Ganz schön aufgeblasen

Mit einigen Themen lässt sich besonders schön Empörung erzielen: Dazu gehören beispielsweise die sprichwörtliche Regulierungswut bürokratischer EU-Behörden oder Grausamkeiten jeglicher Art gegen arme, unschuldige Kinder.

Insofern war das ein echter Knaller, was britische Medien wie “Daily Mail”, “The Telegraph” und “Daily Express” vergangene Woche zu melden hatten. Sie behaupteten, die EU wolle Kindern allen Ernstes das Aufblasen von Luftballons verbieten:

Brussels bans toys: Party blowers and other stocking fillers are barred in EU safety edict (and prices are set to rise for Christmas)

Children to be banned from blowing up balloons, under EU safety rules

NOW EURO KILLJOYS BAN CHILDREN

Man stelle sich das vor: Klein-Justin-Sören will einen Luftballon aufblasen, schon treten fünf EU-Kommissare die Wohnungstür ein, nehmen den Übeltäter fest und sperren ihn bei Wasser und Brot in den Brüsseler Hungerturm. Oder ist alles ganz anders?

Nun, wahr ist, dass es tatsächlich eine neue Richtlinie gibt, deren Erläuterung in ihrer ganzen 164-seitigen Pracht bereits seit Monaten einsehbar ist. Warum die Medien jetzt erst darauf aufmerksam wurden ist unklar, denn die Richtlinie ist bereits seit 20. Juli 2009 in Kraft und seit 20. Juli 2011 auch umzusetzen. Das angebliche Luftballon-Aufblas-Verbot wird im folgenden Satz erklärt:

Ballons aus Latex müssen mit einem Warnhinweis versehen sein, dass Kinder unter 8 Jahren beaufsichtigt werden müssen und defekte Ballons zu entsorgen sind.

Wie auch das englische Watchblog “Tabloid Watch” festgestellt hat, geht es also keineswegs um ein Verbot, sondern lediglich um einen Warnhinweis auf der Verpackung, wie er seit Jahrzehnten auf Kinderspielzeug üblich ist. Man denke an Klassiker wie “Nicht für Kinder unter 3 Jahren geeignet” oder “Enthält Kleinteile: Erstickungsgefahr”. Solche Hinweise können Eltern beachten oder ignorieren. Rechtliche Konsequenzen haben sie nicht.

Und so ist es auch kein Wunder, dass sich die EU genötigt fühlte, dies klarzustellen:

Kinder unter acht Jahren dürfen weiterhin ohne Aufsicht von Erwachsenen Luftballons aufblasen – das hat die EU-Kommission klargestellt. Anderslautende Medienberichte seien falsch, erklärte die Brüsseler Behörde am Donnerstag und fügte hinzu: “Die EU verbietet Kindern NICHT das Aufblasen von Ballons.”

Eine neue Richtlinie für die Sicherheit von Spielzeug aus dem Sommer nehme lediglich eine seit 1998 geltende Bestimmung wieder auf: Danach müssen Latex-Ballons die Warnung tragen, dass Kinder jünger als acht Jahre unaufgeblasene oder kaputte Ballons verschlucken und daran ersticken können. Die Aufsicht von Erwachsenen werde daher empfohlen.

Sie fragen sich, warum die EU sich die Mühe gemacht hat, diese Richtigstellung auch auf Deutsch publik zu machen, obwohl doch englische Medien einem Irrtum erlegen waren? Das liegt daran, dass einigen deutschsprachigen Medien keine Nachricht aus England zu blöd ist, um sie nicht unreflektiert weiterzuverbreiten.

Bild.de:

Für Kleinkinder EU plant Aufblas-Verbot für Luftballons

Mal wieder ein echter Knaller aus Brüssel!

