“Ich hab sie heulend”

Kerstin Dombrowski war mal bei der “Bild”-Zeitung – und hat kürzlich ein Buch mit dem Titel “Titten, Tiere, Tränen, Tote” geschrieben, in dem sie u.a. ihre Erfahrungen bei “Bild” schildert.

Das Buch, geschrieben “mit der speziellen journalistischen Naivität, die in der Branche häufig gelobt wird” (Günter Wallraff im Vorwort), liest sich in weiten Strecken wie eine öffentliche Beichte und bietet, wie Medienlese.com zu Recht bemängelt, “leider wenig Überraschungen”. Nun ja.

Jetzt hat planet-interview.de mit Dombrowski gesprochen. Und wir zitieren Auszüge aus dem heute veröffentlichten Interview, die vielleicht doch einen erhellenden Einblick in die Arbeit der “Bild”-Zeitung gewähren:

Ich wurde oft raus geschickt, um eine Geschichte zu recherchieren, wo ich dachte: “Das ist furchtbar, das dürfte ich jetzt eigentlich nicht machen.” Aber anschließend durfte ich dann wieder nach Hawaii fliegen oder eine Woche lang auf Rhodos recherchieren. Es gab also immer wieder auch die netten Seiten. (…) Denn wenn man da drin steckt, denkt man gar nicht wirklich mehr drüber nach, was man tut, man hat keinen objektiven Blick mehr darauf. (…)

Ich nenne Ihnen ein spannendes Beispiel: Man saß in der Redaktion, und jemand hatte von irgendeinem Unglücksopfer die Mutter ausfindig gemacht. Alle sagten: “Oh, cool, du hast die Mutter bekommen”. Erst wenn man später zu Hause war und sich nicht mehr im Redaktionsumfeld befand, kam der Gedanke auf, dass man dieser Mutter vielleicht zu nah auf den Leib gerückt sein könnte. Die Wahrnehmung verschiebt sich. (…) Wenn ich einen Auftrag bekam, bei dem ich wusste, dass er verwerflich und unmoralisch ist – etwa zu Eltern zu gehen, die gerade ihr Kind verloren haben – und ich meine Bedenken gegenüber den Kollegen äußerte, hieß es nur “Ja, na und?” Ich war nicht so gefestigt, bei mir zu bleiben und zu sagen: “Für mich ist das aber schlimm.” Ich dachte vielmehr: “Vielleicht bin ich zu empfindlich, zu sensibel.” In diesem ganzen Umfeld greift einfach diese Gruppendynamik wunderbar. Niemand will der Außenseiter sein. (…)

Einmal sollte ich mich mit einem Blumenstrauß in der Hand auf eine Intensivstation schleichen, auf der ein Mädchen lag, das ihre Freundin tot gefahren hatte. Da ging es mir wirklich schlecht. (…) Es gab Redakteure, die von einer Recherche kamen, sich schief lachten und riefen “Ich hab sie heulend” oder die nach der Konferenz sagten “Ich hab da noch ‘ne Tote nackig am Baum, haha”. Manche waren total sarkastisch. Es gab Sprüche wie “Da ist ein Bus voller Touristen verunglückt, oh super. – Och Mist, waren alles Rentner.” (…)

In den morgendlichen Konferenzen wurde zunächst immer die Blattkritik gemacht. Wer am Vortag ein gutes Stück hatte, wurde in den Himmel gelobt, wurde wirklich sehr gebauchpinselt. Diejenigen, deren Stück nicht besonders gut war oder wo ein Konkurrenzblatt mehr Informationen hatte, die wurden vor der ganzen Mannschaft rund gemacht. So dass man sich ganz, ganz schlecht gefühlt hat. Am nächsten Tag war man bemüht, es besser zu machen. Man wollte wieder zu denen gehören, die gelobt werden. (…)

