Es mag, wie “Bild” meint, ein “Skandal”, ein “neuer Justiz-Irrsinn”*, ein “Paukenschlag-Urteil”, ein “Hammer-Urteil”, ein “Fehlurteil” sein. Eines aber ist es auf keinen Fall: ein “EU-Urteil”.
Die “EU” ist zwar für die “Bild”-Zeitung so etwas wie ein Synonym für “Irrsinn”, aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der in der vergangenen Woche urteilte, dass Deutschland einen inhaftierten Schwerverbrecher freilassen und ihm 50.000 Euro Schmerzensgeld zahlen muss, ist keine Einrichtung der EU, sondern des Europarates. Dem gehören 47 Länder an, darunter die Schweiz, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, die Türkei und Russland.
Wenn man sich also darüber empören will, dass das dafür zuständige Gericht der Meinung ist, dass Deutschland gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen hat, ist der Böse dennoch in keiner Weise die Europäische Union oder eine ihrer Organisationen.
Und das Traurige ist, dass die “Bild”-Zeitung mit ihrem Unwissen nicht allein ist. Auch “Welt”, “Hamburger Abendblatt” und die Nachrichtenagentur dpa berichteten entsprechend falsch. Die Liste der Medien, die in den vergangenen Monaten den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als “EU-Gericht” bezeichnet haben, ist lang und reicht von “Spiegel Online” über den “Tagesspiegel” und die “Berliner Zeitung” bis zur “taz”.
*) … obwohl das ach so irrsinnige Urteil immerhin auf einem fundamentalen Grundsatz des Rechtsstaates beruht: Nulla poena sine lege (keine Strafe ohne Gesetz). Ein Verbrecher hatte geklagt, weil er seit 18 Jahren in Sicherungsverwahrung gehalten wird. Zum Zeitpunkt seiner Verurteilung 1986 war diese Maßnahme aber auf zehn Jahre begrenzt. Das Gesetz wurde erst später geändert und nachträglich auf den Fall angewendet.
Mit Dank an Dominik M., Gunther S., Th. K., Katharina B., Ivo B. und Lars!
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2. Presserat in Österreich (medienschelte.at)
Medienschelte.at zählt drei Gründe auf, warum der zwischenzeitlich aufgelöste Presserat in Österreich “noch vor seiner Konstituierung eine Farce ist”.
3. “Masse statt Klasse” (bf-g.de/berkner, Bastian Berkner)
Online-Redakteur Bastian Berkner schreibt, wie er “Texte und Überschriften in Richtung Suchmaschine optimieren” muss: “Langsam aber sicher geht mir der Optimierungswahnsinn aber auf den Keks, denn ich habe immer mehr das Gefühl für eine Maschine zu schreiben anstatt für meine Leser.”
4. “Wegen dieser Paid Content-Geschichte…” (basicthinking.de/blog, André Vatter)
André Vatter widmet sich dem Zweifrontenkrieg, dem Printmedien ausgesetzt sind: “Schwindende Werbeeinnahmen und sinkende Auflagen”. Und dem Zeitungstauschring von Taxifahrern.
5. “Wie lebt es sich in einem Land mit Zensur? Ein Bericht aus Vietnam” (blog.kooptech.de, Thomas Wanhoff)
“Ich lebe jetzt seit eineinhalb Jahren in Vietnam. Als ich hierher kam, wusste ich, welche Beschränkungen es für Journalisten gab. Ich wusste nicht, wie wenig man das merkt. Und genau das ist das Problem.”
6. “In mobile phone journalism, Africa is ahead of the west” (guardian.co.uk/media/pda, Mercedes Bunz, englisch)
Mercedes Bunz zeigt journalistische Möglichkeiten mit dem in Afrika eher verbreiteten Mobiltelefon auf, so zum Beispiel über das Open-Source-Projekt Ushahidi, das während Krisen Informationen sammelt.
“Bild” hat die Macht, kleine Themen ganz groß rauszubringen, mit Riesen-Schlagzeilen und einem tagelangen Trommelfeuer von Berichten. Aber manchmal versucht “Bild” auch, Themen ganz klein zu machen. Zum Beispiel wenn ein Discounter, mit dem die Zeitung gute Geschäfte macht, sich unangenehmen Vorwürfen ausgesetzt sieht. Oder ein Land, an dessen Seite “Bild” bedingungslos steht.
