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Öffentlich-rechtliches Wunschkonzert
(faz.net, Daniel Bouhs und Peer Schader)
15 Vorschläge werden der Rundfunkkommission der Länder mit auf den Weg gegeben. Die trifft sich heute und berät über die Zukunft von ARD und ZDF.

Alice Schwarzer“Alphamädchen” antworten Alice Schwarzer
(SZ, Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl)
Die “Wellness-Feministinnen” schreiben: “In unserer Generation gilt es als gesetzt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Findet sich eine Frau plötzlich trotzdem in einer Rolle wieder, die sie sich so nie gewünscht hatte, dann ist sie eben selbst schuld, hat sich nicht genügend angestrengt. Wer meckert, gibt sich als Versagerin zu erkennen in einer Gesellschaft, in der doch angeblich alles möglich ist.”

Zu groß geratene Sonnenbrillen
(taz, Martin Reichert)
Die Neon ist ein erstaunliches Phänomen, findet Martin Reichert in der taz. Sie wird “in München gemacht von Vertretern einer Generation, deren geistiges und ästhetisches Zentrum eher in Berlin liegt. … Die Generation Umhängetasche … nimmt das Leben nicht ernst, sondern setzt es stets in Anführungsstriche. Man lebt im Dauerprovisorium und liest – bis es endlich losgeht – Neon.”

Pssst, die Werbung
(The Guardian, Mark Sweney)
“The days of having to dive for the remote control to turn down noisy TV commercials look to be numbered, with new rules set to be introduced banning excessively loud ads.”

Let’s have more fun
(Poynter Online, Amy Graham)
Gegen die miesmachenden Denkverbote im Journalismus: “… right now is a time of immense opportunity for journalism and journalists to take on a broader and even more vital role in society.”

Alice Schwarzer

“The Queen of the New Age” (Lesetipp)
(New York Times Magazine, Mark Oppenheimer)
Reich durch Lebensratgeber und Neugeist-Bewegung: Louise Hay ist eine der meistgelesen Autorinnen der Welt. Den Verlag dazu besitzt sie auch gleich. “The announcement of the National Book Award finalists means nothing at Hay House. The hundred-odd employees at Hay House headquarters in an office park in Carlsbad, Calif., are not the publishing girls and guys of New York. … But they are brilliant students of spiritual hunger, a symptom of modernity that, along with oil and war and sex, may be one of the best business models of all.”

“Bild” ist der Meinung: Das ist Spitze!

Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder haben die Leute, die in “Bild” heute über das deutsche Steuerrecht geschrieben haben, sehr wenig Ahnung vom deutschen Steuerrecht. Oder sie haben sich entschieden, sich ihr Wissen über das deutsche Steuerrecht nicht anmerken zu lassen, um die von ihr befürworteten Vorschläge der CSU zu einer Steuerreform besonders überzeugend wirken zu lassen. Wir wissen nicht, was stimmt. Außer, dass das, was “Bild” schreibt, nicht stimmt.

Es geht um die Frage, ab welchem Einkommen der Höchststeuersatz von 42 Prozent gelten soll. “Bild” zeigt zur Veranschaulichung vier vermeintliche “Durchschnittsverdiener”: einen Angestellten, eine Lehrerin, einen Makler und einen Bauleiter, die angeblich zwischen 4400 und 4580 Euro brutto im Monat verdienen, und behauptet, dass sie damit laut Gesetz schon Spitzenverdiener seien. Denn, so “Bild”:

In Deutschland greift der Höchststeuersatz (42 %) schon ab einem Brutto-Einkommen von 4346 Euro/Monat (52.151 Euro im Jahr)!

Nee. Nicht ab einem Brutto-Einkommen in dieser Höhe. Sondern ab einem zu versteuernden Einkommen in dieser Höhe. Vom jährlichen Brutto-Einkommen der vier “Bild”-“Spitzenverdiener” sind mindestens der Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 Euro und Teile der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge (mehrere Tausend Euro) abzuziehen, um das zu versteuernde Einkommen zu berechnen. Wenn die angegebenen Brutto-Gehälter stimmen, muss vermutlich keiner der von “Bild” Gezeigten tatsächlich den Spitzensteuersatz zahlen.