Wer kein Thema hatte, bekam richtig Ärger. Da herrschte fast Panik, wenn die vorgeschlagenen Themen morgens in der Konferenz schlecht waren und die Chefs gewütet haben. Also dachte man sich in der Not ein Thema aus oder arbeitete mit Halbwahrheiten… (…) Oft lief es so: Man bot Themen an, die noch nicht recherchiert waren und musste später die Geschichte dem Themenvorschlag angleichen. Auch wenn man merkte, dass man keine entsprechenden Protagonisten findet und die Geschichte nicht so erzählen kann, wie man sich das vielleicht ursprünglich gedacht hat. Eigentlich hätte man sagen müssen: Es ist tot recherchiert. Aber das konnte man ja nicht zugeben, also hat man versucht, es so hinzubiegen, dass es irgendwie noch passte. (…)

Man hat einfach versucht, den Erwartungen zu entsprechen. Es kam auch vor, dass die Überschriften noch mal verdreht wurden oder am Text gefeilt wurde. Man hatte manchmal ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, wenn man einen Text abgeschickt hatte, weil man wusste, dass nicht alles ganz korrekt war. Dann sind aber die Chefs noch mal rangegangen und haben die Schraube noch mal angezogen, haben noch mal schärfer formuliert. So funktionierte das System. Es war egal, ob etwas nicht ganz stimmte – Hauptsache es war nicht ganz falsch. (…)

Es ist einfach eine permanente Grenzüberschreitung. Man macht sich keine Gedanken darüber, was eine bestimmte Berichterstattung bei den jeweiligen Protagonisten bewirkt, was in deren Umfeld passiert, was sie da jetzt ausbaden müssen. Man denkt einzig und allein an seine Geschichte. Dass Menschen damit weiterleben müssen, ist egal.

6 vor 9

Offener Brief von Michail Gorbatschow an die deutschen Medien
(petersburger-dialog.de, Michail Gorbatschow)
“Beim aufmerksamen Blick auf die Flut von Veröffentlichungen in Deutschland wird man jedoch schwer den Eindruck wieder los, als ob man es mit einer gezielten Kampagne zu tun hat, als ob alle aus einer einzigen Quelle schöpften, die eine Handvoll Thesen enthält (in Russland gebe es keine Demokratie; die Meinungsfreiheit werde unterdrückt; eine arglistige Energiepolitik werde durchgesetzt; die Machthaber drifteten immer weiter in Richtung Diktatur ab – und so weiter und so fort.) Diese Thesen werden in verschiedenen Tonarten wiederholt. Die Zeitungsmacher scheinen auch keinerlei Interessen jenseits dieser Aussagen zu haben.”

Die sorglose Masse
(umagazine.de, Don Alphonso)
Bald stehen wir alle splitternackt da, vor der ganzen Welt. 100 zornige Zeilen gegen die Naivität, mit der die Fans des Web 2.0 sich selbst entblößen.

Ebay-Nutzer bekommen teure Post vom Anwalt
(welt.de, Steffen Fründt)
Rechtsanwälte haben Kunden des Auktionshauses Ebay als ergiebige Einnahmequelle entdeckt. Wegen vermeintlicher Formfehler mahnen sie systematisch Verkäufer ab. Nun flattern bei Tausenden Privatleuten deftige Rechnungen ins Haus. Bislang hatten die Anwälte nur professionelle Händler im Visier.

Der Unternehmer, ein Admiral und ein «Schweizer Fräulein»
(nzz.ch, Matthias Daum)
Reale und virtuelle Begegnungen mit drei Schweizer Bloggern.

Brutaler Kampf ums Altpapier
(spiegel.de, Alexandra Sillgitt)
Die Entscheidung fällt an der Mülltonne: Kommunen und private Anbieter liefern sich deutschlandweit einen Kampf um ausgelesene Zeitschriften und Zeitungen. Der Streit wird vor Gericht ausgefochten oder auf der Straße – denn Pappe und Papier bringen bares Geld.

Sex mit spitzer Feder
(sonntagszeitung.ch, Martina Bortolani)
Die Jungautorinnen einschlägiger Kolumnen schreiben ebenso unbeschwert über Schwänze wie über ihre neuen Schuhe.

medienlese – der Wochenrückblick

Gesamtkunstwerk Bild, Wikipedia-Promis, Premium-Zeitschriften.