Vielleicht ist es manchmal aber auch noch banaler.
Eigentlich hält “Bild” die Klitschkos und ihre Boxwettkämpfe für ein gutes Thema. Als Vitali Klitschko Ende September im Staples Center in Los Angeles gegen den US-Amerikaner Chris Arreola seinen WM-Titel im Schwergewicht verteidigte, überschlug sich “Bild” – wie schon bei früheren Kämpfen der Klitschko-Brüder – im Vorfeld regelrecht mit der Berichterstattung.
Da wurde schon einen Monat vor dem Kampf von einem Treffen Klitschkos mit Ex-Weltmeister Mike Tyson berichtet, das “Knallhart-Training” begleitet, das Klitschko dann im Gespräch mit dem Blatt als die “härteste Vorbereitung” seiner Karriere bezeichnete. “Bild” druckte ein längeres Interview mit Klitschkos Trainer, berichtete vorab, welche Prominenten sich für den Kampf angesagt hatten, und wusste, dass Klitschkos Gegner beim Wiegen “wie ein Pfannkuchen” wirkte.
Dass Vitali Klitschko aber am vergangenen Samstag in Bern gegen Kevin Johnson kämpfte, hätte man als “Bild”-Leser fast nicht mitbekommen: Seit dem 24. Oktober fand keine nennenswerte Vorberichterstattung statt, am Kampftag selbst brachte die Zeitung eine vergleichsweise mickrige Meldung.
Warum?
Nun, am 12. Dezember fand nicht nur Vitali Klitschkos WM-Kampf statt, sondern auch die vom ZDF übertragene “Bild”-Spendengala “Ein Herz für Kinder”. “Bild” soll es den Klitschkos übel genommen haben, den Kampf auf denselben Tag gelegt zu haben, heißt es. Deshalb soll es eine “Bild”-interne Anordnung an die Sportredaktion gegeben haben, den Boxkampf, der als Konkurrenz zur eigenen Charity-Veranstaltung angesehen wurde, möglichst totzuschweigen.
Wir können nicht beweisen, dass das stimmt. Aber abgesehen von der merkwürdigen Funkstille vor dem Kampf spricht dafür auch, dass “Bild” nicht – wie sonst üblich – auf den Beginn der Sportübertragung bei RTL hinwies (in diesem Fall: 22.10 Uhr; die “Bild”-Gala im ZDF lief bis kurz nach 23 Uhr), sondern lediglich schrieb:
Kampfbeginn ca. 22.45 Uhr (RTL).
Seit Sonntag berichtet man in der “Bild”-Familie jetztwieder über die Klitschkos.
Die Quoten für den Boxkampf waren übrigens auch fast ohne Vorberichterstattung von “Bild” hervorragend.
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1. “Unglaublich, aber falsch” (spiegel.de, Hendrik Ternieden)
Ein Artikel über den Hoax mit Beispielen wie Bluewater oder “Wilhelm” zu Guttenberg. Der Unterschied zwischen Fakt und Fiktion sollte “Aufgabe der journalistischen Medien sein, doch auch die stehen im Internetzeitalter unter erhöhtem Druck. Die Sorge, etwas zu verpassen, ist groß; die Freude über grelle Schlagzeilen und kuriose Geschichten oftmals noch größer, die saubere Recherche bleibt mitunter auf der Strecke.”
2. “Wenn Beleidigungen zum Beruf gehören” (axel-springer-akademie.de/blog, Marc Lüttgemann)
“Bild”-Journalist Alfred Draxler äussert sich an einer Diskussion zum Thema Medien und Sport: “Robert Enke war nie Zielscheibe von kritischer Berichterstattung. Daher sehe ich keinen Zusammenhang zwischen den Medien und seinem Selbstmord”.
3. “Was ist bloss mit der Schweinegrippe passiert?” (blog.patrickrohr.ch, Mirco Baumann)
Mirco Baumann hat den absoluten König unter den Schweinegrippejägern gefunden: “Die Minarett-Initiative. Sie hat es geschafft, das monatelang aktuelle Thema Schweinegrippe endgültig aus der Medienlandschaft zu verbannen.”
