Regierungsinserate, Tagesschau, Gründergeist

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Verführbarkeit des ‘Public Watchdog'”
(derstandard.at, Hans Gasser)
Hans Gasser fordert gesetzliche Regeln zur Vergabe von Regierungsinseraten. Wer “in überdurchschnittlichem Ausmaß von direkten finanziellen Zuwendungen der Regierung, einzelner Ministerien oder Staatsunternehmen” abhängig sei, könne dem Anspruch an Unabhängigkeit kaum gerecht werden.

2. “Sag einfach Ja”
(theeuropean.de, Alexander Kissler)
Alexander Kissler ärgert sich über die 20-Uhr-Ausgabe der “Tagesschau” am Ostermontag, die sich während 4 Minuten und 57 Sekunden den Anti-Atomkraft-Protesten widmete: “Zwischen geschätzten 2000 und 10.000 Deutschen fanden sich laut unbestätigten, aber gewiss interessegeleiteten Veranstalterangaben pro Ort zusammen, um gegen Atomkraft zu protestieren. Auch ein paar Hundert Franzosen ließen sich begeistern. Das ist nicht nichts, aber doch eine arge Petitesse. Bei Volksfesten, Sportereignissen, Wallfahrten kommen mehr Menschen zusammen.”

3. “Anatomy of a Fake Quotation”
(theatlantic.com, Megan McArdle, englisch)
Megan McArdle zeigt auf, wie es zu einem falschen Zitat von Martin Luther King kommt und wie dieses massenhaft in Sozialen Netzwerken geteilt wird.

4. “Auf ins Internet!”
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler erkennt einen Gründergeist unter Schweizer Journalisten. Er stellt acht neue Web-Projekte vor: “Gemeinsam ist den genannten Plattformen, dass ihre Ressourcen beschränkter sind als jene der etablierten Medien.”

5. “Verschwurbeltes Hochschuldeutsch”
(spiegel.de, Markus Reiter)
Schreibtrainer Markus Reiter hält deutsche Wissenschaftler dazu an, sich klar auszudrücken. “Kein Wunder, dass Deutsch als Wissenschaftssprache immer weiter an Bedeutung verliert. Selbst ausländische Forscher, die gut Deutsch sprechen, müssen in vielen Fällen vor der Prosa deutscher akademischer Autoren kapitulieren.”

6. “Gewinner und Verlierer auf BILD.de (2)”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
“Gewinner” und “Verlierer” auf Bild.de mit Texten und Fotos, die nicht zueinander passen.

Obama/Osama, Pressefreiheit, @RegSprecher

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1. “Obama/Osama mixups mar breaking news reports”
(regrettheerror.com, Craig Silverman, englisch)
Craig Silverman überrascht es nicht, dass nun Journalisten “Obama” und “Osama” verwechseln (BILDblog berichtete), denn das tun sie schon seit Jahren. Ein Blick auf einige der Fehler gestern in den USA.

2. “Newspaper websites publish fake bin Laden ‘death’ pic”
(tabloid-watch.blogspot.com, englisch)
Ein Foto, das nicht Osama bin Laden zeigt (BILDblog berichtete), war auf mehreren britischen Online-Portalen zu sehen.

3. “Warum @RegSprecher so nicht twittern sollte”
(haltungsturnen.de, Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach)
Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach beurteilt den Umgang von Regierungssprecher Steffen Seibert mit dem Twitter-Konto @regsprecher.

4. “Die medialen Baustellen der EU”
(derstandard.at, Rubina Möhring)
Heute ist der internationale Tag der Pressefreiheit. Rubina Möhring denkt dazu über ein gemeinsames EU-Mediengesetz nach. Das sei “theoretisch eine optimale Lösung”: “Realiter ist ein solches Projekt jedoch leider auch mit Fragezeichen zu versehen. (…) Eine Knebelung der Medienfreiheit käme im äußersten Fall einer kollektiven Verdummung oder Gehirnwäsche gleich.”

5. “Ist Print das bessere Medium?”
(latrinum.wordpress.com, Gina)
Gina antwortet dem Papiermedien-Lob von Bobby California.