Schweini: Ich steht zu Poldi” lautete diese Woche eine Schlagzeile der Bild-Zeitung über “Prinz Peng”. Wer das jetzt nicht verstanden hat, muss das auch gar nicht, wenn es nach Medienwissenschaftler Norbert Bolz geht. Er sagte: “‘Bild’ ist ein Gesamtkunstwerk und hat einen unglaublichen Einfluss auf die Politik”. Die Belegschaft der Zeitung zog von Hamburg nach Berlin und stellte gleich mal einen Werbewagen auf, um bei der Nachbarredaktion der taz auf sich aufmerksam zu machen. Wie dieses Bild zeigt, wurde die Zeitung von der Stadt Berlin in ihrer gewohnt herzlichen Art, ja man möchte fast schon sagen, überschwänglich empfangen.
Read On…

“BamS”-Reporter sind (…)

Ding-Dong. Oder um’s mit der “Bild am Sonntag” zu sagen:

ÜBERMORGEN BEGINNT DER PROZESS GEGEN MARCO IN DER TÜRKEI (…) Vergangene Woche begab sich BILD am SONNTAG erneut auf Spurensuche in England: (…) Die BamS-Reporter klingeln an dem kleinen Einfamilienhaus von Charlottes Vater Graham M. (…) Als auf das Türklingeln niemand öffnet, hinterlassen die BamS-Reporter einen Brief, fragen den Vater nach dem Zustand seiner Tochter und zu den Ereignissen des vergangenen Jahres.
(Auslassungen von uns.)

“Zwei Stunden später”, so steht es anschließend in der heutigen “BamS”, habe Charlottes Vater den Reportern eine SMS geschickt, die von der “BamS” dokumentiert und wie folgt übersetzt wird:

“Meine Familie und ich haben mehr durchgemacht, als ich es mir hätte jemals vorstellen können. Charlotte ist ein Kind, welches sich wohl nie wieder erholen wird. Wir müssen jetzt für uns bleiben und versuchen, endlich unseren Frieden zu finden (…). Marco wird diesen Frieden auch finden müssen. Ich hoffe, er und seine Familie finden ihn auch.
(Auslassung von “Bild am Sonntag”.)

An der Stelle, an der sich in der “BamS”-Übersetzung die drei Auslassungspunkte finden, stehen im Original vier Worte:

Please respect our peace.

Warum die “BamS” ihren Leser die Übersetzung dieses kurzen Satzes vorenthält, wissen wir nicht. Ein Übersetzungsproblem wird es nicht gewesen sein. Aber vielleicht haben ihn die Reporter Shila Behjat und Jürgen Damsch trotzdem nicht verstanden. Schließlich handelt es sich dabei um die ausdrückliche Bitte, die Privatsphäre zu respektieren.

Mit Dank an Georg H., Kai B. sowie Florian und Annette Z.

Tibet-Nepal-Schwäche von Bild.de chronisch (2)

Bild.de hält unbeirrt daran fest, Fotos von gewaltsamen Auseinandersetzungen in Nepal als Fotos von gewaltsamen Auseinandersetzungen in Tibet auszugeben. Eine Anfrage von uns, ob sich Bild.de das Recht vorbehalte, an dieser Praxis auch in Zukunft festzuhalten, blieb unbeantwortet.

Anders als andere Medien sieht Bild.de offensichtlich keinen Grund zu einer Korrektur. Auch eine lange gemeinsame Analyse von Bild.de-Weltpolitik-Experte Karl Wendl und “Bild”-Alles-Experte Paul C. Martin vom vergangenen Dienstag ist nach wie vor mit einem Foto illustriert, das den Einsatz nepalesischer Polizisten bei einer Demonstration vor der chinesischen Botschaft in Kathmandu zeigt. Bild.de behauptet, es zeige das Vorgehen chinesischer Soldaten in Tibet:

Aber vielleicht tut man den Experten von Bild.de unrecht, wenn man ihnen böse Absicht unterstellt. Womöglich ist es nur Ahnungslosigkeit. Als einen Grund dafür, warum China Tibet “unbedingt behalten will” nennen sie den “militärischen Faktor”:

Durch die einmalige strategische Lage im Dreieck von China, Indien und Russland ist Tibet für Peking eine wichtige Pufferzone gegen die mächtigen Nachbarn.