5. “Du hast einen langweiligen Beruf” (dasmagazin.ch, Max Küng)
Journalist Max Küng muss sich von seinem Sohn sagen lassen, er habe einen langweiligen Beruf: “Er sagte, ich solle einen neuen Beruf lernen, einen spannenderen. ‘Was denn?’, fragte ich ihn. ‘Polizist’, sagte er. Ich fuhr beinahe in den Graben, der kein Graben war, sondern eine Hausmauer. Morgen gleich solle ich die Polizeischule anrufen und fragen, ob ich Polizist werden könne.”
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1. “Lass klicken, Baby!” (jungle-world.com, Ivo Bozic)
Ivo Bozic beschäftigt sich mit den Klicks im Internet, die nach wie vor die Grundlage für Werbeeinnahmen sind: “Um Klicks zu erschleichen, scheint jeder Trick gerechtfertigt, so plump er auch sein mag. (…) Der Nachrichtenseite N24.de gelang es im Sommer, ihre Visits innerhalb von nur einem Monat um 328,7 Prozent zu steigern auf beachtliche 19,4 Millionen. Einfach dadurch, dass der Traffic der viel stärker frequentierten, ebenfalls zur ProSieben-Sat.1 Media AG gehörende Seite Wer-weiß-was.de seit Juli mitgezählt wird. Ein ganz legaler Trick.”
2. “Der Wert von Nachrichten bei N24” (ndr.de, Anne Ruprecht, Video, 5:44 Minuten)
Das Medienmagazin “Zapp” zu den Sparplänen bei N24. Das Blog “Nachrichten sind wichtig” liefert Zahlen zum Thema und schreibt, dass N24 2008 einen Jahresüberschuss von 13.13 Millionen Euro machte. “Im Jahr 2008 waren alle deutschen Sender im operativen Geschäft rentabel.”
3. Interview mit Matthias Eberl (beim-wort-genommen.de, Jonas Schaible)
Ein Gespräch mit Matthias Eberl, der Audioslideshows macht und damit kürzlich den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Online gewann: “Bisher bin ich nur wie ein Getriebener einigen wirren Idee hinterhergelaufen, jetzt ist rückblickend das Gefühl da, etwas gemacht zu haben, was journalistische Relevanz hat. Und ich hoffe auch, dass sich das Ansehen der Audioslideshow geändert hat.”
4. “Wer will Geld, wer nicht?” (persoenlich.com)
Eine Umfrage unter Schweizer Medienmachern zu Paid Content. Kurt W. Zimmermann: “Geld für Content können nur Medien verlangen, die etwas bieten, was sonst niemand bietet.”
5. “100 Jahre Zweisamkeit” (ftd.de, Thomas Birkner) Thomas Birkner glaubt, dass trotz der Paid-Content-Debatte “der Vertriebsweg keine Alternative zum Anzeigengeschäft” bieten kann. “Es ist erst die Mischfinanzierung aus Anzeigen- und Vertriebserlös von etwa 65 zu 35 Prozent, die es dem Journalismus 100 Jahre lang ermöglicht hat, sich als Kontrollorgan für den Staat zu etablieren.”
Es war einmal eine Berliner Boulevardzeitung, die hieß “B.Z.” und war im ganzen Land dafür bekannt, dass sie mitunter seltsame Geschichten erzählte. An jenem Tage, als sich der Todestag von Wilhelm Grimm zum einhundertfünfzigsten Male jährte, begab es sich, dass die “B.Z.” schrieb:
Rapunzel, Hänsel und Gretel oder Aschenputtel. Jedes Kind kennt sie, bekam Grimms Märchen vorgelesen, von Eltern, Oma und Opa.
Völlig unbekannt dagegen ist “Der gläserne Sarg”. Fast hätte es diese geheimnisvolle Erzählung nicht in die berühmte Grimmsche Märchensammlung geschafft. […]
B.Z. entdeckte jetzt in der Handschriftensammlung der Staatsbibliothek das erste von Wilhelm Grimm (1786-1859) angefertigte Transkript.
