Kontakt-Anzeige für Lukas Podolski

Wenn er schlau war, der Kölner “Express”, hat er Lukas Podolski einfach selbst angezeigt. Das kostet nichts, lässt sich anonym machen, ist folgenlos — bringt aber richtig gut Publicity.

Podolski hatte bekanntlich beim Spiel der Fußball-Nationalmannschaft Michael Ballack geohrfeigt. Irgendjemand hat deshalb Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattet. Und der Journalist Volker Roters berichtete ganz aufgeregt, exklusiv und fast wortgleich gestern im Kölner “Express” und in der Berliner “B.Z.” darüber.

Die Sache liest sich dramatisch:

Eine Ohrfeige gilt laut Gesetz auch dann als vollendete einfache Körperverletzung, wenn das Opfer keine Schäden davonträgt und sich der Täter später entschuldigt. (…)

Die Tat — also die Ohrfeige — wurde im Ausland begangen. Dann ist die Staatsanwaltschaften am Wohnort des Opfers befugt dazu, Ermittlungen einzuleiten. Die einfache Körperverletzung ist mit Geldstrafe oder im schlimmsten Fall mit Haft bedroht. Lukas Podolski ist nicht vorbestraft.

Ein kleines Detail über den Tatbestand der Körperverletzung ließ er bei all dem juristischen Wortgeklingel weg. In den Worten des Düsseldorfer Strafverteidigers Udo Vetter:

Körperverletzung wird lediglich auf Antrag verfolgt. Diesen Antrag kann nur der Verletzte stellen. Stellt er ihn nicht, wird die Staatsanwaltschaft nicht tätig. Es sei denn, sie bejaht ein besonderes öffentliches Interesse. Nach den bisher bekannten Umständen ist aber kaum damit zu rechnen, dass Michael Ballack einen Strafantrag stellt. Und noch weniger, dass irgendein Staatsanwalt sich zur Lachnummer machen möchte.

Wenn man das weiß, ist die Meldung von der Strafanzeige gegen Poldi natürlich keine Meldung. Aber das wäre doch schade.

Und so griffen die Nachrichtenagenturen dpa und sid die Sache auf — und deshalb steht die Geschichte vom “Nachspiel” und dem “Ärger” für Podolski heute u.a. in der “Welt”, in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, in der “Süddeutschen Zeitung”, in der “Frankfurter Rundschau”, bei “Spiegel Online” und in “Bild”.

Es ist aber auch zu interessant, was mit so einer Anzeige passiert. Von Köln ist sie gerade auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft München II, die für das Umland zuständig ist, in dem Podolski lebt. Dort ist sie aber noch nicht angekommen!

Die “Süddeutsche Zeitung” erklärt:

“Fristen von bis zu einer Woche sind bei einer Weiterleitung aber durchaus normal”, sagte der Münchner Leitende Oberstaatsanwalt Rüdiger Hödl der SZ. “Wir bearbeiten ja hier 45 000 Fälle, das dauert alles seine Zeit.”

Und der “Express” weiß:

Da die Strafanzeige aus dem Kölner Justizpalast per Post nach München verschickt wurde, kann Anton Winkler, der dortige Sprecher der Staatsanwaltschaft, noch keinen Eingang bestätigen.

Ob sich schon Teams von N24 und “RTL aktuell” bereithalten, um in Breaking News live von der Ankunft des Dokuments in der Poststelle in München zu berichten, ist nicht bekannt.

Der IQ ist nur was für Schlaue

Anscheinend halten in Deutschland plötzlich ganz viele Eltern ihre Kinder für hochbegabt. “Der Spiegel” mokiert sich darüber in seiner aktuellen Ausgabe. Eine “Hochbegabten-Hysterie” sei ausgebrochen, zitiert das Nachrichtenmagazin einen Schulpsychologen. Dabei gebe es keinen Beweis, dass die Kinder in Deutschland tatsächlich mit einem Mal so viel intelligenter geworden seien:

Nach allem, was Forscher wissen, hat sich indes kein Evolutionssprung ereignet in der Blauen Lehmkuhle und anderen Soziotopen der Republik: Der Anteil der Hochbegabten mit einem IQ von über 130 liegt konstant bei etwa zwei Prozent.

