Flieg los, Kartoffelbrei!

Lange Zeit glaubten viele Leute, die Erde sei eine Scheibe. Sie wurden von den Leuten für Idioten gehalten, die glaubten, die Erde sei eine Kugel. Jetzt gilt es, neue Idioten zu küren, denn die Medien vermelden heute:

Von wegen Kugel: Die Erde ist eine Kartoffel

Die Erde sieht tatsächlich aus wie eine Kartoffel

Satellitenaufnahmen von der Erde: Erinnerungen an eine Kartoffel

Kartoffel im Weltraum

Diese Meldungen sind kein Aprilscherz — nur eine sehr unwissenschaftliche Verknappung von Forschungsergebnissen.

Die Europäische Weltraumbehörde ESA hatte gestern Bilder vorgestellt, die das physikalische Modell der Erdfigur zeigen. Das so genannte Geoid zeigt die hypothetische Oberfläche der Weltmeere, die allein durch die Schwerkraft geformt wird und auf Strömungen und Gezeiten keine Rücksicht nimmt.

Und nicht nur das:

Damit die Unterschiede im Schwerefeld der Erde deutlich zu erkennen sind, haben sie die Forscher in zehntausendfacher Übersteigerung dargestellt. So gesehen gleicht die Erde einer unregelmäßig geformten Kartoffel.

Die Bilder zeigen also das unsichtbare Schwerefeld, die Abweichungen sind zehntausendfach verstärkt. Genau genommen wissen das auch die meisten Medien, denn sie schreiben es in ihren Artikeln. Artikel, deren Überschriften behaupten, die Erde sehe aus “wie eine Kartoffel”.

Die ESA hat bei ihren Bildern übrigens die “noch nie dagewesenen Einzelheiten” hervorgehoben. Zu Recht, denn die eigentliche Erkenntnis über die Form des Schwerefelds ist nicht gerade neu — und schon seit Jahren für die Überschriftenmacher der Zeitungen unwiderstehlich:

Die Erde ist in Wahrheit eine Kartoffel
(“Welt Online”, 5. Juni 2007)

Für die Forschung wird die Erde zur Kartoffel
(“Südwest Presse”, 6. Juni 2006)

Die Erde ist eine Kartoffel
(“Die Welt”, 1. August 2004)

Eine Kartoffel wird vermessen
(“Der Tagesspiegel”, 15. März 2002)

Aus einer ganz anderen Welt kommt heute mal wieder “Bild”:

Erde ist gar nicht rund! München – So krumm haben wir unsere Erde noch nie gesehen! Der ESA-Satellit "Goce" hat das Schwerefeld des Planeten mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen. Das Ergebnis: Die Erde ist nur annähernd eine Kugel, sieht eher aus wie eine Kartoffel.

Mit Dank an Bjoern S. und Jörg S.

Bild  

Eine Hochzeit und zwei Gegendarstellungen

“Das Ende einer Hochzeit unter Familienclans” beschrieb “Bild” in der Berliner Ausgabe vom 11. März:

Der Schwager in Handschellen, die Braut rennt barfuß und schreiend durch die Nacht.

Szenen einer – frischen – Ehe gestern früh in Neukölln. Und das Ende einer Hochzeit zwischen Mitgliedern zweier eigentlich verfeindeter kurdisch-libanesischer Großfamilien in Berlin. “Romeo und Julia” in der Neuköllner Version im Jahr 2011.

Einen Verkehrsunfall mit Unfallflucht habe es gegeben, berichtete “Bild”. Und:

Pech: Der Bräutigam selbst hatte die Beamten um Schutz gebeten. Er ist der Neffe des Ex-Clan-Chefs (genannt “El Presidente”) und fürchtete laut einem internen Vermerk der Berliner Polizei, dass “die Hochzeit nicht störungsfrei verlaufen könnte, weil die Familie der Braut gegen die Ehe ist.”