Jetzt wollen die Eurokraten auch das Aufblasen von Luftballons regeln.

oe24.at:

13. Oktober 2011 08:30 Für Kinder unter 8 EU verbietet Luftballon-Aufblasen Verordnung aus Brüssel, weil die Gefahr zu groß ist, dass ein Kind erstickt

Die Nachricht aus der englischen Zeitung Telegraph wird Kinder nicht freuen: Eine EU-Verordnung besagt, dass es unter Achtjährigen verboten ist, alleine Luftballons aufzublasen. Begründung: Die Kids könnten ersticken.

Der Hauptpreis geht jedoch an “20 Minuten Online”, wo von der Überschrift bis hin zum Symbolbild einfach alles zusammenpasst:

Die EU macht auf Spassbremse. Sicherheitsbestimmungen verlangen, dass Luftballone nur noch mit folgendem Warnhinweis verkauft werden dürfen: Ballone sollten von Kindern unter acht Jahren nur unter Aufsicht der Eltern aufgeblasen werden.

Mit Dank an Lutz K.

Korrektur, 10.13 Uhr: Ein Leser hat uns darauf hingewiesen, dass die “neue” Richtlinie sogar schon seit dem 20. Juli 2009 in Kraft ist, wobei die nationalen Umsetzungsvorschriften tatsächlich erst seit 20. Juli 2011 anzuwenden sind. Außerdem handelt es sich bei dem von uns zitierten Dokument nicht um die eigentliche Richtlinie, sondern um ihre Erläuterung. Die betreffenden Stellen wurde nachträglich korrigiert.

Tatort, Arne Friedrich, Natascha Sagorski

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Gab nie ein Österreich-Interview zu meinem Buch”
(kurier.at)
Eine Journalistin von “Österreich” ruft Hugo Portisch an und fragt nach einem Interview. Obwohl dieser ablehnt, erscheint die kurze Plauderei als Interview. Siehe dazu auch “Ein Interview ist ein Interview!” (diepresse.com, Thomas Kramar)

2. “Im Angesicht des Todes”
(uni-muenster.de)
Stephan Völlmicke untersucht in seiner Doktorarbeit die Darstellung des Todes in der Krimiserie “Tatort”: “Im Verlauf der untersuchten 40 Jahre hat sich die Bebilderung des Todes deutlich verändert. Die Todesdarstellungen sind heute so intensiv und direkt wie nie zuvor.”

3. “Unsere Kunden erwarten, dass wir ein Convenience-Produkt liefern”
(persoenlich.com, Edith Hollenstein)
Die Meldungen der inzwischen einzigen Schweizer Nachrichtenagentur SDA “werden häufig 1:1 von Onlineportalen übernommen und auch in den Printausgaben gedruckt.” Ein Interview mit dem Chefredakteur Bernard Maissen.

4. “Die Medien zum Feind”
(zeit.de, Steffen Dobbert)
Fußballer Arne Friedrich und die Medien. “Nach der WM in Deutschland bemerkte er, wie die veröffentlichte Meinung sich von der vieler Menschen unterscheidet. Während der WM machten ihn die Medien für einige Gegentore in der Vorrunde verantwortlich. Dabei hatte er nur, wie vom Trainer verlangt, nicht auf Abseits gespielt.”

5. “Baron Münchhausens Ururenkelin oder nur die nervigste Tratschtante, auch modisch gesehen?”
(horstson.de)
Horston schreibt über Natascha Sagorski: “Wenn man es in das Allerheiligste eines TV-Senders geschafft hat und drinnen ist, rafft man dann alles an Schnipseln zusammen, das es an elektronischen und gedruckten Fakes und aus der Luft gegriffenen Erfindungen und unbewiesenen Gerüchten über Prominente gibt, weil man von der Weiterverwertung solcher Meldungen, die eigentlich gar keine sind, lebt oder sich dann einfach mehr leisten kann, so man nebenbei auch noch einen richtigen Beruf erlernt hat und dem auch tätig nachgeht.”