Überhaupt lässt “Bild” die angeblichen Spitzensteuersatz-Zahler so tun, als müssten sie ihr gesamtes Einkommen mit 42 Prozent versteuern. Tatsächlich gilt dieser Steuersatz nur für denjenigen Teil, der die Grenze von 52.151 Euro jährlich übersteigt. Realistischerweise zahlen die vier Betroffenen jeweils vielleicht rund 12.000 Euro Einkommenssteuer, was etwa 25 Prozent des zu versteuernden Einkommens entspricht — nicht über 22.000 Euro, wie “Bild” suggeriert.

Die Lehrerin und der Bauleiter fühlen sich zudem besteuert wie eine “Millionärin” bzw. ein “Top-Manager mit Millionen-Gehalt”. Dass für die in aller Regel ein noch höherer Steuersatz von 45 Prozent gilt (“Reichensteuer”), hat “Bild” ihnen offensichtlich nicht erzählt.

Aber es ging ja bei dem ganzen Artikel nicht darum, die Leser klüger zu machen.

Mit Dank an Peter R., Markus H., Oliver O. und Manuel L.!

Das ist so nicht richtig

In einem Interview mit dem Medienmagazin “Journalist” entgegnet “Bild”-Chef Kai Diekmann auf die Aussage, der “BILD-Leserbeirat” habe sich beim ersten Treffen im Oktober von der “Bild”-Zeitung “unter anderem ‘weniger blutrünstige Storys'” gewünscht:

“Das ist so nicht richtig. Vielmehr hat der Leserbeirat ausdrücklich gesagt, dass die Realität auch dann gezeigt werden muss, wenn sie nicht erfreulich ist. Allerdings hat er in diesen Fällen mehr kompositorische Rücksichtnahme gefordert, dass also beispielsweise die Witze nicht neben einem Unfalldrama platziert werden.”

Indes: Unseres Wissens äußerte sich Romy Henke, Mitglied im “BILD-Leserbeirat”, im Oktober 2007 wie folgt:

“Wir wünschen uns mehr Wissenschaftsberichte und weniger blutrünstige Storys wie über den Kannibalen von Rotenburg.”

Woher wir das wissen? Na, aus Diekmanns Zeitung:

Das Gegenteil von Anonymisieren

Schon oft haben wir hier darüber berichtet, dass die “Bild”-Zeitung wieder und wieder die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt, indem sie ihrem Millionenpublikum Fotos präsentiert, die – irgendwo aufgetrieben – kaum oder gar nicht anonymisiert (mutmaßliche) Täter und Opfer von Straftaten zeigen.

Dabei es ist ja nicht so, dass “Bild” nicht wüsste, dass und wie man anonymisieren muss. Im Gegenteil. Wir zeigen hier mal beispielhaft die gängigsten Versionen:

Neuerdings jedoch benutzt “Bild” beim Herzeigen von Menschen, für deren Herzeigen es keinerlei Notwendigkeit gibt, auch eine neue Art der Nachbearbeitung.

Aktueller Fall: Eine Frau soll vor knapp 20 Jahren drei Babys zur Welt gebracht, möglicherweise nach der Geburt getötet und in der Tiefkühltruhe eingefroren haben. Ihr 18-jähriger Sohn habe die Babyleichen nun durch Zufall entdeckt. Da sei die Frau zur Polizei gegangen und festgenommen worden. Sie befinde sich in psychiatrischer Behandlung. Aus Ermittlerkreisen heißt, die Tat sei “im Grunde aufgeklärt” – evtl. sogar verjährt.

Und “Bild” hat ein Foto der Frau. Seit gestern vormittag zeigt sie es online. Als Quelle wird der “Bild”-Fotograf Stefano Laura genannt. Nachdem er das Exklusiv-Foto offenbar bei Nachbarn/Freunden/Verwandten beschafft hatte (auch das gehört zu den Aufgaben von “Bild”-Fotografen), war die “Bild”-Redaktion am Zug, musste entscheiden, ob sie die Abgebildete bei der Veröffentlichung unkenntlich macht oder nicht. Und entschied mal wieder: nicht.

Irgendwann im Laufe des Tages jedoch kam jemand bei “Bild” auf die Idee, das Foto auf Bild.de doch noch einmal grafisch nachbearbeiten zu lassen. Das Ergebnis wollen wir nicht zeigen, nur die Methode:

Die Nachbearbeitung fand also offensichtlich nicht aus Menschlichkeit statt, sondern aus unternehmerischem Kalkül: Wer das Foto aus dem Online-Angebot von “Bild” klaut benutzt, zeigt auch gleich die Quelle.

Immerhin: Wir haben verstanden und empfehlen daher allen, die unbedingt private Fotos von sich online stellen wollen, dies:

Mit Dank an die Hinweisgeber – und Philipp Neuhaus fürs Symbolfoto.