Der Artikel ist bei Bild.de nicht mehr verfügbar. Es stimmte nicht viel an ihm.

Vergangene Woche musste “Bild” die Gegendarstellung des Bräutigams drucken, der angab, die Polizei nicht um Schutz gebeten zu haben. Auch sei er nicht der Neffe des Ex-Clan-Chefs. Seine Anwältin Julia Bezzenberger erklärte uns auf Anfrage, die Familie hätte lediglich den gleichen Nachnamen wie der “El Presidente” genannte Mann, stünde aber in keinem direkten Verwandtschaftsverhältnis zu ihm.

Das mit den Familienverhältnissen hat “Bild” großflächig nicht richtig hinbekommen, wie einer zweiten Gegendarstellung zu entnehmen ist, die diesen Mittwoch erschien:

Gegendarstellung

In der BILD (Berlin) vom 11.03.2011 verbreiten sie auf S. 7 unter der Überschrift “Das Ende einer Hochzeit unter Familien-Clans” falsche Tatsachenbehauptungen über mich:

1. Sie Veröffentlichen ein Foto meiner Person und bezeichnen mich als “Braut”.
Hierzu stelle ich fest: Ich bin nicht die Braut.

2. Sie schreiben unter Bezugnahme auf das Foto von mir:
“Und die Braut war auch sauer. Sie konnte nicht mehr im Luxus-Porsche nach Hause chauffiert werden …”
Hierzu stelle ich fest:
Ich war sauer, weil ein Fotograf mich und mein Kind gegen meinen Willen fotografierte und nicht weil ich nicht im Porsche nach Hause gebracht werden konnte.

Die Redaktion gibt unter der Gegendarstellung zu, dass die Frau Recht hat. Der Fotograf, den die Frau erwähnt, ist übrigens der Mann, dessen Foto “Bild” abgedruckt hatte.

Danach blieb von der ohnehin erstaunlich unspektakulären Story nur noch der Unfall — und der hat sich laut Julia Bezzenberger auch anders zugetragen als von “Bild” beschrieben. Der Fahrer habe beim Ausparken seinen Cousin übersehen und sei diesem leicht gegen das Bein gefahren. Anschließend habe er ein anderes Fahrzeug touchiert.

“Bild” hatte die Szenerie deutlich spektakulärer beschrieben:

Die beiden steigen in einen Porsche, der Schwager gibt Gas. Beim Abbiegen übersieht er einen geparkten 7er-BMW und rammt den Nobel-Schlitten. Der wird nach vorn geschleudert und trifft ausgerechnet Khaled O. (27) – ein Mitglied der Braut-Familie!

Der Mann schreit vor Schmerz – später wird ein geschwollener Knöchel diagnostiziert.

Auf unsere Frage, was an der Geschichte in “Bild” überhaupt stimme, antwortet uns Frau Bezzenberger: “Es gab eine Hochzeit.”

Waldspaziergang, Stockfotografie, Stipe

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Zuvielisation”
(freitag.de, Peter Glaser)
Peter Glaser schreibt über die Überforderung mit dem digitalen Medienfluss: “Es gibt verschiedene Möglichkeiten einen Waldspaziergang zu beschreiben. Man kann sich von der Wahrnehmung einer Unzahl von Blättern und Tannennadeln überfordert sehen und eine Rückkehr zur humanistischen Gehölzwahrnehmungstechnologie fordern. Man kann aber auch einen Spaziergang durch einen Wald machen und erholt wieder nach Haus kommen.”

2. “Die Last der Kommunikation: Was ein Journalist in Libyen alles dabei hat”
(blogs.taz.de/arabesken, Karim El-Gawhary)
Karim El-Gawhary präsentiert seine Kommunikations-Ausrüstung für Libyen.

3. “Sehr geehrte Frau Schwarzer…”
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz schreibt an Alice Schwarzer, die für “Bild” den Prozess gegen Jörg Kachelmann begleitet: “Sie betreiben eine unerträgliche Vorverurteilung, die der Presserat jedem Provinz-Gerichtsreporter um die Ohren hauen würde.”