6. “Die Reaktoren spielen verrückt”
(schweizermonat.ch, René Zeyer)
Von Normalität im Journalismus könne keine Rede mehr sein, schreibt René Zeyer: “Unmittelbarkeit wird mit Authentizität verwechselt, Geschwindigkeit mit Informationswert, in Liveschaltungen stehen völlig überforderte Reporter mit dem Mikrofon in der Hand vor wechselnden Kulissen, gerne auch im schützenden Hotelzimmer oder im Übertragungszentrum einer lokalen TV-Station. Das soll keine Kritik an ihnen sein, sie wurden zum Opfer eines ausser Rand und Band geratenen Journalismus, genauso wie der Zuschauer oder Leser.”

Bin Laden zu Tode geshopt

hihi, BILD macht einen auf BILDBlog RT @Doener: Wirbel um falsches Bin-Laden-Foto: http://bit.ly/m7gSYc

So lautet ein Tweet, der bei Twitter aktuell die Runde macht.

Gemeint ist ein Artikel auf Bild.de, der nach mehreren Änderungen so aussieht:

Al-Qaida-Chef tot Der Beweis: Osama-Foto ist eine Fälschung Osama bin Laden Wirbel um falsches Foto Das Foto zeigt deutlich: Hier wurde retuschiert

Damit liegt Bild.de, wo das gefälschte Foto genauso wie auf n24.de, ntv.de, sueddeutsche.de und web.de zwischenzeitlich zu finden war, richtig und inzwischen berichten auch “Spiegel Online”, sueddeutsche.de oder tagesschau.de über das falsche Foto. Wer einen starken Magen hat, kann sich die einzelnen Komponenten der Montage, die schon seit Jahren durch das Netz geistert, etwa hier ansehen: Un fake la foto di bin Laden morto

Auf abendblatt.de findet man das vermeintliche Bild des toten Terroristenführers trotzdem noch — nebst moralischer Rechtfertigung für die Veröffentlichung dieses “mutmaßlich historischen Dokuments”:

Der tote Osama bin Laden auf einem Fernsehbild. Das Hamburger Abendblatt und abendblatt.de zeigen normalerweise keine Bilder von Toten. Die Redaktion hat sich jedoch entschlossen, dieses mutmaßlich historische Dokument zu veröffentlichen. Ähnliches hatte zum Beispiel für den hingerichteten Diktator Saddam Hussein gegolten.

Wie schwer sich Bild.de dann doch tut, selbst einmal Medienkritik zu üben, erkennt man nicht nur an der Steffen-Seibert-Gedächtnis-Überschrift, unter der der Artikel ursprünglich erschienen ist:

Obama-Foto ist eine Fälschung

Ebenfalls in der Ursprungsversion stand folgende inzwischen unauffällig entfernte Passage:

Doch, was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnte: Das Foto ist eine Fälschung!

Schon 2008 trat der damalige US-Präsident George W. Bush mit dieser Foto-Montage vor die Presse, verkündete die Nachricht: Bin Laden ist tot!

Etwas derartiges hat Bush nie verkündet. Hier ist Bild.de höchstwahrscheinlich selbst auf eine weitere Fotomontage hereingefallen, die die amerikanische Online-Satirezeitung “Unconfirmed Sources” für den Fakenews-Artikel “Bush Confirms Death of Osama bin Laden” angefertigt hatte:

Bush Confirms Death of Osama Bin Laden

Aus diesem meist nur im Cache lesbaren Artikel dürfte auch die oben genannte Fotomontage der Leiche bin Ladens, die heute morgen noch so fleißig verwendet wurde, stammen. Der Name der Fotodatei, 20060923-torturedosama, weist darauf hin, dass das gefälschte Bild und die Falschmeldung über den angeblichen Presseauftritt von George W. Bush schon seit dem 23. September 2006 im Umlauf sind.

Das mit dem BILDbloggen sollte Bild.de noch üben.

Mit Dank an die Hinweisgeber.

Wer im Glabhaus sitzt…

So viel Selbstironie hätten wir “Spiegel Online” gar nicht zugetraut.

Im Zuge des Livetickers zum Tod von Obama Osama bin Laden ging auch diese Nachricht über den Äther:

Regierungssprecher Seibert vertippt sich

Dumm nur, dass die Überschrift des Livetickers einige Zeit lang so lautete:

US-Militär soll Obama auf See bestattet haben

Immerhin hat “Spiegel Online” den eigenen Vertipper inzwischen transparent korrigiert:

+++ 10.00 Uhr +++ Tückische Vertipper +++

Im Eifer des Gefechts kann es schon einmal passieren – auch SPIEGEL ONLINE rutschte der gleiche Buchstabendreher für ein paar Minuten durch – in diesem Fall ist der Vertipper besonders unglücklich. Zuvor verwechselte schon Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter das “s” mit dem “b” – und beschuldigte versehentlich den US-Präsidenten unfassbarer Taten: “Obama verantwortlich für Tod tausender Unschuldiger, hat Grundwerte des Islam und aller Religionen verhöhnt.”

