Gestern hatten wir berichtet, dass sich Bayer 04 Leverkusen und Trainer Sami Hyypiä gegen Berichterstattung von “Bild” verwahren, wonach ein Bruch zwischen Hyypiä und seinem Trainerkollegen Sascha Lewandowski bevorstehe.
Timm Detering, bei “Bild” für Bayer Leverkusen zuständig, schreibt heute ungerührt weiter den baldigen Bruch herbei und erwähnt die Mitteilung des Vereins mit keinem Wort. Das hat allerdings hat Walter M. Straten übernommen, Chef des Sportressorts von “Bild”.
In seinem Kommentar lehnt sich Straten mindestens so weit aus dem Fenster, wie es Leverkusen gestern getan hatte, und bezichtigt den Verein und vor allem Sami Hyypiä der Lüge:
Die Leverkusener Bosse Holzhäuser und Völler antworteten gestern auf der Homepage mit einem Dementi: Alles falsch, das habe Hyypiä nie so gesagt! Und dann faseln sie noch von einer “Kampagne”.
Was für ein Quatsch! Hiermit dementieren wir das Dementi.
Hyypiä will von seinen eigenen Aussagen nichts mehr wissen. Und Leverkusen versucht, das Trainer-Pärchen über die Saison zu retten.
Sind falsche Dementis da der richtige Weg? Vielleicht sollten die Leverkusener es mit der Wahrheit probieren…
In der Politik, der Wirtschaft, vor allem aber im Sport ist es gerne so, dass ein Medium eine anstehende Personalentscheidung vermeldet, die dann von den Betroffenen dementiert wird — und am Ende liegt das Verhältnis, wer recht hatte, ziemlich genau bei 50:50.
Seit längerem will die Kölner Sportredaktion von “Bild” beobachtet haben, dass es bei Sascha Lewandowski und Sami Hyypiä, dem Trainer-Duo von Bayer 04, nicht rund läuft.
Hyypiäs Trainer-Partner lässt es nämlich mit Aussagen über das Trainer-Modell in einem ZDF-Beitrag im Bayer-Gebälk krachen: “Es ist schon schwierig, das Tag für Tag zu leben. Kurzfristig ist es sicherlich eine sehr gute Entscheidung. Mittel- und langfristig macht es bestimmte Sachen auch schwieriger.”
• BILD hat es schon seit Monaten beobachtet: Es war auffällig, wie sich Lewandowski rund ums Spiel und an der Seitenlinie in den Vordergrund schob.
• Jetzt die Bestätigung für die Bilder und Worte der letzten Wochen: Lewandowski passt seine Rolle nicht, er nimmt sich wichtiger als er ist.
Gestern brachte “Bild” die gleichen Zitate in der Bundesausgabe einfach noch mal:
Da haben sich zwei auseinander trainiert…
Es kriselt bei Leverkusens Trainer-Duo. Sascha Lewandowski (41) stellte im ZDF-Sportstudio die Doppel-Lösung mit Sami Hyypiä (39) in Frage: “Es ist schon schwierig, das Tag für Tag zu leben.” Ist im Sommer Schluss?
Heute nun vermeldete “Bild” in der Kölner Regionalausgabe, die “Pärchen-Krise bei Leverkusen” spitze sich zu:
Laut “Bild”-Reporter Timm Detering “scheint” es, dass es “schon jetzt zum Bruch kommt”:
Gestern, 12.54 Uhr: Nach dem Training stapft Lewandowski durch den Hintereingang in die Kabine.
Ganz anders Hyypiä!
Der Finne spricht mit BILD über seine Zukunft in Leverkusen, sagt ganz offensiv: “Vielleicht werde ich es hier irgendwann alleine machen!”
Er erklärt: “Dass diese Konstellation nicht einfach für uns beide ist, habe ich ja schon mehrfach gesagt. Zurzeit muss ich alles erst mit Sascha absprechen.”
Dann wird er deutlich: “Wenn ich das dann nicht mehr müsste, würde das natürlich einiges leichter machen. Dann könnte ich die Entscheidungen alleine treffen.”
Starke Worte – zumal Hyypiä und Lewandowski (beide Vertrag bis 2015) offiziell gleichberechtigt arbeiten.
Trennt sich das Bayer-Pärchen im Sommer?