Was die vielen Leser der “B.Z.” nicht wissen konnten: Die Zeitung benutzte eine eigene Sprache. Die meisten Worte klangen der unseren ganz ähnlich, aber sie hatten eine ganz andere Bedeutung. “bisher unbekannt” hieß etwa so viel wie “in fast 160 Jahre alten Büchern enthalten”, “völlig unbekannt” bedeutete ungefähr “seit vielen Jahren von Wissenschaftlern behandelt” und “entdeckte” sollte andeuten, dass man bei der “B.Z.” bisher noch nie von dem “gläsernen Sarg” gehört hatte. (Denn davon hörte man nur in Universitäten.)
Die “B.Z.” lief nun durch die Lande und rief laut aus:
Das hörte die große Schwester der “B.Z.”, die “Bild” hieß. Sie wusste nicht, dass die “B.Z.” in einer anderen Sprache sprach, die der unseren nur ähnlich war. Und weil “Bild” eine noch lautere und schrillere Stimme hatte als ihre Schwester, rannte sie ins Internet und kreischte:
Es ist eine kleine Sensation! In der Staatsbibliothek von Berlin wurde jetzt ein verschollenes Märchen der berühmten Gebrüder Grimm entdeckt, berichtet die “BZ”.
Weil “Bild” aber nicht nur laut, sondern auch faul war, las sie das Märchen nicht selber (obwohl man es von überall aus lesen konnte), sondern erzählte nur weiter, was sie gehört hatte:
Laut “BZ” soll das Märchen zwar nicht so spannend wie “Dornröschen” oder “Rotkäppchen” sein, aber immerhin schaffte es der Text 1837 in die 3. Auflage der “Kinder- und Hausmärchen”.
Da klopfte ein Jüngling namens BILDblog an die Pforte der Berliner Staatsbibliothek und fragte, was es denn mit diesen Nachrichten auf sich habe. Dort saßen kluge Menschen über ihren Büchern und antworteten, sowohl das Märchen als auch das Transkript, von dem die “B.Z.” gesprochen hatte, seien schon lange bekannt. Die Handschrift sei sogar schon in Ausstellungen gezeigt und in Katalogen abgebildet worden.
Da fragte BILDblog, was denn die ganze Aufregung solle, aber obwohl die Staatsbibliothek fast das gesamte Wissen der Welt in sich trug, wusste dort niemand eine Antwort auf diese Frage.
“B.Z.” und “Bild” aber rannten weiter aufgeregt durchs Land und riefen “Märchenfund!” und “Sensation!”. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann rufen sie noch heute.
Wegen ihrer Beiträge sei Rüdiger S., Frank B., Marcus K. und Alex gedankt!
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1. “Namen der Sedlmayr-Mörder bleiben online” (sueddeutsche.de)
In einem Grundsatzurteil entscheidet der Bundesgerichtshof, dass die Namen der Mörder von Walter Sedlmayr nicht aus den Archiven gelöscht werden müssen (Pressemitteilung): “Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch darauf, dass Informationen auch noch nach Jahren abgerufen werden könnten. Eine permanente journalistische und juristische Prüfung würde Online-Archive unmöglich machen, betonte der Anwalt.”
2. Interview mit Thomas Knüwer (cicero.de, Marc Etzold)
Thomas Knüwer über die Paid-Content-Versuche von Printverlagen: “Es ist erschreckend, wie wenig Übersicht und Wissen deutsche Verlagsmanager über den digitalen Markt haben.”
3. “News You Can Abuse” (outlookindia.com, Anuradha Raman, englisch)
Ein Artikel über “paid-for news”, also bezahlte Nachrichten, in Indien. Nicht nur Printmedien, auch das Fernsehen ist betroffen: “‘Imagine my surprise and shock when the reporter actually negotiated the price of Rs 2.5 lakh for an hour of live coverage,’ says Dikshit. ‘The channel even said they would arrange the crowds.'”
4. “Fordern wir das Medienrecht 2.0” (zurpolitik.com, Tom Schaffer)
“Journalismus als für die Demokratie essenzielle Aufgabe ist nicht länger einer elitären Schicht vorbehalten, sondern muss breiter betrieben werden. Die zur vollen Ausübung der Aufgabe notwendigen Rechte sollten also auch für jeden Menschen bestmöglich gesichert werden.”