Das ist — uns fällt in diesem Kontext leider kein treffenderes Wort ein — ein etwas dummer Satz. Der Anteil der Hochbegabten mit einem Intelligenzquotient von über 130 liegt immer konstant bei etwa zwei Prozent. So ist er nämlich definiert.

Der IQ ist keine absolute, sondern eine relative Größe. Er gibt an, wie intelligent eine Person im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ist — man spricht deshalb auch vom “Abweichungs-Intelligenzquotienten”. Ein IQ von 100 entspricht nicht irgendeiner bestimmten Menge von Intelligenz, sondern der jeweiligen durchschnittlichen Intelligenz. Die Skala ist so definiert, dass 50 Prozent der Bevölkerung einen IQ von mindestens 100 haben, 16 Prozent einen IQ von mindestens 115 und 2,2 Prozent einen IQ von 130 oder mehr.

Einen “Evolutionssprung” könnte man also am IQ nicht messen — und an der Zahl der über den IQ definierten “Hochbegabten” auch nicht. Das sind, per definition, immer gut zwei Prozent.

Klingt komisch, ist aber so. Und könnte man eigentlich wissen, wenn man einen großen Artikel über Hochbegabte schreibt.

Mit Dank an Hauke S.

Der Unterschied zwischen Sein und Schein

Der 60-jährige Koch aus Dingolfing, der gestern in einem Gerichtsgebäude in Landshut um sich schoss und dabei seine Schwägerin tötete, muss ein gefährdeter Mann gewesen sein. Einer, der zu seiner Sicherheit unbedingt eine Waffe braucht. Und einer, der neben seiner Tätigkeit als Koch auch noch andere Jobs gemacht hat. Polizist beispielsweise. Oder Bodyguard. Deswegen durfte er seine Waffen samt Munition auch in der Öffentlichkeit tragen, im Gegenzug allerdings musste er seinen Waffenschein alle drei Jahre neu beantragen.

Sie staunen? Unsinn, sagen Sie?

Stimmt. Der 60-jährige Koch aus Dingolfing hätte die Voraussetzungen für einen Waffenschein mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt und einen solchen auch nicht bekommen. Und dass man ihm diesen Waffenschein auch noch gleich 40 Jahre lang gewährte hätte, ist ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Tatsächlich war der Mann also Inhaber einer Waffenbesitzkarte, die deutlich leichter zu erhalten ist als ein Waffenschein.

Das hat weniger mit den eigentlichen Waffen zu tun, die man besitzen darf, als vielmehr mit den damit verbundenen Auflagen. Inhaber einer Karte sind zum Besitz bzw. Tragen  einer Waffe lediglich auf dem eigenen Grundstück oder eigenen Wohnung oder (im Falle von Jägern) auf dem Jägerstand berechtigt. Bei einem Transport müssen Waffen und Munition getrennt voneinander aufbewahrt werden. Gegen all diese Auflagen hat der 60-jährige Täter gestern also schon verstoßen, bevor er um sich schoss. Wäre er Besitzer eines Waffenscheins gewesen, wäre sein Vorgehen (Tragen einer — auch geladenen — Waffe in der Öffentlichkeit) nicht zu beanstanden gewesen.

Der Berliner Kurier sieht trotzdem einen Zusammenhang – und schreibt:

Die Tat auszuführen, war für Franz N. kein Problem: Als Sportschütze hatte er seit 1974 einen gültigen Waffenschein für drei Revolver.