Bayer 04 Leverkusen sah sich nach eigener Aussage “genötigt”, der “Bild”-Darstellung in einer Pressemitteilung ungewohnt deutlich zu widersprechen: In der von Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser und Sportdirektor Rudi Völler unterzeichneten Mitteilung heißt es, die von “Bild” “transportierte vermeintliche Absicht”, Hyypiä strebe eine Trennung von Lewandowski an, entbehre “jeglicher Grundlage”:
Deutlicher noch, sie entspricht nicht der Wahrheit!
Die in der Überschrift mehr als latent transportierte vermeintliche Absicht Hyypiäs entspricht möglicherweise dem Wunschdenken der Bildzeitung – die Berichterstattung des Blattes über Sascha Lewandowski in den vergangenen Wochen und Monaten lässt diesen Schluss zu. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die Formulierung schlichtweg nicht von Sami Hyypiä stammt – wie in dem Artikel suggeriert. Hyypiä zu der ihm unterstellten Aussage: “Das ist nicht die Wahrheit, das habe ich definitiv nicht gesagt.”
Sami Hyypiä selbst und Bayer 04 Leverkusen verwahren sich gegen die heutige Berichterstattung der Bildzeitung. Der dargestellte bevorstehende “Bruch” zwischen Hyypiä und Sascha Lewandowski ist ein Fantasieprodukt des Autors. Aus Sicht des Vereins ist der Artikel die offensichtliche Zuspitzung einer Kampagne gegen Sascha Lewandowski, die in dieser Form nicht mehr hinnehmbar ist.
Dass in der professionellen Zusammenarbeit gleichberechtigter Personen immer auch Kompromisse vonnöten sind, um erfolgreich zu sein – dies und nichts anderes haben sowohl Sami Hyypiä als auch Sascha Lewandowski zum Ausdruck gebracht. Und zwar bereits mehrfach in den vergangenen Monaten, in Interviews mit diversen Medien und nicht erst im Rahmen von Hyypiäs Auftritt im Aktuellen Sportstudio des ZDF am vergangenen Wochenende, an dem die Bildzeitung dieser Tage nun Anstoß nimmt.
Im Sommer wissen wir vielleicht mehr.
Wobei sich “Bild” vermutlich nur an ihre Prognosen erinnern wird, wenn es in Leverkusen tatsächlich zum “Bruch” kommen sollte.
Mit Dank an Martin, Langzeitgedächtnis, Flo L., Marc W., Frank B., Eliano und Marco.
Als Julian Draxler am Samstag für den FC Schalke 04 in der Bundesliga auflief, war er mit 19 Jahren und 170 Tagen der jüngste Bundesligaspieler, der sein 100. Pflichtspiel für seinen Verein absolviert hat.
Ein (etwas bemüht wirkender) Rekord, den die Autoren von sportbild.de einzuordnen versuchen:
Der in Gladbeck vor den Toren Gelsenkirchens geborene Draxler eilt bereits von Rekord zu Rekord. Am 15. Januar 2011 gab er mit 17 Jahren und 117 Tagen als jüngster Bundesligaspieler sein Debüt.
Das stimmt so nicht: Zwar war Draxler damit der jüngste Bundesligaspieler des FC Schalke 04, aber den eigentlichen Rekord des jüngsten Bundesligaspielers überhaupt hält ein Spieler von Borussia Dortmund: 16 Jahre und 335 Tage alt war Nuri Şahin, als er am 6. August 2005 erstmalig für den BVB auflief.
Die offizielle Datenbank von bundesliga.de listet Draxler als viertjüngsten Bundesliga-Debütanten:
Mit Dank an Markus K.
Nachtrag, 13. März: Offenbar schon gestern hat sportbild.de den Satz unauffällig geändert:
Am 15. Januar 2011 gab er mit 17 Jahren und 117 Tagen als jüngster Schalker Bundesligaspieler sein Debüt.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
2. “Überangebot ist der Medien Tod” (cicero.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz stellt bei den Medien zu viel des Gleichen fest: “Wenn wir heute von medialen Angeboten im digitalen Zeitalter sprechen, dann geht es nur sehr vordergründig um die vermeintliche Zahlungsunlust des Publikums oder eine Gratismentalität, die quasi mit der Geburt des Internet wie ein Meteroiteneinschlag über uns gekommen ist. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass wir viel von dem haben, von dem wir früher mal dachten, es könnte davon gar nicht zu viel davon geben.”