Tibet ist ein denkbar schlechter Puffer gegen Russland — es grenzt nicht an Russland, ja: Es liegt nicht einmal in der richtigen Ecke des Landes. Zwischen den Grenzen der autonomen Region Tibet und Russland sind rund 1500 Kilometer Luftlinie. Aber das Problem kennen wir ja schon.

Vielen Dank an Axel F. für den Hinweis!

“Bild” erweitert Niemandsland II

Vorgestern hatten wir ja schon vermutet, dass Prof. Dr. Stefan Appelius, der im Rahmen des Forschungsvorhabens “Tod in Bulgarien” Fluchtversuche von DDR-Bürgern untersucht, gegenüber der “Super Illu” nicht von einer “Grenze zwischen DDR und Bulgarien” gesprochen hat, wie “Bild” behauptete. Heute schickt uns Appelius eine kleine Erläuterung zur “Bild”-Meldung, die wir gerne veröffentlichen:

Zu der Meldung ist zweierlei zu sagen: Ich habe tatsächlich zu keiner Zeit von einer Grenze zwischen der DDR und Bulgarien gesprochen oder geschrieben.

Aber auch die Überschrift der Kurzmeldung selbst ist problematisch (“Kopfprämie für tote DDR-Flüchtlinge”). Im besagten Interview mit der “SUPERillu” habe ich auf die Frage, ob es solche Kopfprämien “tatsächlich” gegeben habe geantwortet: “Man kann das vermuten.” Die Frage der so genannten Kopfprämien steht nicht im Mittelpunkt meiner Forschungsarbeit, zu diesem Thema müsste man mindestens einen Aufsatz schreiben, um die Komplexität und die Gründe für bestimmte Hypothesen zu erfassen. Man hat diese Kopfprämien aus dem Kontext gerissen und aus Gründen der Effekthascherei ganz bewusst aufgebauscht. Das ist allerdings schon in der Pressestelle der “SUPERillu” geschehen.

Die Bild-Zeitung hat den “Grenzfehler” in ihrer Ausgabe vom 27.03. korrigiert. Darin wird den Lesern mitgeteilt, dass es keine Grenze zwischen der DDR und Bulgarien gab, wie ich es angeblich behauptet haben soll. Dann heißt es in der Korrektur, die betreffenden ostdeutschen Todesopfer seien an den Grenzen von Bulgarien nach Griechenland und zur Türkei zu beklagen gewesen. Richtig müsste es allerdings heißen: An den Grenzen Bulgariens nach Griechenland, zur Türkei u n d Jugoslawien. Also wurde auch bei der Berichtigung geschlampt.

Außerdem hätte man seitens der Bild-Zeitung auch ruhig dazu schreiben können, dass dieser ganze idiotische Fehler nicht auf mich zurückzuführen ist, sondern in der Redaktion entstanden ist.

Das Busen-Wunder von Kuala Lumpur

Interessanter Busen heute in der “Bild”-Zeitung. Gut, die Frau, der der Busen gehört, heißt gar nicht Bachar Carmit, sondern Carmit Bachar. Und “‘Pussycat Doll’-Sängerin” ist die auch nicht mehr. Und die Blondine auf dem anderen Foto in “Bild” heißt auch mit Sicherheit nicht Wyatt Kimberly, sondern allenfalls Kimberly Wyatt. Sie sieht aber ohnehin eher aus wie Ashley Roberts. Und so richtig neu sind die Fotos auch nicht. Sie stammen offenbar aus dem Jahr 2006. Und dass sie sich jetzt erst in “Bild” finden, liegt wohl daran, dass die “Sun” vorgestern berichtete, die “Pussycat Dolls” müssten wegen eines Auftritts in Kuala Lumpur ein Bußgeld zahlen – was allerdings auch schon im Jahr 2006 gewesen zu sein scheint. Unwahrscheinlich, dass das der Grund ist, warum davon gar nichts in “Bild” steht. Interessanter Busen jedenfalls.

Mit Dank an Simon P., Daniel D. und Timm S. für den Hinweis.