Den vermeintlich kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen Karte und Schein lassen auch andere weg: Bild.de deklariert den Mann ebenfalls als Inhaber eines Waffenscheines. Die Zeitungen direkt vor (Tat-)Ort machen es auch nicht besser: Sowohl Passauer Neue Presse als auch Straubinger Tagblatt schreiben ungerührt von einem “Waffenschein”.

Nebenher bemerkt: Bei Bild.de ist immer noch die Rede von einem “Amoklauf”. Als ziemlich gesicherte Erkenntnis allerdings gilt inzwischen, dass es sich bei der Schießerei um eine geplante Tat in einem Familienstreit handelt.

Mit Dank an Micha B. und Matthias K.!

NPD, Weischenberg, Pudel

1. “Rechtsextreme und die Medien”

(youtube.com, Video, 5:04 Minuten)

Report Mainz berichtet vom Parteitag der NPD. Eine Reporterin testet Parteimitglieder, ob sie Kopfrechnen können und will wissen, was 7 x 9 ist. Am Schluss kommt der Bericht, durch den ständig ein Fuchs läuft, zum Schluss: “Fragen beantworten oder rechnen können ist nun mal nicht jedermanns Ding.” Die Menge im Saal skandiert: “Die Presse lügt, die Presse lügt, …”

2. “AP erklärt News-Verwertern den Kampf”

(spiegel.de)

“Kampfeslust in Zeiten der Medienkrise: Die Nachrichtenagentur AP will nicht länger hinnehmen, dass ihre Inhalte von anderen Webseiten verwendet werden. Sie plant einen Aufstand der News-Produzenten gegen Aggregatoren und Abschreiber.”

3. Interview mit Siegfried Weischenberg

(sueddeutsche.de, Thomas Fromm)

“Noch vor wenigen Monaten dominierten in der deutschen Wirtschaftsberichterstattung neoliberale Positionen. Alles, was mit Regulierung zu tun hatte, war Teufelszeug. Das hat sich im Zuge der Finanzkrise ins Gegenteil verkehrt: Heute besteht die Gefahr, dass nur noch auf der Linie staatlicher Interventionen argumentiert wird. Früher waren die Manager die Könige, heute ist es Finanzminister Peer Steinbrück.”

4. “FOCUS-SCHULE klagt gegen Baden-Württemberg”

(focus.de)

“Das Bildungsmagazin FOCUS-SCHULE klagt gegen das Land Baden-Württemberg auf Auskunft. Die Zeitschrift fordert von Kultusminister Helmut Rau den presserechtlich garantierten freien Zugang zu staatlichen Informationen ein.”

5. Interview mit Don Alphonso

(meedia.de, Alexander Becker)

“Viele Zeitungen werden sterben. Es werden die überleben, die Qualität liefern und Haltung zeigen. Medien sind eine Pudelzucht. Die heutigen Journalisten sind Schosshündchen, sehen alle schick aus und sind gut dressiert. Die Leser wollen aber Wölfe anstatt Pudel.”

6. “Das Orakel vom Axel-Springer-Platz”

(manager-magazin.de, Alexander Hämmerli)

Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner: “Hätten Sie vor einem Jahr 1000 Euro in Aktien des amerikanischen Medienkonzerns Gannett investiert, hätten Sie heute noch 69 Euro übrig. Hätten Sie damals für den gleichen Betrag Holsten gekauft, hätten Sie viel Bier trinken können und könnten obendrein noch für 238 Euro Leergut einlösen.”

Kurzer Prozess mit “Schnaps-Killern”

Heute demonstriert uns Bild.de an einem anschaulichen Beispiel, was diese komischen Medienethiker eigentlich mit dem Begriff “Vorverurteilung” meinen:

Dritter Schnaps-Killer festgenommen

(Es geht um den Getränkelieferanten des türkischen Hotels, in dem Schüler aus Lübeck gepanschten Wodka tranken, was für drei von ihnen tödliche Folgen hatte.)