3. “Käse vom Amt” (oeffentlichkeitsgesetz.ch, Otto Hostettler)
Das Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft verlangt eine Gebühr von 275.000 Franken, um Einsicht in eine Liste von Empfängern der Verkäsungszulage zu gewähren. “Bevor die Liste herausgegeben werden könne, müssten sämtliche 2500 Subventionsempfänger schriftlich ‘angehört’ werden, behauptet das Bundesamt.”
4. “A Day in the Life of a Digital Editor, 2013” (theatlantic.com, Alexis Madrigal, englisch)
Alexis Madrigal erzählt ausführlich aus seinem Alltag als Digitalredakteur von “The Atlantic”: “While the top six or seven viral hits might make up 15-20 percent of a given month’s traffic, the falloff after that is steep. And once you’re out of the top 20 or 30 stories, a really, really successful story is only driving 0.5 percent or less of a place like The Atlantic’s monthly traffic. But that’s the best-case scenario. In most cases, even great reported stories will fizzle, not spark. They will bring in 1,000 or 3,000 or 5,000 or 10,000 visitors. You’d need thousands of these to make a big site go.”
5. “YouTube Deutschland vs. YouTube International” (gugelproductions.de)
Bertram Gugel vergleicht YouTube in Deutschland und den USA: “Von sieben Fokuskategorien (Beliebt, Musik, Sport, Spiele, Filme, TV Shows, Nachrichten und Spotlight) in den USA sind in Deutschland nur ganze drei (Beliebt, Sport, Spiele) verfügbar. Es lohnt sich also ein Blick in die fehlenden Kategorien zu werfen um festzustellen, welche Bereiche und Features im deutschen Angebot fehlen.”
Bevorzugt nach der Ausstrahlung eines TV-Films (gefühlt: nachjedemverdammten“Tatort”), manchmal aber schon davor, beantwortet “Bild” die drängende Frage, wer denn die manchmal “geheimnisvolle”, häufig “tote”, aber immer “schöne” junge Frau da auf dem Bildschirm gewesen sei. Mal gibt es dazu ein Interview, mal nur ein großes Foto mit einem Hinweis auf den aktuellen Beziehungsstatus der Abgebildeten.
Heute schwärmt die Zeitung von “Kino-Darling” Jennifer Ulrich, die eine “Mega-Rolle” habe:
Das heißt: Mehr noch schwärmt “Bild” von dem Film, in dem Jennifer Ulrich diese Mega-Rolle spielt:
Dieser Film wird jedes Zuschauer-Herz höherschlagen lassen!
Sat.1 zeigt heute um 20.15 Uhr die Dahinschmelz-Komödie “Herztöne”, produziert von der Hit-Schmiede “Teamworx”.
Es sei “der Film zum Bestseller”, erklärt “Bild”.
Oder genauer:
Bei all dem Alliterationsamok und dem Komposita-Overkill war in “Bild” offenbar kein Platz mehr, um zu erklären, wer diese Katja Kessler eigentlich ist, die diesen “bezaubernden Bestseller” da geschrieben hat: Langzeit-Kolumnistin und Chefredakteursgattin.
Stefan Reisinger, Stürmer von Fortuna Düsseldorf, hat sich beim Spiel gegen Schalke 04 verletzt.
Nicht die einzige Verletzung bei der Fortuna, wie Bild.de weiß:
Die Liste der Verletzungen bei Fortuna ist diese Saison ellenlang. Und die Liste mit den daraus resultierenden Ausfallzeiten noch viel länger.
Und tatsächlich:
Allerdings wäre die Liste natürlich etwas kürzer, wenn man die ersten vier von sechs Namen nicht doppelt aufführen würde. (Was in der gedruckten “Bild” übrigens auch geklappt hat.)
Manchmal sitzen auch wir vor den Arbeiten der “Bild”-Redaktion und wissen nicht, was wir sagen sollen. Wir könnten abermals den stellvertretenden “Bild”-Sportchef Walter M. Straten zitieren, der nach dem Suizid von Robert Enke gesagt hatte, seine Zeitung wolle künftig bei der Benotung von schlechten fußballerischen Leistungen sensibler vorgehen.
