Wir sind ja einiges gewohnt. Von “Bild”. Aber manchmal ist ihre Ekelhaftigkeit dann doch schockierend. Heute ist wieder so ein Tag.
Denn ja: Viele, vielleicht zu viele Menschen (insbesondere, wenn sie eine gewisse Prominenz erreicht haben) breiten ihr Privatleben gern in der Öffentlichkeit aus. Dann erzählen sie in Talkshows, Boulevard-Magazinen und -Zeitungen freimütig über ihr Leben, ihre Gefühle, Schicksalsschläge.
Andere tun das nicht.
Lippenbekenntnisse
- “Grundsätzlich ist das Privatleben tabu. Das gilt aber nicht für diejenigen, die mit ihrem Privatleben das Licht der Öffentlichkeit suchen.”
(Diekmann in der “Weltwoche”) - “Wer sein Privatleben privat lebt, bleibt privat. (…) Wer nicht selbst das Spiel eröffnet, muß auch nicht mitspielen.”
(Diekmann in der “FAZ”) - “Wer Privates schützen will, kann das in der Regel auch.”
(Döpfner im “Spiegel”)
Dazu, dass letztere von der “Bild”-Zeitung nicht in die Öffentlichkeit gezerrt würden, gibt es unmissverständliche Aussagen — vom “Bild”-Chef Kai Diekmann ebenso wie von Diekmanns Chef Mathias Döpfner, dem Vorsitzenden der Axel Springer AG (siehe Kasten). Sie haben, wie die heutige “Bild”-Ausgabe wieder eindrücklich zeigt, keine Bedeutung.
Denn “Bild” berichtet heute bereits auf der Titelseite über das “traurige Geheimnis” der “schönen Co-Pilotin Nachrichtensprecherin” Judith Rakers – und hat dafür sogar einen Kausalzusammenhang entdeckt. Lesen Sie selbst:
Ab heute ist sie Miss Tagesschau: Die schöne Judith Rakers (32) führt um 20 Uhr zum ersten Mal durch die Hauptnachrichten-Sendung der ARD. Ihr charmantes Lächeln wird Deutschland verzaubern. Dabei hat sie selbst ein so trauriges Geheimnis.
(Hervorhebung von uns.)
Der fast sechs Jahre alte [!] Schicksalsschlag, den “Bild” anschließend (unter Berufung auf den Bruder eines Ex-Freundes und einen “Freund”) ausbreitet und mit einem Privatfoto illustriert, hat nichts mit Rakers’ Beruf zu tun, nichts mit ihrem öffentlichen Auftreten. Wir möchten uns nicht ausmalen, wie es sich anfühlt, wenn man wie Rakers – zumal heute, an einem der wichtigsten Tage in ihrer bisherigen beruflichen Karriere – mit den sensationsheischenden, heuchlerischen Schlagzeilen konfrontiert sieht. Dabei hat sich Rakers in der Vergangenheit weder selbst über ihr Privatleben geäußert*, noch wäre bekannt, dass sie sich sonst irgendetwas hätte zuschulden kommen lassen, wodurch sich – selbst in der abstrusen Fahrstuhllogik der “Bild”-Zeitung – die Berichterstattung rechtfertigen ließe.
Der Eingriff in Rakers Privatleben ist kalkuliert. Insgesamt fünf Autorennamen stehen über dem “Bild”-Artikel: Dennis Brosda, Miriam Krekel, Jupp Ley, Bettina Lüke und Markus Brekenkamp. Und was haben die Fünf in den vergangenen Tagen gemacht? Wer hat den Bruder des Ex-Freundes ausgehorcht? Wer den “Freund”? Wer hat das Privatfoto beschafft? Wer in vergilbten Ausgaben des “Westfälischen Volksblatts” nach Todesanzeigen gesucht? Wer hat versucht, Rakers zu erpressen davon zu überzeugen, dass es bestimmt besser für sie wäre, wenn sie mit “Bild” kooperiert? Und wo steht der Spind, in dem sie ihren Anstand weggeschlossen haben?
Der “Bild”-Artikel endet mit dem Satz:
Der Schmerz sitzt immer noch tief. In BILD wollte Judith Rakers über nicht sprechen.
*) Nachtrag, 17.30 Uhr (mit Dank an Gregor G.): In einem Interview mit der “Neuen Westfälischen”, bei der Rakers journalistische Karriere begann, beantwortet sie zwar auch Fragen zu ihrer Familie (“Meine Mutter hat Pferde…”) und ihrem Alltag (“Ich dusche morgens, wasche mir die Haare…”). Aber auf die Frage “Spüren Sie langsam die Schattenseiten, wenn man prominenter wird?” antwortet sie noch entspannt, aber entschieden: “Das gehört wohl dazu. Konsequenz könnte sein, dass ich einfach mit niemandem länger rede als sieben Minuten (schmunzelt). Nein im Ernst: Hamburg ist eine Medienstadt, da muss man aufpassen. Vermutlich ist das Interesse an meinem Privatleben auch deshalb da, weil ich dazu partout nichts sage. Privat ist Privat.”