6. “E-Book meldet sich, wenn’s im Text spannend wird”
(welt.de, Hans Zippert)

Sieben auf einen Streich

Nicht alles, aber womöglich doch vieles von dem, was im Onlinejournalismus falsch läuft, lässt sich anhand dieses Artikels aus dem Online-Auftritt der “Abendzeitung” aufzeigen:

Siebenfacher Mord: Mann sprengt sich in die Luft

Da ist zunächst einmal dieses knallige Foto, das natürlich auch als Teaser auf der Startseite zu finden war. Es zeigt also einen Mann, “das Gesicht verhüllt, die Hände in Skihandschuhe gesteckt”, vor einer beeindruckenden Feuerwand/Explosion. Die Leute von der “Abendzeitung” haben ihn dort allerdings hineinmontieren müssen, denn der tatsächliche Bildhintergrund war nicht ganz so spektakulär:

Mindestens ebenso bemerkenswert sind natürlich auch die oben abgebildete Überschrift und der Vorspann der Meldung:

Handschuhe, Kapuze, Gesicht verhüllt: Wolfgang M. steht wegen siebenfachen Mordes vor Gericht und soll sich selbst in die Luft gesprengt haben. Der Mann hat schwerste Verbrennungen.

Bemerkenswert vor allem, weil auf den “siebenfachen Mord” in Überschrift und Vorspann diese Meldung folgte:

Wegen versuchten Mordes in sieben Fällen muss sich seit Montag der mutmaßliche Serienräuber Wolfgang M. vor dem Münchner Landgericht verantworten. Der 50-Jährige soll im August 2010 nach einem Überfall im Raum Augsburg auf der Flucht seinen Wagen mit Propangas in die Luft gejagt haben, um sich selbst zu töten.

Dabei wurden sieben Polizisten verletzt. Der Angeklagte erlitt schwerste Verletzungen und ist ein Pflegefall. Gegen ihn wird voraussichtlich an neun Tagen verhandelt.

Da haben wir also eine aufmerksamkeitsheischende Fotomontage und eine Überschrift, die nur wenig mit der Meldung selbst zu tun hatte. Geht noch mehr?

Aber ja: Im Laufe des Nachmittags haben die Online-Redakteure von der “Abendzeitung” die komplette Meldung durch einen deutlich längeren Artikel ersetzt und dabei auch unauffällig die Aussage der vorherigen Überschrift korrigiert.

Prozess in München - Mordversuch: Serienräuber sprengt Auto

Mit Dank an Bernd A.

Hin und Beck

Auf den ersten Blick passen Überschrift und Foto perfekt zusammen:

Beck kritisiert Auftritt von MDR-Fernsehballett bei Kadyrow-Gala

Doch der erste Satz des Artikels macht deutlich, dass hier etwas schief gegangen ist:

Die Osteuropaexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Marieluise Beck, hat den Auftritt von Mitgliedern des MDR-Fernsehballetts in Tschetschenien als “unanständig” kritisiert.

Marieluise Beck, soweit bekannt nicht identisch mit dem abgebildeten Kurt Beck, sieht natürlich ganz anders aus.

Doch der Internetauftritt der “Abendzeitung Nürnberg” ist nicht das einzige Medium, das den Artikel über Frau Beck mit einem Foto von Herrn Beck bebildert hat:

Beck kritisiert Auftritt von MDR-Fernsehballett bei Kadyrow-Gala

Beck kritisiert Auftritt von MDR-Fernsehballett bei Kadyrow-Gala

Quelle jedes Mal: Die Nachrichtagentur dapd. Die hätte es allerdings noch sinnloser treffen können.

Mit Dank an Magnus G., Matthias U. und Schreiberling.

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Auf einem Auge blind

Hans-Hermann Tiedje klang am Freitag empört:

Linker Terrorismus — Was denn sonst?Es existiert da bei manchen offenbar Nachsicht bei Motiven von links, weil: Eigentlich meinen die Täter es ja irgendwie doch gut.