Aber womöglich spricht die Berichterstattung über die “Müllhalde Hoffenheim” (gemeint ist die Mannschaft der TSG Hoffenheim) auch für sich:
Als die Österreicherin Natascha Kampusch im Sommer 2006 nach achtjähriger Gefangenschaft plötzlich wieder auftauchte, begann im deutschsprachigen Journalismus eine Jagd. Eine völlig groteske Jagd, die nur ein einziges Ziel hat: Die Antwort auf die Frage, ob Natascha Kampusch Sex mit ihrem Entführer hatte.
Die Jagd beginnt im Jahr 2006. Am 23. August erfährt die Welt, dass das Mädchen wieder aufgetaucht ist. Acht Jahre lang war sie verschwunden, gefangengehalten von Wolfgang Priklopil, der sich noch am Tag ihrer Flucht das Leben nimmt. Jetzt ist sie frei und wohlauf, es ist eine Sensation. Überall auf der Welt berichten Medien über den spektakulären Fall aus Österreich. Und bereits zwei Tage später wird deutlich, was einige daran am allermeisten interessiert:
(…) Vielleicht hat er das Mädchen zu seiner Sex-Sklavin gemacht, vermuten österreichische Medien.
(…) Die Beamtin geht auch davon aus, dass das Mädchen sexuell missbraucht worden ist – “doch das ist ihr nicht bewusst, sie ist der Meinung, es freiwillig gemacht zu haben”. Natascha schilderte auch den Tagesablauf in Gefangenschaft: Sie frühstückte mit der Sex-Bestie, musste im Haushalt helfen.
Seine Sklavin – Sie musste für ihn putzen. Er forderte auch Sex von ihr
(…) Was spielte sich im Keller ab? Eine Polizistin sagt, sie glaube, dass Priklopil Natascha zum Sex zwang: “Aber sie sagt, sie habe das immer freiwillig gemacht.”
“Express”, 26.08.2006
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Zum Sex gezwungen? Natascha und ihr Entführer hatten intime Kontakte
Die mehr als acht Jahre gefangen gehaltene Österreicherin Natascha Kampusch hatte der Polizei zufolge sexuellen Kontakt zu ihrem Entführer.
“Nürnberger Nachrichten”, 28.08.2006
Nun, bis hierher unterscheidet sich dieser Fall nicht wesentlich von anderen, in denen entführte Kinder wieder aufgetaucht sind. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier über den “sexuellen Kontakt” zwischen Opfer und Entführer spekuliert wird, ist im heutigen BoulevardJournalismus nichts Ungewöhnliches und zum Teil sicherlich unserem eigenen Voyeurismus geschuldet. Detaillierte Schilderungen der durchlebten Qualen sind zum Pflichtprogramm in der Berichterstattung geworden; wer über ein entführtes Kind berichtet, berichtet im selben Atemzug auch über das, was es durchmachen musste. Es scheint, als gehöre das dazu.
Und wenn heutzutage deutsche Journalisten – so wie im Fall von Stephanie R. vor ein paar Jahren geschehen – in einer großen Magazingeschichte die Leiden eines 13-jährigen Mädchens nachzeichnen, das “mehr als 100-mal” missbraucht wurde, gehört es offenbar auch dazu, dass geschildert wird, wo und wann und wie der Entführer das Mädchen vergewaltigt hat – und woran es dachte, “während er in ihr” war. Der “Spiegel” jedenfalls hatte 2006 kein Problem damit, solche Details zu veröffentlichen.
Arm und Milz werden selbst von schlechtesten Medizinstudenten nur selten verwechselt — das eine hängt beidseitig an den Schultern herunter, das andere liegt nur ein Pils von der Leber entfernt im Bauchraum. Insofern ist es auf den ersten Blick verwunderlich, wenn die Deutsche Presseagentur (dpa) eine solche Korrektur verschicken muss:
(Berichtigung: Milz statt Arm)
Spanischer Schiedsrichter verliert Milz nach Angriff eines Spielers
Valencia (dpa) – Ein brutaler Angriff auf einen 17 Jahre alten Fußball-Schiedsrichter hat in Spanien für große Empörung gesorgt. Der junge Referee ist bei einem Spiel von zwei Amateurteams in Burjassot bei Valencia so schwer verletzt worden, dass ihm die Milz entfernt werden musste. […]
Wobei die dpa selbst den Hinweis gibt, wie es dazu kommen konnte:
## Berichtigung
– Im Text wurde wegen eines Übersetzungsfehlers durchgehend berichtigt: Milz (statt Arm)
Und tatsächlich ist die Auflösung dann geradezu lächerlich naheliegend:
Diese Unterscheidung ist ganz hilfreich, wenn man im Urlaub zum Arzt muss. Oder wenn man das nächste Mal einen spanischsprachigenArtikel übersetzen muss.