4. “60 Completely Unusable Stock Photos”
(buzzfeed.com)
Unerklärliche, schlechte Werke aus der Stockfotografie, mit Bildern von awkwardstockphotos.com.

5. “Stunde der Heuchler”
(sueddeutsche.de, Johan Schloemann)
Johan Schloemann sieht im Siegeszug der Grünen die Widersprüche des westlichen Menschen: “Wird nun der neue grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der im Wahlkampf eine grünere Automobilindustrie gefordert hat, hingehen und die Porsche-Werke von einem auf den anderen Tag schließen lassen? Konsequent wäre es.”

6. “99 Fragen an Michael Stipe”
(zeit.de, Moritz von Uslar)
Moritz von Uslar befragt Musiker Michael Stipe: “Meine Verkleidung ist, dass ich mich nicht verkleide. Und wenn ich Fahrrad fahre, dann immer mit Helm – damit die Leute mich erkennen. Hallo, Berlin! Ich bin der, der den hässlichen Fahrradhelm auf dem Kopf trägt.”

Ganz Alberne Unsitte

Wer gleich jedes Wort auf die Goldwaage legt, dürfte in den letzten Wochen kaum noch zum Arbeiten, Essen und Schlafen gekommen sein. Seit im japanischen Atomkraftwerk Fukushima in Folge eines Erdbebens und eines Tsunamis die Kühlsysteme ausgefallen sind und auch die Betreibergesellschaft offenbar nicht weiß, was in ihren Reaktoren vor sich geht, ist bei den deutschen Medien eine Art Metaphern-Weitwurf ausgebrochen.

Vorläufiger Höhepunkt war wohl die “Bild”-Titelseite vom Montag:

Die Atom-Wahlen: Grüne Strahlen! CDU-Mappus abgeschaltet. SPD-Beck runtergefahren. FDP vom Netz. 1. grüner Ministerpräsident glüht vor Glück.

Doch auch andere Zeitungen schrieben auf ihren Titelseiten vom “Wahl-GAU”, wie der Mediendienst DWDL.de dokumentiert.

Während Formulierungen wie “Das schlug ein wie ein Verkehrsflugzeug” auch fast zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 noch von jedem Redakteur gestrichen werden dürften und Radiohörer nach dem Tsunami vom Dezember 2004 empört bei jenen Sendern anriefen, die Julis “Perfekte Welle” noch nicht aus dem Programm genommen hatten, scheinen sich die Ereignisse in Japan, die immer noch anhalten und deren Ausmaß nicht abzusehen ist, jetzt schon hervorragend als Bildspender zu eignen.

Die “F.A.Z.” veröffentlichte am Dienstag einen Artikel, in dem Mit-Herausgeber Berthold Kohler nur marginal bemüht vom “Restrisiko” eines grünen Ministerpräsidenten, dem “als absolut sicher gerühmten Politikreaktor Baden-Württemberg I” und vom “Abklingen” des “politischen Ausnahmezustands” fabulierte. Frank Patalong, der bei “Spiegel Online” ausführlich die Vorzüge von Echtzeit-Medien gegenüber den Print-Erzeugnissen preisen durfte, schrieb:

Aus Perspektive der gedruckten Presse war das Timing der Katastrophenserie von Japan somit eine Art Doppel-GAU.

Die “taz” zeigte darüber hinaus besondere Fähigkeiten im Spagat der Uneigentlichkeit:

Wäre der Vergleich nicht etwas unfein, ließe sich sagen: Der FDP ergeht es derzeit wie einem havarierenden Atomreaktor.