Bitte beachten Sie neben dem Urteil in der Überschrift und der im Original unverpixelten Abbildung der Verdächtigen auch den Artikel selbst, in dem es heißt:

Frank-Eckard Brand, Anwalt der Familie des verstorbenen Rafael N. (21), bezog sich zunächst auf eine türkische Anwältin, als er die Verhaftung des Getränkelieferanten veröffentlichte. Am Abend sagte er jedoch, es sei noch nicht klar, ob es sich bei dem Mann um den gesuchten Getränkelieferanten handele.

Inzwischen hat Bild.de der Überschrift immerhin ein halbherziges “?” spendiert.

Mit Dank an Bernhard W.!

Die EU will unser Hartz IV den Asylanten geben!

Mit dieser Schlagzeile brachte die “Bild am Sonntag” am vergangenen Wochenende einen vier Monaten alten Entwurf der Europäischen Kommission in den Blickpunkt der Öffentlichkeit:

Nach dem Vorschlag der Kommission sollen Asylbewerber in Europa prinzipiell die gleichen Leistungen erhalten wie einheimische Sozialhilfeempfänger. Darüber kann man politisch natürlich streiten. Die Art, wie diese Diskussion sich gerade entwickelt, ist aber wesentlich von den Verkürzungen und Verdrehungen geprägt, mit denen die “Bild am Sonntag” den Entwurf gemeinsam mit konservativen Politikern skandalisiert hat.

Die “Bild am Sonntag” schrieb über den Entwurf:

Der Kontrast, den die Zeitung zwischen “Bislang” (Sachleistungen) und “Künftig” (viel Geld) aufmacht, ist grob irreführend. Denn der Entwurf der EU-Kommission betont ausdrücklich, dass die Unterstützung weiterhin auch “in Form von Sachleistungen, Geldleistungen oder Gutscheinen” gewährt werden kann. Auch die Unterbringung zum Beispiel in Unterkünften für Asylbewerber gehört dazu.

Dank der Nachrichtenagentur dpa, die die “BamS”-Meldung am Sonntagvormittag ungeprüft übernahm und weiterverbreitete, fand der falsche Gegensatz mit den Sachleistungen seinen Weg in viele Medien.

Die “Bild am Sonntag” zitierte aus dem Entwurf:

Vielleicht interessiert Sie, was anstelle der “(…)” steht:

…, auf den sich die Asylbewerbern im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen belaufen, …

Mag natürlich sein, dass die drei “Bild am Sonntag”-Autoren diesen Nebensatz wegen des grauenhaften Beamtendeutsches weggelassen haben (Lesehilfe: das “die” bezieht sich auf “Leistungen”). Andererseits hätte die Formulierung von den “materiellen Leistungen” dem unbefangenen Leser vielleicht eine Ahnung davon gegeben, dass hier keineswegs nur die Rede von Barzahlungen ist.

Dass sich der Satz auch in vielen anderen Zeitungen nur gekürzt wiederfand, liegt ebenfalls an dpa. Die Agentur zitierte noch am Sonntagnachmittag den Text lieber aus der “BamS” (“Im Kommissions-Entwurf heißt es laut Zeitung”) anstatt einfach im Internetangebot der EU-Kommission das Orignal nachzuschlagen und sich — wie die Konkurrenz von AP — ein eigenes Bild zu machen.

Die “Bild am Sonntag” erwähnte übrigens auch nicht, wie hoch der heutige Anspruch von Asylbewerbern auf Leistungen ist, die den 351 Euro von Arbeitslosengeld-II-Empfängern (“Hartz IV”) entsprechen: 224,97 Euro. Der Betrag ist seit 1993 unverändert, wurde also seit 15 Jahren nicht der Inflation angepasst.

Stattdessen zitierte das Blatt den CSU-Politiker Weber mit dem Satz: “Es ist nicht akzeptabel, dass ein Asylbewerber die gleichen Leistungen erhält, wie jemand der jahrzehntelang Steuern und Sozialabgaben bezahlt hat.” Ein Hinweis, dass diese Leistungen auch ein deutscher Staatsangehöriger erhält, der in seinem Leben keinen einzigen Cent Steuern und Sozialabgaben bezahlt hat, erschien den “BamS”-Leuten wohl nicht opportun.