Die meisten deutschsprachigen Online-Medien, die diesen Fehler übernommen hatten, haben inzwischen die korrekte Version online. Bei krone.at hat der junge Mann immer noch einen “Arm” verloren, beim “Südkurier” sicherheitshalber einfach beides:
Der junge Referee ist bei einem Spiel von zwei Amateurteams in Burjassot bei Valencia so schwer verletzt worden, dass ihm ein Arm amputiert werden musste. […]
Der Schiedsrichter verlor große Mengen an Blut und wurde in ein Krankenhaus gebracht.
Dort sahen die Ärzte keinen anderen Ausweg, als dem jungen Mann die Milz zu entfernen.
Mit Dank an Max S.
Nachtrag, 20. Februar: Der “Südkurier” hat alle Hinweise auf einen Arm aus dem Artikel entfernt. Womöglich schon, bevor unser Eintrag hier gestern online ging.
Auch viele andere Medien berichteten, jetzt stehe “der ‘Blade Runner’ unter Mordanklage” (mopo.de) oder “die Polizei” (!) habe “Anklage erhoben” (stern.de). Doch wie man es auch dreht: Es stimmt einfach nicht, dass der Mann unter “Mordanklage” steht. Bisher besteht lediglich ein Verdacht. Das ist im Strafrecht ein gewaltiger Unterschied — nicht nur in Deutschland, auch in Südafrika.
Ein deutschsprachiger Anwalt aus Pretoria hat uns auf Anfrage geschrieben:
Die endgültige Anklage wird erst viel später formuliert. Zur Zeit geht es lediglich darum, dass die Polizei eine Mordanklage untersucht. Ob es für Mord Beweise geben wird bleibt abzuwarten (…).
(…) Zur Zeit geht es lediglich um die Frage ob Pistorius auf Kaution freigelassen wird. Bis es zur Verhandlung kommt werden mindestens sechs Monate, wahrscheinlich aber über ein Jahr vergehen.
Immerhin ruderten einige Medien im Laufe des Nachmittags zurück und korrigierten sich (heimlich). “Spiegel Online” etwa hat in der Überschrift die “Mordanklage” durch “Mordverdacht” ersetzt und schreibt:
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll der Leichtathlet erst am Freitag einem Haftrichter in Pretoria vorgeführt worden. Dieser muss dann entscheiden, ob Mordanklage erhoben wird und ob Pistorius gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß gesetzt werden kann. Zunächst hatten Nachrichtenagenturen gemeldet, es sei bereits Mordanklage gegen Pistorius erhoben worden.
Stutzig gemacht haben diese Agenturmeldungen aber offenbar niemanden.
Mit Dank an Martin.
Nachtrag, 18.01 Uhr:Bild.de hat die Anklage jetzt ganz übersprungen und aus dem Verdacht schon mal Gewissheit gemacht:
Sie war die strahlende Frau an der Seite des Sprint-Stars Oscar Pistorius (26). Jetzt ist sie tot!
Der Sportler erschoss seine Freundin letzte Nacht in Südafrika.
Nachtrag, 16. Februar: Dass Bild.de schreibt, Pistorius habe seine Freundin erschossen, ist natürlich nicht mit einer Vorverurteilung im Sinne von “hat seine Freundin ermordet” gleichzusetzen. Dieser Eindruck ist im ersten Nachtrag vielleicht entstanden. Wir wollten lediglich darauf hinweisen, dass Bild.de die — gewiss sehr wahrscheinliche, aber eben nicht zweifelsfrei erwiesene — Vermutung bereits kurz nach der Festnahme als Tatsache dargestellt hat. Vielleicht sind wir, was den Umgang mit Tatverdächtigen angeht, ein bisschen empfindlich geworden.