So beginnt ein Artikel, über dem folgende Überschrift prangt:

Führungsdebatte gerät außer Kontrolle: FDP droht Kernschmelze

Das alles fällt womöglich noch unter “Wortklauberei”. Spezieller ist da schon der “Nürnberger Stadtanzeiger”, der einen Mann, der gegen Hundehaufen im Stadtbild kämpft, ernsthaft fragt:

Die Welt hofft dieser Tage, dass sich die radioaktive Strahlenbelastung beim havarierten Atomreaktor in Japan nicht weiter ausdehnt. Sie kämpfen für weniger Hundekot in Grünanlagen. Stimmt da noch die Verhältnismäßigkeit?

Mit Dank auch an Thomas P. und Dennis.

Der Experte, der Stromknappheit schrie

Ähnlich wie die Regierungsparteien wurden die Atomstromfreunde von “Bild” und Bild.de von den Ereignissen im Kernkraftwerk Fukushima kalt erwischt. Erst seit sich Altkanzler Helmut Kohl vergangenen Freitag in “Bild” in einem ausführlichen Aufsatz mit dem Titel “Warum wir die Kernenergie (noch) brauchen” zu Wort gemeldet hat, scheint wieder alles beim Alten zu sein. Entsprechend malte Bild.de gestern mal wieder den Stromknappheitsteufel an die Wand:

Experte warnt vor Blackout Im Mai wird in Deutschland der Strom knapp 13 Meiler vom Netz - Chef der Deutschen Energie-Agentur: "Es kann eng werden"

Stephan Kohler, der Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), warnt im dazugehörigen Artikel vor einem möglichen Blackout, wenn zusätzlich zu den sieben nach dem Moratorium abgeschalteten Atomkraftwerken im Mai fünf weitere Meiler zu Wartungsarbeiten abgeschaltet werden.

Und:

Jetzt warnt Dena-Chef Kohler vor den Folgen einer radikalen Atomwende.

“Es wird sich nicht vermeiden lassen, alte, längst eingemottete Kohlekraftwerke zumindest vorübergehend wieder in Betrieb zu nehmen. Das führt zu höherem Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid. Dafür müssen die Betreiber CO2-Zertifikate kaufen, was den Strom verteuert”, sagt Kohler.

Wieviel von solchen Warnungen der von “Bild” immer wieder gern zitierten dena zu halten ist, illustriert dieses Beispiel aus dem Jahr 2008:

Energie-Agentur schlägt Alarm Ab 2012 nicht mehr genug Strom

Auch damals forderte Kohler: “Wir müssen uns entscheiden: Entweder wir bauen hocheffiziente Kohle- und Erdgaskraftwerke. Oder wir müssen die Atommeiler länger laufen lassen.”

Ähnliche Warnungen der dena, der Strom könnte knapp werden, wenn sich die Politik zu sehr auf erneuerbare Energien verlässt, gab es 2005, 2009 und 2010 — und das obwohl Deutschland seit Jahren größere Mengen Strom exportiert.

Es lohnt sich überhaupt, die dena etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei Bild.de erfährt man lediglich folgendes:

Die Deutsche Energie-Agentur wurde im Jahr 2000 als GmbH gegründet. Gesellschafter sind u.a. das Bundeswirtschaftsministerium und die Staats-Bank KfW. Die Aufgaben: Alle Informationen zu den Themen erneuerbare Energien und Energieeffizienz recherchieren, sammeln, bewerten. Die Dena gilt als DAS Kompetenzzentrum für Energie in Deutschland.

Was Bild.de seinen Lesern verschweigt, ist die Tatsache, dass “DAS Kompetenzzentrum für Energie in Deutschland” zu über 50 Prozent von der Energiewirtschaft (v.a. E.on, EnBW, RWE, Vattenfall) bezahlt wird und für die Vorhersage einer Stromlücke, falls keine neuen Großkraftwerke gebaut würden, mehrfach kritisiert wurde. Bild.de-Experte Stephan Kohler stand schon 2009 kurz vor einem Wechsel in den Vorstand von RWE und hat Anfang 2011 neben seiner Tätigkeit als dena-Chef den Vorsitz des Beirates von RWE Innogy übernommen.