Wenn jetzt Linksextremisten durch Brandanschläge bei der Bahn Hunderte von Menschenleben gefährden, dann wird schon wieder um Worte gerungen.

Es wird Tiedje, den früheren “Bild”-Chefredakteur, wurmen, dass nicht einmal der Chef des Bundeskriminalamts bereit ist, angesichts der Brandanschläge auf Strecken der Deutsche Bahn von “Terrorismus” zu sprechen.

Tiedje selbst hingegen ist ein Freund klarer Worte, wie er schon zu Beginn seines Kommentars deutlich machte:

Wenn Neonazis Ausländer verprügeln, ist das dann schlicht nur Ausländerhass? Nein, es ist Terror, und zwar Terror gegen Menschen.

Hoyerswerda, Solingen, Oktoberfest 1980: alles Fälle von rechtem Terrorismus. Und jeder benennt es so, schon im Rückblick auf die Nazizeit.

Wenn wir den (bis heute nicht wirklich aufgeklärten) Bombenanschlag auf das Oktoberfest 1980 mal außen vor lassen: Es gibt wenig Hinweise darauf, dass im Zusammenhang mit den Ausschreitungen von Hoyerswerda und dem Mordanschlag von Solingen irgendjemand von “Terrorismus” gesprochen hätte.

Im Gegenteil, wie diese AP-Meldung vom November 1991 zeigt:

Für Generalbundesanwalt Alexander von Stahl sind die Anschläge auf Ausländer kein Terrorismus. Zwar habe der Rechtsextremismus zugenommen, sagte er am Donnerstag abend in Hamburg vor dem Übersee-Club. Aber es lägen bisher keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, daß die mittlerweile über 300 Brandanschläge auf Unterkünfte von Asylbewerbern und andere Ausländern durch terroristische Vereinigungen gesteuert würden oder daß sich terroristische Strukturen gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gebildet hätten. Der Rechtsterrorismus sei “keine aktuell erkennbare Gefährdung”.

Wenn Tiedje heute behauptet, “jeder” spreche im Zusammenhang mit diesen Ereignissen von “rechtem Terrorismus” (“schon im Rückblick auf die Nazizeit”), dann ist diese Behauptung mindestens gewagt. Oder auch geschichtsklitternd.

Einige Beobachter haben übrigens die “Bild”-Zeitung für die aufgeheizte Stimmung gegenüber Asylanten und Ausländern in Deutschland mitverantwortlich gemacht. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hatte schon im September 1991 die Berichterstattung von “Bild” scharf kritisiert. Im April 1992 titelte die Zeitung: “Die Flut steigt – wann sinkt das Boot? Fast jede Minute ein neuer Asylant”.

(Co-)Chefredakteur von “Bild” war damals Hans-Hermann Tiedje.

Mit Dank auch an Robert W.

Piratenpartei, Beißreflexe, Säbel

6 vor 9

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1. “Stille Post sie spielen”
(scilogs.de, Anatol Stefanowitsch)
Wie “Spiegel Online” eine dpa-Meldung über eine neue Studie umschreibt, “ohne die Studie zu kennen und verstanden zu haben”.

2. “Piratenpartei: Humor ist, wenn man trotzdem lacht”
(panorama.blog.ndr.de, Andrej Reisin)
Andrej Reisin reagiert auf wütende Reaktionen von Mitgliedern und Sympathisanten der Piratenpartei, die sich von einem NDR-Beitrag “verhöhnt” fühlen. “Über Inhalt und Qualität des Films lässt sich selbstverständlich streiten – und der NDR bietet dafür mit seiner Kommentarfunktion ja auch breiten Raum. In den Reaktionen kommt allerdings auch etwas anderes zum Vorschein, nämlich ein Gestus, der sich jedwede Kritik oder Satire schlicht und ergreifend verbitten will.”