5. “Weihnachtswünsche an das Internet” (gutjahr.biz, Videos, Richard Gutjahr)
Dirk Ippen, Vera Lisakowski, Hans-Jürgen Jakobs, Axel Buchholz, Ulli Brenner und Jens Jessen wünschen sich was vom Internet.
6. “Der Amoklauf von Winnenden” (ardmediathek.de, Video, 43:30 Minuten)
Eine Reportage befasst sich mit den Opfern des Amoklaufs von Winnenden. Die Rolle der Medien wird nur am Rande beleuchtet, so zum Beispiel ab Minute 32.
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1. “Die diesjährigen Gewinner des Goldenen Günter” (dwdl.de)
In der Kategorie “Größter Zuschauerbetrug” geht der Preis zum Beispiel an “die Live-Lügen der Fernsehsender”: “Da belügt etwa Sat.1 seine übersichtliche Zuschauerschaft beim ‘Deutschen Fernsehpreis’ und behauptet per permanenter Einblendung, die Verleihung sei live. Und bei RTL verkauft man allen Ernstes den drei Tage vorher aufgezeichneten ‘Deutschen Comedypreis’ als live.”
2. “‘Österreich’ -Boxen Fall für MA 48” (derstandard.at, Harald Fidler)
“Auf Drängen der Konkurrenz sammelte die Stadt Wien nicht korrekt platzierte Entnahmebehälter des Fellnerblatts ein – Binnen Stunden stellte der Verlag Behälter neu auf – Das wiederholten die beiden mehrfach.”
3. “Der Wahrheits-Hacker” (zeit.de, Tina Klopp, mit Videos)
Ein Artikel zur Website wikileaks.org mit Fragen an einen “der deutschen Akteure”, “Daniel Schmitt”: “Journalisten bedienen sich gerne seines Materials, auch die großen Magazine haben schon zugegriffen. Aber sie ließen sich nicht immer dazu herab, auch die Quelle zu nennen, ärgert sich Schmitt.”
4. “Der letzte kalte Krieger” (novo-argumente.com, Thomas Deichmann)
Thomas Deichmann, Chefredakteur der Zeitschrift “Novo Argumente”, antwortet auf einen einen Artikel in der FAZ: “Inmitten der morgendlichen F.A.Z.-Lektüre finde ich eine lange Auflistung vermeintlicher Schandtaten während meiner nunmehr bald 20jährigen journalistischen Arbeit: von Verbindungen zu revolutionären Trotzkisten in England über Publikationen in ‘antideutschen’ Organen, die unter Observation des Verfassungsschutzes stehen bis zu Mitgliedschaften in linken Uni-Klubs, aus denen einst Novo hervorging – und das alles offenbar nur, um mir heute in der Kumpanei mit ‘Klimaskeptikern’ von der Großindustrie die Taschen zu füllen.”
Jetzt wollen wir für einen Moment innehalten und an die denken, denen es nicht so gut geht. Diejenigen, die sich nicht einmal ein eigenes Weihnachtsessen leisten können: die Leute vom “Gong”.
Der “Gong” war einmal, man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, die vielleicht respektabelste Fernsehzeitschrift: journalistisch, kritisch, gut informiert. Das ist lange her.
Andererseits, “raffinierte Rezept-Ideen” für ein “zauberhaftes 3-Gänge-Menü mit Hühnersuppe, Steak und Schokoladeneistorte”, das ist doch auch was.
Es ist ein besonderes Festtagsessen, das der “Gong” seinen Lesern auf drei Seiten vorschlägt, und das nicht nur, weil es dank “fertiger Zutaten” besonders “schnell gezaubert” ist. Fangen wir mit der Vorspeise an:
Das ist doch mal ein Service: Wie oft haben Sie schon im Laden vor den Regalen gestanden und sich gefragt, welche von den verdammten Tütensuppen nehm’ ich? Der “Gong” schlägt einfach mal “etwa Knorr” vor — was eigentlich gar nicht nötig ist, denn Lebensmittel mit dem Namen “Suppenliebe” gibt es nur von Knorr.