6 vor 9

Wir sind unschuldig, wenn wir töten
(freitag.de, Yonatan Mendel)
Freitag übersetzt einen Artikel aus der London Review of Books, in dem Yonatan Mendel, ehemaliger Korrespondent der Nachrichtenagentur Walla, über Journalismus in Israel schreibt.

Keine Ressourcen für Qualität
(werbewoche.ch, Stephan Russ-Mohl)
Verlässliche journalistische Information werden wir auch in Zukunft brauchen. Zu welchem Preis hängt aber von der Einsicht der Werbebranche ab, dass auch im Internet Inserate bei glaubwürdigen Werbeträgern mehr bringen.

Private Dollarmillionen für besseren Journalismus
(nzz.ch, Stephan Weichert, Alexander Matschke und Till Wäscher)
In den USA wollen Gönner den Qualitätsjournalismus fördern. Zu diesem Zweck erhält das neue Redaktionsbüro Pro Publica jährlich zehn Millionen Dollar. Was lässt sich damit bewirken? Der Leiter und ehemalige Chefredaktor des «Wall Street Journal», Paul E. Steiger, unterhielt sich mit Stephan Weichert, Alexander Matschke und Till Wäscher.

Reden als Ablasshandel
(message-online.com, Fritz Wolf)
“Anne Will tut übrigens der journalistischen Qualität ihrer Sendung keinen Gefallen, wenn sie einen CDU-Ministerpräsidenten oder eine CSU-Generalsekretärin einlädt und ihnen nichts anderes zumutet als das leichte Spiel, die SPD vor sich herzutreiben und über sich zu schweigen.”

Nachträglich zum Achtzigsten: Die Klaus-Heinrich-Charts
(umblaetterer.de)
Vier Feuilletonartikel über den Religionswissenschaftler Klaus Heinrich im Vergleich.

Montgomery: papers must adapt or die
(guardian.co.uk, John Plunkett)
“David Montgomery: ‘The age of the subeditor is going to disappear,’ he told a House of Lords select committee.”

“Bild” und Lidl: Kleine Meldung unter Freunden

“Frei nach Axel Springer: ‘Bild’ sollte nie irgendein Boulevard-Blatt, sondern eine Volkszeitung sein. Also Anwalt der Leser, Zuhörer, Ratgeber, Verteidiger, Helfer. Übersetzt heißt das: ‘Bild’ sagt nicht nur, was passiert. ‘Bild’ sagt auch, was die Republik fühlt. (…) Das ist unser Anliegen: zu dokumentieren, was die Menschen beschäftigt, was sie emotional umtreibt. ‘Bild’ ist (…) die gedruckte Barrikade der Straße. Das ist ihre Macht.”

Kai Diekmann im September 2005 im “FAZ”-Interview.

Wenn das, was Diekmann damals der “FAZ” sagte, noch gelten soll (und für etwas anderes gibt es keine Anhaltspunkte), dann “fühlt” die “Republik” so ziemlich gar nichts angesichts der Tatsache, dass beim Lebensmitteldiscounter Lidl die Mitarbeiter überwacht wurden.

“Bild” über den Lidl-Skandal

Der Lebensmitteldiscounter Lidl soll Beschäftigte systematisch überwacht haben. Angeblich wurde mit Überwachungskameras registriert, wann und wie häufig Mitarbeiter auf die Toilette gehen (…). Das berichtet der “Stern”. (…) Lidl-Geschäftsführer Jürgen Kisseberth wollte “nicht ausschließen”, dass es entsprechende Aufträge gegeben habe.

Dann findet die Republik nicht, es sei ein “Lidl-Skandal”, dass “Mitarbeiter bis aufs Klo bespitzelt” wurden, wie beispielsweise das Boulevardblatt “Berliner Kurier” heute auf der Titelseite (pdf) schreibt. Dann meint die Republik nicht, die “Stasi-Methoden bei Lidl” seien eine “Schweinerei ohne Gleichen”, wie das Boulevardblatt “Hamburger Morgenpost” auf der Titelseite berichtet. Dann ist die Republik auch nicht der Auffassung, Lidl sei “mit den jüngsten Enthüllungen” auf dem “Niveau totalitärer Sklavenhalter” angekommen, wie es in einem Kommentar (leider nicht online) der Münchner “Abendzeitung” heißt. Dann ist die Republik nicht mal an einer weniger aufgeregten aber ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Thema interessiert.