3. “Genies nach Maßgabe des deutschen Journalismus”
(antimedien.de, Hektor Haarkötter)
“Deutschland hat wirklich einige Geistesgrößen zu bieten. Gescheite, unglaublich belesene Leute, die aus ihrem enormen Wissensschatz unter Anwendung der Gesetze der Logik (und machmal auch unter Umgehung derselben) zu brillanten Schlüssen kommen. Die ‘Zeit’- und ‘Spiegel’-Redakteure könnten vermutlich lebenslänglich suchen, sie würden diese echten ‘Genies’ nicht finden.”

4. “Das Scheißleben der Feuilletonisten”
(spiegel.de, Georg Diez)
Das Ich und das Wir im deutschen Feuilleton. “Was hier von unterschiedlicher Seite versucht wird, ist eine Umdeutung der Gegenwart mit den Mitteln der Literaturkritik.”

5. “Alte Beißreflexe”
(faz.net, Johannes Warda)
Es bestehe kein Zweifel, “dass sich die Bürgerbewegung von G8- und Bildungsprotest über den arabischen Frühling bis zu ‘Occupy Wall Street’ großer Medienaufmerksamkeit” erfreue, findet Johannes Warda. “So mancher Vorwurf an die sogenannten Mainstream-Medien erinnert da an alte Beißreflexe: ein anachronistisches Verhaltensmuster aus der Zeit der Blockkonfrontation, das gerade die Indie-Medien und die Netzkultur überwunden zu haben glaubten.”

6. “Symbolträchtiger Mongolismus und eine Wiener Leiche auf Abwegen”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
Aus welchem Bild ein von express.de, mopo.de und berliner-kurier.de eingesetztes Symbolfoto eines Säbels ausgeschnitten wurde.

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Wir müssen leider draußen bleiben (2)

Am Montag begann am Landgericht Wiesbaden die Verhandlung in einem Fall, der bundesweit für Aufsehen sorgte. Drei Jugendliche werden des Raubmordes an einem Obdachlosen angeklagt. Interessant ist dabei, wie das Landgericht Wiesbaden mit den Journalisten umgeht.

Die “Frankfurter Rundschau” berichtet:

Eigentlich ist die Öffentlichkeit von Verfahren gegen Minderjährige ausgeschlossen. Für sie gelten besondere Regeln, ihre Interessen sind besonders schützenswert – ganz gleich, wessen sie angeklagt sind. Doch die Vorsitzende Richterin Ingeborg Bäumer-Kurandt lässt Ausnahmen zu. Einige Pressevertreter dürfen im Zuschauerraum Platz nehmen. Doch das Gericht sortiert aus: Vor Sitzungsbeginn müssen die Journalisten Namen und Medium, für das sie arbeiten, aufschreiben. Nach 45 Minuten Beratung gibt die Kammer ihre Entscheidung bekannt: Die Journalisten dürfen hinein – bis auf einen. Dem Vertreter einer Boulevardzeitung wird der Zutritt ausdrücklich verwehrt. Mit harschen Worten hatte sich Staatsanwalt Jördens zuvor dagegen ausgesprochen, dass der Vertreter dieser Zeitung zuhören darf. Die Kammer lenkt ein: Früher habe jene Zeitung auch bei Verfahren in Wiesbaden “unzutreffend und unsachlich” berichtet, so die Vorsitzende; das sei nun ebenfalls zu befürchten. Der Berichterstatter bleibt draußen. Die anderen dürfen sich die Anklageverlesung anhören. Danach müssen auch sie den Raum verlassen. Der Prozess wird fortgesetzt.

Auf Anfrage bestätigte uns das Landgericht, “dass es sich bei dem nicht zu der Anklageverlesung zugelassenen Journalisten um einen Mitarbeiter der BILD-Zeitung handelt”. Laut Staatsanwaltschaft geht es dabei nicht um einen konkreten Fall, sondern um langjährige Erfahrung mit der Berichterstattung der Zeitung.