Sorgen um eine Stromknappheit sollte man sich also erst machen, wenn ein wirklich unabhängiges Institut davor warnt.

Mit großem Dank an Carsten B. und Marco L.

@HPFriedrich, Bunte, Funktionszulagen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Offene Rechnungen: Ki.Ka-Betrug und Konsequenzen”
(ndr.de, Video, 8:22 Minuten)
Marco K. veruntreute beim öffentlich-rechtlichen Kinderkanal KI.KA über 8 Millionen Euro: “Dank einer Sondergenehmigung durfte er jahrelang in Höhe bis zu 500.000 Euro zeichnen. Niemand bemerkte den Betrug.”

2. “GeiselNAME auf bild.de”
(zapp.blog.ndr.de)
Das Blog von “Zapp” verfolgt eine Geiselnahme in Thüringen auf bild.de.

3. “Eine Frage des Geldes”
(spiegel.de, Gisela Friedrichsen)
Im Prozess gegen Jörg Kachelmann geht es bei der Vernehmung einer Zeugin auch um ihre Beziehung zum Burda-Verlag. Sie hatte von der Zeitschrift “Bunte” für ihre Geschichte 50.000 Euro erhalten.

4. “Journalismus als ‘Minenfeld'”
(tagesschau.de/videoblog/orient_express, Video, 5:14 Minuten)
Um die 1000 Journalisten demonstrieren für die Pressefreiheit in der Türkei. Derzeit laufen Ermittlungen gegen rund 4000 türkische Pressevertreter.

5. “Innenminister kann nicht für die Sicherheit von Twitter garantieren”
(netzpolitik.org, Linus Neumann)
Zwei Politikerinnen und ein FAZ-Journalist glauben, dass das Twitter-Konto @HPFriedrich von Innenminister Hans Peter Friedrich geführt wird.

6. “Kein Streit um Bundestagsboni”
(stern.de/blogs, Hans-Martin Tillack)
Hans-Martin Tillack schreibt über Funktionszulagen, “die auch alle fünf Bundestagsfraktionen an insgesamt über 100 Abgeordnete auszahlen”. “Unter sich entscheiden die Fraktionen übrigens auch über deren regelmäßige Erhöhung. Von 1950 bis heute kletterten diese Zuschüsse im Bundestag nach von Arnims Berechnungen von 348 000 Mark damals auf 78,8 Millionen Euro heute. Also mehr als 400 mal so viel.”

Lucien Favre spricht

Zweck-Optimismus in Mönchengladbach:

Lucien Favre lächelt wieder, der Schock vom 0:1 gegen Lautern ist halbwegs verdaut. Vor den Endspiel-Wochen spricht der Trainer im EXPRESS.

Favre spricht im “Express” unter anderem über “Borussias Minimal-Chance im Abstiegskampf”, “den nächsten Gegner Bayern München” und “die Formkrise von Marco Reus”.

Dabei ist entscheidend, dass er im “Express” spricht und nicht etwa mit ihm: Favres Statements hat der “Express” nämlich aus einem Interview mit dem Mönchengladbacher Radio 90,1 von vergangener Woche herausdestilliert, das in schriftlicher Form auch auf einer Borussia-Fanseite erschienen war.

Der “Express” selbst hat mit dem Trainer gar nicht gesprochen, wie uns der Verein auf Anfrage bestätigte.

Diese Art der O-Ton-Beschaffung scheint bei Boulevardzeitungen gerade voll im Trend zu liegen.

Mit Dank an Christian G.