Mit Dank an die zahlreichen Hinweisgeber.

Süddeutsche Zeitung, Syrien, Papier

6 vor 9

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1. “‘Süddeutsche Zeitung’ fällt auf die Wahrheit herein”
(blogs.taz.de/hausblog)
Thomas Fromm zitiert in einer Reportage für die Seite 3 der “Süddeutschen Zeitung” einen “mittelständischen Unternehmer”. Tatsächlich stammt das Zitat aus einem satirischen “taz”-Text über einen fiktiven Unternehmer.

2. “Wie sich die Todesmeldung von Osama Bin Laden via Twitter und Facebook verbreitete”
(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Siehe dazu auch “How the bin Laden Announcement Leaked Out” (mediadecoder.blogs.nytimes.com, Brian Stelter, englisch).

3. “Syrien / Libanon: Zeugen des Krieges”
(mediathek.daserste.de, Video, 7:27 Minuten)
Informationen über die Situation in Syrien kommen vor allem aus dem Libanon. Auch die ARD kann nicht in das Land einreisen.

4. “Die ‘Chefchen’-Affäre”
(sueddeutsche.de, Andreas Burkert)
Andreas Burkert schreibt über die Auseinandersetzung zwischen Bastian Schweinsteiger und “Sport Bild”: “Der Regisseur Schweinsteiger hat zuletzt nicht mehr richtig mitgespielt bei diesem Geben und Nehmen, das ihn auch groß machte. Angeblich soll er Interview-Anfragen von Sport-Bild und Bild zurückgewiesen haben. Es sieht jetzt fast so aus, als ob er, der Springers Spielplan ablehnt, quasi die rote Karte bekommt. Wegen der Ungeheuerlichkeit, sich zu verweigern.”

5. Borussia Dortmund und die Sonntagszeitungen
(pottblog.de, Jens Matheuszik)
Jens Matheuszik fasst zusammen, wie die Sonntagszeitungen FAS, WamS und BamS über den Meistertitel von Borussia Dortmund berichten.

6. “Warum Papier praktischer ist”
(bobbycalifornia.blogspot.com)
Bobby California sucht und findet “50 Gründe, warum Papiermedien (Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, das Kursbuch usw…) praktischer sind als Online-Medien”.

Gegen ARD und ZDF geht alles

Das ist eine sensationelle Nachricht, die die “Welt” da seit Donnerstag in ihrem Online-Auftritt vermeldet:

Spartensender ZDF Kultur will eigenen Jugendkanal

Der Jugendsender eines Kultursenders? Der Ableger eines Ablegers? Sicher, nichts scheint unmöglich bei ARD und ZDF. Aber stutzig machen könnte den unbefangenen Leser, dass die Nachricht nicht nur nirgends sonst steht, sondern auch nicht hier. Im Artikel selbst ist zwar von einem Jugendkanal und einem Kulturkanal die Rede, aber in keiner Weise von einem Jugendkanal eines Kulturkanals.

Es scheint, als habe der diensthabende Mensch, der aus dem Artikel aus der gedruckten “Welt” eine Fassung für “Welt Online” machen musste, das Stück nur sehr flüchtig gelesen und nicht verstanden, dass es sich bei dem Jugendkanal um einen Jugendkanal der ARD handelt, der aus den Digitalkanälen “Eins Festival” und “Eins Plus” entstehen könnte.

Nun ist es tatsächlich leicht, den Artikel misszuverstehen, weil er überwiegend aus Wutschaum besteht und, was bei dem Thema ARD und ZDF häufiger vorkommt, scheinbar nicht von einem Journalisten, sondern der Lobbyabteilung der Axel Springer AG verfasst wurde. In der gedruckten “Welt” trägt er die programmatische Überschrift: “Dafür haben wir nicht GEZahlt!”

Autor Ekkehard Kern schreibt über die Digitalkanäle:

Nur selten vermag einer der sechs Miniatursender der Öffentlich-Rechtlichen die Ein-Prozent-Einschaltquotenhürde zu nehmen — was ARD und ZDF jedoch nicht davon abhält, im Segment dieser Spartenprogramme eifrig weiterzuplanen und deren Existenz dem großen Publikum in den reichweitenstarken Hauptprogrammen Das Erste und ZDF aus unerfindlichen Gründen konsequent zu verschweigen.