Das geht auch aus einem Bericht der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” hervor:

Unter Auflagen zugelassen wurden namentlich benannte Vertreter der Medien mit Ausnahme des Journalisten der “Bild”. Staatsanwalt Jördens hatte den Ausschluss des Blatts gefordert mit der Begründung, deren “unsachliche und reißerische” Berichterstattung beeinträchtige die Persönlichkeitsrechte in viel stärkerem Maß als die anderer Medien. Die Kammer folgte dieser Auffassung, der sich auch die Verteidiger angeschlossen hatten. In der Vergangenheit habe “Bild” mehrfach unsachlich und unzutreffend über auch in Wiesbaden verhandelte Gerichtsverfahren berichtet, sagte die Vorsitzende Richterin Ingeborg Bäumer-Kurandt.

Mit Dank an spot.

Immer das gleiche Lied

Das ist aber blöd gelaufen:

Rainer Calmund, Ex-Fußballmanager und Berufs-Promi hat ein Buch geschrieben mit dem Titel “Eine Kalorie kommt selten allein”. In diesem Buch macht Calmund auf Seite 52 eine merkwürdige Feststellung.

“Intoniert wurde 1954 im Wankdorf-Station in Bern übrigens die erste Strophe des Deutschlandliedes, die ich auch heute noch bei Länder-Spielen voll mitsinge.”

Das Online-Special zur Frankfurter Buchmesse vom Hessischen Rundfunk hat diesen “dicken Fehler” bemerkt und schrieb dazu:

Die erste Strophe des Deutschlandliedes zu singen, ist ein Tabu, weil diese Strophe eng mit den Nazis und dem Dritten Reich verbunden wird.

Das ist jetzt erst mal nur verkürzt und noch nicht falsch. Aber der Artikel ist ja lang genug.

So stand im Vorspann:

Gerne singe er die erste Strophe des Deutschlandliedes lauthals mit, steht da zu lesen. Dumm nur, dass dieser Text auf dem Index steht.

Und weiter hinten:

Und leider gibt es auch heute noch Fußballfans, besonders im rechtsradikalen Millieu, die gerne mal diese erste Strophe des Deutschland-Liedes singen, obwohl das verboten ist.

Beides ist Unfug. Die erste Strophe des Deutschlandlieds war nie und ist nicht verboten. Es gilt nur in weiten Teilen der Bevölkerung als unschicklich, diese Strophe zu intonieren. (Aber das wussten Sie natürlich längst.)

hr-online.de hat die Behauptung, die erste Strophe stehe auf dem Index, irgendwann unauffällig aus dem Text getilgt (und bei dieser Gelegenheit die Schreibweise von Calmunds Vornamen korrigiert), bleibt aber weiter bei der Darstellung, sie sei “verboten”.

Mit Dank an Krischn.

Nachtrag, 16.30 Uhr: Offenbar schon vor Veröffentlichung dieses Blogeintrags hatte hr-online.de den letzten Fehler korrigiert:

Und leider gibt es auch heute noch Fußballfans, besonders im rechtsradikalen Millieu, die gerne mal diese erste Strophe des Deutschland-Liedes singen, um zu provozieren.

Blick, AKP, Ombudsleute

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Blick’ beschuldigt falschen Mann”
(20min.ch, Amir Mustedanagic)
Ein Mann wird von der Boulevardzeitung “Blick” beschuldigt, einen Busfahrer verprügelt zu haben. “Sein einziges Vergehen ist, dass er einen ähnlichen Vornamen hat wie der Täter und keinen tadellosen Ruf in Glarus geniesst.”