Knorr ist übrigens eine Marke der Firma Unilever, genau wie Mazola, Rama, Cremissimo und Cremefine, um jetzt einfach willkürlich ein paar herauszugreifen…
Und man möchte sich gar nicht ausmalen, wie traurig das Weihnachtsmahl im “Gong” ausgesehen hätte, wenn die Firma Unilever sich nicht so barmherzig gezeigt hätte, der Zeitschrift nicht nur ein paar Rezeptideen, sondern auch noch schöne Fotos von den fertigen Gerichten zur Verfügung zu stellen:
Wünschen wir dem “Gong” also gesegnete Festtage. Und gute Besserung.
Die Frage “Wie gaga ist das denn?” ist bei “Bild” üblicherweise der Berichterstattung über die singende Lady vorbehalten. Vor elf Tagen fragte so die Bremer Regionalausgabe — und das, obwohl es gar nicht um Musik ging. Die Tatsache, dass der Artikel inzwischen aus dem Onlinearchiv verschwunden ist, hat allerdings nichts mit Lady Gaga oder den internen Überschriften-Vorschriften von “Bild” zu tun, sondern mit Entscheidungen des Landgerichts Berlin.
Am 3. Dezember hatte “Bild” in Bremen riesengroß mit einer Behauptung aufgemacht, die sich bei näherer Betrachtung als gewagt herausstellen sollte:
“Bild” berichtete, Horst Frehe, der Sprecher für Rechtspolitik der Grünen in der Bremer Bürgerschaft, stelle “sehr skurrile Forderungen” bzw. “Forderungen, die das Prädikat gaga verdienen”. “Gaga” heißt für “Bild” beispielsweise:
Frehe will sicherstellen, dass Blinde und Gehörlose auch in Gebärdensprache über ihre Rechte und Pflichten informiert werden.
Nicht, dass Sie sich wundern: Natürlich sollen da keine Blinden in Gebärdensprache informiert werden. Frehe, der sich seit Jahren für die Rechte von Behinderten engagiert und selbst im Rollstuhl sitzt, fordert, dass die Belehrung über Rechte und Pflichten “ggf. in fremder Sprache, bei Gehörlosen in Gebärdensprache, Blinden in Braille oder auf Tonträger oder kognitiv Eingeschränkten in Leichter Sprache” erfolgen soll, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention vorsieht und laut JVA-Leiterin auch Praxis wäre, wenn es Fälle gäbe.
Ebenfalls “gaga”:
Lebensmittel-Päckchen sollen nicht mehr von Wärtern durchsucht werden dürfen. So könnten Drogen, Waffen und Handys noch leichter in den Knast kommen.
Tja, das passiert, wenn man in einem “internen Schreiben an das Parlament, das BILD vorliegt” Formulierungen findet, die man nicht versteht, und dann einfach mal drauf los phantasiert, ohne den Verfasser des Schreibens zu fragen. Oder wenigstens jemanden, der sich mit dem Thema auskennt.
Geschrieben hatte Frehe in der vertraulichen E-Mail an Mitglieder des Rechtsausschuss, die BILDblog ebenfalls vorliegt:
3. Kontrolle von Paketen: hier Auscchluss von Nahrungs- + Genussmitteln, Alternative UHVzG Brandenburg §41
Das liest sich zunächst verwirrend. Es hätte also geholfen, wenn “Bild”-Autor René Möller mal bei dem Politiker nachgefragt hätte. Das hat er laut Frehe aber nicht getan.
Dabei hätte Frehe vermutlich das geantwortet, was er auch uns auf Nachfrage schreibt:
Ich habe nie gefordert, dass Nahrungsmittelpäckchen nicht kontrolliert werden sollen. Im Bremer Gesetz ist wegen der Kontrollprobleme jeglicher Empfang von Nahrungsmittelpäckchen ohne Einschränkung ausgeschlossen. Brandenburg differenziert dort. Die Frage war, ob eine effektive Kontrolle so viel Mehraufwand verursacht, dass man den Erhalt generell und ohne Ausnahme verbieten muss.