P.S.: Die gedruckte “Bild” zeigt das Foto der Frau auf der Titelseite und noch einmal groß im Artikel.

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München hui, Hamburg pfui
(Newsroom)
Das Landgericht Hamburg hat geurteilt, dass Redaktionen und Journalisten für falsche Behauptungen in O-Tönen haften – während das Oberlandesgericht München in einem anderen Urteil die Verbreiterhaftung eingeschränkt hatte.

EU will Bürgermedien stärken
(golem.de, Robert A. Gehring)
“Der Kulturausschuss des EU-Parlaments bereitet einen Bericht über Maßnahmen zur Unterstützung alternativer Medien in Europa vor, um ‘eine pluralistische Medienumwelt und kulturelle Vielfalt zu garantieren’. Vorgeschlagen werden unter anderem Fördermaßnahmen für ‘Community-Medien’.”

Nichts mehr übrig von Niels Ruf
(Jungle World, Julia Bernstein)
“… schlechte Gags und noch langweiligere Gäste. Bereits nach der ersten Minute war einem klar, dass über allem die Aura des Gescheiterten lag.”

Mr. BoingBoing im Interview
(Debug, Sascha Kösch)
Cory Doctorow ist “Tausendsassa, Medienaktivist und Autor in hornbebrillter Personalunion” und einer der Köpfe hinter BoinBoing.net, dem Präsentierteller des ausgemachten Wahnsinns und aller erdenklicher Internet-Kuriositäten.

Weg mit dem Mantel
(media-ocean.de, Steffen Büffel)
Fünf Thesen: Lokalzeitungen sollen auf den überregionalen Mantel verzichten, “magazinig” und crossmedial daherkommen, ein kleineres Papierformat wählen, weniger machen und dafür guten Journalismus bringen und sich ins Internet wagen.

“Kitsch, Kot und Kommerz”
(NZZ Folio, Veronika Schöne)
Kurioses aus der Kunstwelt: Die kitschigsten Landschaften, der dreisteste Fälscher, die perfideste Zerstörung, der letzte Skandal …

Winter beim Frühjahrsputz entdeckt

Haben sie bei Bild.de heute etwa ihre Schreibtische aufgeräumt – und eine Pressemitteilung des “Lifestyle Presseservice” vom 19.12.2007 (wieder)gefunden?

Oder warum sonst steht da auf Bild.de (na, Sie wissen schon: “erstklassiger Journalismus” mit “laufend aktualisierten Inhalten”) seit heute nachmittag diese Meldung über Winter, die Delfinin mit Schwanzflossenprothese? Oder anders gefragt: Warum eigentlich enthält die Bild.de-Meldung keine einzige Info, die nicht auch schon in der inzwischen viereinhalb Monate alten und längst weitverbreiteten Pressemitteilung stand, dafür aber Formulierungen, die der Pressemitteilung sogar aufs Wort gleichen?

Zum Vergleich:

lifePR.de vom 19.12.2007 Bild.de vom 5.5.2008
(…) eine neuartige Prothese ermöglicht dem behinderten Delfin eine nahezu uneingeschränkte Bewegungsfreiheit, die er gerne in Sprüngen zur Schau stellt. (…) Mit ihrer Freude über die Prothese schenkt Winter Menschen mit ähnlichem Schicksal nicht nur Hoffnung – Teile der dabei eingesetzten Technologie könnten in Zukunft auch Menschen mit Amputationen helfen. (…) ihre Prothese, die ihr [“Winter”] eine nahezu uneingeschränkte Bewegungsfreiheit gibt. Das stellt sie immer wieder gern durch hohe Sprünge zur Schau (…). Doch nicht nur die Freude des Delfins über die Prothese schenkt den Menschen mit ähnlichem Schicksal Hoffnung – Teile der bei “Winters” Prothese eingesetzten Technologie könnten in Zukunft auch Menschen mit Amputationen helfen.

Mit Dank an Torsten S. für den Hinweis.

Nachtrag, 6.5.2008: Immerhin ahnen wir jetzt (mit Dank an Christian K. und Peter H.), warum Bild.de gestern die alte Pressemitteilung um- und abgeschrieben hat: Der “Telegraph” und (anschließend) auch die “Daily Mail” berichteten gestern aktuell über den Delfin.