2. “(Kleiner) Sieg über ‘Bild'”
(onlinejournalismus.de, Fiete Stegers)
Nach einer Beschwerde beim Presserat nimmt Bild.de eine beanstandete Fotogalerie “aus dem Netz”, wie es im Protokoll der Beschwerderatssitzung heisst: “Dieser Satz (…) freute mich noch mehr als die vom Presserat ausgesprochene ‘Missbilligung’ des Vorgehens von Bild Online wegen der Herabwürdigkung von der abgebildeten Frauen. Zumindest bis zu dem Augenblick, als ich durch kurzes Googlen feststellte, in wie vielen anderen Artikeln auf Bild.de die ‘Galerie der Schande’ derzeit weiterhin eingebunden ist.”

3. “Operation ‘Hackerazzi'”
(welt.de, Uwe Schmitt)
Ein US-Amerikaner wird verdächtigt, “zwischen dem 3. November 2010 und dem 10. Februar dieses Jahres systematisch die E-Intimsphäre von Stars ausgespäht zu haben”, darunter Nacktbilder von Schauspielerin Scarlett Johansson.

4. “Kritische Journalisten nicht erwünscht”
(dradio.de, Gunnar Köhne)
Die türkischen Medien stehen zunehmend unter dem Druck der Regierungspartei AKP: “Reine Medienkonzerne gibt es in der Türkei nicht. Die Besitzer von Zeitungen und TV-Stationen sind meistens auch noch in anderen Branchen tätig, etwa im Bau- oder Energiebereich. Somit sind sie abhängig von Staatsaufträgen. Mit einer 50-Prozent-Partei will sich niemand von ihnen auf Dauer anlegen.”

5. “Wachhund und Moralapostel”
(wissen.dradio.de, Michael Meyer, Audio, 8:18 Minuten)
Woher das Wort Ombudsmann kommt, was Ombudsleute tun. “Experten zufolge ist die Kontrollinstanz aber immer gut für die journalistische Glaubwürdigkeit, obendrein fördere sie das präzise Arbeiten. Weltweit leisten sich allerdings nur rund 100 Redaktionen Ombudsleute.”

6. “A Magazine Is an iPad That Does Not Work”
(youtube.com, Video, 1:26 Minuten)

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Das Grauen hat einen Namen

Franz Josef Wagner hat einen Liebesbrief geschrieben. Er geht an Joachim “Jogi” Löw, den “eleganten Bundestrainer, der wunderbar aussieht”. Mit mehr als einer Prise Homoerotik erinnert sich Wagner “an Artikel, in denen es nur um Ihr strahlend weißes Hemd ging”:

Wie lässig es Ihren 50-jährigen Körper bedeckte, auf Taille geschneidert und zu allen Träumen veranlasste.

Dann war der Hype um Ihren blauen Pullover. Sie trugen ihn nackt auf Ihrer Haut.

Einmal in Fahrt, gibt es für Wagner kein Halten mehr:

Und zu Ihrer Schönheit kam das Haar, als hätte Gott jedes einzelne Haar in Ihren Kopf eingepflanzt. Dieses volle Haar. Sie sind 51 und Sie haben kein einziges graues Haar.

So gesehen dürfte Franz Josef Wagner ziemlich enttäuscht gewesen sein, als er den Sportteil jener Zeitung aufschlug, für die er arbeitet:

Keine Farbe mehr! Löw steht zu Grau. Deutschland siegt und siegt. Warum wird denn unser Bundestrainer grau und grauer? Wer Joachim Löw (51) am Fernseher genau beobachtete, sah graue Haare in der vollen Haarpracht und den Koteletten. Der Grund ist einfach: Löw färbt seine Haare schon länger nicht mehr. "Endlich fällt es den Leuten mal auf", sagt er lächelnd. Das dichte Haar hat er übrigens von seinem Vater geerbt.

Im vergangenen Jahr war “Bild” übrigens selbst noch überzeugt davon, dass Löws Haarfarbe echt sei:

Die dichten schwarzen Haare sind nicht gefärbt. Hat er vom Vater (Beruf Ofensetzer) geerbt.

Mit Dank an Flo M.

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