Er muss schon lange nicht mehr das ZDF eingeschaltet haben, um die vielen Programm-Ankündigungen für ZDF_neo verpasst zu haben. Auch für ZDF.Kultur wirbt das Hauptprogramm.

Im Lobbyistenton fantasiert er weiter:

Schelte für ihre oft wenig durchschaubare Expansionspolitik haben ARD und ZDF reichlich kassiert. Man denke nur an die herrlich überflüssige “Tagesschau”-App für das iPad und überhaupt die digitale Ausbreitung im Internet – einem Terrain, das die Öffentlich-Rechtlichen unangetastet lassen müssten, denn “Rundfunk” beinhaltet eben schon per definitionem nur Radio und Fernsehen.

Vieles ist der “Tagesschau”-App vorgeworfen worden, gerade auch von Springer, aber dass sie überflüssig ist, nun gerade nicht. Und über die Definition von “Rundfunk” lässt sich lange streiten, was daran liegt, dass keinewegs klar ist, ob sie “nur Radio und Fernsehen” beinhaltet. Das Bundesverfassungsgericht etwa sieht das durchaus anders.

Der Autor lästert dann noch ein bisschen über die “grauen Eminenzen von ARD und ZDF”, den “bizarr sturen Apparat” und den “Seniorenkanal” ZDF, bevor er vage auf den Wunsch des SWR-Intendanten nach einem Jugendkanal zurückkommt:

Ein ProSieben der Öffentlich-Rechtlichen mag dem SWR-Intendanten Boudgoust vorgeschwebt haben. Nur sinnvoller, versteht sich. Denn die Quote, so betont man bei den Öffentlich-Rechtlichen gerne und stets vorsorglich, bedeute einem nichts.

Dafür hätte man dann doch gerne einmal einen Beleg gelesen. Der ARD-Programmdirektor Volker Herres jedenfalls sagt regelmäßig Sätze wie: “Ich will Programm für alle Menschen machen und Quote sind nichts anderes als Menschen.” Vielleicht hat der Autor aber auch nur flüchtig ein Interview mit der ARD-Vorsitzenden Monika Piel im aktuellen “Focus” gelesen, in dem sie sich gegen den Vorwurf der Quotenfixierung wehrt. Die Überschrift lautet allerdings: “Quote ist nicht alles.”

Weiter im Text:

Sehr zupass und pünktlich zur Frühjahrstagung der ARD kam dann jetzt auch eine Wortmeldung des Chefs der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, Martin Stadelmaier (SPD).

“Pünktlich”? Stadelmaier äußerte sich am 19. April. Die Frühjahrstagung der ARD endete am 6. April. Jedenfalls:

[Stadelmaier] will mit dem noch vagen Plan des Jugendsenders endlich Ernst machen. Monika Piel, die derzeitige ARD-Chefin, denkt jetzt über eine Kooperation mit dem ZDF nach. Welch neues Projekt aus diesen Diskussionen erwächst, weiß bisher keiner so ganz genau. Aber in der labyrinthischen Welt der Öffentlich-Rechtlichen ist es wie in der Baumarktwerbung: Es gibt immer was zu tun.

Kern hat sich so besinnungslos auf ARD und ZDF eingeschossen, dass er gar nicht merkt, dass Piels Gedankenspiele ganz in seinem Sinne sein müssten. Schon im Januar sagte sie der “taz”:

Es wird keinen “Sender-Zuwachs” mehr geben. Wir müssen uns natürlich in der ARD weiter entwickeln, aber das bedeutet künftig: umverteilen, etwas Anderes lassen, damit man etwas Neues machen kann. Von daher wird es wohl am Ende meiner Amtszeit eher weniger geben — und ich hoffe bei den Digitalkanälen auf mehr Zusammenarbeit mit dem ZDF — analog zu Phoenix und KiKa.

Nichts in Kerns Artikel ist neu. Aber so tendenziös und falsch ist das womöglich tatsächlich noch nicht aufgeschrieben worden.

Bild, Sport Bild  etc.