Stern  

Verwechslung mit einem Amokläufer

Die “Bild”-Zeitung, das Pro-Sieben-Magazin “taff” und die “Welt am Sonntag” waren nicht die einzigen, die im Bilderrausch nach dem Amoklauf von Winnenden Fotos von Unschuldigen zeigten und behaupteten, es handle sich um den Täter Tim K.

Am Tag der Tat hatte stern.de noch die atemlos bloggenden und twitternden Amateure im Netz, den “Pöbel”, dafür verantwortlich gemacht, dass Unbeteiligte mit dem Amokläufer verwechselt wurden. Die Profis vom “Stern” dagegen schafften es, noch eine Woche später ein Foto zu veröffentlichen, das ihnen nun folgende Gegendarstellung einbrachte:

Gegendarstellung. In der Ausgabe des stern Nr. 13 vom 19. März 2009 wurde auf Seite 37 rechts oben ein Foto, welches u. a. mich zeigt, mit der Bildunterschrift "Der Sieger: Tim wird 2005 Bezirksjugendmeister im Tischtennis" veröffentlicht. Hierzu stelle ich fest: Das Bild zeigt mich und nicht Tim K[...]. Erdmannhausen, den 23. März 2009 Marius Jenner. Marius Jenner hat recht. Wir bedauern das Versehen. Die Redaktion

Immerhin scheint das im selben “Stern”-Artikel abgebildete “Freundschaftsbuch einer Klassenkameradin”, in das Tim K. als Neunjähriger schrieb, dass seine Lieblingsfarbe “blau” sei, und in dem er sein Leibgericht mit “Kroketen” angab, authentisch gewesen zu sein. Das ist doch was.

Schleichwerbeverbote, Pressefotografie

1. “Das Internet ist das wichtigste Medium der Schweizer”

(ayr.ch, pdf, 178 kb)

1500 Personen zwischen 14 bis 69 in der Deutsch- und Westschweiz wurden von der Werbeagentur Advico Young & Rubicam für die Studie “Media Use Index 2009” befragt. Ergebnisse: Das wichtigste Medium ist das Internet (54.8%) vor den Tageszeitungen (35.5%), TV (33.8%), Radio (33.5%) und Mobiltelefon (32.5%). Die wichtigsten Medienmarken der 14-27jährigen: Facebook (Social Media, 49.5%), 20 Minuten (Gratiszeitung, 42.2%), Pro7 (TV-Sender, 35.8%), SF2 (TV-Sender, 33.8%), msn (Chat, 29.0%), YouTube (Videoportal, 29%), SF1 (TV-Sender, 27.9%).

2. “Geplante Lockerung des Schleichwerbeverbots in der Kritik”

(epd.de)

“Mehrere Medienverbände und Verbraucherschützer kritisieren die Absicht der Bundesländer, bezahlte Produktplatzierungen in Fernsehsendungen teilweise zuzulassen. Durch die Legalisierung des sogenannten Product-Placements verlören alle Medien, nicht nur das Fernsehen, ‘da ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt wird’, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Dietmar Wolff, am 3. April in Berlin.”

3. “Pressefotografie: Inszenierte Wahrheiten”

(gazette.de, pdf, 513kb)

“Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, vor allem mehr Unwahres: Was es zeigt, ist keine angetroffene, sondern eine vom Fotografen arrangierte Wirklichkeit. Gelegentlich gibt er das Konstruierte zu erkennen, in andern Fällen muss der Betrachter die verdeckte Absicht selbst entdecken.”