Wenn immer noch gelten soll, was Diekmann der “FAZ” sagte, dann löst die Bespitzelung von Mitarbeitern bei Lidl bei den “Bild”-Lesern ungefähr genauso viele Emotionen aus, wie die Tatsache, dass der VdK-Präsident Hirrlinger die Rentenerhöhung verteidigt (siehe Ausriss).

Aber das geht uns ja eigentlich gar nichts an. Schließlich ist es ganz allein Aufgabe der Redaktion, zu entscheiden, was wie und in welcher Größe über den Lebensmitteldiscounter und besonders guten Geschäftspartner von “Bild” in “Bild” steht.

Mit Dank an Tim, Denis K., Horst E. und Kai Z. für den Hinweis.

Tibet-Nepal-Schwäche von Bild.de chronisch

Ausgerechnet die staatlichen Medien Chinas, dessen Regime mit erheblichem Aufwand und großer Härte verhindert, dass sich die Menschen in China und über China frei informieren können, hat den westlichen Medien am Wochenende falsche und irreführende Berichterstattung über die dramatischen Vorgänge in Tibet vorgeworfen. Und das Schlimme ist: Im Kern stimmen die Vorwürfe. So haben unter anderem die deutschen Nachrichtensender N24 und n-tv Bilder von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Protestanten in Indien und Nepal als Aufnahmen aus China oder Tibet ausgegeben. Am Montag räumten RTL und n-tv schließlich ein, Bilder in einen falschen Zusammenhang gestellt zu haben, und bedauerten den Fehler.

Auch Bild.de hatte in der vergangenen Woche kurzerhand Fotos umdeklariert. Die Zeile “Hunderte Tote bei schweren Unruhen in Tibet” wurde mit dramatischen Aufnahmen illustriert, die nicht in Tibet, sondern in Nepal entstanden sind (siehe Ausriss). Davon, dass Bild.de den Fehler inzwischen ebenfalls eingeräumt oder sich gar dafür entschuldigt hätte, ist aber bislang nichts bekannt.

Vermutlich sollte man darauf auch nicht warten. Das Online-Angebot von Europas größter Tageszeitung macht seinen Lesern auch weiterhin ein Nepal für ein Tibet vor. Gestern berichtete Bild.de, dass China Klöster in Tibet abgeriegelt habe und dort ein Mönch verhungert sei, und zeigte ein zu dieser Meldung scheinbar passendes Foto:

Aber auch dieses Foto zeigt keinen Mönch in Tibet, schon gar keinen verhungernden, sondern einen Mönch in Nepal. Und das wusste auch Bild.de, denn der Original-Bildtext lautet:

An injured Tibetan monk protestor is helped by other monks during a protest rally in front of the visa section of Chinese Embassy in Kathmandu, Nepal, 25 March 2008. Nepalese police on 25 March y arrested over 100 out of several hundreds of demonstrating Tibetans in the first demonstrations by Tibetan exiles in Nepal targeting the Chinese embassy since the start of their campaign against Chinese rule in their homeland nearly two weeks ago. EPA/NARENDRA SHRESTHA

Und für alle Fälle hat die deutsche Nachrichtenagentur dpa einen deutschen Bildtext hinzugefügt. Er lautet:

Mehr als 100 Festnahmen bei Protesten von Exil-Tibetern in Nepal.

Nachtrag, 14.15 Uhr. Und selbst diese Zeile hätte man nicht lesen müssen, um wissen zu können, dass das Foto aus Nepal stammt. Das Original-Foto zeigt, wenn man es nicht so kunstvoll beschneidet wie Bild.de, die Buchstaben “NEP…” auf dem Schild eines Polizisten hinter dem Mönch. “NEP…” wie “NEPAL POLICE”.

Blättern:  1 ... 850 851 852 ... 1144