Riesen-Schweinsteigerei

Es ist ein gefundenes Fressen für “Bild”: Fußball-Profi Bastian Schweinsteiger hat bei einer Presseveranstaltung einen “ihm unliebsamen Journalisten” beleidigt. Oder anders formuliert:

Schweini rastet aus - Bayern-Star beleidigt Reporter als Pisser und wehrt sich gegen Chefchen-Kritik

Die Autoren Kai Psotta und Mario Volpe listen alles auf, was es zu diesem Anlass zu berichten gilt: Dass der Ausbruch exakt 11 Minuten und 56 Sekunden gedauert hat, welche besonders deftigen Beleidigungen Schweinsteiger aussprach, dass Kameras bei dem denkwürdigen Auftritt verboten waren. Alleine eine Information fehlt rätselhafterweise: Welchen Reporter hat Schweinsteiger so rüde beschimpft?

Doch die lieben Kollegen haben das längst ausgeplaudert: Der gemaßregelte Journalist war Christian Falk, Chefreporter der “Sport Bild”. Der hatte zwei Wochen zuvor den bis dato von “Sport Bild” hofierten Schweinsteiger abrupt abgekanzelt und als “Chefchen” tituliert.

Bild.de hat Falks Namen und Arbeitgeber inzwischen unauffällig in den Artikel eingefügt.

“Sport Bild”-Chefredakteur Matthias Brügelmann sah sich kurzerhand zu einer Stellungnahme veranlasst. Die “Chefchen”-Geschichte sei lediglich eine “Analyse” der Leistung Schweinsteigers. Und weiter:

Wenn Schweinsteiger das anders sieht, ist das sein gutes Recht. Wir haben bei SPORT BILD kein Problem damit, kritisiert zu werden. Wer austeilt, muss auch einstecken können.

Ob seine Wortwahl (“Pisser”, “Arschloch”) bei der Pressekonferenz für Führungsqualität und Vorbildfunktion spricht, sollen andere beurteilen.

Die “anderen” hat Brügelmann freilich schnell gefunden:

Schweinsteiger pöbelt: Pisser, A..loch. BILD meint: er muss sich entschuldigen

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Gesund Grillen ist ja sooo 2007

Gute Nachrichten: Die Grillsaison beginnt immer früher!

Zumindest drängt sich dieser Eindruck auf, wenn man sich den jeweiligen Zeitpunkt im Jahr ansieht, an dem die Online-Ausgabe des “Südkuriers” quasi schon traditionell ein und denselben Artikel über gesundes Grillen veröffentlicht:

28.04.2011 Kochen mit Feuer und Flamme

20.05.2009 Kochen mit Feuer und Flamme

28.04.2011 Kochen mit Feuer und Flamme

Dabei zeigt sich, dass selbst eine “aktuelle Debatte” zeitlos sein kann. In der Einleitung heißt es seit vier Jahren:

Der aktuellen Debatte über gesunde Ernährung sei dank: Viele Grillfans entdecken heute statt Steaks und fetten Würsten auch Fisch und Gemüsespieße für den Rost.

Der Artikel wird schon so lange recycelt, dass es die Nachrichtenagentur ddp, von der er laut “Südkurier” ursprünglich stammt, heute in dieser Form gar nicht mehr gibt. Immerhin fusionierte der Deutsche Depeschen-Dienst (ddp) schon im Dezember 2009 mit dem deutschen Ableger von Associated Press (AP) zur neuen Vollagentur dapd.

Alles nicht so schlimm, meinen Sie? Leider ist der ddp nicht das einzige an “Kochen mit Feuer und Flamme”, was es schon seit 2009 nicht mehr gibt:

“Damit lassen sich viele Fallen ungesunder Ernährung umgehen”, betont Professor Volker Pudel, Ernährungspsychologe aus Göttingen. (…)

“Es sollte eine weiße Schicht auf den Kohlen sein”, rät Volker Pudel. (…)

“Solange man nicht jeden Tag grillt, kann man ab und zu über die Stränge schlagen”, sagt Volker Pudel.

Über den Ernährungspsychologen Volker Pudel aus Göttingen heißt es bei Wikipedia:

Volker Pudel starb am 7. Oktober 2009 nach langer schwerer Krankheit.

Mit Dank an Michael B.

Nachtrag, 17.10 Uhr: suedkurier.de hat die aktuellste Version des Artikels gelöscht.

