegen war gestern gerade mal zehn Zeilen lang. Und zwei davon hatte “Bild” für den Einleitungssatz verschwendet:

“Diese Flucht hätte Hollywood kaum besser inszenieren können.”

Aber so richtig happy schien “Bild” mit der filmreifen Flucht dann doch nicht gewesen zu sein — jedenfalls nicht happy genug, um sie nicht selbst ein wenig zu… “inszenieren”:

Freunde [des “Ausbrecherkönigs”] kaperten einen Hubschrauber, zwangen den Piloten im Gefängnishof (…) zu landen. Dann entschwebten sie mit dem Verbrecher.

Hubschrubschrub… und weg also. Oder um es mit “Bild” zu sagen:

"Ausbrecherkönig flieht mit Hubschrauber"

Wir haben keine andere Zeitung gefunden, die das behauptet — was daran liegen könnte, dass es nicht stimmt. Der Hubschrauber nämlich stürzte ab, weil sich Mitgefangene an die Kufen geklammert hatten, woraufhin der “Ausbrecherkönig” einen Wärter als Geisel nahm, das Gefängnis zu Fuß durchs Gefängnistor verließ und mit einem Kleintransporter davonfuhr.

Auch das hätte vermutlich in eine 10-Zeilen-Meldung gepasst. Doch offenbar passt “Bild” lieber die Wirklichkeit der Meldung an als umgekehrt.

PS: Weil der Flüchtling inzwischen wieder eingefangen wurde, hatte “Bild” heute noch eine zweite Chance, die gestrige Meldung zumindest nebenbei richtigzustellen. Aber warum den “Bild”-Leser unnötig verwirren.

Mit Dank an Christian H. für den Hinweis.

Very honored Mrs. Queen,

Auf dem Schreibtisch von Königin Elisabeth II. wird demnächst ein dicker Stapel Papier mit “Bild”-Logo liegen — jedenfalls, wenn es nach der “Bild”-Zeitung geht.

Europas größte Tageszeitung hat sich nämlich anlässlich der Halleschen Händel-Festspiele im Sommer 2009 was ausgedacht: Wenn da schon die britische Königin (gemeinsam mit dem Bundespräsidenten) die Schirmherrschaft übernommen hat, dann soll sie bitt’schön auch herkommen! Und damit sie auch wirklich kommt, fordert die “Bild”-Zeitung ihre Leser auf:

Schreiben Sie der englischen Königin, wie sehr Sie sich auf sie freuen!

Und damit die “Bild”-Leser nicht einfach so drauflosschreiben wie sonst, hat die “Bild”-Zeitung extra einen Brief an die britische Königin vorbereitet [pdf]*, der (so behauptet “Bild”) “genau der Hof-Etikette entspricht”.

Welcher Hof-Etikette genau es allerdings genau entspricht, die britische Königin in der Mitte des Formbriefs als “Your Royal Highness” (Eure königliche Hoheit) anzusprechen, weiß wohl nur “Bild”:

Denn wie uns die Britische Botschaft in Berlin auf Anfrage bestätigt (und wie man im Übrigen auch schön bei Wikipedia nachlesen kann), nennt man die britische Königin formell “Your Majesty” oder “Madam”. That’s it. “Your Royal Highness” hingegen ist nur was für Prinzen, Prinzessinnen und dergleichen.

*) Den Brief (der weitere sprachliche Fehler enthält und dessen Stil Muttersprachler “clumsy” und “cluttered” nennen) soll man übrigens ausdrucken und (obwohl an die Queen adressiert) an “Bild” schicken, die ihn dann zusammen mit den anderen an den Direktor des Händelhauses gibt, der sie seinerseits persönlich im Buckingham-Palast beim Privatsekretär der Queen abliefern will, der die “Bild”-Briefe dann wiederum…

Mit Dank an Hanns K. und Allan D.

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