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Falsch und gefährlich
(Das Magazin, Reto E. Wild)
“In welcher Art das Gros der Schweizer Medien über Israel informiert und bewusst oder unbewusst wesentliche Fakten vorenthält, hat sich in den letzten Monaten besonders bei der Berichterstattung über den Gazastreifen gezeigt.”

Gegen den Wellness-Feminismus
(faz.net, dpa)
In Büchern wie “Neue deutsche Mädchen” und “Wir Alphamädchen” wird nur ein Wellness-Feminismus propagiert, ätzte Schwarzer bei der Entgegennahme des Ludwig-Börne-Preises in Frankfurt. Dabei sei Zwangspostitution weiter “ganz und gar ungeil”. Laudator Harald Schmidt war ganz bei ihr: “Zeig mir wo die Girlies sind!”

Hinsehen gegen Nazis
Die Zeit hat die Seite “Netz gegen Nazis” gestartet: “Hier finden Sie alles, was Sie über Rechtsextremismus wissen müssen, täglich mehrmals aktualisiert von unserer Redaktion. Helfen Sie, die zwölf wichtigsten Fragen im Umgang mit Neonazis zu beantworten. Und diskutieren Sie mit anderen Nutzern über Ihre Erfahrungen.” Mit täglicher Presseschau.

Große Erwartungen an Krimiserie KDD
(dwdl.de, Uwe Mantel)
“Aufatmen beim ZDF wie auch bei Kritikern: Die mehrfach preisgekrönte, in Staffel 1 aber eher schwach gelaufene Serie ‘KDD’ startete solide in die neuen Folgen.” Im Fernsehlexikon gibt’s die Langfassung eines Werkstattgesprächs mit KDD-Autor Orkun Ertener von Stefan Niggemeier.

Gott weint jetzt
(Spiegel Online, Antonie Rietzschel)
“16.000 Jugendliche aus evangelikalen Gemeinden und Freikirchen in Deutschland treffen sich von Mittwoch bis Sonntag in Bremen. Sie besuchen Musikfestivals, Seminare, Workshops und Gottesdienste. Es könnte eine große Party für junge fromme Leute sein, aber das ‘Christival’ will mehr – und genau darum ist es so umstritten.”

Willkommen in der Blogosphäre
(Gawker.com, Pareene)
“Atlantic contributor Jeffrey Goldberg started his very first blog this week, with a charmingly naive post mostly about how he knows nothing about blogging … Lord fucking save us.”

medienlese – der Wochenrückblick

Mehr Ausrufezeichen, Ringier loves Tamedia, 8-Jähriger abgemahnt.

Studierende der International School of Management (ISM) liessen 500 Blogtexte gegen 500 journalistische Kommentare antreten: “Im Rahmen der Studie wertete das Team Blogs aus, die im Ranking der Deutschen Blogcharts von Oktober 2007 Spitzenplätze belegten. Verglichen wurden sie mit Kommentaren aus zehn deutschsprachigen Leitmedien.” Festgestellt wurde, dass sich in Blogtexten mehr englische Begriffe und mehr Ausrufezeichen finden. Auch das Wort “ich” ist überproportional vertreten. Fazit: “Die Unterschiede in der sprachlichen Gestaltung sind fundamental.”
Read On…

YouTube überführt “BILD-Leser-Reporter”

Vor allem in Hamburg kam es am 1. Mai zu Ausschreitungen. Natürlich berichtet auch “Bild” über die “linken Chaoten” und “dumpfen Randalierer” — und zeigt online sogar allerlei Fotos von “BILD-Leser-Reportern”, die “Zeugen der sinnlosen Gewalt” geworden seien:

“Ein dritter Randalierer stopft das Tuch weiter in den Innenraum”? Naja. Zeugen der sinnlosen Gewalt, die ihre Aufnahmen nicht gleich an “Bild” geschickt haben, sahen die Szene irgendwie anders:

Mit Dank an, ähm, YouTube-Reporter diggernansy und an Bernd K.

Oder auch nicht

Aus dem Strafgesetzbuch:

§ 223 Körperverletzung
(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Aus einer Kolumne des “Bild”-Vize-Chefredakteurs Alfred Draxler:

Warum lassen wir zu, dass mittelmäßige Kicker bei uns abkassieren wie Weltmeister? Wenn ein Benny Lauth, Total-Versager und Ersatzspieler bei Hannover 96, wie James Bond mit einem Aston Martin V12 (528 PS) vorfährt, dann sollte er von seinen Vorgesetzten doch eigentlich auf die Fr… kriegen, oder?

Mit Dank an Daniel.

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