Sport Bild, Köln, Glamour-Journalismus

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1. “Eklat? Skandal? Wo?”
(sportmedienblog.de)
Fußball: Bastian Schweinsteiger reagiert heftig auf einen Artikel in “Sport Bild”. Das Sportmedienblog findet, der deutsche Sportjournalismus tue sich keinen Gefallen, “sich so kategorisch bereitwillig mit dem Kollegen der Sport Bild” zu solidarisieren, sich mit seinem Artikel somit quasi gemein zu machen. Siehe dazu auch “Sport Bild provoziert Schweinis Wut-Anfall” (meedia.de, Alexander Becker).

2. “Geschichte wird gemacht: Die Causa Finke”
(spielbeobachter.twoday.net)
Fußball: Der Spielbeobachter schreibt einen langen Text zum Trainerwechsel beim 1. FC Köln, in dem auch die Berichterstattung von “Bild” Köln und dem “Kölner Stadt-Anzeiger” beleuchtet wird.

3. “Jeff Jarvis’ 36 Aussagen über den Zustand der Nachrichten-Branche”
(wasmitmedien.de, Daniel Fiene)
“Was mit Medien” übersetzt den Blogbeitrag “Hard economic lessons for news” von Jeff Jarvis.

4. “Glamour-Journalismus ist vorbei”
(visdp.de)
Glamour-Journalismus sei vorbei, glaubt V.i.S.d.P.: “Das neue Interesse am vermeintlich wirklichen Leben ist ein Chance für den Journalismus und die Reportage-Tugenden der siebziger Jahre: Lange Texte über Themen, die etwas mit dem alltäglichen Leben der Leser zu tun haben, passen wieder zum Zeitgeist. Sie dürfen sogar ohne den anklagenden Jammer-Ton dieser Jahre auskommen, der sich manchmal immer noch in STERN, ZEIT und SPIEGEL findet.” Ein weiterer Artikel befasst sich mit den aktuellen Titelblättern von “Bunte” und “Gala”.

5. “Quotenschlacht um Prinzenhochzeit”
(youtube.com, Video, 5:15 Minuten)
Seit Wochen schon berichten deutsche Medien über die heutige Hochzeit in London: “Mit aller Wucht versuchen Redakteure, die vermeintliche Sehnsucht der Deutschen nach Adel, Glamour, Königlichkeit zu erfüllen. Und je weniger der Palast preis gibt, desto mehr Platz bleibt zum Spekulieren.”

6. “Die Monarchie hält uns klein”
(zeit.de, Polly Toynbee)
Wolfgang Blau übersetzt einen Artikel der britischen Journalistin Polly Toynbee: “Was für eine seltsame Vorstellung: Die üppige Zurschaustellung sinnloser Geldverschwendung für einen goldenen Prinzen und seine Prinzessin soll ausgerechnet die Stimmung derer aufhellen, die gerade ihre Jobs verlieren, oder die Stimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung, deren Einkommen schrumpft und deren Sozialleistungen zusammengestrichen werden.”

Wie wird so einer zum Sex-Monster?

Für die Redakteure von “Bild” ist es schwer hinnehmbar, dass auch Menschen, die schlimme Dinge getan haben, Rechte haben. Menschenrechte zum Beispiel.

Im vergangenen Dezember wurde ein Krankenpfleger aus Berlin wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern verhaftet. In seiner Wohnung fand die Polizei Filmaufnahmen, die ihn bei den Taten zeigen. In der Untersuchungshaft unternahm der Mann einen Selbstmordversuch und trennte sich einen Hoden ab. In einem Abschiedsbrief bereute er seine Taten und entschuldigte sich dafür.

All das schrieb “Bild” am 22. Dezember in der Regionalausgabe Berlin/Brandenburg. Dann muss der Redaktion aufgefallen sein, dass die eigene Berichterstattung viel zu sachlich war.

Deshalb sah die Berichterstattung am nächsten Tag ein bisschen anders (man könnte auch sagen: “Bild”-typischer) aus:

Wie wird so einer zum Sex-Monster?

In der Berliner Ausgabe prangte ein großformatiges Foto des Tatverdächtigen, in der riesigen Überschrift fragte “Bild” “Wie wird so einer zum Sex-Monster?”

Der Bruder des mutmaßlichen Täters, der seit dessen Selbstmordversuch dessen vorläufiger Betreuer ist, ging Anfang Januar mit anwaltlicher Hilfe gegen die Berichterstattung vor und forderte die Axel Springer AG auf, die Verbreitung der privaten Fotos zu unterlassen. Springer lehnte mit der Begründung ab, es bestehe ein “außerordentliches Berichtsinteresse der Öffentlichkeit” und die Taten seien besonders verwerflich.