4. “US-Medien dürfen wieder Särge von US-Soldaten zeigen”

(diepresse.com)

“Ohne viel Aufhebens ist in den USA ein seit 18 Jahren bestehendes Verbot aufgehoben worden: Erstmals dürfen Medien wieder in Bildern von der Heimkehr getöteter Soldaten aus dem Ausland berichten.”

5. Interview mit Martin Blumenau

(chilli.cc, Markus Peyerl)

“Ich stelle nur fest, dass dieses ‘Irgendwas mit Medien’-Gefühl momentan immer stärker verbreitet. Vor allem in der Gruppe derer, die dubios irgendetwas vor sich hin studieren oder vielleicht den FH-Kurs ‘Journalismus’ machen, verdichten sich diese Unklarheiten gerade zunehmend.”

6. “Consider the erotic potential between blogger and commenters”

(nytimes.com, Jan Hoffman)

Eine Rechtsprofessorin und ein Gartendesigner heiraten. Kennengelernt haben sie sich in ihrem Blog.

Abwrackprämie jetzt auch für alte Monate

Fangen wir mit einer kleinen, aber typischen Sache an.

Haben Sie vergangene Woche auch gehört, dass der Einzelhandel über die Abwrackprämie stöhnt? Weil die Menschen ihretwegen weniger Geld für Dinge ausgeben, die keine Autos sind? Möglicherweise stimmt das sogar. Aber die Zahlen, die der Anlass für die Behauptung sind, geben das nicht her.

Das Statistische Bundesamt hat errechnet, dass die Umsätze im Einzelhandel im Februar um beunruhigend klingende 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zurückgegangen seien. Die Nachrichtenagentur Reuters begann ihre Meldung deshalb mit dem Satz:

Die Abwrackprämie verdirbt Kaufhäusern, Supermärkten und dem Versandhandel das Geschäft.

Nun hatte der Februar 2008 allerdings etwas, das der Februar 2009 nicht hatte: einen 29. Tag. Dank des Schaltjahres brachte er es auf 25 Einkaufstage, in diesem Jahr waren es nur 24. Das entspricht einem Rückgang von: 4 Prozent.

Reuters erwähnt den fehlenden Verkaufstag sogar beiläufig, zieht aber keine Schlüsse daraus, dass sich ein großer Teil des ach so dramatischen Umsatzrückgangs also ganz banal dadurch erklären ließe, dass der Februar kürzer war — was natürlich weder in die Stimmung passt, noch für knackige Überschriften taugt:


Die “Financial Times Deutschland” ging noch weiter, ließ den Hinweis auf den kürzeren Monat ganz weg und schloss aus dem Umsatzminus schlicht und laut:

Rezession würgt Umsätze im Einzelhandel ab

Immerhin: Spätestens im Februar 2012 müsste es dann ja abrupt wieder bergauf gehen.

Mit Dank an Matthias Schrade und sein Blog “Börsenalltag”.

All Along the Watchblog

von Kathrin Passig

Gibt es nicht schon viel zu viel Erbsenzählerei, Besserwisserei und Bastiansickness auf der Welt? Und muss es nicht auch irgendwie ungesund für einen netten Menschen wie Stefan Niggemeier sein, sich so viel mit dem Schlechtfinden anstatt mit dem Gutfinden oder dem Ausdenken neuer, ganz anderer Dinge zu befassen? Ja und ja, und trotzdem brauchen wir dringend mehr Watchblogs. Denn der Mensch ist ein träges Geschöpf, das sich durch gute Vorsätze wie “ordentlich recherchieren” und “nicht immer lauter haltlosen Unfug in die Zeitung schreiben” nur begrenzt motivieren lässt. Eine viel robustere Antriebskraft ist der Wunsch, von anderen Menschen nicht bescheuert gefunden zu werden. Das erklärt David Simon, Autor der Serie “The Wire”, in einem Interview, das Nick Hornby 2007 geführt hat:

“Ich will, dass Mordermittler, Dealer, Hafenarbeiter oder Politiker in Amerika sagen können: Tatsache, genau so sieht mein Tag aus. Das ist mein Ziel. Und zwar nicht aus Stolz oder Ehrgeiz oder irgendeiner Autoreneitelkeit heraus, sondern aus Angst. Nackter Angst. Wie viele Autoren beschäftigt mich ständig der vage Albtraum, dass sich eines Tages jemand, der mehr vom Thema versteht als ich, hinsetzt und in epischer Breite auflistet, in welchen Punkten meine Texte oberflächlicher Betrug sind und auf lahmen, halbherzigen Annahmen fußen. Ich trage das Autorenetikett, und ich kriege gute Rezensionen, aber bei allem Erfolg hege ich immer noch die gleichen latenten Zweifel. Ich nehme an, so geht es sehr vielen Autoren.”

Das mag stimmen, aber es gibt eben auch sehr viele Autoren, deren Texte oberflächlicher Betrug sind und auf lahmen, halbgaren Annahmen fußen, und die nie von solchen Vorstellungen heimgesucht werden. Was daran liegt, dass es in der Praxis einfach viel zu selten vorkommt, dass jemand, der mehr vom Thema versteht als man selbst, sich hinsetzt und ganz genau auflistet, wo man überall schlampig gearbeitet hat.

Der Ethnologe Richard K. Nelson hat in den 1960er Jahren Orientierungstechniken der Inuit in Alaska untersucht und dabei unter anderem die öffentliche Bloßstellung als Motivationsinstrument beschrieben. Junge Inuit begleiten Erfahrenere auf der Jagd und werden bei jedem Fehler zurechtgewiesen und verspottet. Später erzählt man die Fehler überall herum, damit auch die Nichtdabeigewesenen noch einmal wie Nelson Muntz bei den Simpsons mit dem Finger auf den armen Trottel zeigen und “Ha-ha!” rufen können. “Die Angst vor solchem Spott”, so Nelson (jetzt wieder der Ethnologe, nicht die Simpsonsfigur), “zwingt den Eskimo dazu, sich solide Navigationskenntnisse anzueignen und bei seinen Unternehmungen Vorsicht walten zu lassen”. (Ich habe die Originalquelle übrigens nicht gelesen und zitiere hier nur fahrlässig aus der Sekundärliteratur; diejenigen Leser, die ordentliche Journalisten sein oder werden wollen, machen das bitte zu Hause nicht nach.) (Immerhin habe ich mir die Mühe gemacht, herauszufinden, ob Nelson auch auf Deutsch ein “Kulturanthropologe” ist. Ist er nicht.)

Recherche ist ein zeitraubendes und oft gar nicht besonders interessantes Ding. Man wird in den seltensten Fällen für sie bezahlt, und 99,97% aller Leser des fertigen Artikels nehmen Dahinbehauptetes entweder für bare Münze oder sind zu träge, sich zu beschweren, selbst wenn offensichtlich erfundene Statistiken zum Einsatz kommen. Das macht das gründliche Recherchieren (wie so viele andere Tätigkeiten, die mit “gründlich” anfangen) zu einer Beschäftigung, der sich kein normaler Mensch freiwillig widmet. So wie Ärzte und anderes Krankenhauspersonal mehrmals täglich dazu angehalten werden müssen, sich die Hände zu waschen, weil sie es trotz aller Einsicht eben nicht von sich aus tun, so muss irgendjemand sich die Mühe machen, mehrmals täglich mit dem Finger auf schludrige Journalisten zeigen und “Ha-ha!” zu rufen. Weil es der Weltverbesserung dient.

Kathrin Passig ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie ist Mitglied der “Zentralen Intelligenz-Agentur” (ZIA), bloggt in der Riesenmaschine, hat 2006 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen und u.a. die Bücher “Lexikon des Unwissens” (mit Aleks Scholz) und “Dinge geregelt kriegen — ohne einen Funken Selbstdisziplin” (mit Sascha Lobo) geschrieben.

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