Aber eine “Gaga”-Forderung hat Frehe bzw. “Bild” ja noch in petto. Die aus der Überschrift:
Ein Gutachter, der sich mehrmals für die Abschaffung der Gefängnisse ausgesprochen hat, soll an dem Gesetzentwurf mitwirken. Frehe fordert, den pensionierten Rechtswissenschaftler Johannes Feest (70) daran zu beteiligen. Der Wissenschaftler in einem Vortrag: “(…) dass das Gefängnis selbst jedem Humanisten ein Gräuel sein muss und dass seine letztliche Abschaffung ein Schritt zur Humanisierung (…) unserer Gesellschaft wäre.”
Der emeritierte Bremer Professor Johannes Feest ist Herausgeber eines renommierten Kommentars zum Strafvollzugsgesetz und Betreiber des Strafvollzugsarchivs. Er ist in mehreren Bundesländern als Experte zum gleichen Thema gehört worden und es wäre laut Frehe seltsam gewesen, “ihn in seiner Heimatstadt nicht einzuladen.”
Dass “Bild” in einem Vortrag von Feest aus den 1990er Jahren einen Satz gefunden hat, der die “letztliche Abschaffung” von Gefängnissen als fernes Idealziel formuliert, zeugt zwar von (für “Bild” sonst eher ungewöhnlichem) Recherchewillen, taugt aber nur bedingt zur Diskreditierung von Feest. Oder gar der von Frehe, der ihn als Experten vorladen wollte.
Um den Artikel rund zu kriegen, brachte “Bild”-Autor René Möller schließlich noch “Knast-Chefin” Silke Hoppe in Position:
Zu den Forderungen der Abschaffung eines Gefängnisses schüttelt die Anstaltsleiterin nur den Kopf. Hoppe: “Den Strafvollzug abschaffen zu wollen, ist lebensfremd und wird auch keine Mehrheit finden.”
Die Leiterin der JVA wusste nach eigenen Angaben gar nicht, in welchem Zusammenhang sie von “Bild” zitiert werden würde.
Wie gesagt: Die “Forderungen der Abschaffung eines Gefängnisses” hat “Bild” sich in mühevoller Arbeit selbst gedrechselt, weswegen das Adjektiv “lebensfremd” gar nicht mal so unpassend erscheint.
Das Berliner Landgericht hat am 8. Dezember zwei einstweilige Verfügungen erlassen: “Bild” muss die Behauptungen unterlassen und eine Gegendarstellung abdrucken. Letztere muss sich in Größe und Aufmachung an dem beanstandeten Ursprungsartikel orientieren, was bedeutet, dass “Bild” fast eine halbe Seite mit der Gegendarstellung füllen müsste. Die Überschrift sollte in 100-Punkt-Schrift gesetzt sein.
Innerhalb des gerichtlich angeordneten Zeitrahmens hat “Bild” die Gegendarstellung nicht veröffentlicht.
Nachtrag, 18. Dezember: Am Mittwoch, dem 16. Dezember veröffentlichte “Bild” in Bremen unter der Überschrift “Grüne fordern humane U-Haft” einen Artikel, der in Größe und Aufmachung an den “Gaga”-Artikel vom 3. Dezember erinnerte.
Zwar fehlt das Wort “Gegendarstellung”, aber der Text endet ungewohnt deutlich:
In BILD vom 3. Dezember 2009 stand irrtümlich, “Grüner will Bremer Knast abschaffen”. Horst Frehe dazu: “Das ist völliger Quatsch! Natürlich wollen weder die Grünen noch ich den Strafvollzug in Frage stellen. Wir möchten bei der Entstehung des Gesetzes nur unbedingt auf humane Regelungen achten. Denn in der U-Haft gilt die Unschuldsvermutung.”
BILD möchte sich in aller Form für die falsche Berichterstattung bei Horst Frehe entschuldigen. Frehe dazu: “Ich nehme die Entschuldigung an.”
Wie die “taz Bremen” heute weiter berichtet, zahlt “Bild” im Rahmen eines Vergleichs 5.000 Euro Schmerzensgeld an Horst Frehe. Dieser will das Geld heute an verschiedene wohltätige Organisationen spenden.