Am 11. Januar erließ das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung, die “Bild” verbietet, weiterhin Fotos zu verbreiten, auf denen der Mann erkennbar abgebildet ist. Gegen diese einstweilige Verfügung zog die Axel Springer AG vor Gericht — verlor aber überwiegend.

Dabei hatten sich die Springer-Anwälte so eine schöne Begründung zurechtgelegt, warum “Bild” auf diese Weise berichten dürfe: Der Mann sei “zweifelsfrei” der Täter, dem die schwer kranken Kinder hilflos ausgeliefert gewesen seien. Weil er seine Stellung als Pfleger auf einer Intensivstation ausgenutzt haben soll, bestehe ein “erhebliches öffentliches Interesse” an seiner Person, eine Berichterstattung mit Foto sei wegen der “Schwere und der Art der Begehung” dieser Taten auch zulässig.

Sogar den Selbstmordversuch wertet “Bild” als Grund für ihre Berichterstattung: Er stelle wegen der Selbstverstümmelung einen “ebenfalls ganz außergewöhnlich brutalen Zerstörungsakt” dar, weshalb von einem herausragenden zeitgeschichtlichen Ereignis zu sprechen sei. Und dass “Bild” ein Foto des Mannes zeigen konnte, sei der ja quasi selbst schuld: Er habe das Bild ja selbst auf der Internetseite StudiVZ “für alle registrierten Nutzer öffentlich gemacht”.

Das Landgericht Berlin bestätigte die einstweilige Verfügung “im Tenor”. In seiner sehr differenzierten Urteilsbegründung (PDF) erklärt das Gericht, die erste Berichterstattung von “Bild” sei nicht zu beanstanden, wohl aber die weiteren Artikel:

Bereits in der großformatigen Überschrift wird der Antragsteller (“so einer”) nicht als Mensch sondern als “Sex-Monster” bezeichnet. Der Artikel enthält wenig objektive Information, stattdessen verschiedene reißerische Textpassagen (“Wie wird so einer zum Sex-Monster”, “ER IST EIN MONSTER. DAS HABE ICH NICHT ERKANNT”, “Es war offenbar die Maske eines Perversen.”), die über ein bloßes boulevardmäßiges Zuspitzen von Tatsachen hinausgehen.

Die Angst des mutmaßlichen Täters, er könne anhand der Fotos identifiziert und durch die Berichterstattung zum Opfer gewalttätiger Übergriffe werden, erschien dem Gericht “nicht völlig abwegig”. Die Veröffentlichung des Fotos sei daher nicht zulässig gewesen.

Auch bei der Berichterstattung in der Bundesausgabe hätte “Bild” auf ein Foto verzichten müssen:

Die dem Antragsteller zur Last gelegten Taten werden nicht als Vorwurf sondern als feststehende Tatsachen dargestellt. Im Übrigen wird auf einen bereits erfolgten Bericht der Zeitung verwiesen. Einerseits sind Artikel und Foto insgesamt klein gehalten. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Artikel in Bezug auf den Antragsteller keine neue sachbezogene Information enthält, die das erneute Abdrucken des Fotos rechtfertigen könnte.

Unmissverständlich äußert sich das Gericht zu der bei “Bild” so beliebten “Quelle” Soziale Netzwerke:

Eine Einwilligung des Antragstellers in die Verbreitung der Bilder liegt nicht vor. Unbeachtlich ist, ob der Antragsteller mit der Verbreitung seines Bildnisses gegenüber dem begrenzten Kreis der Nutzer von “studiVZ” einverstanden war. Hier geht es um eine Veröffentlichung von Bildern in einer Zeitung im Zusammenhang mit dem Vorwurf schwerer Straftaten.

Mit Hilfe seines Anwalts Ulrich Dost hat der Mann auch einstweilige Verfügungen gegen die “B.Z.” und den “Berliner Kurier” erwirkt. Der “Kurier” hatte über mehrere Tage das Foto des Tatverdächtigen gezeigt und ihn als “Sex-Bestie” bezeichnet, einmal sogar auf der Titelseite. Das Berliner Landgericht hat auch die einstweilige Verfügung gegen den “Berliner Kurier” bestätigt.

In beiden Fällen sind die Urteile noch nicht rechtskräftig, da die unterlegenen Boulevardzeitungen in Berufung gegangen sind.

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