Bild  

Ups, verheiratet

Es ist angesichts der weltweiten Nachrichtenlage etwas in den Hintergrund gerückt, aber vor dem Mannheimer Landgericht wird immer noch ein Prozess gegen Jörg Kachelmann geführt, dem vorgeworfen wird, eine frühere Lebensgefährtin vergewaltigt zu haben. Die Scharmützel, die sich Kachelmanns Verteidiger mit der Gegenseite liefern, werden dabei für juristische Laien zunehmend uninteressant und niemand will zum hundertsten Mal lesen, dass Kachelmanns Anwalt den Aktenkoffer eines Sachverständigen “samt Brotdose” hatte beschlagnahmen lassen.

Doch dann ist endlich etwas passiert: Jörg Kachelmann war vergangene Woche “mit einem Ring aus Weißgold am Finger” vor Gericht erschienen. “Spiegel Online” vermeldete daher am Samstag, Kachelmann habe geheiratet, und “Bild” “erfuhr” am Montag “aus Justizkreisen”:

Kachelmann ist wieder Ehemann!

Die “Justizkreise” müssen in Plauderlaune gewesen sein, denn “Bild” fasste mal eben auch noch die mutmaßliche Lebensgeschichte der mutmaßlichen Frau Kachelmann zusammen, wie diese sie in ihrer Vernehmung angegeben haben soll — einer nicht-öffentlichen Vernehmung, offensichtlich.

Gestern war “Bild” dann noch näher an die junge Frau herangekommen:

Das ist die neue Frau Kachelmann

Da wurden “Freunde” herangezogen, die “die neue Frau Kachelmann als ruhig und verschlossen” beschreiben — und selbst vor der Familie machten die “Bild”-Reporter nicht halt:

Nicht einmal ihre Großeltern haben von ihrer Hochzeit etwas mitbekommen. Oma Heidemarie gestern traurig zu BILD: “Ich hätte ihr gerne gratuliert.”

Blöd nur, dass “Bild” beim Versuch, an Fotos der Frau heranzukommen, im Internet ein (inzwischen gelöschtes) Foto gefunden hat, das eine ganz andere Frau zeigt.

Heute entschuldigt sich “Bild” dann auch für dieses Versehen:

Berichtigung: Eines der gestern veröffentlichten Bilder auf Seite 6 -das Bühnenfoto - zeigt nicht die Ehefrau von Jörg Kachelmann, sondern eine Schauspielerin aus Berlin. Für die Fotoverwechslung bittet BILD um Entschuldigung.

Die vielen Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre der Frau sind dagegen offenbar nichts, wofür “Bild” um Entschuldigung bitten will.

PS: Jörg Kachelmann selbst scheint unterdessen einen eigenen Weg gefunden zu haben, mit der ständigen Belagerung durch Boulevard-Reporter umzugehen, und fotografiert jetzt einfach zurück.

Mit Dank an Stephanie H.

Bild  

Gute Grüne, schlechte Grüne

Wankelmut, dein Name ist Franz Josef Wagner! Noch zwei Tage vor der Landtagswahl sprach der launige “Bild”-Kolumnist dem Baden-Württemberger Grünen-Chef Winfried Kretschmann das Vertrauen aus:

Für mich sind Sie ein Grüner der neuen Art. Eigentlich müssten Sie bei der CDU sein. Sie gehen in die Kirche, glauben an die Schöpfung.

Sie haben nichts mehr von den ­Grünen, die Pullover strickten. Sie tragen einen Lehrer-Anzug, grau.

Lieber Ethiklehrer Winfried Kretschmann, vor Ihnen habe ich keine Angst.

Doch schon in seinem gestrigen Brief an die “lieben Baden-Württemberger” fällt Wagner wieder in alte Muster zurück und malt den Untergang eines Wirtschaftsstandorts an die Wand:

58 Jahre hat Euch die CDU regiert.

Ihr habt Häusle, manche haben zwei Autos, ältere Erwachsene spielen Golf. (…)

Nach 58 Jahren CDU wählt Ihr Grün.

Schmeckt Euch Euer Steak nicht mehr, langweilt Euch Euer Daimler, seid Ihr überdrüssig Eures Glücks?

Um seine mahnenden Worte zu unterstreichen, konstruiert Wagner auch gleich noch die nötige Fallhöhe:

täusche ich mich, wenn ich denke, dass Ihr stolz auf Euer Ländle seid? Die niedrigste Arbeitslosenquote, 4,6 Prozent. Beim Pisa-Test sind Eure Kinder Europas Beste.

Mal davon ab, dass die Arbeitslosenquote im Januar 2011 bei 4,7 Prozent und im Februar bei 4,5 Prozent lag, wirklich aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, baden-württembergische Kinder wären “Europas Beste” beim “Pisa-Test”. In der letzten Pisa-Studie aus dem Jahr 2006, in der sowohl einzelne Bundesländer als auch ganze Staaten untersucht wurden, lag Baden-Württemberg zwar über dem bundesdeutschen Schnitt, kam aber in fast allen Bereichen hinter Bayern und Sachsen sowie europaweit hinter Finnland, den Niederlanden und Belgien.

Tatsächlich hat Baden-Württemberg sogar gewisse Bildungsprobleme wie aus einer aktuelleren Studie hervorgeht:

Besonders ausgeprägt ist das soziale Bildungsgefälle in Baden-Württemberg und Bayern, wo die Chancen von Akademikerkindern gegenüber gleichintelligenten Facharbeiterkindern 6,6 beziehungsweise 6,5 mal so hoch sind.

Ein Missstand, den die von Wagner ach so gefürchteten Grünen laut eigenem Wahlprogramm sogar bekämpfen wollen.

Mit Dank an Marc, Tim G., Oliver K. und Pekka R

Berliner Zeitung, Klatschvieh, neues

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Berliner Zeitung’: Ein Ereignis, ein Journalist, zwei Ergebnisse”
(flurfunk-dresden.de, owy)
Landtagswahlen in Baden-Württemberg: Die “Berliner Zeitung” stellt kurzzeitig einen Aritkel mit dem Titel “Mappus rettet Merkel” online.

2. “Kriegsreporter chancenlos gegen Twitter und Youtube”
(welt.de, Heimo Schwilk)
Heimo Schwilk denkt nach über die Veränderungen in der Kriegsberichterstattung: “Irgendwann wird WikiLeaks auch Szenen zeigen, die beweisen, dass auch ‘eingebettete Journalisten’ dabei waren, als Dörfer zusammengeschossen oder Fahrzeuge samt Insassen an Checkpoints pulverisiert wurden.”

3. “Frisches Klatschvieh”
(fr-online.de, Jochen Voss)
TV-Studios haben Schwierigkeiten, Publikum zu rekrutieren, weiß Jochen Voss: “Nach mehr als 25 Jahren Privatfernsehen und unzähligen Studioshows ist die Neugier in den TV-Hochburgen gestillt.”

4. “Man könnte es klarer sagen”
(nzz.ch, Norbert Neininger)
Norbert Neininger stört sich an der “eigenen, für andere schwer verständlichen Sprache” von Medienwissenschaftlern und liefert dazu konkrete Beispiele. “Wer den Definitionen nachgeht, stösst auf eine Art Matrjoschka, unter jeder Definition steckt eine weitere, und am Schluss bleibt ein klitzekleiner Kern übrig.”

5. “3sat schafft Computersendung neues ab”
(netzpolitik.org, markus)
Markus Beckedahl bedauert die Absetzung der 3sat-Sendung “neues”. “Statt einer kompletten Sendung über digitale Kultur soll dann 3sat nano auch manchmal über digitale Themen berichten. Allerdings liegt der Schwerpunkt von nano generell auf populärwissenschaftliche Technikthemen, man kann sich vorstellen, dass digitale Themen dort nur am Rande vorkommen würden.”

6. “Protest numbers: How are they counted?”
(bbc.co.uk, englisch)
Nigel Hawkes von Straight Statistics: “Crowds are habitually over-estimated.”

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